Die Gartenlaube (1898)/Heft 16
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Schloß Josephsthal. Roman von Marie Bernhard (1. Fortsetzung) | 485 |
Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Charakteristik von Moritz Recker. Mit Abbildung | 492 |
Aberglaube und Verbrechen. Von Dr. Hanns Groß | 495 |
Wieder allein. Novelle von Ernst Clausen (Claus Zehren) | 500 |
Des Paschas Billardbein. Erinnerung aus dem Leben eines Ingenieurs. Von M. Eyth. Mit Abbildungen | 504 |
Die arme Kleine. Eine Familiengeschichte von Marie von Ebner-Eschenbach (Schluß) | 510 |
Blätter und Blüten: Sommernacht in Norwegen. (Zu dem Bilde S. 489.) S. 514. – Zur Reisezeit. (Zu dem Bilde S. 496 und 497.) S. 5l4. – Eis als Transportartikel. S. 514. – Schöne Bescherung! (Mit Abbildung.) S. 515. – Der Speckstein. S. 515. – Im Walde. Von Prof. Dr. E. F. Riemann. (Zu dem Bilde S. 501.) S. 515. – Vom Begräbnis heimgekehrt. (Zu dem Bilde S. 513.) S. 515. – Ein vielgeplagter Fluß. S. 515. – Heinrich Kiepert. (Mit Abbildung.) S. 516. – Einsamkeit. Gedicht von Max Kalbeck. (Zu unserer Kunstbeilage.) S. 516. – III. Quittung für das Rittershaus-Denkmal. S. 516.
Illustrationen: Die Blumenfreundin. Von Louis Uhl. S. 485. – Sommernacht in Norwegen. Von H. Gude. S. 489. – Marie von Ebner-Eschenbach in ihrem Arbeitszimmer. Von G. von Michalkowski. S. 493. – Zur Reisezeit. Von L. Blume-Siebert. S. 496 und 497. – Im Walde. Von W. Bröker. S. 501. – Abbildungen zu dem Artikel „Des Paschas Billardbein“. Von M. Eyth. Das Pflügen der Baumwollfelder in Unterägypten. Fellahpflug. Dampfpflug. Die Pumpstation von Schubra bei Kairo. S. 505. Billardraum des Pavillons auf der Gabeleia bei Schubra. S. 508. Das Parkthor des Palastes zu Schubra. S. 509. – Vom Begräbnis heimgekehrt. Von L. Muntz. S. 513. – Schöne Bescherung! Von L. Pastega. S. 515. – Heinrich Kiepert. S. 516.
Der Feldstrauß. Die meisten Leute pflücken auf dem Spaziergang in Wald und Feld gewohnheitsgemäß Blumen und stellen sie daheim ins Wasser. Nur wenige aber wissen dabei ihr Material so zu verwerten, daß der wirklich schöne, herzerfreuende Eindruck gewonnen wird, welchen ein Feldstrauß ganz ebenso hervorrufen kann wie einer aus teuren Gartenblumen. Und doch ist die Kunst ganz leicht, man darf nur nicht achtlos zu Werke gehen, sondern muß ein wenig lernen, zu suchen und zu wählen. Die Wiesen- und Waldblumen wechseln nach Farben und Standorten, man nimmt deshalb gleich zum Beginn des Spaziergangs immer von einer Sorte eine ziemliche Anzahl. Ein Feld glüht rot von Esparsetten, kurz darauf sieht alles blau aus von Wiesensalbei, nebenan im Grase breiten sich die großen weißgelben Gänseblumen aus, untermischt mit goldgelben sternförmigen Blüten, dann kommt das Heer von Glockenblumen, Nelken, Wiesenschaumkraut etc. Wo sich das Terrain senkt, ein kleines Wasserrinnsal die Wiese versumpft, stehen Orchideen verschiedener Art und manche andere prächtige Blüte. Alles dieses nacheinander wird langstielig abgeschnitten, jede Sorte für sich mit einem Grashalm leicht umwunden und dem hoffentlich schon recht großen Strauß noch eine ordentliche Zugabe von blühenden Gräsern, Zweigen von hübschen Staudengewächsen als Umhüllung gegeben.
Zu Hause beginnt dann das wirkliche Zusammenstellen, nachdem man ein bauchiges Gefäß mit Wasser gefüllt und die Stiele unten etwas abgeschnitten hat. Hier heißt es nun: nicht zersplittern, sondern die vielen, kleinen, feinen Blumen zu großen, ruhigen Farbentönen vereinigen. Der persönliche Geschmack weiß diese aufs reizvollste zusammenzustellen, die Uebergänge von Blau, Rot, Gelb, Violett durch weiße, duftige Blütenrispen und Dolden zu mildern, in die Mitte des Straußes ein paar hochragende Blumentrophäen zu stecken, einen Schleier blühenden Grases über das Ganze hinzubreiten und so in verhältnismäßig kurzer Zeit kleine Kunstwerke zu gestalten, welche vom ersten Frühling bis zum Herbst als reizender Zimmerschmuck das Auge erfreuen und die laute Bewunderung derjenigen hervorrufen, welche nur Blumen zu pflücken, aber den richtigen „Feldstrauß“ nicht zu binden verstehen!
Eiereinfuhr in Berlin. Nach den letzten Ermittelungen betrügt der durchschnittliche Hühnerbestand eines Gehöftes in Preußen 11,21 Stück, ist also verhältnismäßig gering. Thatsächlich ist Deutschland behufs Deckung seines Eierbedarfs vorwiegend auf das Ausland angewiesen. Der Wert der Eiereinfuhr betrug im Jahre 1896 allein für Berlin über 20 Millionen Mark, welche fast ganz an das Ausland gezahlt wurden. Die wichtigeren Bezugsquellen sind während der „Saison“ Galizien, ein Teil von Ungarn, Russisch-Polen und die Gegend am Don. Italien und Marokko, welches 1896 über Hamburg Eier im Werte von 250000 Mark einführte, liefern zu gewissen Jahreszeiten. Die Provinzen Pommern, Posen, Schlesien bringen nur 1/10 des Gesamtbedarfs nach Berlin. Der jährliche Verbrauch von Eiern in Berlin wird 200 Stück auf den Kopf nicht übersteigen.
Blumentopfumhüllung. Ein gewöhnlicher, gut geformter Blumentopf wird gut und glatt mit den schon mehrfach empfohlenen und sehr vielfach verwendbaren Emailfarben gelblichweiß überstrichen. Das Ornament, das sich dreimal wiederholt, wird mit Kohlenstaub durch eine durchlöcherte Pause darauf gebracht. Die Blumen und einzelne Teile des Ornaments auf hellem Grund werden mit goldgelber Oelfarbe ausgemalt, der dunkle Grund und die Schnörkel, Strahlen, Adern in den Blättern sind dunkel- und hellblau. Wenn die Farben nach einem Stück altdeutscher oder holländischer Majolika fein zusammengestimmt werden, ist der Eindruck sehr hübsch.
Eine andere Art, um aus einem gewöhnlichen Blumentopf einen eleganten Ziertopf zu machen, ist folgende. Der Topf wird erst mit Leimwasser innen und außen gut überstrichen und muß trocknen. Die Dekoration geschieht mit den üblichen Oelfarben. Der Grund ist grünblau oder goldbraun, die Blumen gelblich oder rötlich, die Blätter von einem matten Grün; der obere Rand ebenfalls grün. Sind die Farben ganz trocken, so überstreicht man den Topf mit einem starken Kopallack und erhält einen majolikaartigen Effekt, ohne das Risiko des Brennens.
Gehäkeltes Zwiebelnetz. Das Aufbewahren von Zwiebeln geschieht am besten in Netzen, damit die Luft durchziehen kann und die Zwiebeln dadurch vor Verschimmelung oder Eintrocknung bewahrt werden. Solche Zwiebelnetze lassen sich leicht häkeln und kosten nicht viel, weder an Zeit noch an Material. Man biegt einen starken Draht über einem Topfe zu einer Rundung von etwa 12 bis 15 cm und schließt den Kreis fest zu mit Hilfe einer Drahtzange. An diesen Reifen häkelt man rundherum ein einfaches lichtes Muster aus kräftiger Baumwolle und wiederholt dies so oft, bis die gewünschte Länge des Netzes erreicht ist. Unten wird die Breite abgenommen und das Netz durch einen eingesetzten, besonders gehäkelten Stern geschlossen. Zum Aufhängen dienen 3 oder 4 etwa 20 cm lange feste Luftmaschenschnürchen, die einerseits am Drahtkreis in gleichen Entfernungen befestigt, anderseits oben zusammengehäkelt werden. Einige kleine Quasten geben dem Netz noch eine gefällige Verzierung.
Körbchen aus Holzwolle. Aus recht weißer, sauberer Holzwolle, dem in jeder Haushaltung vorrätigen Packmaterial, lassen sich niedliche Körbchen herstellen, zur Aufnahme von Blumen, Konfitüren etc. Durch starkes Kneten und Zusammenpressen kann man die Holzwolle in jede beliebige Form bringen, unter fortwährendem Beschneiden. Den Henkel dreht man ebenso fest zusammen, umwindet ihn lose mit farbigem Band, befestigt ihn mit möglichst unsichtbaren Stichen, die auch noch durch Schleifchen verdeckt werden können, und das Körbchen ist fertig. Man kann es aber auch noch streifenweise mit Gold- und Silberbronze verzieren und ihm eine Einlage von farbigem, geknifftem Seidenpapier geben, in der Art der bekannten Blumentopfhüllen.
Ein neuer Briefverschluß. Vielfach werden neuerdings die gummierten Briefcouverts noch mit kleinen farbigen Siegeln oder sonstigen gestempelten Verschlüssen versehen, zur Verzierung sowohl, als zur sicheren Bewahrung des Briefgeheimnisses. Eine hübsche Neuheit dafür hat die Papierfirma Prantl in München hergestellt; zierliche grüne Vierkleeblätter, die dem Empfänger schon als freundliches Glückszeichen entgegenleuchten. Je 50 Stück sind in eine hübsche, als großes grünes Vierkleeblatt gestaltete Schachtel verpackt. Der sehr mäßige Preis sowie die schmucke Zierlichkeit des kleinen Gegenstandes machen ihn zum Gelegenheitsgeschenk für den Schreibtisch einer Freundin sehr geeignet.
Behandlung eleganter Damenhüte. Um die modernen blumengeschmückten Hutgebäude staubfrei zu erhalten, brauchen die Modistinnen nicht Hutpinsel, welche die hochgesteckten Gaze- und Blumengarnituren beschädigen würden, sondern einen kleinen Blasebalg, mit dem der Hut gründlich abgeblasen wird. Wer aber auch nur seine eigenen Hüte frisch zu erhalten wünscht, thut gut daran, sich die Neuerung zu nutze zu machen. Das Stroh des Hutes reinigt man am besten mit einem alten Sammetfleck vor Anwendung des Blasebalgs. Mit Brandmalerei und einer hübschen Bandschleife zum Aufhängen verziert, giebt solch ein kleiner Blasebalg ein reizendes Geschenk.
Schwimmgürtel aus Flaschenkorken. Aus starkem Segelleinen schneidet man einen Gürtel in der nötigen Breite und Länge, umsäumt ihn und bringt an den beiden Endseiten Schnallen und Lederstreifen zum Befestigen desselben an. Die Flaschenkorke werden hiernach perlenartig auf den Stoff in gleichmäßigen Reihen aufgenäht, wozu man eines derben Fadens bedarf, am besten tüchtig gewachst, welcher mit einer Stopfnadel verarbeitet und auch mit dieser durch die Korke hindurchgeführt wird. Je mehr Korke, desto besser respektive wirksamer ist der Gürtel. Man kann einen solchen auch in der Weise herstellen, daß man den Stoff reichlich doppelt oder dreifach nimmt, schlauchartig zusammennäht und nun klein geschnittene Korkstücke einfüllt. Ein derartiger Gürtel ist sehr haltbar, bequem zu tragen und fast kostenlos herzustellen.
Obstflecke aus weißer Wäsche. Welche Hausfrau hätte nicht schon Kirsch- oder Heidelbeerflecke etc. auf ihrer Tischwäsche bemerkt und in dem Bewußtsein, daß diese nur schwer zu beseitigen sind, sich darüber geärgert. Alles Reinigen mit Laugen und Abkochungen hilft da nichts – das einzige, schnellen Erfolg verbürgende Verfahren zur Beseitigung solch ärgerlicher Obstflecke ist ein Bleichen der Farbe derselben mit Eau de Javelle, einer chlorhaltigen Flüssigkeit, die man in jeder Apotheke bekommt. Man gießt einen Teil davon in einen Unterteller, thut heißes Wasser hinzu und legt die befleckte Stelle des Wäschestückes hinein. Verschwindet der Flecken nicht bald, so muß noch etwas Eau de Javelle hinzugethan werden. Auf alle Fälle ist eine tüchtige, mehrmalige Nachspülung in reinem Wasser erforderlich, weil sonst das Gewebe leiden würde.
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Halbheft 16. | 1898. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Schloß Josephsthal.
(1. Fortsetzung.)
Den Kopf gegen die Polster gelehnt, die Augen halb geschlossen, saß Alix während der Fahrt, ohne den endlosen Redeschwall der Französin zu beachten oder auf ihre vielen Fragen nach den nichtigsten Dingen zu antworten. Ihre Gedanken tauchten tief in den Strom ihrer Erinnerungen, sie rief sich Wach, was alles sie erlebt hatte, solange sie denken konnte.
Sich selber sah sie im Geist, ein kleines, zierliches Püppchen mit fliegenden rötlichen Locken, immer in weiße, gestickte Kleidchen gehüllt, und immer mit Mama. Deutlich stand im Vordergrund all der Erinnerungen, die gleich einem Wandelpanorama an ihrem inneren Gesicht vorüberzogen, das Bild der leidenschaftlich geliebten Mutter. Mit neun Jahren hatte sie dieselbe verloren, ein zartes Kind. Jetzt, mit einundzwanzig Jahren, sollte dem erwachsenen jungen Mädchen der Vater sterben! Im Leben des Vaters – dies ging ihr mit einschneidender Gewißheit durch die Seele – hatte sie keine Rolle gespielt; er hatte sich wenig um sie bekümmert. Als kleines Mädchen hatte sie ihn fast nur bei Tisch gesehen, auch da nicht häufig, denn er war viel auf Reisen gewesen oder er hatte Geschäftsfreunde eingeladen, die mit ihm später dinierten; Alix mußte dann von Françoise zu früherer Stunde abgespeist werden. Der erste Buchhalter und der Oberingenieur, zwei unverheiratete Herren, die damals noch im Hause Herrn Hofmanns wohnten und oft bei Tisch erschienen, waren der kleinen Alix vertrauter als der eigene Vater. Die Herren gaben sich gern gelegentlich mit dem aufgeweckten Kinde ab; namentlich der Buchhalter, der sehr hübsch zu schnitzen und zu kleben verstand, verfertigte der Kleinen in seinen Mußestunden allerlei niedliches Gerät für ihre Puppenstube, und der Oberingenieur nahm sie oft zu sich aufs Pferd und ritt ein Stückchen mit ihr spazieren. Vor Papa empfand sie immer eine gewisse Scheu; sie konnte sich keiner Zeit ihres Lebens entsinnen, in der sie sich ihm hätte zärtlich nähern dürfen. Sie mußte auch bezweifeln, daß ihre Mutter an seiner Seite glücklich gewesen sei. Sie hatte nie gesehen, daß ihre Eltern sich umarmten; hin und wieder hatte ihr Vater seiner Gattin formell die Hand geküßt, das war alles gewesen, und Mama schien das ganz in Ordnung zu finden.
[486] Diese aber war immer für sie da, ging mit ihr spazieren, fuhr mit ihr aus, war beim Lernen dabei und saß auch neben ihr, wenn sie spielte. Aber selbst zu spielen, dazu war die arme liebe Mama wohl zu traurig! Françoise that nur das, was ihr Liebling wollte, aber selbst etwas angeben, etwas ausdenken, das konnte sie nicht, und die drei Erzieherinnen, die Alix von ihrem sechsten bis zu ihrem achten Jahr hatte, wußten gleichfalls nicht, das lebhafte Kind anregend zu beschäftigen. – – – Das wurde mit einem Schlage anders, als Maria Normann ins Haus kam. Alix’ Mutter sah es – mußte es sehen, wie ihr Kind sich unter der klugen und liebevollen Leitung dieses Mädchens wunderbar entwickelte, wie Triebe und Keime zum Vorschein kamen, welche die schönsten Knospen und Blüten versprachen, wie sie spielend lernte und beim Spiel angeregt und belehrt wurde, ohne es zu ahnen. Eine schöne, glückliche Zeit war es gewesen, da das Kind mit Mama und ihrem geliebten Fräulein, sowie mit ihrer guten Françoise leben konnte. Sie hatte damals ihres Vaters Liebe und Sorgfalt nicht im geringsten entbehrt, reich, wie sie sich fühlte in der behütenden Zärtlichkeit dieser drei!
Mama war schön. Deutlich sah Alix im Geist die vornehme, hochgewachsene Gestalt, die anmutigen Bewegungen, das weiße, feine Gesicht. „Katharina, du hast doch verteufelt viel Rasse!“ hatte einmal Graf Alexander Holsten-Delmsbruck, ein rechter Vetter von Alix’ Mutter, bemerkt, und das Kind, das zugegen war, hatte neugierig gefragt, was „Rasse“ sei. Da hatte Onkel Alexander, ein sehr flotter Gardeoffizier und der Pate der Kleinen, nach dem sie auch den Namen hatte, gelacht, hatte sie in seine beiden Arme gefaßt, vor sich hingestellt und gesagt: „Schau dir ’mal uns beide an, deine Mama und mich, kleiner Käfer! Findest du nicht, daß wir beide Aehnlichkeit miteinander haben?“ Alix verglich ernsthaft die beiden Gesichter – ja, sie mußte es zugeben, sie glichen sich. „Nun also! Wenn Leute so groß und schlank sind wie wir zwei, und dabei doch so schmale Hände und kleine Füße, eine so biegsame Taille und solch’ feine Kopfform besitzen wie wir zwei – dann nennt man das ‚Rasse haben‘, was soviel heißen will, als: aus einem guten alten Adelsgeschlecht herstammen – verstanden? Lach’ nicht, Katharina, ich finde, ich hab’ eine sehr lichtvolle Auseinandersetzung geleistet für ein neunjähriges Verständnis!“
Mama verhielt sich ziemlich kühl gegenüber ihrer ganzen Umgebung. Selbst Maria Normann, so sehr sie von ihr eingenommen war, bekam immer nur die Gebieterin, die geborene Gräfin Holsten-Delmsbruck zu Gesicht – was an Gefühl und Innigkeit in der schönen Frau war, gehörte nur dem Kinde. Für die Interessen und Beschäftigungen ihres Gatten zeigte die Dame nicht das geringste Verständnis; ob er seinen Betrieb ausdehnte oder einschränkte, ob er baute oder niederriß, Ländereien ankaufte oder veräußerte, ob er hundert Arbeiter anwarb oder entließ, das war ihr so völlig gleichgültig, daß sie es nicht für wert hielt, auch nur eine Frage deshalb zu thun. Die Oberbeamten wurden ihr pflichtgemäß vorgestellt und von ihr pflichtgemäß dann und wann herangezogen – von den zahlreichen Unterbeamten, den vielen Angestellten, die in ihres Mannes Dienst arbeiteten, wußte sie nichts. Sie vergaß ihre Namen und ihre Gesichter, sowie sie zur Thür hinaus waren, wenn der Zufall sie jemals mit ihnen in Berührung brachte. Sich um die Arbeiter, ihre Lohn- und Wohnungsverhältnisse, ihre Lebensbedingungen zu kümmern, fiel ihr vollends nicht ein. Maria Normann aber machte mit dem Kinde Gänge und Fahrten in die stetig wachsende Kolonie, nannte ihm die Namen der verschiedenen Betriebe und ihrer Leiter, suchte einiges Interesse für die vielen Menschen, deren gemeinsame Thätigkeit der Familie Hofmann zu Reichtum und Ansehen verhalfen, in der Kleinen zu erwecken und war glücklich, als dies Bemühen nicht ohne Erfolg blieb. Alix’ Mutter legte dem nichts in den Weg, aber sie selbst that auch nichts dazu – es wurde dies von ihr als eine kleine „Eigentümlichkeit“ der sonst so vortrefflichen Erzieherin geduldet.
An der Hand der Erzieherin ging Alix nun mehrmals wöchentlich durch die schnurgeraden Straßen der „Kolonie Josephsthal“, die rechts und links mit gleichförmig aufgebauten Häuschen besetzt waren. Hier spielten kleine Kinder vor den Thüren, dort saßen Hausfrauen auf der Schwelle und putzten Gemüse oder besserten Kleidungsstücke aus; Alix wurde angehalten, ihnen im Vorübergehen zuzunicken, den Kindern gelegentlich die Hand zu reichen, sie dies und jenes zu fragen. Sie that es mit guter Manier und einem kleinen innerlichen Herrscherbewußtsein: die alle haben mir zu dienen, und ich kann ihnen befehlen! – Lieber aber als in die Kolonie ging sie doch mit Fräulein Normann in die Maschinenräume der Oel-, Dampf- und Walzmühle. Ihre großen Kinderaugen staunten die gewaltigen keuchenden, rasselnden und fauchenden Ungetüme, die sich mit ihrem vielgestaltigen Räder- und Schraubenwerk unaufhörlich bewegten, mit einer Art von schauderndem Respekt an. Sie stießen sie ab und zogen sie in geheimnisvoller Weise wieder an, diese Maschinen, sie kamen ihr wie lebende Wesen vor, die ihren Tribut forderten, und immer mußte sie in Angst sein um die Menschen, die so sicher und scheinbar unbekümmert zwischen all den Walzen und Hämmern, den Kurbeln und Rädern herumhantierten, über schmale Brettchen hinweggingen, durch Luken krochen und kleine Treppen erklimmten. Zuweilen kam der Oberingenieur und erklärte Fräulein Normann einzelne Dinge, nach denen sie fragte.
Da war mitten hinein in dies Leben, in welchem das Kind unbewußt sich so wohl fühlte, ein jäher, schrecklicher Schlag gefallen: die Mutter war erkrankt an einem anscheinend ganz harmlosen Fieber, das rasch, binnen kaum zwölf Stunden, einen bösartigen Charakter annahm und die zweiunddreißigjährige Frau hinwegraffte, ehe ihre Umgebung noch recht zur Besinnung gekommen war.
Die ersten Tage mit ihrem dumpfen Schreckgefühl, die Tage, da fast die ganze hochadelige Verwandtschaft der Verstorbenen erschienen war, um der schönen Katharina von Holsten-Delmsbruck die letzte Ehre zu erweisen – das feudale Leichenbegängnis mit seinem düstern Pomp, die Feier in der erleuchteten Kapelle, die schwarzen Gewänder, die Thränen und Seufzer …. all das war für das einzige Kind der Toten noch nicht das schwerste gewesen. Das kam erst, als die Verwandten abgereist waren, als die Zimmer der Verstorbenen aufgeräumt, ihre Kleider verschlossen wurden, als alles, alles wieder ins Geleise des täglichen Lebens einlenkte – und nur die Mutter nicht mehr da war.
Alix konnte das nicht fassen. Zügellos brach ihr ungestümer Kinderschmerz hervor, rührend und erschreckend zugleich für ihre Umgebung. Sie verweigerte Essen und Trinken, wollte sich unten im Grabgewölbe der Kapelle über Mamas Sarg werfen und da liegen bleiben, bis sie tot sei, sie wollte nichts sehen und nichts wissen von allem, was ihr bis dahin lieb und wichtig gewesen war: Mama sollte da sein – Mama sollte kommen und sie holen – ein Leben ohne Mama gab es nicht für sie! Françoise war in dieser Zeit ganz machtlos dem leidenschaftlichen Kinde gegenüber. Nur Maria Normann hatte ihren Einfluß nicht ganz eingebüßt. Sie wurde nicht müde, über Mama zu sprechen, sie saß stundenlang mit dem Kinde in der Kapelle und flocht Kränze, sie stand mitten in der Nacht auf, wenn sie Alix in ihrem Bett weinen hörte, zündete Licht an, nahm das Kind auf ihren Schoß, betete und weinte mit ihm, bis das müde Köpfchen zurücksank und Alix inmitten ihrer Thränen einschlief. Als aber eben der erste fassungslose Jammer des kleinen Mädchens zu verstummen begann, da mußte Maria Normann auf mehrere Wochen fort – ihr Vater war in Dresden auf den Tod erkrankt und rief die einzige Tochter zu sich. Es hatte einen über die Maßen aufregenden Abschied gegeben, ein endloses Fragen: „Du kommst doch wieder?“, ein unaufhörliches Versprechen: „Ich bin bald, bald wieder bei dir!“, bis Françoise das Kind mit Gewalt aus den Armen ihrer Erzieherin reißen mußte. –
Und in den schrecklichen Wochen, die nun folgten, da das Kind, trotz täglicher Nachrichten von Maria, sich namenlos einsam fühlte und sich sehnte und sehnte, bis es fast verging – – da war es gewesen, daß Alix der Gedanke kam, Trost bei ihrem Vater zu suchen.
Eines Abends, als Françoise fortgegangen war und Papa in seinem Zimmer saß und arbeitete – o, wie zum Greifen deutlich sie das jetzt noch alles vor sich sah! – da war sie, ein kleines, furchtsames Geschöpf, mit hochschlagendem Herzen durch den langen erleuchteten Korridor gehuscht, hatte leise die Thür geöffnet und hatte in dem hohen, ernst ausgestatteten Gemach, wo der Hausherr im Sessel vor seinem Schreibtisch saß, seine Rechte, die eben die Feder zum Schreiben ansetzte, mit ihren beiden zitternden Kinderhändchen niedergezogen und mit flehender Stimme gebeten: „Papa – lieber Papa, sprich mit mir von Mama!“
[487] Sie sah ihn noch immer, den erstaunten, verständnislosen Blick, mit dem er auf ihre kleine Gestalt in dem schwarzen Trauerkleid herabschaute! Sie fühlte jetzt noch seine kühle Hand ohne Gegendruck und ohne Regung in ihren zuckenden Fingerchen! Sie hörte heute noch die kaltklingende Stimme fragen: „Wie bist du hier hereingekommen, Alexandra? Wo ist Françoise?“
„Ich – ich weiß nicht!“ hatte sie hervorgestottert. Und dann mit hervorbrechenden Thränen: „Es ist so schrecklich!“
„Was ist schrecklich?“
„Ohne Mama zu sein! Ich – du – du – sollst mir von ihr erzählen, wie – Maria es – immer that!“
„Hilft dir das etwas? Bekommst du dadurch deine Mutter zurück? Du weißt es doch, man hat es dir doch erklärt: sie ist tot und kann nicht wiederkommen!“
In ungläubigem Schreck hatten ihre großen Augen – so ganz die Augen der Verstorbenen! – zu ihm in die Höhe gesehen. War das alles – der ganze Trost, den der Vater für sein Kind hatte? Fiel es ihm gar nicht ein, seinen Arm um die schmächtige kleine Gestalt zu legen, sie an sein Herz zu nehmen und ihr zu sagen, daß er sie liebe, doppelt liebe, nun sie ohne Mutter war, und daß er immer, immer für sie da sein wolle?
Nein – es fiel ihm nicht ein! Er sah ratlos und ein wenig verlegen auf das Kind, dessen Augen schon wieder mit Thränen gefüllt waren, nieder, und dann warf er einen Seitenblick auf seine Arbeiten auf dem Schreibtisch, an deren Weiterführung Alix’ Eintritt ihn verhindert hatte. Er wartete ein Weilchen, ob sie seine Frage über die Toten beantworten würde; da es nicht geschah, erhob er sich von seinem Sessel.
„Komm’ jetzt mit mir, wir wollen Françoise suchen. Wie durfte sie dich allein lassen?“
Im Korridor kam ihnen schon Françoise, die ihre kleine Pflegebefohlene suchte, entgegen.
„Sie dürfen Alexandra nicht verlassen. Sie ist zu mir auf mein Zimmer gekommen, das darf sich nicht wiederholen. Sie muß in angemessener Weise beschäftigt werden, bis Fräulein Normann zurückkehrt, Sie haben dafür zu sorgen!“
Die Französin hatte sich stumm verbeugt und das Kind bei der Hand genommen.
Ach, sie hatte später auch versucht, ihn mit schüchternen kleinen Aufmerksamkeiten zu erfreuen; sie hatte ihm Blumensträußchen auf den Schreibtisch gestellt, ihm die schönsten Trauben und Pfirsiche selbst gepflückt und neben sein Couvert gelegt – sie hatte Mamas Bild bekränzt und ihm ein hübsches französisches Gedicht aufgeschrieben: er nahm kaum Nottz davon oder er schob die Dinge einfach beiseite, als wären sie ihm nur im Wege. Wenn ihr Geburtstag kam, erhielt Fräulein Normann eine Summe Geldes, um einzukaufen, was sie für gut fand.
Da hieß es denn: „Dies Kleid und dieser Hut und diese schöne Pariser Puppe ist von Papa. Geh’ hin zu ihm, Alix, und bedank’ dich!“ Dieser Dank fiel, da das Kind den Zusammenhang der Dinge durchschaute, sehr kurz und formell aus, aber das schien Herrn von Hofmann gerade recht zu sein.
– – – Maria Normann hatte sich während ihres Dresdner Aufenthaltes mit dem Oberlehrer Laurentius verlobt. Der Brautstand mußte einige Jahre dauern, da der Bräutigam noch ohne Anstellung war. Während dieser Jahre blieb die Erzieherin bei Alix in Josephsthal. Das Kind entwickelte sich geistig wie körperlich ungewöhnlich früh, es dachte sehr selbständig und beobachtete scharf. Körperlich war es sehr zart, es wuchs rasch, war blutarm, und der Arzt verordnete die äußerste Schonung. In jedem Sommer mußte Maria Normann mit Alix in ein anderes Bad gehen; jetzt war es Höhenluft, die sie atmen sollte, jetzt mußte sie Solbäder nehmen, dann wieder wochenlang im Nadelwald leben.
Als die Erzieherin heiratete, stand ihr Zögling im zwölften Jahr, und Herr von Hofmann entschloß sich kurz, seine Tochter aus dem Hause zu geben. Wollte Maria Normann sie in ihr Heim aufnehmen, das in Frankfurt am Main lag, und für geeignete Lehrer sorgen, die des Mädchens Bildung weiter förderten, so war der Vater bereit, eine sehr namhafte Summe jährlich zu diesem Zweck herzugeben; wollte die Erzieherin dies nicht, so galt es, in irgend einer Großstadt eine anderweitige gute Pension ausfindig zu machen.
Es war weder Maria noch ihrem Verlobten ein besonders angenehmer Gedanke, ihren jungen Ehestand gleich mit einer in gewisser Weise verwöhnten und anspruchsvollen Pensionärin zu beginnen, so gut auch das reiche Jahrgeld dem unbemittelten Paar zu statten gekommen wäre. Die Erzieherin war zu gewissenhaft, einen so hohen Preis entgegenzunehmen, wenn sie nicht als Entgelt dafür ihre ganze Persönlichkeit, nach wie vor, einsetzen konnte. So wurde, nach langem, sorgfältigem Erwägen, ein vortreffliches Pensionat in Dresden ausgewählt und Alix dorthin gebracht. Es ging aber nicht nach Wunsch. Briefe voll leidenschaftlicher Sehnsucht, voll trübseliger Klagen kamen an Maria – inständige Bitten des Mädchens, es doch um Gottes Willen in ihr Heim aufzunehmen, machten dieser das Herz schwer, und auch als Herr von Hofmann seine Tochter nach Brüssel in ein großartiges Fräulein-Institut gebracht hatte, beharrte Alix dabei: glücklich werde sie sich erst wieder fühlen, wenn sie bei ihrer Maria leben werde. Da entschloß sich diese denn endlich, nachzugeben. Sie sprach eingehend mit ihrem Gatten, sie schrieb ausführlich an Herrn von Hofmann, und das Resultat davon war, daß das Ehepaar Laurentius samt dem kleinen Werner eine neue, sehr geräumige und elegante Wohnung bezog und die drei schönsten Zimmer derselben mit allem Luxus und Komfort für Alix von Hofmann und Françoise eingerichtet wurden. Der Professor selbst übernahm einige Unterrichtsstunden bei dem sechzehnjährigen Mädchen, für die übrigen Fächer wurden die besten Lehrkräfte herangezogen, und die junge Erbin war endlich, wie sie immer wieder mit tiefer Befriedigung erklärte, „nach Hause gekommen“. Das Ehepaar Laurentius ließ es sich dann auch angelegen sein, dem aufgeweckten Mädchen zu Vergnügen und anregenden Zerstreuungen zu verhelfen. Alix besuchte die besten Konzerte und Theateraufführungen, sie bekam Reitunterricht, sie nahm teil an Bällen und Maskenfesten, sie ging zu den Verwandten nach England, aber immer kehrte sie voll Dank und Freude in „ihr Heim“ zurück, und wie man die Professorin vielfach um den „Goldfisch“, der eine so glänzende Pension zahlte, beneidete, so schwärmten wiederum Alix’ Freundinnen für die Familie, bei der sie eine so sichere Zuflucht gefunden, die so reizende Tanzfeste und Lesekränzchen zu arrangieren wußte, die immer etwas Neues und Hübsches erfand, was die jungen Gemüter anregte.
