Die Gartenlaube (1895)/Heft 42
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Nr. 42. | 1895. | |
Die Lampe der Psyche.
(2. Fortsetzung.)
Bald nach vier Uhr schickte Hortense das Brautpaar fort; man hatte verabredet, daß René unter dem Vorwand, Magda des Sonntagspublikums wegen heimbegleitet zu haben, mit zur alten Excellenz hinauf gehen sollte. Er konnte in Nicolais Gegenwart dann den Kaffee dort mit trinken und so sich harmlos in die Nähe des Leidenden schmuggeln.
Durch die Stadt und in der Ringstraße gingen sie nebeneinander her. Hier und da hatte man Durchblick auf den gelbroten Wald, der sich hinter den Gärten der Ringstraße hügelan zog.
In ihnen beiden ward die Sehnsucht groß, hinaus zu können, denn hierin waren sie vollkommen gleich, daß ihnen die Natur die besten Stimmungen gab. Und ganz zugleich sagten sie: „Könnten wir doch in den Wald!“
Die drollige Gleichzeitigkeit des Ausrufs machte sie beide glücklich.
„Das heißt soviel als: es soll so sein. Nur eine halbe Stunde lang,“ bat er.
Magda dachte gar nicht daran, daß es für fremde Beobachter befremdlich sein konnte, wenn sie allein mit René Flemming im Walde spazieren ging. Die Unschuld ihres Herzens war so vollkommen, daß sie nie an Mißdeutungen dachte. Den ersten Weg, der sich zwischen zwei Villen waldwärts zog, schlugen sie ein. Vor dem klarblauen Himmel stand die ansteigende Wand des Waldes, in welcher sich neben den dunkelgrünen Tannenwipfeln gleich schaumig gebauschten Farbenflecken die gelbroten Buchenkronen erhoben. Höher und ferner waren die Tannenwipfel von dunkelblauen Bogenlinien wie durchzogen – den Schattentiefen zwischen den Baumreihen. Ein kräftiger Geruch von welkendem Laub machte die Luft herbe und charaktervoll. Das Unterholz, das sein sperriges Gezweig zwischen grauen und roten Stämmen breitete, war noch grün, so daß diese wie von Frühlingsschmuck umspielt schienen.
Sie schritten auf einem sacht und schnurgerade ansteigenden Weg dahin, dessen Waldesmauern sich in der Perspective droben fast zusammenschlossen und nur ein kleines weißes Rund des Lichts offen ließen, welches von weitem dem Auge wie eine Verheißung von möglichem Ausblick in die Ferne erschien.
Ihnen begegneten einige Bekannte, die ein wenig erstaunt grüßten, was indes weder Magda noch René bemerkten. Sie gingen fast
[710] schweigend zusammen; die vollkommene Zufriedenheit in ihrer beider Seele war so groß, daß sie keine Leidenschaft empfanden und kein Bedürfnis, sich etwas zu sagen.
Renés Gedanken befanden sich plötzlich mitten in seiner Arbeit. Mit geistigem Ohr hörte er auf einmal deutlich die instrumentale Färbung einer Liebesscene zwischen seinem Helden und seiner Heldin, mit sonniger und gesättigter Klarheit stiegen die Klangwellen des Orchesters vor ihm auf, beherrscht von dem süßen Liebesmotiv – –
„Wir sind gleich an unserm Hause,“ sagte Magdas Stimme.
René fuhr auf und sah sie eine Sekunde wie verstört an, als wisse er nicht, wer sie sei und wie sie daher komme. Dann lachte er glücklich auf.
Schweigend war sie neben ihm hingegangen, umgekehrt, zurückgeschritten und er war mechanisch neben ihr gewandert.
„Du Gute, Kluge!“ sagte er. „Die Stelle in meinem Musikdrama streichen wir rot an, die eben geworden ist.“
Sie hatte die ganze Zeit mit dem Gefühl einer Kränkung gekämpft, daß er sie so ganz vergaß. Nun begriff sie, daß sie unrecht that, dergleichen in sich aufkommen zu lassen. Aber weh that es doch, bitter weh, wenn auf diese Weise bald sein Berufsleben, bald sein Innenleben ihn hinderte, sich ihr zu widmen, und schwer war’s, sich stumm darein zu schicken.
„Hier,“ sagte sie und öffnete mit Herzklopfen die Gitterpforte des Vorgartens.
Es war ein so großer und wichtiger Augenblick, daß René ihr Haus betrat und ihren Vater sah. René schaute aber sehr heiter drein, auf seinem Gesicht war noch der Nachglanz der gehabten reichen Eingebung.
Oben in der dritten Etage fuhr Nicolai von seinem Buch auf, darinnen er an dem einen Fenster gelesen, während am andern der Leidende in seinem Fahrstuhl einen leisen Halbschlummer hielt.
Es hatte geklingelt. Das war Magda – genau um fünf Uhr, wie sie gesagt hatte. Er ging hinaus, um zu öffnen, denn er war hier wie zu Hause. Auf dem kleinen Flur war aber auch schon Kathi an der Thür. Wie erstaunten beide, als neben Magda ein Herr draußen stand.
„Flemming!“ rief Nicolai. Sein Gesicht ward fahl und er sah Magda an. Diese fühlte den Blick heute gar nicht, sondern nahm schon Hut und Mantel ab, während René heiter sagte: „Ich habe die Ehre gehabt, mit dem gnädigen Fräulein bei Frau von Eschen zu speisen, und durfte sie nun heimbegleiten. Zur Belohnung für den Ritterdienst bin ich auf eine Tasse Kaffee von Fräulein Ruhland eingeladen. Und es freut mich, daß ich Sie hier treffe, Nicolai.“
Er sah den Maler so sonnig und so ehrlich an, daß dieser in allem heimlichen Schmerz doch seine Neigung für René neu aufwallen fühlte und ihm herzlich die Hand gab.
Sie gingen in den Salon. Magda lief auf ihren Vater zu, umarmte ihn und spracht „Papa, hier ist ein lieber Freund von Hortense, der Dir guten Tag sagen will.“
Ruhland beugte sich vor, seine Augen belebten sich, der Körper ward unruhig und die Hände strichen flach auf den blanken Armlehnen des Fahrstuhls vor und zurück.
„Der soll fort – fort – fort –“ befahl er heftig und nickte mit dem Kopf immer zu dem Wort.
René trat hart an den Stuhl heran, beugte sich über den Kranken, sah ihn fest an und ergriff dabei eine der streichenden Hände.
„Wir kennen uns ja schon lange, Excellenz haben vor vier und einem halben Jahr die Güte gehabt, mich nach meinem Amtsantritt zu empfangen,“ sagte er ruhig. In der That hatte René damals dem Kultusminister Ruhland einen Besuch gemacht und war zwei Minuten so ungnädig empfangen worden, daß er sich schwer geärgert gefühlt hatte.
Die männliche Stimme, der bestimmte Blick schüchterten Ruhland ein. Dies „wir kennen uns schon lange“ beschäftigte ihn. Nach der Art dieser Kranken wußte er oft, daß er nicht ganz Herr seines Gedächtnisses war, und mißtraute sich manchmal selbst.
„Wir kennen uns – wir kennen uns,“ murmelte er halb fragend vor sich hin.
René fühlte bei dem Anblick des kranken Mannes etwas Schreckliches, ein Gemisch von Widerwillen und Ungeduld. Seiner blühenden Kraft war Krankheit etwas Unerträgliches und das Leben hatte ihn noch kein Mitleiden gelehrt.
Er begriff die Richtigkeit von Magdas Entschluß, ihre Ehe noch hinauszuschieben, nun erst völlig. Diesen Leidenden mit in seine eigene Häuslichkeit zu nehmen, wäre ihm unmöglich gewesen.
Magda sah die ernsten Schatten über sein Gesicht gleiten und glaubte, das Mitleid mit ihrem Los betrübe ihn.
Sie fing ein heiteres Gespräch an, trug den Kaffee auf und sagte, daß Herr Flemming doch sehen müsse, was Nicolai gerade male. Dabei wünschte sie heiß, René möge den Wunsch aussprechen, ihr Atelier zu sehen.
René ergriff mit Freuden den Gedanken, daß man die letzte Tagesstunde benutzen möge, Nicolais Arbeiten zu sehen. Es war ihm so erwünscht, aus der Nähe des alten Mannes zu kommen, der steif und vornehm gekleidet wie ein Zerrbild des einstigen Ichs dasaß und ihn feindselig belauerte.
Nicolai war rot geworden und kämpfte mit sich.
„Weil Sie es sind,“ sprach er endlich und fühlte, daß dies eine halbe Lüge war. „Weil ich fürchte, daß es zwischen Magda und Ihnen ein Geheimnis giebt, sollen Sie das meine kennen,“ so hätte er antworten müssen.
„Darf ich mit?“ fragte Magda, die ihrerseits nie in Nicolais Atelier kam. Er brachte ihr herüber, was sie sehen sollte. Er nickte. Hinter seiner überlangen Gestalt hergehend, wirkte René beinahe klein. Magda bemerkte es und René sagte:
„Ja, er ist auch immer in den Wolken mit seinem Kopf.“
Nicolai lächelte dazu und schloß sein Atelier auf. Es hatte, wie das Magdas, zwei Fenster nach Nordwest und die Abendsonne schien gerade voll hinein. Die Wände waren mit Skizzen dicht bedeckt, sonst befand sich keinerlei Schmuck im Raum und an Möbeln nur die nötigen Tische, Stühle, Gerätschaften. Durch die unendliche Sauberkeit und die regelmäßige Anordnung der Ausstattungsstücke hatte der Raum etwas Puritanisches.
Magda war, als liefe ihr ein Frostschauer durch die Adern.
Nicolai rückte die Staffelei am Fenster zurecht und sagte nur: „Hier!“
Sie traten näher und schwiegen beklommen.
„Der Engel des Glückes kommt zum erstenmal zu einem Menschen,“ sprach Nicolai leise. „das war mein Gedanke.“
Im Vorgrund des Bildes sah man ein bleiches Männerhaupt mit geschlossenen Augen und beseligtem Lächeln. Man erriet sofort, daß es das Gesicht eines Sterbenden war. Hinter ihm, das ganze schmale Hochformat des Bildes ausfüllend, stand eine Engelsgestalt in strengen, steifen assyrischen Linien gehalten, die Finger der niedergestreckten Hand berührten die Stirn des Sterbenden. Die Augen des Engels sahen mit einem mystischen und unendlich sicheren Blick zum Himmel empor, über den Beschauer hinweg. Die Farben waren sehr hell, das Ganze wirkte wie eine Vision. Und das blasse, unbewegliche Engelsangesicht hatte eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Magda.
„Ihre Bilder fallen einem auf die Nerven,“ sagte René endlich mit halber Stimme.
Er drückte Nicolai heftig die Hand. Magda sagte nichts, aber sie war sehr blaß.
Das lange, betrachtende Schweigen endete Nicolai selbst, indem er, vor innerer Bewegung heiser, vorschlug, Flemming solle doch auch sehen, was Magda male.
„Sie malt so feine, liebe Sachen,“ sagte er.
„Ja,“ sprach René hastig, „das wollen wir.“ Und an der Thür gab er Nicolai nochmals die Hand und sprach: „Adieu, Nicolai. Nehmen Sie tausend Dank. Ich werde zu thun haben an dem Eindruck. Lassen Sie uns bald einmal wieder einen Abend zusammen sein – heut’ kann ich nicht, ich bin bei der Großmutter meines Freundes Wallwitz geladen. Aber morgen, sagen wir morgen abend acht Uhr bei mir.“
Nicolai stand wie versteinert. Man sagte ihm „adieu“ und er hatte es als selbstverständlich erachtet, daß er mit in Magdas Atelier gehen werde.
„Ja, morgen abend …“ stammelte er.
„Wir sehen uns nachher noch,“ rief Magda und lief durch die Etage, um von drinnen ihr Atelier zu öffnen und René einzulassen. Ihr Gesicht glühte vor Freude.
René trat ein.
„Aha,“ sagte er, „hier schaut es wohnlicher aus. Wir durften doch keinen Zeugen haben, wenn ich zuerst in Dein kleines Reich trete. Aber weißt Du: Nicolai ist ein großer Poet und ein [711] großer Maler. Seine Musik ist nicht für die Welt. Und er liebt Dich – der arme Kerl!“
„Es ist so eine besondere, überirdische Liebe,“ sprach Magda mit fast kindlicher Verlegenheit.
„Das wollen wir hoffen,“ rief er lachend. Sein Blick fiel auf eine Staffelei.
„Was ist denn das für eine Geschmacklosigkeit?“ fragte er. und sah den gemalten Kranz von Christrosen und Passionsblumen an, der sich um ein Marmorkreuz schlang, während der Holzrahmen dieses wunderlichen Gemäldes mit einem Dornengewinde bemalt war.
Magda stellte sich davor.
„Schau’s nicht an,“ bat sie errötend, „die Frau Herzogin hat es ausdrücklich so bestellt und ich bekomme fünfhundert Mark dafür. Es soll in das Wohnzimmer der Vorsteherin der Diakonissinnenanstalt. Du begreifst, der hohen Auftraggeberin kann man nichts abschlagen.“
Ja, das begriff René. Aber es ärgerte ihn doch, daß Magda so etwas angefertigt hatte.
„Sieh das hier,“ bat sie und sah mit großen Augen wartend in sein Gesicht.
Sie wußte, sie war keine Künstlerin ersten Ranges, wollte keine sein, aber sie wußte auch, daß ihr manchmal ein anmutiger Einfall zart und schön gelang. Und gerade that die Sonne ihr den Gefallen, gleichsam eine kleine Vorstellung zu veranstalten und das Bild mit ihrem letzten Schein zu beleuchten
Ein bunter Orchideenstrauß stand in einem schmalen hohen Glase vor einer halb überfrorenen Fensterscheibe, die ihm als Hintergrund diente, und durch die Fensterscheibe sah man ein Stückchen Straße, in welcher ein Schneesturm tobte. Es war eine artige Idee, die fremde Tropenblume in den Gegensatz zur nordischen Rauheit zu stellen, und sie war völlig ungesucht zum Ausdruck gebracht. Auch wußte Magda und hatte es von Nicolai bestätigen hören, daß es gut gemalt sei.
„Allerliebst,“ sagte René ein wenig zerstreut. „Du wirst Dein Heim, unser Heim später mit Deiner geschickten Hand hübsch dekorieren.“
„Blumenstücke sind nicht Dein Geschmack?“ fragte Magda mit zitternden Lippen.
„Aufrichtig: nein. O Gott, es kränkt Dich,“ rief er und nahm liebevoll ihre Hand.
„Wie kann mich eine Aeußerung Deines Geschmacks kränken, der sich doch gebildet hat, ehe wir uns kannten, der ein Teil Deines Wesens ist,“ sagte sie tapfer. Aber er sah wohl, es hatte ihr doch weh gethan.
Sie jetzt mit nachträglichen Lobeserhebungen zu trösten, dazu war seine Ehrlichkeit nicht imstande, auch wußte er wohl, sie sei zu klug und feinfühlend, um sich jetzt durch solche nicht eher gekränkt als gehoben zu fühlen. Er legte den Arm um ihre Taille und sprach ernst: „Nicht das, was Du arbeitest, sondern daß Du arbeitest, ist angesichts der Dich umgebenden traurigen Verhältnisse wichtig, befreiend, sittlich.“
Sie sah zu ihm empor. Seine Augen waren liebevoll auf sie gerichtet. Er schien nicht entfernt zu ahnen, daß er ihr etwas gesagt hatte, das ihr allen Boden unter den Füßen wegzog.
„Wenn die Begabung auch noch so gering ist – man muß an sie glauben, um sie üben zu konnen,“ sprach Magda tonlos. „Wenn der Inhalt meiner Thätigkeit denn so ganz wertlos ist, möchte ich sie lieber aufgeben.“
„Liebe! So schroff meinte ich das nicht – ich habe Dir weh gethan – Deine Augen sind naß. Komm!“ Er küßte ihr die Lider. Er zog sie auf die Ottomane und, sie fest an sich ziehend, flüsterte er. „Wir wollen doch meine erste Anwesenheit in Deinem kleinen Heiligtum nicht mit Mißverständnissen trüben.“
Seiner bezwingenden Art gelang es, schnell ein sonniges Lächeln auf ihre Lippen zu locken.
