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Die Gartenlaube (1896)/Heft 47

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1896
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Nr. 47.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Geschwister.

Roman von Philipp Wengerhoff.

  (9. Fortsetzung.)

Nur langsam erholte sich Geheimrat Brückner von dem schweren Schlag, der ihn mit der erneuten Niederlage des Sohnes im Examen so unerwartet getroffen hatte. Dagegen wußte seine Frau aus Liebe und Rücksicht für den leidenden Gatten ihr persönliches Empfinden über die Demütigung bewundernswert zu beherrschen. Die Sorge, daß dieser sich dem Gram zu sehr hingeben könnte, ließ sie Trost- und Milderungsgründe finden, die ihr sonst nie gekommen wären, und die Fassung, mit der sie das über sie Verhängte trug, spornte ihn wieder an, sich kräftiger zu zeigen, als er war.

Doch was sollte nun werden? Nach diesem Mißerfolg war der Lebensberuf, für welchen Leo sich bisher vorbereitet hatte, für ihn verschlossen – mit achtundzwanzig Jahren!

Er mußte sich nun für einen anderen Beruf entscheiden, würde natürlich mit unendlichen Schwierigkeiten zu thun haben, zunächst von seinen Bekannten zu den entgleisten Existenzen gezählt werden und vielleicht mit der Zeit auch wirklich eine werden.

Das dachten sie beide mit vor Schmerz bebendem Herzen, aber aus Rücksicht füreinander dachten sie es nur. Man vermied noch immer eine gründliche Aussprache, man berührte das Thema nur flüchtig und entschuldigte sich gewissermaßen voreinander, wenn ein Wort Zeugnis gab von dem, was all ihr Denken beschäftigte.

Endlich, es mochte fast vierzehn Tage, seit jene traurige Botschaft ins Haus gekommen, her sein, sagte der Geheimrat eines Morgens in Anwesenheit Lisbeths zu seiner Gattin:

„Deine Einstimmung vorausgesetzt, Käthchen, habe ich gestern an Leo das Geld zur Rückreise geschickt. Danach wird er also in den nächsten Tagen eintreffen. Sei so gut, sein Zimmer ordnen zu lassen.“

„Leo – zu uns zurückkehren? – Das ist doch nicht Dein Ernst, lieber Mann?“

„Ja, mein völliger Ernst. Er ist jetzt über ein Jahr fort, und es hat absolut keinen Zweck, daß es noch länger geschieht; unter den gegenwärtigen Verhältnissen ist der einzig richtige Platz für ihn hier, bei uns. Ich kann mir den Vorwurf nicht ersparen, daß, wenn ich seine Rückkehr nach dem ersten Examen durchgesetzt hätte, das Resultat des zweiten vermutlich ein anderes gewesen wäre.“

Er schwieg, denn er sah seine Frau an, welche heftig errötet war, und empfand

Die Vefi.
Nach dem Gemälde von K. Gebhardt.

[790] mit Reue, daß sie aus seinen Worten eine Anklage gegen sich heraushören könnte, während er doch nur an den bezüglichen Wunsch und die dringende Bitte Leos gedacht hatte.

„Käthchen,“ sagte er sanfter, „bedenke, wie soll ich es denn einrichten? Was hat dieses Jahr in Berlin mich nicht gekostet! Es ist ganz unmöglich, wenn ich nicht in Schulden kommen soll, das so weitergehen zu lassen. Und dann, wir müssen doch zusehen, was für seine Zukunft geschehen kann! Dieses Faulenzerleben, das er seit die Prüfung vorüber dort führt, muß nun entschieden ein Ende finden!“

Sie kräuselte bei seinen letzten Worten spöttisch die Lippen, doch verhinderte die Sorge, ihn zu erregen, auch jetzt, daß sie ihm direkt widersprach.

„Du hast mir einen Besuch bei Elfe erlaubt, Erich,“ sagte sie nach kurzem Besinnen, „wenn Du damit einverstanden bist, möchte ich also übermorgen abreisen.“

„Aber, Frauchen, das könntest Du thun?“ – sagte der Geheimrat, der aufgestanden war, und blieb vor ihr stehen, sie verwundert betrachtend.

„Es ist durchaus kein Grund vorhanden, daß ich es nicht könnte,“ erwiderte sie. „Ehrenpforten werden wir für den Heimkehrenden doch wohl nicht errichten, und ich denke, ihm müßte es lieber sein, je weniger er hier zum Empfang vorfindet.“

Eine schwere Wolke lag auf der Stirn des Gatten, er wandte sich schweigend ab und nahm seinen Gang wieder auf.

„Mama, Du kannst unmöglich Papa den Aufregungen der ersten Begegnung mit Leo allein überlassen,“ flüsterte Lisbeth ihr zu, „Du siehst doch, wie es ihn bewegt!“

Ein stummer Kampf mit ihren Gefühlen, dann sagte sie:

„Wenn es Dir übrigens lieber ist, Erich, kann ich die Abreise auch hinausschieben. Sagen wir, fünf bis sechs Tage nach Leos Rückkehr, dann aber – nicht wahr, wünschest Du es selbst, daß ich Waldens Bitte erfülle? Er ist so dringend damit und hoffte doch auch, Du kämest mit. Vielleicht ist dies zu ermöglichen? Eine Zerstreuung wäre doch auch Dir so nützlich!“

Der Geheimrat blieb vor ihr stehen und reichte ihr, erleichtert aufatmend, die Hand.

„Habe Dank, daß Du meine Bitte erfüllst, noch ehe ich sie ausgesprochen! Wenn Du uns noch eine Woche schenken willst, sind wir gewiß alle befriedigt, und ich dränge dann selbst zur Abreise. Und wenn ich Dich leider auch jetzt nicht begleiten kann, so will ich zusehen, daß ich mich später auf ein paar Tage frei mache, um Dich abzuholen. Morgen werde ich also an Walden schreiben und Dich anmelden.“

Wieder gingen ein paar Tage hin, dann schlug die Stunde, der alle Drei mit gleichem Bangen entgegengesehen hatten. Leo war angekommen und sofort in seines Vaters Privatbureau getreten, ohne Lisbeth, die ihm entgegeneilte, bemerkt zu haben. Als diese dann in der Absicht, den Bruder dort zu begrüßen, ihm folgte, hörte sie vor der Thüre schon ein so lebhaft geführtes Gespräch zwischen Vater und Bruder, daß sie von ihrem Vorhaben abstand und ihr Stübchen aufsuchte, in welches er dann auch nach einiger Zeit, noch im Reisemantel, eintrat.

Die Fassung, die sie so lange hatte bewahren müssen, verließ sie, als er sie in seine Arme schloß, und die Thränen flossen ihr plötzlich über die Wangen.

Er runzelte finster die Stirn. „Was, auch Du von Sentimentalität überströmend? Das wäre ja zum Verzweifeln! Das beste Mittel, mich zu verjagen! Ihr thut ja wahrhaftig, als käme der verlorene Sohn nach Hause. Na, so weit sind wir noch nicht, ich werde die Scharte schon auswetzen. Was ist’s denn mit Mama? Papa ist ja in einer Weise ängstlich, als ob man allen Ernstes für sie zu fürchten hätte! Und zu Waldens will sie – ob das gerade der Platz für ihre Erheiterung ist? Komm, setze Dich zu mir, Lisbeth, Du mußt mir viel erzählen! Ich habe wahrhaftig nicht oft an die Krähwinkelei hier gedacht, es wird mir Mühe machen, mit ihr von neuem zu rechnen!“

Nach einer halben Stunde trat er in das Wohnzimmer, in welchem die Frau Geheimrat am Fenster mit einer Handarbeit beschäftigt saß.

Die Aufregung, in der sie sich seit seiner Ankunft befunden, ließ sie noch bleicher erscheinen als sie es in dieser Zeit immer gewesen war, so daß Leo wirklich bei ihrem Anblick erschrak. Dasselbe Gefühl erfaßte sie, als sie in sein mageres, durchfurchtes Gesicht sah, welchem die letztverlebte Zeit ihren Stempel sehr merklich aufgedrückt hatte. Sie machte eine Bewegung, als ob sie sich erheben wollte – sonst war sie nach einer kurzen Trennung ihm stets mit geöffneten Armen entgegen geflogen – und als wollte er sich den Kontrast mit dem Jetzt nicht zu deutlich vorführen lassen, trat er rasch ganz dicht an sie heran, um sie am Aufstehen zu hindern.

„Erlaube, Mama, daß ich Dich begrüße,“ sagte er, ergriff ihre Hand und führte sie an seine Lippen. „Papa sagt mir, Du seiest leidend, schliefest schlecht und hättest viel mit Herzklopfen zu thun. Das thut mir sehr leid! Laß uns also Deinen körperlichen Zustand berücksichtigen und – uns alle Erörterungen sparen. Es hilft ja doch nichts! Von Walden habe ich Dir die herzlichsten Grüße zu sagen – ein prächtiger Mensch! Man lernt ihn jetzt erst kennen, ich wenigstens habe ihn früher durchaus falsch beurteilt. Elfe habe ich in letzter Zeit nicht gesprochen, sie geruhte nicht, mich zu empfangen. Walden sieht übrigens wahrhaft überglücklich Deinem Besuch entgegen; er hofft durch ihn auf einige ruhige und behagliche Wochen. Für ihn und seine Häuslichkeit giebt’s jetzt nur eine Frage: Diner, Souper oder Ball?“

„Wie unvernünftig“, sagte die Mutter, „jetzt gerade, wo Elfe Schonung so nötig hat!“

Leo zuckte die Achseln.

„Walden denkt darüber gerade wie Du, ist aber Elfe gegenüber zu schwach, um seinen Willen durchzusetzen. Sie wird in der Gesellschaft so furchtbar verwöhnt: alt und jung reißt sich mit gleichem Eifer um sie, beim Kriegsminister ist sie enfant gâté, man beabsichtigt sogar, Waldens alten Namen benutzend, sie bei Hofe vorzustellen –“ Die Frau Geheimrätin errötete vor Genugthuung und richtete sich straffer in ihrem Lehnstuhl auf. „Da giebt es für sie keine anderen Rücksichten.“

„Für ein so junges Wesen ist es unter diesen Umständen schwer, die Grenze zu finden,“ meinte sie dann nach einer Weile entschuldigend, „da muß ihr Gatte sie leiten und sie aus Rücksicht auf ihr körperliches Befinden zurückhalten. Mir scheint, Walden ist da wohl nicht auf der Höhe seiner Aufgabe.“

„Er klagt sehr über den Gesellschaftstrubel und mehr noch über die Unvernunft, mit der Elfe jede Rücksicht auf ihren Zustand vernachlässigt. Seine einzige Hoffnung bist Du, um durchzusetzen, daß nunmehr wenigstens die Wünsche des Arztes Beachtung finden.“

„Himmel, was für eine Schwäche!“ rief die Frau Geheimrat ganz entrüstet. „Aus dieser übergroßen Verliebtheit kommt doch in der That nichts heraus! Elfe ist so leicht zu lenken, wenn sie einen festen Willen über sich fühlt. Es scheint mir wirklich, als ob ich dort jetzt am nötigsten sei.“

Damit endete das erste Zusammensein zwischen Mutter und Sohn. Nicht eine Silbe sagte Frau Brückner über den Schmerz, den er ihr gemacht hatte, aber auch nicht ein Wort hatte die früher so liebevoll besorgte Mutter für seine Enttäuschung und sein Ergehen gehabt.

Er ging von ihr fort, innerlich tiefer gekränkt und verletzt, als er je geahnt, daß er es werden könnte, und dieses Gefühl wurde er nicht mehr los, auch wenn er sich nach ihrem Aussehen die Wunde vorstellte, die sein Mißerfolg ihr geschlagen hatte. Die ganzen Tage blieb er nun für sich allein, nur zu den Mahlzeiten kam er ins Familienzimmer und verließ dieses, sobald er, ohne unhöflich zu sein, es konnte. Lisbeth ging zuweilen mit ihrer Handarbeit zu ihm auf sein Zimmer und versuchte durch ihre Unterhaltung, ihn zu zerstreuen, aber sie fand ihn von Tag zu Tag verdrossener und unfreundlicher, so daß sie auch schon die Stunde der Abreise ihrer Mutter herbei sehnte, welche diesem unerquicklichen Zusammenleben ein Ende machte. Später, so hoffte sie, würde sich das schon wieder ausgleichen. Wie alle, so mußte doch auch die Mutter sehen, wie sehr Leo litt, und das Mitleid mit ihm, der in diesem Fall doch der Bedauernswerteste war, würde dann ihr Herz für den, der ihr von ihren Kindern immer das liebste gewesen, wieder erwärmen!

Am Abend vor der beabsichtigten Reise, als sie eben den Thee eingenommen hatten und Leo sich erhob, um sich zurückzuziehen, wandte sich die Geheimrätin plötzlich an ihn: „Bleibe noch ein wenig da, ich will mit Papa Deine Angelegenheit erwägen. Es scheint mir, als wäre es Zeit, die nötigen Schritte zu thun, die Dir den Weg für einen anderen Lebensberuf öffnen. Ich habe [791] Erkundigungen nach allen Richtungen eingezogen: ich weiß nun bestimmt, nachdem Du das Examen auch das zweite Mal nicht bestanden hast, ist Dir jedes höhere Civilfach verschlossen. So bleibt nur eins: Du wirst Offizier!“

„Offizier!?“ riefen Vater und Sohn wie aus einem Munde, und der Geheimrat setzte sanft abwehrend hinzu: „Aber, Käthchen, Käthchen, bedenke doch!“

„Es ist alles bedacht,“ sagte sie, „ich habe schon verschiedene Briefe deshalb geschrieben, verschiedene recht schwere Gänge deshalb gemacht.“ – Leos Stirn rötete sich. – „Und ich werde jetzt in Berlin auch den schwersten thun und persönlich den Kriegsminister aufsuchen. Elfe muß mich begleiten – dann werden wir es wohl durchsetzen, daß er unser Anliegen an höchster Stelle befürwortet.“

„Aber, Käthchen“ – unterbrach der Geheimrat sie wieder, während Leo die Lippen zusammendrückte, als müßte er gewaltsam die Worte zurückhalten, die sich ungestüm hervor drängen wollten.