Daß Alix bei ihrem Aeußern und ihrem Vermögen viele Freier fand, verstand sich von selbst. Im ganzen hatte sie Herren gegenüber ein ziemlich herbes, absprechendes Wesen, und die Professorin, die sie gern recht liebenswürdig und verbindlich gesehen hätte, tadelte sie oft darum. Das hatte aber wenig Erfolg. Mit ihrem kurzen, spöttischen Lachen pflegte Alix zu erwidern: „Vorläufig gefällt mir von allen Männern, die ich kenne, am besten immer dein Mann – und du mußt doch zugeben, daß ich mich gegen ihn weder hochmütig noch ablehnend betrage. Nun also! Was willst du eigentlich von mir?“
Ihren Vater sah Alix verhältnismäßig häufig. Er hatte sie in Dresden und in Brüssel besucht, er passierte auch Frankfurt oft; seine ausgedehnten geschäftlichen Beziehungen machten ihm viele Reisen zur Bedingung. Auf seine Art war er jetzt mit seiner Tochter ganz zufrieden. Sie sah schön und vornehm aus, sie hatte gute Manieren, verwandte ihr vieles Geld vernünftig, kleidete sich elegant und hatte es allgemach aufgegeben, ihm mit ihren Gefühlsanwandlungen zu kommen. Ob ihr dies schwer fiel, ob sie innerlich darunter litt, darüber machte sich Herr von Hofmann weiter keine Gedanken. Er war fest davon überzeugt, ein sehr guter Vater zu sein. Jeder Wunsch von Alix, der ihm während ihrer Minderjährigkeit von Maria Laurentius gewissenhaft unterbreitet wurde, fand bei ihm Gewährung: das junge Mädchen durfte sich ein schönes englisches Reitpferd kaufen und einen Groom zur Begleitung halten – es hatte eine Loge in der Oper, konnte auf Reisen gehen, wann und wohin es ihm beliebte, zahlte die höchsten Honorare für seine Stunden und war in der guten Gesellschaft einer der ersten „stars“. Noch weniger hatte der Vater etwas dagegen, daß das Mädchen so viel Körbe austeilte. Ihm eilte es keineswegs damit, die Tochter, nun er sie so gut untergebracht wußte, besonders frühzeitig zu verheiraten. Er hatte so seinen stillen Plan, der ihm noch nicht reif genug dünkte … war er das, so würde er dessen Verwirklichung schon durchzusetzen wissen, und bis dahin konnte es ihm nur lieb sein, wenn Alix die Turandot spielte!
[488] Es kam zuweilen sogar vor, daß Herr von Hofmann, angesichts eines besonders schönen Juwelierladens oder Modewarenmagazins, seine Tochter fragte: „Möchtest du etwas haben, Alexandra?“ (Er nannte sie niemals Alix!) „Wünschest du dir etwas?“ – Dann zuckte es wohl heiß und wehevoll in ihrem Herzen, und sie hätte ausrufen mögen: „Deine Liebe will ich haben!“ Aber sie sagte nichts davon – was hätte es denn genützt? Ist eine Liebe, um die man bitten muß, überhaupt Liebe zu nennen?
Einen einzigen Wunsch hatte sie freilich mehrfach geäußert und immer vergebens: den Wunsch, einmal wieder in ihre Heimat zu kommen! Wie lange war sie nicht mehr dort gewesen!
Daß an Stelle des alten Wohnhauses ein neuer schloßartiger Bau entstanden war, wußte Alix; eine große Photographie davon hing über ihrem Schreibtisch. So stolz und stattlich das Schloß anzusehen war, das junge Mädchen konnte es nie ohne Wehmut betrachten. Nun existierten die Räume nicht mehr, in denen sie mit ihrer Mutter geweilt hatte! – Mamas blaues Boudoir, in dem immer weiße und lichtgelbe gefüllte Nelken dufteten … Alix’ gemütliches Kinderzimmer mit seinen Etageren und Puppenschränken, Marias Gemächer, die oben lagen und einen so schönen weiten Blick über den Park gewährten – ach, und die Sessel, die Sofas und Bilder, an die sich so liebe Erinnerungen an Mama knüpften! Alix wußte, daß das ganze Mobiliar durchweg erneuert worden war – wo mochten all die vertrauten, alten Sachen hingekommen sein? Sie wagte es nicht, ihren Vater danach zu fragen, wagte es auch nicht, gegen seinen ausgesprochenen Wunsch und Willen nach Josephsthal zu kommen. Er hatte sich bei den verschiedensten Gelegenheiten außerordentlich mißbilligend über alle Überraschungen geäußert: sie fielen gewöhnlich ins Wasser, brächten den Beteiligten fast immer Enttäuschungen, oft sogar direkten Schaden, und er für seine Person sei ein abgesagter Feind von derlei Dingen, und müsse sie sich allen Ernstes verbitten.
So war denn Alix ihrer Heimat gänzlich entfremdet und trotzdem kehrten ihre Gedanken immer wieder zu derselben zurück. Im Hause des Professor Laurentius wehte eine freie und reine Geistesluft, und Alix hatte von dieser gesunden Luft innerhalb der letzten fünf Jahre genug eingesogen, um den Gedanken, als Herr über viele gesetzt zu sein, denen man nützen und helfen könne, groß und schön zu finden und mit fast leidenschaftlichem Verlangen zu wünschen, ihr Vater möge in ihrem Sinn und Geist, in ihrer Auffassung seiner hohen Aufgabe gerecht werden. So wie sie ihn zu kennen meinte, zweifelte sie indessen stark an seinem Willen dazu. Daß er ihr nie Auskunft darüber geben würde, schien ihr ziemlich gewiß; dennoch wagte sie ein- oder zweimal eine Frage, die darauf Bezug hatte, erlebte aber eine sehr schroffe Abweisung: das seien Dinge, die Frauen, und wenn es die klügsten ihres Geschlechtes wären, überhaupt nicht verstünden und hoffentlich auch in Zukunft nie verstehen würden! Aus Büchern, Zeitungsberichten, Reichstagsverhandlungen und so weiter könne man sich absolut kein Material für die rechte Beurteilung dieser Verhältnisse bilden, das liefere dem Mann, der mitten darin stände, einzig nur das praktische Leben und die Erfahrung – – alles andere sei eitel Theorie und leeres Gerede; mit dem Schwärmen für Menschenbeglückung möchten die Phantasten, die oft noch einen weit schlimmeren Namen verdienten, den Besitzenden das Geld aus der Tasche holen – das sei alles! Für Alix’ Einwürfe, die ihm den und jenen Fabrikherrn namhaft machte, der neben seinem eigenen Wohl auch das der ihm Unterstellten besonders berücksichtigte, hatte Herr von Hofmann nur ein geringschätziges Achselzucken: das komme nicht nur auf den Herrn selbst, sondern auch auf den Menschenschlag an, mit dem er es zu thun habe, – im übrigen müsse jeder zusehen, wie er mit seinem lebenden Arbeitsmaterial fertig werde!
Mit solchen Bemerkungen mußte das junge Mädchen sich abspeisen lassen – aber die Worte „lebendes Arbeitsmaterial“ klangen ihr oft, wie oft! noch in Ohr und Herzen wieder!
Sollte wirklich aus den Reihen dieses „lebenden Arbeitsmaterials“ die tödliche Kugel auf den Herrn und Gebieter der Kolonie Josephsthal abgesandt worden sein?
Rasselnd, sausend, keuchend fliegt der Bahnzug durch die dunkle Landschaft. Funken stieben gen Himmel, ganze Garben, wie von zorniger Faust emporgeschleudert. Weithingedehnt, unübersehbar ruht das Land unter der weißen Schneedecke. Die Sterne stehlen sich einzeln unter schwerziehenden Wolken hervor und blinzeln matt auf die ruhende Welt herunter. Ruhend? Ach, wie viel Hasten und Sorgen und Mühen, wie viel Quälen und Aengstigen hier unten, und wie wenig, wie wenig wirkliche, wohlthuende Ruhe!! –
Françoise hat lange Zeit im Coupé geschlafen, jetzt ist sie eine Weile wach und hat mit inniger Genugthuung bemerkt, daß die ruhelosen, großen Augen, die so weit geöffnet ins Licht gestarrt hatten, endlich, endlich geschlossen sind. Mit vorsichtiger Hand schiebt die Französin eines der weichen seidenen Kissen unter den Kopf des jungen Mädchens, zieht die Reisedecke höher und verdunkelt die Lampe, so daß nur ein matter Lichtschimmer durch den blauen Vorhang dringt. Geschäftig kramt sie Wein und kleine Appetitbrötchen hervor und stellt alles auf dem kleinen verstellbaren Tisch zurecht: wenn der Liebling erwacht, so muß sie durchaus etwas essen – aber fürs erste möge sie nur schlafen, recht lange und süß schlafen!
Was ist es denn an der Zeit? Françoise zieht die Uhr – gleich Fünf! Noch zwei Stunden also, und sie sind dort – dort in Josephsthal, wo sie in fast zehn Jahren nicht mehr gewesen sind, wo Aufregung und Verwirrung herrschen werden, wo vielleicht der Tod schon seinen Einzug gehalten hat!
Fröstelnd überläuft es sie. Wahrhaftig, sie muß auch ein Glas Wein nehmen, sie fühlt sich ganz schwach. So! Das hat gestärkt! Wie gut, daß Madame Laurentius ihnen eine Flasche von dem alten, feurigen Madeira mitgegeben hat. Ja, Madame ist sehr, sehr achtsam, sie vergißt nichts von dem, was gut und nötig ist. Nun es der Französin so warm und belebend durch die Adern rinnt, kann sie schon eher die Dinge an sich herankommen lassen, und ganz schreckliche Dinge werden es sein, ohne allen Zweifel: Gerichtsverhandlungen, Zeugenverhöre, Untersuchungen! Ob man auch sie, Françoise Dupont, gerichtlich vernehmen wird? Aber sie ist ja in Frankfurt gewesen, als das Verbrechen geschah, sie kann nichts aussagen.
Ce pauvre monsieur Hofmann! Eigentlich, wenn Françoise sich die Sache recht überlegt, hat sie nie besondere Sympathie für Monsieur gehabt. Natürlich, es thut ihr unendlich leid, daß man ein Attentat auf ihn verübt hat, noch dazu eins, das einen tödlichen Ausgang befürchten läßt …. aber sonst!! – Hat wohl Monsieur jemals ein warmes, anerkennendes Wort für sie, für ihre dem Hofmannschen Hause seit mehr als siebzehn Jahren gewidmeten treuen Dienste gehabt? Es ist wahr, Monsieur hat nie gespart, er hat sie reich besoldet, sie hat einen hübschen Sparpfennig und hat auch Geld nach Hause schicken können an ihre Schwester in Asnières – aber ein freundliches Dankeswort hätte sie wohl verdient! Freilich, Monsieur hat ein kühles Herz, er ist sogar kühl geblieben gegenüber seinem einzigen Kinde – man sollte es nicht glauben, wenn man es nicht zahllose Male hätte mit ansehen müssen! Die Französin neigt sich vor und studiert das Gesicht des schlummernden Mädchens so eingehend, als sähe sie es heute zum erstenmal. Wie rein in den Linien ist es, wie wunderschön geschnitten Mund und Augen! Ein Zug von Hochmut liegt zwischen den dunklen, geradgezogenen Brauen – den hatte die Mutter auch – aber die Mutter verstand nicht so lieblich zu lächeln, wie Alix das kann. Françoise hat es wohl hundertmal gesehen, das zornige Wetterleuchten in den Augen, die finstere Stirn – und bald darauf dies allmählich sich hervorwagende Lächeln, ein wenig verlegen fast – weich und schüchtern – und dann wird das junge, herrische Gesicht ganz in Sonnenlicht getaucht. Nein, nein, sie ist goldig, und die Französin möchte sie schon nicht anders haben. Auch ist es hübsch, mit ihr auszugehen und zu beobachten, wie die Leute rasch den Kopf nach ihr drehen oder sie bewundernd anstarren …. Und nun erst die jungen Herren, die sie gern heiraten möchten! In England waren es drei, und ein Baronet war darunter – aber nein, mignonne hatte ihn trotz dessen nicht haben wollen. Sie würde doch wohl irgend einen deutschen Standesherrn nehmen!
Unaufhaltsam raste der Zug durch das Land, die Funken
[489][490] fuhren an den niedergelassenen Fenstern hin, untermischt mit Schneeflocken, die es eilig hatten, den Weg zur Erde zu finden.
Sechs Uhr – und Alix schlief! – Halb Sieben – und sie schlief noch! Geräuschlos begann Françoise das Handgepäck aus den Netzen zu nehmen und zu ordnen. Jetzt nur noch zehn Minuten!
Sollte sie das schlafende Mädchen wecken? Jammerschade – sie erlebte all das Traurige, das vor ihr lag, früh genug, indessen ….
Da that die Lokomotive einen schrillen Pfiff, und die Schläferin zuckte empor und erwachte.
„Françoise …. ich glaube, ich war fest eingeschlafen! Wie lange – wie lange haben wir noch bis Josephsthal?“
„Keine fünf Minuten mehr, mignonne – es ist gleich sieben Uhr, ich habe schon alles zusammengesucht bis auf die Decke und das Kissen. Hier noch einen Schluck Wein – ich bitte!“
Alix wehrte ungeduldig Françoises Hand mit dem Glase ab. „Ich kann nicht! Wie soll ich jetzt – –“
„Doch, o doch, Sie müssen! Denken Sie, was alles vor Ihnen liegt! Madame Laurentius hat mir’s auf die Seele gebunden: Sie müssen haben einen Bissen zu essen und ein Glas Wein vor Ihrer Ankunft!“
Um allen weiteren pathetischen Beschwörungen ein Ziel zu setzen, stürzt Alix den Wein hinunter und ißt hastig ein paar Bissen. „Noch drei Minuten – jetzt nur noch zwei - -“
Langgezogenes gellendes Pfeifen, der Zug rollt langsam in die Halle – er steht. Das junge Mädchen rüttelt ungeduldig an dem verquollenen Fenster, endlich giebt es nach und saust herunter.
„Station Josephsthal!“ Die Thüren werden aufgerissen, eine nach der anderen. Nur wenige Leute steigen aus. Ein paar Laternen werden hin und her getragen, der feuchte Abendnebel schlägt um Menschen und Dinge einen nassen Schleier.
„Hier, Herr Justizrat!“ sagt der Stationsvorsteher und zeigt einem behäbigen älteren Herrn mit Brille und Regenschirm die Coupés erster Klasse.
„Wo denn? Ich sehe absolut nichts! Das Glas ist mir ganz beschlagen – ich kann –“
„Herr Justizrat Ueberweg –“ sagt Alix mit bedeckter Stimme und tritt dicht vor den Suchenden hin. Sie kennt ihn wenig, sie hat ihn vor zehn Jahren dann und wann einmal flüchtig in Josephsthal gesehen, aber sie weiß es ja durch ihren Vater, daß er dessen langjähriger Rechtsbeistand ist und daß die beiden Herren in eifrigem Verkehr stehen.
„Mein verehrtes gnädiges Fräulein, mein – mein liebes –“
„Lebt Papa noch?“
„Noch lebt er!“ Das „noch“ wird schwer betont.
„Und ist sein Zustand –“
„Ganz unverändert, mein liebes, verehrtes junges Fräulein.“
„Leidet er?“
„Nein. Er ist ohne Bewußtsein. Aber für seine Umgebung –“
Der Justizrat und Alix haben beide leise gesprochen, beinahe flüsternd. Der Stationsvorsteher ist diskret von ihnen weggetreten; andere Leute sind nicht so zartfühlend. Die Mordaffaire in Josephsthal beschäftigt sämtliche Gemüter, widersprechende Gerüchte haben sich verbreitet: die Wunde sei absolut tödlich – nein, nicht tödlich – der Patient sei bei Besinnung, habe den Angreifer erkannt und angegeben – bewahre, er liege bewußtlos. Ueberweg war der einzige, den man allenfalls einen Freund des Herrn von Hofmann nennen konnte; er mußte gut unterrichtet sein, und es war interessant, zu hören, was er sagte.
Indessen, er sagte nichts weiter. Mit einem Blick auf die neugierig herumzögernden Menschen bot er Alix den Arm, während ein hinter ihm stehender Diener Françoise wegen des Gepäcks befragte. Das junge Mädchen nahm rasch den Schleier über ihr Gesicht und ließ sich von ihrem Begleiter fortziehen. Sie umschritten das Bahnhofsgebäude, und der Justizrat rief in das Dunkel hinein: „Markwart!“
„Herr Justizrat!“ kam eine Stimme zurück, und gleich darauf fuhr ein Schlitten, der an der kurzen Seite des Bahnhofes unter Deckung gestanden hatte, in raschem Trabe vor. Zwei helle Laternen brannten zu den Seiten des Kutschersitzes, den ein bärtiger Mann mit einer hohen Pelzmütze innehatte.
„Ihr gnädiges Fräulein, Markwart!“ sagte Justizrat Ueberweg, und der Mann zog höflich die Pelzkappe, während seine linke Faust die Züge! und die aufrechtgestellte Peitsche hielt.
„Wo ist James?“ fragte der Justizrat, während er der jungen Dame half, einzusteigen.
„Beim zweiten Schlitten, der das Gepäck bringen wird. Soll er vorfahren?“
„Gewiß!“
Markwart ließ einen kurzen Pfiff ertönen, und unmittelbar danach bog ein anderer Schlitten um die Ecke und hielt unweit des ersten.
„Können wir fahren?“ fragte der Justizrat.
„Wenn Françoise da ist – dort kommt sie schon.“
„Wünschen Sie noch eine Decke, Baroneß?“
„Nennen Sie mich nicht so! Sagen Sie Alix zu mir, ich bitte. Sie sind Papas einziger Freund – wollen Sie auch der meinige sein?“
Alix’ schmale Hand wurde ergriffen und mit einem beinahe schmerzhaften Druck festgehalten.
„Ich will treu zu Ihnen halten und für Sie thun, was in meinen Kräften steht!“ Ueberwegs Stimme klang unsicher, er schien sehr bewegt zu sein.
„Fahren wir jetzt!“ sagte das junge Mädchen und legte sich in ihre Ecke zurück.
Es hatte zu schneien aufgehört. Dennoch waren keine Sterne am Himmel sichtbar, und alles ringsumher war in ein fahles Dämmerlicht getaucht. In diesem ungewissen Licht unterschied Alix’ scharfes Auge gut genug die Dinge, die sie umgaben. Alles, Was sie sah, war ihr fremd.
Für einen unternehmungslustigen und reichen Mann sind zehn Jahre eine lange Zeit, sie bieten seiner Thätigkeit ein fruchtbares Feld. Als Alix Josephsthal verlassen hatte, war noch kein Bahnhof daselbst gewesen. Herr von Hofmann hatte es beim Ministerium durchgesetzt, daß die Bahn gebaut und der Bahnhof gerade hierher verlegt wurde, an eben diese Stelle, die der Knotenpunkt der ganzen Kolonie Josephsthal genannt werden konnte. Es bedeutete dies für die ganze Gegend, namentlich aber für ihn, eine wertvolle Errungenschaft.
Das junge Mädchen entsann sich noch genau der weithingedehnten, meist flachen Landschaft, durch die man damals bis zur nächstgelegenen kleinen Stadt fahren mußte – erst jenseit des Flusses wurde das Terrain hügelig und erhob sich allmählich sogar bis zu Bergen von malerischer Form, wenn auch nur mäßiger Höhe. Damals standen bloß einzelne verstreute Häuschen hier, die eigentliche Kolonie lag weiter westlich. Jetzt aber - - -
Alix richtete sich von neuem in ihrer Ecke empor und schlug den Schleier zurück. Es war ihr, als könnte sie ihren Augen nicht trauen: rechts eine ganze Kette von Häusern, samt und sonders in dem nämlichen nüchternen Stil erbaut und matt erleuchtet. Links ein paar größere, stattlichere Häuser, hinter ihnen, etwas erhöht gelegen, ein riesiger Bau mit regelmäßigen, langen Fensterreihen, die strahlend erhellt waren und rund um das ganze Gebäude goldige Riesenwürfel in den Schnee zeichneten. Im raschen Vorübergleiten gewahrte Alix viele abgesteckte Vierecke, halbfertige Fundamente und einige unbewohnte Häuser, wahrscheinlich noch nicht ganz vollendet.
„Herr Justizrat, was ist dies alles? Doch nicht - -“
„Das gehört alles zur Kolonie Josephsthal, mein gnädi - - liebe Alix! Das große Gebäude, das Sie links sahen, ist die Walzmühle, die Häuser in der Nähe werden vom Direktor, den Ingenieuren und Unterbeamten bewohnt. Es fehlt noch sehr an Arbeiterwohnungen, die Leute müssen sich fürs erste behelfen – Ihrem Herrn Vater ist der letzte, ganz außergewöhnlich früh einsetzende Herbst störend dazwischengetreten, es sollten noch viele Wohnungen fertiggestellt werden – nun hat einstweilen alles liegen bleiben müssen. Ich weiß aber wirklich nicht mehr genau, seit wie langer Zeit Sie nicht in Josephsthal waren.“
„Seit zehn Jahren.“
„O, – o! Welch große Augen werden Sie da machen, wenn Sie an den Strom kommen! Das ist wie ein ganzes kleines Königreich für sich. Man darf die Schneidemühle wohl die großartigste Schöpfung Ihres Herrn Vaters nennen! Wie ist mir denn: hatte Josephsthal vor zehn Jahren schon seine eigene Kirche?“
„Sie wurde eben begonnen, als ich fortkam.“
„Aber die Schule, das Gemeindehaus, die Apotheke, das [491] Hospital, die Direktorialwohnungen …. alles das gab es damals noch nicht?“
„Nein!“
„Sie werden lange Zeit brauchen, liebe Alix, um dies reichhaltige Material nur einigermaßen zu bewältigen ….. vorausgesetzt natürlich, daß Sie sich dafür interessieren!“
„Das ist der Fall – in hohem Maße sogar!“
„Josephsthal repräsentiert in hiesiger Gegend geradezu eine Sehenswürdigkeit. Von weither kommen die Fremden zugereist, um es kennen zu lernen. Ich bin technisch leider nicht vorgebildet genug, um einen lehrreichen Führer durch die zahlreichen Etablissements abzugeben; aber wenn Sie eingehendere Erklärungen wünschen, so könnte ich Ihnen dazu den Oberingenieur Harnack empfehlen, er ist seit Jahren Ihres Herrn Vaters rechte Hand gewesen – – eine ganz ungewöhnliche Kapazität in seinem Fach!“
„Sie schrieben mir von ihm.“
Alix wunderte sich im stillen, wie förmlich der Justizrat von ihrem Papa sprach. Er vergaß es nie, „Ihr Herr Vater“ zu sagen, und das klang ihr befremdlich, da er doch sein Freund war. Er mußte großen Wert auf Wahrung der Form legen. Sie wünschte sehr, mit ihm in näheren Verkehr zu treten – er war wohl der einzige Mensch, der ihrem Vater wirklich nahe gestanden hatte, und sie konnte durch ihn mancherlei erfahren, was ihr wissenswert erschien! - - Alle diese Gedanken zogen ihr aber nur im Flug durch den Sinn, eine unbeschreibliche Angst vor dem, was sie finden sollte, schnürte ihr das Herz zusammen und ließ sie bang und mühsam atmen. Die Fahrt ging rasch, die Pferde rissen den leichten offenen Schlitten wie im Fluge mit sich, und doch war es dem jungen Mädchen, wie wenn sie kaum von der Stelle kämen.
An den Fluß kamen sie heute nicht. Sie streiften nur sein rechtes Ufer flüchtig, es blinkten zahllose Lichter auf, aus einem sehr großen, weitläufigen Gebäude klang heftiges Schnauben, Stampfen und Keuchen zu ihnen herüber, dann bog der Schlitten links herum, und das Bild war vorüber.
Nun fuhren sie durch die große Allee – die kannte Alix genau, durch die war sie als Kind unzähligemal gelaufen, ihrer Mama entgegen, wenn diese in ihrem hübschen offenen Wagen auf Besuch in die Nachbarschaft gefahren war und ihr Töchterchen nicht mitgenommen hatte.
Die kahlen, schneeüberschütteten Aeste der Bäume hingen jetzt tief hernieder und streuten weißstäubende Flocken auf die Vorüberfahrenden. Statt der lustigen Finken und Rotkehlchen, die in jenen schönen Sommerzeiten die lustigen, grünen Laubgewölbe belebt hatten, flogen jetzt ein paar Krähen mit mißtönendem Krächzen empor. Wie hatte sich alles geändert! Die zärtliche Mutter, die damals ihr Kind voll überströmender Liebe ans Herz gedrückt, schlief lange – wie lange schon! – den letzten Schlaf, und der Vater jenes Kindes stand dicht am Rande des Grabes!
Die Allee war zu Ende. Sie mündete auf einen großen kreisförmigen Platz, der in guter Jahreszeit wohl mit Rasen und Blumenstücken geziert sein mochte; in der Mitte eines weiten Bassins stand eine mit Matten umwickelte Figur. Zur Linken dieses Platzes führte eine breite Auffahrt zur stolzgeschwungenen Schloßrampe. Das Schloß selbst war im gefälligsten Renaissancestil erbaut und zeigte über einer prachtvollen Freitreppe ein kunstvolles mächtiges Portal. Die ganze erste Etage war in bläulich mildes elektrisches Licht getaucht, die oberen Stockwerke, sowie die Türme und Erker lagen im Dunklen. - - - Alix warf nur einen flüchtigen Blick auf den imposanten Bau; sie war aus dem Schlitten, bevor die beiden mit Windlichtern herbeistürzenden Diener imstande waren, ihr zu helfen.
„Baroneß Hofmann!“ sagte der Justizrat zu den beiden sich tief verneigenden Lakaien. Einen Augenblick stand Alix wie betäubt inmitten der großartigen Halle, die verschwenderisch mit Deckengemälden, Gobelins, Waffentrophäen und Statuen geschmückt war. Eine bronzene Kolossalstatue, „die Industrie“, die in der hocherhobenen Linken eine große Fackel schwang, der elektrisches Licht entströmte, beherrschte gleichsam die ganze Halle. Sie stand auf mächtigem Sockel im Hintergrunde, wo die breite Doppeltreppe, die in die oberen Stockwerke hinaufführte, ihren Ausgang nahm. In der Nähe der Thür hob sich ein in reinstem Marmor leuchtender lebensgroßer Hermes mit Stab und Flügelhut von einem kostbaren, dunkelgetönten Gobelin ab.
Françoise war zur Stelle und half ihrer jungen Herrin aus den warmen Hüllen heraus, schweigend fürs erste, denn die neuen Eindrücke sowie die Erwartung alles dessen, was zunächst bevorstand, banden einstweilen ihre geläufige Zunge. Sie ging wie immer rasch und geschickt zu Werk; aber dem jungen Mädchen geschah heute alles zu langsam, es legte selbst mit Hand an, doch so erregt und zitternd, daß dadurch die Sache eher verzögert wurde.
„Würden Sie nicht zunächst nach der kalten Fahrt eine kleine Erfrischung nehmen, liebe Alix?“ begann der Justizrat.
Mit einer ungeduldigen Geste schnitt sie ihm das Wort ab.
„Ich möchte zu meinem Vater – jetzt gleich!“
„Wie Sie wünschen. Verzeihen Sie, daß ich vorangehe – es ist, um Ihnen den Weg zu zeigen!“
Einer der Diener schlüpfte voraus, öffnete hier eine Thür, schlug dort eine Portiere zurück, alles rasch und geräuschlos. Ueberweg richtete eine leise Frage an den Mann.
„Herr Doktor Petri ist soeben gekommen!“ erwiderte dieser.
„Das ist der Josephsthaler Arzt, liebe Alix, ein sehr tüchtiger Mann. Wollen Sie hier rechts eintreten; Ihr Herr Vater liegt in seinem Arbeitszimmer.“
Das junge Mädchen schob den Thürvorhang beiseite und ging auf dem dicken Smyrnateppich, der den ganzen Fußboden überdeckte, lautlos vorwärts. Die fünfarmige Lampe, die vom Plafond niederhing, gab ein helles Licht. An der längsten Wand des sehr großen und hohen Zimmers stand das breite, niedrige Bett. Am Kopf- wie am Fußende desselben saß je eine schwarzgekleidete barmherzige Schwester mit weißer Stirnbinde und steifer schwarzer Flügelhaube. An einem Tisch seitwärts stand ein hagerer, mittelgroßer Herr, der Alix den Rücken wandte. Er streifte eben seine Handschuhe ab und fragte eine der Wärterinnen in halbgedämpftem Ton: „Es ist keine Veränderung eingetreten?“
„Nein – keine!“ lautete die Antwort.
Hier machte ihm die zu Füßen des Bettes sitzende Schwester ein Zeichen, und, sich umwendend, gewahrte er eine junge Dame, die an ihm vorüberschritt.
„Fräulein von Hofmann, nicht wahr?“ sagte er ruhig. „Doktor Petri!“
Sie neigte ihr Haupt und blieb wie festgewurzelt stehen.
„Sie können näher herangehen, ganz nahe,“ sagte der Arzt. „Er hat keine Ahnung von Ihrer Gegenwart!“
- - - - - Nein, die konnte er nicht haben. Das bleifarbige Gesicht dort in den Kissen, mit dem breiten weißen Leinenstreifen um Stirn und Schläfen, mit den eingesunkenen bläulichen Augenlidern, trug so ganz das Gepräge des Todes, daß Alix mit einem halbunterdrückten Schreckensruf sich vorbeugte – sie meinte, sie käme zu spät und alles sei vorüber. Aber wie sie ihr junges, lebensvolles Gesicht dem schrecklich entstellten Antlitz näherte, da sah sie, daß die Brust unter dem schneeigen Leinen sich stetig hob und senkte, und zwischen den dünnen, fest aufeinandergepreßten Lippen hervor kam ein scharfer, regelmäßig wiederkehrender Laut, wie von knirschenden Zähnen. Zwei wie aus gelblichem Wachs gebildete Hände lagen regungslos auf der mit roter Seide überzogenen Decke.
Und das sollte ihr Vater sein, derselbe kaum zweiundfünfzigjährige Mann, den sie vor sechs Monaten in London gesehen hatte, stattlich und elegant, elastisch und kerngesund, ihr Vater, den sie nie eine Stunde krank gewußt, der keine Erschöpfung und keine Uebermüdung kannte – und jetzt – und jetzt!
„Ich – ich möchte mit Ihnen sprechen, Herr Doktor!“ stammelte Alix.
Ueberweg winkte den beiden Pflegerinnen und verließ mit ihnen das Zimmer.
„Sie können ungescheut und laut zu mir reden, Fräulein von Hofmann!“ sagte Doktor Petri. „Der Kranke hört uns nicht. Aber bitte, setzen Sie sich zuvor!“
Er rollte ihr, die am ganzen Körper zu zittern anfing und doch die Augen keine Sekunde von ihrem Vater zu wenden vermochte, einen Sessel heran, umfaßte sie sanft und drückte sie leicht in die weichen Polster. Sie neigte das Haupt und biß die Zähne fest in die zuckende Unterlippe, sie hätte laut aufschreien mögen.
[492] „Bitte, wenden Sie sich ab – sehen Sie nicht fortwährend hin, es regt Sie zu sehr auf!“ sagte Doktor Petri sanft.
Sie hätte ihm gern gehorcht, aber es war, als habe sie alle Gewalt über sich verloren. Da nahm er ihr Gesicht behutsam in seine beiden Hände und wandte es zur Seite; darauf blieb er neben ihr stehen und wartete geduldig, bis sie die Kraft finden würde, zu ihm zu sprechen.
„Ist dieser Zustand – hat dieser Zustand – sich – nicht geändert, seitdem das – Unglück geschah?“ fragte sie endlich.
