Die Gartenlaube (1898)/Heft 26
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26. Heft. 14. Dez. 1898. | Die Gartenlaube Weihnachten 1898 |
Preis 10 cents. |
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Vom Weihnachtsbüchertisch.
I. Für die Jugend. Unter den Büchern, die der Jugend am Christabend beschert werden, erfreuen sich seit langer Zeit die sogenannten Jahrbücher einer großen Beliebtheit. Ihr Inhalt ist nicht einseitig, sondern möglichst mannigfaltig gestaltet; sie bringen Erzählungen, Bilder aus der Geschichte und dem Leben hervorragender Männer und Frauen, führen die jungen Leser und Leserinnen hinaus in die Natur und machen sie vertraut mit dem Leben der Pflanzen und Tiere, sorgen auch für Auskunft über allerlei nützliche Beschäftigungen und schenken zuletzt dem Scherz und Spiel die gebührende Beachtung. Dank dieser Zusammenstellung befriedigen die Jahrbücher die verschiedenartigsten Wünsche und Lesebedürfnisse der jungen Welt und bleiben in kinderreichen Familien ein wertvoller Bestand der Hausbibliothek, aus dem in späteren Jahren der jüngere Nachwuchs Unterhaltung und Belehrung schöpft.
Als ein derartiges treffliches Buch ist seit mehr als zwei Jahrzehnten „Der Jugendgarten“ (Union, Stuttgart) anerkannt. Heuer erscheint von ihm der 23. Band, der mit etwa 200 ein- und mehrfarbigen Illustrationen geschmückt ist. Er ist als Festgabe für Mädchen bestimmt und bietet eine Fülle ansprechender Erzählungen von L. v. Vietinghoff, Frida Schlicht, Marianne Frieder, Fanny Römer, A. v. Dorf, Käthe Treller, Luise Glaß u a. Dazwischen sind Gedichte, biographische und populärwissenschaftliche Skizzen eingestreut. Sehr reichhaltig ist in diesem Jahrgang die Rubrik der weiblichen Handarbeiten und der Winke für allerlei Dilettantenkünste gestaltet; daneben werden Anregungen für Sport und Spiel, für Haustheater, für Sammlerinnen und zuletzt hübsche Anleitungen zur Unterhaltung der Allerkleinsten geboten.
Ein ähnliches Jahrbuch für Mädchen ist „Das Kränzchen“, das gleichfalls in dem obengenannten Verlage erscheint. Für diese Weihnachten liegt uns die zehnte Folge vor. „Das Kränzchen“ ist eine weit verbreitete und beliebte, reich illustrierte Wochenschrift für junge Mädchen. Aus den Nummern des letzten Jahrganges wurde der stattliche Band zusammengestellt. Er bietet zwei treffliche Erzählungen, „Gustel Wildfang“ von Luise Glaß und „Das Dorfprinzeßchen“ von Mathilde de la Chapelle, von denen jede für sich ein Buch ergeben würde. Daran schließt sich eine Fülle kürzerer novellistischer Skizzen und belehrender Artikel, sowie eine ganze Anzahl nützlicher Winke.
Ein Gegenstück zu diesem Mädchenjahrbuch bildet „Der gute Kamerad“, ein illustriertes Knabenjahrbuch, von dem die zwölfte Folge als Weihnachtsneuheit geboten wird. Natürlich ist der Ton seines Inhalts strammer und forscher, ganz wie er für den deutschen Knaben paßt. Die Haupterzählungen führen die Titel „Der Arrapahu“ von Max Felde und „Sohn des Gaucho“ von Franz Treller. Bei ihrer Lektüre tummelt sich die Phantasie der Knaben auf den ihr über alles reizvollen Jagdgründen und Kriegspfaden jenseit der Meere. Ueber Militär, Marine und Aeronautik weiß „Der gute Kamerad“ Interessantes zu berichten und bringt gute Belehrungen über einzelne Abschnitte der Geschichte, über Naturkunde und Gesundheitspflege; er giebt Anleitungen für Spiele im Freien, die den Körper stärken, und in Rätseln und Aufgaben eine Beschäftigung für den nimmer ruhenden Spürsinn der Knaben während der Mußestunden.
Der reiferen Jugend, dem Haus und der Familie ist „Das Neue Universum“ (Union, Stuttgart) gewidmet. Von diesem sehr reich illustrierten Jahrbuch, das die interessantesten Erfindungen und Entdeckungen auf allen Gebieten in Wort und Bild vorführt, ist soeben der 19. Jahrgang erschienen. In unserer Zeit, die durch so viele und große Fortschritte der Technik, die hohe Entwickelung des Reiseverkehrs und die wachsende Bedeutung der Kolonialbestrebungen ausgezeichnet ist, bietet das „Neue Universum“ eine reiche Quelle der Belehrung. Damit es auch anregend zum selbständigen Schaffen der jüngeren Leser wirke, ist es mit einem praktischen Anhang „Häusliche Werkstatt“ versehen.
Nächst den Sammelwerken zählen zu den gesuchtesten Weihnachtsbüchcrn für die reifere Jugend gute Erzählungen. Obenan müssen wir immer diejenigen stellen, welche die Jugend mit der vaterländischen Geschichte vertraut machen oder Kulturbilder aus alter Zeit bieten. Auch unter den neuen Erscheinungen des diesjährigen Weihnachtsmarktes sind erfreulicherweise gute Bücher dieser Art vorhanden. „Kirchbergs Geschick“ (Stephan Geibel, Altenburg) lautet der Titel einer spannenden und auf gründlichen Studien beruhenden Erzählung für jung und alt von Ferdinand Köcher. Sie versetzt den Leser in die Zeiten Friedrichs mit dem Wangenbiß und schildert ein interessantes Stück aus der wechselreichen Geschichte des grünen Thüringerlandes. R. Starcke aus Weimar hat das Buch mit sechs stimmungsvollen Vollbildern geschmückt. Nach Süddeutschland führt uns Paul Oskar Höcker in der Erzählung „Der Ritter mit der eisernen Hand“ (W. Effenberger, Stuttgart). Das Bändchen ist mit fünf Farbdruckbildern von Wilh. Zweigle ausgestattet und macht jüngere Leser mit den Wirrnissen in der Zeit des großen Bauernkrieges bekannt. Aus der jüngsten Vergangenheit, den Jahren 1861 und 1866, ist dagegen der Stoff zu der geschichtlichen Erzählung „Heil dir im Siegerkranz“ von R. Bahmann (Alexander Köhler, Dresden) gewählt. Das gleichfalls illustrierte Büchlein ist der 29. Band der mit Beifall aufgenommenen Volks- und Jugendbibliothek „Aus unserer Väter Tagen“.
Einen besonderen Reiz üben auf die Knaben Erzählungen, die in den jungen Kolonien Deutschlands spielen. So wird auch Paul Lindenbergs „Fritz Vogelsang, Abenteuer eines deutschen Schiffsjungen in Kiautschou“ (Ferd. Dümmlers Verlag, Berlin) gewiß freudig begrüßt werden. Der Verfasser schildert China und die jüngste deutsche Kolonie frisch und klar aus eigener Anschauung, und ebenso getreu, zum Teil nach amtlichen Vorlagen, sind die zahlreichen Bilder, die dem Text beigegeben sind. Die Indianergeschichten sind durch „Martin Forster“ (W. Effenberger, Stuttgart) vertreten. Friedr. J. Pajeken beschreibt darin die abenteuerlichen Erlebnisse eines Knaben im wilden Westen.
Wenden wir uns jetzt zu den sinnigen und gemütvollen Erzählungen, die für das jüngere zarte Geschlecht geschrieben worden sind. Tony Schumacher bietet uns in dem Büchlein „Reserl am Hofe“ (Levy & Müller, Stuttgart) eine Erzählung für jüngere Mädchen. Von Elisabeth Halden ist in diesem Jahre ein Buch unter dem Titel „Neue Mädchengeschichten“ (W. Effenberger, Stuttgart) erschienen, das M. Flashar mit hübschen farbigen Bildern geschmückt hat. Derselbe Verlag bietet noch auf diesem Gebiete die anmutige Erzählung „Heckenröschen“ von Martha Giese mit Bildern von H. Claudius, während das Bändchen „Auf festem Grunde“ (A. Köhler, Dresden) von A. v. Carlowitz fünf Erzählungen für junge Mädchen enthält und von E. H. Walther mit passendem Bilderschmuck versehen wurde. Für die Jüngsten unter den Lesenden eignen sich vortrefflich die lehrreichen, hübsch illustrierten Geschichten „Kinder, macht die Augen auf!“ (W. Effenberger, Stuttgart) von Tony Schumacher.
Der reiche Schatz von Märchenbüchern wird durch das treffliche Buch „Gefundene Perlen aus der Märchenwelt“ (Alex. Köhler, Dresden) von Luise Schottin vermehrt, deren Erzählungstalent einst von Julius Sturm warm anerkannt wurde; daran schließen sich einige neue Märchen unter dem Titel „Das Zauberland“ (W. Effenberger, Stuttgart).
Schließlich wollen wir noch eines altbewährten, sehr nützlichen Verlagsunternehmens gedenken. Die „Universalbibliothek für die Jugend“ (Union, Stuttgart) besteht aus kleinen, einzeln käuflichen Bändchen, die im Original oder in guten Bearbeitungen die Werke unsrer besten Dichter, Volks- und Jugendschriftsteller dem Haus und der Familie darbieten. Es sind schon mehrere hundert dieser Bändchen erschienen. In diesem Jahre ist die Universalbibliothek durch „Kleine Erzählungen“ von Karl Stöber, bearbeitet von L. Schlegel, und durch vier Bändchen Erzählungen des bewährten Volks- und Jugendschriftstellers W. O. v. Horn bereichert worden.
II. Für die Erwachsenen. Zur rechten Zeit, um den Weihnachtstisch der vielen zu schmücken, die W. Heimburgs Romane und Novellen gern auch in Buchform besitzen, stellt sich der neueste Band derselben ein: der Roman „Antons Erben“ (Leipzig, E. Keil’s Nachfolger). Als derselbe im Beginn dieses nun bald vollendeten Jahrgangs der „Gartenlaube“ erschien, hat das rührende Frauenschicksal, das er entrollt, die Leser so zu ergreifen gewußt, daß gewiß noch allen seine großen poetischen Vorzüge in lebhaftester Erinnerung stehen. In der Stimmung verwandt mit diesem echt deutschen Familienroman ist der Roman Adolf Wilbrandts „Die glückliche Frau“ (Cotta, Stuttgart), in dessen Heldin sich die gediegene, wetterfeste Art einer norddeutschen
(Fortsetzung siehe 3. Umschlagseite.)
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Halbheft 26. | 1898. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
O heil’ge Nacht, voll Glück und Licht,
Du wundersamste aller Nächte,
Du bist das herrlichste Gedicht,
Wie Menschensinn es nie erdächte;
Dein Zauber füllt den ärmsten Raum,
Er klingt aus jeder Liedesweise,
Und duftend atmet ihn der Baum,
Der Baum mit seinem grünen Reise.
Aus längstverlornem, trautem Glück
Webt die Erinn’rung dir den Schleier,
Du führst den müden Greis zurück
Zu seiner Kindheit schönster Feier;
Du nimmst die Menschheit in den Arm,
Gleichwie die Mutter thut dem Kinde,
Daß Not und Elend, Sorg’ und Harm,
Sei’s auch für kurze Frist, entschwinde.
Wie heil’gen Friedens Unterpfand
Ertönt der Glocken festlich’ Grüßen,
Und durch das nächtlich stille Land
Ziehn Engel hin auf frommen Füßen;
Wo nur des Himmels Boten gehn,
Wird Licht und Liebe ausgegossen …
Doch Kindesang’ nur kann sie sehn.
Dem noch die Wunderwelt erschlossen.
Wir hören ihrer Botschaft Ton –
Doch lebt in uns der fromme Glaube?
Verscheucht nicht Zwietracht, Haß und Hohn
So oft des Friedens weiße Taube?
Die Menschheit ringt in Kampf und Streit,
Mit selbstgeschaffenen Beschwerden –
O hört das Wort voll Seligkeit,
Das Wort vom Frieden hier auf Erden!
O trinket aus der Liebe Born
In dieses Festes Feierstunden,
Vergesset Haß und Neid und Zorn
Und schlagt nicht, sondern heilet Wunden!
Zu euren Kindern lenkt den Blick,
Auf ihrem Antlitz steht’s geschrieben:
Der Weihnachtsfeier reinstes Glück
Besteht im Geben und im Lieben.
Anton Ohorn.
Es war ziemlich spät nachmittags, als der Afrikaforscher, nach langer Reise in Genf eingetroffen, in den Hotelgarten trat.
Der lag am Quai du Montblanc. Hart vor ihm spülte die Rhone ihre glasgrünen Wellen eilig unter den Brücken hindurch, jenseits standen neue Häuserreihen und Baumgruppen und dahinter schlossen weißliche Abendwolken den Blick in jene Ferne ab, aus der bei ganz klarem Wetter der Montblanc herübergrüßt.
Rings im Garten die internationale Reisewelt der schon beginnenden Hauptverkehrszeit – weißbärtige, bewegliche Franzosen mit dem roten Bändchen im Knopfloch und lächelnde Yankees in Schaukelstühlen, graziöse Pariser Damenwelt, Briten in Masse, streng nach der zwanglosen Mode des Sommernachmittags gekleidet, und dort – waren das nicht alte Bekannte?
Richtig – da stand der alte Herr mit dem eisgrauen Schnauzbart auf, reckte seine hagere, in einem zu kurzen Sommerjäckchen und ganz engen Beinkleidern steckende Gestalt und winkte ihm zu.
Und auch die neben ihm kerzengerade dasitzende, schwarzgekleidete Dame wurde lebendig. Der Major und die Gouvernante! Das Paar hatte er am wenigsten gesucht. Aber es half nun nichts. Er mußte hin und sie begrüßen.
Die beiden ältlichen Menschen waren wie ausgewechselt in ihrem herbstlichen Zug von Herz zu Herzen. Ueber ihrem Gesicht lag ein geradezu sanftes, wehmütiges Lächeln an Stelle der früheren Düsterkeit, und er hatte sich – ganz im Gegensatz zu seinen wilden Auftritten mit Cook und Sohn – ein völlig feierliches Wesen, eine Art altfränkischer Sanftmut beigelegt, die seine verwitterten Züge verklärte. Jedenfalls waren die beiden vollkommen glücklich und kümmerten sich wenig darum – wenn sie es überhaupt merkten –, daß sie unter dieser blasierten, medisanten Touristenwelt wie die Dohlen zwischen den Ziervögeln saßen.
Er nahm bei ihnen Platz, und unaufgefordert, als ob sich das von selbst verstände, erzählten ihm die beiden zugleich von Klara. Die Reise sei ohne Zwischenfälle verlaufen und gestern früh habe man die Kleine in ihre neue Stellung gebracht. Aber heute schon sei ein flehender Brief von ihr gekommen, die Schwester möge sie doch umgehend besuchen. So sei Klara eilends dorthin gegangen und müsse nun wohl bald zurückkommen.
Den Afrikaner, der zerstreut zuhörte, interessierte nur das letztere. Was lag ihm an all diesen verwandtschaftlichen Abenteuern? Am liebsten wäre es ihm gewesen, hätte die blonde Malerin ganz ohne Anhang auf der Welt dagestanden. Denn diese Philister – gewiß, es waren ja treffliche gute Menschen, aber er paßte so gar nicht zu ihnen und sie verstimmten ihn, ohne es zu wissen und zu wollen, in ihrer Sprache, ihrer Haltung, ihren Kleidern – in allem.
Die beiden Damen, die jetzt in den Garten traten, fielen auch durch ihre Schlichtheit und Anspruchslosigkeit auf. Zwischen dem raffinierten Luxus der Amerikanerinnen und Pariserinnen rings umher sahen sie in ihrer einfachen Reisegarderobe wie Kammerfrauen oder Gouvernanten aus.
Nun natürlich – es waren ja doch auch Gouvernanten, die älteste, die da neben ihm saß, und die jüngste, die da trotzigen Gesichts herankam. Und die hübsche Blondine neben ihr konnte sich doch nicht anders kleiden wie ihre Schwestern.
Es dauerte einen Augenblick, bis er sich überzeugt hatte, daß es Klara war, und fast zugleich schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, einen wie großen Unterschied es doch macht, ob man ein Mädchen allein mitten in der dämmernden Wüste, in kleidsamem Reitkostüm, als die erste Europäerin seit Jahren erblickt, oder wie hier in einem Kreise glänzender, selbstbewußter und unmerklich spöttisch lächelnder Frauen.
Gleich darauf zürnte er sich selbst wegen dieser Regung. Er ging raschen Schritts auf Klara zu und drückte ihr herzlich beide Hände. Sie erwiderte leise den Druck und schaute ihm heiter ins Gesicht. Eine feine Röte durchleuchtete ihre freundlichen offenen Züge, aber sie sprach kein Wort.
Statt ihrer fing die Kleine an. Sie befand sich in höchster Aufregung und wartete gar nicht ab, daß man sie nach dem Grund der Rückkehr frug. Sie müsse eben zurückkommen! Sie habe Klara gebeten, sie nur gleich wieder fortzunehmen, und das habe die nach einer gütlichen Aussprache mit der Familie denn auch glücklich gethan. Und da sei sie nun wieder. Um eine traurige Erfahrung reicher! Aber das mache nichts! Es sei schon besser so!
„Ja, was hat es eigentlich gegeben?“ frug die älteste streng.
„Gar nichts. Gestern abend, wie ich mich eben eingerichtet hatte und es mir so recht schwer ums Herz war, da klingelt es und er ist da! Ihr könnt euch denken, wie mir da das Herz geklopft hat. Er war direkt von Gibraltar durchgefahren und wollte sich in Genf eben nur die paar Stunden aufhalten, um mich zu sehen – dann gleich weiter!“
„Ja, wer denn?“
„Wer?“ Die Kleine schien höchst erstaunt, daß nicht alle Welt das sofort wußte. „Nun, Herr Steffen doch natürlich. Ich erkannte ihn doch auch gleich, obwohl es dämmerte, an dem großen blonden Vollbart und war so froh …“
„Aber die Familie wohl nicht?“
„Nein. Der Hausherr, dieser langweilige alte Mucker – aber so soll es viele hier in Genf geben – der frömmelte da was zusammen: das sei doch ein starkes Stück! Gleich am ersten Abend Herrenbesuch von zugereisten Ausländern. Und man könne doch gar nicht wissen … und überhaupt … und das ginge nicht. Ich wagte ja auch gar nichts zu sagen und fing nur an zu weinen. Da wurde Herr Steffen auf einmal so furchtbar grob und fing in einem so greulichen Französisch zu wettern an, wie ich es nie zuvor gehört hab’! Mir wurde ganz angst und bang!“
„Was hat er denn gesagt?“
Die Kleine hob ihr blasses Gesichtchen und sah sehr stolz und ernst aus. „Das verbäte er sich, hat er gesagt, daß man seine Braut so behandle! Das dulde er nicht!“
„Seine Braut?“ Die Gouvernante und der Major riefen es gleichzeitig und ziemlich erschrocken.
Auch Hilda war etwas beklommen. „Ja, jetzt bin ich es! Der alte Frömmler hat mich auch gleich gefragt, warum ich denn gar nichts davon gesagt hätte, daß ich verlobt sei. Und ich hab’ ihm erwidert: ‚Ich bin es ja auch seit eben erst und jetzt bleib’ ich’s!‘ Da hat er gemeint, dann sei es wohl besser, wir trennten uns wieder, und ich habe geantwortet: ‚Das glaub’ ich auch!‘ und hab’ an Klara geschrieben. Und da bin ich nun und es ist alles gut!“
Das schienen die andern nicht anzunehmen. Wenigstens legte sich ein gedankenvolles Schweigen über die Gesellschaft.
„Hm ..,“ sagte endlich der Major und räusperte sich … „Hm .. aber .. liebes Kind … wenn Sie mir gestatten, daß ich mich einmische …. erwägen Sie doch nur …. ein Mann, der mit Blutegeln und Honig feilschend in der Wildnis herumreitet … hin und her … wir kennen ja alle dies Land … jräßlich …“ Unwillkürlich kam ihm sein früheres Lieblingswort über die Lippen: „jräßlich ist es dort. Sie haben ja selbst am meisten darunter gelitten. Wie wollen Sie ihm dahin folgen?“
„Wenn es sein muß, folge ich ihm bis ans Ende der Welt,“ erklärte die Kleine trotzig. „Aber wahrscheinlich kehrt er ja gar nicht mehr nach Marokko zurück. Er ist ja doch gleich gestern abend weiter von Genf, nach Chamounix, zu dem Herrn Rey, der die schöne Jacht hat. Der hat ihn eingeladen, ihn zu besuchen, und der ist furchtbar reich! Nicht wahr?“ Sie wandte sich zu dem Afrikaner. „Er ist ja doch Ihr Freund und Sie wissen, wie viel Geld er hat.“
„Mein Freund ist er nun eigentlich wohl nicht! Aber ich kenne ihn gut, und weiß, daß er viele Millionen besitzt.“
„Und davon wird er wohl nun Deinem Herrn Steffen eine schenken?“ bemerkte die Gouvernante spitz.
Die Kleine geriet in Zorn. „Schenken natürlich nicht! Aber eine Stellung wird er ihm verschaffen, eine Lebensstellung. Was wißt ihr denn überhaupt vom Seebad Tanger und all unseren Plänen, bei denen der Herr Rey uns hilft? Er ist gewiß ein guter [807] Mensch! Nicht wahr?“ Wieder rief sie den Forschungsreisenden zu Hilfe. „Mit seiner Tochter, der schönen Frau, die wir in Tanger gesehen haben – mit der sind Sie doch befreundet? Sie haben es ja selbst uns gesagt. Wenn Sie die vielleicht bitten, daß sie uns hilft… sie ist mit ihren beiden Reisebegleitern auch in Chamounix… wenn Sie ihr ein paar Zeilen schreiben…“
„Ich glaube nicht, daß das etwas nützen würde.“ Er mußte unwillkürlich lächeln. „Und Herzensgüte scheint mir gerade nicht ein hervorstechender Charakterzug bei Nicolai Augustus Rey zu sein. Aber wenn bei einer Sache Geld zu verdienen ist…“
„Viel Geld!“ rief die Kleine hochrot vor Aufregung und so laut, daß die Umsitzenden die Köpfe nach ihr wandten. „Millionen! Wir haben alles ausgerechnet! Es ist gar kein Fehlschlag möglich! Nur das Kapital zum Anfang brauchen wir! Das muß uns Herr Rey geben! Er muß! Er muß!“
„Hoffen wir!“ meinte der Afrikaner trocken. Es verstimmte ihn, daß er mitten in all dieses Verwandtentreiben hineingeraten war und schon wie zur Familie gehörig betrachtet und zu Rat und That herangezogen wurde. Seit Jahren gewohnt, allein zu stehen, allein zu handeln, begriff er dies den anderen offenbar so selbstverständliche Gefühl der Verwandtschaft nicht, dies Zusammenfließen einander vielleicht ganz fremder, innerlich grundverschiedener und nur zufällig angeheirateter und verschwägerter Menschen zu einer kleinen Herde, zu einem nach außen geschlossenen Bunde im übrigen Weltgetriebe.
Da mußte man sich doch wenigstens gleich sein, so viel empfangen, wie man gab! Aber was konnten ihm diese unbedeutenden Existenzen sein, die sich jetzt schon vertrauensvoll an ihn hängten? Was gingen sie ihn an? Er heiratete eine Frau, nicht eine ganze weitgegliederte Sippe, von der ein Hauch der Kleinlichkeit und Alltäglichkeit über sein ganzes Leben wehen mußte! Hing dieses Bleigewicht an ihr, dann konnte er nicht die Künstlerin in Klara zu sich, in seine freie Welt emporziehen und zu dem machen, was er wollte. Zu dicht herum lauerte das Philistertum in Gestalt von Onkeln und Tanten, Schwägerinnen und Schwägern.
Die Kleine hatte unbekümmert, daß er nicht mehr zuhörte, den andern leuchtenden Auges weiter die Vorzüge des Seebades Tanger gepriesen und es ihnen ausgemalt, wie schön es sein würde, wenn erst einmal die englischen Lords zu Dutzenden dort am Strande galoppierten und die amerikanischen Millionärinnen zu Hunderten nebenan in den Wellen plätscherten – jetzt brach sie plötzlich ab und starrte nach dem Eingang des Gartens.
Eine breitschulterige, blondbärtige Gestalt, unmodern, aber in auffallender Weise gekleidet, war dort erschienen und steuerte, ohne allzuviel Rücksicht auf die Nebenmenschen zu nehmen, quer durch die Gruppen, auf die drei Schwestern zu.
„Hurra!“ rief Albrecht Steffen schon von weitem, zwar, so gut er konnte, gedämpft, aber immer noch mit einem Bärenbaß, der ein flüsterndes Echo, ein leises „shocking“ und Achselzucken im Garten weckte. „Hurra!“ wiederholte er, die dargebotenen Hände schüttelnd. „Guten Tag, Hilda! Habe ich die Ehre, den berühmten Afrikareisenden …? Freut mich, Herr! Hab’ Sie schon neulich aus der Ferne in Tetuan gesehen und bringe Ihnen Grüße von Herrn Rey. Sie möchten doch bald einmal hinüberkommen! Er erwarte Sie! Seine Tochter auch und ihre Freunde! Hören Sie mal: das sind zwei tolle Knöpfe… Kennen Sie sie näher?“
„Nein,“ sagte der Afrikaner kurz. Es verdroß ihn, daß der Handlungsreisende ihm eben jetzt, mitten im Philisterium, die Erinnerung an jene freien kraftstrotzenden Wesen da drüben wachrief, wie sie gleichmütig auf den Höhen der Berge und der Menschheit wandelten. Plötzlich begriff er, wie einem Vogel im Käfig zu Mute ist, der den weiten Himmel schaut und in die blaue Unendlichkeit hinausmöchte, trotz aller Pflege, Sicherheit und Ruhe zwischen den Gitterstäben. Und wie ein Freundesgruß aus altewiger Zeit stieg plötzlich vor seinem Geiste ein lachendes Gesicht empor, mit wogenden Locken und geheimnisvoll leuchtenden blauen Augen, und ein übermütiges Lachen verhallte in seinem Ohr, ein Wiederklang ferner Tage, da er an Angelas Seite durch den ewigen Schnee und über die Riesenstufen der Pyramiden wie mit einem langvertrauten Freunde emporgestiegen.
Wer dich vergessen könnte, Frau Aventiure! Er wußte es wohl: er konnte es nie und nimmer. Die Erinnerung blieb. Und jetzt stärker denn je, wo sie ihm so nahe und doch für immer verloren war. Denn jetzt trennte sie die unüberbrückbare Kluft: sie wandelte in lachender Gesundheit, und er war zu Tode siech. Er wußte, welche Scheu sie vor kranken und unglücklichen Menschen hatte! Sie wich ihnen aus, wo sie nur konnte, und empfand als echte Tochter Nicolai Augustus Reys viel weniger Mitleid als Angst und Aerger, wenn sie dem Anblick menschlichen Leidens einmal doch nicht zu entrinnen vermochte.
Wo es ging, kaufte sie sich dann wohl mit einer reichen Spende von ihrem eigenen Gewissen frei. Wie sie den blinden Bettlern im Orient, den klagenden Krüppeln in Rußland, abgewandten Gesichtes und ihre Schritte beschleunigend, eine Hand voll Münzen hinwarf, so fand sie gewiß auch für den einstigen Freund einige äußerliche Zeichen der Teilnahme und des Trostes. Aber die begehrte er nicht. Fester denn je war er jetzt entschlossen, sie niemals wiederzusehen. Eine zornige Sehnsucht rang sich dabei doch in ihm empor, aber der Handlungsreisende ließ ihn, weiterplaudernd, nicht mehr zur Besinnung kommen.
„Ein famoser Mensch, dieser Rey!“ sagte er. „Zu solch’ einem Freund können Sie sich gratulieren! Ich weiß ja – Sie waren neulich erst bei ihm auf der ‚Liberty‘ in Gibraltar und haben mit ihm zu Abend gegessen. Na, das hab’ ich ja freilich nun nicht. Aus einem sehr einfachen Grund: er hat mich nicht eingeladen! Und das war mir eigentlich lieb. Denn unter solch’ pikfeinen Leuten, einem wirklichen Prinzen und gottweißwas für Millionären in Frack und weißer Binde – da fühle ich mich nun einmal durchaus nicht behaglich …“
„Kann ich mir denken,“ brummte der Major. „Ich kann solches Volk auch in den Tod nicht leiden!“ Und seine schwarzgekleidete Freundin nickte Beifall. „Ich bin ja als Gouvernante zuweilen diesen Kreisen nahegetreten,“ sagte sie streng. „Aber ich habe immer den Eindruck gehabt: es steckt nichts Rechtes dahinter. Eine glänzende Außenseite und innen Frivolität der Gesinnung, Gleichgültigkeit gegen alles Höhere und Edlere …“
„Ach, nun laßt doch mal diese Leute!“ Die Kleine starb fast vor Ungeduld. „Was liegt denn an denen? Wie es mit Herrn Rey ausgegangen ist, will ich wissen! Was hat er denn zu dem Seebad Tanger gesagt? Er muß doch begeistert gewesen sein!“
„Na, das gerade nicht!“ meinte der junge Kaufmann etwas gedämpfteren Tones als bisher. „Wie ich fünf Minuten gesprochen hab’, lächelt er mich plötzlich ganz spitzbübisch an, schiebt sich seine strohblonde Perücke zurecht, fährt sich mit der Hand um sein Kinn wie ein Prediger, dem nichts einfällt, und murmelt mit ganz heller Stimme vor sich hin: ‚Das ist Unsinn, lieber Herr… Unsinn … Unsinn … Unsinn …‘“
„O weh!“ rief Hilda und schloß schmerzlich die Augen. Die Gouvernante und der Major tauschten einen Blick trüben Einverständnisses. Es war doch wirklich unverantwortlich von dem Menschen, das Kind um seine Stellung zu bringen und dann mit leeren Händen des Wegs zu kommen.