„Ich weiß alles, Erich, was Du sagen willst: Du hältst es für unmöglich; aber wenn auch äußerst selten, so ist es doch schon dagewesen, daß in Friedenszeiten ein Reserveoffizier zum stehenden Heere übernommen wurde, und warum sollte bei den Verbindungen, die wir haben, um unsretwillen nicht auch zu gunsten Leos so verfahren werden, da alle Welt es weiß, welches Unglück wir mit unserem einzigen Sohne gehabt haben?“

„Ja, ja, Frauchen, wir könnten vielleicht – ich sage vielleicht – sicher ist es mir gar nicht – dies Ziel erreichen, aber denke einmal – was ist das für eine Stellung? Er käme natürlich als jüngster Secondelieutenant ins Regiment, jeder achtzehnjährige Junge, der eben erst das Kadettenhaus verlassen, ist ihm vor –“

„Was thut das? Er trägt seine Anciennetät nicht an der Stirn! Und es ist doch immer der einzige Platz, an dem er sich wieder rehabilitieren kann, an dem er für die Gesellschaft nicht mehr unmöglich ist.“

„Na, Käthchen, so ist das doch auch nicht,“ sagte der Geheimrat, dem die immer tiefer werdende Falte auf der Stirn Leos ein qualvoll bedrückendes Gefühl verursachte, „es giebt genug Stellen, die von angesehenen Männern bekleidet werden, in welche er kommen könnte. Sieh einmal, wenn er zum Beispiel Direktor einer Aktiengesellschaft würde –“

„Eine Art Kommis –“ sagte mit geringschätzigem Ton die Frau Geheimrat.

„Durchaus nicht – Frauchen, ich bitte Dich! – Und dann bieten Provinzial- und Kommunalverwaltung noch genug annehmbare Aemter. Welche Aussichten hat er als Offizier? Weiter als zum Hauptmann käme er nie, er hat denn doch längst die dafür angenommenen Jahre überschritten und dann –“

„Nun, er muß natürlich, sobald er ernannt ist, sofort reich heiraten,“ unterbrach sie, über Leo hinweg, den Gatten. „Das versteht sich von selbst, daß es der pekuniären Opfer für Dich jetzt genug sind. Aber gerade als Offizier wird ihm das sehr leicht sein – ich habe das wohl erwogen.“

„Nun ja, natürlich, wir wollen Deinen Vorschlag überlegen – Du kannst auch später mit dem Kriegsminister Rücksprache nehmen – aber vorerst, meine ich, lassen wir alle derartigen Schritte. Leo ist ja so herunter, mag er sich erst erholen, körperlich und im Gemüt kräftigen – hernach thun wir alle, was in unseren Kräften steht!“

Sie schwieg und wandte gekränkt den Kopf ab.

„Du fährst morgen um neun Uhr, Mama,“ fragte Leo mit merkwürdig heiser klingender Stimme, „erlaubst Du, daß ich Dich zur Bahn begleite?“

„Ich danke,“ lehnte sie ab, „Papa hat mir versprochen, mitzufahren, und für drei ist der Wagen unbequem.“

„Aber die Besorgungen dabei, ich könnte ja vorher zu Fuß –“

„Nein – nein, ich danke! – Schmidt hat beim Kutscher Platz, und so hat Papa mit dem Billet oder Gepäck keine Mühe.“

„So gestatte, daß ich Dir eine glückliche Reise wünsche,“ sagte Leo, drückte einen kalten Kuß auf ihre kalte Hand und ging, den Vater und Lisbeth grüßend, zur Thür hinaus.


12.

In einem in der Bellevuestraße in Berlin gelegenen neuen Hause saßen Frau Geheimrat Brückner und ihr Schwiegersohn, Herr Regierungsrat von Walden, in dem überaus elegant und geschmackvoll eingerichteten Speisezimmer am Kaffeetische.

Es war zehn Uhr. Man hatte ungeduldig und immer ungeduldiger auf die junge Hausfrau gewartet, und schließlich, weil Herr von Walden auf das Bureau gehen wollte, mußte man sich wohl oder übel entschließen, ohne sie mit dem Frühstück zu beginnen.

Die Frau Schwiegermama goß das duftige Getränk in die Tassen, strich die Brötchen für ihn und stellte die Honigschale vor seinen Platz; dabei plauderte sie in anscheinend sehr heiterer Weise von allen möglichen harmlosen und unbedeutenden Vorkommnissen, womit sie bei ihrem Manne stets den Erfolg erzielte, seine Laune zu verbessern. Aber hier versagte dieses Mittel, und die Schatten auf dem blassen, in diesem Jahre merklich gealterten Antlitze hoben sich nicht. Immer, trotz scheinbarer Aufmerksamkeit, lauschte er nach den Nebenräumen, und als nun endlich nebenan ein leichter Schritt hörbar wurde, sprang er mit jugendlicher Elastizität auf, öffnete die Thür und begrüßte seine Frau mit einem so heiteren Gesicht, als hätte nie auch einen Augenblick der Aerger über ihre Rücksichtslosigkeit seine Stimmung getrübt.

„Wie geht es Dir, Liebste?“

„Schlecht. – Die Wohnung ist zu unruhig. Seit zwei Stunden reitet, walzt und trompetet es in der Kinderstube über meinem Kopfe.“

Die Frau Geheimrat zog die Uhr und hielt sie lächelnd ihrer Tochter hin.

„Wenn es erst seit zwei Stunden ist, Elfe, kannst Du von Glück sagen; sonst Pflegen solche kleinen Wesen nicht bis halb neun Uhr zu schlafen. Setze Dich jetzt zu Deinem Manne aufs Sofa, ich mache Dir ein Brötchen mit dem neuen Honig zurecht. Sieh nur, wie lecker er ist!“

„Ach – ich bin so appetitlos!“

Sie lehnte sich an die Polster und Walden schob ihr sorgsam ein Kissen in den Rücken und eines unter die Füße, während die Mutter den Kaffee einschenkte, die Brötchen strich und alles vor sie hinstellte.

Wie eine ihr zukommende Huldigung empfing die junge Frau die zärtliche Sorge der beiden. Der Mutter dankte noch ein Lächeln, ein Kopfnicken; aber von dem Bemühen ihres Gatten nahm sie weiter keine Notiz, als daß sie ein „Nicht so hoch“, „Mehr rechts“ oder „Das braune Kissen ist mir bequemer“ – ihm zuwarf.

Mit halbgeschlossenen Augen drückte sie sich in die Sofaecke und schien nicht die Absicht zu haben, an der Unterhaltung teilzunehmen.

Das verflossene Jahr hatte ihre Schönheit erst zur vollen Blüte entfaltet, die Gestalt zeigte entwickeltere Formen, das zartgeschnittene Gesicht eine rosige Färbung und aus dem türkisch gemusterten, seidenen Schlafrocke guckte der volle Hals in geradezu blendender Weiße hervor. – Walden ließ seine Blicke mit ganz unverhülltem Entzücken auf ihr ruhen, und wenn er zur Mutter hinüberblickte, schienen seine Augen zu fragen: kann man solchem liebreizenden Wesen wohl zürnen, selbst wenn man von ihm mißhandelt wird?

„Willst Du uns nicht von dem gestrigen Souper erzählen, Elfe,“ fragte er dann. „Hast Du Dich amüsiert? Friedrich sagt, Du wärest erst um zwei Uhr nach Hause gekommen.“

„Wenn Du den Diener schon ausgefragt hast, brauche ich mich mit dem Reden ja wohl nicht weiter anzustrengen.“

„Aber, Elfe,“ sagte die Frau Geheimrat in tadelndem Ton, „ich finde, Dein Gatte verwöhnt Dich zu sehr.“

„Es ist unausstehlich,“ fuhr jene auf, „dieses Ausholen der Dienstboten! Er weiß es doch, daß ich, nach Verabredung, von Thorbergs zurückgebracht werden sollte. Ist man denn sein eigener Herr? Wer, wie ich, fast immer ohne den eigenen Mann ausgehen muß, hat nicht zu bestimmen, wann er heimfahren will. Wozu also der Vorwurf über das späte Ausbleiben?“

„Wer macht Dir denn einen Vorwurf, Liebchen? Warum solltest Du nicht dort bleiben, so lange als Du Dich amüsierst? Ich freue mich, daß Du es thust, und bedauere, daß mein Amt mich zu sehr in Anspruch nimmt, um immer mit Dir zu gehen, aber Du warst ja gut versorgt unter dem Schutze der alten Herrschaften.“

„Eine verheiratete Frau hat keinen Schutz nötig und ich werde auch nie mehr mich in dieses Abhängigkeitsverhältnis [792] begeben. Kannst oder willst Du nicht mitgehen, so gehe ich allein, ich bin durchaus nicht die einzige, die ohne ihren Gatten Soireen besucht.“

„Das würde ich sehr unpassend finden, mein Kind,“ bemerkte die Geheimrätin. „Du bist so jung, daß Du eine Begleitung durchaus nötig hast, wenn Du es überhaupt für notwendig findest, ohne Walden auszugehen!“

„Wie – auch das soll ich nicht einmal dürfen?“ rief Elfe und ihre Augen standen plötzlich voll Wasser. „Da möchte ich wirklich fragen, warum habe ich denn geheiratet, wenn ich immer am Schürzenband der Gouvernante hängen soll? Das bißchen Selbständigkeit ist doch noch der einzige Ersatz für alles, was man aufgegeben hat –“ und nun rollten wirklich die Thränen über ihre Wangen.

„Elfe, süßes Weibchen, beruhige Dich, Du weißt, wie schädlich Dir jede Gemütsbewegung ist,“ rief Walden ganz erregt und warf einen vorwurfsvollen Blick auf die Mutter. „Weine nicht, ich bitte Dich inständig, Du darfst alles thun, was Du willst und was Dir Spaß macht! Nun trockne die Augen und erzähle: mit wem saßest Du zu Tische?“

„Mit Lieutenant Lüdeke,“ sagte sie scheinbar beruhigt und fuhr mit dem Taschentuche über ihr erhitztes Gesicht.

„Lieutenant Lüdeke?“ fragte die Mutter, „der Name klingt mir so bekannt; war der nicht einmal in einem unserer Regimenter?“

„Ja, er gehört auch noch dorthin und ist erst seit kurzem hierher kommandiert zur Kriegsakademie.“

In dem Bestreben, ein ungefährliches Thema festzuhalten, fragte Walden weiter: „Kanntest Du ihn denn auch früher schon, ich meine, in Deiner Mädchenzeit?“

„Ja, gewiß,“ meinte Elfe leichthin und lachend setzte sie hinzu: „er war ja so eine Art Bräutigam von mir.“

„So eine Art Bräutigam?!“ fragten die Mutter und Walden wie aus einem Munde, und die Geheimrätin fuhr fort: „eine Art Bräutigam, wie das klingt!“

„Nun, er bildete sich doch ein, daß ich ihn heiraten würde!“

„Ach so!“ sagte mit erleichterten: Aufatmen die Mutter. „Nun, von dieser Art Bräutigam hat ein hübsches Mädchen wohl immer mehrere.“

„O, so ganz ohne Grund war diese Einbildung auch nicht,“ meinte Elfe, in der plötzlich ein kindischer Trotz erwachte. „Ich war ihm in der That sehr gut und habe ihm das, auf seine Frage, wohl auch mehr als einmal gesagt!“

Die Geheimrätin war blaß geworden und rückte unruhig auf ihrem Stuhle hin und her, Walden aber, der die Stirn in düstere Falten gezogen hatte, rief in ziemlich heftigem Ton: „Und das erfahre ich jetzt erst?“

„Hast Du es etwa für nötig gehalten, mich in alle Deine Liebschaften einzuweihen?“ fragte sie, mit einem Lächeln um den Mund, das darauf berechnet schien, ihn zu reizen.

„Elfe!“

„Ja,“ erwiderte sie, „man sagte mir, trotz Deiner Jahre wärest Du auch bei uns noch sehr stark auf diesem Gebiet gewesen –“

„Elfe, ich bitte Dich, wie unpassend!“ rief die Geheimrätin dazwischen, aber jene fuhr mit größester Gelassenheit fort:

„Neulich erzählte mir noch jemand – wer war’s doch? – Du hättest gerade in der Zeit, in der Du Dich um mich bemühtest, ein Verhältnis mit einem älteren Fräulein aus gutem Hause gehabt – Eichholz oder Eichfeld oder so dergleichen – das sich noch jetzt über Deine Untreue grämt.“

Walden sprang auf und stieß den Stuhl polternd gegen die Wand.

„Der Scherz geht wirklich zu weit, Elfe!“

„Es ist gar kein Scherz – Du wirst das wohl am besten wissen. Warum hast Du übrigens das alte Fräulein nicht geheiratet? Die hätte vielleicht viel besser zu Dir gepaßt als ich!“

„Liebes Kind,“ sagte die Geheimrätin schnell, einer Antwort von ihm zuvorkommend, „Du mußt uns auch die Rücksicht, die wir auf Deinen gegenwärtigen Gesundheitszustand nehmen, nicht zu schwer machen! Du gehst in der That viel zu weit. Wir wollen das Gespräch abbrechen, und ich bitte in Deinem Namen Deinen guten Mann recht sehr um Verzeihung, wenn die kindischen Thorheiten, die Du da ausgekramt hast, ihn verletzt oder geärgert haben. Und damit will ich mich zurückziehen! Ich möchte noch vormittags einige Einkäufe machen und mich daher jetzt schon zum Ausgange ankleiden, vielleicht paßt es Dir, Elfe, mich dann zu begleiten –“

Und ohne eine Erwiderung abzuwarten, ging sie schnell hinaus und in ihr Zimmer, setzte sich hoch aufatmend in den Lehnstuhl und fuhr mit dem Batisttuche über die Stirn, auf welcher die Erregung wirklich helle Schweißtropfen hervorgetrieben. Das war nun die Zerstreuung, die Erheiterung, die sie hier gesucht hatte! – Täglich diese Scenen! – Die verächtliche Schwäche von Walden Elfe gegenüber, die ihn sogar gegen sie, die Mutter, Partei nehmen ließ, wenn sie seine Rechte verteidigte – – und dann wieder diese Klagen über seine junge Frau, sobald er unter ihrer freilich geradezu herausfordernden Ungezogenheit und Rücksichtslosigkeit litt. Es ist wirklich nicht zu ertragen! Diese Inkonsequenz der Männer! Wenn sie durch ihre thörichte Verliebtheit sich alles Respekts berauben und für die Launen ihrer Frauen nur noch den Fangball abgeben, dann sollten sie doch wenigstens auch den Mut haben, alle daraus entstehenden Folgen in Geduld zu ertragen. Aber hier: nach einer Seite der girrende Täuberich und nach der anderen der grollende Donnergott! – um den Finger zu wickeln durch ein Lächeln, einen freundlichen Blick seiner jungen Gattin, und aufbrausend wie ein Plebejer, wenn sie seine empfindlichste Stelle, seine Eitelkeit, berührt oder gar, wie eben jetzt, seine Eifersucht wachruft! Wie soll das weiter gehen? Wird seine Liebe standhalten, bis Elfe ernster und reifer geworden ist, bis sie erkennen lernt, welch’ eine opferfähige, tiefe Empfindung er ihr darbringt?