„Wie man empfindlich wird,“ sagte sie, sich eng an ihn schmiegend, „wir thun einander weh, die Welt thut mir weh – es ist, als ob plötzlich mein Herz schutzlos geworden wäre und nun jeden Windhauch spürte. Ich will Dir noch von gestern etwas beichten. Hinter mir saßen Damen, die über Dich und die Kaspari sprachen. Und infolgedessen beobachtete ich diese und sah, wie sie zu Dir hinablächelte. Ich war einige Minuten sehr eifersüchtig, die blendende Schönheit der Dame erdrückte mich. Nachher schämte ich mich.“
Renés Stirn zog sich ein wenig zusammen, er schien peinlich berührt. Dann ward sein Ausdruck heiter und er sprach mit einem festen Ton: „Ein für allemal, Magda – diese Welt, in die mich mein Beruf stellt und die, ich leugne es nicht, einen großen Reiz für mich hat und mit ein treibender Faktor für mein Schaffen ist, diese Welt muß Dich gar nicht beschäftigen. Darinnen ist nicht alles so ideal, wie Ihr das anschaut, und zum Beispiel die blendende Schönheit der Kaspari schrumpft ohne rote Perücke und Schminke sehr zusammen. Ich wünsche nicht und ich will nicht, daß Du mit dieser Sphäre allzuviel in Berührung kommst. Ganz wird es sich später für meine Frau nicht vermeiden lassen. Aber Deine Gedanken soll sie Dir nie beschweren, weder später noch jetzt. Es giebt im Leben eines Mannes so viel, was ein Frauenherz nie begreift. Die Natur hat uns mit gröberen Organen versehen. Da giebt es Versuchungen – Notwendigkeiten – Dinge so äußerlich, die ich von mir abwasche wie den Tagesstaub. – Du aber, Du stehst mir außer allem und über allem. Du bist das Heiligtum, zu dem meine Seele sich flüchtet, wenn sie den reinen Frieden braucht!“
Magda konnte nichts antworten. Seine Worte hatten sie unglücklich und unruhig und stolz und selig gemacht. Er schob sie ganz heraus aus der Welt, darin er jeden Tag seinem Beruf nachging, und, indem er ihr so beinahe jeden Anteil an seinem Leben absprach, erhob er sie zugleich zu seiner Göttin. Sie aber wollte als Weib, als Gefährtin, als Teilnehmende jede Stunde auch seiner Arbeit kennen, mittragen, ihren Inhalt wissen.
Ahnte er denn gar nicht, daß alles, was er ihr sagte, immer Bitterkeit und Wonne in seltsamem Gemisch war!
René hatte gar keine Antwort erwartet, er liebte ihre Art zu schweigen und, wenn er auch ahnte, daß ihr Schweigen oft schmerzliche Gedanken zudeckte, so erwartete er die Kraft von ihr, sich zu einem heiteren Vertrauen zu ihm durchzuringen.
Er streichelte ihren Kopf, der an seiner Schulter lag.
„Sieh,“ sprach er, „wie lange es hier oben bei Dir hell geblieben. Nun ist mit einem Mal der Himmel grau. Ich mag so gern sehen, wenn sich das Licht zurückzieht und von der anderen Seite des Himmels die Dunkelheiten näher wachsen. Die erste Liebesscene meines Helden mit meiner Heldin habe ich auch in die Dämmerstunde gelegt.“
„Erzähle mir davon.“
„Nicht jetzt. Weißt Du, daß Du mir noch gar keinen Kuß gegeben hast?“ Er nahm ihr Angesicht zwischen seine Hände und küßte es mit einer drolligen Aufmerksamkeit, als wollte er jedem Teil sagen: du gefällst mir. Der Stirn, den Augen den Wangen. Sie lächelte dazu.
Und dann den Mund.
Die linde Dämmerung um sie her, die Erlösung von allem Schmerzlichen, das die letzten Minuten gebracht, das Bewußtsein, zum erstenmal mit ihm ungestört allein zu sein – dies alles wirkte auf Magda wie ein Rausch. Sie hing an seinem Halse und ließ sich küssen und in ihr wuchs eine Flamme – und sie sah seine dunklen, lodernden Augen mit einem neuen, heißen Ausdruck auf sich gerichtet. Es war ihr, als wenn Willenlosigkeit und Müdigkeit durch ihre Adern schlichen.
Und jäh fiel ein Schreck in ihre Seele – eine Angst – sie wußte nicht warum – sie entrang sich den sie umklammernden Armen, sie sprang auf und fiel in die Kniee. Mit gefalteten Händen blieb sie so und sah ihn an.
Er stand auf, langsam, wie taumelnd. Aus den Erregungen höchster Leidenschaft herausgerissen, wallte kurz etwas wie Zorn in ihm auf.
Da sah er durch die helle Dämmerung ihre Augen und sah den Blick, in dem ein hinreißender Ausdruck lag: höchstes Glück und vertrauende Bitte.
Er atmete schwer auf. Dann neigte er sich, half Magda sich zu erheben, und als sie vor ihm stand, ohne den rührenden Blick von ihm zu lassen, umfaßte er sie sanft und gab ihr einen leisen Kuß auf die Stirn.
Sie sah ihn fortgehen. –
Zwei Stunden später saß sie mit Nicolai bei ihrem einfachen Abendbrot. Sonst hatten sie immer heiter die Ereignisse der letzten Woche besprochen, was sie gearbeitet, was an kleinen, friedlichen Vergnügungen hinter ihnen lag, und viel hatten sie auch über Gesundheitsfragen gesprochen, wie das bei einem leidenden [712] Mann und der Tochter eines Kranken natürlich war. Magda hatte sich nie mit Nicolai und bei diesen Gesprächen gelangweilt. Heute schienen sie ihr grenzenlos nebensächlich. Nicolai sah, daß sie immer ihre Gedanken anderswo hatte. Aus ihren strahlenden Augen erriet er, wo! Er lenkte endlich das Gespräch auf Flemming, seine hohe Begabung, seinen eisernen Fleiß, der ein so eigenartiges Gegengewicht zu seiner überschäumenden Lebenslust bilde, zu seiner großen Zukunft. Und da war Magda ganz bei der Sache. Auch ging ihr das „Herr Flemming“ und „der Herr Hofkapellmeister“ ganz geläufig von den Lippen, daß Nicolai zweifelhaft ward, ob schon eine Herzensverbindung zwischen ihnen bestehe, und Furcht zu fassen begann, daß vielleicht nur Magda ihrerseits René liebe. Flemming – so wußte Nicolai – war nicht der Mann, sich jetzt schon zu binden. Bei solcher Sachlage fürchtete er bittere Enttäuschungen für Magda.
Es klingelte.
„So spät noch?“ fragte Magda mehr sich als ihn.
Gleich darauf kam Kathi und legte ein großes Briefcouvert auf den Tisch. Es kam von René. Das Format schien anzudeuten, daß ein Büchlein in dem Umschlag sei. Magda öffnete ihn – nicht zu öffnen wäre auffallender gewesen.
Nicolai mußte nun sehen, was sie selbst mit Erstaunen wahrnahm, daß eine Anzahl buchartig zusammengehefteter Blätter, alle von Renés Hand beschrieben, darin gewesen war, außer dem Begleitbrief, den Magda nun zwischen ihren kalten Fingern hielt.
Sie sah zu Nicolai hinüber.
„Lesen Sie,“ sagte er. „Ich werde Sie niemals stören.“
„Was soll der bittere Ton?“ fragte sie.
„Magda,“ rief er ausbrechend, „in Gefahr und Schmerz sollen Sie nicht kommen! Das allein überlebte ich nicht. Ihr Glück soll mich standhaft finden – Ihr Unglück würde aus mir einen Rasenden machen. Sie sind der Engel meines Lebens gewesen. Und ich sollte nicht über Sie wachen, Ihnen nicht in die Arme fallen dürfen, wenn ich Sie einem Abgrund zueilen sehe! Das ist Tollheit, nicht wahr? Das ist barer Unsinn, nicht wahr? Diesem Mann,“ – er deutete auf Renés Brief – „dürfen Sie nicht in Ihrem Herzen Raum gönnen.“
Magda wurde blaß. Sie stand auf.
„Sie wollen Schlechtes von jemand sagen, der Gutes von Ihnen spricht?! Sie wollen eine Indiskretion begehen? Ich will nichts hören,“ sagte sie, bebend vor Zorn.
Er blieb sitzen und sah sie gramvoll an. „Indiskretion! Solch ein leeres Wort in solch inhaltsvollem Augenblick und zwischen uns! O, Magda! Nein, ich will und ich kann nichts Schlechtes von ihm sagen. Aber das will ich sagen: er ist zu gährend noch und wird vielleicht immer zu gährend bleiben, um einem Weibe ungetrübtes Glück geben zu können.“
„Und wenn ich nun lieber mit ihm leiden, als ohne ihn in Frieden leben will!“ rief Magda außer sich.
„So ist es also schon zu spät!“ sprach er tonlos vor sich hin.
Magda begriff, daß sie sich mit ihren Worten verraten hatte.
„Die Rücksicht auf meinen Vater verhindert mich, jetzt schon Renés Weib zu werden,“ sagte sie leise. „Diese Stunde hat Ihnen mein Geheimnis verraten.“
Nicolai neigte das Haupt.
„Ich hab’ ihn immer gern haben müssen – ich will versuchen, ihn nicht zu hassen,“ flüsterte er.
Als er gegangen war und Magda noch ihr kleines Hauswesen geordnet hatte und dann im Bett lag, las sie endlich den Brief. Sie hatte sich das in quälerischer Vorfreude aufgespart, bis kein profaner Laut mehr ihre Andacht stören könnte.
„Du, der meine Seele eigen ist! Ich muß noch zu Dir sprechen an diesem Abend, der nicht der leeren Geselligkeit im Freundeshaus, sondern der weihevollen Arbeit gehören soll. Wie eine Nachfeier soll mir die Arbeit sein für die verlebten inhaltsreichen Stunden, und wie eine Entführung für die Augenblicke, wo ich Dir wehgethan, und für jenen vor allem, wo Dich meine Leidenschaft erschreckt hat. Oft noch, Geliebteste, wird mein Wort und mein Wesen Dich vielleicht kränken, ohne daß ich es ahne, wie auch Du vielleicht oft mir fern bist mit Deinem Erfassen, gerade wenn Du glaubst, mich ganz zu verstehen. Die Geheimnisse einer Mannesseele sind einer Frau so wenig ergründlich, als einem Mann die Seele einer Frau. Jedem bleibt eine letzte Einsamkeit, in die der andere nicht hinein dringen kannn und darf. Kennen wir uns denn selbst so gut, um immer für uns bürgen zu können? Sind wir vor den Ueberraschungen unseres eigenen Wesens sicher? Können wir etwas versprechen? Wir können nur glauben und hoffen. Und ich glaube, daß mein ganzes Innerstes Dir zugethan ist, mit einer großen Inbrunst. Und ich hoffe, daß es niemals im Leben etwas geben kann und wird, das mir möglich machte, das Ideal der Treue zu verletzen. So sehr fühle ich mein Sein an das Deine gebunden, daß ich bis zu Thränen erschüttert werde, wenn ich denke, Du könntest Dich von mir loslösen.
Heute abend ist es mir auch ein Bedürfnis, Dir Näheres von meinem Werk zu sagen, das der Vollendung nahe ist. Hier beigeschlossen findest Du die Dichtung zu meinem Musikdrama ‚Filippo Lippi‘. Obschon der Gang der Handlung und die Umrisse der Charaktere natürlich seit Jahr und Tag geschlossen vor mir standen, ist doch Wort und Ton der Dichtung selbst mir immer zugleich entstanden. Somit ist es eigentlich eine Improvisation, was man im letzten tiefsten Sinn von jeder Dichtung und jeder Komposition sagen kann. In dem Charakter des Filippo Lippi wirst Du einige Züge von mir selbst wiederfinden. Wie hätte ich auch den heißblütigen, leichtsinnigen, emsig schaffenden Mönch-Maler zum Vorwurf nehmen mögen, wenn ich nicht etwas von mir in ihn hineingeheimnissen konnte. Als mir die Lucrezia Buti entstand, kannte ich Dich noch nicht; aber wie wundersam berührt es mich nun, in dieser treuen, in sich abgeschlossenen Frauennatur Aehnlichkeiten mit Dir zu finden.
Die Liebe ist immer die Erlöserin. Sie trägt über alle Abgründe hinüber. Das ist ihre Mission.René.“
Magda las dann bis tief in die Nacht hinein in dem dramatischen Gedicht, das in kraftvollem Aufbau und wundervoller Sprache das Liebesleben und den Tod des italienischen Karmelitermönchs schilderte. Der erste Akt spielte in Florenz und zeigte Lippi eingekerkert von Cosimo Medici, um für diesen ein Gemälde zu vollenden. Vom behaglichen Gefängnis aus spinnt er mit der täglich vorbeigehenden Patriziertochter Lucrezia Buti ein Liebesverhältnis an. Er entflieht und trifft die Geliebte in der Dämmerung inmitten eines festlichen Volkshaufens auf der Piazza della Signoria. Lippis Rivale im Ruhm wie in der Liebe, Pietro di Cosimo, wird Zeuge seines Glücks. Von da an stieg die Handlung zu immer erregteren und größeren Situationen. Man sah in Butis Palast einen Ausschnitt des genußfrohen Kunstlebens jener Tage, sah den Pietro bei einer Bilderkonkurrenz dem Lippi unterliegen, sah das von Pietros Verrat entlarvte Liebespaar in heißem Kampf um Butis Vergebung. Lucrezia sucht sie durch Bitten an das Vaterherz zu erreichen, Lippi durch stolzes Pochen auf seine Künstlerschaft, und das Verbrechen gegen seine Gelübde sucht er von sich zu weisen mit der Anklage, daß man ihm das Mönchsgewand angezogen, da er noch keine Kenntnis der Welt und seiner selbst hatte. Aber der alte Buti sieht den Liebesbund der Tochter mit dem Mönch als eine Ungeheuerlichkeit an. Lucrezia kommt in ein Kloster. Lippi sucht sie verzweifelt. Der Zufall bringt ihm einen Ruf in eben dasselbe Kloster. Er fühlt seine Kräfte schon versagen, denn das von Pietro ihm beigebrachte Gift schleicht in seinen Adern. Aber er malt doch mit höchster Künstlerschaft das Bildnis der heiligen Margarete. Als die Nonnen es sehen, erkennen sie das Antlitz der Lucrezia. So erfährt Lippi ihren Aufenthalt. In der Nacht versucht er die Geliebte zu entführen; sterbend, mit dem stammelnden Gebet: „Gott, laß mich leben!“ bricht er in ihren Armen zusammen.
Magda erriet, daß der Stoff reichen Anlaß zu leidenschaftlicher Musik in den Liebesscenen, zu volkstümlichen Gesängen und Kirchenchören gab. Vor allen Dingen aber ward sie schon durch die Dichtung allein erschüttert, insoweit sie den glühenden Lebensdrang, die überschäumende Freudigkeit im Wesen des Filippo Lippi zum Ausdruck brachte.
Sie fand den Geliebten in dieser Gestalt wieder.
In der Nacht schliefen im Hause zwei Menschen sehr wenig. Die eine nicht – vor Glück, der andere nicht – vor Gram. –
Ungefähr zehn Tage voll reichen Inhalts folgten.
Als Magda am nächsten Tag René wiedersah – es war auf der Brücke vor dem Schloß – errötete er. Sie gingen eine Weile zusammen auf und ab und verabredeten für alle folgenden Tage Spaziergänge im Wald. Magda wollte ihren Dank für die Sendung und den Brief sagen. Als sie schüchtern davon begann – eine innere Stimme schien sie davor zu warnen – sagte
[713][714] er in hochmütigem und oberflächlichem Ton, während er abermals rot wurde:
„Es liegt nichts daran. Man schreibt einmal so allerlei nieder.“
Seine keusche Seele ertrug es nicht, daß laut von Dingen gesprochen ward, die er in stiller Stunde und besonderer Stimmung seiner Verschlossenheit abgerungen hatte.
Magda stand noch zu sehr unter dem beglückenden Einfluß des Briefes, um sich sehr verletzt zu fühlen, sie dachte nur, wie unbegreiflich seltsam er sei, und vermied an den folgenden Tagen wieder von seinem Brief zu sprechen.