Und dabei noch zu lächeln! Denn Albrecht Steffen war ganz guter Dinge. „Ja, also … Unsinn!“ fuhr er fort. „Sowie ich den Mund öffnen wollte, sagte der alte Herr ganz hell und bestimmt wie ein Papagei: ‚Unsinn!‘ Wie ich dann endlich ganz still bin, geht er durchs Zimmer und stößt ab und zu ein paar abgerissene Worte heraus: ‚Weltverkehr läßt sich nicht zwingen! … Unsicherheit der Zustände in Marokko … Widerstand der Behörden… verpestender Schmutz in der Stadt, den man nicht beseitigen kann … Ueberhaupt ein wildes, unabhängiges Land. Muß erst wieder annektiert werden wie im 17. Jahrhundert, bis sich das große Kapital hinwagt. Bis dahin: Unsinn!‘
Na, nun kannst du ja gehen! denke ich und will mich empfehlen. Da sieht er mich ganz eisig an und sagt halblaut: ‚Ich kann mich nicht erinnern, Sie schon entlassen zu haben!‘ Ich werde ärgerlich. ‚Bin ich denn in Ihren Diensten, Herr?‘ frage ich und er sagt: ‚Ja! Leute wie Sie kann ich brauchen! Keine Arbeitsmaschinen, sondern Menschen, denen zuweilen etwas einfällt. Wenn es diesmal auch ein Unsinn war, so kann es doch ein anderes Mal etwas Vernünftiges sein!‘ Und kurz und gut, ein Wort gab das andere, und ich bin fester Angestellter des Welthauses Nicolai A. Rey in Petersburg und Baku. Das
[808][809] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [810] Nähere wird dieser Tage erledigt. Aber jedenfalls kommt dabei so viel heraus, daß zwei bequem davon leben können. Und wahrscheinlich bleibe ich sogar in Deutschland. Wir bleiben alle beisammen! Ach, Kinders … es ist ja fast zu schön, als daß es wahr wäre! Was meinst Du, Hilda?“
Die legte statt jeder Antwort den Kopf auf den Tisch und brach in ein glückseliges, befreiendes Schluchzen aus. Auch in den Augen Klaras und der Gouvernante schimmerte es feucht und der Major wischte sich hüstelnd mit dem Taschentuch an den Wimpern herum, während rings sich Blicke voll spöttischer Neugier auf das ungewohnte Bild richteten.
Der Afrikaner sah das wohl, und es erfüllte ihn mit Beklemmung, daß er, statt sich über die Herzlosigkeit der Fremden zu empören, ihnen eigentlich recht gab. Solche Rührscenen waren wirklich hier nicht am Platz. Wenn sie schon sein mußten, gehörten sie in das Innere des Familienlebens, in jene Welt von kleinen Sorgen, Nöten und Freuden, Eifersüchteleien und Zwistigkeiten, gekränktem Schmollen und weichherzigem Mitempfinden, das da erschreckend plötzlich vor ihm aufwuchs, den Blick in die Weite hemmend.
Es war, als ob Klara seine Gedanken erriete. Sie warf ihm einen bittenden Blick zu und schlug dann nach all diesen Gemütsbewegungen einen Spaziergang in der Abendkühle vor. Die andern waren gleich bereit. Oder besser noch eine Spazierfahrt! In einen Wagen gingen freilich nur vier Personen! Aber man könne ja einen Kahn mieten und auf dem See fahren. In dem Kahn hätten sie alle sechs bequem Platz.
Die Malerin lächelte. „Fahrt nur allein!“ sagte sie. „Unserem berühmten afrikanischen Gast machen solche bescheidene Zerstreuungen keinen Spaß. Oder teilt euch besser nochmals zu je zwei und zwei. Bei der Table d’hote sehen wir uns dann wieder!“
„Ach, und du bleibst inzwischen hier?“
Die Kleine hob das von Freudenthränen verwaschene Gesichtchen und nickte verständnisinnig. „Ich bleibe hier oder gehe spazieren … wie es unser Gast wünscht.“
Der sah über den See in die Weite. „Wenn Sie gestatten, bleiben wir hier sitzen,“ sagte er langsam. „Ich befinde mich gar nicht wohl. Auf Wiedersehen inzwischen, meine Herrschaften!“
Die beiden Brautpaare, das alte und das junge, empfahlen sich. Sie blieben allein.
Sie wartete gar nicht, bis er zu sprechen anhub, sondern begann selbst die Unterhaltung. „Also wieder die alte Melancholie!“ sagte sie, halb lachend, halb besorgt. „... ‚Ich befinde mich gar nicht wohl!‘… Das haben Sie mir schon in Tetuan erklärt, und ich hab’ Sie mit meiner Gardinenpredigt, wie Sie es nannten, kuriert! Nun sollt’ es doch gut sein! Oder muß ich noch einmal von vorne anfangen?“
„Nein!“ Er sah sie trübe an. Natürlich … sie konnte ja nicht wissen, wie es um ihn stand! War es doch ihm selbst bis zu jenem Abend in Nizza nur eine dunkle Ahnung gewesen. „Nein, Fräulein Klara … es hilft nichts!“
Die Malerin schüttelte den Blondkopf und lachte hellauf. „Wenn Sie Ihr Gesicht sehen könnten … seien Sie nicht böse … aber daß ein Afrikadurchquerer eine so sorgenvolle Miene aufstecken könnte, das hätte ich nicht geglaubt. Und das alles wegen ein bißchen Nerven!“
„Es sind keine Nerven!“
„Was denn sonst? Ihr Fieber sind Sie los – das haben Sie selbst schon in Gibraltar zugegeben. Und wenn Ihnen sonst etwas Wirkliches, etwas Ernstes fehlte, das sieht man einem Menschen doch an. Dann reist man doch nicht vierzig Stunden im Schnellzug und geht und ißt und trinkt wie andere Leute. Also was sollte es denn sein?“
Er schwieg. Er hatte nicht den Mut, ihr sofort und unumwunden die Wahrheit zu gestehen. Es war ihm, als würde er dadurch klein vor ihr, ein armer, schutzsuchender, hilfsbedürftiger Mensch statt des Herrn und Gebieters, den ihr Auge jetzt in ihm sah. Wie die meisten kräftigen und an körperliche Strapazen gewöhnten Männer betrachtete er unbewußt jeden Zweifel an seiner Gesundheit als eine Art Beleidigung. Und hier war ja kein Zweifel mehr. Hier war die Gewißheit.
Für ihn. Die blonde Freundin neben ihm mußte ja das Gegenteil glauben! Er sah, wie sie sich zusammennahm, um recht unbefangen zu erscheinen und ihn zu erheitern. „Was sollte es denn sein?“ wiederholte sie und zerpflückte spielend die Rose an ihrer Brust. „Nerven … nichts als Nerven! Das ist durchaus nicht nur unser Vorrecht! Die größten Männer sind davor nicht sicher. Und wenn man das hinter sich hat, was Sie gethan haben … Sie brauchen bloß Ruhe. Vier Wochen vegetieren. Hier oder anderswo. Dann werden Sie sehen, was Sie für ein anderer Mensch geworden sind!“
Vier Wochen! Er mußte lächeln. Gerade den Zeitpunkt hatte er zufällig auch dem Arzt in Nizza genannt und der ihm geantwortet: „Nein, Verehrtester, nicht einen Monat, sondern Ihr ganzes Leben!“
Ein vielleicht noch langes Menschenleben vegetieren. Ihr absichtslos gewähltes Wort klang schmerzhaft in seinem Ohr nach. Aber es gab ihm wenigstens den Anlaß, vorsichtig mit seiner Beichte zu beginnen. „Sie haben ganz recht!“ sagte er. „Vegetieren! Es kommt ’ne Zeit, wo man Ruhe braucht. Mögen dann jüngere Leute sich draußen in Aftika vergiftete Pfeile und Malaria holen und irgend ein Engländer vom Alpine Club statt meiner mit einer Lawine rascher als ihm recht ist, zu Thale gelangen. Ich hab’ jetzt diese Dinge satt. Ich will jetzt meinen Kohl bauen und mich um nichts weiter kümmern!“
Sie sah ihn schweigend an. Er las eine Art Erstaunen in ihren blauen Augen.
„Natürlich ..,“ fuhr er etwas stockend fort. „Allein … das geht nicht. Für jeden Menschen kommt im Leben der kritische Zeitpunkt, wo er entschlossen zugreifen und sich einen eigenen Herd gründen muß. Nicht zu früh. Ich glaube, daß sonst bei vielen Männern das Beste unentwickelt bleibt, daß die rechte, rauhe, zähe Kraft, die man erst in reiferen Jahren gewinnt, durch das Familienleben, den fortwährenden Umgang mit Frauen, Kindern, Tanten, Basen und andern schwachen Wesen verweichlicht wird. Aber auch nicht zu spät. Sonst findet man den Anschluß nicht mehr. Es ist eben ein psychologischer Augenblick. Man kann ihn nicht bestimmen. Man muß ihn fühlen. Und ich habe das bestimmte Gefühl, daß es jetzt für mich an der Zeit ist!“
Sie erwiderte nichts, sondern sah leise lächelnd vor sich nieder in den Sand.
„Wissen Sie, wie ich mir mein Heim denke?“ fuhr er etwas lebhafter fort. „Oder vielmehr unser Heim … ich meine, das meiner künftigen Frau und meines? Hoch oben im bayrischen Hochland … wo die Tannenforsten stehen und darüber der ewige Schnee und noch ein Restchen Romantik aus dieser langweiligen grauen Kulturwelt mit ihren Fabrikschornsteinen und ihrer Druckerschwärze sich hingeflüchtet hat. Wo es noch wirkliche Wildschützen giebt und Schmuggler mit geschwärzten Gesichtern, Gemsenjäger und Bergführer, schöne kraftvolle Menschen in kleidsamer Tracht, die herrliche Natur umher und alles noch erfüllt von der Träumerei und Melancholie des Königs Ludwig – da ist meine Heimat. Da möchte ich mein Leben beschließen. Mir einen der großen Bauernhöfe kaufen, einen Zaun um meine Bergwiesen ziehen und mich dann hinsetzen und sagen: Nun, Welt, laß’ mich in Frieden! Ich hab’ genug von dir gesehen!“
Sie blickte auf und ihr Lächeln wurde stärker. „Und wie lange soll diese Weltflucht dauern?“ frug sie.
„Solange ich lebe! Natürlich … einmal im Winter ein Aufenthalt in München oder ein Ausflug nach Salzburg oder derlei …“
„Lieber Freund!“ Sie ließ ihn nicht weiter reden. „Wie alt sind Sie jetzt?“
„Ich hab’ es Ihnen ja gesagt. Ich bin über die vierzig hinaus!“
„Vierzig! Ja, ist denn das ein Alter für einen Mann!“ Sie schüttelte den Kopf und sah ihn ungläubig an. „In der Vollkraft seiner Jahre zu resignieren? Sich wie ein Einsiedlermönch von allem zurückzuziehen, sei’s auch in den Kreis der Familie? Nein, wenn Sie jetzt in Ihrer Nervosität auf solche Stimmungen geraten, dann müssen andere vernünftiger sein als Sie!“
„Wer denn, zum Beispiel?“
„Sagen wir, Ihre Frau! Ihre künftige Frau!“
„Nun, und was würde die mir Vernünftiges sagen?“
[811] Sie rückte etwas naher heran, um von den Umsitzenden nicht gehört zu werden. Doch ihr Auge vermied, dem seinen zu begegnen. „Sie würde sagen: Lieber Mann! Kein Mensch ändert sich. Auch in der Ehe nicht, wenn man verhältnismäßig so spät heiratet. Dn bleibst, was du bist, und weil du so bist, gefällst du mir. Und sollst nicht anders werden aus Rücksicht auf Weib und Kind!“
„Nicht aus Rücksicht auf die allein, sondern auf mich selbst!“
Sie schüttelte den Kopf. „Die Rücksicht auf sich selbst gebietet Ihnen, so zu leben, wie es Ihre Natur, Ihr ganzes Wesen nun einmal erfordert! Sehen Sie … ich habe in diesen Tagen viel über Sie nachgedacht – warum soll ich es nicht sagen? Sie wissen es ja wohl so schon – und habe versucht, in Ihr Wesen einzudringen. Das ist gar nicht so schwer. Denn gerade Männer wie Sie, wirkliche Männer, wenn sie meinetwegen auch ein bißchen brutal und wild sind, verstehen wir Frauen ganz instinktiv. Die sind ja eigentlich das, was wir suchen. Und da hab’ ich mir gesagt: der größte Fehler, den Ihre künftige Frau begehen könnte, der wäre, Sie zu einer Aenderung Ihres Lebens und Ihrer ganzen Lebensweise zu zwingen! Sie brauchen die Freiheit wie die Lebenslust! Sie müssen kommen und gehen können, wie Sie wollen. Fühlen Sie, wie jetzt, den Drang nach Ruhe und Erholung, so finden Sie zu Hause alles zu Ihrer Begrüßung bereit. Und treibt Ihr innerstes Wesen, Ihre waghalsige Abenteurerlust Sie wieder unwiderstehlich in die Ferne, dann soll sich nicht eine Kette von Familienrücksichten, Thränen und Klagen an Sie hängen. Die Frau, die Sie brauchen, die muß Sie lachend empfangen und fröhlich auch wieder gehen lassen. Lieber Gott … die Frauen von Seeoffizieren etwa, die müssen auch oft lange Zeit allein sein. Immer besser, sich um einen Mann zu sorgen und zu bangen, als ihn neben sich gähnen zu sehen!“
„Wer sagt Ihnen, daß ich das thäte?“
Sie wurde beinahe zornig. „Das sage ich mir, daß man nicht mit einem Schlage aus einem wildbewegten abenteuerlichen Leben in ein völliges Stillliegen hineingeraten kann – und wenn zehnmal Tannenhochwald herum ist und ewiger Schnee und Zitherspiel und Gejodel und Wildschützenromantik. Das ist ja alles sehr schön, und ein paar genußreiche Sommermonate kann man auf diese Weise sicher zubringen. Aber befriedigen kann einen das auf die Dauer nicht. Die Befriedigung kommt von innen … aus der Arbeit … indem man das thut, wozu einen nun einmal die Natur veranlagt hat. Das weiß ich, die ich selbst einen Beruf habe, und weiß, daß ein müßiger Mann ein unglücklicher Mann ist!“ Sie brach ab.
Ein unheimliches Grauen durchfröstelte ihn, wie ihm die helle Stimme da nebenan ahnungslos und in bester Absicht seine letzte Zukunftshoffnung zerstörte. Aber noch gab er das Spiel nicht verloren. „Sie sagen, man muß thun, wozu einen die Natur veranlagt hat!“ begann er. „Wenn ich aber nun deutlich fühle, daß eine Umwandlung in mir vorgegangen ist, daß ich mich nun mehr zu einem beschaulichen Leben eigne …. es braucht ja kein müßiges zu sein …. es giebt ja doch wissenschaftliche Studien genug …“
„Für Sie?“ Sie lachte. „Ich brauche doch bloß Ihr braungebranntes Wildschützengesicht mit den Feueraugen anzusehen und dem verwegenen Lächeln unter dem Schnurrbart …. o …. ich weiß, was Sie sagen wollen …. Sie haben auf Ihren Reisen stets der Wissenschaft gedient. Aber warum? Um Ihrer Abenteurerlust ein Mäntelchen umzuhängen! Das haben Sie mir neulich selbst gestanden und ich begreife es vollkommen. Aber die Wissenschaft allein …. der Vorwand ohne den eigentlichen Zweck …. das geht nicht. Sie würden sich nach kurzer Zeit am Schreibtisch so ungemütlich vorkommen wie etwa ein rechter Stubengelehrter in Centralafrika unter den Wilden, und all den Krempel beiseite werfen, um im Hochland Gemsen zu jagen oder irgend eine unnütze Bergkletterei auszuführen. Und es ist auch ganz recht so!“
Er sah sie ernst an. „Können Sie sich denn gar nicht in den Gedanken versetzen,“ sagte er langsam, „daß das alles nun einmal ein Ende haben könnte? Daß alles wirklich so ist, wie ich sagte, und ich mein ganzes ferneres Leben in vollkommener Ruhe und Zurückgezogenheit verbringen werde?“
„Nein!“ Ihre Stimme klang beinahe hart. „Ich will mich gar nicht hineindenken und Sie in solch trüben und, weiß Gott, unnützen Träumereien unterstützen!“
„Ich träume nicht, Fräulein Klara!“
„Doch. Sie spielen da mit einem Gedanken, der das größte Unglück für Sie wäre! Und nicht nur für Sie, sondern auch für die Ihren. Ich muß es Ihnen noch einmal sagen: ich habe viel über Sie nachgedacht und weiß: Sie sind nicht zu unserem guten deutschen Familienleben geschaffen. Sie sind frei und brauchen einen Menschen neben sich, der in seiner Art auch auf eigenen Füßen steht und eine eigene Persönlichkeit ist. Das giebt die richtige Wahlverwandtschaft und die richtige Ehe. Aber wenn ich mir einen Mann wie Sie tagaus tagein, jahraus jahrein im Getriebe des häuslichen Lebens denke, mit all der notwendigen Prosa, die dazu gehört, ohne den erfrischenden Lufthauch von außen, den man sich aus der großen Welt holt und der einem dann sein eigenes Nest warm und traulich erscheinen läßt – nein, ich kann es mir gar nicht denken und ich will es auch nicht!
Sie brauchen doch auch Verkehr!“ fuhr sie fort. „Ich meine, Männer, die Ihnen ebenbürtig sind! Menschen giebt’s freilich überall. Und viele liebe und gute darunter, die Ihnen doch nur langweilig vorkommen müssen, weil sie Ihnen nichts bieten und Sie unnütz belästigen. Ich habe als Malerin Sinn für Physiognomie. Glauben Sie, ich hätte Ihr Gesicht vorhin nicht bemerkt, wie die andern alle hier herum saßen? Wen Sie auch heiraten mögen, solche Verwandtschaft besitzt wohl jede Frau. Und wenn sie sie auch um des Mannes willen gerne von ihm fernhalten will, so kann sie das, wenn er still im Lande zwischen den andern wohnt, kaum durchführen, ohne all die treuen Seelen unnütz zu kränken und schließlich ganz einsam zu werden. Läßt sie aber all die gutgemeinte Anhänglichkeit gewähren, nun, dann hat man eben das weitverzweigte, breite Familienleben, in dem Sie sich nie heimisch fühlen können.“
Er fühlte den Schrecken langsam durch sich rieseln, wie sie ihm da ganz ruhig seine eigensten Empfindungen von vorhin darlegte. Er merkte wohl, sie hatte mit dem Blicke der Liebe in ihm gelesen, und ein Gefühl schmerzlichen Mitleids stieg in ihm empor bei dem Anblick dieser treuen, tapfern Seele, die gerade in dem Bestreben, sich ihm anzuschmiegen, ganz ihm gleich zu werden und für sein künftiges Lebensglück zu sorgen, unbewußt, Wort um Wort, ihre eigene Hoffnung und ihrer beider Zukunft zerstörte. Und mit jedem dieser tötenden Worte, die so sanft und hell von ihren Lippen klangen, hatte sie recht! Er wußte es wohl.
Sie verstand sein Schweigen anders. „Ich finde, es ist gut, man spricht sich über derlei einmal aus,“ sagte sie und bemühte sich, unbefangen zu lächeln. „Wir sind ja keine Kinder mehr, sondern Sie ein gereifter Mann und ich nahezu eine alte Jungfer. Warum sollen zwei erwachsene Menschen, die das Leben kennen und manches Schwere in ihm erfahren haben, nicht offen über derlei sprechen? Ich finde, das erste und die Hauptsache ist, daß man sich ganz versteht, vollkommen! Mir wenigstens liegt daran, daß Sie mich ganz kennen, wie ich bin! Darum habe ich so lange gesprochen und nicht wie es mir der Zufall eingab, sondern wohlüberlegt, Tag und Nacht überlegt, in dieser letzten Zeit.“
„Ich danke Ihnen.“ Er sprach ganz gelassen. „Sie glauben also bestimmt, daß mein Plan verfehlt wäre, mich zur Ruhe zu setzen?“
„Ja. Das glaub’ ich!“
„…. Daß das mich unglücklich machen würde …. und andere auch?“
„Ganz gewiß glaub’ ich das!“
„Sie glauben es! Aber Sie sind nicht sicher?“
„Doch. Ich bin sicher!“
Sie schwiegen eine Weile, dann machte er den letzten Versuch. „Und wenn Sie sich nun doch täuschen!“ sagte er leise und eindringlich. „Wenn ich, etwa nach zehn Jahren, sagen kann: Ich bin doch glücklich gewesen. In all der engen Häuslichkeit, mit, all der Verwandtschaft. Und trotz all des Müßiggangs!“
Jetzt war das Lächeln von ihren Lippen geschwunden. Sie sah sehr ernst aus. „Dann wäre das Schlimmste geschehen, was ich mir denken kann!“ sprach sie halb vor sich hin. „Dann wären Sie klein geworden in der Alltäglichkeit. Abgestumpft. Eingelullt von der Gewohnheit. Dann hätten Sie in Wahrheit Ihr
[812][814] eigentliches Selbst verloren. Das wäre dann zu Grunde gegangen in dem ewigen Einerlei und ein Mensch wie andere übrig geblieben. Der mag ja dann in seiner Art glücklich sein. Aber es ist ein Glück, das ich für Sie nicht hoffe und nicht wünsche!“
Er saß stumm da, das Haupt gesenkt. Vom Hause klang mahnend die Hotelglocke.
Klara stand auf. „Es ist Zeit, die Abendtoilette zu machen!“ sagte sie und streckte ihm die Hand hin. „Auf Wiedersehen, lieber Freund! Und seien Sie nicht so schwermütig. So möchte ich Sie gar nicht sehen. Sie sollten aufrecht dastehen und nach oben schauen! Excelsior! Das ist Ihre Losung. Immer höher hinauf, über die anderen Menschen hinaus, sei’s allein, sei’s, daß Sie einmal einen Kameraden im Leben finden, der stolz auf Sie ist, der Ihnen folgt in die Weite und Größe, statt Sie an den Küchenherd und in die Gute Stube zu zerren. Das wünsch’ ich Ihnen, und es kommt aus ehrlichem Herzen!“
„Ich glaube es!“ sagte er und hielt ihre Hand fest. Sie that ihm sehr leid. Ein Wort lag auf seinen Lippen, das befreiende Wort: „Ich kann ja nicht anders! Ich bin ein gebrochener Mensch!“ Gewiß, dann würde sie alles verleugnen, was sie eben gesagt, würde seine treueste Helferin und Trösterin sein.
Aber er schämte sich, als Bettler vor ihr zu stehen. Und dahinter das Zukunftsbild, das sie ihm grau in grau gemalt und das sie nicht mehr verwischen konnte!
Sie war von ihm gegangen.
Er sah der schlanken, blonden Gestalt nach, wie sie sorglosen Schritts, von frohen Gedanken beflügelt, den Garten durcheilte und im Hotel verschwand. Dann trat er langsam auf die dämmernde Straße hinaus.
Erst ging er vor dem Hotel auf und ab, wo es jetzt still und einsam wurde, dann den Quai entlang, über eine Brücke, unter der die durchsichtigen Fluten des Stromes hinschossen, an einem mit Blumenbosquetts umgebenen Denkmal vorbei, in eine Straße hinein … er wußte selbst nicht wohin, er wußte kaum mehr, in welcher Stadt er sich befand. Es war ja alles gleich. Alles vorbei. Sie hatte recht: wer die weite Welt gewohnt ist, verträgt die enge Hütte nicht mehr. Wer auf den Höhen der Erde geatmet hat, geht in der Stubenluft zu Grunde.
Aber wenn sie recht hatte – was dann? Er begriff nicht, wie die Zukunft dann werden sollte. Er sah in sie hinein wie in eine dunkle Nacht voll unheimlichen Grauens, in der alles, was bisher um ihn war, hinschwand und verschwommenen wesenlos dräuenden Gebilden Platz machte.
Sich totschießen? Das war leicht gesagt. Aber ein Gefühl der Kraft und des Zornes wuchs sofort mächtig dagegen in ihm auf. Es war nicht nur der Selbsterhaltungstrieb des lebenden, atmenden Wesens, es war mehr noch der Trotz des Kämpfers, der überall auf der Erde mit der Vernichtung in jeder Form Brust an Brust gerungen hatte und immer wieder ihren Krallen entschlüpft war. Und jetzt sich ihr wehrlos hingeben, sich selbst besiegt erklären und selbst das Urteil vollstrecken? Nein, ihm ekelte bei dem Gedanken. Das war feige, war klein und häßlich …..
Er blieb stehen und sah um sich, wo er sich eigentlich befand. Zufällig fiel sein Auge auf ein Schild an der Hausthüre nebenan. Es war der Name eines Arztes und seine Sprechstunden.
Ein Gedanke durchzuckte ihn. Wovon machte er denn eigentlich sein ganzes Schicksal abhängig? Von dem Ausspruch eines ihm wildfremden Doktors irgendwo da unten an der Riviera, der ihn einmal eine Viertelstunde in der Dämmerung flüchtig untersucht! Wenn er sich geirrt hatte? Unfehlbar war er doch jedenfalls so wenig wie irgend ein anderer Mensch, wennschon er seiner Sache sicher zu sein schien. Denn sonst hätte er ihm wohl nicht gesagt, er möge, wenn er noch zweifle, irgendwo einen beliebigen Kollegen nochmals um Rat fragen.
Wenn der Kollege nun lachte? Ihm sagte: „Verehrtester ... der gute Mann in Nizza ist ein Schwarzseher, an die verzärtelten Besucher der Riviera gewöhnt! Bei einem Mann wie Ihnen steht die Sache gar nicht so schlimm?“ – Er dachte den Gedanken gar nicht zu Ende, sondern stieg die Treppe hinauf und ließ sich bei dem Doktor melden, als ein Durchreisender, der die übliche Sprechzeit nicht innehalten könne.
Der Arzt empfing den Reisenden mit entsprechender Höflichkeit und that seine Pflicht. Er war ein höflicher Franzose. Seine Worte klangen gefälliger und schonender als die des deutschen Doktors in Nizza, aber ihr Sinn war derselbe, genau derselbe.
„Es ist da wenig zu machen, mein Herr!“ sagte er mit seiner einschmeichelnden, wie geölten Stimme und lächelte, daß über dem dunklen Spitzbart die Zähne blitzten. „Sie müssen sich durchaus schonen! Mein Gott … man lebt immerhin! Man gewöhnt sich daran und bescheidet sich. Es braucht ja nicht jeder auf den Montblanc zu steigen!“
Der Fremde sah ihn an. „Wie kommen Sie gerade auf den Montblanc?“
„Warum nicht? Der Montblanc ist ja hier für uns das Nächstliegende! Wir leben gewissermaßen mit ihm! Wir sehen ihn jeden Abend, wenn das Wetter klar ist. Unsere schönste Straße ist nach ihm benannt. Er ist für uns gewissermaßen der Gipfel der Dinge. Eine Art Gleichnis! Wenn ich meinen Patienten sage: ‚Auf den Montblanc können Sie natürlich nicht mehr gehen!‘ so heißt das eben: ‚Sie müssen jede große körperliche und geistige Anstrengung vermeiden.‘ Denn daß die Besteigung des Montblanc eine solche ist ….“
„Ich weiß! Ich war schon zweimal oben.“
„Nun sehen Sie …“
Der Arzt versuchte zu scherzen.
„Da ist das also schon gar keine Entbehrung mehr für Sie! Denn ein drittes Mal hätten Sie es ja doch wohl nicht gethan!“
„Und wenn ich es nun doch versuchen würde?“
„Jetzt? So, wie Sie jetzt sind?“
„Ja.“
Der höfliche Arzt zuckte die Achseln.
„Es ist Selbstmord, mein Herr! Sie würden lebend nicht wieder herunterkommen!“
„Woraus schließen Sie das?“
„Mein Herr! Das Bergsteigen auf fast 5000 Meter Höhe, zumal in jener ganz dünnen Luft, wie sie da oben herrscht, erfordert, wie Sie selbst ja wissen müssen, eine äußerste Anstrengung des Herzens. Der sind Sie nicht mehr gewachsen.“
„Und was würde erfolgen?“
„Mein Herr, Sie würden plötzlich niederstürzen, und in wenigen Minuten wäre durch einen innerlichen Bluterguß alles zu Ende.“
Der Afrikaner hatte sich erhoben. „Und wenn das nun nicht geschähe?“ sprach er finster lächelnd, „ … und ich käme ganz wohlbehalten wieder unten an … was würden Sie dann sagen?“
„Ich würde sagen,“ der Franzose begleitete seinen Patienten bis zur Thür, „daß zuweilen auch Wunder vorkommen. Und das ist dann eben eines!“
„Also Sie glauben doch an Wunder?“
„Ich muß, mein Herr! Denn es giebt Naturen, die Unbegreifliches aushalten. Wie ja auch manche Menschen Gaben von Arsenik ungestraft verschlucken, die jeden andern töten. Vielleicht sind Sie solch ein Mensch. Ich weiß es nicht. Aber annehmen darf ich es als Arzt nicht. Mein Herr … ich habe die Ehre …“
Er hatte wieder die Richtung nach dem Hotel eingeschlagen und ging den Quai du Montblanc entlang. In einer seltsamen Stimmung. Eigentlich gleichgültig, beinahe heiter, daß nun wenigstens alles entschieden war, daß nun keine neuen Hoffnungen, Zweifel und Nöte im Nachtdunkel der Zukunft lauern konnten, [815] und doch voll von einem sehnenden Bangen, das er sich selbst nicht zu erklären vermochte.
Er blieb am Wege stehen und starrte auf die im letzten Abendschein glitzernde Seefläche. Wieder hatte er die rätselhafte Empfindung, mitten auf einem großen, unendlich großen und vielfarbigen Maskenball zu sein, der doch einmal ein Ende nehmen mußte, wenn die Nacht auf Schattensohlen heranschlich, die Nacht, die fern im Osten schon in dem Abendgewölk über dem Horizont brütete. Und es war gut, wenn es zu Ende ging! Es war doch alles klein umher und abgeschmackt und nutzlos. Es lohnte nicht den vielen Lärm und all die Mühen, mit denen das Leben der Millionen sich abhaspelt, kommend und gehend, in rastlosem Spiel, wie die Wellen am Strand.
Aber wie das Ende sein sollte – das wußte er nicht. Wie auch die Gedanken in seinem Kopf sich kreuzten – er fand keinen Ausweg für einen Menschen, der nicht sterben will und nicht leben kann, wenigstens nicht so in Größe sterben oder nicht so aus dem Vollen leben, wie es sein ganzes Wesen verlangte.
In verlorenem Sinnen blickte er über den See und die Stadt dahin und trat plötzlich betroffen einen Schritt zurück, während ein ungläubiges Lächeln sein Gesicht überlief.