Sie seufzte, stand auf und ging unruhig im Zimmer hin und wieder. Und doch that ihr Walden leid. Man konnte sich wohl vorstellen, wie sehr er seelisch unter diesen Verhältnissen litt. Gerade in Elfes wechselvoller Stimmung lag für ihn die größte Qual. Wäre sie stets so unfreundlich und lieblos wie eben jetzt gewesen, so hätte er sich wohl auf seine Rechte besonnen, aber wenn er Unerträgliches von ihr hingenommen hatte, wenn er von ihren Reden bis aufs äußerste gedemütigt und gekränkt war und sich in wahrer Empörung von ihr abwandte, dann konnte sie plötzlich ein paar vielversprechende Schmeichelworte für ihn finden, die ihn dann unfehlbar zum willenlosen Sklaven erniedrigten. Jeden Wunsch, auch den thörichtsten, auch den, der ihm aufs äußerste widerstrebte und den er ihr bereits versagt hatte, versprach er dann zu erfüllen, um schließlich, wenn ihre Stimmung wieder umschlug, sein Versprechen zu bereuen und, nur durch das gegebene Wort gezwungen, mißmutig und widerwillig es einzulösen! Was konnte dabei wohl herauskommen? Täglich, seit sie hier war, hatte sie in diesem Sinne mit ihm gesprochen, hatte ihn gebeten, Elfe gegenüber fest und bestimmt aufzutreten, seine Würde mehr zu wahren und seinem jungen Weibe ein Erzieher zu sein. Und was hatte sie damit erreicht? Auch nicht das mindeste! Oefter als je wurde sie Zeuge jener ehelichen Scenen, die sich anfangs doch nur in ihrer Abwesenheit abspielten. Nein, ändern konnte ihr Wort hier nichts! Vielleicht, mit der Zeit – wenn Elfe wieder im Vollbesitz ihrer Gesundheit und zugleich eines lieben Kindchens ist, das als neues Band zwischen beiden wirkt, vielleicht kommt dann das Verhältnis ganz von selbst ins richtige Geleise! Sie will sich nicht mehr darüber sorgen, will der Zukunft das weitere überlassen – ihre Seele ist müde genug von dem, was sie sonst alles durchgemacht hat! Aber da sie hier nicht die Erholung findet, die sie bei ihren Kindern gesucht hat und die ihr in Wahrheit nötig ist, so will sie fort, nach Hause – zu ihrem guten Manne, mit dem gemeinsam sich alles leichter trägt, dessen Liebe die ideale Macht ist in ihrem von so viel Berechnung bewegten Leben!

Leo und Elfe – ihre beiden Lieblinge – wie war jetzt das Schicksal beider so mißglückt trotz aller Fürsorge! Wie waren beide in einer Situation, die ihr unerträglich erscheint! Aber zu Hause hat sie wenigstens ein Gegengewicht für alles Schwere! Wie mag sich ihr Mann nach ihrer Rückkehr sehnen, trotzdem er nie davon schreibt, sondern im Gegenteil stets zuredet, den Aufenthalt zu verlängern! Dafür soll er jetzt durch ihre frühere Rückkehr belohnt werden! Noch heute packt sie und morgen früh, bei ihrer Abreise, will sie durch ein Telegramm ihre Ankunft ihm anzeigen, früher nicht, damit er nicht etwa Einspruch erhebt! Aber er wird es auch nicht, an seiner eigenen Sehnsucht muß er ja fühlen, wie sie empfindet!

Es wird ihr plötzlich ganz heiter zu Mute, wie sie sich das

[793]

Waffenhändler in Tanger.
Nach dem Gemälde von S. Viniegra.

[794] Wiedersehen vorstellt – vier Wochen ist eine lange Zeit! Ach, sie kann dem Himmel doch danken, daß ihr eine so liebewarme Heimat wurde!

Sie öffnet nun eilig Schrank und Kommode und legt ihre Sachen für den Koffer zurecht, und je weiter sie damit kommt, je freier wird ihr ums Herz. Ihre Gedanken sind ganz dort, sind bei ihrem Gatten in dem eigenen, ihr so unendlich lieben Heim, und nun spinnen alle Verhältnisse, die sie dort gelassen, auch bereits ihre Fäden um sie. Ob die Frau Oberpräsident sie wohl sehr vermißt hat? Sie hat sie nach jenem unglücklichen Tage, an dem die Nachricht von Leos abermaligem Mißerfolg ihr zuging, an dem ihres Gatten Unwohlsein sie so tief erschreckte und aufrüttelte, nur einmal eine Viertelstunde in ihrem Salon gesprochen, als jene kam, um nach ihr zu sehen – gewissermaßen eine Kondolenzvisite zu machen. Darüber sind nun sechs – nein, fast sieben Wochen vergangen! Der Kummer ist nicht geringer geworden, wohl aber die Aufregung, die er erzeugte; man kann wieder ruhiger denken und dem anfänglich ihr so furchtbar peinlich scheinenden Begegnen mit den Bekannten nun mit Fassung entgegensehen! In vielen Familien passiert so etwas Niederdrückendes – viele Eltern sehen die Hoffnungen zerstört, die sie für ihre Kinder hegten, nicht jede Blüte reift zur Frucht aus! Aber daß sie ihren Mann in dieser Zeit hat allein lassen können, daß sie es nicht als Pflicht empfunden hat, ihm diese bitteren Täuschungen zu erleichtern – sie versteht das jetzt gar nicht! Wenn nur erst morgen wäre, wenn sie nur erst im Coupé säße – sie hat plötzlich eine brennende Sehnsucht nach ihm, ein ungestümes Verlangen nach seiner Nähe, seinem Trost, seinen besänftigenden Worten – auch danach, ihm zu zeigen, daß sie jetzt ruhiger über die über sie verhängte Prüfung denkt, daß sie mit mehr Würde ihr Schicksal trägt!

„Mama, was bedeutet das?“ Elfe ist in ihr Zimmer getreten und sieht bei dem Anblick des offenen Schrankes und der geleerten Schiebladen sie überrascht und erschrocken an.

„Was bedeutet das, Mama? Du packst? Zu welchem Zweck?“

„Nun, genau zu dem Zweck, zu dem man sonst zu packen pflegt: ich will morgen heimreisen.“

„Morgen – schon morgen?! Du hattest mir noch einige Wochen versprochen und Papa schrieb mir noch gestern, er überläßt diese Angelegenheit ganz Deiner Bestimmung!“

„Papa ist lange genug allein gewesen, Elfe.“

„Nein, Mama, das ist es nicht. Noch gestern hast Du nicht daran gedacht! Es ist etwas anderes, sage mir nur die Wahrheit! Es gefällt Dir bei uns nicht! Aergert Walden Dich? Hat er es an etwas fehlen lassen –“

„Walden?“ unterbrach die Geheimrätin sie und eine dunkle Röte stieg in ihr Gesicht. „Walden – mich ärgern – wie wäre das möglich? Er könnte, meine ich, gar nicht liebenswürdiger, aufmerksamer und rücksichtsvoller sein! Aber Du hast recht,“ setzte sie plötzlich in verändertem Tone hinzu, „Du hast recht, er ist die Ursache dieser beschlossenen Abreise. Ich schäme mich vor ihm, Elfe, und wenn er auch viel zu zart ist, ein Wort darüber zu sagen, ich fühle es, daß er von mir denken muß: wie hast Du Deine Tochter erzogen, daß sie in dieser Weise, wie heute beim Frühstück, zu ihrem Gatten spricht!“

„Aber, Mama!“

„Elfe, hast Du jemals bei uns zu Hause solche Scenen erlebt, wie Du sie täglich aufführst?“

„Aber, Mama, Du regst mich auf!“

„Hast Du jemals, Elfe, es gesehen, daß ich Deinem Vater in so achtungsloser Weise begegnet bin, wie Du es Dir Deinem guten Manne gegenüber erlaubst?“

„Nein, aber Papa ist doch auch ein anderer Mann!“

„Inwiefern? Es sind beides Ehrenmänner, es sind beides Männer von seltenen Vorzügen des Herzens und des Geistes, und Du hast, wie ich, das Glück, von diesem Manne geliebt zu werden. Aber solch ein Betragen hätte sich Dein Vater nie und nimmer von mir gefallen lassen!“

„Mein Gott, was habe ich denn gesagt?“ rief die junge Frau ganz beleidigt, „ich hatte schlecht geschlafen, war verdrießlich, da werde ich doch wohl –“

„Die Schale der üblen Laune über den Gatten leeren können, nicht wahr, so meinst Du es? Schäme Dich, daß Du so etwas sagst! Je näher sich Menschen stehen, desto zarter müssen sie miteinander umgehen! Und jeder Frau müßte das, wenn nicht die Liebe, doch die Klugheit sagen, denn die Frau ist in einer unfriedlichen Ehe in erster Reihe die Verlierende. Dem Manne gehört die ganze Welt. Bietet ihm sein Haus nicht, was er erhoffte, dann giebt’s außerhalb desselben tausend anderes, was ihm Ersatz für das versagte Eheglück sein kann. – Aber die Frau – – weißt Du, was eine Frau ist, die sich die Liebe ihres Mannes nicht zu erhalten versteht? Seine Haushälterin ist sie, weiter nichts! Erst sein Herz, erst seine Liebe giebt ihr im eigenen Hause die Stellung an seiner Seite. Und ob sie Sammet und Seide und Brillanten trägt, ob sie im Ballsaal die Königin ist, in ihrem Hause ist sie nichts als das, wozu die Achtung und die Zuneigung ihres Gatten sie macht! Hält er sie hoch, so steht sie hoch, läßt er es daran fehlen, so ist sie in der That erniedrigt. Was meinst Du, wie lange die Liebe Waldens derartigen Auftritten standhalten wird, und hast Du sie verspielt, dann wirst Du Dich zurücksehnen nach dem verscherzten Gut.“

„Du hast leicht reden, Mama, Du, die Du Deinen Mann so zärtlich liebst!“

„Auch hierbei sind wir in dem gleichen Fall. Oder hättest Du den Mut, einzugestehen, daß Du aus einem anderen Grunde sein Weib wurdest?“

„Ich glaube doch, daß ich diesen Mut habe, Mama. Ich will niemand einen Vorwurf machen, aber daß ich so oft äußere Ehre und Reichtum als die wichtigsten Ziele unseres Strebens schildern hörte, das hat mich verlockt. Ach, Mama, und wie wenig ist das alles wert!“

Der bisher so sichere Ton der Mutter stimmte sich merklich herab, als sie jetzt einwand:

„Du schätzest nicht, was Du besitzest. Rang und Reichtum sind ein großer Vorzug – strebe danach, ihn mit den Gütern zu vereinen, die Du vermissest! Denke daran, Elfe, welche glückliche Braut Du warst, wie Du gar nicht Deine Hochzeit erwarten konntest, und jetzt nach einem Jahre –“

„Ach, das ist natürlich, was weiß ein Mädchen denn von der Ehe,“ unterbrach Elfe sie. „Ich verlangte nach der Hochzeit, weil Walden mir tausend Freuden versprochen hatte, die nach derselben mir werden sollten. Ich dachte an Italien, an die zauberischen Feste in der Residenz, an die Erlangung alles dessen, was mein eitles Herz begehrte –“

„Nun, und hat er nicht Wort gehalten?“

„O gewiß, nur die Freude an allem war hin, als ich es empfing. Was nützt nur alles, wenn ich mir nicht mehr selbst gehöre! Wie verkauft kam ich mir immer vor!“

Ein Schauder lief über ihren Körper und sie schlug die Hände vor das erglühende Gesicht.

„Aber, Elfe, dem geliebten Manne anzugehören, sollte Dich glücklich machen!“

„Ja, dem geliebten,“ sagte die junge Frau mit starker Betonung, „in dem einen Worte liegt eine Welt der Unterscheidung.“

„Ich kenne Dich gar nicht wieder, Elfe. Dein Zustand macht Dich grüblerisch. Arbeite dem entgegen und traue meinem Worte: in ein paar Monaten denkst Du anders, verstehst diese Reflexionen gar nicht mehr! Eine ehrbare Frau liebt immer den Vater ihres Kindes. Die kleinen Hände werden euch vereinen. Das ist ein Band, fester als jedes andere in der Welt.“

Ueber Elfes Gesicht flossen plötzlich die Thränen.

„Ach, Mama,“ rief sie, „wie beneidenswert ist die Frau, die des geliebten Mannes Kind in ihren Armen hält, die ihn in diesem hilflosen Wesen zum zweitenmal liebt – und ich“ – sie weinte heftiger – „ich habe mich auch um dieses Glück gebracht! Ich fürchte mich vor dem Kinde, ich liebe es nicht, mir ist es kein Liebesband – mir ist es eine neue Kette, die mich fesselt!“

Ihr Weinen war in lautes Schluchzen übergegangen, ihr Busen hob und senkte sich stürmisch und ihr Körper zuckte krampfhaft von der Heftigkeit dieses Gefühlsausbruches.