Am Sonnabend der Woche fragte eine ihrer Schülerinnen in der Malstunde plötzlich: „Magda, seit wann kennst Du denn René Flemming so genau?“
„Ich?“ fragte Magda entgegen und fühlte sich erschrecken.
„Ja, neulich hat meine Tante Laura Dich mit ihm vorm Schloß gehen sehen und gestern, sagt Papa, seid Ihr im Wald spazieren gegangen.“
Nun lächelte Magda wieder ganz heiter. „Freilich. Ich habe ihn bei Frau von Eschen näher kennengelernt,“ sagte sie, „und es ist sehr anregend, mit ihm über Kunst zu sprechen.“
Die Malschülerinnen wechselten einen Blick.
„Du, Dein Flemming läßt ja bald ’was aufführen,“ sagte Sibylle Lenzow.
Das war Mädchenunart. Sibyllens Freundinnen sagten zu ihr auch „Dein Wallwitz“, und sie sagte zu den Freundinnen „Dein X!“, wenn eine einmal viel mit einem Herrn getanzt oder gesprochen hatte.
Magda geriet in tödliche Verlegenheit; sie konnte die Ungehörigkeit nicht zurückweisen, nicht sagen „er ist nicht mein Flemming“ und „dergleichen schickt sich nicht“. Es wollte nicht von ihren Lippen.
Sie konnte nur thun, als hörte sie nichts, und sich eifrig mit der verpfuschten Malerei einer andern Schülerin beschäftigen.
Am nächsten Mittwoch aber thaten die jungen Damen das äußerste, sie zu quälen. Abends vorher war der Ball bei der alten Gräfin Wallwitz gewesen. Magda hatte mit sehnsüchtiger Vergnügungslust dahin gedacht, wo sie René wußte, und hätte so viel, so viel darum gegeben, mit ihm tanzen zu dürfen. Nun klatschten die Mädchen das ganze Fest durch. Die kleine Sibylle Lenzow mußte sich die unerhörtesten Neckereien gefallen lassen wegen ihres Benehmens mit dem Lieutenant Wallwitz.
„Du warst wie ein Trabant um den Mond, immer um ihn ’rum,“ sagte Johanna von dem Busche, „Großmutter Wallwitz saß da wie ’ne geladene Wetterwolke, denn Du weißt doch, diese Wallwitze, der Lieutenant und Lilly, haben nicht viel, die müssen Millioneser heiraten.“
So ging das in einem Ton fort.
„Großmutter Wallwitz hätte nur lieber auf ihre teuere Lilly passen sollen,“ rief Sibylle und hielt ihren Stein, auf dem das Edelweißbouquet immer noch nicht fertig war, weit von sich ab, ihn wohlgefällig besichtigend, „wie die mit Flemming kokettiert hat! So ’was ist mir noch nicht vorgekommen.“
Magda verbesserte gerade mit ihrem Pinsel Johannas Rosenstück auf der Leinwand und plötzlich schien es, als stände auf der Leinwand anstatt der Blumen ein Mädchengesicht mit lachendem Mund und einer dunklen Lücke in der weißen Zahnreihe.
„Na,“ meinte Johanna von dem Busche, die sich behaglich rückwärts gelehnt hatte, um Magda Platz zu geben, „René Flemming reagierte aber auch nicht schlecht. Baron Krausneck sagte noch, das kommt davon, wenn man diese Leute in unsern Salons zu sehr verzieht, sie vergessen jede Grenze.“
„Baron Krausneck sollte sich glücklich schätzen, mit René Flemming in demselben Haus verkehren zu dürfen“ sagte Magda mit blassen Lippen.
„Ach so –“ machte Johanna gedehnt.
„Das finde ich auch,“ rief Sibylle eifrig, „Dein Krausneck ist ein … na, nur immer parlamentarisch, sagt Papa, wenn ich mich mit den Brüdern prügle. René Flemming ist ein großer Künstler und ein himmlischer Mensch und wenn er eine Dame so auszeichnet, wie er Lilly Wallwitz auszeichnete, so ist es ein Ruhm und eine Ehre für sie. Und schließlich wird eine Lilly Wallwitz auch noch lieber einen Mann heiraten den sie liebt, und der vielleicht mal unsterblich werden kann, als irgend einen greulichen Millionär.“
Das Gelächter der andern schnitt der Verteidigerin Renés das Wort ab.
Und wie grausam sie ihn verteidigt hatte – für Magdas Ohren!
Als sie gegangen waren, lächelte Magda in sich hinein.
„Er wird kommen und mit mir über die Mädchen lachen,“ dachte sie.
Und sie wartete.
Aber er kam nicht.
René Flemming verkehrte sonst nicht bei der alten Gräfin Wallwitz, die nur betagte Freunde und Freundinnen zu Whistpartien und kleinen Diners bei sich sah. Aber die Anwesenheit ihrer Enkelin hatte sie veranlaßt, ihrem Enkelsohn, dem Lieutenant Walfried von Wallwitz, zu sagen: alle seine Kameraden und Freunde möchten bei ihr Karten abgeben. Und durch ihre alten Freundinnen hatte sie ein ähnliches Aufgebot an die jungen Damen der Gesellschaft ergehen lassen. Leider hatte sie nicht Hortense von Eschen bei der Organisation des neuen und jungen Lebens in ihrem Hause um Rat gefragt, und auch Herr von Lenzow, Sibyllens Vater, der Magda sehr wohl wollte, hatte zufällig nicht an diese gedacht. So erfuhr René zu seinem Bedauern, daß er Magda auf dem Ball nicht treffen werde, während er es sich sehr reizvoll gedacht hatte, inmitten der Welt das heimliche Einverständnis mit ihr zu fühlen.
Mit mäßigem Vergnügen setzte er sich in den Wagen, denn in seiner beflügelten Arbeitsstimmung schien ihm jeder Abend, den er anderswo als an seinem Schreibtisch und Klavier verbrachte, ein Verlust. Raubte seine Dirigentenpflicht ihm doch ohnehin schon viele Abende.
Aber er hatte es seinem lieben Wallwitz nicht abschlagen mögen, der ihm noch extra gesagt: „Lilly interessiert sich fabelhaft für Dich, Du mußt kommen.“
Walfried und Lilly waren die Kinder eines jüngeren Sohnes, auf den der Grafentitel nicht überging. Das Vermögen der Familie bestand in einem Majorat. Dem jüngeren Sohne hatte die nicht unbemittelte Gräfin ein Gut gekauft – es sollte eine klägliche Scholle sein. Auch hatte sie Lillys Erziehung bestritten und diese war durchaus nicht im Rahmen der väterlichen Verhältnisse. Die Welt sagte, daß die alte verwitwete Gräfin ihren ältesten Sohn nicht sonderlich liebe und ihr gesamtes Privatvermögen bei Lebzeiten für den jüngeren Sohn und seine Kinder aufbrauche.
Nun, René wußte genau, daß wenigstens sein Freund aus der großmütterlichen Tasche eine reichliche Zulage erhielt. Und auch, daß sie ihr ruhiges Leben ganz umänderte der Enkelin zuliebe, mochte ein weiterer Beweis für die Wahrheit der Gerüchte sein.
In den großen kahlen Räumen konnte sich die Jugend breit genug machen. René fand, als er sich ein wenig umsah, daß es den Eindruck machte, als ob die ungenügend vorhandenen Möbel in zwei, drei Räume zusammengetragen waren, die andern Zimmer und Säle aber mehr als dürftig ausgestattet seien.
Er ließ sich von Wallwitz der Dame des Hauses vorstellen, einer großen gebeugten Frau, mit einer Brille vorm knochigen Gesicht und einer unter dem Kinn geschlossenen Haube, die von einer ringsum gleichmäßig dünnen weißen Rüsche umgeben war. An der alterswelken Hand trug die Dame einen sehr auffallenden breiten, vielverschnörkelten Goldring. René sah es, als er die Hand küßte.
Er begrüßte auch Hortense, die wie immer in königlicher Haltung, schön gekleidet, den Mittelpunkt einer Gruppe bildete. Aus diesem Kreis zog Wallwitz ihn fort.
„Lilly will Dich sehen,“ sagte er.
Wallwitz schien auf den ersten Blick der typische Lieutenant, mit seiner schlanken Taille, den breiten Schultern, dem vorschriftsmäßig friserten Blondhaar und dem blonden Schnurrbart im rötlichen Gesicht. Seine blauen Augen waren nicht von Brauen überwölbt, aber das scharf vorspringende und abschneidende Stirnbein ließ doch den Eindruck der Fadheit nicht aufkommen, die fehlende Brauen leicht hervorrufen.
Bei näherem Zusehen bestätigte auch Wallwitz die Thatsache, daß es keine Typen giebt, und daß selbst der gleiche Bildungsgang, der gleiche Ideenkreis, die gleiche Tracht nicht die Spuren der Persönlichkeit zu verwischen vermögen.
[715] Wallwitz schwärmte sehr für Musik und, bei völliger Unkenntnis der Klassiker, natürlich einseitig für Wagner, in dessen Werken er die Motive kannte und mit einer prompten Genauigkeit bezeichnen konnte, als ständen sie im Dienstreglement. Natürlich wurde der Ballabend auch mit dem Marsch aus „Tannhäuser“ eingeleitet, den die Regimentsmusik in einem Nebenzimmer blies.
Unter den Klängen desselben ward René zu dem Fräulein von Wallwitz geführt. Als Lilly den Bruder mit dem Hofkapellmeister herankommen sah, ließ sie ihre Freundinnen und Kavaliere stehen und ging den Männern entgegen.
„Nun endlich!“ sagte sie, „es war sehr unartig, daß Sie uns Sonntag vor acht Tagen einfach sitzen ließen.“
René entschuldigte sich und sah ihr gerade ins Gesicht. Es erging ihm wie allen Leuten: die dunkle Lücke in dem weißen Gebiß zwischen den roten vollen Lippen fiel ihm sogleich auf. Aber ihm war, als gäbe der kleine Schönheitsfehler dem hübschen Antlitz einen pikanten Reiz.
„Ich habe Ihnen die Polonaise und den Kotillon aufbewahrt,“ erklärte sie, „denn ich dachte mir, daß Ihre Unterhaltungsgabe größer sein würde als Ihre Tanzkunst.“
René war an Entgegenkommen gewöhnt, aber dies franke und starke schmeichelte ihm doch ein wenig, besonders auch, weil es ihm von einer verzogenen Dame der ersten Gesellschaft gezeigt ward. Hinter den Coulissen, vermöge des dort herrschenden freien Tons und im Bewußtsein seiner Machtstellung als Dirigent, hätte ihn diese Art und Weise ganz gleichgültig gelassen.
„Lilly hat sich in der Genfer Pension eine erschreckliche Dreistigkeit angewöhnt,“ sagte Wallwitz, der immer noch nicht wußte, ob er sich über sie beunruhigen sollte oder ob er lachen dürfte.
„Wahrscheinlich täuschen Sie sich, gnädiges Fräulein. Ich tanze sehr gern und danke Gott, wenn man nicht die soziale Frage mit mir lösen oder sonstige Bildungsfunken aus mir herausschlagen will. Aber jedenfalls danke ich Ihnen für die Bevorzugung,“ meinte René.
„Bloße Neugier,“ sagte sie lachend und sah ihn mit ihren unruhigen, goldflimmernden Augen so durchdringend an, daß ihm ein wenig schwül ward.
Der Tannhäusermarsch war beendet und jetzt begann die Polonaise. Wallwitz stürzte davon, um Sibylle Lenzow zu holen, mit welcher er den Ball eröffnen und den Reigen anführen wollte. (Fortsetzung folgt.)
Russische Steppenhexen in Nordamerika.
In den Prairiestaaten der nordamerikanischen Union klagt man seit einigen Jahren bitter über eine Hexeneinwanderung und sucht die fremden Hexen mit allen möglichen Mitteln auszurotten. Kein Wunder; denn diese Hexen schädigen aufs empfindlichste die Ernten und machen in verschiedenen Gegenden den Getreidebau geradezu unmöglich. Und das besagt viel; denn die Prairien sind längst keine gesegneten Jagdgründe mehr, in denen man unzähligen Herden von Büffeln begegnen könnte; sie sind zum großen Teil in Ackerland verwandelt worden und der Ackerbau bildet die Hauptbeschäftigung der Bewohner. Gerade in diesen Gebieten liegen die großartigen Farmen, die ihren Reichtum an Korn mit erdrückender Wucht auf den Weltmarkt schleudern, und seit dem Jahre 1887 marschiert das Prairieland Dakota, was die Weizenerzeugung anbelangt, an der Spitze aller Staaten der Union. Kein Wunder also, daß die Farmer der Prairien denen, die den Getreidebau bedrohen, unversöhnlichen Haß entgegenbringen!
Nun, diese neueste Hexenverfolgung kann man mit dem besten Gewissen billigen, denn jene Steppenhexen sind keine unschuldig verleumdeten Weiber, sondern Pflanzen, die zu dem gefährlichsten Unkraut auf Gottes Erde zählen.
Ihre Heimat sind die weiten Steppenländer Rußlands und Westasiens. Dort trieben sie seit jeher ihr wundersames Spiel, und auch in Deutschland hat dieser und jener, der sich für die Botanik interessiert, von ihnen gehört; denn sie zählen zu den Pflanzen, welche in höchst eigenartiger Weise die Kraft des Windes ausnutzen, um ihren Samen überall hin zu verbreiten. Mit dieser Eigenschaft sind viele Pflanzen ausgerüstet; auch in unserer heimatlichen Flur erzeugen viele Arten befiederten Samen, und auf Schritt und Tritt können wir bei uns zu Lande beobachten, wie im Sommer und Herbst der Unkrautsamen auf den Flügeln des Windes vom Wegrand auf Felder und in Gärten getragen wird.
Man kennt aber noch andere Vorrichtungen, durch welche verschiedene Pflanzenarten den Wind für ihre Verbreitung dienstbar machen. In dürren Ländern wächst eine Art Wegebreit, Plantago cretica, die im Frühling dicht über dem Erdboden Büschel steif aufrechter blütentragender Stengel treibt. Zur Zeit der Reife krümmen sich diese Stengel uhrfederförmig nach abwärts und reißen durch den Druck, den sie dabei ausüben, die kurze Pfahlwurzel aus dem trockenen Boden. Nun bildet die verdorrte Pflanze einen runden Ballen, der in seiner Mitte die vollen Fruchtkapseln birgt. Durch Windstöße wird der Ballen fortgeweht, rollt weit über den Boden hin, bis er in irgend einer Vertiefung liegen bleibt. So fegt der Wind den Samen über das Land.
Andere Steppenpflanzen besitzen gleichfalls die Eigenschaft, daß ihre Stengel, die Blüten tragen und Samen reifen, im Herbst sich zu Ballen oder kugeligen Gebilden zusammenrollen. Ihre Wurzeln werden jedoch dabei nicht aus dem Boden gerissen, sondern der Stengel fault nach eingetretener Reife am Wurzelhalse ab und die samentragenden Ballen werden dadurch frei und ein Spiel des Windes. Die Steppen Rußlands beherbergen eine Anzahl verschiedener Arten solcher Pflanzen, der Wind jagt die Ballen auf dem ebenen Boden umher; oft schließen sich einzelne zu größeren Haufen und Kugeln zusammen, die in Ausnahmefällen sogar die Größe eines Heuwagens erreichen können. Das Jagen und Rollen solcher Gebilde durch die Steppe macht in der That einen eigenartigen, gespenstischen Eindruck und das Volk hat sie darum auch „Windhexen“ oder „Steppenhexen“ genannt.