„Kaum wesentlich. Der Kranke ist, seitdem er hierher gebettet wurde, ohne Bewußtsein.“
„Können Sie das mit voller Bestimmtheit sagen?“
„Mit voller Bestimmtheit. Meine beiden Kollegen und ich sind ganz einig über den Fall, er liegt leider überaus einfach. Es ist bei der Behandlung nur ein Weg einzuschlagen, über den ich mich, wie Herr Justizrat Ueberweg Ihnen bezeugen kann, ebenfalls vollkommen mit meinen Herren Kollegen verständigt habe.“
„Es kann nichts – nichts zur Verbesserung dieses Zustandes geschehen?“
„Wir können die über den Schläfen eingedrungene Kugel nicht entfernen, ohne den Kranken auf der Stelle zu töten.“
Alix wollte weiter fragen, als ein tiefer Seufzer, der sich den Lippen des Vaters entrang, sie entsetzt auffahren ließ. Der Seufzer wiederholte sich, währenddessen die hingestreckte Gestalt ebenso ohne Bewegung verharrte wie zuvor.
Doktor Petri zog das junge Mädchen mit sanfter Gewalt nach der Thür hin. „Auch dieses krampfhafte Aufatmen geschieht ohne Bewußtsein,“ beantwortete er dabei ihren fragenden Blick. „Aber Sie dürfen nicht hier bleiben; es regt Sie zu sehr auf. Gehen Sie jetzt, ich bitte, gehen Sie!“
Er führte sie bis zur Thür und schob den Vorhang beiseite. Françoise stand mit entsetztem Gesicht dahinter und nahm Alix, die weiß bis in die Lippen hinein war, in Empfang.
Marie von Ebner-Eschenbach.
Unter dem frischen Eindruck der nun zu Ende gehenden Erzählung „Die arme Kleine“ werden die Leser der „Gartenlaube“ gewiß mit ganz besonderem Interesse Näheres über die Persönlichkeit der berühmten Verfasserin erfahren. Marie von Ebner-Eschenbach nimmt heute den von allen litterarischen Parteien einmütig zuerkannten ersten Rang unter den deutschen Dichterinnen ein. Mit ihren ernsten und heiteren Novellen und Romanen, den „Erzählungen“, den „Dorf- und Schloßgeschichten“, mit „Božena“, „Das Gemeindekind“, „Zwei Comtessen“, „Lotti die Uhrmacherin“ – um nur einige ihrer Hauptwerke zu nennen, die geistvollen „Aphorismen“ nicht zu vergessen – hat sie sich für alle Zeiten ihre Stellung in der deutschen Nationallitteratur gesichert. Ein reicher Quell der Schönheit, Weisheit und Erhebung sprudelt aus diesen Dichtungen, und sie behaupten ihren Stand neben unseren größten Meistern der erzählenden Kunst. Wetteifert sie mit diesen Männern in Bezug auf markige Kraft der Darstellung, so verleugnet sie anderseits doch nie das echt weibliche Empfinden, welches den wesentlichsten Grundzug ihrer Persönlichkeit ausmacht.
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach wurde am 13. September 1830 im Schloß Zdislavic bei Zdounek in Mähren geboren. Ihr Vater war der reichbegüterte Graf Franz Dubsky auf Zdislavic und Zdounek; ihre Mutter eine sächsische Freifrau von Vockel, die aber schon im Wochenbett starb und demnach von der Dichterin nie gekannt wurde. Diese wurde erst von der dritten Gattin ihres Vaters erzogen, denn auch die zweite hatte er bald durch den Tod verloren. Die Erziehung der jungen Gräfin war natürlich nach dem Geschmack jener Jahre des noch immer patriarchalischen Vormärz. Man legte zumal in der Mädchenbildung mehr Gewicht auf die äußeren Fertigkeiten und Formen des Umgangs als auf litterarische oder gar wissenschaftliche Ausbildung. Eine französische Gouvernante war unbedingt notwendig; aber der Hauslehrer war vorerst für die Söhne, nur in zweiter Linie für die Töchter des kinderreichen Hauses da. Die kleine Comtesse durfte sich mehr in Feld und Park tummeln, als hinter Klavier und Schreibtisch sitzen. Doch möchte man diese Erziehung nicht ohne weiteres als nachteilig bezeichnen, denn sie hatte neben ihren Mängeln vor dem modernen System der Ueberbürdung mit Bücherweisheit den Vorzug, daß sie der jungen Seele volle Freiheit der Bewegung gestattete.
Der Sommer wurde auf dem Lande, der Winter in Wien verbracht, wo die gräfliche Familie ihr eigenes Haus besaß, das noch jetzt (Am Hof 13) vom Haupt der Familie, dem jüngeren Bruder der Dichterin Graf Adolf Dubsky, dem hochangesehenen liberalen Mitglied des österreichischen Hauses der Abgeordneten, bewohnt wird. Die jährlichen Umzüge von der Stadt aufs Land und wieder zurück gestalteten sich für die Kinder der Familie zu höchst interessanten Fahrten, an welche die Dichterin noch im Alter gern zurückdenkt. Man brauchte damals, wo noch keine Eisenbahnen waren, mehrere Tage, um die Strecke von Zdounek und Brünn nach Wien zurückzulegen, die jetzt der Eilzug in wenigen Stunden durchfliegt. Bei Nacht machte man unterwegs Station. Das war voller Romantik und reich an Abwechslung, an der sich die rege Phantasie der jungen Comtesse ergötzte. Das Abschiednehmen und Wiederbegrüßen der Einwohner und des Gesindes hüben und drüben war ebenso anregend für das junge Gemüt, das frühzeitig mit klugen Augen um sich schaute, wie die Begrüßung der geliebten Plätzchen und Gärten in Schloß und Hof. Unsere Dichterin soll auch ein heiteres, zu satirischem Witz geneigtes Mädchen gewesen sein. Heiterkeit und kritischen Sinn hat sie sich bis in ihre alten Tage bewahrt.
In Wien waren es vor allem die Aufführungen des Burgtheaters, welche sie anzogen. Den ersten starken poetischen Eindruck erhielt sie von der bilderreichen poetischen Erzählung in Versen „Der letzte Ritter“ von Anastasius Grün. Diese lernte Comtesse Marie halb auswendig. Auch Schiller war ein Lieblingsdichter ihrer Jugend; viele Jahre später (1869) huldigte sie ihm in dem kleinen Gelegenheitsstück „Doktor Ritter“. Aber die Vorstellungen im Burgtheater begeisterten sie zu allermeist. In den Erinnerungen aus ihrer Kinderzeit, die sie zu Karl Emil Franzos’ Sammelband „Geschichte des Erstlingswerkes“ beisteuerte, erzählt sie hierüber: „Im Winter wurden wir zu unserem nicht geringen Stolze jeden zweiten Tag in das Burgtheater mitgenommen. Eine neue Welt ging mir auf, und doch war mir, als befände ich mich in meinem eigentlichen Element. Das Burgtheater war damals eine Bildungsschule ersten Ranges, die Erfindung der ‚Comtessenstücke‘“ – so nennt man in Wien solche Stücke, die in keiner Beziehung verfänglich sind und die daher von jungen Mädchen gesehen werden dürfen – „noch nicht gemacht. Noch galt das Wort Julie Rettichs: ‚Das Klassische schadet nicht.‘ Nein, wahrlich, es schadet nicht, es läutert, es erbaut und begeistert! An manchem solchen Weiheabend saß ich auf dem Bänkchen im Hintergrunde unserer Loge, der Kopf brannte mir, meine Wangen glühten, ein kalter Schauer nach dem andern lief mir über den Rücken, und ich dachte: über kurz oder lang werden deine Stücke hier aufgeführt und deine Worte werden von der Bühne wie Funken herunterprasseln. Das waren Stunden!“ ….
Mit dem Ideal, ein großer dramatischer Dichter zu werden, wuchs also Comtesse Dubsky heran. Sie war unermüdlich thätig und füllte Bände mit ihren Versen, so daß sich schließlich ihre gute Mutter bei einer Autorität im Fache der Dichtkunst Rats erholen mußte, um ins klare über den Wert der dichterischen Neigungen ihrer Tochter zu kommen. Diese Autorität war Franz Grillparzer, der damals – es war im Jahre 1847 –, als größter Dichter Oesterreichs allgemein verehrt, in Wien lebte und zur
[493][494] Gräfin Dubsky in freundlichen Beziehungen stand. Grillparzers Urteil ist in folgendem, denkwürdigem Briefe erhalten, der hiermit zum ersten Male der Oeffentlichkeit übergeben wird:
„Gnädige Gräfin! Ich wollte, früher durch eigene Unpäßlichkeit verhindert, mir gestern die Ehre geben, Ihnen meine persönliche Aufwartung zu machen, fand Sie aber nicht zu Hause. Da ich nun für die nächsten Tage über meine Zeit nicht disponiren kann, will ich nicht säumen, schon jetzt wenigstens schriftlich meine Meinung über die Gedichte Ihrer verehrten Tochter abzugeben.
Die Gedichte zeigen unverkennbare Spuren von Talent. Ein höchst glückliches Ohr für den Vers, Gewalt des Ausdrucks, eine, vielleicht nur zu tiefe, Empfindung, Einsicht und scharfe Beurtheilungsgabe in manchen der satyrischen Gedichte bilden sich zu einer Anlage, die Interesse erweckt und deren Kultivirung zu unterlassen wohl kaum in der eigenen Willkühr der Besitzerin stehen dürfte.
Was noch fehlt ist jene Reife, die den Dichter erst zum Künstler macht, jene durchgehende Verständlichkeit, die den Gedanken ungehindert auf den Zuhörer (oder wohl gar Leser?) überträgt. Junge Frauenzimmer sind jungen Männern von gleichem Alter an Verstand und Einsicht gewöhnlich um mehrere Jahre voraus; aber eines fehlt ihnen, was uns unsere mitunter abgeschmackten methodischen Studien geben: Ordnung in den Gedanken. Daran fehlt es zum Theile diesen Gedichten, namentlich wo sie zu schildern suchen und die Empfindung der Begebenheit störend in den Weg tritt.
So viel im Allgemeinen und in Eile. Vielleicht ist es mir gegönnt Einzelnes und Näheres mündlich nachzutragen.
Hochachtungsvoll ergebenster Grillparzer.“[1]
Nun hatte die junge Dichterin Ruhe vor jenen Spöttern, die von vornherein alle litterarische Frauenarbeit für Blaustrümpferei erklären. Aber freilich war von dieser prinzipiellen Anerkennung einer vorhandenen Begabung bis zu den ersten Erfolgen in der Oeffentlichkeit noch ein langer, weiter Weg zurückzulegen.
An ihrem achtzehnten Geburtstage, am 13. September 1848, heiratete sie den Reichsfreiherrn Moriz von Ebner-Eschenbach, einen Vetter, der gegen fünfzehn Jahre älter war als sie, den sie seit der Jugend kannte und sehr liebte. Baron Ebner war zu der Zeit noch Hauptmann in der Genietruppe und zugleich Lehrer der Physik und Mathematik an der Kadettenschule; er war ein Mann von umfassender Bildung, auch philosophisch geschult, insbesondere ein Verehrer Schopenhauers. Im Laufe seiner Dienstzeit stieg Baron Ebner zu hohen Würden empor, wurde General im Geniekomitee, wo er sich viele Verdienste erwarb; 1874 trat er mit dem Titel eines Feldzeugmeisters und „Excellenz“ in Ruhestand und begab sich auf große Reisen, die ihn unter anderm auch nach Persien führten. Er starb im 84. Lebensjahre im Februar dieses Jahres. Als die Wiener Kadettenschule nach Klosterbruck bei Znaim – wenige Jahre nach 1848 – verlegt wurde, mußte das junge Paar, das sich schon im Ebnerschen Familienhause (Rotenturmstraße 27) wohnlich eingerichtet hatte, nach Klosterbruck übersiedeln und dort ungefähr zehn Jahre bleiben, bis Baron Ebner nach Wien zurückberufen wurde.
Da die Ehe kinderlos blieb, konnte sich die junge Baronin Ebner mit rückhaltlosem Eifer ihren litterarischen Studien an der Seite ihres gelehrten Gatten widmen. Sie war immer eine Frühaufsteherin und verstand stets ihre Zeit reich auszunützen. Zu den gründlichen Kenntnissen in der Geschichte nicht bloß des österreichischen und deutschen Vaterlandes, sondern auch insbesondere in der englischen Geschichte und der französischen Revolutionsepoche, zu der großen Belesenheit, welche die Schriften unserer Dichterin ganz unauffällig verraten, dürfte der Grund schon in jenen ersten stillen Jahren ihres glücklichen Ehelebens gelegt worden sein. Viel Anregung in litterarischer Beziehung hatte sie einem Kollegen ihres Mannes in Klosterbruck zu verdanken, der sich später als Dichter einen geachteten Namen erwarb: Josef Weilen. Aber man kennt unsere Dichterin schlecht, wenn man annehmen wollte, daß sie in ihrer Bücherwelt jemals aufzugehen vermochte. So lange sie lebt, ist ihr die Gegenwart wichtiger als alle abstrakte Vergangenheit gewesen; ein thätiges Eingreifen und Wirken im Dienste der Liebe erschien ihr stets wertvoller als jedes in gewissem Sinne doch nur selbstische Wissensstreben. Immer hatte sie das Bedürfnis, mit ihrer ganzen Zeit zu leben. Die Vorgänge auf dem großen Welttheater der Politik, dem sie durch den Beruf ihres Gatten und den ihres Bruders näher als viele andere Frauen stand, verfolgte sie zeitlebens mit großer Teilnahme; aber mit keiner geringeren die Entwicklung von Kunst, Theater und Litteratur, und zwar bis auf den heutigen Tag, wie auch ihre Schriften bezeugen. Bei dem aufs große Ganze gerichteten Sinn verlor sie indes nie die Empfänglichkeit für das kleine, aber so sehr reale Leid des Einzelnen. Hatte sie nicht für eigene Kinder zu sorgen, so schaffte sie sich Sorgen für die Kinder des verwitweten Bruders und half sie halb und halb mit auferziehen; ein andermal mußte einer erkrankten Schwester oder Freundin beigesprungen werden, und an Armen und Bedürftigen aus dem Volke, die ihr Herz rührten, hat es auch nie gemangelt, weder in Zdislavic noch in Wien. Und wer die vielen Kinderscenen in Erinnerung hat, die in den Erzählungen unserer Dichterin vorkommen (die allerschönste wohl in „Nach dem Tode“), der wird sich sagen, daß diese Frau, auch ohne selbst Mutter geworden zu sein, mütterliche Erfahrungen in Fülle gewonnen haben muß. In der That ist der erhabene Trieb der Mütterlichkeit der hervorragendste Charakterzug in der ganzen Persönlichkeit Marie Ebners, und sie durfte an ihrem sechzigsten Geburtstage mit Recht in stolzem Jubel bekennen: „Die Kinderlose hat die meisten Kinder“.
Die Fünfziger- und Sechzigerjahre verflossen der Dichterin im angestrengten Bemühen um die dramatische Kunst. Wie viele dramatische Versuche im Dunkel ihrer Schubladen noch verborgen liegen mögen, wissen wir nicht; vielleicht hat sie sie alle vernichtet. Bekannt geworden sind nur drei Dramen von ihr: „Maria Stuart in Schottland“ (1860), „Marie Roland“ und „Das Waldfräulein“. Das erste und das letzte dieser Dramen wurde auch – jenes 1860 in Karlsruhe, dieses 1872 im Wiener Stadttheater – aufgeführt; aber das „Waldfräulein“ wurde nicht einmal gedruckt und ist derzeit ganz unerreichbar. Außerdem wurden kleine Einakter („Die Veilchen“ und „Doktor Ritter“) gelegentlich gespielt. Zu einem durchschlagenden Erfolg gelangte jedoch Frau von Ebner mit ihren dramatischen Versuchen nicht. Woran das lag? Ohne Zweifel hat sie dramatische Begabung. Ihre Erzählungen gliedern sich häufig genug in Akte, wie ihr Meisterwerk „Nach dem Tode“; oder sie nehmen in den ergreifendsten Scenen dramatisches Leben an, wie die herrliche Novelle „Totenwacht“ aus der letzten Zeit. Erst ganz kürzlich, am 29. April d. J., hat Frau von Ebner am Burgtheater mit dem schönen Einakter „Ohne Liebe“ einen zweifellos dauernden Erfolg errungen. Dennoch verweist ihre eigentliche Begabung sie auf die Form der Erzählung. Bis sie sich jedoch zu dieser Erkenntnis durchrang, hatte Frau von Ebner einen wahren Leidensweg durchzumachen und oft genug die Stimmung, an ihrem Erfolg zu verzweifeln. Man hört es aus ihren Dichtungen heraus, daß sie – die doch vom Schicksal in so vieler Beziehung vor vielen anderen Dichterinnen so reich begünstigt wurde – ihren Teil an Lebensprüfungen gründlich durchgekostet hat. Denn auch als sie mit ihren ersten Novellen und mit der heutzutage allgemein als einem der besten deutschen Romane anerkannten ersten größeren Erzählung „Božena“ (1876) hervortrat, blieb sie viele Jahre ohne Anerkennung, und sie mußte immer höher und höher schreiten, mit jedem neuen Werke sich selbst zu übertreffen streben, bis sie als das gewürdigt wurde, was sie in Wahrheit ist.
Erst mit dem Uebertritt in das Fach der Erzählung hatte Frau von Ebner sich selbst gefunden: das war die Form, in der sie das Leben mit jener Klarheit, jener Heiterkeit und Tiefe spiegeln konnte, die ihre Poesie auszeichnen. Sie brauchte nicht mehr in die ferne Vergangenheit zu schweifen, um brauchbare Stoffe zu finden: ihre nächste Umgebung, die Menschen in Schloß und Dorf, im slavischen Mähren und im deutschen Wien, boten ihr die Modelle; sie brauchte nur um sich zu sehen und hineinzugreifen ins volle Menschenleben, und was sie ergriff, gestaltete sich im Läuterungsfeuer ihrer Phantasie zu ewiger Poesie. Als endlich im Publikum die Erkenntnis des Wertes ihrer Kunst durchgedrungen war – meines Erinnerns waren Ausschlag gebend „Die Freiherren von Gemperlein“ und die kostbaren [495] Brieflein der „Comtesse Muschi“, die in den ersten achtziger Jahren erschienen – da ward die Dichterin mit Bitten um neue Erzählungen bald so überhäuft, daß sie noch viele Male fleißiger hätte sein müssen, als sie schon war, um allen Genüge zu leisten! Der Erfolg stellte sich zwar spät ein, aber doch noch zu einer Zeit, wo Frau von Ebner in der vollen Kraft ihrer Jahre stand und sich ihrer Kunst ohne Beschwerden widmen konnte. Und sie that es mit voller Hingabe und Begeisterung, vermied nach Möglichkeit alles, was sie in ihrem Lebensberufe stören könnte.
In den letzten zwei Jahrzehnten lebte sie im Winter in Wien, im Sommer zuerst in St. Gilgen, dann oft bis zur Weihnachtszeit in Zdislavic. So recht fleißig konnte sie nur auf dem Lande sein. Da blieb sie – gewöhnlich in Gesellschaft ihrer Freundin, der geistvollen Frau Ida von Fleischl, der Mutter eines angesehenen österreichischen Physiologen, Ernst von Fleischl – ohne Störung bei ihrem Schaffen. In den schönen schattigen Laubgängen des für Fremde abgeschlossenen Parks zu Zdislavic kann sie sich ihren Phantasien und Gedanken überlassen, gewöhnlich in den Morgen- und Vormittagsstunden. Die Nachmittage sind der Zerstreuung gewidmet. In Wien fühlt sich Frau von Ebner von gesellschaftlichen Verpflichtungen, die sie doch bei ihrer großen Menschenliebe nicht leicht abzulehnen vermag, in der zur Arbeit nötigen Sammlung vielfach gestört. So lange ihre Freundin, die Dichterin Betty Paoli lebte (die vor wenigen Jahren erst im hohen Alter von achtzig Jahren starb), verbrachte Frau von Ebner die Nachmittage der ungeraden Monatstage bei ihr. In der Vorrede zu den Gedichten aus dem Nachlasse Betty Paolis hat sie diese Nachmittage sehr anmutig geschildert. Es wurde zu dritt – Frau Ida, Betty und die Baronin – scheinbar Karten gespielt; in Wahrheit aber brachten die Gespräche jede Partie zum Stillstand: sie waren interessanter.
Bei der Arbeit hat wohl selten jemand unsere Dichterin gesehen, denn vormittags, wo sie sich ihr widmet, ist sie für niemand zu sprechen. In ihrem Schreibzimmer in Wien, dessen Abbildung wir unseren Lesern bringen, sieht es daher immer „aufgeräumt“ aus. Der Schreibtisch unterscheidet sich nicht besonders von dem jeder anderen Dame aus ihren Kreisen; er entbehrt vollständig jenes malerischen Reizes der Unordnung, den Dichterschreibtische aufzuweisen pflegen. Im ganzen Zimmer deuten nur die schönen Bücherschränke auf beiden Längsseiten, in denen die Meisterwerke der Weltlitteratur in schönen Einbänden hinter blitzblanken Scheiben nebeneinander stehen, auf die Neigungen und die Beschäftigung der Bewohnerin. Ein Manuskript der Dichterin ist mir hier nie zu Gesicht gekommen. Aber man weilt nur zu gern in diesem mit edlem Geschmacke eingerichteten Raume, denn an allen Wänden und in jedem Winkel stehen, liegen oder hängen Gegenstände, an die sich irgend eine persönliche Erinnerung der Dichterin knüpft: die Gemälde oberhalb der Bücherschränke sind ältere Familienporträts; da liegt eine gestickte Mappe, dort steht ein schöner Leuchter, da ruht ein Werk in schönem Einband mit der Widmung des Verfassers. Es waltet ein wahres Behagen in diesem Zimmer, das noch tiefe Fensternischen hat, weil das Haus alt ist, indes in den neuen Wiener Häusern die Mauern so dünn als nur möglich gebaut werden.
Einer ganz besonderen Merkwürdigkeit der Ebnerschen Wohnung wird man gewahr, wenn man sich eine kleine halbe Stunde aufhält. Da hört man plötzlich von verschiedenen Seiten her das lieblichste Glockenschlagen. Die Dichterin ist nämlich, wie jeder weiß, der ihre Erzählung „Lotti, die Uhrmacherin“ kennt, eine große Freundin der Uhrmacherkunst. Sie hat sie gründlich gelernt und im Laufe der Jahre eine Uhrensammlung mit vielen Seltenheiten und Merkwürdigkeiten Stück für Stück erworben. Diese Sammlung ist in einem kleinen Kasten, der in den Winkel zweier Wände hineingebaut ist, in ihrem Arbeitszimmer sichtbar. Hat Frau von Ebner einmal Muße und Stimmung, so nimmt sie gern ihre Kostbarkeiten heraus und erklärt dem Gast ihre Wunder der Uhrmacherkunst. In jenem Kasten sind die Uhren still, nicht aufgezogen, aber in der ganzen Wohnung, die aus vier Zimmern außer den Nebenräumen besteht – mit etwas düsterem Lichte, denn die Fenster gehen in das enge „Rabengäßchen“, einen der ältesten Teile der Stadt Wien –, sind auf den Kaminen, vor den Spiegeln, auf Etageren Uhren aufgestellt, jede ein Wunderwerk in ihrer Art, und diese schlagen und läuten zu allen Viertelstunden, vor- oder hintereinander, wie es just kommt, denn auch unsere Dichterin hat ebensowenig wie Karl der Fünfte alle Uhren zu genau gleichem Gange zwingen können …
Und da sitzt man denn in der Schummerstunde, die Marie Ebner ebenso liebt wie Theodor Storm es that, um 4 Uhr nachmittags, wo sie zu empfangen pflegt, im dunklen Salon vor ihr und freut sich des Glückes, einmal wieder mit ihr plaudern zu dürfen. Sie versteht es gut, zu plaudern, und hört sehr gern zu, wenn man ihr erzählt. Dabei ist sie von einer Einfachheit, Natürlichkeit und Wärme, daß jede Befangenheit, auch vom Neuling, in ihrem Kreise bald schwindet. Diese gewöhnlich in schwarzer Seide gekleidete, eher kleine als große, überaus zarte Frauengestalt mit dem feinen ausdrucksvollen Kopfe zwingt uns durch ihre eigene Art, einfach, wahrhaft, natürlich zu sein, wenn wir mit ihr sprechen. Wohl ist auch sie für den Ausdruck der Begeisterung für ihre Werke empfänglich, und sie freut sich unbefangen und offen, wenn man sie lobt; aber sie hört ebenso rasch und fein heraus, wenn die Schmeicheleien nichts mehr als Artigkeiten sind, und versteht es, dem Gespräch rasch eine andere Wendung zu geben. Denn Marie Ebner ist von einer tiefen, nur allzu selbstkritischen Bescheidenheit; sie beschämt einen mitunter mit ihrer Demut. Fühlt sie sich im Urteil über andere zu einem Tadel genötigt, so sagt sie das Herbe am liebsten in scherzender Einkleidung. Ueberhaupt liebt sie die heiteren Menschen, einen guten, frischen Witz viel mehr als die Sauertöpfe. Was sie im „Gemeindekind“ dem Schulmeister Habrecht in den Mund legt: „Traurigkeit ist Stille, ist Tod; Heiterkeit ist Regsamkeit, Bewegung, Leben“ – das ist ihr so recht aus der eigenen Seele geflossen. Thätigkeit – unermüdliche, unverdrossene Thätigkeit: das ist die erste und letzte Forderung dieser großen sittlichen Persönlichkeit an sich selbst und an die Menschheit. Thätigkeit auch im engen Kreise erscheint ihr wertvoller als alle noch so glänzend scheinende Existenz, die sich nur mit Worten begnügt oder in der Beschaulichkeit aufgeht. Die Thätigkeit im Dienste des Wohles der anderen erscheint ihr sehr viel wichtiger als alle theoretischen Probleme. Das Evangelium geläuterter Menschlichkeit, das Goethes Iphigenia verkündet, beseelt nicht nur ihre Werke, es hat ihre ganze Lebensarbeit geadelt.
Ich war ein ganz junger österreichischer Justizbeamter, als mir der Untersuchungsrichter, dem ich zur Ausbildung überantwortet war, einen „Fall“ zur ersten selbständigen Vernehmung der Zeugen übergab. In keinem großen Prozesse wegen Raubmords, Hochverrats oder sonst was Wichtigen habe ich später die Vorbereitungen zur Vernehmung so umständlich und genau gepflogen: zehnmal änderte ich die Reihenfolge, wie ich die Leute verhören wollte, alle Fragen waren vorbereitet, alle Zwischenfälle überdacht, kurz alles war in ein sorgfältig ausgehecktes System gebracht, obwohl es sich nur um einen ganz unbedeutenden Diebstahl handelte. Das Wichtigste schien mir die Reihenfolge der Zeugen: erst wollte ich die Dame vernehmen, in deren Haus der Diebstahl vorgefallen war, um über alle in Betracht kommenden Leute unterrichtet zu werden, dann den Beschädigten, hierauf dessen Zimmerkameraden u. s. w. Es war ein herrlicher Plan; aber als der Tag der Vernehmung kam, erschien die bewußte Dame nicht, und ich mußte meinen Plan eiligst aufgeben und die Sache anders machen, mehr schlecht als recht.
Ich hatte einen Mißerfolg, und als am nächsten Tage die so schwer Vermißte zur Thür hereinrauschte, empfing ich sie recht unartig: allein ein erstickender Redeschwall ergoß sich über mich, und endlich konnte ich in fast weinerlichem Tone nur noch fragen,
[496][497] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [498] warum sie denn gestern nicht gekommen sei. In beweglichen Worten belehrte ich sie über die Autorität der Gerichte, Verpflichtung der Staatsbürger und ähnliche Ideale, an die ein ganz junger Kriminalist noch zu glauben pflegt. „Aber ich bitte Sie, wie konnten Sie denn verlangen, daß ich gestern kommen solle; es war doch Freitag, und ich konnte doch zum erstenmal in meinem Leben zu Gericht nicht an einem Freitag kommen!“ Das war die ganze Entschuldigung der Dame.
Als ich meine Fassung halbwegs wieder gefunden hatte, hielt ich ihr trotz ihrer Schönheit doch anerkennenswert barsch vor, daß die anderen Leute, denen sie an Bildung „himmelhoch“ überlegen sei, ganz brav erschienen seien, obwohl es für sie doch auch Freitag war.
„Aber ich bitte Sie,“ war die erstaunliche Antwort, „diese Leute – das ist ja ganz etwas anderes, die empfinden doch nicht so fein.“
Daß man aber selbst in der Verbrecherwelt Leuten begegnen kann, die ähnlich „fein“ empfinden, sollte ich bald erfahren. Man hatte einen berüchtigten, oft abgestraften Einbrecher auf frischer That ertappt; sein Gehilfe wurde zwar gesehen, er entwischte aber. Aus früheren Raubzügen des Eingelieferten wußte man, daß er regelmäßig denselben Genossen hatte, dieser wurde daher ausgeforscht und verhaftet. Er beteuerte hoch und heilig, diesmal unschuldig zu sein. „Ich könnt’s fast beweisen, daß ich’s nicht war, aber Sie werden mir’s nicht glauben.“ Mehr war aus ihm nicht herauszubringen, doch als sich die Schlinge immer fester um seinen Hals schnürte, rückte er endlich mit einer Erzählung hervor: „Wir hätten unser drei von der Partie sein sollen,“ meinte der alte Gauner; „ich hätte wirklich damals mitgehen sollen; aber als ich aus dem Hause trat, um mich auf den Intippel (Rendezvousplatz) zu begeben, begegnete mir ein altes Weib. Ich bin gar nicht abergläubisch, aber zu später Nachtstunde, wo sonst kein Mensch in der Straße war, einem alten Weib zu begegnen – das kann nichts Gutes bedeuten, und so kehrte ich um und ließ die zwei andern allein arbeiten.“
Mir war es damals noch neu, daß ausgepichte Verbrecherseelen an dem harmlosen Jägeraberglauben mit dem alten Weibe festhalten, aber mein Mann hatte so sicher gesprochen, daß es ja sein konnte.
In der That gelang es der Polizei, in der fraglichen Straße die alte Frau auszuforschen, die in jener Nacht ausgegangen war, um für ihre Nachbarin den Arzt zu holen; sie erinnerte sich, daß ihr ein Mann begegnet war, der sofort wieder umkehrte. Dies war ihr auffallend; sie sah sich um und konnte wahrnehmen, daß der Mann in ein Haus trat, welches allerdings das vom Genannten bewohnte war. Etwas von der Erzählung war also richtig und spätere Erhebungen konnten feststellen, daß der Mann diesmal wirklich „nicht von der Partie war“. Ausnahmsweise hatte also hier der Aberglaube einmal Gutes bewirkt.
Aehnliche Beobachtungen haben übrigens alle Kriminalisten gemacht: niemand hält auf Vorbedeutungen, gute und böse Zeichen, Ahnungen, glückliche und unglückliche Tage und ähnliches mehr als der richtige Gauner, und viele Verbrechen sind lediglich deshalb unterblieben, weil irgend ein Zeichen „dagegenstand“. Ich glaube übrigens, daß „große“ Gauner, namentlich solche, die in einer kleineren oder größeren Bande eine leitende Stellung einnehmen, mitunter Aberglauben vorschieben, um ein anderes Motiv damit zu decken; dies wird besonders dann vorkommen, wenn irgend ein Verbrechen geplant wurde, vor dessen Ausführung dem Leiter der Bande aus irgend einem Grunde angst wird. Dies gesteht er den anderen nicht gerne ein, da er durch ein solches Bangewerden, wenn es auch noch so berechtigt war, leicht um sein Ansehen kommen kann; viel bequemer und sicherer ist es, irgend ein böses Omen oder ähnliches vorzuschützen, denn dafür kann niemand und der Zweck wird erreicht, ohne sich erst gegen Einwendungen, Zureden etc. wehren zu müssen. –
Als ich später in eine kleine Landstadt, nicht weit von der ungarischen Grenze, versetzt wurde, hatte ich reichliche Gelegenheit, im Bereiche meiner Berufsthätigkeit Aberglauben über Aberglauben zu finden. Gleich in den ersten Tagen hatte ich in der Apotheke zu thun, als ein Mann eintrat und Krokodilfett verlangte. Der Apotheker verschwand und brachte dann ein winziges Klümpchen grünlichen Fettes, welches gut verwahrt und noch besser bezahlt wurde. Als der Mann fort war, sagte der Apotheker, ein gebildeter und höchst anständiger Mann, in entschuldigendem Tone: „Sehen Sie, als ich hierher kam, glaubte ich, die dummen Menschen gescheiter machen zu können, und wenn die einfältigen Käufer irgend welchen Unsinn von mir haben wollten, so belehrte ich sie und suchte sie zur Annahme des entsprechenden Mittels zu bewegen. Aber was war die Folge? Was sie bei mir nicht bekamen, holten sie in der nächsten Apotheke, beim Abdecker oder sonst wo; ja gewisse Substanzen verschafften sie sich in oft sehr bedenklicher Weise. Heute bekommen sie alles bei mir: Dachs-, Hunde-, Bären-, Krokodil-, Affen-, Schnecken-, Menschenfett, Skorpionöl, Regenwurmbalsam, Mithridat, Elephantenschweiß, Hexensalbe und Mitternachtstropfen.“
Der Mann hatte nicht so ganz unwahr gesprochen, und erst später wurde mir klar, was er mit den Worten „die Leute verschaffen sich manches in bedenklicher Weise“ gemeint hatte.