Die Mutter trat zu ihr und hielt sie schweigend umfangen, ohne ihre Erregung hemmen zu können. Da öffnete sich hastig die Thür, Walden trat ein, stutzte bei dem Anblick, der ihm wurde, und indem er die Geheimrätin sanft beiseite schob, schloß er um Elfe seinen Arm, mit der anderen Hand ihren Kopf an seine Brust drückend.

„Was ist Dir, Liebling, bist Du unwohl? Was ist Dir [795] geschehen? Rege Dich doch nicht so auf, es könnte Dir schaden! Aber sage mir nur, warum Du so außer Dir bist!“

Elfe schluchzte immer weiter, ließ aber ihren Kopf geduldig an seiner Brust ruhen, und als er mit Fragen nicht aufhörte, gab sie endlich unter erneutem Weinen die Antwort: „Mama hat mich gescholten. Sie sagt, Du nähmest mir den Scherz von vorhin übel.“

„Mein Himmel,“ sagte er ungeduldig, „wie ist das nur möglich! Wie kannst Du, Mamachen, mich für einen solchen Pedanten halten? Sie spricht ja manchmal ein unbedachtes Wort, das verzogene Kind, aber sie meint es niemals schlimm! Das weiß ich am besten! … Trockne Deine Thränen, Liebchen, ich kann sie nicht sehen – so! … lächle wieder! Mamachen weiß ja, daß Eheleute sich am besten kennen und schnell wieder ausgesöhnt sind, habe nur ein wenig Geduld,“ wandte er sich an die Mutter, „und Du wirst sehen, wie gern sie ein übereiltes Wort wieder gut macht!“

Die Geheimrätin wandte sich weg und zuckte mit einem verächtlichen Ausdruck die Schultern, während Walden, der immer eifriger auf Elfe einredete, sich bemühte, das Tuch von deren Augen fortzuziehen. Aber dieses hatte nur zur Folge, daß sie wieder heftiger schluchzte, als sie die Worte hervorstieß:

„Mama wird hier gar nichts mehr sehen, sie geht ja fort, sie schämt sich über mein Betragen zu Dir, es ist ja alles gepackt – sieh doch nur! Aber – aber – Du bist schuld an allem, und Du mußt sie so lange bitten, bis sie bleibt!“

„Mamachen,“ er drückte Elfe sanft in den Sessel und stand mit gefalteten Händen vor der Mutter, „Du wirst es uns nicht anthun, jetzt uns zu verlassen! Ich sehe die Folgen nicht ab, bei Elfes hochgradiger Erregung. Und wenn ich Dir wert bin, wie Du mich glauben ließest, so lasse mich Dich nicht vergebens beschwören, erfülle meine Bitte und bleibe bei uns!“

„Aber, Kinder,“ rief ganz ärgerlich die Frau Geheimrat, „es ist ja ganz unglaublich, wie alles gleich von euch aufgebauscht wird! Papa ist so lange allein – nur an ihn dachte ich bei dieser Entschließung. Aber, meinetwegen, wenn ihr es durchaus wollt, so bleibe ich noch ein bis zwei Wochen. Du mußt aber auch vernünftig sein, Elfe! Die Sache ist nach Deinem Wunsche erledigt, nun weine auch nicht länger, man kann mit etwas gutem Willen auch dagegen kämpfen. Willst Du Eau de Cologne nehmen, Kind? Laß nur, ich wasche Dir den Nacken und die Stirn!“

„Das Wetter ist so schön, Weibchen – sieh, wie die Sonne scheint – soll ich nicht nach dem Wagen schicken? Wir fahren ein wenig in die Luft, das wird Dir gut thun.“

„Du sagtest erst, Du müßtest ins Bureau,“ antwortete sie, noch immer von Schluchzen unterbrochen.

„Nein, ich gehe nicht, ich bleibe bei Dir. Mein Frauchen geht allem voran. Wir fahren im Tiergarten spazieren und dann besorgen wir uns Billets zum Abend. Wir sind in dieser Woche noch nicht im Theater gewesen – und nach demselben essen wir bei Dressel, da schmeckt es Dir ja immer, nicht wahr? Ist es so gut, ist es Dir recht?“

„Wie Du willst, ich bin mit allem zufrieden.“

„Nun, mein Herz, dann schlage ich vor, wir fahren auch noch bei Gerson vor. Da sah ich gestern am Fenster eine reizende goldgelbe Blouse mit einem Bolero-Jäckchen von Schmelz darüber, die würde meinem Liebchen reizend stehn, was meinst Du, die holen wir uns? Und nun komm’, Schatz, und mach’ Dich flink zurecht für die Fahrt, das soll heute ein schöner Tag werden! Auf Regen folgt immer Sonnenschein.“

Als die Frau Geheimrat am Abend noch ganz warm und erregt von allen den verschiedenen Genüssen, die ihr dieser Tag in der Hauptstadt geboten, ihr Zimmer betrat, lag auf dem Tische ein Brief von Lisbeth, dessen bloßer Anblick schon ihr ganzes Denken wieder der Heimat zulenkte. Was würde darin stehen? Jetzt hatte sie beschlossen, die lebhaft gewünschte Rückreise vorläufig aufzugeben, von dem so friedlich verlaufenen Tag zu der Hoffnung bekehrt, daß unter ihrem Einfluß sich das Zusammenleben des Waldenschen Ehepaares noch ganz befriedigend gestalten könne, und sie mochte keinesfalls eine Disharmonie durch ihre Abreise hinein bringen. Ihr heute gegebenes Versprechen, noch ein bis zwei Wochen hier zu bleiben, wollte sie halten; bis dahin würde Elfe sich drein gefunden haben, daß es ihre Pflicht sei, die Rücksicht auf ihren Gatten für ihr Thun und Lassen als maßgebend gelten zu lassen. Heute war doch Elfe wirklich ganz verständig gewesen – sie selbst hatte recht das Gefühl gehabt, als ob ihre Ermahnungen auf fruchtbaren Boden gefallen wären. Wenn doch diese Hoffnung sie nicht täuschte, wenn das Schicksal ihr diese Sorge vom Herzen nähme! Was wollte Elfe denn eigentlich? Konnte ein Mensch es noch besser haben? Dieser Reichtum hier, der es ihr gestattete, alles zu besitzen, wonach sie Verlangen trug, und jeden Wunsch, ja, jede Laune selbst berücksichtigt zu sehen – dann die Aussichten, die Walden für die Zukunft hatte! Stand er bei seinen Vorgesetzten doch so hoch angeschrieben, daß der Minister selbst ihr neulich gesagt hatte, ihrem Schwiegersöhne stünde eine schnelle Beförderung in seinem Amte bevor! Endlich das Ansehen, das seine Familie als eines der ältesten Adelsgeschlechter hier sogar in den vornehmsten Kreisen genoß! Wirklich, es war geradezu lächerlich, wenn Elfe sich unglücklich fühlen wollte! Aber es war ja auch nur ihr Uebelbefinden, das sich auf diese Weise äußerte, und wenn man sie etwas energisch anfaßte, dann besann sie sich doch, wie man ja heilte gesehen hatte, leicht auf ihre Pflicht!

Unter diesen Erwägungen hatte sie den Brief geöffnet und den Anfang überflogen, der einige Fragen ziemlich flüchtig beantwortete, dann las sie langsam und halblaut vor sich hin:

„Ich wollte Dich eigentlich in dieser Erholungszeit, die Du Dir jetzt gönnst und die Dir auch so nötig war, nicht durch die Mitteilung beunruhigen, daß ich es für Papa doch sehr wünsche, Du kämest bald zurück. Er hat heute seine alljährige Revisionsreise angetreten, die zwölf bis vierzehn Tage beanspruchen wird – könntest Du es nicht einrichten, daß er bei seiner Rückkehr Dich schon zu Hause findet? Du weißt, wie sehr er Dich stets vermißt, und wenn er es Dir auch nie geschrieben hat und ich auf seine Anordnung es nicht schreiben durfte, diesmal ist es mehr als je gewesen, denn der Kummer um Leo drückt ihn sichtlich darnieder. Es ist auch gar zu ungemütlich bei uns. Leo wird von Tag zu Tag finsterer und schweigsamer, er geht fast nie mehr aus, sitzt in seinem Zimmer und schreibt Briefe, und die Antworten, die er darauf bekommt, machen ihn noch verstimmter. Wenn er nur mit sich reden ließe; alle Menschen sagen es mir, es stünde gar nicht so schlimm um seine Zukunft, er könnte sich immer auf die vorzüglichen Zeugnisse, die er von seinen hiesigen Vorgesetzten hat, berufen. Aber er ist so empfindlich und so verbittert; wenn ich ihm mit einem Vorschlag komme, fragt er allemal, ob er schon zu lange hier sei.

Wie Papa darunter gelitten, kannst Du ermessen, und so sehr ich mich bemüht habe, den Ausgleich herzustellen, es ist mir schlecht genug gelungen! Dies und manches andere lastet auch auf meinem Gemüt.

Papa hat Dir wohl geschrieben, daß ich in vergangener Woche meine liebe Freundin Gertrud Römer durch den Tod verloren habe. Sie war noch so jung und lebte so gern, da glaubt man es kaum, daß man ihr Scheiden jemals verwinden kann. Ganz unvorbereitet traf uns dasselbe nicht. Der Arzt hatte zu Tante Römer gesagt, daß es das letzte Stadium der Schwindsucht sei, aber wenn sie auch täglich mehr verging, sie war außer Bett, war immer unter uns und immer gleichmäßig freundlich und hoffnungsvoll. Man konnte also nicht ahnen, daß ihr Ziel so kurz gesteckt war. Am letzten Abend ihres Lebens saßen wir noch alle beisammen und, wie das so kommt, wir sprachen von unserer Kinderzeit und sie war unerschöpflich in Erinnerungen an allerlei scherzhafte und fröhliche Vorgänge und lachte wiederholt herzlich. Dann beim Abschied küßte sie mich innig und wiederholte mehrmals: ,Wie glücklich ist doch mein Leben gewesen!‘ – – Es waren dies die letzten Worte, die ich von ihr hörte, denn in der Nacht bekam sie einen heftigen Blutsturz, und als man mich rief, fand ich sie schon bewußtlos, und nach wenigen Stunden ging sie hinüber.“

Die Frau Geheimrat ließ die Hand, die den Brief hielt, sinken – auch das noch! – auch noch diesen Kummer hatte ihr Mann mit Lisbeth zu tragen gehabt, denn daß diese sich ganz demselben hingegeben haben würde, das wußte sie, sie kannte ja Lisbeths zärtliche Freundschaft für Römers! – Und Leo, welche Zukunft erwartete ihn? Ach, was war aus ihrem sonnigen, heiteren Heim geworden! – (Fortsetzung folgt.)


[796]

Die Gewinnung des Natureises.

Von W. Berdrow.0 Mit Illustrationen von W. Pape.

( gemeinfrei ab 2025)


Das Sägen der Eisdecke.

[797]

Das Quadrieren mit dem Eispflug und das Flößen von Eisplatten.


( gemeinfrei ab 2025)
[798]

Die Arbeit im Eisspeicher.

( gemeinfrei ab 2025)

[799]

Kinderfüßchen.

Novelle von Victor Blüthgen.

      (Fortsetzung.)

Die Kinderfüßchen blieben Doktor Hartmanns Studium in den nächsten Tagen; sie ließen ihm, da zum Glück das Wetter sich hielt, erträglich Zeit zum Arbeiten; so hatte er gute Laune. Es machte ihm Spaß, früh oder nachmittags ein Stündchen zu sitzen, die Cigarre in den Fingern, und mit allem Scharfsinn die zahlreichen Nuancen dieses Trapp, trapp, trapp festzustellen und zu deuten. Jugenderinnerungen, vergessene Eindrücke von hie und da wurden lebendig und halfen das Erratene in Bilder umsetzen. Er war bald überzeugt, daß die Füßchen eine nicht mißzuverstehende Sprache redeten: sie erzählten von Frohsinn, Uebermut, Niedergeschlagenheit, Furcht, Zärtlichkeit, Begehrlichkeit – von allem, was die kleinen Gemüter oben bewegte; sie deuteten dies und jenes Spiel an, wobei freilich rollende Marmeln, das Auf und Nieder des Schaukelpferdes und allerlei andere Geräusche dolmetschen halfen. Schade, daß er seine Vermutungen nicht kontrollieren konnte!

Welch eine harmlose, sonnige Welt da oben! Junges Leben, Fleisch und Blut – er sah im Geiste die kleinen, drallen Beinchen sich rühren, in Strümpfchen und Schnürschuhchen, das übrige mehr schattenhaft dazu gefügt – Miniaturempfindungen und Miniaturinteressen, abseits vom großen, ernsten Lebensgang spielend … merkwürdig anheimelnd war das! Manchmal überkam es ihn, als stände er mitten dazwischen, väterlich eingreifend, helfend, mahnend … und im Nebenzimmer bewegte sich waltend eine schlanke schwarzgekleidete Frau, stand wohl einmal in der Thür und sah ihn mit spöttischer Miene, doch nicht unfreundlich an: „Ei ei – ich denke, Sie wollten unserthalb ausziehen, Herr Doktor?“

Einmal geschah es, als er, im Begriff auszugehen, auf den Treppenflur hinaustrat, daß er diese Frau – endlich! – zu sehen bekam. Sie schritt die Treppe herab. Nur ein paar Stufen war sie noch über ihm. Er zweifelte nicht einen Augenblick, daß sie es war; in Schwarz vom Kopf bis zu den Füßen, hochgewachsen, mit ruhig gemessener Haltung und elastischem Gang, wie er sie gedacht; ein schlank aufgesetzter, jugendlicher, blonder Kopf mit blassem aristokratischen Gesicht, aus dem ein Paar ernster graublauer Augen melancholisch vor sich hin blickte. „Eine schöne Frau!“ sagte es in ihm; er fühlte, daß ihm das Freude machte, aber deutlicher noch, daß ihn das unerwartete Begegnen verwirrte. Als ob er ihr gegenüber kein reines Gewissen hätte! Unwillkürlich nahm er seinen Hut in die Hand und neigte ein wenig den Kopf, als sie an ihm vorüber schritt.

