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Die Gartenlaube (1883)/Heft 29

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1883
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[465]

No. 29.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Schluß.)


Anna stand noch an demselben Platze, wo Werdenfels sie verlassen hatte. Sie hörte nichts von all den Tröstungen, mit denen Paul und Lily sie zu ermuthigen suchten, sah nichts von der ganzen Umgebung. Bleich und stumm starrte sie immer hinaus in den Nebel, wo Raimund verschwunden war, in die Fluth, die ihn vielleicht schon deckte. An ihrer Seite knieete Eckfried und betete, und all die Anderen standen rathlos und thatlos ringsum, mit jeder Viertelstunde, die verfloß, sank ihnen mehr der Muth.

Da plötzlich zuckte die junge Frau zusammen und beugte sich weit vor. Sie hatte entdeckt, was noch Niemand sah. Dort in dem Dunste regte sich etwas, noch dunkel und unbestimmt, aber es kam immer näher, wurde immer deutlicher. Jetzt unterschied man schon die Umrisse des Bootes und endlich erkannte man auch die Gestalten darin. Es war Leben und Rettung, was aus jenem Nebelmeere auftauchte.

Langsam glitt das kleine Fahrzeug daraus hervor, das nur mit unsäglicher Mühe vorwärts kam. So weit es auch seitwärts steuerte, es mußte doch jetzt gegen die Strömung ankämpfen, die es vorhin getragen hatte. Am Boden, zwischen den schwer arbeitenden Männern kauerten zwei Menschen, erstarrt von Nässe und Kälte, betäubt von der ausgestandenen Todesangst – der Fischer und sein Weib, und zu den Füßen des Freiherrn, der mit beiden Händen das Steuer hielt, saß ein Kind, das ängstlich seine Kniee umklammerte und sein Gesicht daran verbarg, um das schäumende Wasser nicht zu sehen.

Bei diesem Anblick stürzte Alles hinunter, den Ankommenden entgegen. Die Männer sprangen rücksichtslos in das Wasser, und von allen Seiten streckten sich helfende Hände dem Boote entgegen, das mit stürmischem Jubel empfangen und bewillkommnet wurde.

„Da bringen wir sie alle drei!“ rief Rainer, der zuerst heraussprang. „Es war Zeit, daß wir kamen, das Haus wankte schon, als wir abstießen, und hinter uns fiel es zusammen. Aber das war eine Arbeit zurückzukommen! Ich dachte, wir würden es nicht zwingen gegen den Strom, doch der Freiherr und unser Pfarrer haben ausgehalten, als wären sie von Eisen!“

Vilmut unterstützte die Fischersleute, die kaum ihre Glieder regen konnten, während Werdenfels, der ja der Letzte war, den kleinen Toni emporhob. Das Kind fürchtete sich jetzt nicht mehr vor dem „Felsenecker“, dessen Arme es von dem wankenden Gebälk losgerissen und sicher durch Nebel und Wogen geführt hatten, es umklammerte mit beiden Händen seinen Hals und wollte ihn nicht wieder loslassen.

Raimund grüßte nur mit einem Blick und einem Lächeln seine Braut, die ihn am Ufer empfing, dann wandte er sich zu dem alten Manne an ihrer Seite und mit einer Stimme, in der die tiefste Bewegung zitterte, sagte er:

„Hier, Eckfried, ist Euer Toni! Ich lege ihn heil und gesund in Eure Arme – nehmt ihn zurück!“

Es waren dieselben Worte, die Eckfried ihm einst in wildem Hohne entgegengeschleudert hatte, als er bei jener Brandstiftung ergriffen wurde. In den Zügen des alten Mannes zuckte es seltsam, starr und wortlos blickte er den Freiherrn an, und wie mechanisch streckte er die Arme aus nach seinem Enkel. Erst als sich Toni’s blonder Krauskopf an seine Brust schmiegte und die blauen Augen aus dem verweinten Gesichtchen ihn anblickten, erst da schien auch Eckfried Leben und Bewegung wieder zu finden. Er riß das Kind an sich und mit einem Aufschrei, der halb einem Jauchzen und halb einem Weinen glich, sank er in die Kniee vor dem Manne, den er so lange und glühend gehaßt hatte.