Gerade der finsterste Aberglaube verleitet die Menschen zu schweren Verbrechen. Wunderbare Wirkungen werden verschiedenen Dingen zugesprochen, die ohne Verbrechen schwerlich zu beschaffen sind. Menschenfett, das Blut unschuldiger Kinder, zu Neumond ausgegrabene Leichenteile u. dergl. sollen bald gegen Krankheiten helfen, bald die Entdeckung begangener Unthaten verhüten, bald zum Auffinden verborgener Schätze dienen. Bei Verblendeten und Wahnwitzigen, die sich in den Besitz solcher Dinge setzen wollen, wird der Aberglaube zur Triebfeder unbegreiflicher verbrecherischer Thaten. Noch im Jahre 1894 hat ein Prozeß das größte Aufsehen erregt, weil in ihm festgestellt wurde, daß man damals in Sizilien nicht weniger als zwanzig Kinder gemordet hatte, um mit deren Blute einen großen Schatz aus der Sarazenenzeit heben zu können.
In noch größerem Maße bestimmt der Glaube an böse Geister und Hexen unaufgeklärte Menschen zu verbrecherischen Handlungen.
Der ausgezeichnete russische Kriminalist August Löwenstimm hat hierüber ebenso mühsame wie belehrende Zusammenstellungen gemacht; er weist z. B. nach, daß Menschenopfer, namentlich zur Zeit großer Bedrängnisse, wie Hungersnot, Epidemien, Wetterschäden etc., in Rußland bis in die neueste Zeit zu verfolgen sind, so daß man mit Recht befürchten muß, daß sich auch jetzt noch solch’ entsetzliche Vorgänge wiederholen können, sobald einer der genannten Anlässe eintritt. So wurden im Gouvernement Archangelsk bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts dem Wassergeist regelmäßige Menschenopfer gebracht; 1855 begrub man im Nowgorodschen Kreise eine alte Frau lebendig, um die Cholera zu bannen, und dasselbe geschah 1861 mit einem jungen Mädchen anläßlich einer anderen Epidemie im Turuchanschen Gebiete. Als 1871 die Cholera sich um Torkatschi ausbreitete, war es nur einem Zufall zu danken, daß dort eine Bäuerin nicht geopfert wurde, aber noch später, 1881, hat man, allerdings bei den fernen Jakuten am Weißen Meere, ein Mädchen umgebracht, um einer fürchterlichen Hungersnot ein Ende zu machen.
Mit solchem Opferglauben stehen die Hexenprozesse im engsten Zusammenhange. Welcher unselige Wahn die Menschheit durch Jahrhunderte befangen hielt, welche entsetzliche Menge von Schmerzen, Qualen, Todesangst, Martern und Hinrichtungen der Hexenglaube gekostet hat, ist bekannt genug – man meint, daß man die Zahl der verbrannten und zu Tode gemarterten Hexen auf eine Million veranschlagen dürfe. Die letzten Hexenhinrichtungen in Europa fanden im vorigen Jahrhundert statt, aber in Mexiko wurden in San Juan noch 1874 zwei und 1877 fünf Frauen als Hexen von Amts wegen verbrannt!
Wenn auch die Justiz in Europa seit etwa 100 Jahren so Entsetzliches nicht mehr unternimmt, so lebt doch der Glaube an Hexen und Zauberer in verschiedenen Gegenden fort, und unaufgeklärte Volksmassen lassen sich noch hinreißen, an den unschuldig Verdächtigten Lynchjustiz zu üben. Noch 1836 haben Fischer auf der Halbinsel Hela bei Danzig eine Hexe ertränkt; aber von da an finden wir in Westeuropa wenigstens keine Mordthaten an Hexen mehr, immer nur wurden dieselben schwer mißhandelt, wobei meistens das vergossene Blut aufgefangen [499] und zu abergläubischen Zwecken verwendet ward; so 1874 in Strasburg in Westpreußen, 1862 in London, 1873 in Christburg (Westpreußen), 1870 in Dirschau und 1866 in Schönsee bei Thorn; jedesmal handelte es sich um eine alte Frau, die im Verdachte stand, jemand behext zu haben, wofür sie unbarmherzig geschlagen wurde.
Merkwürdig zählebig ist auch der Glaube an den Wechselbalg (Kielkropf). So nennt man in manchen Gegenden mißgestaltete, kränkliche oder blödsinnige Kinder. Sie werden nach abergläubischen Ueberlieferungen von Zwergen, Unholden, Schratteln[2], auch wohl von Nixen, Hexen oder dem Teufel selber gebracht, wogegen sich der betreffende Uebelthäter ein wohlgestaltetes Menschenkind mitnimmt. Das Böse an der Sache liegt darin, daß man ferner glaubt, man müsse den Wechselbalg so lange schlagen oder sonst quälen, bis der Ueberbringer desselben ihn wieder holt und dafür das geraubte Kind zurückbringt. Wuttke, Schwartz, Mannhardt, Löwenstimm und zahlreiche andere Schriftsteller erzählen genug derartige Fälle, und die russischen Gesetzgeber fanden es notwendig, im Art. 1469 des russischen Strafgesetzbuches das Töten mißgestalteter Kinder ausdrücklich zu verbieten.
Ich selbst hatte einmal Gelegenheit, mich zu überzeugen, wie lebendig noch der Glaube an Wechselbälge im Volke ist. Die Sache passierte einem Kollegen am gleichen Amtsorte, an dem ich mich befand. Ein ganz kleines Kind hatte sich an den Wiegenbändern erhängt, weshalb die Erhebungen wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet wurden. Ich weiß nicht, ob man dies anderwärts auch so macht, aber bei unserer Landbevölkerung pflegen die Leute, wenn sie zur Arbeit gehen und ihre Kinder unbeaufsichtigt zu Hause lassen müssen, die Kleinen in der Wiege „einzuschnüren“. Zu diesem Zweck tragen die Seitenwände der Wiege jederseits mehrere Holzknöpfe, über welche eine Schnur im Zickzack geschlungen wird, so daß das Kind hierdurch in der Wiege niedergehalten wird; es kann sich somit nicht aufrichten und nicht hinausstürzen.
Im gegebenen Falle hatte das Kind aber doch die Schnur gelockert und über einen Knopf gehoben, es stürzte aus der Wiege, blieb mit dem Kopf in dem Bande hängen und erstickte. Als nun die Mutter des Kindes wegen ihrer Sorglosigkeit zur Rechenschaft gezogen wurde, erklärte sie ganz ruhig, sie sei vollkommen schuldlos, denn „das hat der Schrattl gethan“. Sie erklärte dann, der Hergang sei offenbar so gewesen, daß der Schrattel das Kind habe rauben und dafür einen Wechselbalg habe einlegen wollen. Hierbei habe er mit dem Schnürband ungeschickt hantiert, das Kind sei mit dem Halse hängen geblieben, der Schrattel habe es nicht loslösen können und sei erschreckt geflohen. So mußte sich, freilich das Kind erhängen! Die Erklärung wurde von mehreren vernommenen Nachbarinnen als sicher richtig bestätigt.
Kurze Zeit darauf konnte ich wahrnehmen, daß der Glaube an den Schrattel in unserer Gebirgsbevölkerung noch sehr verbreitet ist. Ich besaß einen winzigen, zottigen und äußerst lebhaften Hund, der leider den unausrottbaren Hang bezeugte, seine Mitgeschöpfe zu ärgern, zu quälen und ihnen allen erdenklichen Tort anzuthun, so daß er infolge dieser üblen Eigenschaften „Schrattl“ genannt wurde. In Begleitung dieses Geschöpfes ging ich einmal eine längere Wegstrecke mit einem alten, sehr intelligenten Bauern, der mir im Verlaufe des Gespräches allen Ernstes riet, dem Tiere einen anderen Namen zu geben, denn „so oft den Schrattl zu rufen, heiße den Teufel an die Wand malen“.
Wohl hat M. Busch recht, wenn er in seinem Werke „Deutscher Volksglauben“ sagt: „Der deutsche Aberglaube ist das nachgedunkelte Bild des deutschen Heidentums – es liegt ein schönes Stück Poesie darin“, aber wir Kriminalisten sind diesem „nachgedunkelten Bilde“ nicht grün! Viel weniger gefährlich als die vorher erwähnten abergläubischen Ueberlieferungen, gleichwohl aber bedenklich sind alle Gespenster- und Spukgeschichten. Allerdings mögen die Gründe, warum es irgendwo „umgeht“, mitunter ganz zufällig und harmlos sein, in der Regel hat es aber doch einen ganz bestimmten Grund, warum jemand den Glauben entstehen ließ, es sei da und dort nicht recht geheuer: er will einfach verhindern, daß er bei irgend einem unlauteren Treiben gestört oder betreten wird, und dies ist mit dem Ausstreuen einer recht gruseligen Spukgeschichte am leichtesten erreicht. Freilich geht es da oft so zu wie mit der frischgestrichenen Gartenbank im Schloßpark zu Schönbrunn, zu der man einen Wachposten gestellt hatte, damit sich niemand darauf setze: der Grund der Aufstellung des Postens wurde vergessen, die Bank existierte überhaupt nicht mehr, und nach 60 Jahren stand der Posten immer noch dort und wurde alle zwei Stunden abgelöst. Ebenso hat auch vielfach derjenige, der den Spuk ins Leben rief, diesen vielleicht längst nicht mehr nötig, er ist vielleicht schon lange tot, aber der Glaube an das Gespenst ist nicht gestorben. – Wenn nun die Magd einen bestimmten Teil des Gartens von Geistern belebt sein läßt, um dort ungestört ihre Stelldicheins abhalten zu können, so ist der Vorgang genau derselbe, wie wenn Falschmünzer eine Ruine in Verruf bringen, um dort ihr verbrecherisches Treiben nicht entdecken zu lassen; ebenso bringen die Wilddiebe entsetzliche Spukgeschichten unter die Leute, um gewisse Reviere bei Nacht für sich zu haben, denn auch der beherzteste Jäger ist rechtschaffen abergläubisch, und der Fischdieb läßt Wassergeister und Nixen treiben, damit ihm niemand über seine Nachtangeln und Reusen gehe. So macht es alles lichtscheue Gesindel, und wenn wir unsere Gendarmen beauftragen, gerade dort ein wachsames Auge zu halten, wo es „umgeht“, so gelingt mancher überraschende Fang.
Ich habe durch meine ganze Jugend die Ferien auf einem Landbesitze meines Großvaters in schöner, einsamer Gegend zugebracht. Dort steht ein Berg, halb mit Feldern und Wiesen, halb mit Wald bedeckt, wo damals ein ganz besonders unheimliches Gespenst sein Unwesen trieb: ein borstiges Schwein mit einem Menschenkopf, in dessen Stirne eine Flintenkugel stak. Die Leute hatten heillosen Respekt vor dieser Gegend, niemand wollte zur Nachtzeit dort gehen, und wenn ich, selten genug, meinen Weg dort nehmen mußte, so ging es, selbst als ich schon ein fast erwachsener Bursche war, nie ohne Herzklopfen ab; man konnte doch nicht recht wissen! Erst nach Jahren wurde entdeckt, daß der einzige Bauer, der in jener unheimlichen Gegend wohnte, durch die längste Zeit die unverschämtesten Felddiebstähle begangen hatte. Er war vermögend geworden, da er durch Jahrzehnte die fremden Felder fast vollständig abgeräumt hatte; die Leute merkten wohl, wie sie bestohlen wurden, aber niemand wagte es, dort zur Nachtzeit aufzupassen, und so störte niemand den Dieb, der zweifellos das famose Gespenst selbst erfunden und die Kunde davon verbreitet hatte. Man wird nicht fehl gehen, wenn man den größten Teil der Gespenster als absichtlich erfundene Schutzgeister für verbrecherisches Treiben ansieht und danach handelt.
Ist einmal eine Spukgeschichte entstanden, so hat sie regelmäßig langes Leben, und wenn sie auch jenem Zweck, dem zuliebe sie geschaffen wurde, nicht mehr dient, so kann sie in anderer Weise Unheil stiften. Als ich noch in dem kleinen Städtchen, welches früher erwähnt wurde, diente, kam einmal, während ich bei Tisch saß, ein Gendarm hereingestürzt: „Ein Ermordeter wurde gefunden!“ meldete er. Mehr wußte er nicht, da ihm, der eben von einem Dienstgange heimging, ein anderer Gendarm begegnet war, der vom Fundorte in der Stadt (ich wohnte außerhalb derselben) gekommen war; dieser hatte den Heimkehrenden zu mir gesendet und war selbst an den grausigen Fundort zurückgeeilt, um ihn zu bewachen. Selbstverständlich unterbrach ich die Mahlzeit sofort und rannte mit dem Gendarmen davon. Es ergab sich nun eine eigenartige Geschichte.
An der Grenze des Städtchens lagen das Brauhaus und daneben das Wohnhaus und der Garten des Brauers. Diesem war sein großer Lieblingshund verendet, den er im Garten verscharren ließ, und als die Grube ausgehoben wurde, fand man einen „Ermordeten“, d. h. das Schädeldach eines Menschen, Wirbelknochen und sonstiges Gebein. Mir wurde bald die Aufklärung zu Teil, als der Gerichtsarzt erschien und die Knochen sorgfältig untersuchte. „Den Thäter erwischt ihr jedenfalls nicht mehr,“ war sein Gutachten, „denn dieser arme [500] Teufel ist seit Jahrhunderten tot; er war ein Hunne oder Chorruzze oder Tatar, kurz irgend einer der vielen mongolischen Leute, die sengend, brennend und raubend unzähligemal über die Grenze gebrochen sind und diese arme Gegend jahrhundertelang verwüstet haben. Solche kleinköpfige Skelette mit fliehender Stirne und krummen Beinen findet man hier überall, wo man tiefer in die Erde gräbt.“ Später sandte ich den Schädel an den berühmten Anatomen Hyrtl in Wien, dessen Schädelsammlung die größte der Erde war, und bat ihn von Amts wegen um sein Gutachten. Auch er bestätigte, daß der Schädel einem Manne mongolischer Abkunft gehört hätte und daß die Knochen jedenfalls mehrere hundert Jahre in der Erde gelegen haben müßten. Obwohl ich dafür sorgte, daß dieses autoritative Gutachten unter der Bevölkerung verbreitet wurde, ließ diese nicht von ihrer eigenen Ueberzeugung ab.
Schon damals, als ich an der Grube auf den Gerichtsarzt gewartet hatte, teilte man mir mit, daß wir hier die Ueberreste eines erschlagenen und beraubten Juden vor uns hätten. Derselbe sei ein wohlhabender Viehhändler gewesen, habe vor einigen Jahren in der Nähe übernachtet und sei von da an verschwunden. Man habe auch immer gewußt, daß der Jude hier verscharrt sein müsse, da gerade an dieser Stelle allemal zu Neumond, nachts von 12 bis 1 Uhr, eine blaue Flamme über der Erde tanze. „Das ist auf allen Judengräbern so,“ belehrten mich die Leute. Unglücklicherweise befand sich in der Nähe des Fundortes ein kleines Häuschen, in dem ein alter Mann lebte; er war einsam, verschlossen und mürrisch, verkehrte mit niemand, ernährte sich bescheiden, aber auskömmlich – wovon, wußte man nicht. Zudem war er nicht aus der Gegend, alles zusammen für die Nachbarn Grund genug, um in ihm einen „verdächtigen“ Menschen zu sehen. „Der Jude war verschwunden, nachdem er in der Nähe des verdächtigen Hauses übernachtet hatte, nicht weit von demselben tanzte die blaue Flamme, nun fand man dort Knochen – folglich hat der Bewohner des verdächtigen Hauses den Juden erschlagen“ – das war die zwingende Schlußfolgerung der Bevölkerung, und alles Reden und Beweisen half nichts. Der alte Mann, dem niemand das geringste Unrecht nachweisen konnte, blieb in der Volksmeinung bis zu seinem späten Tode der Mörder des erschlagenen Juden. Man hatte sogar in seiner Heimat Erhebungen gepflogen und erfahren, daß er früher ein wohlhabender Grundbesitzer gewesen war, der Frau und Kinder verloren hatte; dem angesehenen und geachteten Mann war durch dieses Unglück die Heimat verleidet, er verkaufte alles, zog in die Ferne und lebte da von dem Ertrage seines Geldes. Diese Nachricht half gar nichts: „wie verschlagen muß der Alte sein, daß er alle so zu täuschen wußte – die blaue Flamme beweist doch, daß er ein Mörder ist!“
Wie viel tausend Leidensgenossen mag nicht dieser arme Alte im Laufe der Jahrhunderte gehabt haben und noch haben, die verachtet, gemieden, ja oft auch angezeigt und vielleicht unschuldig verurteilt wurden, lediglich wegen eines grauenhaften Aberglaubens.
Gefährlicher als sie aussehen, sind die sogenannten „Segen“, Zaubersprüche, welche den, der sie braucht, schützen, seine Feinde verderben oder doch schädigen sollen. Unser Volk besitzt die ältesten derselben in Odins Runenliedern; das 21. Runenlied z. B. machte hieb- und stichfest. Im Laufe des Mittelalters mag man die Segen zu Tausenden und aber Tausenden gekannt und gesprochen haben, und in noch sehr großer Zahl leben sie auch heute noch. Ihre Gefährlichkeit beruht darin, daß eine Menge von Verbrechen nicht verübt worden wäre, wenn nicht irgend ein Segen dem Thäter zu seiner That Mut gemacht hätte. Der Wilderer stellt ungescheut den Tieren nach, wenn er einen sicheren Weidsegen gesprochen hat; ja er wagt es auch, mit dem Jäger anzubinden, vor dem er sonst geflohen wäre, bloß weil er sich durch einen verläßlichen Segen schußsicher gemacht hat, und weil er einen anderen Segen kennt, mit dem er den Jäger im gefährlichen Augenblick am Schießen hindern kann. Der Dieb wagt es, einzubrechen, weil er über einen Segen verfügt, der Schmuggler wagt seine gefährlichen Gänge nur unter dem Schutze seines Segens, und auch das tückische Gift wird mit den Worten eines Segens gebraut und gegeben. Alles wäre ausgeblieben, wenn der Segen nicht Courage gemacht hätte.
Wie häufig die Segen sind, zeigt jedes Buch, das sich mit Volksglauben und Verwandtem befaßt, überall sind sie in Unmenge zu finden, und jedesmal staunt man über den unermeßlichen Unsinn, den sie meistens enthalten.
In der Praxis findet man sie häufiger als man annehmen sollte. In der Haupt- und Residenzstadt Wien wurde noch 1894 anläßlich einer Untersuchung wegen eines großen Gelddiebstahles auf dem Reste des Gestohlenen ein Segen gefunden; er lautet sinnig:
„Ich trat in des Richters Haus
Da schaun drei tote Männer heraus.
Der erste ist stumm,
Der zweite winkt mir zu –
O hilf mir, heilige Muttergottes von Lanzendorf[3]!“
Wie der Dieb später gestand, durfte er das Gestohlene ungescheut und frei in seinem Kasten liegen lassen, da er sich durch den Segen vor jeder Entdeckung gesichert glaubte.
Einer der besten Kenner des Volkes unserer Berge, Jos. v. Franck, hat in einer trefflichen kleinen Schrift über „magisches Weidwerk“ zahlreiche Segen von Wildschützen gesammelt; will man sich z. B. gegen die Kugeln der Jäger und Wildhüter festmachen, so trägt man die Worte bei sich: „Hell, best! Klate mati! Atomay, klona Slott!“ Will man machen, daß die Büchse des Jägers versagt, so spricht man: „Afu, Afia, Nostra“. Schaut man dem Jäger aber unverwandt auf die Rohrmündung und sagt: „Pax, Sax, Syfax“, so kann dieser überhaupt nicht schießen. Wie mancher arme Teufel mag hinwieder diesen Glauben mit dem Leben bezahlt haben, welches er hätte retten können, wenn er geflohen wäre.
Alle diese Beispiele gewähren uns tiefe Einblicke in Verirrungen menschlichen Denkens und Empfindens. Sie lehren uns, wie weit verbreitet noch der Aberglaube ist und wieviel Unheil er in der Welt anrichtet. Darum darf man ihn nicht für eine längst überwundene Macht halten, sondern muß ihm unentwegt entgegentreten, bis Bildung und Aufklärung den finsteren Feind der Menschheit aus seinen letzten Schlupfwinkeln verdrängt haben.
- ↑ Das Original dieses Briefes befindet sich im „Grillparzer-Archiv“ der Wiener Stadtbibliothek, wohin ihn die Dichterin nebst einem zweiten Brief Grillparzers gestiftet hat. Beide Briefe zusammen werden demnächst in dem Jahrbuch der Grillparzer–Gesellschaft zur Veröffentlichung gelangen. D. Red.
- ↑ Schratt, Schrattel, Schraß, Schrettel, Schräzel (bei Goethe in „Wahrheit und Dichtung“: Räzel) ist ein rauher, zottiger kleiner Waldgeist, der dem Menschen mitunter wohl will, meistens aber ihm Unbill und Schabernack, oft auch schweres Unheil zufügt.
- ↑ Wallfahrtsort in der Nähe von Wien.
Wieder allein.
Nun hat auch der letzte Hochzeitsgast Abschied genommen; im Fortgehen wendet er sich noch einmal um und schwingt
grüßend den hohen, glänzenden Cylinder. Er ist ein alter Junggeselle und längst hinaus über sentimentale Anwandlungen, aber
das Bild der beiden einsamen Alten, wie sie in der Hausthür stehen und ihm nachwinken, stimmt ihn melancholisch.
„Jetzt können sie wieder von vorn anfangen!“ murmelt er vor sich hin und macht große Schritte, um zum Stammskat nicht zu spät zu kommen. Die Straße ist ganz menschenleer, der Abendsonnenschein fällt auf die vergoldeten Spitzen der eisernen Gartenstakete, die grünen, kugelrund gestutzten Akazien tasten mit den Blättern leise im Abendwind auf und ab, und auf den Treppenstufen vor dem Hochzeitshause liegen noch einige Rosenknospen.
Papa Bünau stieg langsam die wenigen Stufen hinab und suchte aus den halbverwelkten noch eine leidlich frische heraus.
„Da, Mutting,“ sagte er und reichte ihr die Knospe hinauf.
„Danke, Fritz,“ antwortete sie kurz und drehte die Blume am Stiel in der Hand. Noch glitzerten einige Thränenspuren auf den runzeligen Wangen der würdigen alten Dame.
„Komm, Christine! es wird zugig hier in der Thür.“
Damit ging ihr Mann an ihr vorbei ins Haus, um den Frack auszuziehen und den weißen Schlips mit einer schwarzen [501]
Krawatte zu vertauschen. Das Schlingen des Knotens machte
ihm Mühe, denn bis jetzt hatte Anni dies fast immer besorgt mit
den flinken, behenden Fingern.
„Jetzt sind sie nun schon in Hamburg, der Zug kommt fünf Uhr fünfunddreißig Minuten an!“
Plötzlich fiel ihm etwas ein, und er rief durch die Thür: „Du, Mutting, ob Anni wohl daran denkt, daß du die neue Boa in die Reisetasche gelegt hast? Das Kind wird sich sicher erkälten.“
„Ich habe es ihr noch einmal gesagt vor der Abreise.“
Frau Christine stand noch immer auf der Schwelle und blickte die Straße entlang bis zur nächsten Ecke, von wo aus Anni zum letztenmal mit dem Taschentuch gewinkt und der junge Ehemann den hellgrauen Reisehut geschwenkt hatte. Wie konnte dieser Mensch nur so vergnügt aussehen!
„Ja, diese Männer!“ seufzte Frau Bünau und machte die Thür zu. „Er wird natürlich nicht daran denken, wie leicht sich Anni einen Schnupfen holt!“
Das Treppensteigen wurde der alten Dame heute recht sauer. Es schien ihr, als sei sie noch nie so mühsam bis zum ersten Stock in ihr Schlafzimmer hinauf gelangt. So, nun war sie wieder ganz allein! Vor zwei Jahren heiratete die Aelteste, Frida! Das ging noch, obgleich es schwer genug zu verwinden war; Anni blieb ja zurück im Elternhause – jetzt war die auch fort. Was für einen Sinn hatte denn nun noch das ganze weitere Leben? Erst plagt man sich durch Impfpocken, Keuchhusten, Masern und Scharlach mit den Kindern durch, bis sie groß sind, und nachher kommt ein beliebiger Mensch und geht mit ihnen auf und davon, als ob das gar nichts wäre, noch dazu gleich nach Wien, so daß man eine ganze große Reise braucht zu einem Besuche. Es ist eine undankbare Welt, das ist gewiß!
Lange stand sie in der Kammer, in der bisher Anni geschlafen hatte. Nachdenklich schaute sie das Bett an mit den hübschen roten Rosen auf der Decke, aus dem der Morgengruß der Tochter ihr durch die offene Thür so oft in der Frühe entgegengeklungen war. Das Bett sollte morgen fort – es war ja zu traurig! Vorderhand setzte sich die Mutter auf den Rand und weinte leise vor sich hin. „Anni! kleine, liebe, treue Anni!“
Unten wanderte Herr Bünau durch die Zimmer; er setzte die halb ausgetrunkenen Flaschen auf dem Büffett zusammen und half dem Lohndiener und dem Dienstmädchen die Einlegebretter aus der Eßtafel nehmen.
Bis jetzt hatten sie mit Rücksicht auf Annis Freundinnen für den täglichen Gebrauch immer eines darin liegen lassen. Das war nun nicht mehr nötig, denn für zwei Personen schien ihm der Tisch ohne Einlage groß genug.
Der alte Herr seufzte leise und schob aus Leibeskräften, bis die Tischhälften, die seit zwanzig Jahren sich nicht gefunden hatten, endlich wieder mit Fugen und Zapfen sich zusammenschlossen.
Nachher stand der Alte allein im Zimmer, sah den Tisch an und nickte mit dem grauen Kopf. Es schlug gerade sechs Uhr. Er war nahe daran, laut „Anni“ zu rufen, denn um diese Zeit pflegte er mit ihr im Stadtpark spazieren zu gehen.
Was sollte er nur anfangen? Ratlos schlich er in sein Zimmer; dort sah es häßlich und unordentlich aus. Nach dem Diner hatten hier die Herren geraucht; auf dem Teppich sah man Spuren von Asche, und übelriechende Cigarrenreste lagen auf den Rändern der Untertassen; hier und da stand ein Liqueurglas, die Stühle waren durcheinander geschoben, und doch – hier war sie zu ihm gekommen, war ihm weinend um den Hals gefallen, als er sie gefragt, ob sie Herrn Doktor Hellwig lieb hätte; hier hatte sie vor zwei Stunden an seiner Brust geschluchzt und [502] gesagt: „Ach Väterchen, wenn ihr doch mitkommen könntet.“ Und er hatte, während ihm die Thränen über die runden, roten Backen liefen, lachend erwidert: „Na, Anni! Das würde wohl deinem Manne nicht passen! Er hat schon schlechte Witze gemacht über das viele Gepäck, das du mitnähmest. Also vergiß nicht, die Boa ist in der Reisetasche – in Hamburg ist immer Wind, und wenn ihr nach dem Hotel fahrt, nimmt er sicher eine offene Droschke! Ich kenne ihn! Er schläft ja bei offenem Fenster, und gestern wurde es schon um fünf Uhr recht kalt.“
Ob sie wohl an die Boa denken würde?
Was hatte er nun davon, daß er sich dreißig Jahre im Geschäft abgerackert und sich vor fünf Jahren als Rentier hatte zurückziehen können? Was sollte er mit den langen Tagen anfangen? Und nun gar erst abends?
Zuweilen sang Anni am Klavier einige hübsche Lieder, doch meistens las sie den Eltern vor mit ihrer weichen reinen Altstimme, und er saß gemächlich mit der Cigarre im Lehnstuhl und nickte so gegen zehn Uhr etwas ein.
Wie lang und einsam würden die Abende jetzt werden! Vielleicht war es besser, wenn er eine kleine Reise machte, möglichst bald, ehe das Wetter schlecht wurde!
Ruhelos wanderte er weiter, steckte in jedes Zimmer den Kopf, nur in Annis kleinen Wohnraum nicht, obgleich er schon die Klinke in der Hand hatte. Nein, er wollte doch lieber spazieren gehn – man mußte sich gleich daran gewöhnen, allein zu sein! Bald schritt er die Straße hinab, bis er den Stadtpark erreichte. Nur vereinzelte Spaziergänger begegneten ihm. Er setzte sich auf eine Bank und blickte über den grünen Rasen zum fernen Walde hinüber, der in rotgoldenem Herbstschmuck vor den dunklen Tannen im Hintergrunde stand. Ueber ihm zippte ein Zeisig im Geäst der Birke, von der hellgelbe Herbstblätter müde herabflatterten. Sie fielen dem alten Herrn auf die Hutkrempe und auf die Kniee; er zerrieb einige zwischen Daumen und Zeigefinger und weinte dabei leise vor sich hin.
Langsam kam die Dämmerung herangezogen. Ein junges Menschenpaar schritt an ihm vorüber und flüsterte zärtliche Worte miteinander, ohne den einsamen Alten zu bemerken; hinter ihnen raschelte das gefallene Laub.
Er schaute ihnen nach und sah, wie sie sich an der nächsten Wegbiegung küßten. Da stand er rasch auf und ging nach Hause.
Mutter Christine mußte seit Jahren zum erstenmal den Thee wieder selbst bereiten und fragte ganz geistesabwesend: „Nimmst du Zucker oder nicht?“
Er schüttelte nur den Kopf, und sie gab ihm keinen Zucker. Anni hatte nie danach gefragt, sie wußte es ganz genau – anderthalb Stück in jede Tasse!
Und als er die erste Tasse geleert hatte, die sehr bitter schmeckte, stand er stumm auf und goß sich eine zweite voll, und seine Frau bemerkte es gar nicht, sondern schnitt das kalte Fleisch auf ihrem Teller immer feiner und feiner, ohne davon zu essen.
Nach der Abendmahlzeit setzte sie sich nicht mit dem gewohnten Strickstrumpf in den gewohnten Stuhl, sondern kauerte sich im Sorgenstuhl neben dem Ofen zusammen und fror, fror ganz unbewußt in sich hinein, ohne zu wissen, weshalb, und er zündele sich eine Cigarre an und schritt im Zimmer auf und ab, auch völlig geistesabwesend.
Sie folgte ihm mit den Blicken. Ob er wohl daran denken Würde, ihr die warmen Pantoffeln zu holen? Anni that es immer des Abends, weil Mütterchen an kalten Füßen litt. Früher – ja, als die Kinder noch klein waren, wenn endlich Ruhe im Hause eintrat und die rosigen Dinger nach dem Abendgebet still in ihren Bettchen schliefen, dann brachte er ihr selbst die Pantoffeln und machte Witze dabei: es sei nur gut, daß sie die Pantoffeln erst bekäme, wenn es Abend würde – und ganz, ganz früher kniete er wohl nieder und zog ihr die hübschen blaugefütterten Pantoffeln an und blickte lachend zu ihr auf.
Sie schaute ihn an. War das derselbe Mann, der so ruhelos auf und ab ging, als sei er allein in der Stube? War das derselbe Mann dort mit den grauen Haaren und dem tief gesenkten Kopfe?
Dann stand sie rasch auf, um die Pantoffeln selbst zu holen. Man muß sich eben daran gewöhnen, wenn niemand mehr an eine alte Frau denkt!