Es war im Jahre 1889, als im Leinsamen, der aus Rußland bezogen wurde, auch Samen einer dieser Pflanzen, der Salsola kali, nach Süddakota eingeführt und hier arglos ausgesät wurde. Das Unkraut ging auf und der Prairieboden Amerikas sagte ihm außerordentlich zu. Mit Staunen beobachteten die Farmer diese Fremde auf ihrem Boden, die wegen ihres stachligen Aussehens bald für eine Kaktusart, bald für eine Distel gehalten und jenseit des Oceans allgemein „russische Distel“ genannt wurde. Man war über das Erscheinen des neuen Unkrauts nichts weniger als erfreut, aber man unternahm auch keine Schritte zu dessen Vertilgung, da man keine Ahnung hatte, wie verderblich es werden sollte. Die „russische Distel“ reifte also auf dem Boden der Neuen Welt und nun begannen die Steppenhexen den Tanz im Winde durch die zum großen Teil baumlosen Prairien. Die reifen Ballen maßen 30 cm bis 1½ m im Durchmesser, jeder von ihnen enthielt Tausende und Hunderttausende Samenkörner; nichts konnte ihrem Vordringen eine Schranke setzen, sie stürmten hügelaufwärts, stürzten hinab in die Thäler, setzten über Gräben, Bäche und Flüsse, über Zäune und Dörfer und nach Jahr und Tag brachten die Steppenhexen unsägliches Leid über viele Farmen Dakotas. Die Felder waren durch das Unkraut verseucht und die russische Distel machte selbst die Ernte des verunreinigten Feldes unmöglich, da sie die Mähe- und Dreschmaschine verstopfte und zum Stillstand zwang. Nun ging man mit aller Energie ans Ausrotten, aber diese Arbeit erwies sich furchtbar schwierig, denn das Unkraut ist zäh. Selbst wenn es tief untergepflügt wird, so kommen die Schößlinge durch die dicke Erdschicht doch zum Vorschein und einige wenige überlebende Pflanzen sorgen für eine neue Verbreitung des Samens. Der Schaden, den das Unkraut bis jetzt angerichtet hat, ist sehr bedeutend. Von verschiedenen Seiten schätzt man ihn auf die gewaltige Summe von 80 Millionen Mark. Das mag eine Uebertreibung sein, ebenso wie die Behauptung, daß die Steppenhexen in den Prairiestaaten den Ackerbau unmöglich machen werden. Die Thatsache steht aber fest, daß in vielen Gegenden die Farmer den Getreidebau einstellen mußten. Dabei schreitet die Steppenhexe erobernd vor. Sie hat nicht nur ganz Dakota überzogen, sondern ist auch in Minnesota, Missouri, Iowa und Nebraska erschienen.
Wir möchten wünschen, daß es bald gelinge, diesen eigenartigen Kulturfeind zu bezwingen. Für alle Fälle aber ist der Verheerungszug des Steppenunkrauts jenseit des Oceans äußerst lehrreich und kann allen Landwirten als Warnung dienen.
Daß Pflanzen aus fremden Ländern ohne Absicht des Menschen verschleppt werden können, ist ja längst bekannt. Es ist nicht einmal nötig, daß ihr Samen mit fremdem Saatgut eingeführt wird. Er kann auch an anderen Stoffen haften. So wandern verschiedene Spitzenklettenarten mit der Wollindustrie durch die Länder, andere tauchen an den Abladeplätzen der Häfen und Eisenbahnstationen auf. Wie eigenartig mitunter die Wege sind, auf welchen fremde Pflanzen sich verbreiten, lehrt die Geschichte des Chrysanthemum suaveolens in Thüringen. Ursprünglich wurde es im Botanischen Garten zu Jena gepflegt, von dort breitete es sich in der Umgegend aus. Im Jahre 1887 trat es auf dem Schützenplatze in Greiz in größeren Mengen auf und benutzte fortan das Zelttuch der Schaubuden, um von Schützenplatz zu Schützenplatz zu gelangen. Mit der Zunahme des Verkehrs, mit dem wachsenden Austausch der Güter zwischen fernen Weltteilen wächst auch die Leichtigkeit der Verschleppung. Auch die Pflanzen begnügen sich heutzutage auf ihren Wanderungen nicht mehr mit natürlichen Mitteln, sie benutzen, um ihren Samen zu verbreiten, nicht nur Wind und Welle, nicht nur das Vließ der Tiere und das Gefieder der Vögel, sondern auch den Dampf, setzen zu Schiff über den Ocean und fahren Eisenbahn. Oft begrüßt der Naturfreund mit Freuden die Fremden, wenn sie, wie die elegante aus Chile stammende Gauklerblume, den heimatlichen Blumenflor erhöhen. Aber nicht immer kann man den Einwanderern trauen und der Landwirt handelt gut, wenn er beim Auftreten eines verdächtigen, in der Gegend bis dahin unbekannten Unkrauts sich über die Natur desselben bei Botanikern unterrichtet. Wissenschaftliche Institute nehmen solche Mitteilungen gern entgegen, bestimmen die fremden Pflanzen und geben bereitwillig die gewünschte Auskunft. [* ]
[716]
„Bhüat Gott auf die längere Zeit!“
Der Herr Lieutenant von Baumhart im königlichen ersten bayrischen Jägerbataillon zu München und sein Bursche, der Gürtler-Franz von der Fraueninsel im Chiemsee, waren – sozusagen – gute Freunde. Das will heißen: als der Herr Lieutenant noch ein Bub’ war wie ein andrer auch, hatten seine Eltern Jahr um Jahr viele Wochen der herbstlichen Freizeit auf jenem poesievollen Linden-Eiland verbracht und der junge Herr hatte beim Fischen – mit der Grundangel auf der „Hachel“ – und bei nicht immer ganz jagdpolizeilichem Jagen auf Stockenten am „Ganszipfel“ jeden Herbst den Gürtler-Franzl als besten Gehilfen, Genossen, Mitschuldigen und so denn als Freund gewonnen und erprobt.
Wie lustig war’s, nach erfolgreichem Fischfang mit dem Senknetz, sich vom Ostwind heimtreiben zu lassen an das Ufer beim Gürtlerhäusel, das, von Kletterrosen und anderm Gerank anmutig umhegt, von den aus dem See gefischten steinernen Bildsäulen des heiligen Petrus und Paulus bewacht wird: – wie es Freund Scheffel so reizvoll beschrieben hat.
Aber auch ernstere Erlebnisse verbanden die beiden Heranwachsenden. Als der Franzl sich beim Besteigen des Hochfelln beinahe „derfalln“ hätte, sprang der junge Theodor rasch bei, warf sich auf die Erde, reichte beide Arme hinab und zog ihn herauf mit äußerster Gefahr, von dem Schwereren hinab gerissen zu werden. Und als im nächsten Jahr der rasende Südwest den Einbaum der beiden Knaben in das Geklipp von Chieming trieb und der Herr Theodor, da sein Ruder brach, kopfüber in den weiß-grün schäumenden Gischt hinausstürzte, da warf sich der Franzl ohne Besinnen nach in die tobende Flut, haschte den Versinkenden und half ihm wieder in den Kahn. So waren sie quitt, vorläufig.
Allmählich waren nun aus den Buben junge Leute geworden: aber die alte Freundschaft blieb unverändert und auch als der Franzl in die Compagnie des Herrn Lieutenants eintrat, seine drei Jahre abzudienen, dauerte unter den nun durch Stellung wie durch Bildung so scharf Getrennten doch eine Art von Kameradschaft fort: – wenigstens unter vier Augen; mußte auch der Offizier, wahrlich nicht aus Hochmut, nur um der Disciplin willen streng darauf sehen, daß in Gegenwart Dritter jedes Zeichen solcher Vertraulichkeit unterblieb.
Dem guten Franzl ward es freilich nie ganz klar, weshalb der „Thedi“, der, wann sie allein waren, selbstverständlich ihn duzte und sich duzen ließ, so zornig ward, falls sein Bursche dies auch in Gegenwart anderer Offiziere oder Soldaten fortsetzte; und noch ärger war ihm, daß der Thedi dann auch ihn mit „Sie“ anredete; oft drehte er sich hierbei um und sah, wer denn eigentlich damit gemeint sei. Auch das „Zu Befehl, Herr Lieutenant“ statt des altgewohnten „Ja, ja, da feit si nix“Da fehlt sich nichts. ging ihm schwer ein, dem Franzl. Und noch manch andere chiemgauische Redewendung kam ihm nicht aus der Uebung.
Eines Abenbs hatte der Herr Lieutenant seine beste Uniform angezogen und sich sorgfältig vor dem Spiegel das braune Haar gescheitelt. Der Franzl stand dabei, machte ein verschmitztes Gesicht und reichte ihm nun den Säbel zum Umschnallen.
„Bhüt Dich Gott, Franzl. Und wenn jemand nach mir fragt, so sag nur, ich sei bei ...“
„Dem Herrn General von Hanberg und Familie.“
„Woher weißt Du das?“ fragte der Offizier verwundert.
„A mei, Thedi! Dumm bin i scho. Aber so dumm, daß i dös nit mirk, so dumm san mer do nit auf der Insel.“
„Wieso? Was moanst? ... was willst Du damit sagen?“ verbesserte sich der Lieutenant, ein wenig rot im Gesicht.
„Geh, g’stell Di do nit so, Herr Leitnampt. Schau, alleweil,. bal’s di gar so schö scheitelst, nacher gehst zu den saubern Generalstöchterl mit de schena blau’n Augn und die gelben Haar. Is a schön’s Dirndl. G’wiß is wahr. Und bal’s zu der gehst, nacha bhüat Di Gott auf die längere Zeit!“
Jetzt sehr erhitzt im Gesicht, fuhr der Herr den Burschen an: „Franzl, Du sakrischer Kerl, i sag Dir, ich rate Ihnen, daß Sie sich wie viele andre unpassende Reden auch dies verfluchte ‚bhüat Gott auf die längere Zeit‘ abgewöhnen. Es ist das höchst unpassend für Sie und mir gegenüber.“
„A mei, Herr Thedi. Das D’ jetzt a so sagst! Es hört’s ja koa Mensch da! Und auf der Hachel hamm mer ...“
„Wir sind nicht auf der Hachel! Und schau, Franzl,“ schloß er gutherzig, „wenn Du Dir’s nicht abgewöhnst, wann wir allein sind, kannst Du’s auch vor andern nicht lassen. Und das geht doch nicht. Sixst es denn gar nit ein?“
„Ja, ja, dös sich i scho. Da feit si nix ...“
„‚Zu Befehl‘, mußt Du sagen. Erst neulich hat’s der Herr Hauptmann gehört, wie Du Du zu mir gesagt hast, und hat mich gescholten, daß ich’s leide, und Dir Arrest gedroht. Also nimm Dich zusammen!“
„Ja, ja, is ja recht. Feit si ... Zu Befehl, Herr Leitnampt.“
Lange waren die drei Dienstjahre des Franzl um. Er hatte geraume Zeit auf der Insel dem Vater geholfen beim Fischen, ja zuletzt dem alten Mann, dem die Gicht in den Beinen und in den Händen stak, die Arbeit ganz abgenommen: die im See und die zu Land in der Feldwies, wo das Gürtlerhaus ein paar saure Wiesen besaß.
Aber so viel Zeit ließ Fischen und Mähen dem Franzl doch, daß er gar oft am Abend in das Metzgerhäusl in Hoamgarten ging und dort am Herdfeuer seine alten Netze flickte, während die nußbraune Metzger-Nanni neben der alten Basen am Spinnrocken saß.
Und wenn die Waben[1] manchmal in die Kuchl ging, nach der magern Brennsuppen für das Nachtmahl zu sehen, und wieder herein kam, dann war es sonderbar, daß weder der Flachswocken am Spinnrad kleiner, noch das Loch im Senknetz schmaler geworden war: wohl aber hatte die Nanndl einen Kopf so rot wie die Nelke hinter ihrem Ohr.
Aber einmal an einem schwülen Julinachmittag kam der Franzl zu ganz ungewohnter Stunde an das Metzgerhaus gelaufen und schrie laut – gegen seine sonstige Weise: – „Nanndl! Waben! Metzger! Gschwind geht’s außi. Gschwind!“
Und als die drei Gerufenen hastig und erschrocken auf der Steintreppe, die zur Hausthür hinanführt, erschienen, sprang der Bub’, seinen Stock und sein Packl, das er zusammengeschnürt hatte, fallen lassend die Stufen alle mit Einem Satz hinan, packte die Nanndl mit beiden Händen an beiden Wangen und küßte sie dreimal rasch nacheinander auf den Mundt – zum sprachlosen Erstaunen ihres Vaters, und allerdings zu geringerem der Waben.
„Ja, Franzl, hat Di der Deifi?“[2] grollte der Alte.
„Wird scho so sein, Metzger. Krieg is, der Napoleon, der Sakraschwanz, hat angfangt. Eingrufn sam mer alle samm. Alls muaß fort, auf Mincka[3]. Das Dampfschiff ... hörst es? Da pfeift’s scho. Woaß Gott, i muaß lafn. Aber – i hab’s do der Nanndl sagen müassen. Und Dir a, Metzger, bal i g’sunt hoam kimm, na wirt glei gheirat. Jetzt, Nanndl, bhüat Di Gott auf die längere Zeit!“
[717]
Auf dem Bahnhof zu München war alles voll von Solbaten; auch Civilisten drängten heran, soweit es die rings aufgestellten Posten verstatteten, die Einschiffung des Regiments mit anzusehen, scheidenden Freunden noch einmal die Hand zu drücken: – manchem wohl zum letztenmal.
Mit frohem Mut, mit lautem Hurra sprangen die letzten Schützen in die Wagen, die sich nach grellem langen Pfiff der Lokomotive schon langsam in Bewegung setzten: die Zurückbleibenben schwenkten die Tücher: die Soldaten winkten mit den Händen aus den offenen Wagenfenstern: endlich rollte der gewaltige Zug davon.
„No,“ rief da ziemlich wehmütig der Franzl, „jetzt, Minckaner Stadt, – jetzt bhüat Di Gott auf die längere ...“
„Wollen Sie wohl das dumme Gerede lassen, Gefreiter,“ grollte die barsche Samme des Hauptmanns. „Sie machen ja die Leute abergläubisch. Maul halten!“
„Siehst Du, Franzl,“ mahnte der Lieutenant. „Ich hab’ Dir’s immer gesagt. Jetzt versprich mir, daß Du das Wort nicht mehr brauchst. Versprich’s. Gieb mer d’ Hand drauf!“
„No, meintwegen, da feit si ... zu Befehl, Herr Leitnampt.“
Sechs Wochen später war’s – am 1. September. Heiß tobte der Häuserkampf in Bazeilles.
Zum drittenmal besetzten die Ersten Jäger das Eckhaus gegenüber der Kirche: zweimal hatten sie’s schon genommen, zweimal wieder räumen müssen, um nicht von der mit Uebermacht vorstoßenden Infanterie des Generals von Wimpfen, der hier seinen letzten Durchbruchsversuch machte und die Bayern in die Maas werfen wollte, abgeschnitten und gefangen zu werden.
Jetzt – es war mittag 11 Uhr – brachen die stark gelichteten blauen Scharen wieder von dem Garten der Villa Beurmann vor, auf den offenen Platz vor der Kirche: sie stürzten in das blitzende und donnernde Verderben hinein: der dunkle Qualm des brennenden Hauses, der hellweiße des Pulvers wogten durcheinander, man sah oft nicht zwei Schritt weit.
Krachend schlugen der Franzl und ein anderer Jäger die Thür des Eckhauses mit den Kolben ein, an ihnen vorüber sprang der Lieutenant mit geschwungenem Säbel als der erste über die Schwelle: kein französischer Soldat war in dem Hausgang sichtbar; nur zwei Civilisten, der eine im schwarzen Rock, der andere in der blauen Bluse standen links und rechts in den Thüren der beiden Vorderzimmer des Erdgeschosses.
„Pardon, Herr Offizier,“ riefen beide in ihrer Landessprache. „Harmlose Bürger und ohne Waffen. Es ist nicht ein französischer Soldat in dem Hause.“
Aber im selben Augenblick fiel von oben, von der Treppenbiegung her, ein Schuß:t die blaue Uniform eines Marinesoldaten ward sichtbar da oben.
Der Lieutenant wandte den Civilisten den Rücken und sprang eine Stufe hinan. „Ergebt Euch da oben!“ rief er. „Das Haus ist genommen.“
Er beugte sich vor, die unverständliche Antwort, die herunter scholl, deutlicher zu vernehmen.
Da holte der Blusenmann leise aus der Brustfalte eine Pistole und hielt sie dicht hinter den Kopf des Offiziers. „Schaug auf, Thedi!“ schrie der Franzl, sprang vor und stieß dem Blaukittel das Bajonett in die Brust.
Aber im selben Augenblick schoß der andere Civilist aus einem verborgen gehaltenen Revolver dem Franzl in die Schläfe ... Der Lieutenant stach den Meuchler nieder; dann kniete er neben Franzl, während die Jäger die Treppe hinauf stürmten und dort die Soldaten gefangennahmen. „Franzl,“ rief der Offizier, „Franzl! Wo – wo bist Du verwundet?“
„Da“ – sprach der Sterbende – auf den Kopf deutend. „Es is aus! – Bals d’ hoam kimmst, grüß die Nanndl – im – Metzgerhaus – und jetzt – bhüat Gott auf die längere Zeit!“
Chauvinismus in französischen Schulbüchern.