Keine Bewegung an ihr verriet, daß er sie interessierte, obwohl ihre Gedanken ebenso sagen mußten: das ist er! Nur daß doch ihre Blicke ihn flüchtig streiften, als sie seinen höflichen Gruß etwas nachlässig, wie er meinte, erwiderte. Im Augenblick ärgerte ihn das. Aber wie sie tiefer stieg, verfolgten die Augen des Nachschreitenden doch mit Wohlgefallen die Linien dieser Figur und das anmutend Beherrschte ihrer Haltung. Sie schien so etwas zu fühlen, denn sie ging bald schneller.

So, nun wußte er, wie sie aussah.

Ungefähr so, wie er heimlich gewünscht hatte.

„Diese Frau muß ich kennenlernen,“ sagt er bei sich. „Vielleicht hält sie mich zur Zeit für einen Narren, und jetzt – wenn es eine giebt, von der ich das nicht wünsche, so ist sie es. Vielleicht überschätze ich sie … es ist ja möglich … aber ich glaube es nicht.“

Er hatte für den ganzen Abend ausgehen wollen, allein er änderte seinen Entschluß und kam bald zurück. Im Hausflur traf er Frau Homeyer, die Hausbesitzerin.

„Apropos: haben Sie schon Schritte gethan, um meine Wohnuug wieder zu vermieten?“ fragte er, sich zu ihr umwendend.

„Wir haben sie angezeigt, ja …“

„Lassen Sie sein, ich bleibe vorläufig noch …“

Er legte nachlässig die Hand an den Hut, ging hinauf, aß oben Abendbrot und verträumte diesen Abend. Er hörte noch die Kinderfüßchen, bis sie bei der Hinterthür verklangen – und die größeren, kräftigeren Schritte der schönen Mutter, diese noch durch Stunden, manchmal, auf kurzen Gängen.

Er kam sich keineswegs närrisch darum vor, daß er da saß und darauf horchte; er fand das ganz natürlich und nicht im mindesten langweilig.

Ein paar Tage später – er hatte sich eben an den Schreibtisch gesetzt – öffnete Frau Fricke schüchtern die Thür.

„Wollen Sie sie einmal sehen, Herr Doktor?“

„Wen?“

„Die Kinder!“ Und sie winkte mit dem Kopf nach oben. Er machte eine ungeduldige Miene, aber er hörte es hinter ihr trappeln – irgendwo draußen – er stand auf, ging ihr nach. Iu der Küche stand das Kindermädchen von oben mit zwei reizenden Puppen: der Junge in weißem Flanellmäntelchen, ein weißflockiges Hütchen auf dem derben Blondkopf, der ihn aus großen braunen Augen trotzig furchtsam anstarrte, das Mädchen im kirschroten Prinzeßkleidchen mit rotem Wollmützchen, langes weißblondes Gelock im Nacken, blauäugig wie die Mutter, ein zierliches lächelndes Elfchen.

„Ei, so seht ihr aus, ihr kleinen Hummeln,“ sagte Doktor Hartmann, „und mit den Füßchen da springt ihr über meinem Kopfe herum!“ Er mußte unbedingt diese Füßchen genau ansehen.

„Ich habe auch einen Ziegenbock,“ sagte der Junge trotzig mit tiefer Stimme.

„So? Wie heißt Du denn, kleiner Mann?“

„Turt von Einsiedel.“

„Und dein Schwesterchen?“

„Theta.“

Das Kindermädchen stupfte die Schwester ermunternd: „Sag doch, wie Du heißt!“ Und das anmutige Geschöpfchen knixte flüchtig: „Margarete von Einsiedel.“

„Ah so! – Also Du hast einen Ziegenbock. Kann er meckern?“

„Ja, wenn man ihn auf den Kopf drückt,“ beeilte sich Theta zu erklären.

„Ich habe auch einen,“ sagte Doktor Hartmann. „Willst Du ihn sehen? Einen ganz großen!“

Das Gesicht des Jungen wurde verklärt. „Ja,“ nickte er.

„Dann mußt Du einmal wiederkommen mit Theta, jetzt schläft er gerade. Willst Du das?“

„Ja!“

„Schön, dann geht nur jetzt spazieren. Ich habe auch eine große Puppe für Theta. Aber ihr dürft niemand etwas davon sagen, auch der Mama nicht, hört ihr wohl? Sonst kommt nachts der Knecht Ruprecht und holt alles weg.“

Er gab dem Kindermädchen einen Wink, der es zum Schweigen verpflichtete. Zur Frau Fricke aber sagte er, als die Drei draußen waren, so obenhin: „Niedliche Dinger! Vielleicht gewöhne ich mich an sie.“

„Das Kleinste müßten der Herr Doktor sehen!“ hauchte Frau Fricke. „Den ganzen Kopf voll brauner Löckchen!“

„Sie scheinen ja eine große Kinderfreundin zu sein … Sorgen Sie, daß das Mädchen reinen Mund hält.“

Am Nachmittag kaufte Doktor Hartmann den größten Ziegenbock, den er in einem Spielladen finden konnte. Er war gesattelt, hatte eine Klingel um den Hals, und für die Beine gab es ein Gestell zum Schaukeln und ein zweites mit Rädern zum Fahren.

Außerdem ein Wunder der Puppenerzeugung im Alter des kleinen Equipagenbesitzers oben, mit einem Wagen und sonstigem Zubehör. Als sich das erste Erstaunen über die geforderten Preise gelegt hatte, bezahlte er, was man haben wollte, und das war ein kleines Vermögen. Er hatte gerade die Laune dazu.

Hinterher sagte er freilich bei sich: „Es ist ein Schwabenstreich! Die Fricke ist schuld. In dem Studium der unbekannten Kinderfüßchen lag Poesie – ob der persönliche Verkehr mit den Kindern mir behagen wird, ist eine andere Sache. Welch ein Heidengeld kosten mich die Knirpse!“

*               *
*

In der nächsten Zeit änderte das Leben in der Wohnung des Doktor Hartmann vollkommen sein Gesicht.

Es war ein feierlicher Augenblick, da die Frau Fricke zum erstenmal die beiden Kinder hereinführte, vor die gekaufte Herrlichkeit. Doktor Hartmann stand händereibend und studierte ihre Gesichter, wie die erste Schüchternheit allmählich dem Verlangen [800] wich; er half nach, Frau Fricke half nach … „Lassen Sie die Kinder eine halbe Stunde spielen, ehe Sie mit ihnen ausgehen!“ sagte er zu dem Kindermädchen. „Aber verstehen Sie mich: Ihre Frau braucht nichts davon zu erfahren.“

„Herr Doktor,“ sprach Frau Fricke, „die Kinder werden wohl doch etwas davon verraten.“

„Nun also – meinetwegen denn. Ueberlassen Sie mir einmal die Kinder allein.“

Frau Fricke ging. Es war ihm unbehaglich, daß sie zusehen sollte, wie er sich mit den Kindern beschäftigte; er wußte nicht, ob nicht die ersten Versuche sehr unbeholfen aussehen würden.

Wahrhaftig: er spielte mit ihnen, plauderte mit ihnen. Er studierte sie, so sagte er sich zu seiner Entschuldigung. Und es waren zwei so allerliebste Geschöpfe!

Sie kamen täglich, und er ließ sich von ihnen „Onkel Doktor“ nennen. Er hielt streng eine bestimmte Zeit für den Besuch fest. „So, nun ist’s genug, nun kommt das Spazierengehen.“ Sie gingen seufzend – er vergrößerte immerfort den Vorrat an Spielzeug – und ihm selber war es gar nicht recht, wenn er einsam zurückblieb. Er brauchte immer erst einige Zeit, um sich zu sammeln, ehe er nachher arbeiten konnte, und in dieser Zeit hatte er ein Gefühl wie im Herbstwalde, wenn kein Vogel mehr singt. Sein Leben hatte gewonnen durch diese kleinen Vögelchen, die um ihn zwitscherten. Es war, als brächten sie ihm ein Stück Lebensfrühling wieder, wenn sie kamen.

Was die blonde schlanke Frau oben dazu denken mochte? Denn sie wußte sicher darum. Frau Fricke hatte recht: wie hatte er sich einbilden können, daß all das hinter ihrem Rücken geschehen könnte! Wenn er ihr wieder begegnen würde, so würden sie beide lächeln müssen. Nun gut: was er that, war eine Art Abbitte für den Brief. Er brauchte nur eine halbe Entschuldigung noch und konnte die Zuversicht haben, daß sie kaum mehr als Formsache sein würde. Sie wußte darum und störte nicht – das gab ihm eine so angenehme Empfindung! Sie überließ ihm täglich ihre Kinder auf eine Stunde; sie durften ihre Herzchen an ihn hängen! Das war viel für eine trauernde junge Witwe, der ihre Kinder alles bedeuten. Was beschwor sie da herauf?! …

Oder machte sie sich einen Scherz mit ihm? Amüsierte sie’s heimlich, daß er, der jenen Brief geschrieben ... Ah, danach sah sie nicht aus.

Wie ein Donnerschlag war es für ihn, als eines Morgens die Kinder ausblieben. Es war allerdings der erste regnerische Vormittag seit dem Umzug; aber ist dies ein Grund, die Kinder da oben festzuhalten?

Vielleicht kommen sie noch!

Er geht ungeduldig, fast erbittert, auf und ab. Ueber ihm trappelt’s – da sind sie nun – das ist Kurt – das ist die Theta … es scheint nicht, daß sie Urlaub für ihn erhalten werden.

Er ist plötzlich wieder der Alte, heftig, aufbrausend. Er geht in die Küche, zur Frau Fricke. „Nun?“ sagt er, „wo bleiben die Kinder heute?“

„Das Kindermädcheu war einen Augenblick unten, Herr Doktor – sie gehen nicht aus – und die Frau Hauptmann hatte gemeint: das ginge doch nicht alle Tage so …“

„Das ginge nicht? Warum soll das nicht gehen? Sie hätten mir das gleich sagen sollen …“

Er verließ sie, besann sich in der Stube … nein, er wird da nicht erst Visitentoilette machen. Er will nicht Visite machen, nur auf eine Stunde „seine Kinder“ wieder haben. So zieht er seinen Salonrock an und nimmt den schwarzen Filzhut.

Als er treppauf steigt, ist ihm doch ein wenig beklommen zu Mute. Er gäbe etwas drum, zu wissen, wie man ihn aufnehmen wird. Er geht wie ins Fegefeuer. Auf sein Klirren öffnet das Kindermädchen, lacht über das ganze Gesicht und nimmt seine Visitenkarte … „Gnädige Frau läßt bitten …“

Da ist das kleine Empfangszimmer, über seinem Schlafzimmer: ein rechtes Damenzimmerchen in Rokoko, wie er’s eigentlich nicht liebt. Die Thür zu nebenan steht mit einem Spalt offen … da trappelt es und Kurt steckt sein rundes Jungengesicht hindurch, das ganz aufgehellt aussieht, und sagt: „Tuten Tag, Ontel Dottor.“

„Marie, halten Sie die Kinder zurück,“ sagt eine weiche Altstimme bei der Thür, und da steht die Frau Hauptmann im Rahmen und sie verneigen sich beide. „Ich ahne, was Sie zu mir führt. Sie haben meinen beiden Kleinen viel Freundlichkeit erwiesen, Herr Doktor, das ist gewiß für mich als Mutter eine Genugthuung und ich danke Ihnen. Aber Sie sollen nicht täglich von ihnen belästigt werden.“

„Darf ich einen Augenblick Platz nehmen?“

„Bitte …“ nickt sie, und ihr schlankes blasses Gesicht färbt sich ein wenig. Wie licht ihr Kopf erscheint, mit dem nordisch aschblonden Haar, so einfach glatt aufgeknotet, gegen das schwarze Hauskleid! Ein unbeschreiblich angenehmes Gefühl sagt ihm: „Eine ganze Dame“. Ihm war, als habe er ein großes Glück vor sich.

„Gnädigste Frau“, sagte er, „eine Vorbemerkung! Ich bin ein verwöhnter Juuggesell, der sich’s bisher nach Laune bequem gemacht hat; etwas eigenwillig, wie Aerzte leicht werden. Lassen Sie, ich bitte, Gnade für Recht ergehen und vergessen Sie meinen Brief, für den ich ja meine Lektion schon weghabe.“ Er saß steif, als hätte er den Chapeau claque vor sich.

„Ach, der Brief –“ sagte sie einfach. „Es giebt solche Zwischenfälle … das Leben korrigiert uns alle Augenblicke.“

„So. Und nun: lassen Sie mir alle Tage eine Stunde meine Kinder!“

„Ihre Kinder!“ Jetzt lächelte sie. „Die müssen sich ja recht dreist bei Ihnen eingenistet haben.“

„Begreifen Sie, gnädigste Frau: so lange ich nicht den Vorzug hatte, Sie persönlich zu kennen, hatten diese beiden reizenden Dinger für mich weder Vater noch Mutter. Ich hatte keine Anschauung davon, wo sie sich sonst bewegten … sie flogen herein, zwei Vögelchen – die dann niemand auf der Welt etwas angingen als mich. Können sie sich jetzt hineindenken, wenn ich sage: Meine Kinder?“

„Ja, das ist ein gefährliches Spiel, Herr Doktor. Das giebt doppelte Erziehung. Sie verwöhnen mir die Kinder – Sie haben es leicht, sich ihre Herzen zu gewinnen, ich muß sie kürzer halten, und sie werden vergleichen: dabei komme ich zu kurz.“

„Sie rechnen scharf, Gnädigste …“

„Das müssen Sie einer Mutter zu gute halten …“

„Ah – ich führe alle Großeltern, Tauten, Onkel, Paten für mich ins Treffen. Wieviel Kinder giebt es wohl, die nicht irgendwo ein Weihnachtsland haben, wo man sie verwöhnt … lassen Sie mir die Kinder!“

Sie war ein wenig betroffen von dem warmen Ton, in dem er bat; der Blick, mit dem sie ihn ansah, sagte ihm das.