Er ging weiter rastlos auf und ab. Weshalb war sie nur so ungemütlich? Sie that auch gar nichts, um es ihm behaglich zu machen. Warum strickte sie denn nicht wie sonst jeden Abend oder bat ihn, ihr vorzulesen? Was drückte sie sich denn in der dunklen Ecke am Ofen herum? Es wäre ja zum Verzweifeln, wenn das so fortgehen sollte!
Natürlich! um ihn kümmerte sich keine Menschenseele. Immer wieder mußte er zu ihr hinüber sehen. Er wollte ihr gern etwas Freundliches sagen, sie trösten! Aber er fand keine Worte.
„Hast du Kopfschmerzen, Christel?“ fragte er schließlich.
„Nein, nein, mir fehlt nichts! Mich friert nur,“ sagte sie, ohne den Blick zu heben.
Er sah sie an. Vor seiner Erinnerung stieg ein Bild auf, ein Bild, ganz deutlich und doch so fern. Blondes, junges Haar schmiegte sich an das dunkle Lederpolster des Sessels; zwei feine schlanke Hände auf einem hellen freundlichen Kleide! Ein junger Mann kam, zog eine Fußbank herbei, ganz dicht an ihre Füße und – – war es denn möglich? war das dieselbe dort?
Es überlief ihn, und er versuchte auszurechnen, wie lange das her sei. Sie saß da so stumm und wortlos, als sei sie fremd hier im Hause, fremd in dieser Umgebung, als säße sie in einem Wartesaale und harrte, bis der Zug abginge. Das durfte so nicht bleiben. Er mußte sie aus dieser Stimmung herausreißen. „Komm, Christel, Alte! Wir beide haben uns ja noch!“ wollte er sagen, aber er brachte es nicht über die Lippen. Es hätte ihm zu pathetisch geklungen.
Die Köchin kam herein und fragte, was am nächsten Tage gegessen werden solle, und die Hausfrau mußte sich lange besinnen.
„Was sollen wir essen, Fritz?“ fragte sie, während es ihr zu ihrem eigenen Erstaunen einfiel, daß sie seit Jahren keinen Küchenzettel gemacht hatte.
„Maccaroni mit Schinken,“ antwortete er ganz ernsthaft, ohne seine Zimmerwanderung zu unterbrechen.
Sie sah ihn so merkwürdig an, mit einem Blick, wie graue Leute ihn haben, wenn ein Zufall ihnen eine alte Jugenderinnerung wieder vorzaubert. Er pflegte früher oft unerwartet ein oder zwei Freunde plötzlich zum Essen mit ins Haus zu bringen, und wenn seine junge Frau händeringend ihm zuflüsterte: „Um Gottes willen, was soll ich ihnen nur vorsetzen?“ antwortete er: „Ganz einfach, Christel, Maccaroni mit Schinken.“
So hatte er es jetzt auch gesagt, mechanisch, ohne seine eigenen Gedanken zu unterbrechen.
Nun vergaß sie ganz, daß die Köchin in der Thür stand, bis der Hausherr etwas unwirsch äußerte: „Wir essen die Reste von heute! Das ist doch ganz einfach!“
Damit schritt er hinaus in sein Zimmer. Es dauerte nicht lange, dann kam sie, ihm „Gute Nacht“ zu sagen. Er sah ihr noch immer feines, hübsch geformtes Antlitz im Lichtkreis seiner Schreibtischlampe auftauchen.
„Gute Nacht, Christine! Halte nur den Kopf hoch! Wir – na – wir werden uns schon daran gewöhnen.“
Dabei versuchte er den Arm um sie zu legen, aber sie schüttelte resigniert den Kopf.
„Ja, ja, Fritz! Wenn es nur nicht so einsam wäre! Ich dachte schon, ob es nicht besser sei, ich ginge zu meiner Schwester nach Kiel auf einige Wochen, und du könntest nach Berlin fahren zu deinem alten Jugendfreund.“
„Mal sehen!“ antwortete er leise und ließ den Arm sinken.
An der Thür wandte sie sich noch einmal um.
„Du, Fritz, vergiß nicht! wenn morgen der Dienstmann kommt, du weißt schon, wegen Annis Frachtsachen, dann kann er gleich ihre Bettstelle auf den Boden schaffen; es ist zu traurig, immer das leere Bett vor Augen zu haben.“
„Ja, ja, ich will daran denken! Gute Nacht!“ Er ließ sich wieder im Lehnstuhl nieder und nahm die Zeitung zur Hand.
Mutter Christine kleidete sich langsam aus, und als sie den Frisiermantel anzog und sich vor den Toilettentisch setzte, blickte sie zaghaft in das Glas, aus dem ihr so oft Annis zartes, gutes Gesicht entgegengelacht hatte, wenn sie der Mutter half, die silbergrauen Haare für die Nacht zu ordnen. Sie schluckte die Thränen jedoch tapfer hinunter und legte sich mit einem leisen Seufzer zur Ruhe. Immerfort mußte sie in die Dunkelheit hinaushorchen, ob nicht eine frische Stimme ihr zurief: „Gute Nacht, Mütterchen!“ und ob nicht das Geräusch zu hören [503] wäre, wie sich ein schlafmüdes, junges Menschenkind in Kissen und Decken einhuschelt, um dann sogleich sanft einzuschlummern. Die Alten liegen meist ruhig und warten, bis es dem säumigen Schlaf beliebt, sich bei ihnen einzustellen. Aber nichts rührte sich; nur gegen die Fensterscheiben schlug leise draußen ein Epheuzweig, der sich im Herbstwind wiegte. Sie horchte und horchte, ob ihr Mann nicht in sein Schlafzimmer gehe; aber es blieb still, ganz still, lautlos still, und ebenso still schien draußen der Vollmond auf die Dächer, hier so gut wie in Hamburg. Und wieder dachte sie des Kindes, das heute fortgezogen war mit dem geliebten Mann aus dem Vaterhaus, wie sie es einst gethan an ihrem eigenen Hochzeitstage.
Auch der alte Mann, der unten allein geblieben ist, spürt den Zauber des Mondes, der längst Vergangenes wachruft. Ueber die Zeitung hinweg schaut er durch das Fenster zum Vollmond hinauf. Gerade solch ein Abend war es, als sie hier zum erstenmal ins Haus traten, der junge Fritz Bünau mit seiner noch jüngeren Frau Christel. Damals bezogen sie es nur zur Miete; erst später konnte er das Haus kaufen, als die Kornpreise so mächtig in die Höhe gingen. Ja, in dieses Zimmer hatte er sie geführt und leise gesagt: „Christel, wir sind jetzt allein und müssen aneinander genug haben fürs ganze Leben!“
Da hatte sie die weichen Arme um seinen Hals geschlungen und gebeten: „Hab’ mich nur lieb, Fritz, mehr will ich nicht in der Welt! Du bist mir genug fürs Leben.“
Nach einem Jahr kam ein kleiner Junge an, doch starb er bald, und die Eltern trösteten sich mit ihrer jungen Liebe, bis die Mädels sich einstellten, die sie mit Jubel begrüßten. Papa Bünau legte die Hand über die Augen.
Me kam’s denn nur, daß alles so anders wurde? Nun, die Kinder nahmen die Mutter in Anspruch; um die beiden Mädchen begann sich ihr Leben zu drehen. An ihn stellte dafür das Geschäft immer größere Anforderungen, und die Erziehung der beiden lieben Gören mußte er der Mutter überlassen; er verstand sich ja auch wenig darauf. Und als vor sechs Jahren Christine krank wurde, mußte Frida, die Aelteste, sie pflegen, und er richtete sich das kleine ehemalige Kinderzimmer ein und schlief dort. So war es geblieben, als dann Anni die Genesene ins Bad begleitet hatte und die große Schwester ihm inzwischen den Haushalt führte. So war es geblieben, als Frida dem Gatten in die Fremde gefolgt war und Anni das gemütliche Stübchen neben dem Schlafzimmer der Mutter allein für sich behielt, das sie in der Zwischenzeit mit der älteren Schwester bewohnt hatte.
Der alte Mann wurde unruhig und trat ans Fenster.
Wie wenig hatte er von seiner Frau all die letzten Jahre gehabt! Gewiß, sie hatten nebeneinander auch weiter in Eintracht gelebt, aber die alte Vertraulichkeit war ihnen verloren gegangen. Wie war das nur so gekommen; mußte denn das so sein im Leben? Er ging zur Thür, öffnete sie und horchte gespannt auf den Korridor hinaus; dann schritt er ihn hinab, stieg zum oberen Stock empor und blieb vor dem Schlafzimmer seiner Frau stehen. Ihm war es, als müsse er zu ihr gehen, ihr etwas sagen; aber als er keinen Laut vernahm hinter der Thür, nicht einmal ein tiefes Atemholen, schlich er langsam in sein Schlafzimmer. Nein, er wollte sie nicht stören, sie bedurfte der Ruhe.
Sie aber schlief noch nicht, sondern lag nur reglos da und horchte auf das Rascheln des Epheus am Fenster.
In diesem Zimmer kamen die beiden Mädchen zur Welt; diese jetzt so stillen Wände hatten den ersten Schrei gehört, mit dem sie das Leben begrüßten, hier neben ihr hatte er, der Vater, auf den Knieen gelegen und ihr den Dank für die zappelnden Schreihälse ins Ohr geflüstert. Was für ein gemütvoller Mann er doch früher war! Die Nächte waren oft unruhig, denn die Mutter wollte stets das Jüngste neben sich haben, so daß sie ihrem Mann den Vorschlag machte, doch in einem anderen Zimmer zu schlafen.
Da hatte er sie so sonderbar angesehen und ganz leise gefragt: „Willst du mich los sein, Christine?“
Hatte sie denn später den Mann verloren? Nein, er war da gewesen, aber die Kinder waren auch da und wurden immer größer, nahmen immer mehr Raum ein im Hause und vielleicht auch im Mutterherzen!
Sie schrak ordentlich zusammen, und es wurde ihr plötzlich sonnenklar, ganz sonnenklar, daß sie aus der Liebe zu ihrem Mann eine Gewohnheit hatte werden lassen, daß sie damit gewaltet hatte wie mit etwas Selbstverständlichem, das keiner besonderen Hut und Pflege bedarf. Der Kinder wegen, um sie zu erziehen, hatte sie die kleinen Aufmerksamketten und Hilfsleistungen, mit denen sie früher ihrem Mann ihre Liebe im Alltagsleben bekundet, von diesen verrichten lassen. Frida, dann Anni, hatten sie im Hauswesen ersetzt – nun waren die Kinder fort, und sie, die Alten, saßen da mit ihrer darbenden Elternliebe im Herzen, sich selbst entfremdet.
Sie weinte still vor sich hin, weinte, weinte, bis sie einschlief.
Herr Bünau wachte am nächsten Morgen früher auf als gewöhnlich, und als er hinunterging, sagte er der Köchin, er wolle mit dem Frühstück warten, bis seine Frau käme.
Herbstsonnenschein lag über dem kleinen Gärtchen; hier und da gab es noch verspätete Rosen und die Astern standen in voller Blüte. Der alte Herr ging langsam auf und ab; er freute sich über das schöne Wetter und dachte an Anni. Der Schwiegersohn würde ihr seine Vaterstadt zeigen; vielleicht frühstückten sie eben im Alsterpavillon und machten dann eine Fahrt nach Uhlenhorst.
Dabei betrachtete er nachdenklich eine Rosenknospe, während ein frohes Lächeln seine Züge verjüngte. Rasch lief er ins Haus, um eine Blumenschere zu holen.
Christine hatte ihn, durch die Jalousien blickend, beobachtet und beeilte sich mit der Morgentoilette.
Für wen nur schnitt ihr Mann all die Blumen ab? Es kam eine Unruhe über sie, die sie selbst nicht verstand; sie mußte sich sogar einigemal auf einen Stuhl setzen, weil sie Herzklopfen bekam. Gewiß wollte er ein Bouquet an Anni schicken als Gruß aus dem Vaterhause. Fast so behende, als sei sie wieder eine junge Frau, eilte sie die Treppen hinunter in das Eßzimmer, wo der Frühstückstisch, der Tisch ohne Einlage, gedeckt war. Sie überflog ihn mit den Augen.
Richtig! Anni pflegte dem Vater die Zeitung neben die Tasse zu legen und Feuerzeug nebst Aschenbecher auf den Tisch zu stellen, damit er sich seine Morgencigarre mit Behagen anzünden konnte.
Rasch ordnete Frau Bünau alles so, wie er es gewohnt war, und weil ihr einfiel, wie gern er früher Honig zum Frühstück gegessen, eine Liebhaberei, die er später aus Sparsamkeit aufgegeben hatte, schickte sie die Köchin fort, um Scheibenhonig zu kaufen.
Schon klangen seine Schritte auf dem Flur, und dann kam er herein, einen taufrischen Strauß Blumen in der Hand tragend. Offenbar hatte er nicht erwartet, seine Frau schon hier zu finden, denn er blieb ganz verwirrt an der Thür stehen mit einem etwas enttäuschten Gesicht, und seine Verlegenheit wurde noch größer, als sie rasch mit einem „Guten Morgen, Fritz!“ auf ihn zukam und ihm einen herzhaften Kuß gab; während er, in der einen Hand die Blumen, in der anderen die Rosenschere, ganz steif dastand.
Papa Bünau suchte nach Worten, die jungen Ehemännern so leicht über die Lippen kommen und die alten Lippen so schwer werden können.
„Weshalb bist du denn so sonderbar, Alter?“
„O nichts! Gar nichts! Setz’ dich nur, Mutter!“
Dabei fiel sein Blick auf die Zeitung und auf die Glasschale mit goldgelbem Honig.
„Wie es Anni wohl geht?“ sagte er ganz mechanisch.
„Sie wird sich über das schöne Wetter freuen, Fritz!“
„Ja, ja, gewiß, das glaube ich auch.“
Mutter Christine tunkte ein Hörnchen in den Kaffee und beobachtete ihn heimlich. Er räusperte sich einigemal, gab sich dann einen Ruck, marschierte gerade auf sie zu und streckte den Arm mit den Blumen aus, gerade über ihre Kaffeetasse.
„Da, Christel! ’s ist besser, man schneidet sie ab, ehe Nachtfröste kommen!“
„Fritz, lieber Fritz! wie lieb von dir!“
„Ja, ja, schon gut!“
Und ganz verschämt machte er den Weg um den Tisch herum nach seinem Platz.
Sie nahmen stumm das Frühstück ein; er vertiefte sich in die Zeitung, und sie holte eine Handarbeit und setzte sich damit ans Fenster, wo sie den Sonnenschein sehen konnte, bis der Dienstmann kam, der Annis Bettstelle auf den Boden bringen sollte.
Im ersten Stock dröhnten dann schwere Männerstiefel, hier und da wurden einige Worte gewechselt und Möbel gerückt.
[504] Mutter Christine bekam wieder Herzklopfen; sie nahm die Brille dreimal von der Nase und setzte sie zweimal wieder auf, um dann hinaus und in den oberen Stock zu gehen. Dort war ernste Beratung, wie man die große Bettstelle durch die kleine Bodenthür bringen sollte.
„Wäre es nicht einfacher, Fritz, man stellte Annis Bett in deine Kammer und das deinige in mein Schlafzimmer? Dann machten wir aus deiner Stube ein Fremdenzimmer, und Anni oder Frida könnten in ihren alten Betten schlafen, wenn sie uns einmal besuchen.“
Der Dienstmann stand daneben, und Vater Bünau mußte sich deswegen zusammennehmen.
„Gut, wie du willst,“ sagte er daher nur; aber als die Bettstelle und der Dienstmann verschwanden, drehte sich der alte Herr kurz um und gab seiner Frau einen Kuß.
Am Nachmittag nahmen sie einen Wagen und ließen sich im Walde spazieren fahren.
Es war derselbe Wagen, in welchem Anni gestern fortgefahren war, ein Wagen mit rot und schwarzen Rädern und blauen Plüschpolstern. Auch derselbe Kutscher saß auf dem Bock; aber es war fraglich, ob die alten Herrschaften, die heute Hand in Hand auf dem Rücksitz saßen, nicht ebenso vergnügt waren in ihrem Herbstglück wie das junge Paar gestern mit dem Maienglück im Herzen.
Ja, es war ein schöner Tag, und abends langte mit der letzten Post eine Karte von Anni an mit tausend, tausend glückstrahlenden Grüßen. Voll Zuversicht schrieb die Kleine, die Eltern würden, nun sie wieder allein wären, sich das Leben nicht weniger behaglich zu machen wissen als im Beisein der Haustochter. Die beiden Alten schmunzelten und sahen sich an.
Ein Jahr war beinahe vergangen, und der Herr Doktor Hellwig hatte einen langen Brief geschrieben aus Wien, in welchem er die Mutter aufforderte, dorthin zu kommen, weil Anni es so sehr wünsche.
„Selbstverständlich gehst du hin,“ sagte der Vater und verließ das Zimmer, um das Kursbuch zu holen.
„Gieb dir keine Mühe, Fritz!“ meinte seine Frau ganz ruhig, als er damit zurückkam. „Die Reise ist mir zu weit, um sie allein zu machen. Vielleicht fahren wir beide nächsten Sommer hin, wenn du keinen Rheumatismus hast!“
„Ach, um meinetwillen,“ wehrte er ab.
„Willst du mich gern los sein, Fritz?“
Noch an demselben Abend ging ein lustiger Brief ab nach Wien, den Vater und Mutter zusammen geschrieben hatten, und über den der Schwiegersohn herzlich lachte, wenngleich Anni etwas enttäuscht war.
„Ich sehe gar nicht ein,“ schmollte sie, „weshalb solch alte Leute sich nicht auf ein paar Wochen trennen wollen.“
Da nahm ihr Mann sie beim Kopf und sah ihr ernst in die Augen.
„Anni, ich wollte, wir beide, du und ich, fänden in dreißig Jahren es ebenso schwer, uns zu trennen, wie die Eltern!“
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Des Paschas Billardbein.
Ein unerklärlicher Kindertraum hat mich als Jungen jahrelang mit heimlicher Sehnsucht erfüllt. Ich sprach mit niemand darüber, wie man nicht über Dinge spricht, die unser Innerstes bewegen. Doch ganz ohne Aeußerung blieb dieses Gebilde kindischen Traumlebens nicht. Meine Schulhefte und vor allem eine Schulausgabe von Ciceros Reden gegen Catilina, die einen breiten weißen Rand hatte, wimmelten von Pyramiden. Die Herren Professoren, außer dem alten Zeichenlehrer, den niemand beachtete, schüttelten die Köpfe. Denn man hielt sie für Dreiecke und sah darin einen unpassenden Hang zur Geometrie und zu anderen unklassischen Ällotria. Daneben fand sich wohl manchmal auch ein kleiner, mißgestalteter Hund, für den ich rückhaltlos ausgescholten wurde. Sogar der Zeichenlehrer mußte hier den Kopf schütteln. Ich schwieg still, im Gefühl erlittenen Unrechts. Es war gar kein Hund. Es war die Sphinx, das Rätsel alles Lebens, am Fuß der Grabdenkmale der ältesten Könige der Welt. Welche Erbärmlichkeiten waren dagegen die Republik Rom und die ganze römische Plebs samt dem langen Cicero! Das Ziel meiner kindlichen Sehnsucht war Aegypten.
Mein Traumland aber mit seinen ernsten geheimnisvollen Göttern, die keine unübersetzbaren Dummheiten machten wie Zeus und Aphrodite und Hermes, mit seinen tausendjährigen Menschen, die mit offenen Augen in ihren Felsengräbern lagen, als ob sie morgen aufstehen und ihre braunen, steifen Arme strecken wollten, mit seinem heiligen Strom und dem stillen Mörissee abseits in der Wüste, am Ufer Flamingos und Pelikane und ein schlummerndes Krokodil: das alles schien so unsäglich fern, unerreichbarer als der Himmel! Und nun hatte ich es doch erreicht. Völlig unerwartet, fast plötzlich. Gestern noch, schien es mir, war ich im Schnee des Brenners stecken geblieben; heute brannte die Sonne Afrikas auf meinen Schädel. War es zu verwundern, daß es mir seit sechs Wochen manchmal zu Mute war, als sei ich hinter dem Cicero eingeschlafen und träumte noch immer meinen alten Kindertraum; besonders morgens, kurz vor dem eigentlichen Erwachen, wenn die Mosquitos satt waren und ringsum Friede herrschte, im stillen Schimmer des erwachenden Morgens.
Vollends heute stand ich thatsächlich vor dem allzufrühen, unvermeidlichen Erwachen. Es war mein letzter Morgenritt von Kairo nach Schubra. Wir dachten wenigstens so, mein Esel, ich und selbst der kleine braune Eselsjunge Ali-Machmud, mit dem ich mich seit vier Wochen notdürftig zu verständigen gelernt hatte. Eine große Wehmut lag über uns und dem milden ägyptischen Frühlingsmorgen, der täglich heißer und mir trotzdem täglich lieber geworden war.
Mein Esel, welcher mit dem feinen Sinn orientalischer Höflichkeit je nach der Nationalität seines Reiters abwechslungsweise den Namen Radetzky, Palmerston und Napoleon führte, betrauerte den prächtigen ägyptischen Klee, in dem er tagsüber, während ich meiner Arbeit nachging, unbelästigt von verkehrten Eigentumsbegriffen, auf den mit Dampfkraft bewässerten Wiesen von Schubra botanisieren durfte. Ali-Machmud beweinte einen Herrn, den er seit einem Monat ohne Schwierigkeit täglich um fünf Piaster prellen konnte, und ich empfand zum voraus eine Art Heimweh nach dem träumerischen Nilbild, von dem ich noch so wenig gesehen hatte und das ich jetzt schon, vielleicht auf Nimmerwiedersehen, verlassen sollte.
Denn ich befand mich nur auf der Durchfahrt in Aegypten. Mein Reiseziel war eine Indigoplantage am Brahmaputra in Assam, wohin ich zwei Dampfpflüge bringen sollte, die vorläufig noch zwischen der Kapstadt und Kalkutta auf dem Indischen Ocean schwammen. Mein Koffer barg, gestempelt und gesiegelt, einen zweijährigen Vertrag mit einer indisch-englischen Jndigogesellschaft, neben einer blechernen Chininkapsel, groß genug, ein halbes Bataillon der britischen Armee den giftigsten Sumpffiebern zu entreißen. In dem Vertrag verpflichtete sich der Unterzeichnete, ohne Verzug und mit möglichster Beschleunigung bei der Firma Prescott & Co. in Kalkutta einzutreffen. Der für mich bestimmte Piäno-Dampfer[1] sollte spätestens in drei Tagen von Suez abgehen. Prescott und die Chininkapsel sollten dann weiter helfen. Doch wer konnte voraussehen, wie sich in den kommenden zwei Jahren mein Vertrag und diese Kapsel zusammen vertragen würden? Assam klingt nicht sonderlich vertrauenerweckend. Wenn ich nicht so entsetzlich europamüde gewesen wäre, so wären beide, Vertrag und Kapsel, wohl nie dazu gekommen, mein Leben zu [505] beherrschen. Nun war ich aber in Afrika, im Land meiner alten kindischen Sehnsucht, und noch keineswegs afrikamüde.
Das wäre nicht leicht gewesen unter den Sykomoren, die den Weg von Kairo nach Schubra überdachen. In der Nähe der Stadt, wenn man die Geleise der nach Alexandrien führenden Bahn überschritten hat, haben wir uns durch ein buntes, lustiges Gewimmel von wunderlichen Menschen und Tieren zu kämpfen. Hier sehen wir Ketten von Kamelen, die in behaglich schwingendem Gang und sich mürrisch räuspernd nach den Steinbrüchen des Mokattam ziehen, wandelnde grüne Berge von Klee, unter denen die emsigen Füßchen der Esel kaum zu sehen sind. Dort begegnen wir Rudeln halbverschleierter, aber trotz dieser mangelhaften Hülle lachender und kreischender Fellahweiber, die Eier, Ziegenbutter, Melonen und Orangen kunstvoll auf dem Kopfe wiegen; dazwischen erscheint ein stattlicher Dorfschech, hoch zu Roß, ein grünbeturbanter, würdiger Imam, auf weißem Esel, von zwei Saisen (Dienern) mit sorgsamer Verehrung geleitet. Dann rollt unter lautem Geschrei: „Platz, Platz, ihr Gläubigen! Links! Rechts, ihr Hundesöhne!“ eine schwerfällige Haremskutsche hinter dem prachtvollen Arabergespann, eine Herde Ziegen mitten entzweispaltend. Ein lautes, farbiges Gedränge; das lebendige Blut, das der alten Khalifenstadt aus dem unerschöpflichen Delta zuströmt!
Nach einer Viertelstunde wird die Masse lichter, die Umgebung stiller. Der reizende Palast, den Said Pascha für die viceköniglichen Gäste hatte erbauen lassen, liegt hinter uns. Rechts zwischen den riesigen Baumstämmen der Allee hindurch erblickt man halbzerfallene Häuser in verwilderten Gärten, in denen Aloe, Kaktusbirnstauden und stumpige Dattelpalmen sich zu wirrem Gestrüpp verschlingen; links das weite Nilthal, das sich nach dem Delta hin grün und sonnig ausbreitet: denn die Schubraallee ist gleichzeitig der Damm, der das Überschwemmungsgebiet des Stroms begrenzt.
[506] Da und dort blitzt der Spiegel des Flusses, der bereits, Ende Februar, tief in sein Bett zurückgesunken ist. Entlang der Ufer prangt schon das glänzende Grün des ägyptischen Maises, und hin und wieder, in noch hellerer Farbe, das eines kleinen Zuckerrohrfeldes. Der Weizen schießt üppig aus dem kaum getrockneten Nilschlamm empor. Weiter hinaus erheben sich über der blaugrünen Fläche des Deltas in wundervoller Zartheit zahlreiche Gruppen von Palmen, die die Lage von Fellahdörfchen bezeichnen. Dazwischen, als ob sie durch die Kleefelder glitten, wie Schmetterlinge, die hoch aufgerichteten, weißen Segü zahlloser Nilboote. Am Horizont endlich die gelbe Libysche Wüste, starr und glühend im schattenlosen Sonnenlicht, und dort drüben die zwei großen Pyramiden von Giseh, jene unverwüstlichen Grabdenkmale einer Vergangenheit, die auch heute noch nicht zu sterben vermag.
Eine stille Welt voll unerschöpflichen Lebens. In dem tiefen Staub der grünüberwölbten Straße versinkt jeder laute Ton. Vogelgezwitscher kennt der ägyptische Frühling nicht. Was singt, ist schon auf dem Wege nach dem kühleren Norden. Das Krächzen eines hundertjährigen Schöpfrades im nahen Buschwerk wird lauter und verstummt wieder, während wir vorüberreiten. Lautlos stehen ein paar schwarze Büffel im Sumpf am Wege; lautlos breitet dort ein Araber seinen Gebetsteppich aus und beginnt, gegen Mekka hin, seine feierlichen Verbeugungen und seine stillen Gebete, ohne daß es jemand einfällt, ihn auch nur anzusehen.
Jetzt pfeift es in weiter Ferne, kaum hörbar. Wir spitzen die Ohren, der eine von uns dreien in hervorragender Weise. Nach drei Minuten ein zweiter, und – Gott sei Dank! – nach sechs Minuten ein dritter Pfiff. Das war die Sorge und Freude meines Lebens. Der erste ägyptische Dampfpflug läuft noch! Das aufmerksame Langohr, das seinen Frühstücksklee wittert, erhält einen erfrischenden Hieb, Ali-Machmud schreit sein Schimala! Yemenak! (Rechts! links!), obgleich uns die ganze Straße zur Verfügung steht, lauter, und in thatenfreudigem Galopp geht es weiter. Durch die Bäume schimmert jetzt ein mächtiges, himmelblau angestrichenes Gebäude, in dem orientalischen Stile, wie sich ihn die Italiener und Franzosen zurechtgelegt haben. Es ist der von Mohammed Ali erbaute Sommerpalast von Schubra, heute – wir schreiben 1863 in der Christenwelt – das Schloß oder, wie man es hier nennt, das Harim seines einzigen noch lebenden Sohnes Halim Pascha, welcher der erbberechtigte Nachfolger des seit einigen Monaten regierenden Vicekönigs Ismael Pascha ist. Der kluge und gewaltthätige Begründer der viceköniglichen Familie Aegyptens hatte sich in seinen alten, friedlicheren Tagen diesen Wohnsitz am Ufer des Nils inmitten eines prächtigen Parks und eines Landgutes von etlichen tausend Hektaren geschaffen, um Landwirtschaft zu treiben, und machte hier seine Versuche mit Baumwolle und Opium, Zucker und Thee, Indigo und Pfeffer, schweizer Kühen und arabischen Pferden. Hier wohnte heute noch Halims Mutter, eine Beduinin von Geburt, somit eine Araberin, die den Aegyptern deshalb näher stand als die andern Glieder der türkischen Herrscherfamilie. Sie war infolge hiervon zur Zeit die einflußreichste Frau am Hofe von Kairo und teilte das innere Regiment des Harims mit ihrem Sohne, der, wie es sich später zeigen sollte, vergebens auf den ihm nach mohammedanischem Rechte gebührenden Thron wartete.
Unaufgefordert nahm mein verständiges Langohr die gewohnte Wendung nach rechts und trottete einem Bewässerungskanal entlang, welchen die erste und älteste Dampfpumpe des Landes um diese Jahreszeit mit dickgelbem Nilwasser füllte, das sie drei Meter hoch zu heben hatte. Gleichzeitig kamen aus der Richtung von Heliopolis, dessen einsamer Obelisk, der einzige Rest der alten Priester- und Königsstadt, nur dreiviertel Stunden von hier in einem Weizenfeld steht, all die gewohnten Töne über die weiten, flachen, von Kanälen in allen Richtungen durchschnittenen Felder des Gutes: das Rasseln und Klingen der Stahlräder, das stockende Pusten des Dampfes, so oft die Maschinen vorrückten, ihr emsiges Keuchen, wenn sie den Pflug von Maschine zu Maschine über das Feld zogen. Dort schreiten fünf Kamele mit gefüllten Wasserschläuchen einher, die mein Anblick in gelinden Trab versetzt, denn ihr Führer kennt den unter meinem Befehl arbeitenden Stecken des kleinen Ali-Machmud, wenn er ihn auch nicht fürchtet; hier liegt ein umgestürzter Kohlenkarren echt ägyptischer Konstruktion, d. h. aus den Trümmern eines Pulverwagens und einer Staatskutsche mit zahllosen Dattelpalmstricken kunstvoll zusammengefügt, in einem Bewässerungsgraben. Aber es pfeift; es pfeift in regelmäßigen Zwischenräumen. Das sind die Signale der sich antwortenden Doppelmaschinen. Das Fuhrwerk läuft noch! Niemand, der die Jugendzeit der Dampfkultur nicht mit erlebte, kann sich vorstellen, mit welcher Freude mich damals jeden Morgen dieses Pfeifen erfüllte, mit welchem Kummer ich ungefähr ebenso oft der Todesstille entgegenritt, die mir anzeigte, daß der Kuckuck wieder los war. Arabisches Dampfpflügen war kein Kinderspiel in jenen Tagen.
Der Stand der Dinge war nämlich der folgende: Im Jahre zuvor, während der halb internationalen „Battersea“-Ausstellung der englischen Landwirtschaftsgesellschaft hatte die französische „Illustration“ nach ihrer Art ein überaus phantasievolles Bild eines Fowlerschen Dampfpfluges des damals siegreichen „Clipdrum“-Systems veröffentlicht. Halim Pascha hatte dieses Bild gesehen und sagte sich, als morgenländischer Fortschrittsmann, der er war: Dieses Ding muß ich auch haben! So kam, von zwei der besten Arbeiter Fowlers geführt, im Herbst 1862 der erste Dampfpflug nach Aegypten, gerade rechtzeitig, um im Nilschlamm des Deltas, welcher im Oktober infolge der jährlichen Überschwemmungen ein Minimum von Tragfähigkeit besitzt, bei jeder Bewegung bis an die Achsen zu versinken. Schließlich brach, bei einem gewaltsamen Versuche, die Maschine aus ihrem selbstgegrabenen Grabe herauszuwinden, ihre Hinterachse, und unsere beiden Dampfpflüger, tüchtige Arbeiter, denen die Sache zu Herzen ging, ergaben sich dem Trunk, woran der eine, zwei Jahre später, elend gestorben ist.