Die Wolken fern am Horizont des Ostens hatten sich geteilt. Ein Stück blaßblauer Abendhimmel war sichtbar geworden, und in ihm stand, geisterhaft, wolkenähnlich und doch durch ihren schneeigen Schimmer von ihnen geschieden, eine feierliche weiße Welt von ragenden Zinnen und blendenden Wällen. Eine Märchenwelt über den Wolken, die ihren Fuß umspielten, über der Erde, die um sie im Dämmergrauen versank, ein Gebilde der Ewigkeit, voll ewiger Schönheit und Ruhe, wie aus unermeßlicher Ferne zwischen den zur Seite rollenden Dunstschleiern grüßend.
Kein Abendglühen verklärte die bleiche Majestät des Montblanc. Weiß in weiß stand seine Pracht, kalt und streng und doch zur Andacht mahnend, den Blick nach oben wendend, zu jenen welterhabenen Höhen empor, wo die Himmelswölbung mit der Eiskrone des Bergkönigs sich zu berühren schien.
Und während das Auge des einsamen Beschauers, sich unwillkürlich feuchtend, die alte Herrlichkeit wiedersah, klang, als ein Widerhall vor Stunden gehörter Worte, in seinem Ohr eine helle tröstende Mädchenstimme:
„Ihr Blick gehört nach oben! Sie gehören hinauf in die Höhen!“
Excelsior! Hinauf zu den ewigen Höhen, zu denen den Jüngling schon ein faustischer Drang getrieben, auf denen sich die Brust des Mannes noch im Sonnenstrahl geweitet, wenn unten im Thal schon schläfrige Nacht ihre grauen Fäden zog, hinauf in die Welt, die gewaltig ist in Schönheit und Leiden, dem Lebenden Mark und Kraft verleihend, dem Sterbenden den Tod verklärend durch ihre Größe!
„Eine Besteigung des Montblanc ist für Sie ein Selbstmord!“ hatte der Arzt gesagt. Er lachte zornig auf. Woher wußte der Mann denn das? Kannte er denn den Fremden, der bei ihm eingetreten war? Der war anders wie die andern. Der hatte schon zweimal das Firndiadem des Eisriesen unter seinem Fuße knirschen gefühlt. Warum sollte er ihn nicht zum drittenmal bezwingen?
Und wenn das geschah, dann kehrte er in alter Kraft und altem Selbstvertrauen zurück! Dann war eben das Wunder geschehen, das der Doktor selbst für möglich gehalten, und alles gut!
Freilich, die Zeit der Wunder ist vorbei. Aber blieb es aus – auch recht! Dann erlag er in ehrlichem Kampf mit dem Gewaltigsten, was es in Europa giebt, besiegt von dem Koloß, den er selbst zuvor gedemütigt. Dann ging er hin, wie er gelebt hatte, weit über allem Kleinen und Niedrigen, in männlichem Kampfe um das höchste Ziel.
Er atmete plötzlich leicht. Schwere Lasten lösten sich von seiner Seele. Es ward ihm feierlich zu Mut. Jawohl! In die Einsamkeit von Firn und Schnee wollte er sich flüchten, wie das wunde Wild sein Versteck sucht, und dort sein Gottesurteil bestehen.
Dort sollten seine grimmigen Freunde, die Eisriesen, entscheiden, ob seine Tage gezählt waren oder nicht. Und was sie ihm im Donner der Schneestürze und im Brüllen des Sturmwinds verkündeten, das war ihm willkommen, Leben oder Sterben. Nur nicht das Mittelding zwischen beiden, das Hindämmern in den Thälern!
Das litten die Eisgötter da oben nicht. Die ließen die Starken zu sich kommen und vertilgten rasch und schonungslos, was sich ihnen an Schwachen und Kranken nahte. Dort oben gab es nur die ruhige Unerbittlichkeit der Natur. In ihrer Hand, fern von allen Menschen, von ihrem Mitleid, das er nicht suchte, von ihrer Hilfe, die ihm nichts fruchten konnte, lag dann sein Schicksal.
Das weiße Märchenbild am Horizont wurde blasser und blasser. Wie ein schwindender Traum stand es noch in der Dämmerung, ein geisterhafter Schein, am Himmel, den das Auge mehr noch erriet, als wirklich sah. Dann löste sich auch dieser Schein fast in einem Augenblick in ein Nichts auf. Der Montblanc war in der Nacht versunken. Von allen Seiten schwamm sie heran. Es wurde kühl und grau.
Er drehte sich ruhig um und ging in das Hotel zurück. Aus dem großen Speisesaal tönte das Stimmengewirr und Tellerklappern der Table d’hote. Der Oberkellner wollte ihn hineingeleiten. Aber er wehrte ihm ab. Er habe einen wichtigen Brief auf seinem Zimmer zu schreiben.
Fast ohne eine Pause zu machen, warf er die Zeilen dahin.
„Liebe Freundin!
Ich möchte Abschied nehmen. Nicht von Ihnen, sondern von den Bergen, den Abenteuern, kurz, meinem ganzen bisherigen Leben.
Dazu giebt es nur einen rechten Ort und er ist nicht weit. Auf dem Gipfel des Montblanc hat sich zum erstenmal mein Leben entschieden. Dort habe ich zum erstenmal, die Länder und Meere zu meinen Füßen, den freien Himmel über mir, die unbändige Sehnsucht, den Drang ins Weite empfunden, der mich seitdem nicht mehr verlassen hat. Dort will ich nun auch die zweite Wandlung meines Daseins durchmachen und einen Abschiedsblick auf Europa werfen, ehe ich hinuntersteige.
Glauben Sie nicht, daß das mich treibt, was ich damals, als sich drüben in Marokko unsere Wege kreuzten, auf meinem einsamen Wüstenritt nach Tetuan suchte. Ich hab’ es Ihnen ja gesagt: Das ist vorbei! Ich weiß, wo Nicolai Rey und seine Tochter in Chamounix wohnen. Ich werde das Hotel nicht betreten, ich werde Angela nicht sehen, sondern sie fliehen, wie sie seither mich geflohen hat, ihr von ferne ausweichen und, so rasch es geht, hinaufziehen in das Eis. Ich kenne den Weg, seine Gletscherspalten und Gefahren, und nehme keine Führer mit. Sie würden mir die Stimmung dieses letzten Bergganges stören, von dem ich hoffentlich als der Mensch zurückkehre, als den Sie mich sehen wollen, heiter, leidlich gesund und mit sich und der Welt wieder so gut wie möglich ausgeglichen.
In wenigen Tagen bin ich wieder da. Bis dahin leben Sie wohl und auf Wiedersehen!“
Auf Wiedersehen! Er kam in Versuchung, das Couvert, das er eben versiegelte, wieder aufzubrechen und die Worte zu streichen. Es war, als ob ihm der Bergwind ins Ohr raunte: Du siehst sie nicht wieder, die da unten auf dich wartet, nie wieder, und es ist gut so. Sie wird dich beweinen und doch glücklicher sein als sie glaubt. Besser, den Toten beklagen als den Kranken pflegen!
Er warf den Kopf zurück. Er war nicht krank. Er wollte es nicht sein! Es gab ja Wunder! Mit festem Willen konnte man sie erzwingen. Und sein Wille war hart wie Eisen. Dem gehorchte der Körper wie eine fügsame Maschine, wohin er ihn auch führte. Er wollte ihn zur Genesung führen in der reinen Luft der Höhen.
Als er dem Kellner den Brief zur Besorgung gegeben hatte und wieder die Treppe hinabstieg, blieb er an dem Speisesaal einen Augenblick unschlüssig stehen. Er schwankte, ob er ihr nicht doch noch einmal die Hand drücken sollte.
Nein! Er ging weiter. Wenn er zurückkam, war Zeit genug zur Begrüßung. Und beklagen konnte sie sich nicht. Denn wer [816] anders als sie war es schließlich, die ihn da hinausschickte, sie, die in ihm nicht einen sich sorgsam pflegenden Kranken, sondern den unverzagten Mann von einst sehen wollte!
Gut. Sie sollte ihn haben. Oder nichts!
Auf dem weißen Haupt des Bergkönigs lag noch, eine rotglühende Krone, das letzte Sonnenlicht, indessen Europa da unten mit seinen Thälern und Höhen, seinen Städten und Ländern längst in der Nacht verschwamm. Ueber den Abendwolken, die weißdampfend seine Gletscher umzogen, blinkte der schmale Eiskamm wie ein Feuerstreifen vom Himmel, und als sei der ewige Firn da oben in Brand geraten, wehten hochaufschlagend weiße Rauchwirbel von dem stundenweit hingestreckten Grat. Das war der Firnstaub, mit dem der Südsturm spielte. Mit eisigem Hauch fegte er die losen Krystallkörner aus ihrem kalten Bett, er ließ sie als einen im Widerschein der Sonne blutrot flimmernden Dunst über die gefrorenen, glatt spiegelnden Grate und Schneiden hintanzen und stäubte sie über die jähen Schneehalden hinab zu Thal.
Wo diese knisternden und wie Nadelstiche prickelnden Eisschleier im Abendleuchten hinwehten, da verwischten sie die Spuren der Zwerge, die am Morgen dem Gebieter der Hochwelt ihren Fuß auf den Nacken gesetzt, mit scharfer Waffe Fugen in sein Frostkleid gehauen und triumphierend ihre Stahlspitzen in den weißen, zertrampelten Firn seines höchsten Gipfels eingepflanzt hatten. Ein übler Knasterdunst ging vor den Eindringlingen her durch die reine Luft, ihr schweres, beklommenes Atmen störte die Stille der Einsamkeit, und mehr noch entweihte, wenn sie keuchend das Ziel erreicht, ihr lärmendes Gelächter, ihr aufgeregter Wortwechsel das heilige Schweigen der Höhen.
Ihrer gab es so viele. Sie kamen immer wieder und in immer stärkerer Zahl. Sie hatten die Angst vor den einst abergläubisch gefürchteten Bergungeheuern verloren, sie kannten auswendig deren grobe Tücken und Gefahren, wie der Stierkämpfer in der Arena die Künste seines ungeschlachten Gegners, und lachten nur noch mitleidig darüber, wenn sie hoch über den Wolken im ewigen Schnee spazieren gingen wie auf blumigen Matten.
Und fuhren sie endlich, sogar die Steilheit der Hänge für ihr Vergnügen ausnutzend, in sausender Fahrt auf den Pickel gestemmt wieder zu Thal, so blieben doch, da und dort in dem endlosen Firn verloren, ihre Zwingburgen zurück, winzige, häßliche Schutzhütten, die, wie Schmutzflecken aus der weißen Fläche wachsend, aller Wut der Elemente trotzten.
Und das höchste dieser Bollwerke stand höher als die Berge selbst, stand, sie alle überragend, auf der Spitze des Montblanc. Ein Sklavenmal, thronte, in seinem Firn verankert, das Observatorium Janssen auf seinem weißen Haupt, um das bis vor hundert Jahren nichts anderes gegangen war als Sturm und Sonnenschein, Flockentreiben und Wolkenflug der Jahrtausende. Jetzt mochte die Windsbraut lange da draußen heulen und rasend an der verschlossenen Thür rütteln, die Schneeschwaden mochten monatelang im Winterdämmern es mit grauen Armen umfangen und die Sonne darauf niederglühen – die düstere kleine Festung stand reglos in ihren eisigen Grundmauern, und innen arbeiteten lautlos, den meilenweit entfernten Zwergen im Thal da unten gehorsam, die Apparate, regten sich die Quecksilbersäulen und harrte umsonst die Nährbouillon in der dünnen, schon dem Nichts des Weltenraums sich nähernden Luft auf die Bacillen, die sie bevölkern sollten. Da war keine Hoffnung auf Befreiung mehr. In ratlosem Grimm wirbelte der Geistertanz der aufgewehten Eisschleier, rot durchschimmert vom scheidenden Tage, um den plumpen Kasten mit dem Aussichtsrondell darauf und dem kleinen vergletscherten Ställchen zur Seite. Die Eiskrystalle prallten schwächlich wie Hagelstaub davon ab.
Der Montblanc brüllte auf. Von seinen weißen Flanken rieselte es in dünnen Strähnen, wie ein stäubender Wasserfall, knatternd und krachend herab, und weithin hallte das Echo der Lawinen, deren Bahnen an diesem sonnenheißen Augusttag überall als schnurgerade abwärts führende und unten von losen Zchneehaufen abgeschlossene Rillen die jähen Berghänge durchzogen. Jetzt war ihre Zeit.
Rings in der Runde schüttelten die Riesen die Flocken aus ihrem Schneemantel: aus der Ferne, vom Thal aus gesehen, kleine, rasch versiegende Bächlein, für den, der sie aus nächster Nähe im letzten Augenblick seines Lebens schaut, eine ungefüg niederdonnernde, alles mit sich fortreißende weiße Sündflut.
Lärm überall in den Schründen und Klüften, den Schneekratern und Gletscherkesseln. Innen, in der vielgezackten Teufelswelt der Monts-Maudits polterte und dröhnte es unaufhörlich, ohne daß das Auge eine Bewegung an den starren Eisleibern erkennen konnte; es knisterte bösartig drüben in den Séracs du Géant; von dem fürchterlichen Kirchturm der Aiguille du Dru klirrten sonnenzernagte, abenteuerliche Eisklumpen herab und zerschellten in jähem Sturze zu Hunderten von elastisch weiterhüpfenden Blöcken, selbst der sanfte Nachbar des Montblanc, der mächtige Dome du Gouter ward rege und schleuderte – wie einen ärgerlichen Fluch, daß die Bescherung für die verhaßten kleinen schwarzen Insekten zu spät kam – aus seinem Ueberfluß eine Wand voll Schnee hinab auf das „kleine Plateau“ und die dort zerstreuten leeren Weinflaschen und Papierfetzen.
Die Berge atmeten schwer. In regelmäßigen Zwischenräumen stöhnte der Sturm dahin. Dann erhob sich der Firnstaub auf den Kämmen zu neuem Tanz und unten, in den eisigen Rissen und Schluchten entstand ein seltsames Lachen und Raunen. Es war, als erzählten sich die Eisriesen vor dem Schlafengehen noch allerhand Geschichten, unwahrscheinliche, ungeheuerliche Geschichten aus der Urzeit, da es noch keine Menschen gab – als wiegten sich die zum Himmel aufschießenden, weiblich schlanken Eisnadeln belustigt hin und her, während die breitgewölbten, massigen Dome zu ihren Füßen prusteten und sich im Lawinendonner vor Vergnügen schüttelten über das ungeschlachte Zeug, das da drüben die „Riesenschründe“ mit den „Verfluchten Bergen“ tuschelten und raunten.
Sonnenuntergang auf der Höhe des Montblanc! –
Ein einsamer Wanderer drängte sich, ohne rechts und links zu sehen, durch das bunte Gewühl, das jetzt um die siebente Abendstunde, wo von der letzten Eisenbahnstation her die Diligencen ankamen, die Gassen von Chamounix erfüllte. Er war in einem eigenen Fuhrwerk vorausgefahren. Allein zu sein, das war sein einziger Wunsch. Der trieb ihn so rasch wie möglich durch die Menschengruppen dem Ausgang des Dorfes zu, und vielleicht mehr noch die unbestimmte Befürchtung, doch irgendwo plötzlich das wohlbekannte Silberlachen zu hören und vor Angela zu stehen.
Aber es war nicht leicht, vorwärts zu kommen. Besonders vor dem Postgebäude stockte der Verkehr. Dort hielten die Diligencen, schwerfällige, mit fünf und sechs Pferden bespannte und bis auf den letzten Platz mit Passagieren und Koffern vollgepackte Kolosse. Aus ihnen quoll, von dem Geschrei der in langer Reihe aufgestellten Hoteldiener empfangen, ein wildes Durcheinander aller Stände und Sprachen. Vom Kutschbock, wo die Rosselenker in blauen Blusen saßen, kletterten deutsche Touristen mit dem grünen Rucksack auf dem Rücken und französische Thalwanderer in seltsamen, kurzen Kapuzenmäntelchen nieder, auf den gegen die Plattform oben gelehnten Leitern tasteten sich gichtbrüchige englische Reverends und behende Amerikanerinnen, den Bergstock in der Hand und das Schoßhündchen unter dem Arm, auf den Boden herab, und aus den engen, heißen Innenplätzen unten löste sich ein Knäuel von fetten, alten Damen, von Priestern, Kindern und Kammerzofen aus dem Chaos des dazwischen aufgeschichteten Handgepäcks los. Elegante Pariser, noch elegantere, nervös plaudernde Pariserinnen, junge Abbés zu ihrer Linken, die mit ihren glattlächelnden und weltklugen Gesichtern eher an liebenswürdige Schauspieler in schwarzen Weiberröcken erinnerten und nicht einen Blick für ihre derben Berufsgenossen, die dicht daneben mit Fuhrleuten und Arbeitern Gruß und Handschlag austauschenden savoyardischen Dorfpfarrer, übrig hatten: Engländer in Menge, mit weiten Kniehosen und modischen Jacketts darüber als einem Kompromiß zwischen Klubhütte und Salon, lärmende Italiener, Holländer und Russen, Schweden und Ungarn, Yankees und citronenfarbene,
[817][818] schmächtige Südamerikaner, alles durcheinander. Durch das Gewirr der angeschirrten Pferde, der Lohnfuhrwerke und der Maultiere, auf denen die Bauernburschen und Mädchen der Umgegend mit leeren Körben am Arm und geschwungener Gerte einhertrabten, der mit flatternder grüner Schürze dahinradelnden Hausknechte trippelte ängstlich, in buntseidene Jacke und ebensolche Hosen gekleidet, auf hohen Holzsandalen eine javanische Dienerin, einen kleinen, dreijährigen Blondkopf an der Hand. Ein paar Lakaien, das Gefolge irgend einer inkognito eingetroffenen Fürstlichkeit, schauten ihr blasiert nach; ein befrackter, bloßhäuptiger Elegant, der Wiener Oberkellner eines Grandhotels, verhandelte mit der bebrillten kleinen Direktrice der gegenüberliegenden Photographienhandlung; in offenen Läden arbeiteten Schuster und Schneider emsig an den meist drängenden Reparaturen, und aus der Ferne klangen die Hammerschläge, mit denen der Schmied beim Feuerschein der Esse den Pferden neue Eisen auflegte und die wackelig gewordenen Räder für die Strapazen des nächsten Tages ausbesserte.
Wie braune Felsblöcke im Strom standen überall in dem Gewühl die wenig beweglichen Gruppen der Bergführer. Es mochten ihrer hundert oder mehr sein, die auf dem Platz zwischen der Poststation und der Kirche vor dem Bureau des Guides sich scharten.
Doch waren es meist nur die Kleineren ihrer Gilde. Die großen Gletschermänner, die eigentlichen Montblancführer, deren Namen alle Reisehandbücher nennen, hielten sich, soweit sie nicht „draußen“ waren, eher in ihren Häusern und Kantinen auf. Sie wußten, daß der Hochtourist diejenigen von ihnen, die er sich aus der ihm wohlbekannten Schar gewählt hatte, schon rufen lassen würde.
Augenblicklich herrschte in den Gruppen dieser blasiert dastehenden, unansehnlich gekleideten Gestalten etwas mehr Leben als sonst. Eine Montblancexpedition kehrte zurück. Aus den Dachluken des Hotels vor ihnen knallten die Schüsse der Hausknechte, und eine Menge Gäste – Engländer und Amerikaner – stand erwartungsvoll im Eingang, um den jungen Burschen zu begrüßen, der, die Stummelpfeife im Mund, die Eisaxt geschultert, zwischen zwei verwetterten alten Führern über die Arvebrücke daherkam. Er schien gar nicht ermüdet und lächelte kindlich vergnügt, als oben in den Dachluken die Pulverwölkchen sich kräuselten und unten ihn ein Trupp befreundeter Herren und Damen aus Boston mit einem begeisterten „Hep, hep, Hurra!“ empfing.
Der ganze Schwarm der Neugierigen zog mit ihm bis vor die Pforte des Hotels. Auf der Gasse wurde es licht. Sie lag frei vor dem einsamen, sonnengebräunten Wanderer, und er verdoppelte seine Schritte, um bald das Freie zu erreichen.
Gottlob – nun hatte er Chamounix hinter sich und stand allein.
Vor ihm lag im Abenddämmern das grüne Wiesenthal, mit steinbeschwerten Hütten übersät und eingerahmt von düsteren, blauschwarzen Tannenhängen, durch die sich in blendendem Weiß die Gletscherströme niederwälzten. Oben, über der Grenze des Waldwuchses flossen sie ineinander und bildeten ungeheuere Eismeere, die dann wieder, wo noch weiter hinauf das Reich des ewigen Schnees begann, in blendende Firnfelder übergingen. Die weißen Schneedächer wölbten sich, eines das andere überhöhend, unermeßlich zum Himmel empor und begrenzten, beinahe senkrecht über den schwindelnden Augen unten, dessen unergründliches Blau mit ihren stäubenden Kämmen. Dort oben war die Spitze des Montblanc. Es kostete Mühe, sie herauszufinden – schien doch der Dome du Gouter in der Verkürzung ebenso hoch – aber es war auch nicht die einzelne kleine, über den Abendwolken verlorene Schneekuppe, die so gewaltig wirkte, sondern der ganze Anblick dieser blendendweißen, sonnenüberglühten, sich stumm über die Erde aufreckenden Riesenwelt, vor der alles im Thal zusammenschrumpfte und nichtig erschien.
Sonnenuntergang auf dem Gipfel des Montblanc! Er kannte das Schauspiel wohl. Es lebte vor seinem innern Auge, als stände er selbst oben auf jener Höhe.
Unten in einem Dämmern von Nacht, Nebel und Wolken ging Europa zur Ruhe. Aber die Berge waren noch wach. Sie standen noch im Licht. In siebenfach flammender Gipfelpracht wölbte sich da oben, frei vor dem Montblanc hingelagert, der herrlichste aller Höhenzüge, die Monterosagruppe. Mit ihrer goldglänzenden Dufourspitze überragte sie die ganze Schweiz.
Das Matterhorn, der böse Feind, hockte ganz verkümmert und zerknirscht links daneben. Wohl stand auch sein trotzig zurückgekrümmter Gipfel noch in lichten Abendflammen, aber seine Gestalt war von hier betrachtet unschön, ganz anders, als wenn man umgekehrt von der Spitze des Monterosa aus die Felspyramide gerade vor dem Montblanc stehen sieht. Jetzt trug sie deutlich einen Höcker und war in sich zusammengesunken, ein buckliger Teufel, der aus der Ferne wenigstens keinen mehr schreckt.
Auch das Berner Oberland schien klein gegen die Monterosapracht. Seine Giganten standen zu dicht beisammen. Rotüberstrahlt drängten sich Jungfrau, Mönch und Eiger Hand in Hand, und an sie wieder preßte sich die zackige Riesenwand der Ebenfluh, das gigantische Dreieck des Breithorns und die Tschingelkette, wie gegenüber, Mann neben Mann zur Mauer gereiht, die Aar- und Schreckhörner mit funkelnden Eiskronen standen und über ihre Schulter weg aus der Wetterhorngruppe die Rivalin der Berner Königin, die schöne Hasli-Jungfrau, im Abendgold blitzte.
Hier im Norden und Osten sank rasch die Nacht auch über die Hochgipfel. Von den Eistürmen des Engadins war nichts mehr zu sehen, der Tödi versunken, vom Schwarzwald her lag es finster auf Deutschland und der Schweiz. Aber nach der anderen Seite hin wollte das Licht noch nicht weichen. In Italien war es noch hell. Ein düster ragender violetter Riesenklotz, bewachte da der Monteviso sein Reich. Grivola und Paradies standen vor dem Gewimmel der italienischen Seealpen, hinter denen in unsichtbaren Fernen das Mittelländische Meer rauschte, und blickte der Montblanc dorthin, in sein Heimatland nach Frankreich hinüber, so schimmerten da noch deutlich unter ihm die zerrissenen Schneeflächen, die zackigen Felsengipfel und wilden Schluchten der Dauphiné.
Tiefer und tiefer sank zwischen ihnen der rote Sonnenball, und in dieser Spanne weniger Minuten, in denen das Licht zur Nacht sich wandelt, ging plötzlich eine wundersame Bewegung durch die Firnwelt. Es schien, als seien auf einmal die weiten Schneefelder von innen belebt. Sie leuchteten in warmen, fleischfarbenen Tönen, und ihre über Mulden und Kesseln lagernden Schatten gewannen einen hellen, grünlichen Ton, gleich dem Widerschein des Abendhimmels, an dem das verschwimmende, von Rosenwölkchen durchsetzte Blaßblau in durchsichtigen, seegrünen Schimmer überging.
Nur eine kurze Frist – dann war auch für die Spitze des Montblanc der Sonnenball geschwunden, und fast im selben Augenblick kleideten sich Schnee und Eis umher bei sofort unheimlich steigender Kälte in ein stumpfes, totes Weiß. Aber der Beschauer unten im Thale wußte es wohl: die Nacht war noch nicht da. An Stelle der kleinen roten Scheibe, vor der jetzt schwarz, wie zackig mit der Schere ausgeschnittene Riesenkonturen die Berge standen, lief rechts und links ein breites, rotes Feuerband über den Horizont. Es dehnte sich mehr und mehr aus, es spannte sich nach Frankreich und Italien und bildete einen flammenden Hintergrund, von dem die Schattenrisse der Berge sich gigantisch in unwahrscheinlichen, bei Tage nie geschauten Gespenstergestalten abzeichneten.
Im Halbkreis um den Montblanc lohte Europa. Ein Weltbrand, eine jener Farbenorgien, in denen sich, unbekümmert um Menschenaugen, die schweigende Natur berauscht, wenn sie in der Polarnacht die regenbogenbunt zitternden Bänder des Nordlichts über den Himmel wirft, wenn sie das tiefblaue, von weißen Schaumspritzern gekrönte Eismeer in den blutigen Dunst der Mitternachtsonne kleidet oder dem Monarchen der Montblanckette einmal noch seine Lande im Feuerschein zeigt, ehe die Nacht ihre grämlichen Hüllen darüber wirft.
Denn nun kam die Nacht wirklich. Das Flammenband am Horizont ward blasser und blasser, ein kränklicher, violetter Hauch legte sich darüber hin und ging rasch in volles Schwarz über. Die Dunkelheit war da, die Dunkelheit der Hochwelt, in der nur noch das letzte ersterbende Schneegeriesel und, wenn auch das zu Ende, zuweilen ein langgezogenes Sturmgestöhne [819] das Todesschweigen unterbricht, indessen am Himmel, strahlend und glitzernd, wie man es nie in den Thälern schaut, die stumme Sternenpracht sich wölbt.
Aber nicht lange dauerte die Dunkelheit. Hinter der Aiguille du Moine stieg ein bläulicher, unbestimmt nach allen Seiten sich verteilender Schein rasch empor. Er wurde stärker und stärker, und plötzlich schwamm, grell leuchtend und gewaltig wie die Sonnenscheibe, scharf von dem fern dahinter liegenden Sterngewimmel abgegrenzt und scheinbar in unheimlicher Größe dicht über der Erde schwebend, der Vollmond am Himmel.
Es wurde beinahe taghell ringsumher. Weithin traten silberübergossen die Montblancspitzen aus der Nacht, die Schneefelder schimmerten in bläulichem, von schwarzen Schattenflecken durchbrochenem Glanz, und auf den zerklüftet und zerrissen in die Nacht der Tannenwälder und Thäler hinabrollenden Gletschern spiegelte sich wie auf den Schuppen eines Fisches das silberne Licht.
Der Mond stand still am Himmel. Die Berge schliefen. Ringsum war Ruhe. Nur ihr schweres Atmen ging zuweilen als ein Sturmhauch durch die Oede. Dann stöhnte es unten in den Schründen und oben auf den Kämmen wehten, vom Himmel her bläulich durchleuchtet, die aufgefegten Eisschleier schweigend im Geistertanz dahin …
Er blickte noch einmal zu den Höhen empor. Dann ging er still im Dunkel nach dem Städtchen zurück. Der heutige Nachmittag war ihm mit der Vorbereitung der Tour, der Beschaffung all der Kleinigkeiten verstrichen, die seine Erfahrung als unentbehrlich für die Montblancbesteigung kannte. Morgen aber, mit dem frühesten, wollte er hinauf bis zum Nachtquartier der Grands-Mulets.
Der Abend war klar und heiter, in seinem frisch von den Höhen niederwehenden Hauch schönes Wetter versprechend. Und klar und froh war es auch in seinem Innern. Der Anblick der Größe hatte ihn befreit. Er war ruhig, wie schon lange nicht mehr, erfrischt und geläutert wie nach einem Bad in kaltem Bergquell.
Die Straße war jetzt, zur Zeit der großen Fütterung in allen Hotels, wenig belebt. Nur die Führer standen noch da und dort beisammen, und manche von ihnen griffen, den Alpenforscher erkennend, an ihre Schlapphüte. Er machte Halt und reichte einem von ihnen, dessen Greisenantlitz fast in einem weißen Urwald von Bart verschwand, die Rechte.
„Wie geht’s, Vater Baptiste?“ frug er freundlich auf französisch seinen einstigen Bergbegleiter. „Was macht der Montblanc?“
Der Patriarch lächelte schmerzlich. „Ach, Monsieur! Ich habe dem Montblanc Adieu sagen müssen. Vor drei Jahren. Es geht nicht mehr mit der dünnen Luft. Nun führe ich nur noch Reisegesellschaften über den Glacier des Bossons, allenfalls auf den Jardin.“
„Das ist freilich traurig. Ein Führer wie Sie, Baptiste!“
„Ja, Monsieur! Und was könnte ich diesen Sommer verdienen! Er ist so gut wie selten einer. Sehr viel Fremde. Man macht nicht nur den Montblanc, sondern auch die seltenen Spitzen. Sehen Monsieur nur da!“ Und er wies hinaus auf den Nachthimmel, an dem in halber Höhe ein winziges, rotes Feuerpünktchen schimmerte.
„Ein Biwak?“
„Ja, Monsieur! Zwei Herren, die mit vier Führern und vielen Trägern die Aiguille du Diable machen wollen! Ein vornehmer deutscher Herr und ein Herr aus Amerika oder Afrika … ich weiß nicht recht!“
„Vielleicht ein ganz großer Mann, mit langem, rotem Schnurrbart, und ein ganz kleiner, glatter?“
„Richtig Monsieur! Monsieur ist wohl mit ihnen befreundet?“
„Ja. Ziemlich!“ Er stockte. „Sagen Sie … ist niemand anders mit den Herrschaften?“
„Doch. Ein alter Herr mit seiner Tochter!“
„Sind sie unten?“
„Ja, Monsieur! Sie wohnen in dem Hotel hier drüben – gleich neben dem Führerbureau. Der alte Herr ist nicht gut zu Fuß.“
Also war sie hier, in seiner Nähe! Jeder Schritt aufwärts entfernte ihn von ihr und führte ihn zur vollen Freiheit. Und da sie jedenfalls nicht ohne ihre beiden Freunde eine Montblanctour unternahm, so war er vollkommen sicher, ihr morgen nicht auf seinem Wege zu begegnen.