„Sie wundern sich über diese ausgiebige Sinnesänderung bei mir. Ehrlich gesagt: ich wundere mich selber, obwohl ich Ihnen ganz genau vorsecieren könnte, wie sie sich vollzogen hat. Ich war nie Kinderarzt – ich mußte in meine eigene Jugend zurücksteigen, um mich zu ihnen zu finden. Das war reizvoll, denn es war etwas ganz Neues für mich.“

„Sie praktizieren nicht mehr, sagt man mir?“

„Es giebt Aerzte wie Heuschrecken, und ich bin nicht mehr auf der Höhe der Wissenschaft, wie man hier sagt. Das kommt so, wenn man im Auslande lebt. Ich habe so viele Menschen behandelt in meinem Leben, mit immer weniger Freude und Vertrauen … ich sehe nicht den geringsten Grund, weshalb ich mich hier durchaus um meine Nachtruhe bringen lassen müßte.“

Sie sah vor sich hin. „Ist das nicht doch recht egoistisch gedacht? Im Interesse der leidenden Menschheit gesprochen! Es giebt Aerzte genug, aber nicht gerade viel hervorragende …“

„Gnädigste Frau erzeigen mir da eine besondere Ehre …“

„Ich bitte ... Ihre Vergangenheit genügt, um zu schließen, daß Sie kein Durchschnittsmensch sind.“ Sie errötete doch ein wenig, mit einer leichten Verlegenheit, als sie das sagte. Und sie erhob sich gleich darauf. „Also, ich will es mit den Kindern wagen … auf Widerruf, Herr Doktor!“

Er stand auf, reichte ihr mit raschem Impulse die Hand hin. „Ich danke Ihnen.“ Zögernd legte sie eine schmale kühle Hand in die seine und neigte leicht den Kopf.

„Wenn Sie meiner als Arzt je bedürfen sollten …“

„Hoffentlich nicht, Herr Doktor. Im übrigen habe ich einen tüchtigen Hausarzt, dem ich vertraue.“

„Ganz wie Sie befehlen“, nickte er, plötzlich abgekühlt.

*               *
*

Nun hatte er mit ihr gesprochen.

Diese blonde Frau in ihrem ewigen Schwarz quälte ihn – sie nistete sich in seinem Kopfe ein – und in seinem Herzen. Darüber war er sich ganz klar. Welch ein Verhängnis!

[801]

Beförderung der Eisplatten in den Speicher mittels des Paternosterwerkes.
Nach dem Leben gezeichnet von W. Pape.

[802] Trotz des kühlen Abschieds: sie schätzte ihn nicht gering; das war wenigstens etwas! Aber er sah durchaus keine Möglichkeit, sich ihr zu nähern: wie es schien, hatte sie so gut wie keinen Verkehr, auf alle Fälle schloß ihr Trauerkleid sie vorläufig von jeder Geselligkeit aus. Er versuchte, aus den Kindern herauszuholen, wer zu Besuch käme, ob sie wohl zuweilen mit andern Kindern spielten … er gewann den Eindruck, daß die Mama sich von früheren Beziehungen so gut wie ganz losgelöst hatte. Nicht einmal den Namen des Hausarztes, von dem sie gesprochen, bekam er aus den Kindern heraus, die nur „den andern Onkel Doktor“ kannten, dem sie immer die Zunge zeigen mußten; so stiftete er die Frau Fricke an, das Mädchen um den Namen zu befragen. Irgend ein Arzt war’s, mit lateinischem Namen; er wohnte verhältnismäßig weit – das einzige, was ihn interessierte.

Hatte er einen Augenblick daran gedacht, den Mann aufzusuchen und über die Verhältnisse der Frau Hauptmann von Einsiedel auszufragen – er ließ den Gedanken rasch fallen. Er schüttelte sich ordentlich innerlich davor.

Er hatte wenigstens „seine Kinder“ – ihre Kinder! Jeden Tag hatte er sie früh eine Stunde, mit ihren strahlenden Gesichtern kamen sie an und mit der gewissen niedergeschlagenen Selbstverständlichkeit gingen sie, wenn das Mädchen sie holen kam. Jedesmal ließ Doktor Hartmann die Mama grüßen.

Aber sie brachten nie einen Gegengruß.

Im Laufe der Zeit hatte er all die bekannten Kinderfragen zu beantworten: Ob er keine Kinder hätte. Warum nicht? Ob er keine Frau hätte. Warum nicht? Warum er nicht die Mama heiratete…

„Weil sie mich nicht heiraten mag,“ sagte er.

„Warum nicht?“

„Ich weiß es nicht.“

„Dann werde ich sie mal fragen.“

Er lachte dazu; aber sie brachten keine Antwort.

Und einmal sagte Theta: „Onkel Doktor, ich darf Dich von Mama grüßen. Ich fragte sie, und da sagte sie: Meinetwegen.“

Sie liebten ihn sehr, es ist wahr; sie hingen sich an ihn, wenn sie ausgelassen wurden, und die Kleine kletterte am Ende einmal auf seinen Schoß und küßte ihn. Dabei wurde sie ganz rot – sie schienen mit Küssen nicht verwöhnt zu werden.

Er fragte auch gelegentlich, ob sie ein Klavier oben hätten. Ja. Ob Mama spielen könnte? Ja, aber seit Papa tot ist, hat sie kein einziges Mal gespielt.

Seinetwegen hätte sie spielen können, soviel sie wollte.

Welch ein Kinderfreund war er geworden! Diese Stunden waren ihm das Beste vom Tage. Er zwang sich zum Arbeiten, aber er hatte wenig Freude daran. Eine so eigenwillige, ungeduldige Natur wie er war, knirschte er innerlich vor der verschlossenen Pforte, hinter die er sich träumte. Seine Freunde klagten, daß er sich kaum mehr sehen lasse, die Frauen fanden, daß seine Rücksichtslosigkeit zunähme. Wenn er nicht schrieb, saß er zu Hause bei einem Buche und horchte über sich, statt zu lesen, und wenn ihn die Ungeduld packte, warf er das Buch fort und lief fort – irgendwohin, wo man sich mühelos zerstreut, in ein Theater, eine Spezialitätenvorführung.

Wohin soll das führen?

*               *
*

Eines Tages kam Kurt allein herunter. „Theta ist trank, Ontel Dottor,“ sagte er.

Es stürmte heiß in ihm auf: er wird nachher Kurt hinaufbegleiten, nach dem kranken Kinde fragen! Aber er wird die Stunde warten müssen. Warten! Das fällt ihm schwer! Er ist zerstreut, sieht immer wieder nach der Uhr.

„Komm’, Kurtchen, wir werden vorn hinauf gehen.“

Oben grüßt ihn die ersehnte blonde Frau wieder, die er eine Ewigkeit nicht gesehen, gemessen freundlich, wie er sie kennt, einen Anflug von Sorge im Gesicht.

„Gnädigste Frau – was ist mit Theta?“

„O – sie hat ein wenig Mandelbelag und etwas Fieber, wie es scheint. Ich habe schon an den Arzt telephonieren lassen; es sieht nicht schlimm aus, aber man sorgt sich.“

Er kämpft mit sich. Dann hebt er die Augen vom Boden. „Darf ich sie sehen?“

Die Frage macht ihr Pein. „Ich – bitte – nicht, Herr Doktor, wenigstens jetzt nicht,“ fügt sie rasch hinzu. „Die Mädchen sind noch nicht mit Aufräumen fertig. Ich verstehe ja Ihren Wunsch …“

„Gott sei Dank,“ sagt er aus mühsam niedergehaltener Leidenschaftlichkeit heraus, „das ist doch wenigstens etwas! Verzeihung, gnädigste Frau; ich bin weit entfernt, das Kind behandeln zu wollen … aber ich bin auch Arzt … und ich liebe das Kind … Sie haben mir gestattet, es zu lieben …“

„Sie sehen die Folgen,“ nickt sie melancholisch.

„Ich leite daraus das Recht ab, mich in Ihre Häuslichkeit zu drängen,“ sagt er plötzlich bitter. „O nein …“

Sie ist blaß geworden und wehrt mit der Hand. „Mein Gott, warum sagen Sie das? Ich bin eine alleinstehende Frau, Sie ein alleinstehender Mann, und wir wohnen beide im selben Hause. Das schließt aus, daß ich Sie als Arzt wählte, geschweige, daß ein persönlicher Verkehr im Hause zwischen uns möglich wäre. Begreifen Sie nicht, daß ich schon für meinen Ruf wage, wenn meine Kinder zwischen uns hin und her gehen?“

Er reckte sich auf. „Gnädigste Frau,“ sagte er, und sein Auge flammte und es lag etwas Sieghaftes im Blick, und seine Stimme hatte den Erzklang eines unbeugsamen Entschlusses – „ich würde Ihnen am liebsten mit drei Worten erwidern und es ist eine That, daß ich sie unterdrücke. Ich werde mir diese Worte zu Anfang und Schluß jedes neuen Tages wiederholen und eines Tages werden Sie sie doch hören!“

„Ich verstehe Sie nicht,“ sagte sie erzwungen kühl, als er einen Augenblick inne hielt. „Ihr Charakter …“

„Sie werden nie Ursache haben, an ihm zu zweifeln,“ schnitt er rasch mit einer leichten Verneignng ab; und er blickte ihr offen ins Ange. Dann sagte er, an sich haltend: „Wenn Sie mir nicht einen großen Schmerz zufügen wollen, gnädigste Frau, so lassen Sie mich die Theta sehen!“

Mit so viel Selbstbeherrschung das gesprochen wurde, ein Grundton von blutwarmer Leidenschaft war darin, der Eindruck machte. Die blonde Frau sah unsicher vor sich hin und sagte ein wenig wie hilflos: „Nun gut, Herr Doktor, ich werde es Ihnen melden lassen, sobald das Zimmer hergerichtet sein wird. Das Mädchen wird Sie zu ihr führen.“

„Ich danke, meine gnädigste Frau. Ich fühle, ich lerne mit Ihrer gütigen Nachhilfe ein wenig das, worauf mich die Natur am wenigsten zugeschnitten hat: bitten und gedulden.“

Er war draußen, und die blonde Frau sah ihm mit einem langen Blick nach, als bliebe er in ihrem Gesichtskreise. Sie hatten sich beide nicht gesetzt, und so stand sie, ohne sich zu regen. Endlich schüttelte sie den Kopf. „Mein Gott,“ sagte sie für sich, „was will er? Dieser Mann macht mich unruhig. Das ist keiner, den man übersieht – das ist ein sehr kluger Mensch und eine große Natur. Er vergewaltigt die andern, wenn er will …“ Und sie setzt sich für ein paar Augenblicke und grübelt. „Ich habe Frieden, und ich will ihn behalten … ich habe genug gelitten… ich muß ihn fern halten … wie unvorsichtig war ich! Er wünscht das Gegenteil, das ist deutlich …“

Sie träumt: der Doktor Hartmann spricht noch, und die Wärme seines Tones strömt in sie, durchströmt sie. Ihr gegenüber hängt an der Wand das Oelbild eines brünetten jungen Offiziers, ein keckes, lebenslustiges Gesicht mit einem sinnlichen Zug um den Mund und herausfordernden grauen Augen – wie zufällig hebt sich ihr Blick, begegnet diesen Augen … ein leiser Schauder durchrieselt sie …

Zur Thür neben ihr tappeln Kinderfüßchen. „Mama!“ ruft Kurts Stimme, „tomm’ mal her.“

„Nein, nein,“ sagt sie für sich. „Ich habe genug.“ Und sie erhebt sich. „Ich komme, Liebling!“

*               *
*

Doktor Hartmann ist bei Theta gewesen, an ihrem Bettchen, ohne die Mutter, nur mit dem Kindermädchen. Die Frau Hauptmann war in den Zimmern, die er durchschritt, nicht zu sehen, und er fragte nicht nach ihr. Nur flüchtig streifte sein Blick über eine Einrichtung, die in den Hauptstücken ziemlich luxuriös war und Sinn für das Lebhafte und Glänzende verriet. In dem Krankenzimmer standen zwei Kinderbetten, außerdem der Kinderwagen mit dem Kleinsten drin.

Theta war über den Besuch sehr glücklich; die Untersuchung [803] ergab keine sonderliche Gefahr, einen etwas beschleunigten Puls: ein paar Tage wirst du schon im Bett stecken müssen, kleine Theta! Doktor Hartmann schlug die Gardine am Kinderwagen zurück; da schlief ein braunes Krausköpfchen mit dem Finger im Munde, zart und bläßlich.

„Er ißt schon alles,“ flüsterte das Kindermädchen stolz.

„So?“ fragte Doktor Hartmann und musterte sie von der Seite. „Das soll er aber nicht, verstehen Sie? Der hat an Milch und Brei genug. Außerdem bringen Sie ihn in ein anderes Zimmer.“

Auf der Treppe begegnete ihm ein Herr, der es eilig hatte. Er lüftete den Hut und fragte: „Frau Hauptmann von Einsiedel wohnt hier im Hause?“ – „Eine Treppe höher,“ sagte Doktor Hartmann nachlässig. Er konnte über ein Gefühl von Eifersucht nicht Herr werden, denn es war kein Zweifel, dies war der erwartete Kollege!

Am vierten Tag kam das kleine Mädchen wieder mit dem Bruder herunter zu ihm. Er war wie erlöst – er hatte innerlich Angst ausgestanden, ob nicht stillschweigend wieder der Versuch gemacht werden würde, ihm die Kinder zu entziehen. Die Kinder – im Grunde: was waren die Kinder, so unentbehrlich sie ihm geworden! Mit den Kindern ließ ihm diese Frau, die sich gegen ihn wehrte, einen Finger wenigstens …

Der Winter meldete sich, mit Frost und Schneetreiben und kalter Sonne. Er sah die blonde Frau nur in flüchtiger Begegnung und sie grüßten einander nicht fremd, nicht vertraut – einmal drehten sich beide verstohlen nacheinander um, dann nie wieder. Es webte etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen, das wußten sie beide. Die Kinder trugen keine Grüße mehr, aber sie verrieten, daß sie der Mama erzählen mußten, was sie unten getrieben, und ob der Onkel Doktor auch „sehr gut mit ihnen wäre“.

Was hilft das? So kommt man nicht vorwärts!

„Sie wird mein,“ sagte sich Doktor Hartmann, „sie kann sich wehren wie sie will!“ Er wenigstens war dieser Frau verfallen: sie erfüllte feine Phantasie; wenn er ihren Schritt hörte, bebten seine Nerven, sah er sie, sprach er zu ihr! In der Einsamkeit unten rettete ihn nichts davor. Und es sollte ihn nichts davor retten! Selbst den spärlichen Freundesverkehr, der noch in seine Wohnung drang, empfand er als Belästigung.