Zur selben Zeit baute die Fowlersche Fabrik ihren ersten Doppelmaschinenapparat, an dem ich mich deshalb lebhaft beteiligt fühlte, weil durch meine Erfindung der Wickelvorrichtung des Drahtseils das Wesentliche dieser Konstruktion, die horizontale Windetrommel, möglich geworden war, die dem System seine noch heute geltende Bedeutung erhalten hat. Diese sich soeben vollziehende Umgestaltung im Bau der Dampfpflüge wurde Halim Pascha mitgeteilt, als die Nachricht von der versunkenen Clipdrummaschine nach England kam. Die telegraphische Bestellung eines Doppelmaschinenapparates war seine Antwort. Die ersten Versuchsmaschinen des neuen Systems arbeiteten damals noch mit Ach und Krach in Wakefield bei Leeds. Der zweite Apparat ging nach Aegypten, um in Fellahhänden mit Büffeln und Kamelen den Kampf ums Dasein aufzunehmen.
So ganz einfach war die Einführung eines neuen Dampfpflugsystems damals nicht. Wenige Wochen später brachte ein Telegramm nach dem andern jammernde Berichte aus dem Lande der Pharaonen. Dieses brach und jenes brach. Pflug und Pflüger waren im Begriff, den arabischen Afritis, den Dämonen der Wüste, zu erliegen. Ich wunderte mich keineswegs. Auch der angelsächsische Teufel spielte bei Wakefield meinem Wickelapparat und der Drahtseiltrommel die tollsten Streiche. Ich freute mich, mit Zittern und Zagen, auf die Indigoplantage am Brahmaputra und die indische Teufelswirtschaft, der ich dort entgegen ging.
Da sagte mir Mr. Fowler einige Tage vor meiner Abreise, es sei doch eigentlich schade, mich in Kalkutta sechs Wochen lang müßig auf meine Maschinen warten zu lassen, die den langen Weg ums Kap der guten Hoffnung zu machen hatten. Ich könnte jedenfalls die Zeit nützlicher mit einem Versuch vergeuden, Ordnung in Aegypten zu schaffen. So kam ich nach Kairo und zu meinem täglichen Morgenritt nach Schubra.
Die Hauptschwierigkeit, mit der ich zunächst zu kämpfen hatte, war diese: Der Hebel, der das auf die Windetrommel auflaufende Seil zwischen zwei Rollen führt und durch eine langsam auf und ab gehende Bewegung das richtige Aufwickeln desselben bewirkt, hat unter Umständen einen gewaltigen Druck auszuhalten, namentlich wenn das Seil angefangen hat, eine falsche Lage auf der Trommel einzunehmen. Wie groß diese Widerstände würden, konnte nur die Erfahrung zeigen. Thatsächlich war der Hebel viel zu schwach und zeigte eine verzweifelte Doppelneigung: zu biegen und zu brechen. Ja, es blieb nicht bei der Neigung. Am zweiten Tag meiner Anwesenheit in [507] Schubra sah ich, was ich mit blutendem Herzen schon in Wakefield gesehen hatte. Unser dritter Hebel brach mit einem zermalmenden Krach.
Wir hatten noch zwei Reservestücke – und den Telegraphen. Der letztere war aber ein schlechter Trost. Sechs Wochen, wenn alles gut ging, mußten vergehen, um neue stärkere Hebel von Leeds nach Schubra zu bekommen. Und ein Dampfpflug, der sechs Wochen im Felde steht, ohne sich rühren zu können, hätte damals genügt und genügte heute noch, mir das Herz zu brechen.
Im Laufe der nächsten Woche kam es fast so weit: die zwei letzten Hebel brachen. An ein Schweißen so großer Schmiedestücke war in den arabischen Schmiedefeuern Schubras nicht zu denken. Ich konnte zwar berechnen, daß nunmehr acht Stück Gibraltar erreicht haben mußten und die Hilfe mit jeder Stunde um zwölf Seemeilen näher rückte. Besser aber war, daß ich mich schon etwas zu Hause fühlte und die Anfangsgründe der Fellah-Ingenieurkunde zu erfassen begann. Das war freilich eine andere Wissenschaft als die, welche man mir am Polytechnikum zu Stuttgart beigebracht hatte.
Mein Esel war nicht ratloser als ich selbst, während wir gesenkten Hauptes am Abend nach dem Bruch des letzten Hebels nach Kairo zurückkehrten. Munter trabten wir am andern Morgen wieder ins Feld, er sichtlich entschlossen, den saftigen Bersim (ägyptischen Klee) von Schubra nicht so leichten Kaufs aufzugeben, ich gewillt, zu pflügen oder zu sterben. Nicht ohne große sprachliche Schwierigkeiten ließ ich einen zehn Fuß langen Balken holen und einen Bock zimmern, der vor die gebrochene Maschine gestellt wurde. Der Bock diente als Stützpunkt des einen Balkenendes, das andere hielten vier kräftige Fellachin. Ueber die Mitte des Balkens lief das Seil. Die Fellachin hatten nun ihr Ende des Balkens langsam zu heben und dann wieder zu senken und auf diese Weise das richtige Aufwickeln des Seils auf der Trommel zu bewirken. Nach ein paar Stunden der Uebung arbeitete die Vorrichtung vortrefflich, wenn auch begleitet von dem lauten Klagelied des Fellahquartetts, das Ermüdung und Schmerzen in den Armen besang. Alle zwei Tage sägte das Drahtseil einen Baum in Stücke. Aber ich habe wochenlang in dieser Weise dampfgepflügt und damit viele tausend Pfund Sterling der kommenden Baumwollernte gerettet.
Denn es war Saatzeit und es war das Jahr 1863. Der Krieg in den Vereinigten Staaten hatte das größte Baumwollland der Welt, das Mississippithal, geschlossen. In Lancashire standen die noch heute nicht vergessenen Schrecken der Baumwollhungerjahre vor der Thüre. Die Baumwolle galt schon damals das Doppelte des Normalpreises und sollte in zwei Jahren auf das Vier- und Fünffache steigen, so daß der Rohertrag auf gutbewässertem ägyptischen Baumwollland, wie es Schubra war, 140 Lstr., d. h. 2800 Mark für den Hektar betrug. Es war kein Wunder, daß zu jener Zeit der Vicekönig zu mir sagte, als ich ihm Stahltrommeln vorschlug, denn auch die damals gußeisernen Seiltrommeln waren anfänglich ein schwacher Punkt der Doppelmaschinenapparate: „Machen Sie Ihre Trommeln aus Gold, Herr Eyth, ich werde sie bezahlen; aber machen Sie sie so, daß man ein Jahr lang damit pflügen kann.“ – Ich reite jetzt quer über ein Feld, das wir vor einigen Tagen zum drittenmal gepflügt hatten. Die Jahreszeit für die Bodenbearbeitung durch die Fellachin mit ihren Zinken aus dem Pharaonenzeitalter ist längst vorüber. Bis Januar zerkrümelt die Erde, welche vom zurücktretenden Nil im November zum letztenmal angefeuchtet wurde, vor diesem primitiven Geräte, daß es eine Freude ist. Dann aber, unter der steigenden Sonnenhitze, wird sie hart wie Backstein. Tausend handbreite klaffende Sprünge, die sich bis in die Tiefe von einem Meter in den Boden ziehen, durchfurchen die Oberfläche nach allen Richtungen. Will der Fellah jetzt noch ein Saatbett herstellen, so kratzt er, kaum einige Centimeter tief gehend, acht bis zehnmal in die Kreuz und Quer über das Feld. Der gewöhnliche Dampfpflug bricht diesen Boden in Blöcken von der Größe eines Achtel-Kubikmeters auf, für welche Eggen und Walzen von entsprechender Wucht noch gebaut werden mußten. Vorläufig konnten auch wir nur durch ein drei- und viermaliges Pflügen und Walzen ein einigermaßen brauchbares Saatbett erzielen. Dasselbe wird sodann in Dämme von 1 bis 11/4 Metern Entfernung aufgeworfen. An der einen Seite der Dämme werden mittels eines hölzernen Dorns Löcher eingedrückt, in welche 6 bis 8 Baumwollsaatkörnchen gelegt werden. Dann wird das Feld bis zur Höhe der Dämme unter Wasser gesetzt. – Hundert lachende und singende Mädchen sind an der Arbeit des Pflanzens. Ein paar Schechs in langen Talaren, auf mannshohe Stöcke gestützt, halten Ordnung und Eifer wach, ohne die schrille Fröhlichkeit zu dämpfen, mit der eine fünfzehnjährige Vorsängerin in regelrechten Ghaselen die Baumwollkultur besingt. „Der Weg zur Buße ist offen“ und „Mögen die Gläubigen ihr Thun bereuen“ lauten abwechslungsweise die nicht sehr ermutigenden Kehrreime eines ihrer unzähligemal wiederholten Lieder.
In größerem Maßstabe wurde der Baumwollbau erst von Mohammed Ali in Aegypten wieder eingeführt. Ein Mameluck des alten Herrn, der nunmehrige Leibadjutant Halim Paschas, Rames Bey, erzählte mir, wie die Saat zu wiederholten Malen aus Nubien und Ostindien, aus Amerika und China eingeführt und eine Reihe von Versuchsfeldern unter Mohammed Alis eigener Aufsicht aufs sorgfältigste gepflanzt worden waren. Die Pflänzchen gingen lustig auf, erkrankten aber ohne Ausnahme nach einigen Wochen in unerklärlicher Weise und starben langsam ab. Der Vicekönig war wütend; aber das Klima Aegyptens, oder das Wasser, oder der Boden schienen der Baumwolle tödlich zu sein. Eines Nachts begegnete Rames Bey, der zufällig noch spät durch die Versuchsfelder ging, einem kleinen Jungen mit einem Topf Suppe. Er hielt den Knirps an: Was er hier noch mache? – Er bringe seinem Vater das Essen. – Was sein Vater mache? Er habe heute Nacht Dienst. Rames folgte nun dem Jungen und fand ein Dutzend Fellachin in den Furchen des Baumwollfeldes liegen, die mit großer Sorgfalt jedes Pflänzchen, ohne es auszureißen, ein wenig aus dem Boden zogen. Nach wenigen Tagen starben natürlich die dieser sinnreichen Behandlung wiederholt unterworfenen Sprößlinge, ohne daß jemand die Ursache ihres Siechtums ahnen konnte. Die Fellachin, welche mit großem Scharfblick viele unnötige Mühe und Arbeit durch die Baumwollkultur ins Land kommen sahen, hatten auf diese Weise versucht, dem Unheil vorzubeugen. Am folgenden Morgen trat ein ad hoc ernannter ägyptischer Ausschuß für Pflanzenschutz unter dem Vorsitz des großen Paschas selbst in Thätigkeit. Die würdigen Schechs des Dorfes wurden mit ihren eigenen Herrscherstäben bedient und ihr Organisationstalent für nächtliche Fronarbeit reichlich belohnt. Heulen und Zähneklappern herrschte vierundzwanzig Stunden lang in dem lieblichen Schubra. Die Baumwolle aber gedieh von diesem Tage an wie an wenigen Punkten der Erde. Jetzt und für die nächsten drei Jahre sollte sie das Land mit Gold überschwemmen.
Noch ehe ich das Feld erreichte, in dem der Dampfpflug arbeitete, verriet ein unruhiges Pfeifen und Signalisieren der Maschinen, daß mein Herannahen bemerkt wurde. Ich nahm dies meinen arabischen Maschinenwärtern nicht übel, die viel mit deutschen Schuljungen gemein hatten, nur daß sie etwas intelligenter dreinsahen und in der Nähe eines Stockes größere Arbeitsfreudigkeit an den Tag legten. Allerdings mußten buchstäblich an jede Stelle, die in Europa ein Mann einnahm, zwei dieser Burschen gestellt werden: einer, der die Arbeit verrichtete, der andere, der ihn kommandierte. Kopf- und Handarbeit waren streng getrennt zu halten. Dann aber ging, wenn kein Unglück über uns hereinbrach, die Sache keineswegs schlecht.
Häufig fand ich schon zu so früher Stunde Halim Pascha in Begleitung seines Adjutanten, des erwähnten Rames Bey, im Feld. Zwei originelle Figuren. Der kleine Halim, dessen zierlicher, sehniger Bau das Beduinenblut verriet, in schwarzer europäischer Kleidung, abgesehen vom dunkelroten Tarbusch und hellroten Pantoffeln, saß gewöhnlich mit den Füßen in der zuletzt geöffneten Furche auf dem Boden und spielte, dem Pflug nachblickend, mit Erdstückchen oder seiner Cigarette. Ein dunkles, scharfgeschnittenes Gesicht und schwarze, blitzende Augen paßten nicht übel zu der lebhaften, im reinsten Pariser Französisch geführten Unterhaltung, in welcher selbst Sprachwendungen des Quartier latin nicht ganz fehlten. Ernsthaft stand der riesige Tscherkesse, der seinem Herrn in echt orientalischen Abenteuern schon zweimal das Leben gerettet hatte, in prachtvoller türkischer Tracht, grün und gold, das elfenbeinerne Cigarrenetui in der [508] Hand, hinter ihm und langweilte sich, mit der Ergebung des echten Moslem.
Heute war die Sache anders. Am fernen Ende des Pflugapparates standen, etwas unruhig beim Keuchen und Rasseln der Dampfmaschinen, zwei prächtig aufgezäumte, milchweiße Araber. Auf dem einen saß Rames Bey, der mir lebhaft winkte. Der andere war frei. Ich steuerte, nichts Gutes ahnend, mein etwas widerspenstiges Langohr querfeldein nach der gefährlichen Gruppe.
„Effendini will Sie sofort sprechen. Bitte, aufsitzen!“ stotterte der Tscherkesse höflich in seinem keineswegs musterhaften Französisch.
Ich hatte nun allerdings meine Bedenken. In meinem Leben war ich noch nie zwischen den Hörnern eines türkischen Sattels gesessen. Zum erstenmal sollte ich ein arabisches Pferd besteigen; ja, auch meine sonstigen Pferdebesteigungen ließen sich damals an den Fingern einer Hand aufzählen. Ich fühlte, daß ein kritischer Augenblick meines Lebens nahte; aber ich war entschlossen, dies vorläufig als Privatgeheimnis zu behandeln.
Die Uebersiedlung vom Esel aufs Pferd, ein an sich ermutigendes Omen, gelang über Erwarten, obgleich es keine Kleinigkeit war, nach europäischer Art des Aufsteigens über das goldene Horn zu voltigieren, welches die Rücklehne des für mich bestimmten Prachtbaues bildete. Gewaltig aber stieg mein Vertrauen, als ich saß. Dieses herrliche, thronartige Sitzgeräte bot Anhaltspunkte, von denen man bei einem englischen Sattel nicht die Spur findet: links und rechts die Füße in einer Art von Panzerschiffen, hinten und vorn Schutztürme, über die man kaum mit Hilfe von Dynamit geschleudert werden konnte. Ich beschloß, was mir auch bevorstehen möge, einen derartigen sogenannten Sattel unfreiwillig nie mehr zu verlassen.
Rames Bey flüsterte, soviel ich bemerken konnte, ein kleines Gebet und blinzelte mit den Augen. Dies genügte, um die beiden Tiere wie Pfeile von einem unsichtbaren Bogen zu schnellen. Der hintere Turm meines Sattels gab mir einen unerwarteten Stoß ins Kreuz, dann aber durchschnitten wir die Luft wie in einer geflügelten Zauberwiege. Es war herrlich. Sobald ich Atem holen konnte, fing ich an, mich neben meinem grünen Mamelucken stolz als Pascha zu fühlen. Zehn Minuten später blinzelte Rames Bey wieder. Mein Vorderturm gab mir einen Stoß in den Bauch. Es war dies auf arabisch das Zeichen, daß stillgehalten wurde und daß wir absteigen möchten. Das kurze Vergnügen, das meine Achtung vor mir selbst aufs höchste gesteigert hatte, der Ritt auf der Hamam (der Taube), einer der edelsten Stuten jener Tage im ganzen Orient, war zu Ende.
Wir traten durch das prachtvolle Parkthor, das, obgleich modern, in dem reizenden Arabeskenstil der besten Khalifenzeit gehalten ist (vgl. Abbildung S. 509). Vor demselben saß auf einem jämmerlichen, grüngestrichenen Holzstühlchen Halims erster Eunuche, ein schwarzer, gutmütiger Fleischklumpen, mit dem ich später sehr befreundet wurde. Langsam stand er auf, grinste mich an und salaamte. Ich that das Gleiche, so gut ich konnte.
Es ist in Aegypten nicht leicht, einen guten Park zu erhalten. Die Luft ist zu trocken, so daß für ein üppiges Wachstum mancher Pflanzen selbst die reichlichste Bewässerung nicht genügt. Die Gärten von Schubra jedoch waren, damals wenigstens, als die schönsten des Landes berühmt und verdienten diese Bezeichnung. Allerdings gab ihnen nicht bloß die Pflanzenwelt ihren eigentümlichen Reiz. In dem geheimnisvollen himmelblauen Palast am Nilufer, der sie nach der einen Seite begrenzte, ahnte man einen der schönsten Harims des Orients. Am entgegengesetzten Ende des Gartens liegt, von einer Säulenhalle umgeben, ein ebenso großartiges als zierliches Marmorbad. In der Mitte des Parks erhebt sich die sogenannte Gabeleia, zu deutsch das Bergchen, eine dicht bewaldete Erhöhung, deren Gipfel ein großer, orientalischer Pavillon krönt. Derselbe besteht aus einem Mittelsaal in bunter arabischer Ornamentik, unter dessen Kuppeldach ein Springbrunnen plätschert. Durch jede der vier Seitenwände führt ein Ausgang ins Freie, an welchen sich rechts und links je zwei kleine Zimmer anschließen, wahre Schatzkästchen, welche die Phantasie von „Tausend und einer Nacht“ ausschmückte. Rings um diesen Bau führt eine luftige marmorgepflasterte Veranda, in deren vier Ecken je ein kostbares französisches Billard stand (vgl. untenstehende Abbildung). Hier pflegte Halim seine Besuche zu empfangen. Von militärischen Wachtposten war nichts zu sehen, obgleich er damals Kriegsminister war; dagegen hatte man auf der schattigen Marmortreppe, die nach der Veranda hinaufführte zwischen zwei indischen Pantherkatzen, und weiter oben zwischen einem bengalischen Tiger und einem sudanesischen Löwen emporzusteigen, welche zum Glück kurz angebunden waren. Oben traf man ein halbes Dutzend junger Mamelucken in schwarzen Stambulröcken und roten Tarbuschs, die flüsternd unter sich oder mit einem persischen Zwerg, dem offiziellen Spielkünstler des Hofstaats, Schach spielten. Sonst herrschte eine tiefe, feucht-schwüle Stille, wenn nicht der kleine Elefant hinter der Gabeleia trompetete, oder ein Kakadu im dichten Buschwerk von Bananen und Tamarisken krächzte, oder auch die Billardkugeln am entfernteren Ende des Pavillons zusammenschlugen.
Halim spielte nämlich nach seinem Morgenritt gerne eine Partie Billard, und bei dieser Beschäftigung traf ich ihn auch heute. Sein Gegner war ein Engländer Namens Roß, ein früherer Reiteroffizier, der den Krimkrieg und den berühmten Ritt bei Balaklawa mitgemacht hatte. Jetzt war er Direktor des ältesten ägyptisch-englischen Geschäftshauses Briggs & Co. in Alexandrien. Das Haus hatte die Agentur für Fowler übernommen. Ich kannte deshalb Roß gut, der mir eifrig „Guten Morgen“ zunickte.
„Bon jour, Monsieur Eyth!“ rief der Prinz. „Spielen Sie auch Billard?“
„Fast so gut, als ich reite,“ antwortete ich, denn wir hatten uns über diesen Punkt schon früher unterhalten. Er behauptete nämlich, ich sitze zu Pferd wie die alten Römer, und ich meinte, das könne nicht schlecht sein, denn sie pflegten ohne Bedenken vom Ebro bis an den Euphrat zu reiten. Ein paar kritische Billardstöße unterbrachen das Gespräch, das überhaupt nur stoßweise geführt wurde.
„Wie geht der Dampfpflug heute?“
„Nicht schlecht, Monseigneur! Wir kommen morgen in ein neues Feld, wenn es den Tag über so fort geht.“
„Jnschallah! Ihr Holzhebel zum Seilwickeln ist eine großartige Erfindung, hat aber vorgestern einem meiner Fellachin durch einen Schlag den Arm gebrochen. „Malisch“ („es macht nichts“) sagte mir der Bursche heute früh. Er läuft schon wieder herum. – Was – Sie wollen uns verlassen?“
„Ich bin an die Jndier verkauft, Hoheit,“ sagte ich, wohlgemut.
„Wie – Sie gehen gern?“
„Nicht ungern, obgleich mir der Nil so lieb ist als der Ganges.“
[509] „Sapristi!“ Der Ausruf des Prinzen galt nicht mir, sondern dem Billard. Major Roß hatte ein paar gute Stöße gemacht.
Die drei Bälle lagen für ihn aber jetzt sehr ungünstig, der seine in der entferntesten Ecke, das Band berührend. Plötzlich setzte sich dieser von selbst in Bewegung, lief erst langsam, dann immer schneller über das ganze Billard und karambolierte mit den andern, wie es der beste Spieler nicht bester hätte wünschen können.
„Da haben wir’s wieder!“ rief Halim ärgerlich. „Es ist unerträglich. Hassan! Abdallah-Mansur!“
Er klatschte in die Hände. Die sechs Mamelucken stürzten herbei. Sie wußten offenbar bereits, was sie zu thun hatten. Fünf hoben mit vereinten Kräften das Billard an dem vom Prinzen bezeichneten Ende, der sechste schob drei Spielkarten unter das freigewordene Bein. „Sehen Sie,“ sagte er zu mir, „diese Komödie haben wir alle Tage. Jeden Morgen lasse ich die Tische genau einstellen, und jeden Mittag stehen sie wieder schief.
Macht es die Feuchtigkeit im Boden oder die Hitze in der Lust – der Allwissende mag es wissen. Die Marmorplatten heben und senken sich aus irgend einem gelehrten, physikalischen Grunde, und mein Freund Roß gewinnt das Spiel mit Hilfe der unterirdischen Mächte. Was sagen Sie dazu?“
Da ich nichts zu sagen wußte, schüttelte ich entrüstet den Kopf. „A propos,“ fuhr er fort, „ich habe schon öfter daran gedacht: Sie könnten mir einen Gefallen thun! Konstruieren Sie mir ein Billardbein, das ich selber mit einem Ruck um einen oder um ein paar Millimeter länger oder kürzer machen kann. Das sollte ein Ingenieur fertig bringen.“
„Das sollte er in der That, Hoheit!“ erklärte ich zuversichtlich.
„Sehr gut! Bringen Sie mir morgen Ihre Idee. Dann wollen wir Freund Roß zeigen, was Billardspielen heißt. Kommen Sie, Roß! Sehen wir nach dem Engländer, der meine Araber schlagen soll.“ Dies bezog sich auf Pferde und eine Wette zwischen Halim und Roß, die sich seit Monaten darüber stritten, ob ein englisches Pferd an der Seite eines arabischen eine Gazellenjagd aushalten könne. „Auf morgen also, Monsieur Eyth!“
Roß winkte mir lebhaft zu, ohne daß ich verstand, was er mir telegraphieren wollte. Zu Erklärungen war keine Zeit.
Beide, Halim voran, die sechs Mamelucken hinterher, schritten rasch die Treppen der Gabeleia hinunter und verschwanden im Gebüsch des Parks. Ich blieb allein, zog mein Notizbuch aus der Tasche und skizzierte die reichornamentierte Ecke des Billards, um meinen noch etwas nebelhaften Plan zum mindesten stilgerecht durchführen zu können. Dann ging auch ich.
Am Parkthor warteten der Esel und Ali-Machmud, der Eselstreiber, die mir eiligst vom Felde gefolgt waren. Der Eunuche salaamte und ich galoppierte nach Kairo, mein Billardbein vergnüglich im Kopfe hin und her drehend. Die Sache war ja einfach genug. Eine messingene Lotosblume sollte den Untersatz bilden. Aus ihrem Kelch tritt statt der Griffel und Staubfäden eine Stahlschraube heraus. Auf dieser ruht das Mahagonibein des Tisches, das in ähnlich blumiger Weise ausgestattet wird. Eine Drehung der Staubfäden hebt und senkt den Tisch. Diese Verbindung von morgenländischer Blumenpoesie mit abendländischer Schraubenprosa schien mir alles zu sein, was man von einem Dampfpflüger erwarten konnte. In steigendem Kunstenthusiasmus schlug ich auf meinen Esel los, der noch nie mit solcher Begeisterung von Schubra nach Kairo rennen mußte wie an jenem Vormittag.
In der Muski, der halb europäischen, halb orientalischen Hauptstraße Kairos, die damals weit morgenländischer aussah als heutzutage und Hildebrandt und Werner zu einigen ihrer wirkungsvollsten Aquarelle verlockt hat, befand sich ein kleiner Kunst- und Papierladen deutschen Ursprungs. Unter tiefen Staubschichten fand ich dort mit Hilfe des ganzen Geschäftspersonales Tusche, Zeichenpapier, ein paar Farben, drei Skorpione in einer zerbrochenen Tuschschale und ein Dutzend Heftstifte. Gegen Abend war eine leidliche Skizze des Gedankens zu Papier gebracht, und am nächsten Vormittag trabte ich mit meinem Billardbein nun wirklich, wie ich glaubte, zum allerletztenmal nach Schubra.
Um die Gabeleia herrschte Todesstille. Selbst der Tiger und die Kakadus schliefen. Mit Mühe wurde mir von verschiedenen Parkwächtern und Gärtnerburschen klar gemacht, daß Effendini schon in aller Frühe mit Major Roß über Heliopolis hinaus in die Wüste geritten sei, um Pferde zu probieren. Keiner der höheren Beamten des Hofs war zu entdecken. Nur der [510] Eunuche saß in träumerischer Behaglichkeit auf seinem grünen Stühlchen und salaamte, als ob wir schon seit Jahren die besten Freunde wären. Ihm übergab ich schließlich das Billardbein, und er schien in einer Unterhaltung, die aus Französisch, Türkisch, Italienisch, Arabisch und Englisch kunstvoll zusammengestellt war, zu versprechen, die Zeichnung dem Pascha einhändigen zu wollen. Wenigstens wickelte er die Rolle vor meinen Augen mit allen Zeichen liebevoller Besorgnis in ein grünseidenes, goldbefranstes Taschentuch, nachdem er ihr durch mehrfaches energisches Zusammenknicken die Größe und Gestalt eines Briefumschlags gegeben hatte.
Die Morgenstille und dieser ganze Vorgang hatten mich abgekühlt und der ferne Ganges schwoll jetzt mächtig an meinem Horizont, denn in den Hotels war bereits das übliche Telegramm angeschlagen: daß der P. a. O.-Dampfer „Alahabad“ übermorgen, abends 8 Uhr, von Suez nach Bombay, Ceylon, Kalkutta etc. gehen werde. Rasch war ein letzter kurzer Besuch beim Dampfpflug und ein beweglicher Abschied in allgemein verständlichen Naturlauten von meinen Fellahmaschinisten abgemacht, die mir mit einer gewissen, leicht mißzuverstehenden Ostentation immer und immer wieder nachpfiffen, nachdem ich schon halbwegs in Kairo war. Dann ging es ans Packen für die Seereise – an ein neues Blatt in meinem Wanderbuch.
Es wurde Abend, ehe ich fertig war. Nur schweren Herzens konnte ich mich von ein paar Steinen trennen, die ich auf dem Gipfel der Cheopspyramide abgeschlagen hatte und die mich auf meinem ferneren Lebenswege hätten begleiten sollen. Aber sie wollten sich schlechterdings nicht mit der Chininkapsel vertragen, welche ein älteres Recht auf einen Platz in meinem Koffer besaß. Ich schenkte sie deshalb meinem Zimmernachbar, der, gefühllos lachend, sie vor meinen Augen zum Fenster hinauswarf. In diesem peinlichen Augenblick trat Roß ein.
„Sie wollen doch nicht abreisen?“ war sein erstes Wort mit einem Blick auf meinen Koffer.
„Allerdings, Major. Schon fix und fertig aufgepackt! Morgen geht’s nach Suez.“
„Daraus wird nichts, lieber Eyth. Sie müssen hier bleiben. Aus Indien wird nichts.“
Ich lachte, hörte aber auf zu lachen, als sich das Gespräch weiterspann. Roß begann eine längere Auseinandersetzung. Halim Pascha brauche einen Oberingenieur für seine landwirtschaftlichen Unternehmen. Er besitze zwischen Assuan und Damiette an etlichen zehn Punkten des Landes annähernd 80–100000 Hektar Land.
Die Leute, die man ihm bis jetzt zugeschickt habe, ein Franzose und zwei Engländer, seien nicht nach seinem Geschmack gewesen, was ich später verstehen lernte. Und nun sollte in den nächsten Jahren die Kultur von 80000 Hektar in energischer Weise in Angriff genommen werden. Schubra, Ternnis, Talia, Kaffr Schech, El Mutana seien jetzt schon Mittelpunkte der beginnenden Arbeit … Das Billardbein? – Das sei zur Hälfte ein Witz, zur Hälfte eine Kriegslist gewesen, die der Prinz selbst erfunden habe. Uebrigens ein ganz passabler und dazu ernsthafter Witz für uns alle. Halim habe sich überzeugen wollen, ob ich nicht bloß mit hölzernen Wickelhebeln dampfpflügen, sondern auch zur Not einen eigenen Gedanken zu Papier bringen könne, ehe er einen Entschluß faßte. Nun beglückwünsche er mich zu meinem lotosblumenartigen Bein und werde sofort sechzehn Stück in Paris bestellen lassen. Nur eins habe ihm mißfallen: daß ich die niedliche Zeichnung so jämmerlich zerknickt habe.
„Der Kuckuck hole den Eunuchen!“ rief ich mit Wärme.
„Kurz,“ schloß Roß, „ich bin im Auftrag des Prinzen hier, um Sie festzuhalten.“
„Aber was fange ich mit meiner Chininkapsel an,“ bemerkte ich nicht ohne Bewegung, „und mit meinem englisch-indischen Vertrag?“
„Unsinn!“ meinte Roß. „Heute noch telegraphiere ich nach London. Fowler muß einen Stellvertreter für Sie nach Assam schicken. Ob der Mann Eyth heißt oder Braun oder Müller ist den Indiern völlig gleichgültig, glauben Sie mir das! Für Fowler ist es von der größten Bedeutung, in den nächsten drei Jahren einen Mann Ihres Schlages, den er kennt, in Aegypten zu haben. Auch für unser Haus. Wenn die Amerikaner fortfahren, sich die Haare auszureißen, statt Baumwolle zu bauen, ist Aegypten eine Goldgrube für uns alle. Das muß auch Ihnen einleuchten, obgleich Sie ein Deutscher sind. Was sind Ihre Bedingungen?“
Das wußte ich nun wirklich nicht.
Roß bot mir ungefähr das Dreifache von dem, was mein allerdings bescheidener indischer Vertrag festsetzte, und noch ehe es völlig dunkel war, hatte ich meine Koffer wieder ausgepackt. Müde von dem vielbewegten Tage saß ich auf dem flachen Dach des Hotels und sah über die mondbeglänzten Kuppeln der Khalifenstadt. Auf dem kleinen Altan des nächsten Minarets stand der Mueddin, eine scharfgezeichnete Silhouette gegen die volle Scheibe des aufgehenden Mondes, und sang seinen Gebetsruf: „Gott ist groß! Es ist kein Gott, außer Gott!“ in die stille Nacht hinaus. Ein Sternenhimmel von unbeschreiblicher Klarheit und Tiefe spannte sich über das ganze nachthelle Bild mit seinen geheimnisvollen schwarzen Schatten, seinen grellen, grünlichen Lichtern. Nur im Süden, nilaufwärts sah es etwas trüb aus, wie schwüler Nebel oder aufsteigende Sandwolken. Dort brauste ein Wüstensturm, der erste Chamsin des kommenden Sommers. Aber das verhängnisvolle Billardbein hatte seine Wirkung gethan. Die Würfel waren gefallen. Vier Jahre heißen ägyptischen Lebens lagen vor mir.
Die arme Kleine.
Leopold war wieder abgereist, die Ankunft Josephs verzögerte sich; das Leben im Hause glitt allmählich in die alten Geleise zurück. Der gute Geist, der segenspendend waltete, die Trösterin, die den Betrübten über die erste schwerste Zeit nach ihrem herben Verlust hinweghalf, war Luise. Sie verbrachte bei ihnen den größten Teil ihrer Tage, opferte, als ob sich das von selbst verstände, ihre eigenen Interessen, ihre Freude an der Führung ihrer kleinen Musterwirtschaft. Aber – es wurde lichter in Schloß Velice, wenn sie die Schwelle überschritt. Die Müden richteten sich auf, die Kummervollen lächelten ihr zu. Vetter Felix konnte, seitdem sie seine Werbung abgelehnt hatte, ihr gegenüber wieder unbefangen sein, und sogar bis zu einem gewissen Grade herzlich – herzlich dankbar.