„Adieu, Baptiste!“ sagte er. „Morgen geht’s auf die ‚Calotte‘!“
Der Alte sah ihn neidisch an. „Welche Führer nimmt Monsieur denn mit?“
„Keine!“
„Das ist aber sehr gefährlich, Monsieur!“
„Ach ja, Vater Baptiste!“ Der Afrikaner wandte sich zum Gehen. „Das ganze Leben ist gefährlich. Schließlich stirbt jeder daran.“
Er drückte dem Alten, der ihn kopfschüttelnd ansah, die Hand und schlenderte die Gasse weiter.
Da war die Straßenecke mit dem von vereinzelten Hochtouristen, Führern und Trägern umstandenen „Bureau des Guides“ und dicht daneben das Hotel.
Er blieb stehen. Ein plötzliches, unbezwingliches Verlangen kam über ihn, die paar dutzend Schritte bis zu dem Portal zurückzulegen und in den hellerleuchteten Speisesaal einzutreten.
Da saßen jetzt wohl noch die Gäste in langen Reihen an der Table d’hote und nebenan, an einem gesonderten Tisch, wie es ihr Brauch, Angela und ihr Vater. Auf weithin schon mußte er die charakteristischen Köpfe erkennen – des Petroleumkönigs knabenhaftes, gefurchtes Antlitz unter der strohblonden Perücke und daneben das schmale, lockenumrahmte Gesicht, das er seit Jahren nicht mehr gesehen. Denn ihre Begegnung neulich in Tetuan hatte sich ja im Dunkeln abgespielt.
Er brauchte bloß durch den Speisesaal zu schreiten und sich an dem gastlichen Tische niederzulassen! Wenn die Weltwanderer wirklich da waren, wenn nicht wieder wie jüngst in Gibraltar die Enttäuschung an der einsamen Tafel mit Nicolai Rey zu Gaste saß, so würden sie ihn jedenfalls freudig empfangen! Er war wieder unter seinesgleichen, statt unter den Philistern von Genf, und er konnte von ihr Abschied nehmen …
Denn ein Abschied war es ja doch, so oder so – ob er nun da oben leben blieb oder starb! Sie verließ er in jedem Fall auf Nimmerwiedersehen. Da that ein Händedruck beim Scheiden wohl.
Vielleicht erwartete sie ihn schon! Jedenfalls erfuhr sie in Bälde seine Ankunft. Denn so unbeachtet auch der große Fremdenstrom Tag um Tag durch Chamounix rinnt, das Eintreffen einer Persönlichkeit von Bedeutung, eines inkognito reisenden gekrönten Hauptes, eines Staatsmannes oder bekannten Alpinisten wird sofort bemerkt, in den Hotels besprochen und in der wöchentlich erscheinenden „Revue du Montblanc“ angezeigt. Und er war weiß Gott in diesem Thale ein berühmter Mann! Sein Name hatte hier einen guten Klang, seit er vor vielen Jahren die tollkühnen Besteigungen einiger als unbezwinglich geltenden „Aiguilles“, der spitzen, wie vergletscherte Kirchtürme in die Luft starrenden Felsnadeln, ausgeführt.
Er stand immer noch an der Ecke, ohne einen Schritt gegen das Hotel zu thun.
Sein Gesicht wurde finster. „Nein,“ sagte er plötzlich ganz laut und mit fester Stimme und ging geradeaus weiter, das lockende Portal im Rücken lassend.
Nein! Sie sollte ihn nicht wiedersehen. Hatte sie ihn in seiner Kraft und Stärke nicht lieben können, ihr Mitleid mit dem Kranken begehrte er nicht. Es war vorbei und überwunden. „Nein!“ wiederholte er noch einmal und schritt rascher in das Dunkel hinein.
Alle Rechte vorbehalten.
Weihnachtsfeier in einer Spreewaldschule.
Zu den anmutigsten Erscheinungen im Volksleben der Mark zählt noch immer das lustige, buntfarbige Treiben der Bewohner des Spreewalds. Die kleinen wie die großen Mädchen, die junge Mutter wie die Matrone: noch hängen sie hier fest an der ererbten Tracht ihrer Vorfahren und bilden darum im Rahmen dieser so eigenartigen Landschaft dem Maler wie Poeten fort und fort die reizvollsten Motive. Man kann sich gar nichts Lustigeres denken, als wenn so ein Kahn unter dem grünüberwölbten Blätterdom eines Kanals einhergeschwommen kommt, dicht angefüllt mit der buntfarbigen, schnatternden kleinen Kinderschar, welche der Kahnführer zur Schule geleitet. Da und dort macht er im kleinen Hafen vor einem netzumhangenen Blockhause noch flüchtig Halt, mit einem hellen Gruße steigen ein oder mehrere kleine Menschenkinder hinein, und weiter geht’s hin auf stiller, feierlich von ehrwürdigen Erlen überrauschter Wasserbahn. –
Der Spreewald in seiner Eigenart steht einzig da auf unserem Planeten. Jedes Dorf ist ein ländliches Venedig; jedes Anwesen ein kleines, wasserumspültes Reich für sich: auf einer schilfbekränzten Insel unter Erlen und Weiden ein auf untergelegten Felsblöcken derb gezimmertes Blockhaus, von Kürbis, Pfeifenkraut und anderem Schlingkraut umwuchert, von Netzen, Bienenkörben, Fischkästen malerisch umgeben. Keine Landstraße finden wir hier. Peitschenknall und Hufschlag tönen nicht im Spreewalde. Allen Verkehr vermittelt allein der Kahn. Er ist die zweite Heimat des Spreewäldlers. Zur Taufe, zur Schule, zum Tanz im Wirtshause, zum Grabe, immer nimmt ihn der Kahn auf. Alle verstehen ihn zu lenken. Zur Spinnstube geht’s in ihm, der Jäger beschleicht in ihm das Wild, Gendarm, Hausierer, Pfarrer, Briefträger, Nachtwächter, der böhmische Spielmann, Handwerker, Knechte und Mägde – alles muß sich des Kahnes hier bedienen. Das aber giebt dem Leben einen so seltsam poetischen Reiz. Stundenlang zwischen den Inseln, den herrlichen, dicht mit Unterholz durchsetzten Erlenwäldern dahinzugleiten, ist ein tiefer, poetischer Genuß. Das Kommen und Gehen der Wasser, Wellenrauschen und leiser Ruderschlag, Nebelduft und Abendflimmer, das lautlose Huschen von Kähnen und Menschen, vor uns, neben uns, zwischen dem aufraschelnden Ufergestrüpp, dazu Erlensäuseln und fernes Glockentönen: es ist, als halle dies alles wieder in den schwermütigen, sanften Liedern des Wendenvolkes.
Nur während der Winterszeit stockt der Kahnverkehr im Spreewalde. Sobald der Frost die Kanäle und meilenweiten Wiesenflächen mit eisiger Decke überzieht, beginnt auf glitzernder Bahn ein noch lebhafteres Treiben. Schlittschuhe, Schlitten und Eispike treten in ihre Rechte. Aus den Nachbarstädten kommt man gewallfahrtet, um jauchzend den Spreewald in seiner Winterpoesie zu genießen.
Daß ein solch merkwürdiges Stückchen Erde auch noch viel seiner altehrwürdigen Gebräuche sich aufbewahrte, darf darum auch nicht wunder nehmen. Hier leben noch Sagen und Märchen, freilich auch tiefeingewurzelter Aberglaube, hier vollzieht sich im Kreislauf des Jahres noch manch schöner Brauch, reich an poetischem und tiefdeutigem Inhalte.
Namentlich im Winter, wenn die Feldarbeit ruht und das junge Volk in den Spinnstuben sich sammelt, werden die alten Geister wieder lebendig. Der „graue Mann“ hat die Erde mit dem Winterkleide zugedeckt. Dichte Nebel wallen umher, und zu dieser Zeit, da die Wege unsicher werden, fordert der Nix seine Opfer, und der „Bud“ (Irrlicht, Irrgeist) lockt die Menschen auf gefährliche Abwege. Je näher die Weihnachtszeit heranrückt, desto dichter zieht sich der Kreis alter abergläubischer Ueberlieferungen zusammen. Die stille Winterszeit stimmt den Spreewäldler zum Nachdenken, und nun übt er gerne die zauberhaften Künste, welche dem sterblichen Auge die Zukunft enthüllen sollen. Da schreitet eine junge Magd am St. Andreasabend in den Garten, bleibt vor dem Kirschbaum stehen und bricht stillschweigend von ihm Zweige. Stillschweigend kehrt sie in ihr Kämmerchen zurück und stellt die Reiser in einen Krug mit Wasser und denkt sich etwas dabei. Blühen die Zweige zu Weihnachten, so wird im nächsten Jahre das, was sie gedacht und sich gewünscht hat, in Erfüllung gehen.
Die neun Tage vor Weihnachten sind besonders geeignet, um die Zukunft zu befragen; man errät sie aus Holzspänen, die man nach Vorschrift sammelt und verbrennt, aus dem Wasser das man in der Ofenblase quirlt, und aus dem Gebell der Hunde. Was die Geister den Menschen enthüllen, bezieht sich fast immer auf Hochzeiten, Geburten und Todesfälle, die im kommenden Jahre sich ereignen sollen.
Auch an die Bereitung der Speisen für den Heiligen Abend knüpft sich mancher alte Brauch. Auf den Tisch wird Stroh gelegt und darüber ein Tischtuch gebreitet. Darauf setzt man die Christkuchen und neunerlei Speisen, die man essen soll, wenn man im kommenden Jahr vor Krankheit und Ungemach bewahrt werden will. Zumeist werden Butter, Salz, Schmalz, Pflaumenmus, Sirup, Quark, Wurst, Quarktunke, Brot und Fleisch vorgesetzt; man kann aber auch andere Gerichte wählen. An manchen Orten ißt man am Heiligen Abend Heringssalat, aber auch darin sollen neunerlei Zuthaten sein.
In dieser bedeutungsvollen Zeit umwickelt der Mann die Obstbäume mit Stroh, damit sie reichlich tragen, und stellt allerlei Beobachtungen an, um die Witterung der einzelnen Monate im kommenden Jahre zu ermitteln.
Früher schlossen sich an diese Bräuche farbenprächtige Umzüge; leider sind sie auch im Spreewald, wie in anderen Gegenden, in Vergessenheit geraten. Aber eine liebliche und ans Herz rührende Sitte hat sich noch erhalten. Es ist dies die Weihnachtsfeier, wie sie die Kleinen des Spreewaldes in der Schule heute noch begehen. Auf dem Tisch des Lehrers im Schulzimmer hat man einen lichtergeschmückten Christbaum aufgestellt. Sein Glanz erhellt den schlichten Raum und zaubert echte Weihnachtsstimmung hinein, die aber noch erhöhtere Freudigkeit empfangen soll.
Von allen Seiten nahen auf den dunklen Kanälen Kähne, welche die liebe Schuljugend herbeiführen. Jungen und Mädchen eilen herbei. Ein jedes trägt ein brennendes Lichtlein in der Hand. Das überstrahlt glücklich lachende Gesichter und wirft matten Lichtschein zu den winterlich überschneiten Erlen und Büschen. Das ist ein Trippeln, Huschen und Schieben in die Schulstube hinein, wo der freundliche Lehrer ihrer schon harrt. Aus frischen Kehlen braust ein Weihnachtslied durch den Raum. Dann erzählt ihnen der Lehrer von der Bedeutung des Heiligen Abends. Noch ein Schlußlied aus dem Gesangbuche, die Feier ist beendet und heimwärts geht’s wieder durch Nacht und Schnee.
Zu Hause legt ein jedes Kind ein Stück Kuchen auf den Tisch. Das ist heiliger Brauch, es gehört dem Christkinde.
Darauf geht’s mit klopfendem Herzen und hoffnungsfroh zu Bette.
Am andern Morgen nämlich liegt auf dem Tische alles, was das Kinderherz an Spielzeug und Leckerbissen sich wünschte. Das Stück Kuchen aber ist verschwunden, das hat das Christkind freundlich für sich mit fortgenommen. A. Trinius.
Alle Rechte vorbehalten.
Weihnachtsüberraschungen.
Wir wollten uns letzte Weihnachten recht einschränken. Wir hatten im Sommer eine große Reise gemacht und manche andere außerordentliche Ausgabe gehabt, da mußte das Fest um so bescheidener ausfallen.
Meine gute kleine Frau! Da stand ich und las ihren Wunschzettel. Lauter einfache nützliche Gegenstände – kein Putz – kein Schmuck – nicht einmal ein Buch!
Ich war gerührt über diese Selbstverleugnung; ich hätte ihr so gerne etwas geschenkt, das mehr nach ihrem Herzen war als diese rein praktischen Dinge. Es fiel mir bald auch mancherlei ein; doch immer meldete sich zugleich auch ein „aber“ dagegen, denn die betreffende Anschaffung wäre wider den Etat gegangen. Standhaft aber mußte ich diesmal bleiben, das hatte ich mir fest vorgenommen. Ich sann und sann … Nie hätte ich geglaubt, daß die Wahl eines Geschenkes für mein bescheidenes Frauchen mir so viel Kopfzerbrechen verursachen könnte!
Endlich eines Morgens kam mir beim Aufstehen – die Kinder lärmten lustig im Nebenzimmer – ein Gedanke, der mir wie eine Erlösung schien. Meine Frau hatte schon öfter darüber geklagt, daß ich bei aller sonstigen Freigebigkeit mich so schwer entschlösse, die Kinder photographieren zu lassen. Solch ein Bild, welches die schnelle Entwicklung der Kinder in ihren einzelnen Phasen festhalte, sei eine Erinnerung fürs ganze Leben! Andere Eltern ließen, so wies sie mir nach, ihre Kleinen alle halben Jahre aufnehmen, und so hübsch und niedlich wie jene Kinder waren unsere doch mindestens auch! Dennoch waren beide erst ein einziges Mal, und das in ihrem ersten Lebensjahr, als ihre Reize noch gar zu wenig entwickelt waren, beim Photographen gewesen. Und unsere Hanna vollendete jetzt bereits ihr zweites, unser Oskar sogar sein drittes Jahr! Jetzt lohnte sich’s wirklich, an eine neue Aufnahme zu denken. Meine Frau hatte recht; sie hatten sich, in der letzten Zeit zumal, riesig entwickelt, und es war nicht zu verwundern, daß alle unsere Bekannten von ihnen ein Bild begehrten!
Unwillkürlich schritt ich zur Thür nach dem Kinderzimmer, aus welchem die Stimmen der Kleinen so lustig herüberklangen. Ich öffnete, und mit strahlenden Augen und hellem Jubelgeschrei liefen sie auf mich zu und sagten mir Guten Morgen. Oskar und Hanna, eben frisch angezogen, sahen wirklich ganz allerliebst aus. Mein Vaterstolz hob sich. Ja, das war’s! Ich wollte die Kinder in aller Heimlichkeit zum Photographen bringen, und zu Weihnachten wollte ich mich dann an dem lieben erstaunten Gesicht meiner Frau erfreuen.
Wie hätte ich ahnen können, auf wie viel Schwierigkeiten dies Vorhaben stoßen würde!
Mein erster schüchterner Versuch, die Kinder auf eine Stunde am Tage loszubekommen, scheiterte an dem energischen Widerstande ihrer sorglichen Mutter, die das Wetter zu stürmisch fand. Auch war ihr mein plötzliches Vorhaben, mit den Kindern allein spazieren zu gehen, zu überraschend, um nicht durch das Ungewöhnliche zum Widerspruch gereizt zu werden. Ich hatte einen derartigen Wunsch bisher ja auch niemals geäußert.
Mein Mißgeschick wuchs.
Auf den Sturm folgte eine Regenperiode, so andauernd, so hartnäckig, daß ich in förmliche Verzweiflung geriet.
Aber daran kehrte sich der Regen nicht. Nur mit um so hämischerer Schadenfreude gurgelte er tagaus tagein die Dachrinnen in dicken Strähnen herab, nur um so ärger schlug er gegen die Fensterscheiben. Schon waren es nur noch acht Tage bis Weihnachten, und wenn es noch lange so weiter ging, mußte mein schöner Plan rettungslos zunichte werden.
Da – endlich!
Eines Morgens erwache ich und siehe, das gräuliche Gegurgel draußen hat aufgehört. Ich gehe ans Fenster und sehe vergnügt, daß schöner klarer Frost eingetreten ist.
Und als ich des Mittags angesichts meines großen Vorhabens eine Stunde früher als gewöhnlich aus dem Bureau nach Hause komme, scheint die liebe Sonne so hell und freundlich in das Zimmer herein, als wolle sie mir frischen Mut und neues Hoffen in das zagende Herz senden.
„Jetzt muß
Gehandelt werden, schleunig, eh die Glücks-
Gestalt mir wieder wegflieht überm Haupt,
Denn stets in Wandlung ist der Himmelsbogen“
sagte ich mit Wallenstein.
Und ich sollte Glück haben.
Meine kleine Frau war nicht zu Hause. Ich raffe also den Paletot meines Jungen, Hannas neuen roten Plüschmantel, Mütze, Gürtel, Kapotte, Gamaschen, Gummischuhe und was mir sonst noch in die Hände fällt, eilends zusammen und will die Kinder eben anziehen – da – nein, so ging es ja nicht!
Die Kinder hatten ihre ältesten Hauskleider an, die noch dazu die Spuren ihrer intimen Bekanntschaft mit Fußboden und Wänden sichtbar an sich trugen. Dazu waren sie nicht ordentlich gewaschen und gekämmt. So konnten sie unmöglich photographiert werden. Sie mußten umgezogen werden vom Kopf bis zu Fuß – es half nichts!
Aber wie sollte ich diesen Schritt, ein solches bei mir ganz ungewohntes Eingreifen in die Befugnisse meiner Frau rechtfertigen, ohne ihrem klugen Sinne sogleich mein ganzes Vorhaben zu enthüllen?
„Frisch ans Werk, mein Kopf!“ sprach ich mit Hamlet. Und da kam mir auch gleich ein Einfall.
Bei dem schönen Wetter würde es meine Frau schon eher begreiflich finden, wenn ich einmal allein mit den Kindern einen Besuch machen wollte. Sie hatte erst kürzlich geklagt, daß das Wetter zu schlecht sei, einen durchaus nötigen Besuch bei Tante Heim, der Patin von Hanna, zu machen, welche immer so freundlich gegen die Kinder war.
Mein schlaues Anerbieten, ihr diese Mühe abzunehmen, sobald es das Wetter erlaube, hatte freilich nicht das rechte Verständnis gefunden – doch brauchte ich das ja nicht bemerkt zu haben!
Ich klingelte also schleunigst dem Mädchen, damit sie die guten Sachen für die Kinder brächte und sie umzöge – so schnell als möglich, bevor meine Frau nach Hause kam.
Und siehe – ein wahrer Glücksstern schien heute endlich über meinen Entschlüssen zu schweben – da kam schon das Kindermädchen, bevor ich die Klingel nur angerührt, und als hätte sie meine geheimsten Gedanken erraten, trug sie das [822] feinste Kleid für Hanna, den besten Anzug für Oskar über dem Arm und Stiefelchen und Schuhe und Strümpfe – alles so schön und so blank und so zierlich, wie es mir noch nie im Leben erschienen war.
Und dazu machte sie ein so verschmitztes Gesicht, daß ich ganz stutzig wurde.
Wie?! Sollte ich mich doch am Ende verraten haben?! Wollte sie mir andeuten, daß sie Mitwisserin meines ängstlich gehüteten Geheimnisses war?!
„Was wollen Sie mit den Sachen?“ fragte ich sie nicht ohne einige Befangenheit.
„Ich sollte die Kinder anziehen – die gnädige Frau wird gleich wiederkommen und sie abholen. Sie wollte einen Geburtstagsbesuch mit ihnen machen.“
Ich stand da – wie vom Blitze getroffen.
Horch! Ein lautes Schellen der Hausklingel – noch habe ich mich nicht von meiner Erstarrung erholt, da tritt meine kleine Frau ins Zimmer in feinster kleidsamer Toilette, so lächelnd und freundlich, wie ich sie schon lange nicht gesehen.
„Du schon hier, liebster Mann?! Das schöne Wetter lockte dich gewiß ein wenig früher von deinen Akten fort. Aber wie schade – nun kann ich nicht einmal mit dir spazieren gehen; ich muß mit den Kindern fort –“
„Wo willst du denn hin?“ frage ich und zwinge mich zu der harmlosesten Miene von der Welt.
„Nur einen kurzen Besuch, mein Schatz! Bei Tante Heim! Du weißt ja, daß sie uns erwartet.“
O weh! Meine schöne, wohlüberlegte Ausrede! Es bedurfte keiner geringen Anstrengung, um meine Ruhe zu bewahren.
Und während meine beiden Kleinen mit bewundernswerter Artigkeit sich in all die herrlichen Sachen einhüllen lassen, überlege ich krampfhaft, wie es möglich wäre, mich in die Lage zu finden, ohne meinen Plan aufzugeben.
„Weißt du,“ sagt meine Frau und knöpft dem Jungen den letzten Knopf an seinem Sammetjackett zu, „du solltest eigentlich mitkommen, Tante Heim würde sich jedenfalls sehr freuen.“
„Ich danke – danke,“ murmele ich zerstreut und grübele weiter. Ich muß zu einem Entschluß kommen – es ist die höchste Zeit, denn auch die Kleine ist inzwischen fertig geworden und sieht mit den frischgekämmten goldenen Locken, die ihr reizendes Gesichtchen umwallen, und in dem weißen Kleid mit den blauen Vergißmeinnicht, die Tante Heim darauf gestickt hat, so allerliebst aus, daß ich sie mit mehr neidischen als freudigen Gefühlen betrachten muß.
Endlich fasse ich mir ein Herz. „Wirst du lange bei Tante Heim bleiben?“ frage ich möglichst gleichgültig meine Frau.
„Nein, lange nicht – weshalb, liebster Mann?“
„Es ist sehr komisch, liebste Frau,“ beginne ich nun, „wirklich sehr komisch – die reine Gedankentelegraphie – wir begegnen uns heute auf demselben Wunsche.
Ich wollte nämlich auch mit den Kindern einen Besuch machen – zwar nicht bei Tante Heim, aber bei meinem Kollegen Müller! Du weißt, sie sind kinderlos und erst kürzlich hierher versetzt“ – glücklicherweise war mir unter meinen vielen Kollegen ein solches Ehepaar eingefallen – „sie hegen den großen Wunsch, unsere Kinder, die sie schon einigemal auf der Straße getroffen haben, bei passender Gelegenheit bei sich zu sehen und ihnen ihre große Sammlung ausländischer Vögel, ihren Stolz, zu zeigen. Erst heute bei dem schönen Wetter äußerte der Kollege diese Bitte; damit nun aus solchem Besuch nicht gleich ein großer Verkehr würde – ich weiß, du bist nicht dafür – versprach ich, vor Tisch allein mit den Kindern für einen Augenblick vorzukommen. Findest du das nicht auch richtig?“
„Gewiß, lieber Mann, sehr richtig – aber heute –“
„Nun – ich dachte, ich könnte die Kinder vielleicht von Heims abholen, da sie doch einmal angezogen sind, und dann gleich diesen Besuch abmachen.“
„Aber wo denkst du hin, liebster Mann – so bald kommen wir bei Heims denn doch nicht los – nein, du kannst ja morgen mit den Kindern zu Müllers gehen – doch nun Adieu, wenn du nicht mitkommen willst.“
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Also morgen!
Das war nun meine letzte Hoffnung. Und richtig – als ich aus dem Bureau nach Hause komme, sind die Kinder auch schon fertig und geputzt.
Der Junge hat das blaue Sammetjackett an und die Kleine das vergißmeinnichtbestickte Kleid, und beide sehen so niedlich und sauber aus, daß mir das Herz im Leibe lacht.
„Grüße mir Müllers schön!“ ruft meine Frau mir nach, und endlich sind wir auf der Straße.
Nun schnell zum Photographen!
Zu welchem?
Es gab deren viele. Meine kleine Frau rühmte immer den am Kohlenmarkt am meisten – aber, nein, zu dem wollte ich nicht. Sie könnte bei einem Bekannten doch noch auf meine Spur kommen.
[823] Da traten wir auch schon in den Empfangssalon eines neueren, aber sehr renommierten Photographen in einer etwas abgelegenen Straße. Der Salon lag zu ebener Erde.
Die Kinder waren bereits ungeduldig geworden – ich beschwichtigte sie durch allerlei Versprechungen und hielt sie so in einer gewissen Spannung. Aber nur für kurze Zeit!
Als man uns einige Augenblicke warten ließ, bestand ihre Geduld diese harte Probe nicht mehr. Der Junge begann gegen einige Bilder, die in kostbarem Rahmen auf kleinen Staffeleien standen, so handgreiflich zu werden, daß ich zu thun hatte, mit Aufbietung aller meiner Kräfte ihrem Sturze entgegenzuarbeiten. Die Kleine aber, um die ich mich infolgedessen wenig gekümmert hatte, begann plötzlich herzzerbrechend zu weinen und schrie nach der Mama. Ich sprach ihr gut zu, ich tröstete sie und liebkoste sie und trocknete ihr die nassen, glühenden Wangen und schmeichelte um sie herum, wie ich es nie einem weiblichen Wesen gegenüber gethan, damit sie nur aufhörte mit dem entsetzlichen Weinen, das ihr süßes Gesichtchen so fürchterlich entstellte. Alles vergeblich! Endlich versprach ich ihr die schönste Puppe von der Welt, die ihre Augen von selber auf und zu machen könnte – das half für einige Augenblicke. Natürlich wollte nun aber auch Oskar etwas gekauft haben. Auch das sagte ich zu. Da erschien wie ein rettender Engel eine junge Dame und fragte nach meinem Begehr.
„Ich bitte, die Kinder photographieren zu wollen.“
„Heute?“
„Jawohl – sogleich.“
„Das thut mir unendlich leid – aber jetzt – unmittelbar vor dem Feste, ist es unmöglich, ganz unmöglich. Eben ist Herr Schreiber oben – Sie kennen ihn ja, unsern Heldentenor. Der läßt sich in zehn verschiedenen Rollen aufnehmen. Dann warten noch zwei Herrschaften, die vorgemerkt sind. Sie hätten sich anmelden sollen!“
Ich hätte mich anmelden sollen!
Ja, sie hatte recht. So lange und viel hatte ich über meinen Plan gegrübelt und auf diesen einfachsten aller Gedanken war ich nicht gekommen!
Was half jetzt alle Reue? Ich mußte unverrichteter Sache nach Hause gehen. Und das war das Resultat aller Mühen und Sorgen, die Kinder endlich so weit zu bekommen!
Aber ich war klug geworden. Ich verließ den Empfangssalon des Photographen nicht eher, als bis die Dame uns für morgen genau zu derselben Stunde vorgemerkt hatte.
Sowie wir draußen waren, bestanden die Kinder gebieterisch auf ihrem Schein. – Gegen meine Versuche, die Einlösung auf morgen zu verschieben, zeigten sie sich taub – ja um den Mund der Kleinen zeigten sich schon wieder die unheildrohenden Schüppchen. So eilte ich denn in den nächsten Spielladen und kaufte, was sie wollten.
Zu Hause erregte natürlich mein Einkauf die nicht unberechtigte Kritik meiner Frau. So kurz vor Weihnachten – solche Ausgaben! Und gerade in diesem Jahr, wo wir so aufs Sparen angewiesen waren!
Beinahe hätte ich die Schuld auf Müllers gewälzt und gesagt, die Geschenke stammten von ihnen: doch fürchtete ich, daß mich dies in Widersprüche verwickeln könnte, und rechtfertigte mich damit, die Kinder wären so enttäuscht gewesen, weil bei Müllers niemand außer dem Mädchen zu Hause gewesen sei. Um sie zu entschädigen, habe ich sie dann zu einem Spielwarenhändler geführt und die paar Kleinigkeiten für sie gekauft.
Meine Frau war über Müllers Rücksichtslosigkeit ganz empört.
„Du hattest dich doch angemeldet.“
„Das ist es ja eben – ich habe mich, scheint’s, im Datum geirrt. Wir kamen einen Tag zu früh.“
Meine Frau erklärte sehr energisch, sie würde die Kinder nun jedenfalls nicht so bald wieder hinschicken, ich erlaubte mir entgegengesetzter Ansicht zu sein – ich bestand auf meinem Willen, sie gab nicht nach – der geneigte Leser merkt: es kam zu einer jener intimen häuslichen Auseinandersetzungen, wie sie ihm, auch wenn er in der glücklichsten Ehe lebt, wenigstens vom Hörensagen bekannt sind.
Wir standen vom Tisch auf – ich erhielt nur eine flüchtige Handberührung, während ich sonst freundlicher behandelt wurde. Die Stimmung blieb gereizt. Ich hatte jetzt schon genug von diesem Märtyrertum. Hätte ich geahnt, was alles mir noch bevorstand!
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Es war am anderen Tage mittags Punkt halb ein Uhr. Ich stieg vom Empfangssalon aus mit den beiden Kindern, die ich nicht ohne große Mühe und neue nicht gerade sehr schmeichelhafte Aeußerungen meiner kleinen Frau über die Familie Müller vom Hause losgerungen hatte, halb sie führend, halb sie tragend, die schier unendlichen Treppen empor, die in das Atelier des Photographen führten.
Solch ein Photograph !
Wohl hundertmal in dieser einen Stunde habe ich dem Manne die Ungerechtigkeit abgebeten, mit der ich seinem Amte bisher gegenüberstand, ohne mir je die leiseste Vorstellung von der Schwierigkeit und der unbeschreiblichen Vielseitigkeit seiner Arbeit zu machen. Wer je in seinem Leben Kinder hat photographieren lassen und nicht in Bewunderung und Hochachtung vor der Kunst eines solchen Mannes und seiner rührenden Geduld zerflossen ist, dem möchte ich die Fähigkeit für solche Empfindungen überhaupt absprechen.
Was der Mann nicht alles anstellte! Was er den Kindern erzählte und versprach und vormachte, mit welcher ergreifenden Langmut und Selbstverleugnung er wieder und immer wieder an ihnen herumnestelte und arbeitete und zupfte, vor ihnen tänzelte und sang und sprang und gestikulierte – es war unbeschreiblich!