Anna hatte sich unbekümmert um all die Zeugen an Raimunds Brust geworfen, und er hielt sie umfaßt, als seien sie allein auf der Welt. Da trat Gregor Vilmut heran, sein Auge glitt düster, aber ruhig über die Beiden hin, es stand nichts mehr von Haß darin. Jetzt, wo er selbst zum Retter und Helfer geworden war, fanden die Lippen des stolzen Priesters endlich die Worte, die er vorhin nicht hatte aussprechen können, und er sprach sie so laut, daß alle Umstehenden sie hörten:

„Ich danke Ihnen, Herr von Werdenfels, im Namen des Dorfes, das Sie gerettet haben. Ohne Ihre hochherzige That war es verloren und seine Bewohner waren dem Elend preisgegeben.“

„Sie haben ja auch gerettet, Hochwürden, was ich im Drange der Gefahr preisgab und preisgeben mußte,“ sagte Raimund tiefernst. „Wir haben zwei Stunden lang Seite an Seite gekämpft um drei Menschenleben, und sind wie durch ein Wunder bewahrt geblieben – ich denke, wir kehren nicht wieder zu der alten Feindschaft zurück.“

Er streckte die Hand aus, aber als Vilmut die seinige hineinlegte, rief Anna erschrocken:

„Gregor, was ist das? Deine Hände sind ja voll Blut!“

„Von der Arbeit!“ erwiderte Gregor gelassen.

Die inneren Handflächen waren in der That blutig von der [466] ungewohnten Anstrengung, und doch hatte er mit diesen wunden, schmerzenden Händen das Ruder weitergeführt, wie Rainer mit seinen harten Fäusten.

„Raimund, soeben kommt aus dem Dorfe die Meldung, daß auch im oberen Laufe des Stromes das Wasser zu sinken beginnt,“ sagte Paul herantretend. „Wir haben nichts mehr zu fürchten, der Umschlag der Witterung ist ein vollständiger.“

Er wies nach den Bergen, die sich immer mehr entschleierten. Soeben tauchte auch das schneegekrönte Haupt der Geisterspitze hervor aus den Wolken und blickte nieder auf all das Unheil, das sie angerichtet hatte. Sie hatte einst jenen Sturm herabgeschickt, der die Flammen von Haus zu Haus trug und Werdenfels in Asche legte, sie hatte auch diesmal die Gletscherströme herabgesandt, die ihm Verderben drohten. Aber jetzt lag das Dorf sicher und unversehrt, die Fluthen deckten nur die reichen Besitzungen des Herrn von Werdenfels, und in diesen Fluthen erlosch der letzte Widerschein jenes Brandes, erlosch das alte, drohende Flammenzeichen mit all seinem Bann und Fluch.

Vom Dorfe her tönte das Abendläuten. Die Glocken, die seit Tagesanbruch so schauerlich gestürmt und um Hülfe gerufen hatten, setzten wieder ein mit dem alten feierlichen Klange, sie mahnten zum Danke.

Die Werdenfelser sahen es alle, wie ihr Gutsherr, der gefürchtete, verfehmte Felsenecker, als der Erste auf die Kniee niedersank und sein Haupt beugte, wie seine Braut und selbst Paul und Lily seinem Beispiel folgten, da folgten sie alle, es blieb kein Einziger zurück, als Gregor Vilmut in ihre Mitte trat. Voll und mächtig zogen die Glockenklänge durch die Luft und einten sich mit dem Rauschen des jetzt gebändigten und bezwungenen Elementes. Sonst war kein Laut vernehmbar. Selbst der Priester schwieg, als er die Hände emporhob, die blutig und zerrissen noch die Spuren der schweren Rettungsarbeit trugen, und mit diesen Händen segnete er die knieende Gemeinde.




Es war Sommer geworden, und in dem hellen Sonnenschein eines Junitages flatterte die Fahne lustig von dem Dache des Schlosses Werdenfels, das heute seinen Herrn und seine Herrin erwartete.

Die Trauung Raimund’s und Anna’s war in aller Stille vollzogen worden, und die Neuvermählten hatten die ersten Wochen ihrer Ehe in Felseneck zugebracht. Heute aber wurden sie von dort zurückerwartet, und Werdenfels hatte einen großartigen Empfang vorbereitet. In Ehrenpforten, Laubgewinden und Fahnen war wirklich Unerhörtes geleistet, und die ganze Dorfschaft war auf den Beinen, um ihren Gutsherrn und dessen junge Gemahlin zu begrüßen.