Einmal kam er merkwürdig heiter und aufgeräumt zu Tische. Er trug einen offenen Brief in der Hand und Elika, die mit ihm eingetreten war, einen geschlossenen, den sie an das Glas vor Luisens Teller lehnte.
Die Suppe war vorgelegt, die Diener verließen das Zimmer.
„Brief von Joseph?“ fragte Charlotte.
„Nein,“ antwortete Kosel und ließ liebreiche Blicke über die Gesellschaft gleiten. „Nicht von Joseph. Aus Australien, ja, aber nicht von Joseph.“ Er versenkte sich in die Betrachtung des Löffels, den er mechanisch ergriffen hatte.
Der Rest ist vorläufig Schweigen, dachte Charlotte und setzte nach einer Weile den Drücker der Tafelglocke in Bewegung. Die Suppe wurde abgetragen, die Zwischenspeise serviert, und wieder schloß die Thür sich hinter den Dienern.
„Ja,“ nahm Kosel wieder das Wort, „es ist unerwartet, aber nicht unangenehm. Nicht wahr, Tante Renate?“
„Was denn, lieber Felix?“
Er geriet von neuem in Geistesabwesenheit und wiederholte: „Unerwartet, aber nicht unangenehm. Was sagen Sie dazu, lieber Heideschmied?“
Heideschmied entschuldigte sich, seine Meinung in dieser Sache stand noch nicht fest.
Kosel war erstaunt: „Wie? nicht fest?“
„Sie wissen ja noch nichts, Papa,“ fiel Elika ein. „Darf ich es sagen?“
Jawohl, natürlich durfte sie.
Die große Neuigkeit also war, daß Bornholm an den Papa [511] geschrieben und ihm Valahora zum Kauf angetragen hatte: „Den Preis soll der Papa durch seine Beamten bestimmen lassen. Die müssen wissen, wieviel es ihm wert ist; Herrn Bornholm ist es wenig wert. Er stellt nur zwei Bedingungen. Das Zimmer, in dem seine Mutter gestorben ist, soll gleich vermauert werden, und Bartolomäus soll, so lange er noch lebt, Kastellan von Valahora bleiben, man soll das alte Raubnest nicht früher zerstören.“
„Man soll’s gar nicht zerstören, man soll’s erhalten!“ rief Charlotte dazwischen.
„Es ist einmal die Heimat, die Welt des Alten; er wüßte nicht wohin mit sich, wenn er sie nicht hätte, schreibt Herr Bornholm.“
„Sehr schön, ja man dürfte es sogar edel nennen,“ bemerkte Heideschmied, „daß er dem Bartolomäus, der dazu beigetragen hat, ihm sein Haus zu verleiden, ein Zuhause sichert.“
Elika nickte ihrem Lehrer freundlich zu: „Dann kommen noch einige geschäftliche Angelegenheiten. Schwierigkeiten werden sich kaum erheben. Herr Bornholm verläßt sich ganz auf Papa und auf Joseph, dem er alle möglichen Generalvollmachten mitgeben wird.“
„Eine genügt,“ versetzte Heideschmied in rücksichtsvoll unterweisendem Tone.
„Also bald Herr von Valahora,“ sagte Renate. „Ich gratuliere.“
„Wir gratulieren alle,“ setzte Elika hinzu. Wie sie sich Gewalt anthun mußte, um heiter und unbefangen zu scheinen, sah Luise allein.
Dem Kinde war es ja klar, so gut wie ihr, was der Verkauf Valahoras für Bornholm zu bedeuten hatte. Ein Abbrechen seines Zeltes, ein Scheiden für immer.
„Weißt du noch, Tante Renate,“ fragte Kosel, „was Emilie immer gesagt hat? … Valahora gehört zu Velice wie … nun weißt du noch, was sie immer gesagt hat?“
„Wie die Poesie ins Leben.“
„Ja – wie die Poesie ins Leben! … Und sie würde sich freuen …“ Er hielt inne. Ja – jetzt war es wieder nicht gut, daß sie nicht da war.
Der Frühlingsnachmittag war sonnig und warm, man ließ den Kaffee im Garten im offenen Pavillon unter den großen Nußbäumen servieren. Elika nahm den Arm Luisens; sie ließen die andern vorangehen und folgten ihnen langsam.
„Es ist noch etwas in dem Briefe Bornholms, das wir dir bei Tische nicht sagen konnten, Papa und ich, weil es niemand angeht als dich,“ sprach Elika. „Er möchte die Antwort auf seinen Vorschlag telegraphisch erhalten, innerhalb der nächsten Woche. In Sidney wartet er darauf und schickt die Adresse, an die das Telegramm zu richten ist. Dieses Telegramm soll aber, weißt du, Liebste, nicht nur die eine Antwort enthalten, nicht nur die auf seinen Brief an Papa, sondern auch auf den da.“ Sie tippte mit dem Zeigefinger auf das Couvert, das Luise noch immer nicht eröffnet hatte, das sie vor sich hinhielt und sinnend betrachtete.
„Die Schrift, nicht wahr, Luise? Hast du schon eine so ungleiche gesehn? und eine so unbeholfene … einmal laufen die Buchstaben einer vor dem andern davon, dann treten sie einander auf die Fersen … einige sind steif wie Holz, andere ordentlich schwungvoll … Im Brief sieht man das alles noch viel besser als auf der Adresse. Lächerliche Schrift – der ganze Bornholm … aber lies doch, lies! du brennst ja drauf!“ rief sie mit plötzlichem Ungestüm.
„Sieh, wie ich brenne,“ erwiderte Luise und steckte den Brief in ihre Tasche.
Kosel hatte den Direktor kommen lassen, der ihn versicherte, daß es nichts Ueberflüssigeres gebe als das Einberufen einer Kommission zur Schätzung Valahoras. Er kannte jeden Baum, jedes Feld, jede Wiese des benachbarten Gutes genau und getraute sich, seinen Wert an und für sich auf Heller und Pfennig, „auf die Prise Tabak“ zu bestimmen. Der Wert, den es als Arrondierung Velices hatte, war natürlich, gering gerechnet, der doppelte.
Das war also eine ausgemachte Sache, alles, was der Direktor da gesprochen, hatte er Bornholm schriftlich mitzuteilen; Wie leicht ein Geschäft mit ihm sich abschließen ließ, hatte man beim Verkaufe Hansls erfahren.
„Und – ja – was die telegraphische Antwort betrifft,“ sagte Kosel und richtete einen Verständnis suchenden Blick auf seine Tochter.
„Die hat Zeit, Papa. Fast acht Tage Zeit. Vielleicht ist Herr Bornholm noch gar nicht in Sidney.“
Luise wechselte die Farbe, lehnte sich in ihren Sessel zurück und griff mit einer unwillkürlichen Bewegung nach dem Brief in ihrer Tasche. Er war den alten Tanten aufgefallen mit seinen überseeischen Stempeln; das Schweigen Luisens beunruhigte sie und sie vermißten schwer die erquickende Heiterkeit ihrer „Trostspenderin“, ihrer „Lichtbringerin“.
Beim Abschied zog Renate ihre Nichte an sich und fragte leise und kummervoll: „Was will er noch von dir, der unselige Mensch?“
Zu Hause angelangt, hatte Luise sich an den Tisch gesetzt, an dem Bornholm so oft ihr gegenüber gesessen, und seinen Brief entfaltet. Der flackernde Schein der Kerze fiel auf das mit großen Lettern eng und dicht beschriebene Blatt. Wenn sie emporsah, glaubte sie Levin vor sich zu sehen, wenn sie las, glaubte sie ihn sprechen zu hören. Jeder Satz redete zu ihr mit dem Klang seiner Stimme: „Vor einem Jahre habe ich Ihnen gesagt, daß ich nicht weiß, was liebhaben heißt, und vielleicht haben sich diese Worte, schon während ich sie sagte, in eine Lüge verwandelt. Ich weiß jetzt, was liebhaben, unaussprechlich liebhaben, heißt. Ein ungeahnter Reichtum ist in mein Leben gekommen, durch Sie, Fräulein von Kosel.“
Er fragte sie, ob sie seine Frau, die Frau eines Ausgewanderten werden wolle, ob sie ihm alles opfern wolle, woran ihr Herz hing, Heimat, Verwandte, und gleich darauf verspottete er sich, daß er der Narr und Frechling sei, eine solche Frage an sie zu stellen:
„Warum sollten Sie es thun, Sie haben ja gar keinen Grund. Ehrlich gestanden, wenn ich Ihr Bruder wäre, und ein zweiter Bornholm käme um Sie zu werben, würde ich Ihnen raten: Laß dich nicht vom feigen Mitleid hinreißen, von der weibischen Leidenschaft am Wohlthun, weis ihn ab, den Friedlosen, mit seiner verwüsteten Jugend. – O, Fräulein von Kosel! davon bin ich überzeugt wie von meiner Existenz. Das aber wäre ein karges Schicksal, das mir nur so wenig Gutes gönnen würde als ich verdiene. Ich bin vermessen, ich hoffe auf die Großmut des Schicksals und auf die Ihre.“
Eines mußte er ihr noch sagen und fand dafür gute, warme Worte: Nicht nur innigst lieben hatte er gelernt, auch Ehrfurcht empfinden.
„Entscheiden Sie,“ schloß er, „und das Mitleid leite Sie nicht! Wenn Sie Ja sagen, wird ein Mensch Ihnen seine Wiedergeburt zu danken haben, wenn Sie Nein sagen, immer noch sehr viel. Er wird von der Welt eine bessere Meinunmg haben, als er bisher gehabt hat, denn in dieser Welt ist er Ihnen begegnet.“
Ehe Luise den Brief Bornholms eröffnet hatte, war es ihr festgestanden: Wenn er um mich wirbt, nehme ich seine Werbung an. Einem Menschen, den man herzlich liebt, alles sein können – ist alles. Herzliche Liebe, das war ihr Gefühl für ihn, von gewaltiger Leidenschaft wußte sie nichts, sie hielt sich ihrer sogar unfähig. Aber treu verbunden in Freud’ und Leid mit dem teuersten Menschen durchs Leben gehen, dachte sie sich schön ...
Freilich die Trennung, die schwere Trennung vorher! Ihr war, als hätte sie gar nicht gewußt, wie sehr sie an den Menschen drüben in Velice hing. An allen, besonders aber an den zwei Tanten, den edlen alten Jungfrauen mit ihren mütterlichen Herzen. Und Elika, die ihren ersten Liebestraum geträumt und ihren ersten großen Schmerz erfahren hatte … arme kleine Elika! Bitter ist das Scheiden von dir und von allen und von allem. Auch von dem engen Daheim, dem armen, stillen Hause. – Statt des belebten Friedens, der in ihm herrschte und jedem, der es betrat, wohlthuend entgegen wehte, zieht bald starre Ruhe in seine Mauern ein.
In dieser Nacht suchte Luise den Schlaf nicht. Sie löschte die Kerze, rückte einen Sessel ans Fenster, öffnete es und blieb dort bis zum Morgen, und sah die Sterne funkeln in ihrer hehren, unaussprechliche Sehnsucht weckenden Pracht und sah sie verblassen und dachte: Auch von euch, die ihr mir geleuchtet, so lang’ meine Augen offen stehen, heißt es scheiden.
[512] Am Morgen war sie in den Sibyllenturm nicht gekommen, um sich Rat zu holen, nur um zu sagen: Er ruft mich und ich will mit ihm gehen.
Jetzt kniete sie vor Renate und hatte das Gesicht in die flachen Hände der alten Tante gelegt, die sich zitternd an ihre Wangen schmiegten.
„Kind! Kind!“ flüsterte sie, und:
„Luise, bestes Kind,“ sprach Charlotte, die neben sie getreten war und ihr die Rechte zärtlich aufs Haupt legte. „Wir begreifen ja. Folge du der Leitung deines eigenen Herzens; es führt dich gut. Du bist eine der wenigen, zu denen man sagen darf: Wo deine Liebe ist, da ist deine Pflicht.“
„Eines, nur eines –“ Renate bemühte sich, Luise emporzuheben – „die Religion.“
„Ich werde in der meinen leben und sterben, gute Tante Renate,“ sprach Luise, richtete sich auf den Knieen auf und schlang beide Arme um die schmächtige Gestalt der Greisin. „Ich bin kein starker Geist, der des Glaubens entraten kann, aber nicht so schwach, daß irgend ein Einfluß, und würde er durch den mir teuersten Menschen ausgeübt, mich in meiner heiligsten Ueberzeugung wankend machen kann.“
Für einen im Schlosse war die Kunde, daß Luise die Heimat verlassen und weit in einen anderen Weltteil reisen würde, eine Freudenbotschaft – für Hanusch. Der Himmel hatte sich seiner erbarmt und ihm einen Weg zur Rettung gewiesen. Er kam zu Fräulein Luise und bat sie, daß sie ihn mitnehmen möge, als Kutscher, als Diener, als was sie wolle. In Velice hielte er es nicht mehr aus. Wer ihn ansah, was ihn ansah, und wenn die Menschen auch nicht sprachen und das andere nicht sprechen konnte, er hörte es doch. … Die Menschen, die Pferde, die Hunde, der Wald schrieen ihm zu: Du bist am Tod deines Herrn schuld. Er mußte fort, und wenn Fräulein Luise ihm nicht erlauben will, mit ihr zu gehen, so geht er allein, Herr Joseph ist auch allein gegangen.
In diese traurige Notwendigkeit wurde er aber nicht versetzt, denn Luise sagte: „Was sind das für Geschichten, Hanusch? Ich nehm’ dich gern mit. Mir wird sein, als wenn ich ein Stück Heimat mitgenommen hätte.“
Der Hochsommer war da. In Garben gebunden lag das schwere, fruchtstrotzende Getreide auf den Feldern. Joseph hatte seine Landung in England angezeigt, den Tag seiner Ankunft aber noch immer nicht. Er wartete. Seine Schwester erriet wohl worauf. Er wollte die Braut Bornholms nicht mehr daheim finden. – Noch fühlte er sich nicht völlig gefeit, noch zitterte etwas von seiner ersten großen Liebe in ihm nach.
Endlich durfte Elika ihm doch schreiben: Komm’! Die Tanten waren aus Wien zurückgekehrt; sie hatten ihre Luise zum Altar begleitet und befanden sich in weicher, wehmütiger Stimmung, schienen aber von jeder herben und peinigenden Sorge um das zeitliche Wohl und das ewige Heil ihres Lieblings befreit.
„Wenn Bornholm seinen Treuschwur nicht hält,“ sagte Charlotte nachdrücklich und energisch, „dann geht die Sonne nächstens schwarz auf. Ich habe nie einen solchen Ausdruck, einen so konzentrierten, von Glück, Ernst, Kraft, und ich behaupte guten Vorsätzen im Gesicht eines Menschen gesehen, wie er ihn die ganze Zeit hindurch hatte. Nie!“ und sie ließ einen strengen Blick über die ganze Gesellschaft gleiten, als ob sie es allen übelnehmen würde, daß sie nicht auch einen solchen Ausdruck besaßen.
„Sie werden sehen, Hochwürden,“ wendete Renate sich an den Pfarrer, „er wird nicht sie zur Heidin, sie wird ihn zum Christen machen.“
„Gott gebe es und Gott segne sie, Gott segne beide,“ erwiderte der geistliche Herr.
Die Wangen Elikas glühten, ein feuchter Glanz schimmerte in ihren Augen. „Wie war also Herr Bornholm?“ fragte sie, und Charlotte sprach feierlich:
„Vertrauen einflößend.“
Nach einer Weile stellte Kosel die Frage auf, ob die Zeitungen nicht vielleicht eine Notiz über die Vermählung Bornholms mit Luise bringen würden: „Was meinst du, Elika?“
Alle Augen wendeten sich nach dem Platze in der Ecke neben dem Kanapee, an dem sie gesessen hatte – er war leer. Sie hatte sich fortgestohlen aus dem Zimmer, aus dem Hause, sie war durch den Garten gegangen, immer rascher und rascher, sie rannte zuletzt wie gejagt. Ihrem Fichtenhaine am Ende des Gartens rannte sie zu, warf sich dort zur Erde, drückte ihr Gesicht ins feuchte kühle Moos und weinte und schluchzte sich aus. Wirklich: aus, bis ihr schien, als hätte sie keine einzige Thräne mehr. Dann stand sie auf. Es war ihr plötzlich gekommen: Ist es nicht unwürdig, sich wie verzweifelt zu gebärden um einen, der nie verborgen hat, wie gleichgültig man ihm ist? Durchaus unwürdig einer jeden und nun erst ihrer, die einen so tapferen Bruder gehabt hatte.
Von neuem füllten ihre Augen sich mit Thränen, das waren aber andere, die erpreßte ihr nicht der Gedanke, daß Levin Bornholm nun eine Frau hatte, die ihn lieben darf, die ihn erlösen wird. … Elika breitete die Arme weit aus: „Franz, mein Lieber, siehst du mich? weißt du etwas von mir? … Ich denke immer an dich, wie gut und stark du gewesen bist … und ich will auch stark sein, deine echte Schwester will ich sein.“
–
– – – – – – – – – –Der schönste Tag brach an, ein Morgen voll Sonnenschein und Vogelgesang, voll Waldesrauschen, glitzerndem Tau und süßem Duft der reifen Aehren. Da kehrte der Erstgeborene des Hauses heim.
Er war über Wien gekommen, hatte ein beglückendes Wiedersehen mit Leopold gefeiert. Den Namen dessen, den er nie wiedersehen sollte, sprach nicht er und sprach keiner aus; aber er schwebte auf allen Lippen, einer las in den Augen des anderen: Auch du denkst an ihn!
Nach den ersten stürmischen Begrüßungen ging Joseph im Hause herum und im Garten, und fragte alle Augenblicke: „War ich denn wirklich fort? Mir ist, als wär’ ich gar nicht fortgewesen.“
„Nicht fort, böser Mensch, nach dem man sich fast zu Tod gesehnt hat?“ rief Apollonia. Frau Heideschmied hingegen verstand, was er sagen wollte, und daß es etwas sehr Affektueuses war, und die Tanten fanden das auch, obwohl sie ihm nicht zugehört, sondern ihn immer nur verzückt betrachtet hatten. Heideschmied war trotz aller Dürre im Zustand des Zerschmelzens:
„Balder!“ sagte er, auf Joseph deutend, zu den Tanten: „Sehen Sie ihn doch an, meine Gnädigsten – Balder!“
Gewiß, er war herrlich geworden, groß und schön, ein Ebenbild seines Vaters, aber ein beseeltes, voll Energie und Kraft und Thätigkeitsdrang. Seine Heimkehr verhieß das Eintreten einer neuen Zeit. Bald wird es lebhaft werden im stillen Velice, seine langverschlossenen Thore werden sich gastlich öffnen, die Jugend wird Jugend heranziehen und die Alten werden sich der Wärme und des Lichtes freuen, die da hereinbrechen und ihnen die letzten Jahre durchsonnen und erhellen.
Im Kopfe Kosels mußten ähnliche Vorstellungen dämmern, denn mit stolzem Lächeln und allerliebreichsten Blicken sagte er zu den Angestellten und Beamten, die herbei eilten, Joseph willkommen zu heißen, ihn gleichsam vorstellend: „Der junge Herr!“
Am Abend, als man sich im wundervollsten Mondenscheine unter den Nußbäumen versammelt hatte, fragte Joseph:
„Und Tante Luise – fort für immer?“
„Das nicht,“ erwiderte Charlotte. „In einigen Jahren besucht sie uns, sie hat es versprochen.“
„Da wollen wir Vrobek indessen in ein Schmuckkästchen verwandeln, nicht wahr, Papa?“
„Und Valahora in eine Sehenswürdigkeit,“ fiel Elika ihrem Bruder ins Wort. „Es muß im Baedeker stehen, mit einem Sternchen.“
Joseph erhob sich, ging auf sie zu und schloß sie in einer unwiderstehlichen Anwandlung von Zärtlichkeit an sein Herz. „Du Kleine,“ sagte er.
„Die Kleine, ja,“ wiederholte Kosel. „Du erinnerst dich doch noch deiner Mutter, Joseph? Ist sie ihr nicht ganz ähnlich geworden, deiner Mutter?“
„Ganz ähnlich. Keine arme Kleine mehr, wie bei unserer Trennung. … Unsere Trennung – Elika, weißt du noch?“
„Ich weiß alles,“ erwiderte sie und fügte hinzu: „Morgen ganz früh, bald nach Sonnenaufgang gehen wir nach Vrobek, wir zwei.“
[513]
[514] So geschah’s, und sie betraten zusammen das kleine leere Haus. Je näher sie ihm gekommen waren, je schweigsamer war Joseph geworden. Anfangs hatte er für jedes Hündlein, das ihn freundlich anwedelte, einen zärtlichen Dank gehabt, den Jubelschrei, mit dem ihn die Magd in der Halle empfing, hörte er nicht einmal. Er stieg langsam die Treppe hinauf, öffnete die Thür des Salons und trat ein. Elika folgte ihm. Da war alles noch wie einst, jeder Sessel auf dem alten Fleck, und auch die gewohnte Reinlichkeit herrschte. Hatte die Magd geahnt, daß Besuch kommen werde, oder hielt sie den Hausbrauch aus eigenem Antrieb aufrecht? Joseph blieb mitten im Zimmer stehen, und sah sich in dem altbekannten Raume um, den er nie ohne einen leisen Schauer des Entzückens betreten hatte. Dann setzte er sich in den Lehnsessel mit Strohgeflecht, Luisens gewohnten Platz, und strich mit beiden Händen liebkosend über die Lehnen. Ein Reflex seiner einstigen Empfindungen erhellte ihm die Seele mit wehmütigem Glanz. Elika betrachtete ihn und dachte: Ich fühle in meinem Herzen, was in dir vorgeht, und habe dich übermenschlich lieb. Er nickte ihr zu.
„Wenn sie wiederkommt,“ sprach er, „werde ich wahrscheinlich verheiratet sein. Ich werde mir eine schöne brave Frau ausgesucht haben, und werde sie lieb haben und sie mich. Aber, gute Kleine, das sag’ ich dir allein, wie ich Luise geliebt habe, werde ich keine mehr lieben. So leidenschaftlich und so ehrfurchtsvoll, mit einer so unendlichen nie erfüllbaren Sehnsucht. Du kannst das nicht begreifen, ich aber wünsche dir, daß du in deiner ersten Liebe so glücklich sein mögest, wie ich in meiner unglücklichen war. Diese Leiden tausche ich gegen keine irdische Glückseligkeit.“
„Hast recht,“ sagte sie.
„Was weißt du davon, Kleine? du weißt ja nichts.“
Sie hatte die Angen gesenkt. Sie war sehr blaß geworden. Er bemerkte es nicht in seiner Erregung:
„Bei dir wird alles anders werden. Du wirst gleich den Rechten wählen, du Weisheit. Wir, Luise und ich – ein Paar … Das wäre doch nicht möglich gewesen. Ich selbst habe das nie für möglich gehalten, und jetzt“ … Er vergrub einen Augenblick sein Gesicht in seine Hände, „jetzt hoff’ ich nur, daß sie recht glücklich werden wird mit meinem Freunde. Glaubst du, daß sie glücklich mit ihm werden wird?“
„Glücklich? Wenn sie nur weiß, daß sie sein Trost und seine Freude ist, daß er sich zu ihr rettet aus seinen Seelenkämpfen. Wenn er sie nur nie fühlen läßt: ich brauche dich nicht mehr. Ein anderes Glück erwartet sie nicht von ihm.“
„Hat sie dir das gesagt?“ fragte Joseph.
„Nein.“
„Woher weißt du’s?“
„Das errät man, Lieber.“ Sie war aufgestanden, ans Fenster getreten und blickte nach dem Walde von Valahora hinüber. Zwischen den leichtbewegten Baumwipfeln wurden die massigen Türme des Schlosses sichtbar. Joseph folgte ihr, legte beide Hände auf ihre Schultern und wendete sie sanft zu sich herüber:
„Das errät man? Kann man so etwas erraten? Ich denke, nein,“ sprach er mit aufleuchtendem Verständnis, „ich denke…“
„Denk’ nichts,“ fiel sie ihm ins Wort, „als daß du mir das Liebste bist auf der ganzen Welt.“
„Einstweilen.“ Lächelnd faßte er ihre Hände und sah ihr fest und liebreich in die klaren hellen Augen. Auch in ihnen lebte etwas von der Thatkraft und der Kühnheit, die seine Seele schwellten.
Dann verließen sie das Haus und schritten rasch im goldenen Sonnenschein dahin. Sie hatten beide die Weihe eines ersten Schmerzes empfangen, und waren mutvoll, waren stark und vor ihnen lag das rätselvolle Leben mit allen Verheißungen, die es der Jugend macht.
Blätter und Blüten
Sommernacht in Norwegen. (Zu dem Bilde S. 489.) Einen Teil des Christianiafjords zeigt uns das stimmungsvolle Landschaftsbild von Professor Hans Gude in Berlin. Tief ins südliche Norwegen hinein dringt dieser 97 km lange Fjord, an dessen innerster Ausbuchtung Christiania liegt. Seine Ufer sind von fruchtbarem Gelände umgeben, und dicht an der Flut erheben sich neben Dörfern und Städtchen schöne Landsitze, in welchen Erholungsbedürftige und Naturfreunde in stillem Frieden die langen Tage des nordischen Sommers in erquickender Luft verleben können. Wundervoll sind in diesen Gebieten die Nächte während des Hochsommers, in welchen die Dämmerung den Himmel mit ihrem Scheine erleuchtet und die Landschaft oft in wunderbare Farben taucht. Einen solchen Sommernachtsfrieden am Christianiafjord hat der Maler in seinem Bilde, das wir im Holzschnitt wiedergeben, zur Darstellung gebracht. Ausgenommen ist die Landschaft von dem steinigen Strande in der Nähe von Moß. Dort bewohnt Professor Gude alle Sommer eine kleine Villa. Er hat das Ufer mit Angehörigen seiner Familie belebt, die sich harmlos der hellen Nacht erfreuen. Seine Frau sitzt auf einem Felsblock, während eine Tochter neben dem Enkel steht, der sich die Zeit mit Krabbenfang verkürzt. *
Zur Reisezeit. (Zu dem Bilde S. 496 und 497.) Trotz der kühnen Eroberungszüge, welche die Eisenbahn in die Welt des Hochgebirgs macht, erklingt auch heute noch auf hundert Alpenstraßen das Horn des Postillons. Eine Postfahrt über einen malerisch umrahmten Alpenpaß hat für den Reisenden, wenn das Wetter nicht gar zu schlecht und der Wagen nicht zu vollgepfropft ist, eine Fülle von Annehmlichkeit und Reiz. Der verhältnismäßig langsame Trab der Pferde ermöglicht dem Reisenden, viel mehr von der Schönheit der ihn umgebenden Welt wahrzunehmen, als es die Eisenbahnfahrt in hastigem Fluge gestattet. Zumal auf einem der Außensitze vorn beim gesprächigen „Schwager“ gewährt schon die Fahrt selbst eine Quelle fröblichen Genießens. Die Anstrengung, welche den Pferden die Bergfahrt bereitet, macht aber auch des öfteren ein Rasten vor gemütlichen Wirtshäusern nötig: die müden Gäule müssen verschnaufen, Futter und Wasser bekommen und der brave Postillon den eignen Durst stillen. Diese kurzen Unterbrechungen der Fahrt in immer neuen Orten, unter neuen Menschen sind auch für die Reisenden ein wahres Labsal. Fröhliches Leben entwickelt sich vor der gastlichen Herberge, wo Wirt und Kellnerin mit Eifer dabei sind, für Erfrischung und Unterhaltung der Gäste zu sorgen. Mit entzückten Blicken betrachtet der Naturfreund die Umgebung, die immer mehr den Charakter des Hochgebirgs annimmt. In tiefen Zügen atmet der von der Haft im Postwagen Befreite die erquicklich reine frische Luft, die von den Gletschern herniederweht.
Solch eine kurze Erholungspause von Postpassagieren in einem Hochgebirgsdorf veranschaulicht uns das Bild Blume-Sieberts mit heiterer Laune. Daß wir uns im bayrischen Hochland auf einer der Alpenstraßen befinden, die rechts und links vom Wettersteingebirg nach Tirol hineinführen, läßt uns nicht nur die schmucke Werdenfelser Tracht der flinken Kellnerin erkennen; auch die drei „halben“ Maßkrüge, die sie in der Rechten trägt, orientieren uns darüber. Der „Pfiff“ Rotwein in ihrer Linken verkündet die Nähe der tiroler Grenze. Das junge Paar, das dicht bei der Postkutsche steht und in rosigster Laune dem kleinen Dorfkind eines seiner Alpenrosensträuße abkauft, befindet sich offenbar auf der Hochzeitsreise. Es wird ihr Gepäck sein, das der „Schwager“ soeben auf dem Verdeck zu dem übrigen thut. Sie haben schöne Tage hier in der Umgebung verbracht und schließen sich nun den anderen Passagieren an, die schon von weiterher – von Garmisch oder Mittenwald – kommen. Das Fernrohr auf einem der Tische ermöglicht einem anderen Paar, die nächste Gebirgswand auf Gemsen zu inspizieren. Die im Vordergrund sitzende junge Frau, deren Kleine mit so viel Behagen die Hühner füttert, hat in ihrem Reisehandbuch vom Vorkommen der Gemsen in diesen Bergen gelesen. Auch die alleinreisende Dame hinter ihr nimmt an der Frage reges Interesse, so daß sie ihre Lieblingsbeschäftigung, auf illustrierten Postkarten ihren Namen zu verewigen, unterbricht und sich beim Wirt nach den Hochtouren erkundigt, die man von hier aus ins Gamsgebiet machen kann. Der zählt ihr natürlich mit Feuereifer alle möglichen und unmöglichen Spitzen und Joche auf, und das Erscheinen des Jager-Loisl, der eben von der Jagd heimkehrt, unterstützt seine Behauptungen von dem fabelhaften Gemsenreichtum der Gegend. Mit Interesse lauscht der Rede des Wirts der junge Stadtherr im Gebirglerkostüm, der sich eben aufs Stahlroß schwingen will – auch der Jagd gehört sein Interesse; doch aufhalten kann ihn jetzt selbst dieses verlockende Thema nicht: er hat Großes vor – die Post bis zur Endstation ihrer Fahrt um eine Stunde zu schlagen!
Eis als Transportartikel. Der letzte milde Winter hat nur vereinzelt in Deutschland sogenanntes Natureis erzeugt. Infolgedessen und da die Eismaschinen den Bedarf nicht decken können, haben sich die großen Eisverbraucher auswärts umsehen müssen: nicht weniger als 906 211 Doppelcentner Eis wurden allein im ersten Viertel des laufenden Jahres eingeführt. Der Hauptlieferant in Natureis ist Norwegen, woher etwa die Hälfte alles eingeführten Eises stammt. Ein gutes Drittel entfällt auf Oesterreich-Ungarn, dessen Hochgebirge, die Karpathen, die Tiroler, Kärntner, Salzburger Alpen, mächtige Eislager haben. Eine nicht geringe Menge Eis lieferte der 1387 m bohe Czorbasee. Das [515] Eis wurde auf der diesen Hochsee mit der Station Czorba der Kaschau-Oderberger Bahn verbindenden Zahnradbahn verfrachtet, welche sonst nur im Sommer befahren wird. In Czorba wurde es dann mit den gewöhnlichen Lastzügen weiterbefördert, namentlich nach Breslau und andern schlesischen Städten. Die Eisenbahnen haben dem Bedürfnis nach Natureis dadurch Rechnung getragen, daß sie eigens für diese Transporte billige Frachtsätze einführten.
Ein ergiebiges Eislager besaß die Gemeinde Zell im Salzburgischen auf dem dortigen See. Im Februar und März war die Ernte. Von der Eisenbahnstation aus wurden 8 Geleise in den See hineingezeichnet von je 1 m Spur. Dann schnitten die Eissägen ziemlich gleichmäßige Platten, die mit Eishaken an das Ufer geschleppt und auf die Wagen verladen wurden. In 6 Stunden konnten auf diese Weise 90 Wagen gefüllt und verschickt werden. Sie rollten hauptsächlich nach den großen Bierstädten, nach München und Wien.