Seit dem für Frankreich so unglücklichen Kriege von 1870 hat sich in den Herzen der gedemütigten Franzosen ein tiefer Groll gegen die vorher so geringschätzig behandelten und nun so überlegen sich erweisenden Deutschen festgesetzt. Die „Revanche“ wurde zum politischen Bekenntnis weiter Kreise und zu einer beständigen Gefahr für den Frieden Europas. Dank der Schlagfertigkeit des deutschen Heeres und der weisen Bündnispolitik des Deutschen Reiches durften bis jetzt die französischen Heißsporne nicht wagen, den Krieg von neuem vom Zaune zu brechen. Ein Vierteljahrhundert lang wurde der Friede nicht gestört und vielfach giebt man sich der Hoffnung hin, daß unter dem Einfluß der Zeit der leidenschaftliche Haß und das Rachegelüst unserer Nachbarn sich legen und mäßigen werden, daß das neue heranwachsende Geschlecht sich geneigter zeigen werde, im Interesse des Weltfriedens, zum Wohle der Menschheit im besseren Einvernehmen mit dem deutschen Nachbar zu leben. Hier und dort gewahrt man auch Anzeichen, die für die Möglichkeit einer solchen Wandlung zu sprechen scheinen; bei der leichten Erregbarkeit des französischen Temperaments wäre es aber thöricht, schon heute solche Zukunftshoffnungen zur Richtschnur unseres politischen Handelns zu machen. Der Chauvinismus, [718] über dessen Ursprung und Wesen die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1892, S. 248, einen größeren Aufsatz gebracht hat, steht ja jenseit der Vogesen nach wie vor in Blüte und er wendet sich nicht nur an Erwachsene, sondern er beeinflußt auch die Jugend, er macht sich in der Schule breit und nährt in französischen Kinderherzen den blinden Haß gegen alles, was deutsch ist, und das tolle Verlangen, baldigst Rache für Sedan zu nehmen.
Wohl kann man auch bei uns es begreiflich finden, daß die Schulbehörden und Lehrer Frankreichs nach dem verhängnisvollen Kriege die Vaterlandsliebe bei der Jugend, auf der doch die Zukunft der Nation beruht, zu steigern suchen, daß sie die Wiedergewinnung der verlorenen Provinzen als erstrebenswertes Ziel hinstellen; aber daß sie die jugendlichen Köpfe systematisch mit ungerechtem Haß gegen die Deutschen zu erfüllen suchen, daß sie Schulbücher ausgeben, in denen der Feind, der Prussien, neben dem „edlen“ Franzosen als ein blutdürstiger und grausamer Barbar geschildert und die historische Wahrheit, bloß um Rachedurst zu entzünden, einfach auf den Kopf gestellt wird, das ist nicht zu entschuldigen und zeigt in bedenklicher Weise, wie sehr auch heute noch der gallische Sinn zu Uebertreibung, Lüge und gefährlicher Selbstüberhebung geneigt ist.
Auf den folgenden Spalten soll an einer Reihe von Beispielen gezeigt werden, in welcher Beleuchtung die Deutschen in den französischen Schulbüchern seit 1870 erscheinen. Hauptsächlich kommen hierbei die Schullesebücher und Geschichtsabrisse in Betracht; aber auch die Leitfäden des sogenannten Enseignement moral et civique liefern interessanten Stoff. Unter enseignement civique, „bürgerlichem Unterricht“, der durch Gesetz vom 28. März 1882 obligatorisch in allen Volksschulen Frankreichs eingeführt ist, versteht man eine in den deutschen Schulen noch fehlende systematische Unterweisung über die politische, administrative und gerichtliche Organisation des Landes, über die Rechte und Pflichten der Staats- und Gemeindebürger. Der enseignement moral ist an Stelle des früheren Religionsunterrichts getreten. Die meisten derartigen Bücher sind mit Geschick verfaßt und es steht viel Wissens- und Lobenswertes darin. Sobald aber die Rede zufällig oder beabsichtigt auf den letzten Krieg, auf Elsaß-Lothringen oder die Deutschen kommt, ist von sachlicher Ruhe, von gerechter Beurteilung selten mehr die Rede; chauvinistische Gehässigkeiten wechseln ab mit sentimentalen Klagen, Fest steht in diesen Schulbüchern zunächst der Satz, daß es von den Deutschen ein himmelschreiendes Unrecht war, den Franzosen Elsaß-Lothringen zu entreißen, und daß diese Provinzen wieder zurückerobert werden müssen. Niemals aber begegnet man der geschichtlichen Thatsache, daß diese Länder doch urdeutsch sind. In dem für Volksschulen geschriebenen, vielgebrauchten Leitfaden von Burdeau, „Devoir et Patrie“ (Paris, Picard und Kaan) heißt es Seite 148 kurz und stolz: „Ein Teil Frankreichs befindet sich gegenwärtig unter fremder Gewalt. Aber die ganze Welt weiß, daß wir entschlossen sind, eines Tages unsere bedrückten Brüder zu befreien; und die Geschichte lehrt, daß Frankreich schließlich stets seine Bedrücker verjagt hat!“ – In demselben Schulbuche wird S. 138 bis 143 erzählt, wie ein pflichttreuer französischer Grenzaufseher, Namens Kasper, in den Vogesen von „preußischen“ Schmugglern erschossen wird, nachdem er im Kampfe bei der Ausübung seiner Pflicht selber zweien seiner Angreifer den Garaus gemacht hat. Die sentimental zugestutzte Geschichte, die in der Nähe von Hoheneck und der „Schlucht“ spielt und im Jahre 1878 sich zugetragen haben soll, schließt damit, daß der verwaiste Sohn Kaspers durch die Fürsorge des Staates eine Freistelle im Gymnasium zu Saint-Dié erhält, wo er sich durch Fleiß und Tüchtigkeit in der Klasse wie im Schulbataillon auszeichnet. Als der vierzehnjährige Knabe sein Exerciergewehr, ein richtiges Soldatengewehr, erhält, betrachtet er es erfreut und spricht wie für sich hin: „Da bist du endlich, mein Gewehr. Wir beide wollen nicht vergessen, was wir zu thun haben: es gilt, den Grenzaufseher Kasper zu rächen“ – und nun kommt ein kühner, aber bezeichnender Gedankensprung – „es gilt, die Grenze wieder dahin zu verlegen, wo sie nie hätte aufhören sollen zu sein, da drüben an den Rhein! Ja, lieber Vater, die preußischen Schmuggler sollen nicht lange mehr ihr meuchelmörderisches Gewerbe auf den Höhen der „Schlucht“, in unserem Elsaß treiben!“
Die Elsässer, die früher von den Franzosen stets über die Achsel angesehen wurden und eine beständige Zielscheibe der Pariser Witzblätter waren, sind nach dem Kriege plötzlich zu Hätschelkindern geworden, nach denen Mutter Frankreich sich halb krank sehnt. Man bedauert die Armen, die, von den „rohen Preußen“ ihrer Freiheit beraubt, seit ihrer Lostrennung vom schönen Frankreich angeblich ein trauriges Leben führen. Auch das Herz der Schuljugend soll von Mitleid und Grimm über das Los der geknechteten Brüder erfüllt werden. Daher werden für die Schulbücher wunderbare Geschichten erfunden und ausgewählt. So wird in Burdeaus Buche „Devoir et Patrie“ (S. 43–47) von einem kleinen Elsässer die rührende Geschichte erzählt, wie sein französischer Dorfschullehrer Monsieur Hamel das letzte Mal feierlich Schule hält, nachdem von Berlin der Befehl gekommen, daß in den reichsländischen Schulen nur noch deutsch unterrichtet werden soll; und wie der alte Mann, der nun vertrieben wird, am Schulschluß, während gerade eine Abteilung Preußen mit Musik unter den Fenstern vorüberzieht, vor innerer Bewegung keines Wortes mächtig, mit großen Lettern als Abschiedswort Vive la France an die Schultafel schreibt. Ein Bild veranschaulicht die Scene.
In einem anderen illustrierten Schulbuche, in Rocherolles „Les secondes lectures enfantines“ (Paris, Armand Colin), dessen Titel mit „Lesebuch für Kinder, 2. Stufe“ zu übersetzen wäre, wird geschildert, wie ein kleiner Elsässer, der arme kleine Fritz aus Straßburg, von seiner Heimat losgerissen als neuer Schüler der Schule zu Beaumont still und traurig, gleichsam verwaist im Spielkreise seiner Kameraden dasteht und immer sehnsüchtig an seine verlorene Vaterstadt, an sein Elsaß zurückdenkt.
Auch auf Bilderbogen wird für die Kinder gelegentlich die „elsaß-lothringische Frage“ behandelt. Unter der Ueberschrift „La tache noire“ (der schwarze Fleck) wird z. B. auf einem solchen Bilderbogen (Imagerie artistique, Série 1, No. 10, Paris, A. Quantin) zu Nutz und Frommen der französischen Knaben wörtlich folgendes vorgeführt: „Zwei kleine Mädchen verlassen ihr in die Gewalt der Preußen gefallenes Heimatland: Johanna, die größere, ist Lothringerin und die kleine Marie kommt aus dem Elsaß. Sie haben einen weiten Weg gemacht und ihre Füße sind recht müde. Sie setzen sich weinend auf einen Steinhaufen, um ein wenig auszuruhen. Da kommen zwei Schulknaben lesend und lernend vorüber. Sobald sie die Mädchen erblicken, treten sie heran und fragen nach der Ursache ihres Kummers. Johanna erzählt ihnen: die Preußen haben uns verjagt; wir sind allein auf der Welt und wir wollen die Franzosen um Schutz bitten. – Wir werden euch beschützen und euch rächen, antworten Jakob und René. Alsdann nehmen sie die Mädchen mit. Im Dorfe angekommen, führt Jakob dieselben in das Schulzimmer vor die Karte von Frankreich. – Betrachtet diesen schwarzen Fleck, spricht er zu ihnen, das ist euer Heimatland; es muß wieder französisch werden! – Von diesem Tage an verbrachte Jakob, der Sergeant im heimischen Schulbataillon war, seine freie Zeit mit Exerzieren. Man hätte die Trommler und Pfeifer an der Spitze des Bataillons sehen sollen! Man hätte den Sergeanten Jakob sehen sollen, wie er seinen Säbel gleich einem wirklichen Offizier zog! Man hätte die Mädchen sehen sollen, die in Reih’ und Glied marschierten, denn sie hatten Marketenderinnen und Krankenpflegerinnen sein wollen. Sie grüßten militärisch wie jeder andere und marschierten im Schritt, ohne je einen falschen Tritt zu thun. Schließlich entschied Jakob, der mit seinen Soldaten zufrieden war, daß es Zeit sei, den schwarzen Fleck wegzunehmen und die verlorenen Provinzen zurückzugewinnen. Er that es mit seinem Säbel in Gegenwart Johannas, der Lothringerin, und Mariens, der Elsässerin. (Das dazu gehörige Bild zeigt, wie er die schwarzschraffierte Stelle, welche auf der Schulkarte Elsaß-Lothringen vorstellt, mit seinem Säbel weiß kratzt, so daß sie nun die Farbe des benachbarten Frankreichs hat.) Die Tricolore wurde auf den so wiedergewonnenen Städten Metz und Straßburg aufgepflanzt; und die wackeren kleinen Soldaten, die zu allem entschlossen sind, kreuzten das Bajonett, um ihr Heimatland zu schützen. Mögen die Preußen kommen, sie werden erfahren, mit wem sie es zu thun haben. Es lebe Frankreich!“ –
Mit Vorliebe wird in den französischen Lesebüchern französische Großherzigkeit und Heldenhaftigkeit preußischer Brutalität gegenübergestellt, und zwar, wie man leider annehmen muß, gegen besseres Wissen. In Burdeaus Volksschulbuch „Devoir et Patrie“ wird auf Seite 71 erzählt, wie im Jahre 1871 der bayrische Festungskommandant von Ingolstadt den von ihm bewachten französischen Kriegsgefangenen aus Raubgier die Hälfte ihrer Lebensmittel und alle ihre Kohlen stiehlt. Die biedern Franzosen [719] sind natürlich ärgerlich darüber, revoltieren und zünden ein Paar Baracken an. Dafür läßt sie der bayrische Wüterich von den Wällen herab durch seine Soldaten niederschießen und die Metzelei dauert bis zum Eintritt der Nacht. Zwei der Kriegsgefangenen, darunter derjenige, der die Geschichte erzählt, wollen sich in der Dunkelheit aus ihren Verstecken durch die Flucht retten. Dem Erzähler glückt dies; sein Kamerad aber, der kein guter Turner ist und keinen Aufzug gelernt hat, vermag nicht eine Wallmauer zu erklimmen und wird von den Deutschen erschossen.
Die Geschichte wird lediglich zu dem Zwecke erzählt, die Vorteile des Turnens zu zeigen; daß dabei ganz ohne Not die Ehre deutscher Offiziere in hämischer Weise mit Kot beworfen wird, ist dem französischen Verfasser kein Bedenken gewesen; ganz im Gegenteil! Es steckt eben Methode in solchen Lügen, die nun jährlich von vielen tausend französischen Schulknaben mit Schauder und Grimm als wahr gelesen werden. Es steht ja gedruckt da und er hat’s gesagt, der Lehrer! – Der Erzähler Burdeau ist übrigens kein anderer als der 1894 verstorbene Minister und Kammerpräsident Aug. Burdeau, der 1870 selbst als Kriegsgefangener aus Deutschland geflohen ist.
In dem ebenfalls für Volksschulen bestimmten illustrierten Leitfaden „L’instruction civique“ von Paul Bert, in einem Buche, das, weil es sehr radikal ist, von der katholischen Kirche auf den Index gesetzt worden ist, aber doch wohl in vielen Schulen gebraucht wird, heißt es auf Seite 27: „Als 1871 die Preußen uns Elsaß-Lothringen genommen, haben sie daselbst zuerst die mannigfaltigsten Abscheulichkeiten begangen und jetzt noch wird es von ihnen ungefähr wie eine deutsche Provinz (!) behandelt, nur noch etwas härter, weil sie sich von den Bewohnern des Landes verabscheut wissen.“ Auf einer nebenstehenden Abbildung, welche die Unterschrift „Grausamkeiten des Krieges“ trägt, sieht man, wie eine Abteilung preußischer Soldaten auf Befehl ihres Offiziers ein händeringendes Weib erschießen; mehrere andere Opfer liegen schon niedergestreckt am Boden. – Paul Bert war Professor an der Sorbonne in Paris und hat auch vorübergehend den Posten des Unterrichtsministers inne gehabt.
Unter der Ueberschrift „Ein heldenmütiges Bauernmädchen“ wird in dem Lesebuche von Ch. Lebaigue (Le livre de l’école, cours préparatoire; Paris, Belin) S. 103 folgendes erzählt:
„Während des Krieges von 1870 war ein Bauernmädchen als Hüterin eines bei Metz gelegenen Meierhofes allein zurückgelassen worden. Eines Tages wird das Haus von einer Rotte bayrischer Soldaten besetzt. ,Du wirst meine Fragen beantworten,‘ sagt der Offizier zu ihr. ,Vor zwei Stunden ist ein französisches Regiment hier durchgezogen: nach welcher Seite hat es sich gewendet?‘ Das junge Mädchen erbleicht; dann antwortet es nach kurzem Zaudern: ,Ich bin Französin, ich darf Euch nicht sagen, was den Franzosen Verderben bringen kann.‘ – ‚Wir werden Dir schon Dein Geheimnis zu entreißen wissen,‘ versetzt der Deutsche wütend. Und indem er sich an seine Truppe wendet, ruft er: ‚Soldaten, führt sie in den Hof und stellt sie an die Mauer!‘ Der Befehl wird ausgeführt und sechs Mann stellen sich auf, bereit, auf den ersten Wink ihres Führers Feuer zu geben. ‚Jetzt,‘ sagt dieser, ‚wirst Du reden.‘ – Das junge Mädchen schwieg. – ‚Zum zweitenmal befehle ich Dir, sprich!‘ – Sie schwieg. – ‚Zum drittenmal, sprich!‘ – Sie schwieg. – ‚Soldaten, Feuer!‘ Und das heldenmütige Mädchen sank, von den Kugeln durchbohrt, nieder.“
Auch hier wird in einem beigegebenen Bildchen die grausame Scene den jugendlichen Lesern möglichst anschaulich gemacht. Als Quelle wird die Pariser Zeitung „Le petit Journal“ genannt. Wie wenig man aber von der Glaubwürdigkeit solcher Quellen zu halten hat, ergiebt sich schon aus dem Umstande, daß dieselbe Geschichte in anderen Schulbüchern in ganz anderer Form wiederholt wird, so z. B. in einem der illustrierten Lesebücher von M. Guyau (La première année de lecture courante. Paris, Armand Colin). Hier trägt das Lesestück die Ueberschrift „Verschwiegenheit während des Krieges“. Die Soldaten werden als Preußen bezeichnet, das Mädchen wird mit Namen genannt, Susanne Didier; die ganze Darstellung ist farbenreich und auf starken Eindruck berechnet.