Eines Tages war die blonde Frau krank. Die Kinder kamen, und mit ihnen Frau Fricke. „Vielleicht behalten der Herr Doktor die Kinder länger unten, so lange die Frau Hauptmann liegt? Sie geben doch nicht recht Ruhe oben,“ hauchte sie zaghaft und mit ihrem besten Lächeln. Er zog die Stirn zusammen. „Natürlich,“ nickte er zerstreut. „Aber warten Sie!“

Er schrieb ein Billet: „Gnädigste Frau – gönnen Sie mir den Vorzug, wenn der Arzt bei Ihnen gewesen sein wird, zu erfahren, was Ihnen fehlt.“ Ein paarmal setzte er mit hastigem Nachdenken die Feder an, um etwas hinzuzusetzen. Am Ende ließ er es sein. „So, das befördern Sie zur Frau Hauptmann hinauf.“

Eine Stunde später ließ sie danken und erklären, der Arzt hielte den Zustand für eine leichte Grippe. Er wird sich jeden Tag ein Bulletin erbitten, ein Entschluß gährt in ihm: wenn sie schwer krank wird, hält ihn keine Macht der Erde ab, zu ihr zu dringen. Die Gedanken sind Teufel, beinahe wünscht er das.

Aber es geht alles gut – sie ist endlich aufgestanden – bleibt außer Bett. Er grübelt – grübelt – kauft das wundervollste Blumenarrangement, das er finden kann, und schickt es hinauf.

Eine Stunde schwankt er – dann geht er selber.

Sie nimmt ihn an! Nicht im Empfangszimmer, sondern im Salon. Da sitzt sie am Kaminofen, mit dem matten Gesicht der Rekonvalescentin, steht auf. „Bleiben Sie sitzen, liebe, gnädige Frau“ – das fährt ihm so heraus, wie er abwehrend auf sie zueilt, sie lächelt ein wenig, als er sich rasch einen Stuhl nimmt, als wäre er hier Hausarzt.

„Wissen Sie auch, daß ich schwer gekämpft habe, ob ich Ihre Blumen annehmen sollte, Herr Doktor?“ sagt sie und ein schmerzlich verlegener Zug legt sich um ihren feinen Mund. „Ich muß es Ihnen sagen; es hilft nichts.“

Er sieht sie groß an, innerlich schnürt ihm ein jähes Gefühl bitterer Enttäuschung das Herz zusammen.

„Es genügt mir, daß dieser Kelch an mir vorübergegangen ist,“ brachte er endlich über die Lippen und zog die zwei Kinder, die sich an ihn drängten, jedes mit einem Arm an sich. „Ich komme nicht um Dank, gnädige Frau. Zerpflücken wir also diese Blumen! – Onkel Doktor freut sich, daß Mama gesund geworden, und das will sie nicht leiden, denkt euch …“

„Nein, nein – verwirren Sie mir die Kinder nicht …“

„Mama meint nämlich, sie sei die Frau von Einsiedel und ich sei der Doktor Hartmann und ein großer Narr …“

„Ich bitte, nicht weiter …“ unterbrach sie jäh und war blaß wie der Tod, wollte aufstehen, schloß aber in einem Schwächeanfall die Augen und blieb sitzen.

Er beobachtete sie unruhig.

„Die arme Mama ist noch recht schwach,“ sagte er, „und der Onkel Doktor ein solches Ungeheuer, daß er … gnädigste Frau …“

Er stand auf, ließ von den Kindern ab; sie schlug die Augen auf, es lag eine trostlose Verzweiflung darin.

„Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme … Sie sollen nicht glauben, daß sie keinen Wert für mich hat …“

Er holte tief Atem. „Ich bin ein grausamer Mann, gnädige Frau. Was sie mir da sagen, ist mehr, als ich im Augenblick verdiene. Damit ich glauben darf, daß es ehrlich gemeint und keine Phrase ist, mit der Sie mich abspeisen wollen: gestatten Sie mir noch fünf Minuten hier zu verplaudern. Ich werde sie nicht mißbrauchen. Dieser Nachwuchs hier soll helfen, glatte Wellen schaffen!“

Er nahm die Kinder an sich, die verschüchtert standen und von einem zum andern starrten, und setzte sich mit jener zuversichtlichen Selbstverständlichkeit, die den Widerspruch so schwer macht. Er fing an, mit den Kindern zu plaudern; die Frau Hauptmann lehnte sich zurück, ihre Hände hielten die gestickte Wolldecke fest, die sie über die Kniee gezogen hatte; die Augen in dem schmalen, blassen Gesicht, mit dem ernsthaften Blick, der jetzt so unsicher war, suchten in der Luft umher. Sie konnte dem warmen Ton seiner Stimme nicht widerstehen, der ihren Nerven so schmeichelte; fünf Minuten lang mußte sie ihn also noch dulden.

Die Kinder schleppten Spielzeug herbei; er fragte die Mutter nach dem Kleinsten, den er neulich gesehen hätte – ob er ihr Not mache. „O nein,“ sagte sie, „es ist ein ruhiges Kind, das viel schläft. Aber es entwickelt sich ein wenig langsam, wird ein wenig spät laufen und sprechen lernen.“

„Etwas rachitische Disposition,“ nickte er. „Das giebt sich bei richtiger Ernährung.“

So harmlos verliefen diese Minuten! Doktor Hartmann sah nach der Uhr. „Ich befreie Sie, gnädigste Frau, mache Platz für ungestörte Genesung.“ Einen Augenblick suchten beider Blicke einander, dann wich sie aus. „Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme.“ Sie fühlte, daß sie ihm die Hand reichen mußte – er hätte sie brennend gern an die Lippen geführt, aber er spürte ein Widerstreben und ließ ab.

„Ich nehme nichts, was Sie nicht freiwillig geben – sorgen Sie nicht,“ sagte er ruhig. „Auf morgen, ihr kleines Volk!“ Und er ging, ohne sich umzusehen.

„Das war überstanden,“ murmelte die blasse Frau. „Aber ich sehe kein Ende,“ gingen ihre Gedanken. „Wann wird er wiederkommen? Wozu muß ich kämpfen? Wozu mich immer wieder verteidigen? Und wie die Kinder an ihm hängen … da ist so schwer, abzubrechen!“

*               *
*

Nun kam das Weihnachtsfest heran. Wenn auch Doktor Hartmann nicht immer daran gedacht hätte – die Kinder erinnerten zur Genüge. Er sehnte es herbei: dies Fest geht nicht vorüber, ohne daß man einander wieder berührt. Es ist einfach undenkbar. Man kann die Kinder nicht beschenken, ohne der Mutter eine Aufmerksamkeit zu erweisen – kein Geschenk, das ist ja ausgeschlossen, aber Blumen! Das sind verkleidete Gedanken, weiter nichts. Sie wird der Weihnachtsstimmung Rechnung tragen und wird sie annehmen. Wenn nicht Weihnachten, so wird er Neujahr oben sein!

Diese Frau sträubt sich, aber sie ist nicht unbefangen mehr. In den Giftkelchen, die sie ihm entgegen hält, ist etwas Honig. Und sie läßt ihm die Kinder! Er hat ein sicheres Gefühl, daß er sie bezwingen wird, das Gefühl aller großen impulsiven Kraft, daß sie unwiderstehlich ist. Aber es braucht Zeit, das muß er verwinden.

Er überlegt schon vor den Schauläden, was er für die Kinder einkaufen will …

Er ahnte nicht, wie das Nahen des Festes die blonde Frau über ihm peinigte, mit was für Entschlüssen sie umging. Alles erwartete er eher als das, was ihm drohte!

(Schluß folgt.)
[804] 0


Blätter und Blüten


Dem Liederkomponisten Karl Löwe wird am 30. November d. J., zur Wiederkehr seines hundertsten Geburtstages, in dem Ort seiner Herkunft, Löbejün bei Halle a. d. Saale, ein Denkmal geweiht werden: die von Fritz Schaper modellierte stattliche Porphyrbüste veranschaulicht die untenstehende Abbildung. Auch wir benutzen diesen Anlaß gern, die Bedeutung des hervorragenden echt deutschen Musikers, dessen klang- und kraft- und stimmungsvolle Balladen noch heute mit ungeschwächtem Erfolg von unseren hervorragendsten Konzertsängern gesungen werden, den Lesern ins Gedächtnis zu rufen. Karl Löwe war der Sohn eines sächsischen Dorfkantors; er besuchte das Gymnasium in Halle, wo er von D. G. Türk Musikunterricht erhielt. Seine hervorragende Begabung, die er als Chorsänger auch öffentlich bethätigte, zog dem Knaben einflußreiche Gönnerschaft zu; als König Jerome von Westfalen die Stadt Halle besuchte, setzte er ihm ein Stipendium aus, damit er sich ganz der Musik widmen könne. Entzog auch bald darauf der Sturz Napoleons ihm diesen Vorteil, so blieb Löwe doch auch während der folgenden Jahre des theologischen Studiums seinem inneren Berufe treu, und 1820 wurde er als Kantor der Jakobskirche und Musiklehrer am Gymnasium nach Stettin berufen, wo er im nächsten Jahr auch zum städtischen Musikdirektor ernannt ward. Seine eigene Thätigkeit als Sänger gab er hier keineswegs auf; aus ihr vielmehr erwuchs seine Lust zur Komposition solcher Lieder, die seiner Sinnesart und Geschmacksrichtung entsprachen. Als seine Balladen, deren erste der „Edward“ und der „Erlkönig“ waren, bekannter wurden, machte er vielfach Konzertausflüge, die ihn wiederholt auch nach England führten, auf denen er seine Balladen vortrug. Er wählte für diese Gesangskompositionen, deren musikalische Form er sich selber erfand, mit Vorliebe solche Gedichte, die ihren Stoff der romantischen Sagen- und Märchenwelt entnahmen, und er hat es meisterhaft verstanden, bei Festhaltung eines kraftvollen epischen Hauptmotivs die lebendigste Anschaulichkeit mit einer Stimmung zu verschmelzen, die dem Worte Tiecks von der „mondbeglänzten Zaubernacht“ bewundernswert gerecht wird. Löwe, der zweimal glücklich verheiratet war, verblieb 46 Jahre in seiner Stettiner Stellung. Die letzten Jahre seines Lebens, 1866 bis zum 20. April 1869, verlebte er in Kiel, wie früher auch auf anderen Gebieten des musikalischen Schaffens, im besondern für Männern- und Oratoriengesang, schöpferisch thätig. Sowohl in Stettin als in Kiel begeht man seinen Ehrentag gleichfalls durch die Weihe eines ihm gewidmeten Denkmals.

Karl Löwe.
Nach dem Denkmalmodell von Fritz Schaper.

Der „Gartenlaube-Kalender“ für das Jahr 1897. Seit Jahren ist der weitverbreitete im Verlag der „Gartenlaube“ erscheinende „Gartenlaube-Kalender“ zu einem Lieblingsbuch des deutschen Hauses geworden, er ist ein Buch, das nach Ablauf des Jahres keineswegs seinen Wert verliert. Er bietet ja immer eine solche Fülle interessanten, unterhaltenden und belehrenden Lesestoffes, daß seine schmucken Bändchen gern der Hausbibliothek einverleibt werden und noch nach Jahren jung und alt von neuem zu erfreuen vermögen. Der soeben erschienene „Gartenlaube-Kalender“ für das Jahr 1897 reiht sich würdig seinen Vorgängern an. Außer dem Kalendarium und den üblichen astronomischen Nachrichten enthält er noch eine Genealogie der europäischen Regentenhäuser, neueste statistische Notizen für das Deutsche Reich, Post- und Telegraphentarife, einen praktischen Arbeitskalender für Gemüse- und Blumengarten, für Viehzucht sowie Hauswirtschaft und einen Handelskalender. Aeußerst reichhaltig ist der unterhaltende Teil gestaltet. Beliebte Autoren haben den neuesten Jahrgang mit spannenden Erzählungen bereichert. W. Heimburg bringt als Fortsetzung der Novellenserie „Aus meinen vier Pfählen“ ein ergreifendes Kränzchenbild unter dem Titel „Marianne Sievening“, das von Fritz Bergen trefflich illustriert wurde. Daran schließen sich „Auch so einer“, Humoreske von Eva Treu, von W. Schulz illustriert, und „Sekundaner-Kneipe“, eine gleichfalls humoristische „Skizze aus dem Familienleben“ von Hans Arnold, mit Abbildungen von M. Flashar und R. Mahn. Aus der Fülle belehrender Artikel heben wir nur einige hervor: „Die Roentgenstrahlen“ von A. Hollenberg und „Blut und Blutbewegung“ von Dr. Arthur Damrow. Unter den Gedichten verdient „Zum Säkulartag von Kaiser Wilhelms I. Geburt“ von Rudolf v. Gottschall eine besondere Erwähnung. Ein reich illustrierter, auschaulich geschriebener „Tagesgeschichtlicher Rückblick“ von Dr. Hermann Diez vergegenwärtigt den Lesern die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres. Der sorgfältig ausgewählte und echt künstlerisch ausgeführte Bilderschmuck erhöht den Wert des inhaltreichen Buches, das sich gleich den früheren Jahrgängen des „Gartenlaube-Kalenders“ sicher einen weiten Kreis von Lesern und Freunden erwerben wird. *      

Waffenhändler in Tanger. (Zu dem Bilde S. 793.) Der Orient hat vielleicht nirgends in dem Maße seinen ursprünglichen Charakter bewahrt wie in Marokko, dessen Bewohner sich geflissentlich gegen alle Kultureinflüsse der Außenwelt abzuschließen gesucht haben. Unerschöpflich ist daher die Fülle des Interessanten, das sich dem Auge des Europäers dort bietet. Die Natur, die Vegetation, die Landschaft einerseits, die urwüchsigen Kulturzustände, die starke Rassen- und Völkermischung, die eigentümlichen Gewohnheiten und Gebräuche, das häusliche wie das öffentliche Leben gewähren so unendlich viele malerische Vorwürfe, daß es überraschend ist, wenn Marokko nicht noch viel mehr, als es bisher der Fall war, von Künstlern, und zwar nicht bloß von spanischen, sondern auch von solchen anderer Nationen besucht wird.