Schöne Bescherung! (Mit Abbildung.) Klirr, klirr, der Teller ist hin, und es muß gut gehen, wenn der kleine Tolpatsch nicht auch noch im Fall die Katzenschüssel umreißt, in welche er seinen Beitrag eben abzuliefern gedachte.
Wäre doch die kleine Anita ein paar Augenblicke früher vom Markte heimgekommen – die hätte die Sache geschickter gemacht! Man sieht die Ueberzeugung davon in ihrer schadenfrohen Haltung ebenso wie in der Verzweiflungsgebärde der jungen Mutter. Daß wir uns in einer italienischen Küche befinden, zeigt die ganze Umgebung: die Metallschüsseln, die altertümliche Oellampe, Krüge und Schalen, nicht zum wenigsten auch die zierlichen Schuhe und Strümpfe der jungen Frau und der dicke Haarbusch, welchen die Italienerin der ärmeren Stände mit Vorliebe bis zu den Augen herunterzieht, allerdings in der nicht unbegründeten Annahme, daß diese Augen dadurch noch einmal so groß und glänzend aussehen. Der Maler dieses Bildchens kennt seine Landsmänninnen gut und versteht, sie getreu zu schildern. Bn.
Der Speckstein. Das Bayerland hat mancherlei Naturprodukte aufzuweisen, deren Vorkommen im Deutschen Reiche zu großen Seltenheiten zählt. Als Seitenstück zu den Graphitfunden bei Passau ist der im Fichtelgebirge abgebaute Speckstein anzusehen. Er findet sich zwischen den Orten Göpfersgrün und Thiersheim. Der Speckstein ist weich, fettig anzufühlen. In der Hauptsache wird er zu Gasbrennern verarbeitet, dient aber auch zum Reinigen und Polieren von Glas, Metall, Leder, zum Zeichnen auf Tuch, Seide oder Glas und wird beim Brennen hart. Von den Eisenbahnstationen Holenbrunn und Wunsiedel wurden im Jahre 1895 etwa 60000 Centner Speckstein versandt. Der Handel mit diesem eigenartigen Naturprodukt hat seinen Mittelpunkt in Nürnberg, wo auch die meisten Grubenbesitzer ihren Wohnsitz haben.
Im Walde. (Zu dem Bilde S. 501.) Das stimmungsvolle Bild einer Waldlandschaft, das die „Gartenlaube“ heute im Holzschnitt wiedergiebt, verdankt sie einem Künstler, dessen Lebenslauf eigenartig genug erscheint, um das Interesse eines weiteren Leserkreises in Anspruch zu nehmen.
Wilhelm Bröker wurde am 6. Februar 1848 in Berlin geboren. Seine Eltern waren mit Glücksgütern wenig gesegnet, ließen ihm aber dennoch eine gute Schulbildung auf der Dorotheenstädtischen Realschule zu teil werden. Schon als Knabe zeigte Bröker Talent für den Holzschnitt und trat mit fünfzehn Jahren in das Atelier des bekannten Holzschneiders Gern in Berlin ein; daneben erhielt er Zeichenunterricht bei dem Historienmaler Hermann Brücke. Später arbeitete er vorübergehend in einer graphischen Kunstanstalt in Stuttgart, kehrte aber bald nach Berlin zurück. Da ihm jedoch die Holzschneidekunst nicht die genügenden Mittel für den Lebensunterhalt gewährte, erlernte er noch den Steindruck, namentlich die farbige Wiedergabe von Oelgemälden und Aquarellen. Im Jahre 1873 war er in der Lage, einen eigenen Hausstand zu gründen. Bis dahin hatte Bröker nur nachahmend gewirkt, was ihm nicht genügte. Er wollte selbst schaffen, sein Ideal war die Erlernung der Landschaftsmalerei. Aber die Mittel, über die er verfügte, reichten nicht zum Besuche einer Akademie. So begann für ihn ein heißes Ringen und Kämpfen. Rein autodidaktisch erwarb Bröker die nötigen Kenntnisse; er arbeitete bis tief in die Nacht hinein, um einerseits durch den Holzschnitt und den Steindruck die Mittel zum Lebensunterhalt zu verdienen, anderseits dem neuen Ideal nachzustreben. Der künstlerische Erfolg blieb nicht aus. Am Weihnachtsabend 1880 konnte ihm ein Freund die Mitteilung machen, daß sein erstes Bild einstimmig von der Aufnahmejury des Vereins Berliner Künstler für die Ausstellung angenommen sei. Die Bahn war gebrochen, in späteren Jahren erwachte auch das Interesse und damit die Kauflust des Publikums für die Gemälde Brökers.
Die Motive zu seinen Bildern entnimmt der Künstler seiner Phantasie; die Stimmungen, die in seinen Werken enthalten sind, kommen ihm gewissermaßen beim Malen unter den Pinsel, wobei ihm Momente vorschweben, die er in der Natur schon beobachtet hat und nun auf die Leinwand zu bannen versucht. Ueber die Art des Schaffens möge folgendes mitgeteilt werden: Bröker beginnt mit dem Malen gleich nach dem ersten Frühstück, arbeitet nach Belieben, wie es ihm die Phantasie zuträgt,und zwar am liebsten im trauten Heim, in der Nähe seiner Lieben. Es stört ihn auch nicht, sondern regt ihn vielmehr an, wenn im Nebenzimmer das Klavierspiel seiner Tochter ertönt, dieselbe am Klavier ihre Liederkompositionen schafft; beim Anhören der musikalischen Laute und Accorde gedeihen seine Arbeiten weiter, und Glück und Zufriedenheit halten gern Rast, wenn ein Bild der Vollendung entgegenreift. Mögen dem Künstler noch viele Jahre glücklichen Schaffens beschieden sein.
Leipzig. Prof. Dr. E. F. Riemann.
Vom Begräbnis heimgekehrt. (Zu dem Bilde S. 513.) Der erste Abend im öden Haus! … Solange sie noch drinnen in der Kammer lag, die stille weiße Gestalt, unter den Blumen und Kerzen, und die beiden wieder und wieder den Frieden ihres Angesichts betrachten konnten, so lange schien sie noch nicht völlig verloren. Jetzt aber ist sie geschieden auf immer, und die Heimgekehrten überfällt der ganze Jammer der Verlassenheit. In stummem Hinbrüten sitzt der sonst so rüstige Mann mit gefalteten Händen da; an ihn schmiegt sich sein blondes Töchterlein. Sie fühlt sich so hilflos gegenüber dem schweren Kummer des Vaters und möchte ihn doch trösten, wenn sie’s nur vermöchte!
Leise rührt die schmale Kinderhand an seinen Arm, er achtet’s nicht in seiner trostlosen Versunkenheit, ahnt nicht, was dieses sanfte Kind für seine Zukunft bedeutet. … So bleibt das tiefe Schweigen ungebrochen, und nur die Flammen im Kamin flackern und werfen ihren Schein über die beiden traurigen Menschengesichter. Ein ergreifendes Stück Leben, das uns der Künstler, L. Muntz, hier in schlichter Wahrheit vor Augen stellt! Bn.
Ein vielgeplagter Fluß ist die in der Nähe von Boudry nach dem Durchfließen des lieblichen Val de Travers und einer daranschließenden engen Klamm in den Neuenburger See mündende Reuse. Zwischen Boudry und Travers, also kurz vor seiner Mündung, hat sich der Fluß einen tiefen 6 km langen Engpaß durch die Kalkschichten des Jura gegraben, und sein Gefälle ist auf dieser Strecke so groß, daß ein Niveauunterschied von 270 m auf eine Länge von 6000 m überwunden wird.
Von diesem gesamten Gefälle bleiben nur 30 m ungenutzt, während der ganze Rest des Flußlaufes innerhalb der Klamm für industrielle Zwecke zur Verwendung gelangt ist. Da unter allen europäischen Wasserläufen
[516] vielleicht kein zweiter in so vollendeter Weise dem Dienst der Industrie unterworfen worden ist, so sind die hydraulischen Anlagen der Reuse einer eingehenderen Schilderung wert. Das Wasser des Flüßchens wird zunächst unmittelbar nach seinem Eintritt in das obere Thor der Klamm durch ein niedriges Wehr abgefangen, durch einen wenig geneigten Seitenkanal am Gehänge der Schlucht entlang geführt, in einem Sammelbecken geklärt und weiterhin, da der Abhang der Klamm zu steil für die Anlage eines Seitenkanals wird, durch einen Felsentunnel von 500 m Länge weiter über das schnell sich senkende Flußbett geleitet. Beim Austritt aus diesem Tunnel liegt der Seitenkanal 29 m über dem Grunde der Klamm, wo sich ein Elektricitätswerk mit Turbinen von 750 Pferdestärken befindet, welchen das Wasser aus dem erwähnten Seitenkanal durch ein stählernes Fallrohr von 160 cm Weite zugeführt wird. Das Elektricitätswerk ist angelegt, um durch eine Hochspannungsleitung von 36 km Ausdehnung die Ortschaften des Val de Travers mit Licht und Kraft zu versorgen.
Das aus den Turbinenschaufeln entweichende Wasser hat sich kaum in das bis dahin nur spärlich benetzte Flußbett der Reuse gestürzt, so wird es abermals durch ein Wehr gehemmt, tritt in einen neuen Tunnel mit anchließenden Einschnitten und gewinnt ein verfügbares Gefäll von 52 m, das abermals durch zwei Druckrohre einer 1400pferdigen Turbinenanlage im Grunde der Schlucht zugeleitet wird, mit deren Hilfe man die Wasserleitungen des 14 km entfernten Chaux de Fonds versorgt. Das nun folgende Turbinenwerk, welches auf genau dieselbe Weise durch einen Tunnel von mehr als 2 km Länge ein Gefäll von 91 m erzielt, pumpt nicht allein durch eine 7 km messende Leitung das Trinkwasser nach Neuenburg, sondern versorgt auch durch die längste elektrische Kraftübertragung in Europa die Orte Chaux de Fonds und Le Locle mit Kraft und Beleuchtung. Die Leistung dieses Elektricitätswerkes, die aber ebenso wie die der vorhin erwähnten Anlagen noch verdoppelt werden kann, wenn man die gesamte Wassermenge der Reuse ausnutzen will, beträgt 1600 Pferdestärken. – Aber auch damit sind die Leistungen des Flusses noch nicht erschöpft. Auf genau dieselbe Weise, durch Wehr, Einschnitt und Tunnel, hat man der Reuse noch ein viertes und letztes Gefäll von 56 m abgerungen, aus welchem schon jetzt bei voller Ausnutzung der vorhandenen Wassermenge 2700 Pferdestärken gewonnen werden. Die gesamte Kraft wird einerseits zur elektrischen Beleuchtung von Neuenburg, anderseits zur Abgabe motorischer Energie für die dortige Klein- und besonders Uhrenindustrie verwendet. – Auf die Ausnutzung des jetzt noch am unteren Ende der Klamm vorhandenen Gefälles von 14 m hat man bis jetzt verzichtet, doch reichen schon die geschilderten Anlagen aus, um bei voller Benutzung der vorhandenen Wassermenge 10 000 Pferdekräfte für den Dienst der Industrie nutzbar zu machen. Bw.
Heinrich Kiepert. (Mit obenstehendem Bildnis.) In unsrer Zeit sind die Landkarten zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel für verschiedene Berufsstände geworden. Sie nützen dem Kaufmann und dem Soldaten, dem Seefahrer sind sie unentbehrlich, und jeder Tourist führt sie bei sich auf seinen Wanderungen. Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten zeichnen sich unsre Landkarten durch hohe Zuverlässigkeit und Billigkeit aus. Wissenschaft und Technik haben in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts den Grund zu dem Aufschwung der Kartographie gelegt, und unter den Männern, die in Deutschland auf diesem Gebiete bahnbrechend wirkten, sind vor allem Adolf Stieler, Heinrich Berghaus, Emil v. Sydow und Heinrich Kiepert zu nennen. Die von ihnen herausgegebenen Atlanten erfreuen sich noch heute in neubearbeiteten Auflagen allgemeiner Beliebtheit. Der jüngste von diesen Förderern der deutschen Kartographie, Heinrich Kiepert, weilt noch heute unter den Lebenden, und es ist ihm nunmehr vergönnt, seinen achtzigsten Geburtstag zu begehen. – Heinrich Kiepert wurde am 31. Juli 1818 in Berlin geboren. Auf der Universität seiner Vaterstadt erhielt er die wissenschaftliche Ausbildung. Kleinasien war das Land, mit dem er sich zuerst eingehender befaßte. Er wurde nämlich beauftragt, die topographischen Arbeiten der preußischen Offiziere, die 1837 bis 1839 in Kleinasien thätig waren, zu redigieren, und machte in den Jahren 1841 und 1842 selbst eine Studienreise nach dem nordwestlichen Teil jenes Ländergebiets. Bald darauf wurde er der technische Leiter des Geographischen Instituts zu Weimar, kehrte aber 1852 nach Berlin zurück, um sich der akademischen Laufbahn zu widmen. Sein Ruf war bereits so angesehen, daß er in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde. Im Jahre 1859 erhielt Kiepert an der Berliner Universität eine außerordentliche und im Jahre 1874 eine ordentliche Professur. Von Berlin aus unternahm er verschiedene Studienreisen, nach Palästina, Karien, Lesbos, Mysien und der Troas. Besondere Anerkennung in wissenschaftlichen Kreisen erntete er zuerst durch seinen „Atlas von Hellas und den hellenischen Kolonien“, der in den Jahren 1840 bis 1846 erschien. Auch in späteren Jahren lieferte Kiepert eine Anzahl trefflicher archäologischer Karten, so z. B. den großen Atlas der alten Geographie „Formae orbis antiqui“. In weiteste Kreise drang aber sein Name mit dem 40 Blatt umfassenden Werke „Neuer Handatlas der Erde“, dessen erste Auflage 1857 bis 1861 in Berlin erschien. Auch für den geographischen Unterricht in den Schulen war der berühmte Kartograph mit großem Erfolg thätig, seine Schulwandkarten und physikalischen Wandkarten sowie seine „Wandkarte von Altgriechenland“ erlebten wiederholt neue Auflagen.
In den letzten Jahren wurde Heinrich Kiepert in seinen Arbeiten wesentlich von seinem Sohne Richard unterstützt, der gleichfalls der Kartographie sich widmet und neben verschiedenen selbständigen Arbeiten die Neuauflagen der berühmten Karten und Atlanten seines Vaters besorgt.
Heinrich Kiepert erfreut sich einer für ein so hohes Alter ungewöhnlichen Rüstigkeit; noch in seinem siebzigsten Lebensjahre unternahm er in Kleinasien neun- bis zehnstündige Ritte zum Zwecke kartographischer Aufnahmen, und noch in diesem Jahre hat er als ältester der vortragenden Professoren an der Berliner Universität ein unentgeltliches Kolleg über Geschichte der Kartographie gehalten. *
Wenn auf dem Dünensande
Der Abend ruht,
Behorch’ ich still am Strande
Das Lied der Flut.
Bald laut, bald wieder leise
Jahrtausendlang.
Noch hat kein Wort beschworen
So dunkel, so verloren
Rollt es dahin.
Ob Erd’ und Himmel tragen
Verwandtes Weh?
Sie brüllt mit Todesgrimme
Zu mir empor,
Und mit der Mutter Stimme
Ich muß ihr immer lauschen
Und immerzu,
Die wilden Wogen rauschen
Das Herz zur Ruh’.
Und Trost erblüht der Trauer
In Einsamkeit. Max Kalbeck.
III. Quittung für das Rittershaus-Denkmal.
64 Mk. gesammelt vom Stammtisch bei Jul. Grünewald in Barmen am 15. April; 34 Mk. von Lehrern des Realgymnasiums in Barmen; 2 Mk. von N. N. in Berlin; 10 Mk. von Otto Herzog in Barmen; 10 Mk. von Alb. Herzog in Barmen; 10 Mk. von Fr. Mieddelmann in Barmen; 50 Mk. von F. Gantert in Barmen; 20 Mk. von L. Arioni in Barmen; 38 Mk. vom Lehrerkollegium der Gewerbeschule in Barmen; 114 Mk. von der Loge zur deutschen Redlichkeit in Iserlohn; 20 Mk. von G. Köttgen & Co. in Barmen; 500 Mk. von der Allgem. Unfall-Vers. „Zürich“ in Zürich; 100 Mk. von Generaldirektor H. Müller in Zürich; 20 Mk. von Generalagent W. A. Kracht in Brüssel; 30 Mk. von Direktor W. Wasels in Zürich; 30 Mk. vom Bildungsverein Witten; 50 Mk. von Assekuranzdirektor C. W. Pfeiffer in Frankfurt a. M.; 50 Mk. von der Studentenschaft in Bonn; 10 Mk. von Oberpräsident Nasse in Koblenz; 10 Mk. von Oberpräsidialrat zur Nedden in Koblenz; 5 Mk. von Reg.-Assessor Kirschstein in Koblenz; 5 Mk. von Regierungsrat Starkenburg in Koblenz: 20 Mk. von Louis Neuhoff in Barmen; 20 Mk. von Herm. Sumpf in Kassel; 50 Mk. von Heinrich Eisenlohr in Barmen; 100 Mk. vom Magistrat der Stadt Minden; 50 Mk. von Rudolf Greeff in Barmen; 10 Mk. von Hermann Wessel in Barmen; 20 Mk. von Adolf Seiler in Barmen; 30 Mk. von Prof. Dr. Carl v. Lilienthal in Heidelberg; 124 Mk. von der Loge Ludewig zur Treue in Gießen; 20 Mk. von Dr. jur. Linnartz in Jouy aux Arches; 20 Mk. von Kommerzienrat G. Weyland in Siegen; 20 Mk. von Stadtrat Direktor Knops in Siegen; 30 Mk. von Kommerzienrat A. Dresler in Creuzthal; 30 Mk. von Fabrikbesitzer Wilh. Dresler in Creuzthal; 10 Mk. von E. W. Bonekämper in London; 1000 Mk. von Geh. Kommerzienrat Carl Friederichs in Remscheid; 10 Mk. von Louis Stüting in Barmen; 10 Mk. von Otto Rittinghaus in Barmen; 20 Mk. von Thoren, Reichert & Co. in Barmen; 10 Mk. von Louis & Alfred Schüller in Barmen; 10 Mk. von R. Heinr. Otto in Barmen; 10 Mk. von Kromberg & Freyberger in Barmen; 20 Mk. von Wily Brand Söhne in Barmen; 39 Mk. 30 Pf. gesammelt vom Bürgermeisteramt Vörde bei Wesel; 10 Mk. von Fritz Hoddick in Langenberq; 20 Mk. von Dr. G. Graßes in Barmen; 50 Mk. von Otto Wichmann in Hamburg; 7 Mk. von R. Duisberg sen. in Barmen; 5 Mk. von v. B. in Barmen; 30 Mk. von v. N. N. in Barmen; 10 Mk. von v. P. in Barmen; 10 Mk. vom Patriotischen Krieger- und Bürgerverein in Neviges; 50 Mk. gesammelt vom Bürgermeister in Hilden; 10 Mk. von Landgerichtsdirekter Endemann in Cleve; 178 Mk. 70 Pf. von der Expedition der „Lüdenscheider Zeitung“; 20 Mk. von J. A. Elias in Kassel; 15 Mk. von G. Bätge in Kassel; 10 Mk. von Carl Zulchner in Kassel; 50 Mk. von Dr. Ad. Arndt in Barmen.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
[516 a]
Allerlei Winke für jung und alt.
Selbstgefertigter Gürtel aus Seidenband. Aus jeder Art Seiden- oder Atlasband, welches aber ein wenig mehr als 2 cm breit sein soll, läßt sich ein Gürtel in der beliebten Miederform auf folgende Art herstellen. Fünf gleich lange Bandstreifen – jeder etwa 17 cm lang – werden zu beiden Seiten an ein mit Seide überzogenes, 18 cm langes Fischbein genäht und das Ansetzen derselben durch vier kleine darüber genähte Bandrosetten maskiert. Die beiden oberen und beiden unteren Bandstreifen an jeder Seite läßt man schräg gehen und befestigt nun die ziemlich eng zusammenlaufenden Enden wieder an zwei Fischbeinen, welche durch einen Riegel aus Seidenband verdeckt werden und von denen drei wagerechte Bandstreifen, so lang wie die vorigen, ausgehen. Den Schluß bilden nochmals Fischbeine, besetzt mit Oesen, Schließhaken und drei verdeckenden Bandrosetten.
Doppelseitiges Arbeitstäschchen. Zwei oben und unten oval abgerundete, ganz gleich geschnittene Stücke Woll- oder Leinenstoff, 33 cm lang und 15 cm breit, werden aufeinander gelegt, ringsum mit zierlichen Rundzacken versehen und zusammengenäht, indem man diese Rundzacken in buntem Garn oder Seide languettiert.Dann schneidet man das obere Stoffblatt genau in der Mitte der Breite nach bis zum Rande durch und bricht an jeder der durch den Schnitt entstandenen beiden Kanten einen schmalen Saum, den man nach unten umnäht. So entsteht eine Art Doppeltasche, die für Handarbeiten, namentlich auf Reisen oder Ausflügen, sehr bequem ist. Sie wird an einem schmalen, 28 cm langen Streifen Stoff getragen, der, ebenfalls ausgezackt und languettiert, als Handhabe angenäht wird. H. R.
Imitation von Florentiner Mosaik. Unter den vielen heutzutage von geschickten Dilettantenhänden ausgeübten Techniken verdient diese Imitation hervorgehoben zu werden, denn sie liefert Füllungen, welche das Abwaschen vertragen und zum Schmuck an Tischen, Kästchen, Wandbecken, Untersätzen etc. sich ausgezeichnet eignen. Die altbekannten Florentiner Mosaiken zeigen eingelegte Blumen, Vögel, Früchte in den zarten Farben verschiedener Steinsorten auf schwarzem Marmor- oder Lavagrund. Man nimmt zu ihrer Imitation eine Glasplatte und legt sie auf das vorher gepauste Muster, welches umgedreht wurde, weil auf der linken Seite der Platte gearbeitet werden muß. Dann zieht man alle Linien des Umrisses recht genau und gleichmäßig mit der Zeichenfeder und dicker Tusche nach, füllt, sobald diese Aufzeichnungen trocken sind, den ganzen Grund mit dem Pinsel und schwarzem Spirituslack aus und setzt nun, sobald auch dieser völlig trocken, mit Oelfarben das eigentliche Muster auf. Daß hierbei Vorsicht, Geschmack und besonders eine gute Kenntnis der Wirkung und Farbenskala der echten Florentiner Mosaiken nötig ist, braucht keine besondere Versicherung, es müssen die einzelnen Töne sowohl, als ihre Zusammenstellung in Licht und Schatten einer Blume, eines Blattes etc. genau nach den guten Originalen gebildet werden. Ist die Malerei ganz vollendet, so dreht man die Glasplatte um und hat nun, mit dem Muster auf der rechten Seite, die Wirkung eines zarten Mosaiks auf schwarzem Grunde. Als Zeichnung ist jedes, in etwas großen Formen gebildete Blumenstück zu verwenden, wie die „Liebhaberkünste“ (München, Oldenbourg) so manches schon gebracht haben. Im Heft 10, Jahrgang 1898 der genannten Zeitschrift findet sich auch ein Artikel von Wobeser über diese Technik, welcher ganz eingehende Ratschläge für den Ungeübteren erteilt und besonders alles betont, was vermieden werden muß, soll die Arbeit schön gelingen. Wer Uebung und Geschmack besitzt, dürfte sie nach obigen Angaben auch allein zu stande bringen.
Wandkorb für Bürste und Staubtuch. (Tiroler Maultiertasche). Diese als Wandkorb für Bürste, Staubtuch und dergleichen sehr hübsch und originell wirkende Tasche können Reisende in Südtirol sich von dort, wo solche den Maultieren zum Tragen angehängt werden, schon fertig mitbringen; wer aber diese Gelegenheit nicht hat, macht sich den Gegenstand ohne viel Mühe selbst nach.
Grundbedingung hierzu ist ein Korb aus nicht zu hellem Geflecht, rückwärts flach, unten abgerundet, mit glattem Deckel. Den oberen Rand faßt man nun mit dunkelbraunem Leder ein und spannt sowohl über die Mitte wie über die beiden gewölbten Seitenwände je einen breiten Lederstreifen, den man mit Lederkerbschnitt in beliebigem Muster verziert, worauf die zwischen den Einschnitten entstandenen Vertiefungen mit grüner Beize gefärbt werden. Durch zwei braune kleine Lederriemen, die man noch annäht und mit runden Bohrlöchern für die Nägel versieht, wird der Korb an der Wand befestigt.
Ein praktisches Gartenzelt. Ein lauschiges und schattiges Plätzchen im Garten bietet ein Zelt wie das beistehend abgebildete. Freie Stunden in den Ferien kann man recht gut benutzen, um es fertigzustellen. Man gebraucht hierzu acht je 3 m lange Holzstangen, welche unten zugespitzt und oben mit einem kräftigen Nagel versehen sind, desgleichen eine ebensolche Stange von 3½ m Länge.
Die ersteren gruppiert man derartig auf eine geeignete Rasenfläche, daß der Grundriß des Zeltes der untenstehenden Skizze entspricht. Genaue Maße bezüglich des Abstandes lassen sich nicht geben, da man das Zelt in jeder Größe herstellen kann; doch empfiehlt es sich, um bequem sitzen zu können, eine vordere Breite von 3 m und eine Tiefe von 2 m zu wählen. In die Mitte des Halbkreises, jedoch 1 Fuß weiter heraus, schlägt man die neunte, ½ m längere Stange. Diese erhält oben einen Ring, in welchen acht dünne Hanfseile geknüpft werden, von denen je eines über die Spitze einer Grenzstange hinweg bis zu einem schräg in die Erde gerammten Pflock geführt wird, wodurch die nötige Festigkeit und Spannung entsteht und das ganze Zeltgerüst fertig ist. Es bedarf nun noch der Anbringung des Zelttuches, welches man am besten aus genau berechneten Zwickeln zusammennäht.
Die Spitzen derselben werden ebenfalls in einen festen Ring vernäht, der sich leicht über die vordere Mittelstange streifen läßt und dort auf den Hanfseilen festliegt. Wo die acht Grenzstangen das Zeltdach durchstoßen, languettiert man ein genügend großes Loch aus, damit die hervorstehenden Nägel den Stoff nicht beschädigen. Die Zeltwände, deren sieben gleiche Teile erforderlich sind – unten etwas breiter als oben –, erhalten an ihren vier Ecken kleine Messingringe, mit denen sie an zuvor eingeschraubten Haken einerseits oben an den Grenzstangen, anderseits unten an den Pflöcken befestigt werden.
Um Lücken zu vermeiden, thut man gut, auch die einzelnen Zeltwände an ihren Langseiten zusammenzunähen. Schöne, mit rotem Band eingefaßte Lambrequins schneidet man gleich mit den Zwickeln des Zeltdaches aus einem Stück zu und läßt sie über die Zeltwände herabhängen. Vorn schließt man das Zelt durch eine ebenfalls rot bordierte Gardine aus gleichem Stoffe ab und bringt auch wohl noch ein Fähnchen an der Spitze an.
Gartenmöbel mit Brandmalerei. Die sogenannten Bauernstühle und Bauerntische mit ihren einfachen Formen und ihrer massiven Bauart sind als Gartenmöbel ganz besonders geeignet: sie halten Wind und Wetter stand und bedürfen keiner anderen Pflege als derjenigen einer öfteren Reinigung.
Durch Brandmalerei kann man nun aber diese Möbel außerordentlich verschönern, ohne daß sie dadurch an ihrem praktischen Werte verlieren. Nur muß man keine zierlichen Feinmalereien anbringen, sondern derbe, tief eingebrannte Figuren in bäuerlichem Geschmack, große Blumen, ein paar verschnörkelte Herzen etc., umgeben von einer leichten Kante aus parallelen oder Zickzacklinien, Punkten und dergleichen. Auch ein kerniger Dialektspruch in großen Buchstaben ist angebracht und erhöht die Poesie der einfachen Möbel. Vorteilhaft ist es, die Brandmalerei zum Schluß zu wachsen und mit einer harten Bürste kräftig zu reiben.
[516 b]
Rätsel.
Ich bin eine Stadt im Pommernland:
Mich ließ vor kurzem des Schicksals Hand
Durchs Wasser fast untergehen.
Hängst du am Ende ein e mir an,
Im grünen Waldthal lieg’ ich alsdann –
Durchs Wasser nur kann ich bestehen.
F. Müller-Saalfeld.
Dominoaufgabe.
A, B und C nehmen je acht Steine auf. Vier Steine mit 33 Augen bleiben verdeckt im Talon. C hat auf seinen Steinen 9 Augen mehr als B. Es wird nicht gekauft.
A setzt Doppel-Sechs aus und gewinnt dadurch, daß er seine Steine zuerst los wird. 8 muß bei der ersten, dritten und sechsten Runde passen. C kann nur bei der dritten Runde nicht ansetzen; er behält zwei Steine mit 13 Augen übrig. – Die achtzehn Steine der Partie haben 99 Augen.
Welche Steine liegen im Talon? Welche Steine behält C übrig? Wie ist der Gang der Partie? A. St.
Die Buchstaben dieser Figur sind so zu ordnen, daß in den einander entsprechenden senkrechten und wagerechten Reihen gleichlautende Wörter von folgender Bedeutung entstehen: 1. ein Hochland in Mittelamerika, 2. eine Stadt an der Nordküste von Südamerika, 3. ein Ort in Ungarn, 4. ein Wundermittel.
Auflösung des Verwandlungsrätsels auf dem Umschlag von Halbheft 15. Varzin, Karmin, Karren, Karzer, Marter, Muster, Muskel, Muskat, Moskau.
Auflösung des Rätsels auf dem Umschlag von Halbheft 15. Bügel, Hügel.
Auflösung der Schachaufgabe auf dem Umschlag von Halbheft 15.
1. S g 7 – f 5 K d 5 – e 4 :
2. D a 1 – b 1 + beliebig
3. D b 1 – h 1, L g 6 – f 7 =
A.
1. . . . . f 2 – f 1 D
2. S e 4 – f 6 + beliebig
3. S f 5 – d 6, d 4 – d 5 =
B.
1. . . . . L e 2 – f 3
2. L g 6 – f 7 + K d 5 – e 4 :
3. D a 1 – b 1 =
C.
1. . . . . K d 5 – c 4
2. S f 5 – d 6 + beliebig
3. L f 7, D c 3 =
D.
1. . . . . K d 5 – e 6
2. S e 4 – c 5 + beliebig
3. L f 7, d 4 – d 5 =
E.
1. . . . . L e 2 – e 4
2. S e 4 – c 5 beliebig
3. L f 7 =
Alle andern Gegenzüge von Schwarz erledigt die Drohung 2. S e 4 – f 6 + nebst 3. S f 5 – d 6, d 4 – d 5 +.
Der Versuch 1. D a 1 – c 3! scheitert an 1. .... L e 2 – c 4 !; denn wenn nun 2. D c 3 – e 3 oder 2. K b 7 – c 7 geschieht, so verhindert f 2 – f 1 D das Matt im dritten Zuge.
Auflösung des Scherzrätsels auf dem Umschlag von Halbheft 15.
G – er – ich – t.
Auflösung des Kettenrätsels auf dem Umschlag von Halbheft 15. Senegal, Gallerte, Teramo, Morawa, Wabehe, Helene, Nebraska, Kabylen, Lentini, Niklas, Askese.
Auflösung des Wechselrätsels auf dem Umschlag von Halbheft 15. Fuchsia, Fuchsin.
Auflösung des Trennungsrätsels auf dem Umschlag von Halbheft 15. Bleib treu, Bleibtreu.
Auflösung der Skataufgabe auf dem Umschlag von Halbheft 14.
Hinterhand hat zu den angegebenen 8 Karten noch gK. und gO. mit zusammen 42 Augen bekommen. Die übrigen Karten sind so verteilt:
Skat: rD., sD.
Vorhand: eW., gW., rW., sW., e9, g9, rO., r8, sO., s8 = 14.
Mittelhand: eK., eO., e8, gD., gZ, g7, sZ., sK., s9, s7 = 42.
Daß Vorhand alle Stiche nehmen muß, also den Ramsch mit zwei Jungfern fängt, sie mag anspielen, was sie will, lehrt schon der Augenschein.
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- ↑ „Piäno“ ist der im ganzen Orient übliche, abgekürzte Name für die Penninsular and Oriental Steamnavigation Company – kurz P and O –, wodurch nach englischer Art aus einem unbrauchbaren Firmentitel das nicht gerade schöne aber brauchbare Wort Piäno, mit dem Accent auf i, entstand.