Kein Wunder, wenn durch Vorführung solcher Lesestücke die kritiklose Schuljugend von stillem Ingrimm und Haß gegen die Deutschen erfüllt wird. Der schon mehrfach erwähnte Burdeau scheint sich dessen voll bewußt gewesen zu sein und an der Stelle seines Buches, wo er von der Menschenliebe, von der Feindesliebe spricht, sucht er sich durch einige sophistische Wortklaubereien mit seinem Gewissen abzufinden.
„Wie,“ so läßt er einen der Schüler den nach sokratischer Weise unterrichtenden Lehrer unterbrechen, „wie, Herr Lehrer, wir sollten also auch die Preußen, die Bayern, alle jene Deutschen lieben, die so mit Mord und Brand in Frankreich gehaust haben und welche die elsaß-lothringischen Franzosen noch jetzt so viel leiden lassen?“ – Darauf antwortet der Lehrer: „Allerdings könnt Ihr nicht diejenigen lieben, welche die Franzosen bedrücken. Immerhin sind es Menschen. Sie haben Euch Eure elsaß-lothringischen Brüder gestohlen; es gilt, alles zu deren Befreiung vorzubereiten. Aber wenn Ihr später so glücklich gewesen seid, dieses große Werk zu vollbringen, so dürft Ihr nicht den Feinden Böses mit Bösem vergelten wollen. Nein, man muß versuchen, einen guten Frieden zu schließen, der den alten Haß auslöscht und von dem die ganze Menschheit Vorteil hat. Jedes Volk hat ja seine besonderen guten Eigenschaften. Man muß also alle respektieren, unter der Bedingung, daß sie zuerst Frankreich respektieren.“ Und in dieser Weise redet der Lehrer bei Burdeau noch eine gute Weile fort.
Nachdem an den vorstehenden Beispielen hinlänglich gezeigt worden ist, welch plumper oder ungerechter Mittel sich in Frankreich die einzelnen Verfasser der Volksschulbücher bedienen, um Deutschenhaß und Rachedurst im Herzen der französischen Jugend zu entflammen, soll nicht unausgesprochen bleiben, daß hier und da in diesen Büchern auch der wahre, echte Patriotismus, frei von verblendeter Leidenschaft, einen beredten Ausdruck findet. Wie aber selbst in gemäßigten und hochgebildeten Kreisen über die „elsaß-lothringische Frage“ gedacht und wie dieselbe den Zöglingen mittlerer und höherer Schulen dargestellt wird, darüber möge uns folgendes Beispiel belehren, das wir dem Geschichtsabriß „Histoire générale“ von Ernest Lavisse (Paris, Armand Colin) entnehmen:
„Die Soldaten, Kanonen und Festungen kosten viel Geld. Deutschland hat 500 Millionen für Festungen ausgegeben und Frankreich noch mehr. Jedes Jahr kostet das französische Heer 600 (?) Millionen. Viele Leute meinen, daß dieses Geld besser verwendet würde, wenn man Wege, Brücken, Schulen damit baute und vor allem die Steuern herabsetzte. Daher wünschen sie, daß sich die Völker dahin verständigen möchten, abzurüsten oder doch wenigstens minder zahlreiche und kostspielige Heere zu unterhalten. Andere sagen, daß die civilisierten Völker Europas nicht mehr wie die Wilden gegeneinander kämpfen dürften und daß etwaige Streitfragen durch europäische Gerichtshöfe geschlichtet werden müßten, so wie die Bewohner Frankreichs ihre Rechtsstreitigkeiten durch die französischen Gerichtshöfe zum Austrag bringen ließen. Vielleicht wird die Zukunft diesen Leuten recht geben, die Gegenwart giebt ihnen unrecht. Wir in Frankreich müssen wünschen, daß unser Heer sehr stark sei, daher müssen wir alle gute Soldaten sein: das ist unsere nationale Pflicht. Frankreich bedroht niemand mehr. Seit es sich selbst regiert, führt es keine Eroberungskriege mehr. Eroberungskriege entstehen aus Ehrgeiz und erscheinen uns verwerflich. Aber es giebt auch gerechte Kriege, die man gegen die Ungerechtigkeit geführt hat. Der Vertrag, der die Elsaß-Lothringer gezwungen hat, wider ihren Willen Deutsche zu werden, ist eine Ungerechtigkeit.“
Wenn auch anzuerkennen ist, daß in den letzten Jahren die feindselige Spannung in Frankreich etwas nachgelassen hat und die Freunde des Völkerfriedens sichtlich an Boden gewonnen haben, so werden bei solcher Erziehung des heranwachsenden Geschlechts die Franzosen noch lange nicht über die angebliche „Ungerechtigkeit“ des Frankfurter Vertrags zur Ruhe kommen; auch in ihren Schulbüchern nicht und werden noch lange ihre chauvinistischen Anschuldigungen und Hetzereien wiederholen. Und so lange heißt es für uns, eines jähen Ausbruchs des so unvernünftig geschürten Hasses gewärtig sein! Mit dieser Möglichkeit müssen wir rechnen und bei aller Friedensliebe bereit sein, einen uns etwa aufgedrungenen Krieg mit voller Rüstung und Kampfbereitschaft aufzunehmen, damit die durch höchsten Aufwand unserer Volkskraft in furchtbaren Schlachten zurückgewonnenen deutschen Lande, Elsaß und Lothringen, dem Vaterlande niemals wieder geraubt werden.
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Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck verboten.
Sturm im Wasserglase.
(8. Fortsetzung)
Die Sonne brannte schon am Morgen heiß auf den Schloßgarten hernieder.
Der Kies der Wege blendete grell; von dem mit leichtem Dunst überzogenen Himmel hoben sich dunkel der Walpurgisberg, die graue Kevernburgruine ab. Durch die entlegensten Gänge stürmte Eichfeld. Hier kam doch zuweilen ein frischer Hauch über die Mauer von der Feldluft, durch das schmiedeeiserne Gitterthor drang das Flüstern der Erlen und Weiden, die draußen den kleinen Graben begleiteten, der die Wässerchen entführte, die drinnen in Bassins und Grotten ihre Künste machen mußten.
Er hatte diese Nacht gemeint, ersticken zu müssen. Und dabei sich nicht rühren dürfen, ohne die Witze des neben seinem Zimmer wohnenden Kammerherrn zu wecken.
Von seinen Gefühlen hin und hergeschleudert, glaubte er dem Wahnsinn nahe zu sein.
Die Lösung des Rätsels, das ihm Kiliane einst aufgegeben, hatte ihn wie ein Donnerschläg getroffen. Bei dem Gedanken daran stieg ein heißer Quell von Liebe in seinem Herzen auf.
Reue übermannte ihn wegen seiner Roheit gegen sie. Er mußte ihre Verzeihung zu erflehen suchen.
Dann sah er wieder die blitzenden schwarzen Augen des Husaren im koketten Spiel mit ihrem Lächeln und Fächerwinken – wie konnte sie ihm das thun, wenn sie je einen Funken von Neigung für ihn gehabt hatte? O nein; nie gab sie ihm einen kleinen Beweis von Liebe, nie! Verspottet, verhöhnt hatte sie ihn, sein Herz mit Füßen getreten!
Sein Fuß stockte. Hölle und Teufel! Dort vor dem Marstall führt ein Reitknecht einen Schimmel umher. Das Blut schießt ihm in den Kopf, daß er einen Augenblick alles rot sieht. Die Hand ballt sich.
Mit ein paar Sätzen ist er im Schloß, fliegt die Treppe hinauf nach den Wohnungen der Hoffräulein.
„Mort de ma vie!“ tönt ihm die Stimme des Husarenoffiziers entgegen, „glaubt das Fräulein den Rittmeister von Krainsberg an der Nase führen zu können?“
„Aber das Frölen leidet am Herzschlag,“ wehrt Fieke ab, „und kann den Herrn nicht sprechen.“
„Mille tonnerres! Ich habe mich gestern angemeldet und gedenke, nicht lange zu antichambrieren,“ lautet die ungeduldige Entgegnung. „Sage Sie dem Fräulein, der Rittmeister von Krainsberg werde – “
„Sofort dem Kammerjunker von Eichfeld Rechenschaft geben, was er hier im Schloß zu kommandieren hat,“ fällt der auf der Treppe auftauchende Konrad atemlos vor Wut ein.
Krainsberg fährt herum! „Was hat der Herr hier hinein zu reden?“
Sie stehen sich gegenüber, glühend, mit den Blicken sich durchbohrend.
Die Thür von Kilianes Zimmer geht auf. Sie erscheint, verweint, noch im weißen Morgenkleid, die Hände erhebend.
Die jungen Männer sehen sie gar nicht, stieren nur einander an.
Sie wirft sich zwischen sie; doch die Wütenden stoßen sie zurück, daß sie taumelt, stürmen fort, den Korridor entlang.
Kiliane will ihnen nach.
Da klafft plötzlich die Wand. Ein Schatten wie ein schwarzer Strich liegt über ihrem Weg.
Severin steht vor ihr. „Da spießen sich Zwei dem Fräulein zu Ehren auf.“ Die sonst so bestrickende Stimme klingt ihr wie scharfes Schlangenzischen.
Und doch ringt sie in der Todesangst die Hände zu ihm empor. „Kann niemand helfen?“
„Helfen kann nur das Fräulein selbst,“ flüstert er.
„Wie? um der Barmherzigkeit willen, wie?“
„Wenn Sie dem Beispiel der frommen Gertrudis folgen,“ ist seine Antwort.
Sie zuckt zusammen. Da ist das Schicksal, das sie umgarnt hatte, und nun seine Ringe zusammenschließt. Wie bei einer Ertrinkenden ziehen in einem Augenblick alle Erinnerungen an ihr vorüber, die ihr heilig sind: die Mutter, die ihr am Martinsabend ein buntes Lichtchen anbrannte; deutlich hört sie die ehrwürdige Stimme ihres Vaters singen: „Erhalt’ uns Herr bei Deinem Wort.“
„Ich kann nicht,“ ächzt sie.
Severin lauscht hinab, während seine Augen sie wie in eisernen Klammern halten. „Sie stürmen in den gelben Saal. Sie haben es eilig, sich den Garaus zu machen.“
„Nehmt das Opfer hin,“ schreit sie auf. „Ich kann, ich will Konrad nicht sterben sehen.“ Und wie tot fällt sie vor ihm nieder. – Besinnungslos vor Zorn hatte Eichfeld die Thür zum gelben Saal aufgerissen.
Sie fuhren hinein. Nur allein sein, nur so schnell als möglich die Sache zur Entscheidung bringen.
Sie standen sich gegenüber, über die Schulter die Blicke einander zugewendet, die Hand am Degengriff – es war schon die Fechterstellung.
„Hat der Herr Kammerjunker ein Anliegen an mich?“
„Hat das der Herr Rittmeister endlich begriffen?“
„Herr!“
„Herr!“
Die Klingen sausten aus der Scheide. Keiner dachte mehr daran, wo er war.
Da blendete plötzlich ein Lichtstrahl ihre Augen. Er kam vom Spiegel, der sich herumwirbelte. Fieke stürzte aus der dunklen Höhlung.
„Um Gotteswillen, zu Hilfe! Das arme Frölen! Ja, sehen die Herren mich nur an! Sie sind schuld daran, daß das arme gute Herz eingesperrt wird. Eben hat sie der lange Schwarze fortgeführt. Sie geht ins Kloster, weil sie ihren Konrad nicht sterben sehen will.“ Sie weinte laut auf.
„Was sagst Du da?“ schrie Konrad, sie am Arm schüttelnd.
„Weil sie Ihn nicht sterben sehen will,“ wiederholte Fieke. „Laß Er mich los. Ich bin nicht verrückt und habe es selbst gehört. Aber Er ist verrückt und der rote Krebs da. – Ach, ich fürchte mich gar nicht, nicht einmal vor Märten, und was ist das für ein Kerl! – Der lange Severin hat mich in die Wand geschoben und gezischt: ,Die Treppe hinab! Wo Sie wieder mit der Nase vor die Wand rennt, dreht sich der Spiegel im gelben Saal. Da haben sie sich am Kragen. Bring’ Sie die Botschaft den beiden Narren‘ – mit Respekt zu vermelden. Dann faßte er sie an der Hand: ‚Folge das Fräulein mir zur Frau Fürstin!‘“
„Ins Kloster, weil sie mich nicht sterben sehen will,“ murmelte Eichfeld, der sich, noch ganz betäubt, auf seinen Degen stützte.
„Ins Kloster?“ rief Krainsberg, starr vor Staunen.
Die Thür öffnete sich. Hofdamen und Herren glitten herein, wunderlich noch in Pudermänteln, ohne Perücken. In den Gesichtern neben der gebotenen höfischen Bestürzung: Neugier, Schadenfreude.
„Endlich hat sich der Plagegeist selbst gefangen,“ sagte voll unverhohlener Bosheit der erste Kammerherr. „Nun wird man ihr die langen blonden Haare abschneiden, mit denen sie bis Mittag herumkokettierte.“
Die Oberhofmeisterin keuchte atemlos herein. „Sie ist eben in die Kapelle geschlossen worden und soll dort bis morgen im Gebet bleiben.“
Der Stallmeister flog an der offenen Thür vorüber. „Ich muß den Reisewagen in Bereitschaft setzen,“ rief er halblaut in den Saal; „morgen geht’s ins Kloster nach Erfurt.“
Eichfeld fuhr empor. „Niemals,“ kam es hallend von seinen Lippen, „so lange ein Atemzug in meiner Brust ist.“
„St!“ klang es ringsum, und alle Reifröcke machten eine Achtelsschwenkung von ihm fort.
Eichfeld lachte auf. „Was frage ich nach der Ungnade?“
„St!“ ging es wieder durch den Saal. Rings erhobene Hände, entsetzte Gesichter.
Verstört sagte Krainsberg, dessen Eifersucht durch den unerhörten Vorgang niedergeschlagen worden war: „Ich werde um Verzeihung bitten, daß ich mich hier im Schloß vergessen habe
[721][722] und Fürsprache einlegen für das Fräulein“ – er hielt innc und horchte auf.
In die augenblickliche Stille tönte ein dumpfes fernes Rollen. Er stürzte an das Fenster. „Diantre! In der Stadt wird Lärm geschlagen. Was ist los? Und ich bin nicht im Quartier. Wo ist mein Pferd?“ Jetzt war er nur noch Soldat.
Er rannte fort. Ein paar Herren folgten ihm.
Er trug ihnen auf, seinen Abschied der Frau Fürstin zu vermelden. Wenn es möglich wäre, wollte er wiederkommen, für das Fräulein Fürbitte einlegen, dem Kammerjunker jede Satisfaktion geben.
Die letzten Worte verschlang der rasende Hufschlag des davonjagenden Schimmels.
Eichfeld ging festen Schrittes der Thür zu.
Da öffnete sie sich, und der Oberhofmeister trat herein mit strenger Miene, den Stab in der Hand: er kam im Dienst. „Ihre Durchlaucht befehlen dem Kammerjunker von Eichfeld, sich sofort auf der Neidecke in Arrest zu melden.“
Er neigte steif den Kopf und ging wieder, und wie Gespenster entschwanden auch die heiteren Kavaliere, die graziösen Dämchen: denn Ungnade steckt an wie die Pest.
Mit trotzig zusammengezogenen Brauen hatte Eichfeld dem Oberhofmeister gegenübergestanden. Als er aber jetzt nachwollte, hielt ihn Fieke fest.