Als alles nichts half und ich, völlig verzagt, der festen Meinung war, jetzt gäbe auch er die Sache endgültig auf, da lächelte er noch mit derselben unerschütterten Ruhe und Freundlichkeit mir zu und sagte:
„Jetzt fangen wir erst an!“
Und siehe – vor meinen staunenden Augen ließ er nun aus allen möglichen geheimnisvollen Schlupfwinkeln seines Ateliers ein Spielwarenlager aufmarschieren, das einem großen Magazine alle Ehre gemacht hätte: zuerst zwei krähende Hähne, dann eine Puppe – wieder eine Puppe – ein Pferd – einen Reiter dazu – Papageien – tanzende und Glieder verrenkende Marionetten – Soldaten – eine Kasperlefigur und noch vieles andere.
Und mit allen diesen Dingen tänzelte und sang und sprang und gestikulierte er nun aufs neue vor den Kindern herum, mit schärfstem Blick immer nur die ihm für eine günstige Aufnahme geeignete Sekunde erspähend.
Aber so wie diese sich ergab und er auf den kleinen Gummiball, [824] den er in der Hand hielt, drücken wollte – schwapps – da streckte der Junge seinen Arm verlangend nach einem der lockenden Gegenstände aus, da rief die Kleine ein begehrliches „Haben – Haben!“ – und um die Aufnahme war es geschehen.
Dies alles, das mich allmählich in einen Zustand versetzte, der nicht mehr sehr ferne von Raserei war, brachte ihn auch nicht einen Augenblick aus seiner Gemütsruhe, und als ich nach einigen vergeblichen Versuchen, seinen verzweifelten Anstrengungen mit der Macht meiner väterlichen Autorität zu Hilfe zu kommen, ihm mein Bedauern aussprach, daß ihm trotz seiner aufrichtigsten Bemühungen noch nicht eine Aufnahme gelungen wäre, erwiderte er sehr befriedigt, daß er deren bereits vier gemacht habe – zwar wie sie bei der allerdings nicht zu leugnenden Unruhe der Kinder ausgefallen seien, müsse der Erfolg lehren.
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Es war abends.
Ich kam heute zum erstenmal innerlich befriedigt und in gehobener Stimmung aus dem Bureau nach Hause. Das große Werk war ja gethan, der schwere Wurf schien gelungen.
Selbst meine größte Furcht, die Kinder könnten sich einmal über die Besuche bei dem Photographen verplappern und so meiner Frau das ängstlich gehütete Geheimnis doch noch enthüllen, zeigte sich ganz unbegründet.
Den Kindern war der eigentliche Zweck ihres Besuches, über den ich natürlich nicht zu ihnen gesprochen hatte, völlig verschleiert geblieben. Sie erzählten zu Hause sehr viel von Tante Müller und dem lieben Onkel, der ihnen all die schönen Vögel und andere herrliche Spielsachen gezeigt und den sie recht bald wieder besuchen wollten.
Auch ich war sehr erfüllt von der großen Liebenswürdigkeit des Kollegen den Kindern gegenüber, meine Frau konnte von dem wahren Sachverhalt nichts ahnen. Niemand war glücklicher als ich.
Doch wie sagt Wallenstein?
„Frohlocke nicht,
Denn eifersüchtig sind des Schicksals Mächte –
Voreilig Jauchzen greift in ihre Rechte.“
Ein Brief! – Ich öffne.
„Sehr geehrter Herr!Bei der Unruhe Ihrer lieben Kinder ist von den sämtlichen Aufnahmen leider nicht eine ganz nach Wunsch ausgefallen. Ich muß daher um eine neue Sitzung ersuchen, jedoch spätestens für morgen, da ich sonst nicht imstande wäre, die gewünschten Probebilder bis zum Feste zu liefern.
K. Brand, Photograph.“
Die Worte tanzten und flimmerten vor meinen Augen – die Stunde war gekommen, wo ich beinahe so weit war, meinen eifrig verfolgten Plan endgültig aufzugeben.
Ich konnte meinen aufgeregten Zustand nicht verhehlen, und so kam es, daß meine besorgte kleine Frau mich ernstlich ins Gebet nahm und mich auf Ehre und Gewissen bat, ihr den Anlaß meiner wachsenden Gemütsverstörung zu sagen, die ihr nun mit jedem Tage peinlicher und unerträglicher würde.
Wie gerne hätte ich gesprochen, ihr mein ganzes beladenes Herz geöffnet – aber nein, das ging nicht – noch nicht!
So wählte ich den einzigen möglichen Ausweg: eine Erkältung vorschützend, legte ich mich ins Bett.
Aber erquickenden Schlaf fand ich nicht – wüste Träume störten ihn.
Mit Hähnen und Puppen, Papageien und Katzen tanzte und sang und sprang und gestikulierte vor mir der Photograph. Und als ihm alles das nichts half, da gab er mir eine große Marionette in die Hand, und ich mußte nun alles mitthun und mit ihm tanzen und singen und springen und gestikulieren, bis wir mit einem Male zu Fall kamen und ich laut aufschrie und in Schweiß gebadet erwachte und meine kleine Frau sich über mich beugte und „Du bist krank, ernstlich krank“ mit ihrer lieben, besorgten Stimme zu mir sprach, die mir wie eine Erlösung ins geqnälte Herz drang.
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Als ich am nächsten Mittag nach Hause kam, hörte ich, daß meine Frau zum Arzte gefahren wäre und das Essen daher später bestellt hätte.
Da faßte ich einen verzweifelten Entschluß.
Ich hieß das Mädchen eine Droschke holen, las mir die Kinder in ihren ältesten Kleidern vom Fußboden auf, wo sie gerade einen ergrimmten Kampf zwischen Katze und Hund aufführten, zog ihnen ungeschniegelt und ungebügelt ihre Mäntel über, packte sie in die Droschke – und fort ging’s zum Photographen!
Natürlich traf ich im Empfangssalon, in dem die Kinder ausgezogen wurden, eine befreundete Familie und mußte mich tausendmal wegen des Aussehens der Kinder entschuldigen, ohne dieses selber damit ändern zu können. Auch dem Photographen sprach ich zaghaft mein Bedauern aus; doch der sagte lächelnd: „Das thut ja gar nichts – absolut gar nichts,“ und ehe ich mich’s versah, hatte er in der einen Hand eine Bürste, in der anderen einen Kamm und brachte das Haar der Kinder auf eine Weise in Ordnung, daß ich nichts so sehnlich wünschte, als mein Kindermädchen für einige Tage bei ihm in die Lehre zu schicken. Er machte dem Jungen einen tadellosen Scheitel und arrangierte mit einer Kunstfertigkeit, über welche nur sehr geübte Friseure verfügen, den Lockenkopf der Kleinen.
„Aber diese schrecklichen Kleider?“ fragte ich kleinlaut. „Thut nichts – gar nichts,“ sagte er sehr gleichmütig und ging an sein Werk.
Und wunderbar – sei es, daß die Kinder bereits an ihn gewöhnt waren, sei es, daß sie sich in ihren Alltagskleidern viel ungezwungener und natürlicher gaben als in dem hohen Festtagsstaate – die Aufnahme ging viel glatter von statten als das erste Mal, und als wir nach Hause kamen, hatte ich das weitere Glück, meine Frau noch nicht heimgekehrt zu finden. – – – –
– – – – – – – – – – – – – – –Weihnachtsabend!
Dreimal bereits war ich im Laufe des Tages beim Photographen gewesen. Er war überhäuft mit Arbeiten – aber endlich, in letzter Stunde hatte ich meine Probebilder erhalten und eilte, den schwer errungenen Schatz am Herzen bergend, glückselig nach Hause.
Der Lichterbaum strahlt – unsichtbar, aber fühlbar doch fliegt der Weihnachtsengel durch die Luft – würziger Duft erfüllt die Stube.
Die Kinder, denen wir bereits aufgebaut haben, jauchzen und frohlocken über ihre Sachen – am meisten über die beiden krähenden Hähne, die „Onkel Müller“ ihnen zum Andenken an die unvergeßliche Stunde mitgesandt hatte.
[825] Jetzt sind wir beide nach alter Ueberlieferung an der Reihe.
Meine kleine Frau läßt es sich nicht nehmen, mir zuerst zu bescheren, obwohl ich bereits vor Ungeduld brenne und mit aller Kraft an mich halten muß, ihr mein Geschenk nicht gleich zu überreichen.
Die liebe, kleine Frau! Was für reizende Sachen sie mir aufgebaut hatte, wie fleißig sie für mich gearbeitet und sich gemüht hatte!
Und doch lag immer noch so etwas Unaussprechliches, Geheimnisvolles auf ihrem Antlitz.
„Und nun,“ sagte sie, nachdem ich meiner Freude und Dankbarkeit einen vielleicht etwas zerstreuten Ausdruck gegeben, „du Unzufriedener – hier noch eine kleine Ueberraschung – vielleicht freut sie dich mehr als alles andere!“
Ich weiß nicht, welch eine dunkle Ahnung plötzlich über mich kommt, als sie mir jetzt ein kleines Paketchen überreicht – ich weiß nur, daß ich da etwas in den Händen halte, was mir so wunderbar bekannt, so verwebt mit der innersten Geschichte meiner letzten Tage vorkommt.
Ich fasse Mut, nehme alle Kräfte zusammen und öffne!
Und siehe – vor mir liegt das wohlgetroffene Porträt meiner beiden Kinder, fast genau so umschlungen sich haltend, wie ich sie in Wirklichkeit so lange qualvolle Minuten gesehen.
Und beide glänzend im feinsten Sonntagsstaate: der Junge in dem blauen Sammetjackett, die Kleine in dem feinen gestickten Kleidchen, das ihr Tante Heim als Patengabe geschenkt.
„Ich wollte dich überraschen! Aber leicht war es wahrhaftig nicht. Weißt du noch damals, als du mir gerade dazwischen kamst und ich dir einredete, wir gingen zur Tante Heim? Und nichts hast du gemerkt, gar nichts – du lieber, kluger Mann! Aber sieh sie nur ordentlich an! Sind sie nicht reizend?“ fährt sie fort, in Thränen lächelnd.
„Reizend – ganz reizend!“
Mehr vermag ich nicht vorzubringen – meine kleine Frau schiebt es auf meine Rührung und ist zufrieden.
Ich aber fasse sie bei der Hand, führe sie an ihren Weihnachtstisch, nehme von ihm ein Päckchen, ganz ähnlich wie sie mir soeben eines gegeben, und überreiche es ihr schweigend.
Sie öffnet – ein Schrei fliegt über ihre Lippen, sie starrt die Bilder an – sprachloser noch als ich die ihrigen – erst nach langer Zeit findet sie Worte:
„Aber Mann – Mann – in diesen Kleidern?!“
Das ist das erste, was sie voller Entsetzen hervorbringt.
Da ist es um mich geschehen. Ich kann ihr nicht weiter bescheren. Ich erzähle ihr erst meine ganze, lange, verzweifelte Leidensgeschichte.
Sie horcht auf – sie schüttelt den Kopf – sie lächelt – sie lacht – selbst das Entsetzen über „diese Kleider“ haben meine Worte vertrieben. Und das will bei einer Mutter viel sagen.
„Du armer, armer Mann!“
Und sie fällt mir um den Hals und küßt mich mit einer Innigkeit, wie sie es acht Tage nicht gethan hat.
Aber die Kleider?!
Sie sieht die Bilder wieder und wieder an, sie vergleicht sie mit den ihren.
„Wunderbar –“ sagt sie endlich, „trotz der Kleider gefällt mir dein Bild viel besser ja vielleicht gerade wegen der Kleider. Die Kinder sehen hier so anders aus wie auf meinem – viel weniger feierlich. Weißt du, Mann – ganz so, wie ich sie immer vor mir sehe in der Kinderstube, so natürlich und so reizend dabei! Mann, Mann – das hast du wunderschön gemacht, obwohl ich dir eigentlich böse sein sollte, mich so zu kompromittieren vor dem Photographen und allen Bekannten – was sollen die nur von mir denken! Aber – von diesen Bildern bestellen wir zwei Dutzend – von den anderen nur wenige!“
Endlich komme ich dazu, ihr weiter die Bescherung zu zeigen. Aber sie lächelt immer dazwischen, und immer aufs neue muß ich erzählen, und immer aufs neue lacht sie hellauf und freut sich wie ein Kind.
Ich habe nie einen so schönen Weihnachtsabend verlebt wie diesen, nie meine liebe kleine Frau so ausgelassen und liebevoll gesehen, und so fand ich mich denn für meine Leiden unter dem strahlenden Christbaum reichlich belohnt.
[826]
Alle Rechte vorbehalten.
Zwischen Gräbern.
(Schluß.)
Das ist aber doch zu arg!
Als ich heute auf den Friedhof kam, fand ich das neue Grab ausgehoben und die Erde zum Teil auf unsern jungen Rasenbelag geworfen. Er sah abscheulich aus. Die eine Seite war ganz verschüttet. Das braucht man sich doch nicht gefallen zu lassen! Ich beschwerte mich beim Inspektor. Es lasse sich nicht vorsichtiger verfahren, entschuldigte er achselzuckend. Der Raum zwischen den Gräbern sei zu enge, um die ausgehobene Erde aufnehmen zu können; da bleibe bei aller Sorglichkeit nichts übrig, als vorläufig die Nachbarhügel zu belasten. Morgen früh werde die Erde schon wieder zur Füllung der Grube gebraucht. Der Aufwurf sei auch so leicht, daß eine Beschädigung nicht gefürchtet werden dürfe. Und wenn sie doch unvermeidlich gewesen sei, so müsse eben der Gärtner nachbessern.
Hätte ich’s nur vorher gewußt! Ich würde wenigstens den Rasen mit einer Leinwand bedeckt haben. Der Anblick war so traurig, daß ich mich diesmal nur wenige Minuten aufhalten mochte.
Es hatte in der Nacht geregnet, und es regnete noch immer. Das gute Wetter scheint ein Ende haben zu sollen, der Herbst plötzlich hereinzubrechen.
Ach, diese Zerstörung! Da lag nun seitwärts der neue Grabhügel wie ein wüster Erdhaufen, ein einziger Palmenwedel darauf, und der schmale Gang zwischen den beiden Gedenkstätten war schmutzig von zertretenem Lehm, und nasse gelbe Lehmkluten oder Reste davon verunzierten den Rasen. Ich versuchte ihn zu reinigen, aber das gelang nur sehr unvollkommen. Die Spuren wird auch der Herbstregen nicht ganz abwaschen. Die Leute hätten wohl rücksichtsvoller verfahren können!
Ein einziger Palmenwedel mit Blumenagraffe auf dem Grabe. Wahrscheinlich vom Sohn niedergelegt. Hatte die Frau gar keine Freunde?
Es regnet weiter. Die Mutter ist noch krank und durfte auch bei so schlechtem Wetter nicht hinaus.
Ich war in der Dämmerstunde, wie immer, nach dem Friedhof gegangen, wollte aber schon kurz vor dem Ziel umkehren, da ich den langen Menschen zwischen den beiden Gräbern stehen sah. Ich hatte das Gefühl, als ob ich ihn stören müßte. Dann bedachte ich aber, daß er mich doch gar nichts anginge und solche Begegnungen unvermeidlich sein würden.
Ich trat also an des Vaters Grab. Er sah sich flüchtig nach mir um, grüßte aber nicht und nahm auch weiter keine Notiz von mir. Ein merkwürdiges Gesicht, knochig und eckig, aber nicht unschön, mit spärlichem, dunklem Bart um Mund und Kinn, die hohe Stirn unter dem zurückgeschobenen Hut frei. Ich hatte nur eine Sekunde zu diesen Beobachtungen Zeit.
Um ihm nicht in den Weg zu treten, hielt ich mich auf der andern Seite des Rasenhügels, so daß ich seinen Rücken sah. Er stand noch eine Weile mit gesenktem Kopf, die Hände in den Taschen. Er hatte zwar einen Schirm, hielt ihn aber ungeöffnet unter dem Arme und ließ sich vom Regen durchnässen, der von der Hutkrempe auf den Rücken tropfte und von seinen Schultern ablief, was er aber nicht zu bemerken schien.
Tann ging er auf dem nassen Pfade zwischen den Gräbern ein paarmal hin und her. Er murmelte dabei wieder etwas vor sich hin; ich glaube, er zählte halblaut die Schritte, obgleich er über vier nicht hinauskam. Die Schmalseite nahm er mit noch wenigeren, ich meinte eben zu hören: eins – zwei. Diese Ausmessung schien ihm denn doch noch nicht zu genügen. Nachdem er wieder einige Minuten sinnend stehen geblieben war, gebrauchte er den Schirm als Meßstab, indem er ihn in der Mitte faßte und gebückt abwechselnd mit der Spitze und Krücke in den nassen Lehm tauchte. Als er sich dann auf ihn stützen wollte, beschmutzte er natürlich seine Hand und war nun sichtlich in Verlegenheit, wie er sie reinigen sollte. Er suchte die hintere Rocktasche, aus der er wohl das Taschentuch nehmen wollte, hatte aber offenbar vergessen, daß er einen Ueberzieher trug, der geschlossen war, und schien gar nicht auf den Gedanken zu kommen, darunter im Rock zu suchen. Zuletzt gab er seine Bemühungen auf und hielt die Hand mit gespreizten Fingern vom Körper ab, wahrscheinlich um abzuwarten, bis der Lehm getrocknet sein würde. Eine Hand mit langen, schmalen Fingern.
Mich selbst prickelte es, ihm einen guten Rat zu geben. Aber ich war doch verständig genug, mich zurückzuhalten. Wer konnte wissen, wie er ihn aufnehmen würde? Und es schickte sich auch nicht für mich, eine Bekanntschaft anzuknüpfen. Ich wußte aber, daß meine Andacht heute gestört bleiben müßte. Ich entfernte mich daher bald. Ach, meine schönen einsamen Abendstunden – hoffentlich seid ihr nicht für immer eingebüßt!
Gestern war ich ungestört. Auf dem Erdhügel nebenan zeigten sich frische Blumen, Astern und Georginen, nicht zusammengebunden. Der Wind, der den Regen abgelöst hat, mochte einige davon hinabgefegt haben. Sie lagen auf dem feuchten Boden herum. Es ging mich nichts an, aber ich hob sie doch auf und fügte sie den andern bei. Es war mir ein zu trauriger Anblick.
Heute aber hatte ich kaum mein Sträußchen auf den Rasen gelegt und mit einem kleinen Pflock befestigt, als ich den langen Professor, Blumen in der Hand, mit eiligen Schritten nahen sah. Er blickte erst auf, als er nicht mehr weit von mir entfernt war, stutzte und machte kehrt. Offenbar war ich ihm so unangenehm, als er mir. Er verließ den Friedhof jedoch nicht, sondern ging den Hauptweg auf und ab und wurde von Zeit zu Zeit wieder hinter dem Gebüsch sichtbar. Sollte ich mich verdrängen lassen? Endlich schoß er heran und ohne aufzusehen an mir vorüber, legte die Blumen oder warf sie vielmehr zu den verwelkten und eilte wieder fort. Ein recht wunderlicher Herr!
Um dem Professor nicht zu begegnen, besuchte ich den Friedhof diesmal schon in der Mittagszeit. Da hatte ich mich aber verrechnet. Er stand mit dem Inspektor zusammen zwischen den Gräbern und machte mit den Armen Bewegungen nach der Breite und Höhe hin.
Der Inspektor grüßte mich freundlich. Nun blickte auch er zurück, betrachtete mich eine kleine Weile sehr eindringlich, hob nun auch zögernd die Hand nach dem Hut und entfernte ihn ein wenig von der hohen Stirn, ohne sich zu verbeugen. Dann setzte er das Gespräch mit dem Inspektor fort, wandte aber noch zweimal den Kopf nach mir, als ob er sich überzeugen wollte, ob ich wirklich die Unverschämtheit hätte, in der Nähe zu bleiben. Ich ließ mich so nicht vertreiben.
Er sprach leise, immer nur wenige Worte. Den Inspektor hörte ich sagen, das sei nun einmal Vorschrift und davon ließe sich nicht abgehen; so ein Grab müsse fest untermauert werden, mindestens zwei Meter tief; darauf könne dann die steinerne Bordschwelle gelegt und in sie das Gitter eingefügt werden.
Der Professor schien sich dann nach den Kosten zu erkundigen. Die „vorläufige“ Rechnung, die ihm gemacht wurde, kam mir erschreckend hoch vor. Ihm wohl auch. Das eiserne Gitter könne ganz nach Gefallen gewählt werden, meinte der Inspektor; man habe es von zwanzig Mark pro Meter bis zu hundert und mehr. „Hundert Meter und mehr –!“ wiederholte der Lange, den Kopf in die Schultern duckend, „ach – ach – ach! Und zwanzig Meter…“ Die Zahl war jedenfalls ganz unrichtig, wahrscheinlich um die Hälfte zu hoch; der Inspektor schien aber keine Neigung zu haben, ihn zu berichtigen, und machte ihm etwas ungeduldig den Vorschlag, sich eine schriftliche genaue Aufstellung geben zu lassen. Darum bat der Professor denn auch.
Die beiden Herren hatten sich schon in Bewegung gesetzt und entschwanden mir bald aus Gehörweite. Als ich nach einigen Minuten zwischen den beiden Gräbern hindurchging, bemerkte ich, [827] daß an das drüben ein seidener Schirm angelehnt war. Der Professor mußte ihn vergessen haben. Was sollte ich thun? Ihn da stehen lassen? Aber es war sehr unwahrscheinlich, daß er sogleich vermißt und abgeholt würde. Ich hielt es doch für menschenfreundlich, ihn beim Inspektor abzugeben.
Ich hatte so auch Gelegenheit, zu erfahren, was da im Werk sei. Er fing selbst davon an, indem er lachend sagte, es sei mit so einem Gelehrten schwer zu verhandeln; in der nächsten Minute habe er alle Maße und Zahlen schon wieder vergessen oder durcheinandergemengt. Er wisse auch selbst nicht recht, was er wolle, ein Erbbegräbnis, oder ein einfaches Gitter, oder eine Steineinfassung, oder auch die nicht einmal. Seine Fragen ließen sich gar nicht alle beantworten. „Er wird doch nicht das Grab ausmauern lassen!“ rief ich entsetzt, indem ich an die unausbleiblich lange Beunruhigung unseres Besitzes dachte. Es war kein Trost, daß der Inspektor versicherte, die Arbeiten könnten wohl erst im Frühjahr vorgenommen werden, wenn auch unser Rasen der Nachbesserung bedürftig sein würde. Er setzte hinzu: „Für wen hätte der Herr Professor eigentlich Grund, so weit in die Zukunft zu sorgen? Er war das einzige Kind und ist unverheiratet. Wer weiß, wohin er in kurzem berufen wird und wo er sich dermaleinst zur letzten Ruhe legt? Er hat auch nur so ganz im allgemeinen die Vorstellung, daß er seiner Mutter etwas zum Gedächtnis stiften müßte. Ein Gedenkstein wird’s wohl schließlich auch thun.“
Aber es wäre doch möglich –! Und dann die freie Aussicht durch ein hohes Gitter verstellt… Ich berichtete zu Hause mit Thränen in den Augen.
Der Oktober bringt noch schöne Tage, wenn auch kühle.
Heute traf ich den Professor, der drei kleine Bündel Veilchen niedergelegt hatte. Er zog mit auffallender Eile den Hut, indem er sich wiederholt verbeugte. Die neulich durch den Inspektor veranlaßte Begrüßung mochte mich in seinen Augen auf sicheren Boden gestellt, ihn aber auch der Pflicht einer Vorstellung überhoben haben. Wenigstens redete er mich sofort an.
„Es scheint, mein Fräulein,“ sagte er leise, „daß Sie zu Ihren Besuchen hier mit Vorliebe diese Stunde wählen.“
Das bestätigte ich. Es war mir lieb, ihm darüber Gewißheit geben zu können. Vielleicht wünschte auch er eine Art von Auseinandersetzung bezüglich der Zeit.
„Sehr merkwürdig!“ fuhr er fort. „Diese Stunde ist auch mir die liebste. Ich lese nachmittags mein Kolleg und gehe dann zur Erholung gern ein wenig spazieren. Jetzt habe ich nun gewissermaßen ein festes Ziel. Der Vormittag gehört, wenn nicht etwas Besonderes dazwischen kommt, der häuslichen Arbeit.“
Da wußte ich denn Bescheid. Es könne wohl nicht von mir erwartet werden, meinte ich so wenig spitz, als nach dieser Ueberraschung mir möglich war, daß ich deshalb meine Gewohnheit ändere.
Er sah mich mit seinen großen – übrigens, wie ich bemerkte, lichtbraunen – Augen sehr verwundert an. „Ich wüßte nicht, daß ich mir anzudeuten erlaubt hätte …“ stotterte er. „Wir haben ja wohl hier beide Raum. Aber wenn meine öftere Gegenwart Ihnen lästig sein sollte, mein Fräulein –“
Das konnte ich nun doch nicht zugeben, ohne unartig zu erscheinen. Wir hätten beide hier das gleiche Recht, erwiderte ich, und wir brauchten einander ja nicht zu stören.
Wenn damit zu verstehen gegeben sein sollte, daß die Unterredung beendet sein könnte, so verstand er mich jedenfalls nicht.
„Ich kann meine Vorlesung in diesem Semester auch nicht mehr gut verlegen,“ fuhr er fort, „und zu welcher andern Zeit ich meinen Spaziergang machen sollte ...“
Da ich darauf nicht weiter einging, wurde er sichtlich verlegen und zupfte an den Schößlingen seines Kinnbarts. Er wußte offenbar nicht, wie er zum Schluß kommen sollte, nachdem er einmal die Ansprache gewagt hatte. Das Schweigen wurde mir peinlich. Ich stellte die sehr überflüssige Frage, ob er Universitätslehrer sei. „Ja,“ antwortete er, „klassischer Philologe.“ Es fiel ihm auch jetzt nicht ein, sich mir zu nennen, so nahe das gelegen hätte. Seine Blicke irrten um mich herum. „Uebrigens weiß ich bestimmt,“ setzte er wieder an, „daß ich mir vorgenommen hatte, Ihnen bei nächster Begegnung noch etwas zu sagen, mein Fräulein. Es fällt mir nur durchaus nicht ein …“
Ich lächelte. „Wohl wegen des Schirms –“
„Ja, ja – wegen des Schirms!“ rief er sehr erfreut. „Es ist sehr gütig, daß Sie mir’s in Erinnerung bringen. Ich wollte Ihnen meinen besten Dank sagen für die liebenswürdige Bemühung …“
Es sei ja nicht der Rede wert, versicherte ich.
„O doch, doch!“ widersprach er eifrig. „Als ich nach Hause kam, fragte die alte Kathrine gleich, wo ich den Schirm gelassen hätte, und war sehr ungehalten, als ich’s nicht sagen konnte. Freilich war’s nicht mein – es war nämlich meiner verstorbenen Mutter Schirm, und der Verlust wäre mir schmerzlich gewesen.“
Ich konnte mich nun gleich vergewissern, ob er wirklich die Absicht habe, ein Erbbegräbnis zu erwerben, und that es auch.
„Ach, es war mir nur so durch den Sinn gegangen,“ antwortete er, „weil ein Kollege mir riet, vorsichtig zu sein. Nach dreißig Jahren hätte man manchmal Schwierigkeiten wegen Behauptung des Platzes. Aber die Umstände sind so groß! Und eigentlich gefällt mir so ein freier Grabhügel viel besser. Der Ihrige sieht schon recht hübsch aus; es ist wohl das Klügste, wenn ich mich ganz nach Ihnen richte, mein Fräulein.“
Ich schlug ihm vor, dem Gärtner sogleich Auftrag zu geben, und zeigte ihm denselben, da er gerade in der Nähe arbeitete. Er begab sich auf der Stelle zu ihm, und so konnte ich indessen leicht verschwinden.
Wir grüßen einander nun regelmäßig, wenn wir an den Gräbern zusammentreffen.
Das geschieht nicht gerade alle Tage, aber sehr oft. Mitunter bin ich schon fortgegangen, wenn er kommt. Einmal hatte ich die Mutter lieber vormittags in die wärmere Sonne geführt. (Sie war für sie doch noch nicht warm genug gewesen.) Ein andermal hatte er gleich nach seiner Vorlesung zu einer Fakultätssitzung gehen und deshalb den Friedhofsbesuch versäumen müssen – zu seinem großen Kummer, wie er bemerkte. Es war überhaupt wunderlich anzuhören, mit welchem Eifer er sein Ausbleiben entschuldigte, als hätte ich irgend welchen Anspruch auf sein pünktliches Erscheinen oder vermißte etwas, wenn ich ihn nicht sähe und hörte.
Ehrlich, ehrlich! So ganz gleichgültig ist mir’s in der That nicht, ob ich die lange Gestalt da zwischen den Gräbern stehen sehe. Man gewöhnt sich in das erst Unbequeme doch recht rasch hinein und sucht ihm sogar die gute Seite abzugewinnen.
Ihm geht’s übrigens ähnlich, und er spricht sich darüber mit der Unbefangenheit eines Kindes, das sich bei so etwas gar nichts denkt, sehr offen aus. „Ich empfinde es schon als einen besonderen Glücksfall,“ bemerkte er, „daß diese beiden Gräber zusammenliegen und wir beide so gleichsam gut nachbarlich verkehren können. Diese wenigen Quadratmeter Bodenfläche sind mein einziger Besitz von der Erde, und ich glaube zu erraten, daß Sie über keinen größeren Grundbesitz verfügen, mein Fräulein. Da hat es doch Bedeutung, daß wir angrenzen. Ich kann mir auch nicht mehr gut vorstellen, daß es mir lieb wäre, hier mit mir ganz allein zu sein. Im Gegenteil: ich empfinde es als eine rechte Wohlthat, hier jemand zu treffen, der in derselben Absicht herkommt, eine Pflicht der kindlichen Pietät zu erfüllen, der von denselben Gefühlen herzlicher Trauer bewegt ist, und der freundlich mit mir spricht. Bisher war meine alte Mutter eigentlich der einzige Mensch, mit dem ich mich freundschaftlich aussprechen konnte. Stellen Sie sich vor, wie verzweifelt ich war, ihren Mund nun auf ewig verstummt zu wissen. Und da finde ich ganz in ihrer nächsten Nähe – und gewissermaßen mir durch sie zugeführt – eine Art von Ersatz. Es ist ja allerdings ein Unterschied zwischen einer alten Frau, zu der man von Jugend auf gestellt war, und einer jungen Dame, die man nur eben kennenlernt. Aber Sie glauben nicht, wieviel innere Aehnlichkeit … Und ich habe auch so das Gefühl, daß ich von Ihnen verstanden werde und wir einander eigentlich gar nicht fremd sind. Es ist eine wunderliche Sache, und ich bin dem Geschick dankbar dafür.“
Ja, es ist eine wunderliche Sache. Der Professor – ich weiß noch immer nicht einmal, wie er heißt – hat mir schnell ein gewisses Vertrauen abgewonnen. Er sieht übrigens recht gut aus, wenn man ihn in der Nähe zu betrachten Gelegenheit hat, jedenfalls recht interessant. Es ist, als ob sich der Geist das Gesicht formte, in dem er sich nun ausspricht, und die leuchtenden Augen verleihen [828] ihm ein ganz besonderes Leben. Ich schätze ihn noch nicht vierzig Jahre alt, aber nahe daran. Möchte er sich nur einmal das Haar verschneiden lassen, das sich jetzt hinten etwas unordentlich über das seidene Halstuch bäumt, und den gar zu dünn auslaufenden Bart stutzen. Früher hat wahrscheinlich seine Mutter auf ihn geachtet, vielleicht selbst zu rechter Zeit die Schere gehandhabt. Warum nicht? Den alten Papa, der nicht zum Friseur zu bringen war, habe ich in solcher Weise stets, so oft es nötig wurde, „hübsch gemacht“. Das war sein Ausdruck dafür. Deshalb fällt mir nun wohl dieser Auswuchs überhaupt in die Augen.