Viniegra, einer der hervorragendsten Genremaler des heutigen Spaniens, hat auf dem Bilde, das unsere Nummer bringt, einen besonders anziehenden Gegenstand der Darstellung, den Laden – wenn man dies Wort dafür anwenden darf – eines arabischen Waffenhändlers gewählt. Derartige Verkaufsstellen bilden stets kleine Museen, in denen man Erzeugnisse aller Teile der mohammedanischen Welt und vieler Jahrhunderte in buntem Durcheinander vereinigt findet. Der schlaue, in einen prachtvollen weißen Haik gehüllte Händler beobachtet mit scharfem Blick die beiden armen Mauren, die mit lebhaftem Interesse die alte Steinschloßflinte untersuchen. Die Ciselierung der letztern, die schöne eingelegte Arbeit mag den Wunsch nach ihrem Besitz in den beiden Männern erwecken, und sie sind, wie alle Marokkaner, gute Kenner von Waffen, denn ihre Bemerkungen erregen sichtlich die Aufmerksamkeit des Händlers.

Noch ist nach dem Preise nicht gefragt worden, und der dürfte nicht gering sein, denn nach den übrigen Gegenständen und der reichen Tracht des Kaufmanns zu urteilen, sind seine Verkaufsgegenstände mehr für die Reichen und für die Ausländer bestimmt und demgemäß bewertet, als für die armseligen Riffkabylen und die Wanderhirten der mittleren Provinzen des Reiches. Sie mögen ihre Waffen in Tetuan oder bei den Händlern der kleinen Duars kaufen und nicht bei dem reichen Mohammed Jbn Jakub Jbn al Ahmar! Beiläufig wird er ihnen daher herablassend einen Preis zurufen, der sie nicht einmal veranlassen wird, mit ihm zu feilschen, und eine halbe Stunde später wird ein fremder Reisender kommen und gern den doppelten Preis zahlen, um die wertlose Waffe dann zur Erinnerung an seine Streifzüge durch die fremdartige Welt des Orients in seinem Heim aufzuhängen und seinen Freunden und Verwandten über ihren Wert, ihre früheren vornehmen Besitzer, die kriegerischen Feste, auf denen sie abgefeuert worden, Wunderdinge zu erzählen. G. Diercks.     


Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

Frau C. M. in W. Raten Sie doch Ihrer jungen Verwandten, welche Stütze der Hausfrau werden will, zum Eintritt in den von uns S. 707 des Jahrgangs 1895 ausführlich besprochenen „Verein für Hausbeamtinnen“ (Centralagentur: Leipzig, Grassistrabe 33). Dort hat sie für den geringen Jahresbeitrag von 1 Mark die völlig kostenlose Stellenvermittlung und Empfehlung ihrer hoffentlich recht tüchtigen Fähigkeiten durch hochangesehene, sachverständige Persönlichkeiten. Mit den Privatagenturen ist es immer eine unsichere Sache; es giebt bessere, aber auch eine Menge leichthin, ohne alle Prüfung empfehlender. Das Interesse am häufigen Wechsel erklärt diese Thatsache hinlänglich. Der obengenannte Verein aber erstrebt das Wohl beider Teile und hat deshalb das größte Interesse, die richtige Persönlichkeit an die rechte Stelle zu bringen.


Inhalt: Die Geschwister. Roman von Philipp Wengerhoff (9. Fortsetzung). S. 789. – Die Vefi. Bild. S. 789. – Waffenhändler in Tanger. Bild. S. 793. – Die Gewinnung des Natureises. Von W. Berdrow. S. 790. Mit Abbildungen S. 796, 797, 798 und 801. – Kinderfüßchen. Novelle von Victor Blüthgen (Fortsetzung). S. 799. – Blätter und Blüten: Karl Löwe-Denkmal. Mit Bildnis. S. 804. – Der „Gartenlaube-Kalender“ für das Jahr 1897. S. 804. – Waffenhändler in Tanger. Von G. Diercks. S. 804. (Zu dem Bilde S. 793.) – Kleiner Briefkasten. S. 804.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

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Die Gartenlaube.

Beilage zu No 47. 1896.


Die Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten von Amerika. Seit dem Jahre 1860, wo die Sklavenfrage im Vordergrunde des Interesses stand, waren die Wogen der politischen Erregung in den Vereinigten Staaten von Amerika noch niemals so hoch gestiegen wie in diesem Jahre. Es galt, Vorbereitungen für die Wahl eines neuen Präsidenten zu treffen, und dabei standen wichtige wirtschaftliche Fragen im Spiel. Hie Fortbestand der Goldwährung, hie freie Silberprägung, lauteten die Parolen im Lager der beiden großen nordamerikanischen Parteien, der Republikaner und der Demokraten. Die ersteren wählten zu ihrem Kandidaten William Mac Kinley, die letzteren schenkten ihr Vertrauen William Jennings Bryan. Die Zuspitzung des Wahlkampfs auf die Münzfrage bewog jedoch einen Teil goldfreundlicher Demokraten für Mac Kinley zu stimmen.

Mac Kinley, der Kandidat der Republikaner, entstammt einer alten amerikanischen Familie und wurde am 26. Februar 1844 in Niles, im Staate Ohio, geboren. Sein Vater war ein geachteter Besitzer von Eisenwerken. Während der junge Mann noch in seiner Ausbildung begriffen war, brach der Bürgerkrieg aus. Im Alter von 18 Jahren trat William Mac Kinley als Freiwilliger beim 23. Regiment des Staates Ohio ein. Er wurde hier rasch zum Lieutenant und Hauptmann befördert und schied beim Friedensschluß als Major aus der Armee, um sich einer bürgerlichen Laufbahn zu widmen. Nachdem er zwei Jahre dem Rechtsstudium obgelegen, wurde er im Jahre 1865 zur Anwaltspraxis in Canton im Staate Ohio zugelassen. Bald jedoch nahm er an der Politik regen Anteil und wurde einer der eifrigsten Vertreter schutzzöllnerischer Bestrebungen.

W. Mac Kinley.
Nach einer Aufnahme von A. S. Campbell in Elizabeth, N. J..

Im Alter von 33 Jahren wurde er von seinen Mitbürgern als Abgeordneter in das Repräsentantenhaus des Kongresses geschickt. Hier hat man ihn bald darauf zum Mitglied und später zum Vorsitzenden der einflußreichen Budgetkommission (Commitee of Ways and Means) ernannt. In dieser Stellung setzte er im Jahre 1890 den schutzzöllnerischen Tarif durch, der seinen Namen auch in der Alten Welt bekannt gemacht hat. Die Folgen dieser Gesetzgebung zeigten sich jedoch derart ungünstig, daß Mac Kinley bei der nächsten Kongreßwahl nicht wiedergewählt wurde. Damit verlor er aber keineswegs die Popularität bei seinen Anhängern. In seinem Heimatsstaate wurde er zum Gouverneur nominiert und als der Wahltermin für den neuen Präsidenten nahte, beschloß die republikanische Partei, Mac Kinley als ihren Kandidaten aufzustellen. – Mac Kinley steht in dem Rufe eines unantastbaren Ehrenmannes. Während seiner Amtsthätigkeit trafen ihn durch Verschulden seiner Vertrauensmänner schwere Geldverluste, er opferte aber sein Vermögen, um seinen ehrlichen Namen zu wahren. Mac Kinley ist seit dem Jahre 1871 mit der Tochter eines Bankiers aus Canton verheiratet. Seit Jahren ist seine Gemahlin schwer krank, und ihrer Pflege widmet der Staatsmann mit liebevoller Sorgfalt seine freien Stunden.

William Jennings Bryan, der Kandidat der Demokraten, ist bedeutend jünger als sein Rival. Zu Salem im Staate Illinois am 19. März 1860 geboren, ist er erst 36 Jahre alt, hat also erst kürzlich das Alter von 35 Jahren überschritten, das zur Bekleidung der Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten gesetzmäßig nötig ist. Bryan ist der Sohn eines Richters und widmete sich gleichfalls dem Studium der Rechte. Er war anfangs als Advokat in Chicago, Jacksonville und in Lincoln im Staate Nebraska thätig. Im Jahre 1884 verheiratete er sich mit einer studierten Dame, einer Rechtsanwältin, die seitdem in seinem Bureau thätig ist. In den Jahren 1890 und 1892 wurde er in den Kongreß gewählt und im Juli dieses Jahres von den Demokraten als Kandidat für die Präsidentschaft aufgestellt. Bryan, dessen Charaktereigenschaften wie die Mac Kinleys allgemein anerkannt werden, ist Verfechter der freien Silberprägung und nimmt die Interessen der Landwirtschaft gegenüber der Industrie wahr.

W. J. Bryan.
Nach einer Aufnahme von A. S. Campbell in Elizabeth, N. J..

Am 3. November haben nunmehr die Wahlen der Elektoren stattgefunden, die nach Vorschriften der Verfassung am 11. Januar 1897 zur Wahl des Präsidenten schreiten werden. In diesen Wahlen haben die Anhänger Mac Kinleys einen entscheidenden Sieg davongetragen; es ist also als sicher anzunehmen, daß Mac Kinley am 4. März nächsten Jahres als Präsident in Washington einziehen wird.

Serviettenbänder aus Leder. Ein hübsches Geschenk für den Weihnachtstisch, dessen Herstellung kunstfertigen Händen nicht schwer fallen wird! Das Material ist gutes Kalbleder, die Verzierung kann Schnitt- oder Treibarbeit, auch Brandmalerei sein. Will man einen geschlossenen Ring, so wählt man ein hübsches Ornamentband und läßt den fertig gearbeiteten Streifen vom Sattler oder Buchbinder zusammenfügen und füttern; kräftige einfache Farben erhöhen die Wirkung eines schönen Renaissancemusters sehr. Die „Liebhaberkünste“ (München, Oldenbourg) bieten eine Menge dafür geeigneter Vorlagen, auch in Heft 17 Jahrgang 1896 ein sehr hübsches, mit Schnüren geschlossenes Serviettenband.

Die größten und kleinsten Goldmünzen. Unter allen Goldmünzen, die gegenwärtig in der Welt als Geld im Umlauf sich befinden, ist das englische 5-Sovereignstück die größte. Ihr Vollwert in deutscher Währung beträgt 102 Mark 14 Pf., ihr Münzgewicht 39,94 g und ihr Feingewicht (Goldgehalt) 36,61 g, Die zweitgrößte Goldmünze wird in der Türkei geprägt; es ist dies 1 Beutel oder 500 Piasterstück, das einen Wert von 92 Mark 20 Pf. besitzt. Als drittgrößte Goldmünze ist der nordamerikanische Doppel-Eagle zu nennen, dessen Goldwert sich auf 83 Mark 95 Pf. beläuft. Nur ein wenig kleiner ist das japanische 20 Jenstück mit einem Goldwert von 83 Mark 70 Pf. Darauf folgt der mexikanische Doppel-Hidalgo, der 82 Mark 61 Pf. Wert hat. Die sechste Stelle nehmen die 100 Franken- und 100 Lirestücke mit einem Wert von 81 Mark ein. – In Europa sind die 5-Franken- oder 5-Lirestücke (= 4 Mark 5 Pf.) die kleinsten Goldmünzen. Die kleinste Goldmünze der Welt besitzt aber Persien in seinem 1/4 Toman oder 2 Neu-Kranstück. Dasselbe ist nur 1 Mark 77 Pf. wert und wiegt nur 669 Milligramm.

Hauswirtschaftliches.

Wein- und Bierkrüge, so hübsch und ansprechend sie auch an sich zum Darbieten dieser Getränke sind, bekommen bei nicht ganz sorgfältiger Reinigung leicht einen sauren Geruch, der, wenn er sich einmal eingenistet hat, sehr schwer zu entfernen ist. Durch gewöhnliches Reinigen gelingt es nie, man muß daher in solchen Fällen zu allerhand Hilfsmitteln greifen. Eines der einfachsten und trotzdem wirksamsten ist das Senfmehl, das meist jeden Geruch leicht vertreibt. Man rührt es zu einem dicken Brei mit etwas warmem Wasser an, streicht es an die Wände und den Boden des Kruges, läßt es einige Zeit daran und reibt ihn überall gut aus damit. Er wird alsdann warm nachgespült und wird fast immer völlig geruchlos sein. Noch wirksamer erweist sich starkes dickes Kalkwasser, das man einige Tage ruhig in dem Kruge stehen läßt, um diesen dann gut mit heißem Wasser zu reinigen. Zeigt der Krug erst einen schwachen Anflug säuerlichen Geruchs, so ist übermangansaures Kali, dies Allerweltsmittel der Küche, von trefflicher Wirkung. Man löst die kleinen dunkelvioletten Körnchen in Wasser zu einer dunkelroten Flüssigkeit auf, füllt diese für einige Stunden in den Krug, schüttelt ihn während dieser Zeit mehreremal damit und spült ihn dann gut nach. L. H.     



An unsere Leser.

 manicula 0 Um den praktischen Interessen der Familie zu dienen, haben wir in dem Anzeigenteil der „Gartenlaube“ eine besondere Rubrik, den „Kleinen Vermittler“, eingeführt. In denselben werden Anzeigen, welche Stellengesuche und Stellenangebote, Unterricht und Pensionatswesen betreffen, Inserate über Kauf und Verkauf von Grundstücken, sowie überhaupt Ankündigungen aus dem täglichen Kleinverkehr zu besonders ermäßigtem Insertionspreise aufgenommen. Das Wort in gewöhnlicher Schrift kostet 15 Pf., in fetter Schrift 20 Pf. Wir empfehlen den „Kleinen Vermittler“ der freundlichen Beachtung unserer Leser. Die Anzeigen sind an die Annoncen-Expedition von Rudolf Mosse in Leipzig, Berlin oder deren Filialen, also nicht an den unterzeichneten Verlag, zu richten. Der Verlag der „Gartenlaube“.     

[804 b] [Diese Seite enthält nur Werbung von dritter Seite, die hier – zumindest vorerst – nicht transkribiert wird.]