„Sei Er kein Narr! Wenn Er auch die erbärmliche Hofschranze zusammenkuranzen kann, so rufen sie die Gardisten und machen Ihn gar zum Mönch. Denn Er ist kein Märten! Der freilich schert sich um keine Hofordnung, hätte den Hofmarschallstab mit zwei Fingern zerbrochen, den Mönchen den Hals umgedreht – nur so! Nee, und wenn ich mir denken sollte, Märten ginge ganz schafig in Prison, nur weil es die alte Hopfenstange gesagt hat!“ Sie lachte höhnisch auf. „Geh Er lieber statt in Arrest mit mir zu Superintendents! Vielleicht weiß Hochehrwürden Rat. Und das muß ich sagen: wir auf dem Pfarrhof haben Courage. Ich will die Hinterthür im Garten auflassen, damit Ihn niemand sieht. Also packe Er sein Felleisen! Ich muß auch fort. Wenn ich auch um den Polterabend gekommen bin, die Hochzeit kann ich nicht im Stich lassen.“ Sie schnürte ihr Bündel und machte sich auf den Weg.
Eichfeld stürmte nach seinem Zimmer. In seinen Schläfen hämmerte das Blut. Noch vermochten seine fiebernden Gedanken nirgends einen Ausweg zu finden.
In halber Betäubung packte er seinen Mantelsack; die ihm noch übrig gebliebenen Goldstücke barg er in der Brusttasche; achtlos flogen die Karten zu Boden, zwischen denen sie herumrollten.
Dann warf er sich auf ein Pferd und jagte gleichfalls der Stadt zu. – Durch die Fenster des Treppenhauses sahen Timotheus und Severin ihm nach, während sie langsam zu ihren Zellen hinaufschritten.
In Severins Augen funkelte Triumph.
Timotheus schüttelte den Kopf. „Lieber Bruder, wir sind hierher gesendet, um einer fürstlichen Frau geistlichen Beistand zu leisten, Du insbesondere, um ihrer harmlosen Beschäftigung die Weihe Deiner Kunst zu geben. Aber nicht liegt uns ob, um eines profanen Frauenzimmers willen uns in die Händel eines Husaren und eines Kammerjunkers zu mischen und vielleicht darob die ganze Landschaft in Aufregung zu versetzen. War es klug, wie Du gehandelt hast?“
„Darf man in solchem Falle nach der Klugheit fragen?“ erwiderte Severin schroff.
Ruhig, jedoch mit einem Blick, unter dem Severins Augen abirrten, fuhr Timotheus fort: „Wenn nicht nach der Klugheit, dann nach den Gründen, welche Dich und sie zu dieser Handlungsweise trieben. Werden sie bestehen vor dem Herrn? Es ist nicht das Schicksal der frommen Gertrudis, das sich hier wiederholt. Was dort ein reines Opfer war, ist hier eine Lüge um irdischer Leidenschaft willen. Und vermagst Du zu behaupten, daß Dein Thun von der menschlichsten Schwäche, der Eigensucht, frei war?“
„Eigensucht?“ fuhr Severin auf.
„Es ist auch Eigensucht,“ entgegnete Timotheus fest, „wenn wir etwas, das wir selbst nicht besitzen dürfen, einem andern nicht gönnen, ihm zu entreißen trachten.“
Das bleiche Gesicht des jungen Mönches wurde aschfahl. Er wandte sich mit einer zuckenden Bewegung ab.
Sie waren an ihren Zimmern angelangt.
Timotheus blieb stehen. Eindringlich sprach er: „Wenn Du der Frau Fürstin sagen wolltest, daß Dir Zweifel an dem Beruf des Fräuleins zum geistlichen Stand gekommen wären, so würde sie sich überzeugen lassen. Es ist weiser, einen übereilten Schritt zurück zu thun, als weiter eine Bahn zu verfolgen, auf welcher uns statt Segen Unheil erwachsen kann.“ Er begab sich in seine Zelle.
„Niemals!“ kam es zwischen den zusammengebissenen Zähnen Severins hervor, während er mit hartem Griff seine Thür zudrückte.
Je näher Krainsberg der Stadt kam, um so lärmender schallte ihm das Trommelwirbeln entgegen.
Schon sah er einzelne Züge der Grenadiere abziehen.
Der Major hielt auf dem Sammelplatz. „Zum Teufel! Wo steckt Er? Der Befehl zum Rückzug, den wir kommen sahen, ist eingetroffen. Die Agnaten des fürstlichen Hauses haben Einspruch gegen die Besetzung erhoben und ihre guten Dienste zu neuen Verhandlungen angeboten. Wir müssen heute noch die Landschaft räumen. Die Artillerie rückt jetzt aus. Er mit den Husaren bildet die Nachhut. Aber Er hat einen Herrn des Geheimen Rates mitzubringen als Geisel, einen in schwarzburgischen Sachen erfahrenen Mann, von dem Auskunft zu erlangen ist. Nach den Informationen, die ich eingezogen habe, ist der Sekretarius Struve geeignet dazu. Da ist das Schreiben, das Ihn legitimiert. – Allons, Kinder!“ wandte er sich an die nach und nach abziehenden Kanoniere.
Krainsberg war bei dem Namen Struve zurückgefahren. Aber Widerspruch gab es nicht.
Er jagte nach dem Halteplatz der Husaren. „Eine Kutsche requirieren! Ein Wachtmeister und sechs Kerls folgen mir!“
Am Struveschen Haus, das sie eben verlassen hatten, ritten sie wieder vor.
Da that sich die Thür auf, und der Herr Sekretarius trat heraus im Bräutigamsstaat mit goldbrokatener Weste und Sammetrock angethan, Hals und Hände von Spitzenwerk umkräuselt, den Hut in der Hand, auf der Allongeperücke den grünen Kranz. Er begab sich zur Hochzeit.
Dem jungen Offizier war es ganz zuwider, daß er die genossene reiche Gastfreundschaft auf solche Weise vergelten mußte. Aber wie ging es ihm?
Die reizende Kiliane war ihm aus den Händen gespielt worden, er wußte nicht, wie, eine Beleidigung hatte er einstecken müssen, der Major hatte ihn angeschrieen.
Und da ging ganz geruhig der Umstandsrat und wollte Hochzeit machen mit der stöckischen Demoiselle, die ihn so obstinat behandelt hatte!
Er schwang sich ab und klirrte auf ihn zu.
„Pardon! Wenn ich dem Herrn Sekretarius ungelegen komme, schreibe Er es Seiner Herrschaft zu, die Ihn nicht schützt. Er soll mir sofort nach Weimar folgen als Geisel.“
Struve sah ihn, eine Erklärung fordernd, an.
Der Blick peinigte Krainsberg. „Mille tonnerres! Ich bin selbst nicht genau informiert. Aber schon gestern wurde davon gesprochen, daß in Weimar ein Bote angekommen sei von dem Erbprinzen Günther, der sich zu Verhandlungen anbietet, um einen gütlichen Vergleich mit annehmbaren Vorschlägen zustande zu bringen. Da er der nächste Erbe ist, hofft man auf seine Vermittelung und zeigt sich ihm willfährig.“
Einen Augenblick stand Struve sprachlos. Er hatte sich gesagt, daß sein eigenmächtiger Schritt für ihn schlimme Folgen haben könnte. Und er war nach der Warnung, die gestern durch den Kantor Bach an ihn gelangte, gefaßt auf hereinbrechendes Mißgeschick. Aber das Schicksal knüpft die Fäden immer so, daß es auch einen mit Voraussicht begabten Menschen überrascht. Am Tage, da das Land durch die Hilfe frei wurde, die er mit Ueberschreitung seiner Befugnisse herbeigerufen hatte, wanderte er in die Gefangenschaft.
An seinem Hochzeitstage! Sein Opfermut wurde auf eine starke Probe gestellt.
Aber Magdalene! Preisgegeben dem ungeheuren Aufsehen, verlassen, da sie schon den Kranz auf dem Haupt trug!
[723] Ein bitterer Schmerz durchzuckte ihn bei dem Gedanken.
Märten, der ihm die Thür geöffnet hatte, war mit einem Schritt vor den Offizier getreten. „Struve geht nicht nach Weimar! Der macht heute Hochzeit!“
Der Säbel des Offiziers zuckte empor.
Eine Flamme fuhr aus Märtens rötlichen Wimpern. „Fang’ Er nur an!“ Und die beiden Fäuste ballten sich.
„Abgesessen!“ kommandierte Krainsberg, bei dem die verhaltene Wut zum Ausbruch kam.
Die Husaren umgaben klirrend Märten.
In den Augen des jungen Riesen sprühte es auf; man sah ihm die Freude an der Keilerei an.
Aber Struve trat kaltblütig dazwischen. „Wenn Du mein Freund sein willst, Märten, dann gieb Ruhe. Zeige mir der Herr Rittmeister Seine Ordre!“
Er las. Dann sagte er gemessen: „Ich füge mich der Gewalt. Aber ich protestiere feierlich gegen diese durch kein Gesetz gerechtfertigte Willkür.“ Dann wandte er sich an Märten: „Du weißt, was Du zu thun hast, damit mein Haus nicht zu Schaden kommt, und Du wirst der treueste Hüter sein!“
Er nahm den Kranz ab. „Bringe ihn meiner Braut und sage ihr, sie solle ihn wohl verwahren bis zu der Stunde, wo wir zusammen vor den Altar treten.“
Krainsberg winkte dem heran rasselnden Wagen. „Steige Er ein! Es geht gleich fort!“
Da hob der Riese die Hand zum Himmel. „Und Struve macht doch heute Hochzeit, so wahr“ – ein grimmiger Vlick schoß aus seinen Augen – „so wahr ich der Sohn des Rädleinsführers bin!“
„Märten!“ rief Struve erschrocken.
„Ich hab’s gesagt!“ antwortete Märten rauh.
Der junge Offizier kehrte ihm den Rücken. Struve stieg in den Wagenkasten. Die Lederklappen an den Seiten wurden geschlossen, und in der Mitte der Husaren ging’s fort, zum Thor hinaus. –
In der Oberkirche löschte der Kirchner die Altarkerzen; der Kastenknecht schloß die mit einer Guirlande geschmückte Pforte ab.
Die Feuer in der Küche des Hochzeitshauses brannten nieder.
Märten hatte den Kranz behutsam, als könnten seine starken Finger ihn zerdrücken, auf die lange gedeckte Tafel gelegt und seinen Auftrag ausgerichtet. Dann war er auf der Bank im Hof, in tiefe Gedanken versunken, sitzen geblieben.
Die Gäste standen entsetzt in den Zimmern umher. Die Männer schüttelten mit finstern Mienen über die Gewaltthat die Staatsperücken. Die Mütter, deren Gesichter sorgenvoll unter den Brabanter Kanten ihrer Hauben hervor schauten, jammerten.
Die Brautjungfern flüsterten zusammen.
„Es hat doch sein Gutes, wenn der Bräutigam wie ein bescheidenes Veilchen im Verborgenen blüht,“ zischelten die auf den Subkonrektor Hoffenden.
„Euer Auserwählter hat sich auch durch etwas Geschriebenes hervorgethan! Wer weiß, was Euch bevorsteht!“ warnte eine andere hinter ihrem Fächerchen.
Justizienrats Christelchen strich zufrieden die Falten ihres Kleides aus seidenem Chagrin glatt. Es gab doch noch eine Gerechtigkeit im Himmel. Laut sagte sie: „Der arme Struve! Der kommt in ein Verließ, wo Ratten und Kröten hausen.“
Auf dem Kanapeechen saß die Braut, das verweinte Gesicht an die steile Lehne gedrückt. Wie zu Hohn und Spott knisterte der goldgelbe mit Blumen durchwirkte Damast ihres prächtigen Kleides zu dem leisen Ringen der Hände.
Jetzt richtete sie sich auf. „Ich will nach! Ich will mit in das Verließ“ sagte sie entschlossen.
„Lenchen!“ riefen die Brautjungfern, „Du bist ja noch nicht getraut!“
„Der Feldprediger, der mit den Soldaten ritt, mag uns trauen, meinetwegen vor der Trommel,“ war die entschiedene Antwort.
„Gott behüte uns in Gnaden!“ sagte ihre Mutter. „Hat denn das Kind den Verstand verloren? Lenchen, bedenke doch die Wohlanständigkeit!“
Da war es, als zerrisse Magdalenens Seele enge Bande. „Ach, was ist die Wohlanständigkeit,“ rief sie mit schwingender Stimme, „wenn der Mann, den wir lieben, in Gefahr ist?“
Ihre Mutter machte ein Ende. Sie dankte allen Gästen für die bewiesene Teilnahme und komplimentierte sie hinaus.
Als sie von den Letzten sich verabschiedet hatte und aufatmend, wenigstens der Sorge um die Gäste enthoben zu sein, in die Stube zurückkehrte, war zur Hinterthür ein neues Unglück herein gekommen.
Vor ihrem Eheherrn standen Fieke, laut klagend, und der Junker von Eichfeld, leichenblaß, mit beschwörend erhobenen Händen.
„Das ist das Ende von allen Leichtfertigkeiten,“ sagte streng Olearius. „Mit Mordgewaffen sind sie auf einander losgegangen, um sich gegenseitig niederzustechen wegen einer Liebelei! Und dann wirft diese leichtfertige Person ihren Glauben von sich wie ein unbequemes Kleid.“
Der Junker stand tief gebeugt vor ihm, einen flehenden Blick richtete er auf den strengen Seelenhirten.
„Aber Hochehrwürden,“ sagte Fieke, „das Frölen that es ja nur, damit die beiden sich nicht anspießten. Sie brachte sich zum Opfer, wie es in der wächsernen Geschichte bei Hofe genannt wurde. In der Angst war keine andere Hilfe da; nur der lange Mönch.“
„Warum geht der Junker nicht zum Kanzler? Dem steht das Hoffräulein doch am nächsten,“ fragte die Superintendentin.
„Ich bin nicht vorgelassen worden,“ preßte Eichfeld heiser heraus. „Er ließ mir sagen, man könne nichts thun; seine Nichte sei mündig.“
„So will ich hinaus nach der Augustenburg gehen und um eine Audienz bitten,“ sagte Olearius entschlossen.
„Er wird nicht vorgelassen werden,“ entgegnete Eichfeld. „Kann das Konsistorium nicht mit Gewalt einschreiten?“
Olearius schüttelte den Kopf. „Dergleichen muß seinen Geschäftsgang gehen. Ich werde sofort eine Sitzung des Konsistoriums anberaumen,“ setzte er hinzu, nach seinem Zimmer hinaufsteigend.
Eichfeld sah nach der Uhr. „Es wird zu spät,“ stöhnte er.
Fieke hatte alle nach der Reihe angesehen, zwar mitleidig, aber zugleich – war es denkbar? – fast geringschätzig.
Dann drehte sie sich um, ging hinaus zu Märten, und alsbald begann ein Getuschel zwischen beiden.
„So ist kein Mensch auf der Welt, der mir beisteht, zu meinem lieben Christian zu kommen?“ jammerte drinnen Magdalene laut auf.
Eichfeld rang die Hände.
„Keiner, der mir hilft?“Da that Fieke die Stubenthür auf. Gebückt schritt Märten herein.
Dann richtete er sich zu seiner Riesenhöhe auf.
Fieke trat vor und schwenkte die Hand triumphierend gegen ihn, während sie hochmütig auf die andern herabsah.
„Da ist er.“
(Fortsetzung folgt.)
Blätter und Blüten.
Andreas Achenbach, der ruhmgekrönte deutsche Landschaftsmaler,
hat nunmehr auch sein 80. Lebensjahr in gesunder Frische und ungebrochener
Schaffenskraft zurückgelegt. Die „Gartenlaube“ hat bei Gelegenheit
seines 70. Geburtstages (vergl. Jahrgang 1885, S. 654 u. f.)