Heute sagte er: „Ich hätte mir früher nicht als möglich gedacht, daß ich einmal das Bedürfnis empfinden würde, meiner Mutter Grab so häufig zu besuchen. Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, mein verehrtes Fräulein; mir aber ist das, was wir von unseren Toten dem Grab übergeben, wenig geeignet, die Erinnerung an die Betrauerten recht zu erwecken oder auch nur zu sammeln. Mit dem, was in dieser lebt, lebe ich in ununterbrochener Gemeinschaft. Und nun übt dieses Fleckchen Erde doch eine unvermutet starke Anziehungskraft aus. Ich pilgere dahin wie zu einem geweihten Ort und befinde mich in der andächtigen Stimmung wohl, die er hervorruft. Ich fühle mich da nicht mehr so allein …“
Er brach ab, senkte den Blick und sah eine Weile träumend vor sich hin. Ich glaube, was er weiter auf der Zunge hatte, paßte nicht mehr ganz in den Gedankengang, dem er bis dahin gefolgt war. Ich meinte ihn darauf zurückführen zu können, indem ich als meine eigene Empfindung aussprach, daß man sich am Grabe eines geliebten Menschen seines Verlustes lebhafter bewußt werde und diesen erneuerten Schmerz als eine Wohlthat fühle. Als ob man damit dem Toten etwas Liebes erweise – das einzige Liebe, das man ihm noch erweisen könne. Und so löse sich nun wieder der Schmerz, und man gehe getröstet fort, dem Geschiedenen doch noch etwas zu sein. Wie man ja auch wohl dem Bilde eines entfernten Lieben allerhand Zärtlichkeiten zuwende.
Er nickte wie zustimmend, aber auf seinem Gesicht lag dabei ein so eigenes Lächeln, daß ich ihn kaum ganz bei der Sache glauben konnte. „Der Mensch ist ein sehr wunderliches Geschöpf,“ sagte er aufblickend, „inkonsequent durch und durch. Alle Philosophie bringt ihm der besondere Fall in Verwirrung. Ich bin überzeugt, daß das Fortleben der Seelen nach dem Tod, wie es auch stattfinden mag, jedenfalls keine Gemeinschaft hat mit unserer Leiblichkeit. Giebt es ein geistiges Etwas, das von uns bleibt, so nimmt es doch sicher nicht mit leiblichen Sinnen wahr und kann mit leiblichen Sinnen nicht wahrgenommen werden. Diese felsenfeste Ueberzeugung hindert doch meine Phantasie nicht, mir einen ganz unkontrollierbaren Streich zu spielen. Ich will Ihnen ein – nun ja, ein recht lächerliches Geständnis meiner Schwäche ablegen. Neben meiner Arbeitsstube liegt unser kleiner Salon. Dort befindet sich ein Bild meiner Mutter, ein recht gutes und treues Bild. Die Thür steht gewöhnlich offen, da ich gern bei der Kopfarbeit durch beide Zimmer auf und ab gehe, und ich bleibe oft vor dem Bilde stehen, einen Blick darauf zu werfen und ihm leise ein freundliches Wort zuzurufen. Und nun denken Sie – wenn ich abends und nachts bei der Lampe an meinem Schreibtisch sitze, kann ich die offene Thür nicht sehen, ohne mir die Möglichkeit einzubilden, meine Mutter könnte durch dieselbe, für meine Augen geradeso wie auf dem Bilde sichtbar, eintreten. Und diese Einbildung hat solche Macht über mich, daß ich schon wiederholt die Thür geschlossen habe. Nicht wahr, eine größere Konfusion ist schon nicht denkbar?“
Das könnte ich doch nicht so ohne weiteres zugeben, antwortete ich. Die offene Thür mit dem dunklen Raum dahinter erwecke gerade die Vorstellung, daß sich von dem nicht sichtbaren Bilde die Erscheinung loslöse und ins Helle trete. Ich riet ihm, das Bild in sein Studierzimmer zu nehmen, dann werde es ihm immer ein Bild bleiben.
„Daß ich nicht selbst schon auf dieses allereinfachste Heilmittel verfallen bin!“ rief er. „Aber ich danke es Ihnen gern. Und ich sehe nun auch, daß ich es nicht bereuen darf, Ihnen meine Schwäche so offen eingestanden zu haben.“
„Sie haben gewiß Ihre Mutter sehr lieb gehabt,“ bemerkte ich.
„Ach, sehr lieb, sehr lieb,“ antwortete er mit innigem Ausdruck. „Ich kann mir nicht denken, daß ich je einen anderen Menschen …“ er stockte und blickte mich wie erschreckt an. „Das heißt … Ja, der Mensch ist ein wunderliches Geschöpf,“ murmelte er, sich wohl an die Einleitung seiner sonderbaren Mitteilung erinnernd. Er reichte mir die Hand und entfernte sich rasch.
Merkwürdig! Als ich gestern die Mutter zu Bett gebracht hatte und spät bei der Lampe in mein Tagebuch schrieb, was ich erlebt hatte, fiel mir plötzlich ein, daß im Zimmer nebenan das Bild des Vaters hänge, das ich bekränzt hatte. Ein eigentümlich gruseliges Gefühl quälte mich, bis ich aufgestanden war und – die Thür geschlossen hatte.
Wenn ich das dem Professor erzählen würde!! –
Heute war der Nachmittag so still und sonnig – die Mutter begleitete mich einmal wieder. Es war etwas früher als zu meiner gewohnten Zeit, der Professor daher noch nicht anwesend. Er kam aber, als wir uns eben entfernen wollten. Unter dem Arm trug er einen in Papier eingewickelten Gegenstand, der ein großes, aber nicht dickes Buch sein konnte.
„Ach –!“ rief er, als er meine Mutter bemerkte, „ich habe gewiß die Ehre, die Frau Geheime Rätin … hm, hm!“
Er kam natürlich nicht weiter, und ich nannte nun vorstellend unsern Namen. „Liebe Mutter, Herr Professor … hm, hm!“
Auch ich stockte und recht absichtlich, indem ich ihn zugleich fragend ansah. Er begriff, wenn auch nicht gleich in der ersten Sekunde, und ergänzte: „Professor Max Becker.“
„So erfahre ich bei dieser Gelegenheit doch auch Ihren Namen,“ konnte ich mich nicht enthalten, anzumerken.
Er schien sehr überrascht. „Hätte ich wirklich vergessen ...?“ stotterte er. „Dann kann nur die Bescheidenheit daran schuld sein, mein Fräulein. Wahrscheinlich glaubte ich, daß es Ihnen ganz gleichgültig wäre –“
„Lina hat mir erzählt,“ nahm meine Mutter nun das Wort, „daß sie Ihnen hier infolge der Nachbarschaft der Gräber öfters begegne.“
Er hatte, gleich als sie mit Nennung meines Namens begann, den Kopf aufgerichtet und die Augenbrauen hochgezogen. „Jawohl,“ bestätigte er, „Fräulein Lina war so gütig, mir zu gestatten, zu dieser mir besonders passenden Zeit – oder vielmehr sich durch mich nicht abhalten zu lassen, zu der ihr besonders passenden Zeit … Ich hatte jedenfalls wiederholt das Vergnügen, hier nicht allein sein zu dürfen.“
„Es hat mich sehr für Sie eingenommen,“ bemerkte die Mama, „daß Sie das Grab Ihrer Mutter so oft besuchen. Es ist mir ein Zeichen, daß Sie ihr gewiß ein guter Sohn waren.“
„Ach, wenn Sie die liebe Frau gekannt hätten –!“ rief er mit leuchtenden Augen. Zugleich zupfte er an dem Päckchen unter seinem Arm, indem er es vor- und wieder zurückschob und endlich nochmals vor. „Es war meine Absicht,“ sagte er dabei verlegen zögernd, „Fräulein Lina ihr Bild … Aber dazu ist nun wohl heute nicht die rechte Zeit und Gelegenheit –“
Ich sprach, wirklich angenehm berührt, meine Freude darüber aus, daß er das Bild, von dem die Rede gewesen, mitgebracht hätte. Da auch die Mama bat, sich durch ihre Gegenwart nicht behindern zu lassen, wickelte er die umrahmte Photographie aus dem Papier und hielt sie uns hin.
Ich blickte lange darauf. Vielleicht noch nie hatte mich das Bild eines fremden Menschen auf der Stelle so bekannt angemutet. Es wirkte wohl die offenbare Aehnlichkeit mit dem Professor mit – dasselbe schmale, scharfausgesprochene, geistige Gesicht, nur ins Weibliche übersetzt –, aber etwas wundersam Sinnendes in den Augen und ein bei aller Energie des Gesamtausdruckes unverkennbarer Zug von Milde und Güte um den sehr lieblichen Mund hätten mich in jedem Falle gefesselt. Ich fühlte, daß mir die Augen feucht wurden. Hier am Grabe … „O, das ist sie –!“ sprach ich unwillkürlich vor mich hin, und ehe ich meine Erregtheit meistern konnte, fiel eine Thräne auf das Glas.
Ich wollte sie abwischen, aber er griff eilig nach dem Bilde und betrachtete es mit freudig wehmütigen Blicken. „Ich danke [829] Ihnen,“ sagte er, „ich danke Ihnen, Fräulein Lina. Das behalte ich zum Andenken. Wenn sie Ihnen im Leben begegnet wäre – Sie hätten sie gewiß liebgewonnen. Wie herzensgut und klug sie war! Sie beide wären – trotz des Altersunterschiedes – Freundinnen geworden.“
Ich weiß nicht, wie mir geschehen war. Ich konnte mich einer ganz eigenen Rührung nicht erwehren, wendete mich ab und schritt langsam durch die Reihen der Gräber bis zum Hauptwege, ohne umzuschauen, meiner Mutter voraus.
Als mich die Mutter einholte, sagte sie: „Der Herr Professor läßt sich dir bestens empfehlen.“ Hatte er sich wirklich so ausgedrückt? Ich forschte nicht danach.
Ich ging so spät, daß ich erwarten konnte, den Professor nicht mehr anzutreffen. Aber er stand zwischen den beiden Gräbern und spähte unverwandt nach mir aus. Ich bildete mir’s wenigstens ein.
„Sie müssen mir von Ihrer Mutter erzählen,“ sagte ich, nachdem wir einander zur Begrüßung die Hand gedrückt hatten.
„Wie gern!“ antwortete er. „Darf ich sogleich –?“
Ich meinte, die Zeit wäre wohl schon zu weit vorgeschritten, ich hätte bald wieder gehen wollen. „Aber die Sonne ist noch nicht unter,“ wendete er ein, „und wir haben heute eine so warme, weiche Luft – ganz sommerlich. Morgen will der Gärtner bei mir den Rasen legen.
Meine Mutter war eine ganz ungewöhnliche Frau,“ begann er nach einer kleinen Weile, im Auf- und Niederschreiten. „Es wußte das niemand so gut als ich – sie hat eigentlich, so weit meine Erinnerung zurückreicht, nur für mich gelebt. Diese Beschränkung ihrer gesamten Lebensthätigkeit auf einen einzigen Menschen, der ihr verwandtschaftlich so nahe stand, könnte mein Urteil befangen erscheinen lassen, aber die näheren Umstände, unter denen sie sich diesem einen widmete, und die Art der Bethätigung rechtfertigen es doch vollkommen.
Sie müssen wissen, Fräulein Lina, daß sie die Tochter eines reichen Mannes, eines Kaufmanns, und im größten Wohlstand aufgewachsen war. Sie hatte die Erziehung und Ausbildung einer jungen Dame erhalten, die bestimmt ist, einmal selbst einem großen Hauswesen vorzustehen. Sie schlug aber alle Anträge reicher Bewerber aus und heiratete – sehr gegen den Wunsch ihres Vaters – einen ganz armen Artillerielieutenant. Er soll ein ausgezeichneter Mathematiker gewesen sein und auch in seinem militärischen Fach zu den besten Hoffnungen berechtigt haben. Leider fiel er, als ich erst drei Jahre alt war, beim Sturm auf die Düppeler Schanzen.
So schmerzlich ihr dieser Verlust war, sie durfte sich wenigstens jeder äußeren Sorge überhoben erachten. Kaum aber hatte sie sich notdürftig erholt, als ein neuer ganz unerwarteter Schlag sie traf. Ihr Vater hatte sich auf unglückliche Spekulationen eingelassen und machte, da er aus falschem Schamgefühl mit der Entdeckung zu lange zögerte, schmählichen Bankerott. Er glaubte seine kaufmännische Ehre für immer verloren und schoß sich eine Kugel durch den Kopf. Nicht nur hörte damit jede Unterstützung von Hause auf, meine Mutter gab auch ohne selbstsüchtiges Bedenken den Gläubigern die Kaution heraus, die bei Eingehung ihrer Ehe mit einem Offizier formgerecht gestellt war. Sie behielt neben einer kleinen Witwenpension nur das nicht bedeutende Vermögen, das sie von ihrer früh verstorbenen Mutter geerbt hatte und von dem ein beträchtlicher Teil überdies mit in den Konkurs fiel.
Sie hätte bei ihren zahlreichen Jugendfreundinnen, die fast sämtlich glänzend verheiratet waren, einen Anhalt gewinnen, unter Hinweis auf den Heldentod ihres Mannes die Verwendung hochgestellter Personen erbitten können, aber ein Gefühl stolzen Selbstvertrauens hielt sie ab, sich materieller Vorteile wegen in Abhängigkeit zu bringen. Sie verkaufte ihre kostbare Ausstattung und richtete sich ganz kleinbürgerlich ein; sie begnügte sich mit einer Aufwärterin und arbeitete sogar für Läden, ohne auch nur ein Geheimnis daraus zu machen. Es mit einem Wort zu sagen: sie lebte fortan nur noch für ihren Sohn, den sie abgöttisch und doch wieder sehr vernünftig liebte. Er sollte die beste Erziehung erhalten und seine Anlagen ganz nach Wunsch ausbilden dürfen. Sie wollte ihm, soweit das irgend möglich, den Vater zu ersetzen suchen und eine Lebensstellung sichern, in der ihn der Verlust des großväterlichen Vermögens nicht schwer zu bekümmern brauchte. Und das hat sie erreicht. Aber mit welchen Mühen und Sorgen!
Sie leitete meinen ersten Unterricht selbst. Dann brachte sie mich in die Vorklasse eines Gymnasiums. Sie arbeitete immer mit mir zusammen weiter, auch später, als ich Latein, Griechisch und Mathematik zu treiben anfing. Ich muß richtiger sagen: sie arbeitete mir immer voraus, um mir den Hilfslehrer entbehrlich zu machen. Auch als ich in den Schulwissenschaften schon so weit gefestigt war, mir selbst weiterhelfen zu können, nahm sie an allen meinen Beschäftigungen teil wie ein guter Kamerad. Ich war siebzehn Jahre alt, als ich Student wurde. Dabei besorgte sie ihre kleine Wirtschaft mit peinlichster Ordnung und wußte sich so einzurichten, daß ich nie das Gefühl irgend welchen Mangels hatte oder auch nur meinte, im Vergleich mit Wohlhabenden etwas entbehren zu müssen. Meine Jugend war durchaus heiter.
Sie hielt sich durch ihre unbedeutende Pension selbst für alle Fälle genügend gesichert und verbrauchte für mich nach und nach ihr kleines Vermögen, indem sie so gut rechnete, daß es bei gehöriger Sparsamkeit auch für meine Universitätszeit und ein wenig darüber hinaus zureichen müßte. Ich würde vielleicht nicht studiert, sondern trotz meiner starken Neigung zur Philologie zu ihrer schnelleren Erleichterung ein praktisches Fach ergriffen haben, aber bei allem sonstigen fast freundschaftlichen Verhalten weihte sie mich in diese Verhältnisse nicht ein, um mir in der Wahl des [830] Lebensberufes die volle Freiheit zu lassen. Und ich war gar nicht bescheiden in meinen Ansprüchen. Ich wollte nicht Schulmeister, sondern Universitätsprofessor werden und mußte daher wünschen, Lehrer zu haben, die als Leuchten ihrer Wissenschaft galten. Dazu war ein häufiger Wechsel der Universität erforderlich. Meine gute Mutter sah leicht ein, daß ihre Mittel nicht ausreichen könnten, wenn wir eine getrennte Wirtschaft führten, und so entschloß sie sich, mich überall hin zu begleiten und selbst wie ein Student zu leben. Das ist ganz buchstäblich zu nehmen. Wir mieteten eine möblierte Stube, zu der ein Kämmerchen gehören mußte, in dem sie schlief. Wir aßen in billigen Speisehäusern, in denen Studenten zu verkehren pflegten. Wiederholt kam es auch vor, daß sie von meinen Bekannten, die sie auf diese Weise kennenlernte, gebeten wurde, ein ganzes Haus zu mieten und sie darin in Pension zu nehmen.
So verbrachte ich harmlos nicht weniger als zehn Semester in eifrigen Studien und meinte, noch immer nicht meinem wißbegierigen Drange genuggethan zu haben. Da sagte mir meine Mutter eines Abends, als ich wieder Reisepläne schmiedete: mein lieber Junge, es reicht nur noch für zwei Jahre; das bin ich dir schuldig, jetzt mitzuteilen. – Ich erschrak nicht wenig. Gewiß nicht über die Aussicht, nach so kurzer Zeit mittellos dazustehen, aber wohl über die plötzliche Enthüllung ihres eigenen, durch unglaubliche Opferwilligkeit herbeigeführten Notstandes. Es versteht sich von selbst, daß ich mich sofort zum Examen meldete – den ,Doktor‘ hatte ich schon vorher gemacht – und, nachdem ich es ihren Erwartungen entsprechend bestanden, mich um Probejahr meldete, nur noch auf eine baldige Anstellung bedacht. Aber das war gar nicht nach ihrem Sinn. Ich sagte dir doch, daß es noch für zwei Jahre reiche, schalt sie; warum also diesen kleinen Vorteil nicht ausnutzen? Sie ließ mir keine Ruhe, bis ich das Buch schrieb, das längst vorbereitet war, und mich als Privatdocent habilitierte. Von sich behauptete sie, nicht ausreichend beschäftigt zu sein, und eröffnete ein Pensionat, natürlich, um unser Einkommen zu verbessern. Ich wurde Professor. Seit ich, vor einigen Jahren schon, zum Ordinarius ernannt bin, konnte sie sich, ohne ihr Gewissen zu beschweren, zur Ruhe setzen.
Das war meine Mutter. Leider konnte sie sich nicht bis in ein hohes Alter hinein der Früchte ihres aufopfernden Fleißes, ihrer zärtlichen Sorge erfreuen. Nicht einmal der sehnliche Wunsch ist ihr erfüllt worden, die kleine Wirtschaft einem lieben Schwiegertöchterchen abtreten zu können. Mein Versunkensein in die Arbeit, mein geringes Bedürfnis nach geselligem Umgang, meine Ungeschicklichkeit … Ich will davon nicht reden. Solange ich sie hatte, vermißte ich auch nichts. Nun ist sie – hinüber, und ich fühle meine Verlassenheit um so schmerzlicher, als sie mir alles war. –“ Er wendete sich dem Grabe zu und faltete die Hände. „Mein gutes – gutes Mütterchen!“ murmelten seine Lippen kaum hörbar.
Seine einfache Erzählung hatte mich tief bewegt. Ich trat hinter ihn und legte die Hand leise auf seinen Arm. „Ich danke Ihnen,“ sagte ich, „Sie haben mir wohlgethan.“ Er griff nach meiner Hand und küßte sie. „O, daß ich Ihnen von ihr sprechen durfte –!“ rief er und nickte mir freundlich zu.
Es war schon recht dunkel geworden. Ich ging, und er folgte mir diesmal. Wir schritten schweigend nebeneinander den Hauptweg hinab und zur Pforte hinaus. Auch dann verabschiedete er sich nicht. Er fing nun von einer großen Arbeit zu erzählen an, die er unter Händen hätte, und wie seine Mutter verständnisvoll sich über deren Fortschritt gefreut. Im Eifer schob er seinen Arm unter den meinen. Ich mochte wohl ein wenig gezuckt haben, denn er bemerkte: „Verzeihen Sie, Fräulein Lina – ich pflegte so mit meiner Mutter zu gehen. Die alte liebe Gewohnheit …“ Er zog die Hand auch nicht zurück. Vor unserem Hause blieb ich stehen und machte mich frei. Er blickte mich verwundert an. „Ich wohne hier.“
„Sie wohnen hier? Was ist denn das für eine Straße? Ah, richtig! Und die Nummer? Elf. Das will ich mir doch merken.“
„Adieu, Herr Professor!“
„Adieu, mein liebes Fräulein. – Elf – elf – elf …“
Ich muß ihm viel von meinem Vater erzählen. Er kann gar nicht genug davon haben. Mir selbst macht’s Freude. Ich schildere ihn in seiner launigen Art bei allen kleinen Wechselfällen des häuslichen Lebens und suche mir seine Worte genau ins Gedächtnis zurückzubringen. Es werden lauter Anekdoten daraus. Es mischt sich aber auch gar viel Rührendes ein. „Sie haben seinen Humor geerbt,“ bemerkte der Professor mehr als einmal.
Aus einem alten Vorrat von Visitenkartenphotographien brachte ich ihm ein Blättchen mit. Er fragte gleich eifrig, ob er’s behalten dürfe; er möchte das gute, freundliche Gesicht immer gegenwärtig haben. Ich freute mich darüber und ließ ihm das kleine Bild gern.
„Wie verschieden die beiden waren, die hier friedlich nebeneinander ruhen,“ sagte er auch. „Und doch wären sie gewiß gute Freunde geworden. Meine Mutter brachte es nicht so heraus, aber es war auch ihre Weise, die Dinge nicht schwer zu nehmen und für alles Widersprechende und Widerstrebende im Gemüt einen Ausgleich zu suchen. Hell zu lachen gelang ihr selten, aber aus ihren Augen blickte immer der Sonnenschein, von dem ihr Herz voll war.“
Manchmal bin ich mir ganz böse, daß ich so bald schon an des Vaters Grab gar nicht so traurig bin, als ich gemeint hatte, mein ganzes Leben lang sein zu müssen. Daran ist einzig und allein der Professor schuld, der sich aber den gleichen Vorwurf macht.
Heute sagte ich ihm, daß wir uns nun wohl in längerer Zeit nicht mehr auf dem Friedhof treffen würden. Die Sonne gehe schon so früh unter, daß ich eine andere Stunde wählen müsse, in der er jedenfalls beschäftigt sei. Darüber sprach er sich ganz unglücklich aus – mit Worten, die er gar nicht recht bedacht haben konnte. Das wenigste war noch, daß er mit dem ernstesten Gesicht versicherte, der Tag, an dem er mich nicht sehe und spreche, zähle für ihn schon gar nicht. Er beschwor mich, von diesem „entsetzlichen Beschluß“ abzustehen. Ich sei ja in seinem Schutz, und er verpflichte sich, mich jedesmal nach Hause zu bringen.
Ich konnte nur wiederholen, was ich schon gesagt hatte. Es that mir aber selbst recht leid, daß ich mich so streng beweisen mußte. Die Mutter hatte sich schon genug über meine Friedhofsbesuche im Halbdunkel verwundert. Er begleitete mich auch diesmal bis zu unserer Wohnung und hätte offenbar das Gespräch an der Hausthür gern noch ein Viertelstündchen fortgesetzt. Er nahm ganz gerührten Abschied.
Ich denke … Aber das schreibe ich lieber nicht hin.
Wir waren vorgestern am Vormittag auf dem Friedhof. Gestern tobte ein abscheulicher Sturm; die Mama ließ mich auch nicht allein fort. Heute aber hatte das Wetter sich wieder ziemlich abgestillt; es war nur recht empfindlich kalt.
Als ich in den Weg zum Grabe einbog, kam mir der Professor mit raschen Schritten entgegen, die Arme ausbreitend, als ob er mich umfassen wollte. „So hab’ ich doch nicht umsonst gewartet!“ rief er. „Zu irgend einer Zeit mußten Sie doch kommen – und ich wäre geblieben bis zur letzten Viertelstunde vor dem Kolleg. Wissen Sie, daß ich schon gestern abend bei Ihrer Frau Mutter anklopfen wollte?“ fragte er dann verlegen lächelnd. „Aber ich fand das Haus nicht. Wirklich, ich fand das Haus nicht. Ich habe immer, wenn ich mit Ihnen ging, zu wenig darauf geachtet – und eins sieht in der Straße wie das andere aus.
„Aber eins hat doch nur die Nummer elf.“
„Elf!“ rief er. „Ganz recht, nun fällt mir’s ein, daß Sie mir sagten … Aber wer denkt an so etwas, wenn er seiner Sache ganz sicher zu sein glaubt?“
An den Gräbern, deren Rosen die Sonne hell beschien, fand er, daß sich zu dieser Jahreszeit wirklich der Besuch am Mittag empfehle. „Im Frühling am Morgen,“ setzte er hinzu. „Ich stelle mir’s ganz reizend vor, hier die Sonne über die Dächer und Türme der Stadt aufsteigen und rings um die Ruhestätten der Toten die Natur erwachen zu sehen. In den Büschen, Hecken und Laubkronen singen gewiß hier die Vögel ganz ungestört. Man wäre für den ganzen Tag gestärkt.“
„Ich könnte mir’s recht hübsch denken,“ entgegnete ich, „aber –“ … Ich zögerte ein paar Sekunden lang, ob ich’s heraussprechen sollte, was mir plötzlich in den Sinn kam. Warum? Und warum nicht? Ich that’s. Wer könnte wissen, ob ich im Frühjahr noch hier sein würde, oder auch nur so in der Nähe. [831] daß ich mir häufiger die Freude eines Besuchs gönnen könnte – zumal am frühen Morgen.
Die Wirkung dieser Worte auf den Professor war fast beängstigend. Von seinem Gesicht ließ sich die Anstrengung ablesen, sie zu verstehen. Dann richtete er auf mich einen erschrockenen Blick, stieß ein paar Laute aus und räusperte sich, als ob ihm der Hals zugeschnürt sei. „Sie – wollen fort – Fräulein Lina –?“ stotterte er.
„Ich will nicht,“ antwortete ich, „aber ich weiß nicht, ob ich nicht werde müssen. Meine Mutter sprach von der Notwendigkeit, nach einer kleinen Stadt zu ziehen.“
„Das ist ja rein unmöglich!“ rief er. „Und weshalb –?“
Ich machte ihn vorsichtig mit unsern Verhältnissen bekannt. Wenn man auf ziemlich großem Fuß gelebt habe und sich plötzlich sehr einzuschränken genötigt sei, empfehle sich’s vielleicht, wenigstens für eine Weile, den Leuten ganz aus den Augen zu gehen. Aber ein fester Entschluß sei noch nicht gefaßt.
Er nahm den Hut ab, als würde ihm heiß, und wiegte den Kopf, immer von Zeit zu Zeit nach mir hinüber blickend. „ So – so – so – so … Das habe ich gar nicht geahnt, daß Sie – daß Sie gewissermaßen in bedrängter Lage – Ja, wenn man in hoher amtlicher Stellung – und ohne Vermögen …“
Ich leitete das Gespräch auf ein anderes Gebiet über. Er blieb aber nachdenklich und zerstreut. Als ich mich bald verabschiedete, vergaß er sogar, mir die Hand zu reichen. Es schien ihm auch gar nicht einzufallen, mir seine Begleitung anzubieten.
Ob ich dem Professor unrecht thue? Er war wirklich gestern recht sonderbar. Wie man zu sagen pflegt: mit kaltem Wasser begossen. Ein armes Mädchen –! darauf war er nicht vorbereitet. – Ich verspätete mich heute absichtlich. Aber es war keineswegs nötig. Er mußte schon viel vor der Zeit gekommen und gleich wieder fortgegangen sein. Ich fand auf dem Rasen, durch einen kleinen Stein beschwert, einen mit Bleifeder geschriebenen Zettel: „Muß heute leider ausbleiben: ein Doktorexamen beansprucht mich wahrscheinlich über Mittag hinaus. Ehrerbietigsten Gruß.“
Kein Zweifel, die Abhaltung war nicht vorgeschützt. Er konnte auch erst am Abend erfahren haben, daß er bei dem Examen thätig sein müsse. Vielleicht war ein Kollege plötzlich erkrankt. Und doch, es verstimmte mich, daß gerade heute … Als ob dabei eine Absicht gewesen wäre. Das Entschuldigungsschreiben war auch so kühl gehalten. Knapper konnte der Grund des Fortbleibens gar nicht angegeben werden. Und ohne jede Anrede – er schien sonst ein rechtes Vergnügen daran zu haben, überall recht überflüssig sein „Fräulein Lina“ einzufügen – und „ehrerbietigsten Gruß“. Ehrerbietigsten! Wie an eine Respektsperson. Nicht einmal eine Unterschrift.
Ja, eine arme Geheimratstochter …
Unsinn! Unsinn! und nochmals Unsinn! Erstens: was geht es mich an? Und zweitens – es war doch recht liebenswürdig, daß er sich abmeldete und mit dem Zettel dorthin lief, so wenig Zeit er gewiß hatte. Er mußte wohl auch an die Möglichkeit denken, daß die Schrift in unrechte Hände kam; da beschränkte er sich auf das Notwendigste und schloß mit einer höflichen Verbeugung. Zu nennen brauchte sich mir ja der Schreiber nicht. Das wird er gewiß bedacht haben.
Auf Vaters Grabe lag ein prächtiger Blumenstrauß. „Der gehört dorthin,“ sagte ich und zeigte auf den andern Hügel.
„Nein, er gehört dorthin, wo er liegt, Fräulein Lina,“ antwortete er mit komischer Schneidigkeit. „Ich weiß nicht, ob Sie ihn angenommen haben würden, wenn ich ihn Ihnen überreicht hätte. Aber dagegen werden Sie doch nichts einwenden können, daß ich als ein Zeichen wärmster Verehrung für – für – für … nun ja, für Sie – das Grab des Mannes schmücke, der Ihnen im Leben der teuerste war. Ich glaube wenigstens annehmen zu dürfen, daß kein anderer …“ Die Stimme wurde plötzlich leise und unsicher, die Stirne rot. „Thun Sie mir die Liebe, Fräulein Lina, und lassen Sie den Strauß da – verwelken.“
„Sie haben recht,“ erwiderte ich, „keiner war mir teurer als er. Herzlichen Dank!“ – Ich reichte ihm die Hand, und er küßte sie übereifrig. Er schien sich sehr erleichtert zu fühlen.
„Das war gestern ein schlimmer Tag,“ fuhr er fort. „Ich glaube, ich habe dem armen Kandidaten Fragen vorgelegt, die ich selbst nicht hätte beantworten können. Was mir aber auch im Kopf herumging –! Fräulein Lina – Sie müssen noch einmal recht eindringlich mit Ihrer Frau Mutter sprechen. Sollte es denn wirklich durchaus nötig sein, daß Sie – von hier fort …“
Es sei ja noch keine endgültige Entscheidung getroffen, entgegnete ich, wennschon sie sich nicht lange werde aufschieben lassen. Jedenfalls könne ich nun darüber beruhigt sein, daß des Vaters Grab in bester Obhut zurückbleibe.
„Ach – das!“ rief er ganz ärgerlich. Das verstände sich ja von selbst – das! „Als ob er mein eigener Vater –! Aber–! Aber …“ Er setzte sich unvermutet in Bewegung, ging einige Schritte vor, kehrte zurück, umkreiste die beiden Hügel, trat endlich zwischen sie, wo ich stand, und ergriff meine Hand. „Fräulein Lina – gäb’s denn kein Mittel, vorzubeugen, daß ein so bedauerlicher Beschluß – jemals – gefaßt werden könnte?“
Ich zuckte die Achseln.
„Aber ich wüßte eins! Jetzt, wo Sie mich freundschaftlich in Ihre Sorgen eingeweiht haben – jetzt wüßte ich wohl eins. Freilich, es forderte Ihrerseits ein großes Opfer. Ich kann es nur nennen, weil ich bedenke, wie schwer es Ihnen fallen würde, das Grab Ihres teuren Vaters zu missen. Vielleicht … Ja, ich nenne es: Wenn Sie sich mit mir verheirateten –“
„Herr Professor!“ unterbrach ich ihn, wirklich erschreckt über diese sonderbare Liebeserklärung.
„Ja, ich weiß, ich weiß,“ eiferte er weiter und zerdrückte dabei fast meine Hand. „Es wäre ein großes Opfer. Ich bin so viel älter als Sie – und wirklich schon recht alt. Jedenfalls über meine Jahre alt – und häßlich – und ein Mensch, der immer hinter seinen Büchern gesessen hat und so wenig Anlage besitzt, das Leben gesellig zu genießen, und der nicht einmal mit Glücksgütern gesegnet ist. Und Sie dagegen – abgesehen davon, daß Sie auch nicht mit Glücksgütern gesegnet sind, was Ihnen aber gar nichts schadet – Sie dagegen, Fräulein Lina …“
Ja, was er nun von mir sagte, das kann ich gar nicht aufschreiben. Es war aber sehr schmeichelhaft für mich, und er mußte wohl merken, daß ich gar nicht böse darüber wurde, denn er steigerte seine Lobeserhebungen fortwährend und sprach zuletzt mit immer vergnügterem Gesicht wirklich nur noch dummes Zeug.
„Aber, mein Himmel!“ fiel ich zuletzt ein, „wenn Sie das alles, was Sie da sagen, für wahr halten – – am Ende lieben Sie mich dann wohl gar?“
Er war ganz Staunen. „Das sprach Ihres Vaters Tochter!“ rief er. „Das Wichtigste ließ ich ungesagt – freilich auch das Selbstverständlichste. Natürlich liebe ich Sie – und wie keinen Menschen auf der Welt! Es ist, als ob Sie an Stelle meiner Mutter … Nein, ganz anders, ganz anders – aber ganz anders. Ob Sie jedoch, Fräulein Lina – – – – – – –“
Ich habe nicht die Geduld, die Begebenheiten dieses merkwürdigen Tages in allen Einzelheiten aufzuschreiben. Ich erinnere mich auch nicht mehr, was ich weiter gesprochen habe und was er. Ich weiß auch nicht, wie es kam, daß wir einander plötzlich in den Armen lagen, unbekümmert darum, ob man uns etwa beobachtete, und wie man’s auslegte. Einen Augenblick nur. Dann waren wir ganz vernünftig und hielten einander nur noch bei den Händen, lachten und weinten. – „Soll sie’s gleich wissen?“ fragte er. Ich wußte, wen er meinte, und nickte.
Und dann gingen wir bei hellem, lichtem Tage Arm in Arm über die Straße nach Hause.
Die Mama war gar nicht so überrascht, als ich voraussetzte, aber tief gerührt, nun sie ihren Segen gab. – „Ja, ja – Ehen werden im Himmel geschlossen,“ sagte sie.
„Wenn der Papa das erlebt hätte!“
„Und meine Mutter –!“
Ich lehnte mich an seine Brust. – „Aber das war ja unmöglich, Max! Zwischen Gräbern haben wir uns fürs Leben gefunden.“
[832]
Alle Rechte vorbehalten.
Weihnachtsgeschenke in alter Zeit.
Wieder sind die Tage gekommen, da wunderbare Gestalten das Sinnen und Denken der kleinen, noch leichtgläubigen Kinder mächtig beschäftigen. An dunklen Winterabenden, vermummt in Pelze und Mäntel, aus denen nur der lange weiße Bart hervorschaut, mit Sack und Bündel bepackt und eine Rute in der Hand, schreiten sie auf verschneiten Wegen von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf: Ruprecht, Martin, Nikolaus heißen sie und sind Sendboten des Christkinds, bringen den artigen Kindern Aepfel und Nüsse, Kuchen und Spielzeug und drohen den unfolgsamen mit der Rute. Nur wenige Jahre pflegt die Täuschung zu gelingen; die klüger gewordenen Kleinen merken bald die Vermummung; hinter der Maske des Knechtes Ruprecht wird ein Onkel und unter dem Mantel des Nikolaus eine Tante richtig vermutet. Und mit der Erkenntnis schwindet aus dem Leben ein Stück naiver Märchenpoesie. Wir können diesen Verlust freilich leicht verschmerzen, denn die heutige deutsche Weihnachtsfeier mit der Bescherung unter dem lichterstrahlenden Christbaum übt einen tieferen mächtigeren Zauber, der die Herzen noch mehr ergreift. Trotzdem sollten wir die Vermummung des alten Ruprechts nicht ohne weiteres in die Rumpelkammer werfen; bei allen Freuden des heutigen Weihnachtsfestes sollten wir nicht vergessen, daß Ruprecht und seine Genossen die ersten Vorläufer der Weihnachtsbescherung waren.
In uralte Zeiten wollen wir uns zurückdenken, da in Deutschlands Gauen das Licht des Christentums noch nicht erstrahlte. Damals wohnten unsere Vorfahren nicht in festen Burgen und gemauerten Städten. Sie hausten zerstreut im Lande und waren weniger Ackerbauer als vielmehr Viehzüchter. Herden von Pferden, Rindern und Schweinen bildeten ihren Hauptreichtum, und durch diese Beschäftigung waren ihre Feste beeinflußt. Mit Freuden begrüßten sie den Frühling, mit dem die Zeit der Weiden und der Ackerbestellung begann, und zu freudigen Festen gab ihnen auch der Wintersanfang Anlaß, da die Ernte eingeheimst war und das wohlgenährte Vieh von den Weiden heimgetrieben wurde. Zu Anfang November veranstaltete man große Schmäuse, schwelgte in Roßfleisch, Schweinen und Gänsebraten, vergaß aber in den frohen Tagen auch der Götter nicht, die den Menschen Gutes erwiesen hatten. Zu ihren Ehren wurden Umzüge veranstaltet, und bei diesen Festen erschienen auch die Urbilder von Martin, Klaus und Ruprecht. Ein weiser Hirte oder ein Priester nahte dem Herdenbesitzer, gab ihm eine Birkenrute oder einen Zweig grünen Wacholders und beschenkte die Kinder mit Aepfeln und Nüssen. Aus dem Walde stammten diese Gaben, und wer da weiß, welche Bedeutung der Wald und seine Bäume in dem Glauben der germanischen Völker hatten, wird leicht den Sinn der Spenden erraten.
In den Waldbäumen lebten Geister aller Art, Holde und Unholde, und die Holden brachte man ins Haus oder in das Dorf, damit sie den Menschen Schutz gewährten. Die Birke, die am frühesten grünte, war ursprünglich den indogermanischen Völkern vor allem als der Sitz guter Geister heilig, und Birken oder Maien holte man mit Vorliebe aus dem Walde; noch heute ist die Sitte in der Aufstellung des Maibaumes in vielen Gegenden erhalten und noch heute werden neu errichtete Gebäude nach altem Brauch mit einem Birkenbäumchen gekrönt. Neben der Birke galten auch die immergrünen Bäume als zauberkräftig und wurden für Winterfeste lieber als die um jene Zeit blätterlosen Birkenreiser verwendet. So waren die Gaben, die der Priester oder geisterkundige Mann bei dem großen Feste zu Winteranfang den Leuten überreichte, Geschenke guter Geister, und Wacholderzweige und Birkenruten sollten während der rauhen Jahreszeit Menschen und Vieh, Haus und Hof vor Ungemach beschützen.
Den alten heidnischen Brauch vermochte das Christentum nicht zu verdrängen, die Kirche mußte ihn dulden, aber aus der heidnischen Gestalt machte sie einen Heiligen, so daß er fortan St. Martin oder St. Nikolaus hieß: in dieser Verkleidung wurde er allmählich dem Volke ein anderer: schließlich vergaß man die Bedeutung seines Hauptgeschenkes, der Rutenzweige. Als vollends die alten Winterfeste der Deutschen in der christlichen Weihnachtsfeier aufgingen, wurde Ruprecht ein Sendbote des Christkindes und die Rute in seiner Hand als Zuchtmittel für unartige Kinder betrachtet. Der schützende immergrüne Busch, den die Indogermanen für die rauhe Winterszeit in ihre Wohnstätte brachten, sollte aber in einer anderen Weise wieder zu Ehren kommen. Sicher ist aus diesem Segenszweige, den man aus dem Walde holte und vielfach mit buntem Schmuck versah, im Laufe der Zeiten und auf Umwegen, die wir nicht mehr genau feststellen können, der deutsche Weihnachtsbaum entstanden.
In die ferne heidnische Vergangenheit reichen auch einige der verschiedenartigen süßen Gebäckarten zurück, die um die Weihnachtszeit verschenkt werden. Kuchen in Gestalt von Hörnern, Ebern und Pferden erinnern nur zu deutlich an die alten Opfertiere der Germanen.
Neben dem Christentum zog die römische Kultur in die Länder von Mitteleuropa ein und wirkte umgestaltend auf die Anschauungen, Sitten und Gewohnheiten der Völker. Mit dem römischen Recht breitete sich auch römischer Brauch in Deutschland aus. Vom Süden kam zu uns die Sitte, den Jahresanfang festlich zu begehen. In Rom wurde der Neujahrstag durch laute Festlichkeiten eingeleitet, an ihm brachte man Beamten und angesehenen Personen Glückwünsche dar, und an diese knüpfte sich die Ueberreichung von Geschenken. Diese Sitte war so fest eingebürgert, daß die Neujahrsgeschenke oder strenae an den Kaiser und die Senatoren schließlich als eine pflichtgemäße Abgabe betrachtet wurden.
Die christlichen Gemeinden behielten diesen Brauch bei, verwandelten ihn aber in dem milden Geiste des Evangeliums. Nicht nur der Herr sollte Geschenke empfangen; sie sollten auch dem Diener und vor allem dem Armen und Bedürftigen gereicht werden. Dadurch wurde das Schenken zu Neujahr ganz allgemein. Natürlich bestanden diese Gaben nicht aus Nüssen und Aepfeln oder süßem Gebäck, sondern in nützlichen, selbst kostbaren Gegenständen und in barem Gelde.
Während des Mittelalters herrschte indessen, was das Kalenderwesen anbelangt, einige Verwirrung. Das neue Jahr begann nicht überall an einem und demselben Tage. Nach dem römisch-julianischen Kalender sollte der Neujahrstag auf den 1. Januar fallen. Gegen diesen Termin eiferte anfangs die Kirche, weil an ihm die Römer das ausgelassene Fest der Saturnalien begingen. So wurde von den einen der 1. März als Neujahrstag festgesetzt, und so rechnete z. B. die Republik Venedig bis zu ihrem Untergange; andere bestimmten den 25. März, den Tag Mariä Verkündigung, als den Jahresanfang, und dieses „Marienjahr“ galt z. B. auf deutschem Gebiete in den Diöcesen Trier und Köln lange Zeit. Es gab ferner ein „Osterjahr“, indem man das neue Jahr vom Ostersonntage oder vom Karfreitage an rechnete. Der größten Verbreitung erfreute sich aber während des Mittelalters in Deutschland der 25. Dezember, der Tag von Christi Geburt, als Jahresanfang; er wurde erst allmählich im Laufe des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts durch den heute üblichen Neujahrstag, den ersten Januar, verdrängt.
Auf diese Weise kam es, daß in Deutschland während langer Jahrhunderte die christliche Weihnachtsfeier mit Gottesdienst, religiösen Schauspielen und Krippenausstellungen und das Neujahrsfest mit den Glückwünschen und Geschenken an einem und demselben Tage begangen wurden. Je mehr die neuen Sitten sich einbürgerten, zu einem um so größeren Feste gestaltete sich Weihnachten, und es war durchaus natürlich, daß nunmehr althergebrachte einheimische Volksbelustigungen, die man ursprünglich im November und Anfang Dezember abhielt, auf die Weihnachtszeit verlegt wurden. Jetzt erschienen Ruprecht, Martin und Nikolaus als Vorboten oder Sendboten des Christkinds und die Lust am schenken nahm immer mehr zu: die Bezeichnung „Neujahrsgeschenke“ wurde allmählich durch den Namen „Weihnachtsgeschenke“ verdrängt.
[833] Nur allzuleicht verwandelt sich alter Brauch in gutes Recht. Leute, die jahraus jahrein beschenkt wurden, erachteten schließlich, daß Weihnachtsgeschenke ihnen von Rechts wegen zukommen. Das Gesinde forderte sie von der Herrschaft. Das gab nun zu Mißhelligkeiten Anlaß, und die Behörde sah sich veranlaßt, gegen diesen Mißbrauch einzuschreiten. Alexander Tille giebt in seiner „Geschichte der deutschen Weihnacht“ (Leipzig, Ernst Keil’s Nachf.) einige Belege dafür. Eine sächsische „Polizey Ordnung“ aus dem Jahre 1661 gebietet: „Darunter denn billig zu ziehen, daß an etlichen Orten denen Knechten und Mägden Jahrmärckte, Christ- und Neujahrs-Geschenke, oder andere Verehrungen über gesetzten Lohn, so bis weilen eben so hoch kommet, bishero zur Ungebühr mit einbedinget, und fast abgezwungen worden. Wie wir nun solches und andres, wordurch sonsten unserer hierbei habenden Intension zuwider geschehen könnte, gleicher Gestalt gäntzlich aufheben; Also soll Herr, Frau, Knechte, oder Mägde, so dergleichen Begünstigungen unter einander verüben, mit der Helffte der vorgesetzten Straffe, als 5 Thaler, von Gerichten beleget, und dem Dienstbothen sein ordentliches halbes Lohn neben dem Geschenke weggenommen werden; Jedoch, wofern ein, oder ander Herr, oder Frau einem Dienst-Bothen, so ihn oder ihr vor andern lang und treulich gedienet, aus freyem Willen, ein leydliches zum H. Christ und zu Veranlassung fernerer fleißigen Dienste verehren wollte, solches bleibet ihnen ungewehret.“
Die Sitte der Neujahrs- oder Christgeschenke fand jedoch
nicht überall Anklang. Es gab Leute, die sie für einen unnützen
Luxus hielten und dagegen sogar in Druckschriften eiferten.
An manchen Orten schloß sich ihnen die Behörde an. Wie sie
den Luxus in Kleidung, bei Tauffestlichkeiten und Hochzeiten
durch allerlei „Ordnungen“ einzuschränken suchte, erließ sie
auch gegen eine übermäßige Freigebigkeit um die Weihnachtszeit
Verbote oder untersagte die Geschenke gänzlich. Die nüchterne,
knauserige Anschauung konnte sich jedoch nicht behaupten.
Die Ueberreichung der Gaben war indessen an feste allgemein übliche Formen nicht gebunden. Der Herr überreichte sie einfach dem Gesinde; Freunde, Verwandte und Bekannte sandten sie sich zu. Originell hat sich diese Zusendung im Norden, in Pommern und Mecklenburg, gestaltet. Die Geschenke wurden dort in zahlreiche Hüllen eingewickelt und auf die einzelnen Pakete die Namen derjenigen geschrieben, für die sie bestimmt waren. Das Paket wurde dann von irgend jemand in das Zimmer geworfen. Im Anschluß an das nordische Julfest, das im Mittwinter gefeiert wurde, erhielten diese Geschenke den Namen Julklapp. Die schöne Sitte besteht in den genannten Ländern noch heute und giebt zu freudigen Ueberraschungen und lustigen Neckereien Anlaß.
In der allgemeinen Freude, die um Weihnachten herrschte, durften natürlich auch die Kinder nicht leer ausgehen. Auch sie wurden reichlich beschenkt, aber nicht in der gewöhnlichen Weise wie die Erwachsenen; man suchte ihnen die Ueberreichung der Gaben anmutiger zu gestalten. Den Kleinen sandte das Christkind die Geschenke und als fleißigen Boten stellte es den heiligen Nikolaus oder Knecht Ruprecht an. Dieser brachte die Geschenke, die in ein Bündel eingepackt waren, ins Haus und legte zur Warnung noch eine Rute bei.
Das Bündel hieß die „Christbürden“, und sein Inhalt war ebenso mannigfaltig wie die heutige Bescherung der Kleinen. In den „Christbürden“ fanden sich Aepfel und Nüsse und allerlei Süßigkeiten vor; die Hauptsache bildete aber das Spielzeug. Die Verfertigung desselben stand in Deutschland schon am Ausgang des Mittelalters in hoher Blüte; namentlich in den Städten Nürnberg und Augsburg sorgten jahraus jahrein erfinderische Köpfe und fleißige Hände für Belustigung der Kleinen. Puppen aller Art, Puppenstuben und Puppenküchen, Schachteln mit Soldaten und Tieren wurden von den gewerbfleißigen Städten in die weite Welt versandt, und schon im siebzehnten Jahrhundert verbreiteten sich die Weihnachtsmärkte, auf denen das Kinderspielzeug einen der wichtigsten Handelsartikel bildete.
[834] In die „Christbürden“ waren aber auch nützliche Sachen eingepackt. Neben neuen Kleidern schenkte man besonders gern Schulsachen oder „Scholasticalia“, wie z. B. „Abctefflin“, Schreibzeuge, Papier und Tintenfässer; ja auch die Weihnachtslitteratur für die Jugend erstand frühzeitig in Gestalt von Bilderbüchern.
Nicht überall erhielten jedoch die Kinder ihr Christgeschenk zu Hause; an manchen Orten wurde es ihnen beim Gottesdienst in der Kirche überreicht. Aus den alten Weihnachtsumzügen entwickelte sich auch die Sitte, daß die Kinder unter Absingen von Liedern von Haus zu Haus zogen und kleine Geschenke, die zumeist in Aepfeln, Nüssen und Gebäck bestanden, einsammelten. Zuletzt thaten es nur noch Kinder ärmerer Leute, die dafür auch mit Geld beschenkt wurden.
Die „Christbürden“ reichten jedoch nicht, um die Geschenke, die für Kinder der Fürsten und reicherer Leute bestimmt waren, zu fassen. Diesen wurde die Bescherung auf einer Tafel aufgebaut. Das reizte wohl auch in anderen Ständen zur Nachahmung. Dazu kam noch, daß die langen Winterabende auch im bürgerlichen Hause sich gemütlicher gestalteten. In den früheren Zeiten konnte man mit dem qualmenden Kienspan oder den rußenden cylinderlosen Oellampen keine angenehme Beleuchtung der Wohnräume erzielen. Nun gewann die Kerze eine immer weitere Verbreitung. Ursprünglich nur in der Kirche verwendet, erleuchtete sie lange Zeit die Gemächer der Reichen; dann aber wurde sie zum Gemeingut aller. Im Lichterschein wurden zuerst die Gaben für die Kinder auf dem Tische ausgebreitet: später kamen auch die Geschenke für Erwachsene auf denselben Platz, und so entstand die deutsche Weihnachtsbescherung, die, zuletzt vom Glanze des Christbaumes verklärt, zum schönsten Familienfeste wurde.
In andern Ländern sind die Neujahrsgeschenke nicht auf das Christfest übergegangen. In Frankreich z. B. beschenkt man sich nach wie vor zu Neujahr. Bei uns lebt dieser mehr römische Brauch nur hier und dort kümmerlich fort. Es kommen an einem Orte zu Neujahr Schornsteinfeger ins Haus, um Glückwünsche darzubringen, und erhalten dafür ein kleines Trinkgeld. Der Bäcker schenkt in einer anderen Stadt seinen treuen Kunden zu Neujahr einen Kuchen oder der Fleischer eine Wurst. Aber auch diese Sitten schwinden mehr und mehr dahin. Wir begnügen uns am Neujahr mit Glückwünschen, Weihnachten aber bleibt dauernd das große Fest der Liebesgaben.
BLÄTTER UND BLÜTEN
Zu unseren Weihnachtsbildern. Dem schönsten aller Feste sind die Bilder gewidmet, die unser heutiges Halbheft schmücken. Sie spiegeln den Zauber wider, der so mannigfaltig Weihnachten durchdringt und um diese Zeit die Herzen der Menschen bewegt. Das große Ereignis der Geburt des Heilands, der Licht und Frieden der Welt brachte, hat seit jeher die Künstler zu allegorischen Darstellungen begeistert.
Dieser Art ist auch das stimmungsvolle Bild auf S. 808 und 809, in welchem F. Brütt uns mit einfachen, aber ergreifend wirkenden Mitteln die Weihe der „Heiligen Nacht“ vor Augen führt. In einem durch tiefe Schatten unbestimmt gehaltenen Raume kniet, in innigem Gebet versunken, die Mutter Maria neben dem Kindlein, von dem das strahlende Licht ausgeht; Engelsgestalten schweben herbei und drücken symbolisch das Staunen und die Freude der Unschuldigen und Reinen über das himmlische Wunder aus. – Vor die Christkrippe führt uns ferner die Kunstbeilage „Die Andächtigen“ von Walther Firle.
Sie ist die gelungene Wiedergabe einer Studie, welche der Maler zu seinem vielgerühmten Bilde „Die Heilige Nacht“ gemacht hat. Dasselbe wurde auf der Kunstausstellung in München mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet und befindet sich gegenwärtig in dem Museum zu Bremen. Auf unserer Kunstbeilage sind die Andächtigen vor der Krippe versammelt, von der das Licht ausstrahlt. Meisterhaft ist die Charakteristik der einzelnen Köpfe. – Echte Weihnachtsstimmung weht uns aus dem Püttnerschen Bilde „Gang zur Christmette“ (S. 817) entgegen. Das Silberlicht des Mondes verklärt das romantische Gemäuer eines alten Burghofes; weicher Schnee deckt das Pflaster und schimmert auf Dächern und Simsen und durch die Burgpforte wandern die Stadtbewohner in die hellerleuchtete Kirche, um dem Gottesdienst beizuwohnen. – Weihnachtsfreuden im Hause stellen die übrigen Bilder dar. Zu dem schlummernden Mädel auf Mocks reizender Vignette „Der Weihnachtstraum“ (S. 835) steigen vom Himmel die lieben Engelein mit herrlichen Gaben und dem duftenden Tannenbaum hernieder. Auf dem Bildchen von G. Schöbel (S. 836) naht der Träume Erfüllung. „Der Weihnachtsmann ist da!“ schallt es fröhlich durch die Stube und das vierblättrige Kleeblatt belagert ungeduldig die Thür zu dem „Salon“, in welchem die geheimnisvollen Vorbereitungen getroffen werden. Durch Schlüsselloch und Ritzen suchen die Kleinen wenigstens einen flüchtigen Blick auf die Herrlichkeiten der Bescherung zu erhaschen. – Einsame Weihnachten, fernab vom elterlichen Hause verleben die beiden Mädchen auf dem farbigen Bilde von R. Beyschlag „Weihnachtsabend in der Dachstube“ (S. 812). Aus dem kleinen Städtchen sind sie hinausgezogen in die Fremde, um ihren Unterhalt sich zu erwerben. Die jungen Verwandten haben sich ein Weihnachtsbäumchen geschmückt und wollen zusammen den Heiligen Abend feiern. Da trifft zur rechten Zeit die Weihnachtskiste aus der Heimat ein, und der sie begleitende Brief wird nun mit freudestrahlenden Augen beim Glanz der Weihnachtskerzen vorgelesen. Verschwunden ist mit einem Schlage das traurig stimmende Heimweh; vereint mit Eltern und Geschwistern fühlen sich die beiden; denn über Berge und Steg findet die Liebe ihren Weg, und Zeit und Entfernung vermögen nicht ihre festen Bande zu lösen. *
Cotta’scher Musen-Almanach für das Jahr 1899. Wieder, und zwar zum neuntenmal liegt das zierliche Bändchen vor uns, in welchem Otto Braun und die Cotta’sche Buchhandlung alljährlich eine Blütenlese deutscher Lyrik darbieten, zusammengestellt aus Gaben unserer besten Dichter von Ruf und jüngerer nachstrebender Talente, die in deren Bahnen wandeln. Wie verschiedenartig die Physiognomie der neuesten deutschen Dichtung ist, das zeigt auch diese Sammlung. Darin besteht ja der Hauptreiz unseres deutschen Schrifttums, daß es frei ist von jeder Schablone und die Eigenart der Talente sich ungehemmt entfalten kann. Ausgeschlossen von dieser Sammlung ist nur das Geschmacklose, die poetische Grimasse, die bisweilen auch die Züge einer schönen Begabung entstellt. Wie immer eröffnen Erzählungen in Prosa den dichterischen Reigen. Eine größere Novelle von Adolf Stern, „Das Weihnachtsoratorium“, ist mit epischem Behagen ausgesponnen und hat dabei auch die überraschenden Wendungen, welche der guten Novelle nicht fehlen dürfen. Erinnerungen aus dem Schülerleben, dem Alumnat der Leipziger Thomasschule, Erinnerungen an den großen Meister Bach bilden den Grundton der Erzählung. Zwei Jugendfreunde, die sich fremd geworden, tauschen sie aus. Der eine, ein Pfarrer, ist im Begriff, die Pflegetochter eines ihm befreundeten alten Ehepaars zu heiraten; der andere, ein im Leben gescheiterter Komödiant, hat Zuflucht bei dem einstigen Schulkameraden gesucht. Es ergiebt sich, daß die Geliebte des Pfarrers die Tochter des verkommenen Schauspielers ist. Um dem ehelichen Glück des Freundes und der Tochter nicht im Wege zu sein, verläßt der frühere Vorsänger des Bachschen Kirchenchors den Ort und folgt den preußischen Werbern. Sinnig ist das Märchen, das uns Julius R. Haarhaus von den „Zwillingen von Teheran“ erzählt, und wenn der Großvezier und der Holzhacker gelegentlich die Rollen tauschen, so tritt in dieser märchenhaften Beleuchtung der ganze Karneval des Lebens uns vor Augen. In den poetischen Erzählungen und Balladen wechselt Ernstes und Heiteres ab. Die Spartanertragödie des „Pausanias“ hat Hermann Lingg in wuchtige Verse eingekleidet. Einer der drei Könige aus dem Morgenlande und die heilige Maria selbst stehn im Mittelpunkte der eigentümlich ergreifenden erzählenden Dichtung Max Haushofers „Chan Melchior“. Eine römische Orgie in Trier, „Bei Flöten und Theorben“, in welche die siegreichen Germanen treten, schildert uns Felix Dahn in farbenprächtigen Bildern; das wilde Meerweib „Ran“ Wilhelm Jensen in einem Gedicht von kräftig gedrängter Kürze; den von seiner Buhle Viviane vergifteten „Merlin“ Ernst Muellenbach in formschönen Strophen, „Herzog Friedrich Wilhelms letzte Meerfahrt“ anschaulich in wohllautenden Versen Max Hartung. Mehr heiterer Art sind „Ein Paris-Urteil“ von Karl Woermann, „Der rechte Gevatter“, als welcher der Tod erscheint, von Hans Hoffmann, „Der klassische Zeuge“ von Robert Waldmüller und
[835] „Kaiser Max in Nürnberg“, eine hübsch erzählte Anekdote, von Albert Möser. „Die Burgfrau“ von Ernst Ziel und die beiden Balladen von Heinrich Vierordt beweisen die Sprach- und Versgewandtheit dieser Dichter. Den Cyklus der lyrischen und vermischten Gedichte eröffnen zwei Veteranen, die dicht an den Pforten des achtzigsten Lebensjahres stehen, Hermann Lingg und Wilhelm Jordan, mit Gedichten von Gedankentiefe bei einer gewissen Sprödigkeit der Form; es folgen gemütvolle Lieder von Julius Rodenberg, sinnvolle Reflexionsgedichte von Friedrich Spielhagen, gereimte sapphische Strophen von Rudolf von Gottschall, ein originelles Zwiegespräch zwischen Vater und Sohn von Adolf Wilbrandt, anmutende lyrische Blätter und Blüten von dem Herausgeber Otto Braun, von Carl Busse, Gustav Falke, Martin Greif, Angelika v. Hörmann, H. Bulthaupt u. a., melodiöse Gedichte von Max Kalbeck, prächtige Distichen von Eduard Paulus. Die Spruchdichtung ist vertreten durch Friedrich Spielhagen, Georg Scherer und Martin Beerel. Drei anmutige Frauenbilder, die Loreley, ein Florentinisches Blumenmädchen und eine Schöne „in Erwartung“ schmücken das elegant ausgestattete Bändchen, ferner ein nordisches Jagdbild, das Genrebild „Ostermorgen“ und ein Landschaftsbild aus Sorrent. †
Frauen als Schrankenwärterinnen. Bei den deutschen Staatsbahnen mag es etwa 3000 Schrankenwärterinnen geben. Ihre Aufgabe ist, die Schranken (Barrieren) an den Eisenbahnübergängen beim Herannahen der Züge zu schließen und zu öffnen; daneben müssen sie die Uebergänge rein halten. Wie Schubert im „Archiv für Eisenbahnwesen“ mitteilt, haben sich die Frauen in diesem Amte außerordentlich gut bewährt, wenigstens soweit er dies bei den an der Strecke Lübbenau-Görlitz angestellten 98 Frauen zu beobachten Gelegenheit hatte. Es wird den Frauen nachgerühmt, daß sie äußerst zuverlässig und wachsam sind. Bei irgend einer nützlichen Beschäftigung in den Zwischenzeiten, wie Stricken, Nähen, Spulen, Flechten, bleiben sie doch auf den Dienst aufmerksam und munter. Wo die Männer an Wegübergängen mit den passierenden Fuhrwerksbegleitern vorher leicht in Streit gerieten, da wickelte sich die Sache unter der Aufsicht der allezeit zungenfertigen Frauen rasch und glatt ab. Auch anderwärts scheint man in dieser Hinsicht gute Erfahrungen mit den Frauen gemacht zu haben. Auch bei der Marienburg-Mlawka-Bahn sind z. B. 60 Schrankenwärterinnen im Amte. Bd.