Anlaß genommen, den Lebenslauf des Künstlers uud seine Verdienste
eingehend zu schildern und sein Bildnis zu bringen. Es ist damals schon
hervorgehoben worden, welchen bedeutenden Anteil Andreas Achenbach
an dem Aufschwung Düsseldorfs als Kunststadt des Rheinlands gehabt
hat, und neben vielen Ehrungen von seiten derselben ist ihm überdies
die Ernennung zum Ehrenbürger Düsseldorfs zu teil geworden. Auch der
Geburtstag des Künstlers wurde jetzt von der ganzen Stadt als
allgemeiner Festtag begangen. Schon am Tage vorher, am 28. September,
prangten die Straßen in Fahnen- und Guirlandenschmuck, abends war
Illumination und gleichzeitig ein Fackelzug, zu dem sich Bürgerschaft und
Künstlerschaft vereinigt hatten und der in einer Ovation vor der Wohnung
des Jubilars gipfelte. Einen intimeren Charakter hatte die sich daran
schließende Festlichkeit in den schönen Räumen des „Malkastens“, zu
welcher sich zahlreiche Vertreter von anderen deutschen Kunststädten
eingefunden hatten, die dann am nächsten Morgen im Hause des Jubilars
an der offiziellen Beglückwünschung teilnahmen. Da Andreas Achenbach
in Düsseldorf auch bereits seinen ersten künstlerischen Studien obgelegen
hat, ist vielfach die Meinung verbreitet, er sei auch in ihr zur Welt
gekommen. Die Vaterstadt des Malers aber ist Kassel. Auch diese hat
seinen 80. Geburtstag nicht vorbeigehen lassen, ohne ihn zu ehren. Die
dortigen Stadtbehörden haben aus diesem Anlaß beschlossen, an seinem
Geburtshause eine Gedenktafel anzubringen.
[724] Auguste Viktoria-Heim zu Eberswalde. Die Zahl der Stätten, in
welchen Krankenpflegerinnen ausgebildet werden, ist erfreulicherweise um
eine neue vermehrt worden. Der Verband der Vaterländischen Frauenvereine
der Provinz Brandenburg hat am 1. Oktober d. J. zu Eberswalde
ein Mutterhaus zur Ausbildung von Krankenpflegeschwestern des Roten
Kreuzes eröffnet. Die neue Anstalt, die sich an das eigene Krankenhaus des
Vereins anschließt, erhielt den Namen Auguste Viktoria-Heim. In ihm
können Frauen und Jungfrauen im Alter von 20 bis 36 Jahren die
Krankenpflege praktisch und theoretisch erlernen. Die Lehrzeit beträgt
mindestens ein Jahr und die Ausbildung geschieht unentgeltlich bei freier
Wohnung und Kost. Bleiben die Krankenpflegerinnen nach bestandener
Prüfung im Dienste des Verbandes, so beziehen sie neben freier Wohnung,
Kost uud Dienstkleidung ein angemessenes Gehalt. Weitere Auskunft
erteilen die Oberin des Auguste Viktoria-Heims oder die Frau
Gymnasialdirektor Dr. Klein in Eberswalde, an welche Damen auch die
Anmeldungen zu richten sind. *
Ein Wort für unsere Stubenvögel. Wiederum liegt uns ein
Büchlein vor, auf das wir die Aufmerksamkeit unserer Leser lenken
mochten, weil es nicht nur zweckmäßig, sondern auch billig und darum
weitesten Kreisen zugänglich ist. Friedrich Arnold, der vor einiger Zeit
in der bekannten „Universal-Bibliothek“ von Philipp Reclam ein Büchlein
über die Pflege des Kanarienvogels hat erscheinen lassen, giebt in
demselben Verlage eine Sammlung kleiner nützlicher Schriften unter dem
Gesamtitel „Unsre einheimischen Stubenvögel“ heraus. Das erste Bändchen
ist vor kurzem erschienen, und es behandelt „Kerbtierfressende Sänger“.
Wir finden in demselben nahe an dreißig dieser anmutigen einheimischen
Vogelarten berücksichtigt: eine liebenswürdige, klangreiche Gesellschaft, in
der die Nachtigall den Reigen eröffnet und der Kuckuck den Schluß bildet.
Bei „großen“ Vogelliebhabern, die viele Stubenvögel halten und ihre
Volieren haben, erfreuen sich diese Vögel einer zweckmäßigen Pflege, denn
solche Liebhaber sind nicht nur Vogelfreunde, sondern auch gute Kenner
der Vogelpflege. Wie oft aber gelangt eine Grasmücke, ein Rotkehlchen
oder eine Meise in den Besitz von Leuten, die nur einen Vogel als
Stubengenossen halten können und die von den Bedürfnissen der Vögel
ganz und gar nicht unterrichtet sind! Da hapert es an Pflege und
Ernährung, und das arme Vöglein geht allmählich zu Grunde. Wegen eines
einzigen Vögleins kaufen die weniger Bemittelten nicht ein Buch über
Vogelpflege, das einige Mark kostet, aber zwanzig Pfennig für einen
guten gedruckten Ratgeber kann wohl jeder Vogelbesitzer anlegen. Die
kleine Ausgabe wird gute Zinsen tragen, denn das Büchlein bringt auch
vielfache Belehrung über das Freileben unsrer einheimischen Sänger und
fördert die Kenntnis unsrer schönen deutschen Vogelwelt. Darum sei es
den „kleinen“ Vogelfreunden angelegentlich empfohlen. *
Vom Münchener Volkstrachtenfest. (Zu den Bildern S. 709 und 713.) Allenthalben im deutschen Lande macht sich seit einigen Jahren eine Bewegung geltend, die mit schönem Eifer bestrebt ist, alles, was sich an alten guten Bräuchen im Volksleben erhalten hat, vor dem Untergang zu schützen und neu zu beleben. Ganz besondere Erfolge hat diese Bewegung im schönen Bayernlande aufzuweisen, das von alters her so reich ist an mannigfaltigen alteingewurzelten Sitten, Festen und Trachten, welche die Eigenart seiner echt deutschen Volksstämme zu lebensvollem Ausdruck bringen, und in welchem schon seit langem die Kunst viel dazu beigetragen hat, die Freude an altem Brauch und alter Tracht lebendig zu erhalten. In allen Bezirken des Landes, vor allem freilich in denen des Hochgebirgs, sind Vereine zur Erhaltung der Volkstracht ins Leben getreten, manch schöner Festbrauch, der schon im Schwinden war, ist wieder zu Ehren gelangt, und das große Volkstrachtenfest, das soeben in den Tagen vom 27. bis 30. September in München von den an dieser Bewegung Beteiligten abgehalten wurde, hat in einem großartigen Bilde von frohbewegter Volkslust den Wert und den Umfang dieser Bestrebungen in erfreulichster Weise erwiesen. Das von herrlichem Wetter begünstigte Fest vereinigte in der Hauptstadt Bayerns über 1000 Landeskinder aus allen Gauen des Landes, und der Festausschuß, an dessen Spitze der Schriftsteller Maximilian Schmidt stand, war darauf bedacht gewesen, daß alle acht Kreise des Königreichs, Oberfranken, Unterfranken, Mittelfranken, Rheinpfalz, Oberpfalz, Schwaben, Niederbayern und Oberbayern, in ihren Volkstrachten möglichst zahlreich vertreten waren. Klugerweise hatte man die Veranstaltung in Zusammenhang mit dem Münchner Oktoberfest gebracht, das von alters her eine gewaltige Anziehungskraft auf das bayrische Landvolk ausübt. Der große Trachtenfestzug, der am Hauptfesttag, Sonntag, den 29. September, die reizvolle Mannigfaltigkeit und malerische Farbenpracht der Kostüme in übersichtlichster und überaus glänzender Weise zur Entfaltung brachte, mündete denn auch, nachdem er von der Maximiliansstraße aus durch viele Hauptstraßen gezogen war, auf der Oktoberfestwiese, wo der Prinzregent und der versammelte Hof vor dem Königszelt seine Huldigung entgegennahm.
Geschlosseneren und eigenartigeren Charakter trug der Begrüßungsfestabend am Samstag vorher im großen Saale des Münchener Kindl-Kellers. Hier bekamen die einzelnen Gruppen Gelegenheit, in Aktion zu treten und in der schönen alten Tracht auch guten alten Brauch vorzuführen. Auf die von echt bajuwarischem Humor durchwürzte Festrede des Professors Sepp folgte das Festspiel „Unter Bayerns Panier“. Die Bayern, Pfälzer, Franken und Schwaben, deren stattliche und schmucke Vertreter und Vertreterinnen die Bühne füllten, wurden in ihm durch die Bavaria als Volkseinheit begrüßt und brachten dann, wie unser Bild auf S. 713 es zeigt, gegen die im Hintergrunde aufgestellte Büste des regierenden Landesherrn sich wendend, diesem ihre Huldigung dar. Hier sah man die vielen so verschiedenartigen Trachten in malerischer Anordnung dicht bei einander. Neben der Joppe des Oberbayern den langen Rock des „Schwaben“, neben dem „Dreispitz“ von riesigen Dimensionen die runde Mütze aus Otterfell, neben der großen kreisförmig gesteiften Spitzenhaube der Wassertrüdingerin die schwäbische Bänderhaube und das reizende Goldflügelhäubchen des Allgäu! Und welche glänzende, farbenreiche Pracht boten die Mieder mit ihren silbernen Geschnüren und die seidenen Halstücher und Schürzen!
Dann aber gelangten alte Sitten, Bräuche, Volksgesänge und Volkstänze aus den acht Kreisen Bayerns zur Darstellung, welche den Geist des Unternehmens ganz unmittelbar zur Anschauung brachten und die alten Trachten im vollen Reiz echt volkstümlichen Lebens in Scene setzten. Namentlich war dies bei den historischen Tänzen der Fall, von denen mancher, wie der unterfränkische Hammeltanz, der mittelfränkische Betzentanz, die „Dreher und Schleifer“ aus dem Altmühlgrunde auch Kennern des bayrischen Volkstums bisher nicht Geschautes darboten. Dies gilt auch von dem auf S. 709 abgebildeten Bandeltanz der Kirchanschöringer aus dem bayrischen Salzachthal, welch letzterem die „Gartenlaube“ in Nr. 13[WS 1] dieses Jahrgangs einen Aufsatz gewidmet hat.
Dieser Tanz hat symbolischen Charakter und wird von Burschen im Kreise um eine hohe Stange ausgeführt, an welcher lange Bänder in den Farben Schwarz, Rot, Weiß hängen, von denen jeder Teilnehmer eines beim Tanze gefaßt hält. Die Stange selbst wird von einem Führer gehalten. Die Burschen sind hemdsärmelig, mit einer Art Schulterlatz bekleidet, der sie durch die Farben Blau, Schwarz, Grün wieder in drei Gruppen scheidet. Als Kopfbedeckung tragen sie eine Art farbige Bergmannskappe, grün mit roter Einfassung oder umgekehrt. Wenn die Burschen sich aufgestellt haben und jeder sein Band gefaßt hat, hält ein zweiter Führer eine Ansprache, worin er erzählt, daß der Tanz im Jahre 1813 aufgekommen sei zur Erinnerung an die Knechtschaft unter französischem Joch und die erfolgte Befreiung. Mit den Worten „Nun Kameraden, gebet acht, daß keiner einen Fehler macht“, giebt er das Zeichen zum Tanz. Die Burschen treten paarweise einander gegenüber und beginnen in langsamem Viervierteltakt einen Reihentanz, so daß sie sich in zwei Schlangenlinien aneinander vorbei bewegen, wobei jeder dem Entgegenkommenden abwechselnd links und rechts ausweicht. Die sich dabei oben an der Stange kreuzenden Bänder verknüpfen sich und bilden allmählich ein durch die drei Farben markiertes regelmäßiges Geflecht. Ist dasselbe ziemlich weit gediehen, so erfolgt ein Halt und der Führer an der Stange spricht feierlich die Mahnung aus, dem Brauche treu zu bleiben im Sinne seines Ursprungs. Aus der Reihe der Burschen wird nach der Bedeutung der Bänder gefragt. „Was bedeutet doch das schwarze – das rote, weiße – Band?“ Und der Führer antwortet: „Die Trauer um die im Freiheitskampf Gefallenen“, „Das vergossene Blut“, „Die Reinheit der Gesinnung!“ Dann beginnt der Tanz nach umgekehrter Richtung, und wenn die Bänder sich wieder aus der Verschlingung gelöst haben, ist er zu Ende. Es geht ein schöner patriotischer Zug durch die Symbolik dieses Tanzes und wie in ihr kam auch sonst auf dem Münchener Volkstrachtenfest neben der Betonung des Bayerntums seiner Teilnehmer der Gedanke an das gemeinsame deutsche Vaterland zu erhebendem Ausdruck.
Berliner Nimrode. (Zu dem Bilde S. 721) Fröhlich Gejaid! Das Jahr hat mehr gehalten, als der allzu lange und strenge Winter versprach, die Schauermären, die den Jagdherrn im Vorfrühling empfingen, als er zum erstenmal einsam ins Revier hinaus fuhr, um die Birkhähne balzen zu sehen und die „Schirme“ aufstellen zu lassen, die erschrecklichen Berichte der Bauern, daß Hirsch- und Dammwild und Hasen in Legionen eingegangen seien und daß von Rebhühnern im August nichts zu erspähen sein würde, haben sich, St. Hubertus sei Dank, im Laufe der Monate als rechtes Jägerlatein erwiesen. Die große, hauptstädtische Gemeinde des speergewandten Heiligen fand sommerüber ihre Rechnung, und nun der Herbst gekommen ist und die Jägerei ihren Höhepunkt erreicht hat, findet sich kaum noch ein kurzsichtiger Schütze, der ganz ohne die Muttern so ersehnte Beute blieb. Weil aber die sonnigen Tage gezählt sind und weil es mit dem Frühstücken auf grüner Heide, einem der seligsten Genüsse des Jägerlebens, dann vorbei ist, beeilt sich alles, was eine Doppelflinte trägt, sie noch kräftiglich auszunutzen. Niemals hat es der Jagdherr leichter als jetzt, eine stattliche Schar blutdürstiger Kumpane zusammenzutrommeln; jetzt giebt ihm keiner einen Korb. Auf dem Berliner Centralbahnhof Friedrichstraße wickeln sich Tag für Tag die kreuzfidelen Entwicklungsscenen des Nimrod-Dramas ab, und zuweilen erreicht der Andrang der vergnügten Weidmänner fast den imposanten Umfang, den er sonst nur am 1. Mai, dem Tage der Eröffnung der Rehjagd, annimmt. Keiner, auch der bummligste und trägste nicht, auf den sonst doch „absolut kein Verlaß“ ist, versäumt die Abfahrtsstunde; eine eigene Frische, thatenfrohe Unternehmungslust liegt auf allen Gesichtern ausgeprägt, und wer seinem Jubel nicht lauten Ausdruck verleiht, der hängt gewiß ruhmvollen Erinnerungen aus der letzten Campagne nach.
Der Berliner ist ein passionierter Jäger und mit ganzem Herzen bei der
Sache; er nutzt die schönen „grünen“ Tage wacker aus, und seine
weidmännische Geschicklichkeit genießt mit Fug hohe Achtung bei allen, die zur
Zunft gehören. Die Mark mit ihren weiten, verlorenen Kiefernheiden,
ihren Sümpfen, Brüchen und Seen birgt ohnehin tausendfach mehr
Romantik als die Spötter draußen im Reiche meinen; in ihr findet der
Jäger ein weites dankbares Feld für seine Thätigkeit, die namentlich dem
Großstädter sich so nützlich erweist, die ihn für mehrere Tage aus allen
hastenden Geschäften, aus aller Nervosität herausreißt und ihn in die
Natur hinein auf sich selbst stellt. Ja, für die Berliner Nimrode hat der
Segensruf: Weidmannsheil! eine ganz besondere Nebenbedeutung. R. N.
Inhalt: Die Lampe der Psyche. Roman von Ida Boy-Ed. (2. Fortsetzung). S. 709. – Vom Münchener Volkstrachtenfest. Bilder. S. 709 und 713. – Russische Steppenhexen in Nordamerika. S. 715. – „Bhüat Gott auf die längere Zeit!“ Eine bayrische Geschichte von Felix Dahn. S. 716. Mit Abbildungen S. 716 und 717. – Chauvinismus in französischen Schulbüchern. Von Karl Markscheffel. S. 717. – Sturm im Wasserglase. Roman aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Von Stefanie Keyser (8. Fortsetzung). S. 720. – Berliner Nimrode. Bild. S. 721. – Blätter und Blüten: Andreas Achenbach. S. 723. – Auguste Viktoria-Heim zu Eberswalde. S. 724. – Ein Wort für unsere Stubenvögel. S. 724. – Vom Münchener Volkstrachtenfest. S. 724. (Zu den Bildern S. 709 und 713.) – Berliner Nimrode. S. 724. (Zu dem Bilde S. 721.)
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ richtig wäre wohl: Nr. 12.