W. H. Riehls Geschichten und Novellen. Es ist gerade ein Jahr her, daß der Tod Wilhelm Heinrich Riehls uns zum Anlaß wurde, in einem Nachruf die gesunde Volkstümlichkeit und den echt deutschen Charakter seines Denkens und Dichtens zu rühmen. Die fünfzig Geschichten und Novellen, die er uns in den sieben Bänden „Kulturhistorische Novellen“, „Geschichten aus alter Zeit“, „Neues Novellenbuch“, „Am Feierabend“, „Aus der Ecke“ und „Lebensrätsel“ hinterlassen, sind deutsche Volkserzählungen im besten und höchsten Sinne. Mit ganz besonderer Genugthuung begrüßen wir es daher, daß die Verlagshandlung es unternommen hat, der Nation dieses kostbare Erbe in einer Volksausgabe zu billigem Preise darzubieten, von welcher die ersten Lieferungen nun vorliegen. In Bezug auf die äußere Ausstattung schließt sich das Unternehmen den gediegenen Volksausgaben der Schriften Berthold Auerbachs und Ludwig Anzengrubers an, welche im Laufe der letzten Jahre im gleichen Verlage erschienen sind.
Riehls Novellen beschränken sich nicht auf die Schilderung des Volkslebens einer bestimmten Landschaft. Sie spielen in Stadt und Land, in den verschiedensten Gauen des Vaterlandes und in allen Zeitaltern deutscher Geschichte. Alte Zeiten und Sitten bilden die Grundlage der stimmungsvollen Lebensbilder, aber das Vergangene darin macht uns die Poesie gegenwärtig. Riehls Interesse an deutscher Vorzeit, an altem Brauch und alter Sitte der Vorfahren war kein Produkt der Gelehrsamkeit, es wurzelte ihm tief im Gemüt als lebendiges Gefühl für den organischen Zusammenhang zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit unseres Volkes, als innige Vorliebe für alles, was dem deutschen Volksgemüt auch heute noch lieb und teuer und von lebendiger Bedeutung ist. Was er als Gelehrter erforschte, gestaltete ihm die Phantasie zum warmpulsierenden Leben. Seine ersten Schriften waren noch schildernder Art, auf Grund derselben wurde er als Professor nach München berufen. Und gerade diese Berufung zum Professor wurde entscheidend für seine Entwicklung zu einem der besten Novellisten der Weltlitteratur.
In München hatte zu Anfang der fünfziger Jahre König Maximilian II von Bayern jenen Dichterkreis um sich versammelt, dessen jugendfrisches Schaffen von so hoher Bedeutung für den künstlerischen Aufschwung unserer poetischen Litteratur nach den Stürmen des Jahres 1848 wurde. In diesen Kreis trat Riehl, herzlich bewillkommnet, ein. Heyse und Geibel wurden seine intimsten Freunde. Alle drei waren damals jung verheiratet. Ihre Wohnungen hatten sie in derselben Gegend. Da die übrigen litterarischen Freunde allesamt tiefer in der Stadt wohnten, so erschienen sich die drei wie ein vorgeschobener Posten und nannten sich „die Ecke“. Je am anderen Sonntag kamen die Ehepaare in dem Salon einer befreundeten alten Dame zusammen, welche an der Spitze der „Ecke“ wohnte; dies war Frau Elisabeth v. Ledebour, die Witwe des berühmten Dorpater Botanikers, eine vom regsten geistigen Interesse beseelte Dame. Ein allezeit fröhliches Heidelberger Kind, Fräulein Julie Dreuttel, unterstützte sie im Hauswesen. Dort besprachen die Männer in heiterer Geselligkeit ihre neuesten Arbeiten und Entwürfe und lasen vor, was sie ganz oder halb vollendet hatten. In der Einleitung zu dem späteren Novellenband „Aus der Ecke“ hat Riehl hierüber gar anziehend berichtet. Das Beispiel der Dichter wirkte ansteckend auf sein Talent. Riehl seinerseits schrieb zunächst an seinem Buche „Die Familie“ und gab davon Proben. Allein bald empfand er, daß abhandelnde Prosa sich doch nicht so gut liest und hört wie erzählende. Er entsann sich seiner ersten Versuche auf dem Gebiet der Novelle und bearbeitete sie unter dem läuternden Einflusse Paul Heyses. Und bald schrieb er neue Novellen „zuerst für die Ecke, dann aus der Ecke“. Diesem Ursprung hat die Riehlsche Novellistik noch einen weiteren Vorzug zu danken. Gleich die ersten seiner kunstgemäßen Erzählungen schuf er mit dem Bewußtsein, daß sie zum Vorlesen vor einem Publikum bestimmt waren, dem junge Frauen und Mädchen angehörten. Auch alle späteren Novellen Riehls haben die Eigenschaft, sich im seltenen Maß zum Vorlesen im Familienkreise zu eignen. So frei von zager Prüderie der männliche und mannhafte Geist Riehls zeitlebens war, so sehr es ihn drängte, die Leiden und Freuden der Menschen in den Niederungen des sozialen Lebens zu schildern, aus seiner Feder ist nichts erflossen, was keuschem Sinne beleidigend wäre. Und so unerschöpflich die Welterfahrung und geschichtliche Bildung ist, die sich in Riehls ernsten und heiteren Erzählungen aus tausend Jahren deutscher Geschichte spiegeln, so gemeinverständlich, klar und schlicht ist die nur andeutende Form, in welcher Riehls Wissensreichtum darin zum Ausdruck gelangt. In ihnen allen hat der Dichter bethätigt, was ihn wiederholt veranlaßt hat, sich einen Geistesverwandten Ludwig Richters zu nennen. Seine Tendenz war, die guten Sitten alter Zeit für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Aber diese Tendenz blieb immer von dem Bewußtsein geleitet, daß die Welt fortschreitet und fortschreiten muß, daß der „guten alten“ Zeit die bessere neue gefolgt ist. Aus diesem Fortschrittsglauben stammt die sonnige Grundstimmung der Riehlschen Novellen, stammte seine Auffassung, daß die Kunst des Dichters nicht berufen sei, uns des Lebens Qual zu verstärken, sondern uns über sie zu erheben, indem sie uns Freude bereitet. … So möge denn die erste Gesamtausgabe dieser Volkserzählungen ihnen im deutschen Volke zu jener Verbreitung verhelfen, die sie um all dieser Vorzüge willen verdienen!
Die Menzelsche Prachtausgabe von Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug“. (Zu dem Bilde S. 833.) Wie Lessings „Minna von Barnhelm“ das beste Lustspiel in Prosa ist, das wir Deutschen besitzen, so ist Kleists „Zerbrochener Krug“ das beste deutsche Lustspiel in Versen. Kleist schrieb es in der hoffnungsreichen Maienzeit seines dann so tragisch ausgehenden Lebens, und der Jugend Frische und Uebermut spiegeln sich in dem frohen Behagen, mit welchem die komische Verwicklung der in Holland spielenden Prozeßkomödie im realistischen Geschmack der niederländischen Genremaler vom Schlage der Teniers und Dow durchgeführt ist.
Ein Genrebild dieser Art, wenn auch wohl französischer Herkunft, hatte dem Dichter die Anregung zu dem Lustspiel gegeben. Er fand den Stich 1802 auf seiner Reise in die Schweiz im Zimmer des Dichters Zschokke hängen, den er mit dem Sohne Wielands in Bern besuchte; alle drei nahmen sich vor, den Vorgang, den das Bild darstellte, im Wetteifer miteinander poetisch zu behandeln.
Kleist selbst hat das Bild in der Vorrede zu seinem Lustspiel geschildert: es stellte in niederländischem Geschmack eine Gerichtsstube dar, vorn einen Richter gravitätisch auf dem Richterstuhl, vor ihm eine alte Frau, die einen zerbrochenen Krug hielt; Beklagter war „ein junger Bauernkerl, den der Richter als überwiesen andonnerte; ein Mädchen, das wahrscheinlich in der Sache gezeugt hatte (denn wer weiß bei welcher Gelegenheit das Delictum geschehen war), spielte sich, in der Mitte zwischen Mutter und Bräutigam, an der Schürze; und der Gerichtsschreiber sah (er hatte vielleicht kurz vorher das Mädchen angesehen) jetzt den Richter mißtrauisch zur Seite an wie Kreon bei einer ähnlichen Gelegenheit den Oedip, als die Frage war, wer den Lajos erschlagen. Darunter stand: Der zerbrochene Krug.“
Jenes alte Bild ist verloren gegangen, aber das köstliche Lustspiel, das von ihm ins Leben gerufen wurde, ist viele Jahre nach dessen Entstehung hinwiederum zur Grundlage geworden für eine ganze Reihe von Genrebildern in niederländischem Geschmack, in denen die [836] humoristische Kunst eines unserer allerbesten deutschen Maler einen Triumph gefeiert hat.
Als 1877 der hundertste Geburtstag Heinrich von Kleists begangen wurde, war die schönste Festgabe das herrliche Prachtwerk, welches neben dem Text seines einzigen und einzigartigen Lustspiels 34 Illustrationen nach Originalkompositionen von Adolph Menzel enthielt. Dieses Prachtwerk, das damals in groß Folioformat erschien, liegt uns heute in einer handlichen Großoktavausgabe vor, die vom Cottaschen Verlag zu einem verhältnismäßig wohlfeilen Preis auf den Weihnachtsbüchermarkt gebracht wird.
Der Band schließt sich in allen äußeren Vorzügen der von A. Schmidhammer illustrierten Prachtausgabe von Otto Roquettes „Waldmeisters Brautfahrt“ an, die vorm Jahre im gleichen Verlage erschien. Max Jordan, der frühere Direktor der Nationalgalerie in Berlin, welcher zu dieser neuen Ausgabe eine Vorrede geschrieben hat, sagt von Menzels bildlicher Wiedererzählung des klassischen Bauernprozesses mit Recht, daß seit den Tagen der alten holländischen Meister, der idealen Zeitgenossen des Lustspiels, solche Gestalten nicht erfunden worden seien.
Mit genialer Anempfindung hat Menzel aber auch den dramatischen Pulsschlag von Kleists lebendiger Scenenführung seinen Darstellungen gewahrt. Unser Bild auf S. 833 ist gerade hiervon eine gar prächtige Probe. Wie die Gegensätze hier zusammenprallen: das angstvolle Schuldbewußtsein des gewissenlosen Dorfrichters, der unter den Augen des inspizierenden Gerichtsrats aus Utrecht den Prozeß gegen sich selbst führen muß, und das sich empörende Rechtsbewußtsein der die Trümmer ihres zerbrochenen Kruges schwingenden Frau Marthe Rull und ihrer Tochter, das ließe sich auch auf der Bühne von den besten Schauspielern nicht dramatischer darstellen!
Meerestiefen. Der Ocean, welcher fast dreiviertel der ganzen Erdoberfläche bedeckt, ist bezüglich seiner Tiefenverhältnisse und der Beschaffenheit seines Bodens erst in neuester Zeit, etwa von der Mitte dieses Jahrhunderts ab, genauer bekannt geworden. In den letzten Jahren haben die Engländer und Amerikaner sehr erfolgreiche Nachforschungen über die Tiefe des Meeres an verschiedenen Orten angestellt und besonders im Großen Ocean ungeheure Abgründe entdeckt. Noch vor vierzig Jahren hatte man dort die größte Tiefe der See zu 3100 m angenommen, während man heute weiß, daß es dort Tiefen giebt, die mehr als dreimal größer sind. Oestlich von den japanischen Inseln, bis zu den Alëuten, findet sich auf einer Fläche von mindestens 50000 Quadratmeilen eine ungeheure Einsenkung des Seebodens, die tiefer als 6000 m unter der Meeresoberfläche liegt. Die größte dort bis jetzt bekannte Tiefe wurde vom Dampfer „Tuscarora“ erlotet und beträgt 8500 m. Oestlich von dort bis nach Nordamerika hin ist nur eine Stelle bekannt, wo die Meerestiefe 6400 m übertrifft; anderseits finden sich dort am Meeresboden mehrere ungeheure Berge, deren Gipfel jedoch noch immer bis 4000 m unter dem Seespiegel bleiben.
Im südlichen Teile des Großen Oceans, in der Richtung von den Tonga-Inseln nach Neuseeland hin, bat vor kurzem der Dampfer „Pinguin“ sogar Tiefen von 9400 m gelotet. Dabei ist merkwürdig, daß diese größten Tiefen sich keineswegs mitten im Ocean finden, sondern gegen den Rand hin, unmittelbar neben gewaltigen unterseeischen Sockeln, auf denen dann kleine Inseln bis über den Seespiegel emporragen.
Etwas Aehnliches findet sich auch im Atlantischen Ocean, dessen tiefste Mulde nördlich von den kleinen Antillen gegen die Bermuda-Inseln hin liegt, während die Mitte dieses Oceans von langgestreckten, unterseeischen Höhenzügen bedeckt ist, über denen aber doch noch 4000 m Wasser stehen.
Der Druck dieser Wassermassen auf den Meeresboden ist ein ungeheurer. Schon in 4000 m Tiefe beträgt der Wasserdruck über 400 Atmosphären. Der sehr zuverlässige Seefahrer und Forscher Scoresby berichtet, daß einst ein Walfisch, der von einem Boote aus harpuniert worden war, dieses Boot an der Leine mit in die Tiefe riß, wobei dessen Holzwerk durch den ungeheuren Druck so mit Wasser imprägniert wurde, daß es wie Blei sank und den später an der Oberfläche schwimmenden Körper des toten Walfisches mit herabzuziehen drohte. Man begreift daher leicht, daß es dem Menschen niemals möglich werden kann, persönlich in große Meerestiefen hinabzusteigen. Dennoch ist es gelungen, aus diesen Abgründen des Meeres Bodenproben heraufzubefördern, welche uns Aufschlüsse über die Beschaffenheit des in ewiger Nacht liegenden Meeresgrundes geben. Hiernach ist derselbe in ungeheurer Ausdehnung bedeckt mit den Resten schalentragender kleiner Organismen, deren kalkige Panzer nach dem Absterben dieser Tiere ununterbrochen von der Oberfläche hinabsinken. Daneben findet sich in den größten Tiefen ein roter, thoniger Schlamm, in welchem Bimssteine und Lavabrocken, auch Haifischzähne und Knochen von Walfischen eingebettet sind. Merkwürdigerweise trifft man auch häufig auf kleine metallische Kügelchen, die nichts anderes sein können als Teile von Meteoriten, die über dem Ocean explodierten und in das Meer stürzten. In künftigen Zeiten werden zu den regelmäßigen Funden am Boden des Oceans auch Produkte menschlicher Thätigkeit zählen, wie Reste von Schiffen, Maschinen, Konservebüchsen, Steinkohlen etc.
Im großen und ganzen kann man annehmen, daß die durchschnittliche Meerestiefe 3500 m beträgt, so daß also die gesamte Wassermasse aller Oceane auf nahezu 1300 Millionen ckm zu veranschlagen ist. Dieses ist der Wasserschatz unserer Erde, von dem alles organische Leben hienieden zehrt und ohne welchen es nicht bestehen könnte. Diese Wassermenge ist über alles Vorstellungsvermögen hinaus groß, aber sobald wir sie mit dem Volumen der ganzen Erde vergleichen, schrumpft sie gewaltig zusammen.
Der Halbmesser der Erde beträgt in runder Zahl 6366000 m; wenn wir also einen Erdglobus von 1 m Durchmesser vor uns haben und man wollte auf dessen Oberfläche den Ocean im richtigen Verhältnisse seiner Tiefe darstellen, so müßte dies durch ein Flüssigkeitshäutchen geschehen, welches durchschnittlich nur 1/3 mm dick wäre. Das also stellte den gewaltigen Ocean im Verhältnis zum Erdballe dar.
Bedenkt man nun, daß die Erdrinde Wasser aufsaugt, so muß man sich eigentlich wundern, daß die Weltmeere nicht längst verschwunden sind. Und wirklich liegt die Annahme nahe, daß die Wassermenge
der Erdoberfläche sich im Verlaufe zahlreicher Jahrtausende merklich vermindern wird. K.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
[836 a] Frau verkörpert, die ungebeugt aus den Stürmen des Lebens hervorgeht. Mit dem heiteren Glanz herzenswarmen Humors überstrahlt ist „Vater Robinson“, ein weiterer neuer Roman Wilbrandts, von mehr idyllischem Charakter. Mitten in das brausende Leben der Reichshauptstadt versetzt uns dagegen Rudolph Stratz in dem Roman „Die letzte Wahl“, der in den Lebenskreisen eines Fabrikanten spielt, welcher bisher seinen Wohnort im Reichstag vertreten hat; die hier geschilderten Konflikte und Leidenschaften sind aufs innigste verknüpft mit den politischen Kämpfen, deren Forum der Reichstag ist. Auch Stratz erfreut die Verehrer seines reich entwickelten Talents durch zwei neue Gaben; der andere Roman, „Der arme Konrad“, ist ein historischer. Er entwirft ein lebensvolles Bild aus dem großen Bauernkrieg von 1525, wobei die Gegend von Heidelberg – Neckarthal und Odenwald – mit der gleichen Anschaulichkeit und Farbenfrische geschildert wird, welche auch die Landschaftsbilder des eben in der „Gartenlaube“ erscheinenden „Montblanc“ so sehr auszeichnen. Für poetische Landschaftsmalerei gleichfalls in außerordentlichem Maße begabt hat sich in kleineren Erzählungen schon öfter der Schweizer J. C. Heer erwiesen, der heuer seinen ersten Roman – und in diesem gleich ein Meisterwerk – dem Publikum bietet.
Heers „An heiligen Wassern“ (Cotta, Stuttgart) versetzt uns in ein einsames Schweizer Gebirgsdorf, das, am Fuße des eisumpanzerten Matterhorns gelegen, immer aufs neue von den Lawinen eines der Gletscher heimgesucht wird, dessen Abfluß den Thalbewohnern andrerseits das von ihnen sorgfältig herabgeleitete Wasser für die Berieselung ihrer Almen liefert. Held des Romans ist ein kühner Sohn des Thals, der an den alten abergläubischen Gebräuchen der Heimat zu rütteln wagt und ihr Befreier wird von drückender Fron und beständiger Sorge, welche ihnen die Abhängigkeit von der Gletscherwelt aufzwang. Lebhafte Phantasie, anmutende Empfindungswärme stehen bei Heer im Dienst einer ungemein packenden Darstellung. Ganz anderer, mehr beschaulicher Art ist das Talent Gustav Frenßens, der in dem Band „Die drei Getreuen“ (Grote, Berlin) sich gleichfalls zum erstenmal mit einem Romane einstellt. Seine Heimat ist das holsteinsche Marschland zwischen Meer, Wald und Heide, eine Landschaft, die mit ihren geheimnisvollen Hünengräbern und wallenden Nebeln das Gemüt träumerisch stimmt. Wie ein träumerischer Sohn der Heide durch die Liebe zur Heimat und den Einfluß der Geliebten zum werkthätigen Mann wird, ist von Frenßen mit innigem Anteil und vorzüglicher Charakteristik von Land und Leuten geschildert. In die Welt des bayrischen Hochlands versetzt uns Wilhelmine von Hillern in dem Roman „Ein alter Streit“; der jetzt entartete Brauch des Haberfeldtreibens wird darin in seiner ursprünglichen Bedeutung dargestellt in einem ergreifenden, dramatisch bewegten Lebensbild. Thüringer Waldluft erfrischt uns bei der Lektüre der kerngesunden oberfränkischen Dorfgeschichten Heinrich Schaumbergers, deren illustrierte Gesamtausgabe (Zwißlcr, Wolfenbüttel) jetzt bis zu den Bänden „Vater und Sohn“ und „Zu spät“ vorgeschritten ist. Unseren Lesern bereits bekannt ist Ernst Ecksteins Roman „Die Hexe von Glaustädt“ (Grote, Berlin), welcher das grausame Walten des Hexenwahns an einem rührenden Beispiel darstellt. Auch Ernst Muellenbachs „Die Hansebrüder“ liegen nun als Buch vor (Reißner, Dresden), ein Werk, in dem sich das goldne Gemüt des rheinischen Humoristen in seiner ganzen Liebenswürdigkeit spiegelt. A. Sewett, von welchem die „Gartenlaube“ kürzlich die ungemein stimmungsvolle Novelle „Ein Sommernachtstraum“ veröffentlichte, hat dieselbe in dem Bande „Das Glück und andere Novellen“ (Keil’s Nachf., Leipzig) mit kleineren Erzählungen vereinigt, die ebenfalls durch Stimmungsfülle anmuten. Unter den Novellisten, die gleich Riehl ihre Stoffe gern der Kulturgeschichte entnehmen, nimmt Adolf Stern einen hohen Rang ein. Die Gestaltung merkwürdiger Schicksale und Personen bleibt ihm stets die Hauptsache, bei aller Sorgfalt, die er auf das historische Kolorit verwendet. In dem Bande „Ausgewählte Novellen“ (C. A. Koch, Dresden) hat er eine Anzahl seiner besten Novellen zusammengestellt, die in der That Muster kunstvollendeter Novellistik sind. „Geschichten eines Verstorbenen“ nennt Karl Weitbrecht seine neuesten Erzählungen, die seine kräftige, echt schwäbische Eigenart, zu schauen und zu fühlen, in Ernst und Humor gar ansprechend offenbaren (Bonz, Stuttgart). Eine bunte Reihe kleinerer Erzählungen umfaßt der Band „Idyllen aus einer untergehenden Welt“ von Peter Rosegger (Staackmann. Leipzig); ihre Stoffe sind der uns längst vertrauten Welt der schönen „Waldheimat“ des Verfassers entnommen, die er hier im Kampfe mit der herandrängenden modernen Kultur schildert. In „Mein Weltleben“ erzählt Rosegger in seiner unterhaltsamen Weise, „wie es dem Waldbauernbuben bei den Stadtleuten erging“; das Buch ist eine Fortsetzung seiner autobiographischen Aufzeichnungen. Ein Dichterleben, aber in poetischer Form, schildert auch Müller-Rastatt; sein Roman „In die Nacht“ (Diederichs, Leipzig) hat zum Helden den auf so tragische Art dem Wahnsinn verfallenen Hölderlin, dessen Jugendgedichte der Verfasser schon früher herausgab und einer neuen Auffassung dieses Dichterschicksals zu Grunde legte.
Auf dem Gebiete der Lyrik haben wir vor allem die schöne kritische Ausgabe von Ludwig Uhlands „Gedichten“, zwei Bände, hervorzuheben, durch welche der Cotta’sche Verlag seine Klassikerausgaben ergänzt hat. Die Herausgeber Erich Schmidt und Julius Hartmann haben für dieselbe den reichen handschriftlichen Nachlaß des Dichters erstmals verwerten dürfen. Der Band „Ausgewählte Gedichte“ von Ludwig Pfau, welcher, von Ernst Ziel herausgegeben, im gleichen Verlage erschien, wird mit Genugthuung von allen begrüßt werden, die der wahrhaft volkstümlichen, gefühlsechten Lyrik des tapferen Achtundvierzigers, welche der Lyrik Uhlands so nahe verwandt ist, die ihr gebührende Verbreitung wünschen. Ein reiches, eigenartiges Gemüts- und Geistesleben spiegelt sich in den formvollendeten „Gesammelten Gedichten“ Karl Schönhardts, ein Vorzug, der auch der „Weltwanderung“ von Otto Liebmann und den „Weltlichen Legenden“ von Emil Claar in besonderem Grade innewohnt. Daß es auch in unseren oft als nüchtern gescholtenen Tagen einer echten Begabung gelingen kann, mit kleinen Gedichten und Liedern in kurzer Zeit Ruhm und Erfolg zu erringen, das bestätigen aufs erfreulichste die jugendfrischen „Gedichte“ von Karl Busse, die bereits in vierter Auflage (Liebeskind, Stuttgart) vorliegen. Aus dem Nachlaß des Dichters von „Psalter und Harfe“, Philipp Spitta, hat Peters „Lieder aus der Jugendzeit“ (C. G. Naumann, Leipzig) herausgegeben, die von der großen Gemeinde der Verehrer des Dichters herzlich begrüßt werden dürften. Der gleichen Aufnahme im Kreise unserer Leser geht gewiß die im Verlag der „Gartenlaube“ soeben erschienene Gedächtnisschrift „Emil Rittershaus“ entgegen, welche Julius Rittershaus nach selbstbiographischen Aufzeichnungen seines Vaters und Familienerinnerungen verfaßt hat.
Rätsel.
Es leuchtet ein Gerät nach altem Brauch;
Setzt du den Kopf zum Fuß, so leuchtet’s auch. E. S.
Auflösung des Homonyms auf dem Umschlag von Halbheft 25.
Vermessen.
Auflösung der Skataufgabe auf dem Umschlag von Halbheft 25.
Der Spieler hat e7 tourniert und rD. gefunden, rZ., rO. (+ 13) aber gedrückt. Bei folgender Kartenverteilung:
- Mittelhand: eW., rW., eZ., eO., e8, gO., g7, rK., sZ., sO. = 37
- Hinterhand: gW., sW., eD., eK., e9, gZ., gK., r8, r7, sK. = 37
nimmt das Spiel folgenden Verlauf:
1. sD., sO., sK. (+ 18)
2. gD., g7, gK. (+15)
3. rD., rK., r7. (+ 15)
womit der Spieler 61 Augen hereinbekommt und Eichel-Tournee ohne 10 Matadore (11 X 8 = 88) gewinnt.
Auflösung des Punkträtsel „Der Schwur“ auf dem Umschlag von Halbheft 25.
Auflösung der Entzifferungsaufgabe auf dem Umschlag von Halbheft 25.
Welch eine Roll’ im Leben
Das Schicksal dir gegeben,
Das ist des Schicksals Sache;
Doch die erteilte Rolle,
Sie sei nun, wie sie wolle,
Gut durchzuführen, das ist deine Sache.
D. Sanders.
Die Auflösung der Schachaufgabe und des Kreuzrätsels auf dem Umschlag von Halbheft 25 erfolgt im nächsten Halbheft.
- Fenitschka. * Eine Ausschweifung. Zwei Erzählungen von Lou Andreas-Salomé. Elegant gebunden 3 Mark 50 Pf.
- Unser Tedaldo. Drama von Philipp Langmann. Elegant gebunden 3 Mark.
- Jörg Trugenhoffen. Schauspiel von Rudolph Stratz. Elegant gebunden 3 Mark.
- Aus allerlei Tonarten. Von Otto Braun. Zweite vermehrte Auflage. Elegant gebunden 3 Mark.
- Weltwanderung. Gedichte von Otto Liebmann. Elegant gebunden 3 Mark 50 Pf.
- Der arme Konrad. Roman von Rudolph Stratz. 2. Auflage. Elegant gebunden 4 Mark.
- Jugendfreunde. Lustspiel von Ludwig Fulda. 2. Auflage. Elegant gebunden 3 Mark.
- Der Zug nach dem Westen. Roman von Paul Lindau. 9. Auflage. Elegant gebunden 5 Mark.
- Die letzte Wahl. Roman von Rudolph Stratz. Elegant gebunden 4 Mark 50 Pf.
- Herostrat. Tragödie von Ludwig Fulda. Elegant gebunden 3 Mark.
- Ausgewählte Gedichte. Von Ludwig Pfau. herausgegeben von Ernst Ziel. Elegant gebunden 3 Mark.
- Johannes. Tragödie von Hermann Sudermann. 25. Auflage. In Leinw. gebunden 4 Mark. In Halbfranz gebunden 4 Mark 50 Pf.
- Das verlorene Paradies. Schauspiel von Ludwig Fulda. 2. Auflage. Elegant gebunden 3 Mark.
- Immaculata. Roman von Rubert Raberti. 2 Bände. Elegant gebunden 10 Mark.
- Die glückliche Frau. Roman von Adolf Wilbrandt. 3. Auflage. Elegant gebunden 4 Mark.
- An heiligen Wassern. Roman von J. G. Heer. 2. Auflage. Elegant gebunden 4 Mark 50 Pf.
- Aus der Ecke. Sieben Novellen von W. H. Riehl. 4. Auflage. Elegant gebunden 5 Mark.
- Fridolins heimliche Ehe. Erinnerungen und Mitteilungen erzählt von Adolf Wilbrandt. 3. Auflage. Elegant gebunden 3 Mark 50 Pf.
- Ein alter Streit. Roman von Wilhelmine von Hillern. 2. Auflage. Elegant gebunden 4 Mark.
- Cyrano von Bergerac. Romantische Komödie von Edmond Rostand. Deutsch von Ludwig Fulda. 5. Auflage. Elegant gebunden 4 Mark.
- Vater Robinson. Roman von Adolf Wilbrandt. Elegant gebunden 4 Mark.
- Die vier Gewinner. Lustspiel von Philipp Langmann. Elegant gebunden 3 Mark.
- Schillers dramatische Entwürfe und Fragmente. Aus dem Nachlaß zusammengestellt von Gustav Kettner. Ergänzungsband zu Schillers Werken. Elegant gebunden 3 Mark.
- Du bist mein. Zeitroman von Carl Worms. Elegant gebunden 5 Mark.