Auch das Schloß hatte sich zum feierlichen Empfange gerüstet. Baron Paul war schon in aller Frühe von Buchdorf herübergekommen, um die Anstalten selbst zu leiten, und seine Braut, die bisher in Rosenberg unter dem Schutze von Fräulein Hofer geblieben war, und nun zu ihrer Schwester nach Werdenfels übersiedeln sollte, befand sich ebenfalls seit einigen Stunden dort.

Auch Justizrath Freising hatte sich eingefunden, zur geheimen Verwunderung Paul’s, der sich dies plötzliche Auftauchen des rechtsgelehrten Herrn nicht recht erklären konnte, aber dieser war nun einmal da und wollte gleichfalls seinen „hochgeehrten Clienten“ begrüßen, und einstweilen unterhielt er sich sehr angelegentlich mit Fräulein Hofer, die Lily begleitet hatte.

Mit jener Begrüßung hatte es indessen seine eigene Bewandniß. Seit jenem Abenteuer auf der Bergstraße befand sich der Justizrath wieder im Banne jener Empfindung, die er nun schon fünfmal durchgemacht hatte, allerdings immer mit verschiedenen Objecten.

Seine Besuche in Rosenberg wurden immer häufiger, und seine früheren Streitigkeiten mit Fräulein Hofer verwandelten sich immer mehr in die vollkommenste Uebereinstimmung. Emma mußte endlich einsehen, daß sie der nunmehrige Gegenstand dieser Besuche und Aufmerksamkeiten war. Ob nun Lily mit ihrer übermüthigen Behauptung doch nicht so ganz Unrecht hatte, oder ob die glücklich geretteten Acten einen geheimen magnetischen Rapport herstellten, genug, die Dame zeigte sich nicht ganz unzugänglich, und die Hoffnungen des Justizraths flammten hell auf.

Er fuhr mit dem verhängnißvollen Frack und dem üblichen Bouquet zum dritten Male als Freier nach Rosenberg. „Jetzt oder nie!“ dachte er, als er die Gitterthür öffnete – und erfuhr von dem alten Ignaz, daß Fräulein Hofer sich mit ihrer Schutzbefohlenen in Werdenfels befand, wo man heute den Freiherrn und dessen Gemahlin erwartete.

Der arme Freising stand wie vom Donner gerührt. Im ersten Augenblicke war er wirklich geneigt, an ein Fatum zu glauben, das ihn zur Ehelosigkeit verdammte, dann aber faßte er einen heroischen Entschluß. Umzukehren und das Bouquet verwelken zu lassen, wäre ihm als die schlimmste aller Vorbedeutungen erschienen, und seit der wunderbaren Einmischung der Geisterspitze in seine Angelegenheiten war er keineswegs mehr ein so ausgemachter Freigeist. Er beschloß deshalb, das tückische Schicksal zu zwingen, befahl dem Kutscher umzuwenden und fuhr gleichfalls nach Werdenfels, wo er sich ganz unbefangen als Theilnehmer an dem Empfange vorstellte.

Die Schloßterrasse trug den reichsten Blumenschmuck, und auch die Gebüsche des Schloßberges prangten im frischen Grün, aber die Gärten, die Werdenfels sonst wie ein blühender duftender Kranz umgaben, waren verschwunden. Monate der Arbeit hatten die Zerstörungen einer einzigen Stunde nicht tilgen können, und wenn auch ein Theil der alten Bäume noch stand und man alles aufgeboten hatte, um wenigstens in der unmittelbaren Umgebung des Schlosses die Spuren der Verwüstung zu beseitigen, die stundenweiten, mit fürstlicher Verschwendung geschaffenen Parkanlagen mit ihrer seltenen, kostbaren Flora waren unwiederbringlich dahin.

Drüben in der Niederung sah es noch trostloser aus. Die Fluren deckte Schlamm und Geröll, aus dem entwurzelte Bäume und riesige Felssteine emporragten. Die verheerenden Muhren hatten sich hoch aufgethürmt und in ihrer zähen, undurchdringlichen Schicht lagen Wiesen und Felder begraben. Das einst so reiche Gebiet von Werdenfels war zur Wüste geworden, und wenn es wirklich noch zu retten war, so blieb sein Ertrag doch auf Jahre hinaus verloren für den Gutsherrn.

Um so freundlicher lag das Dorf da, inmitten seiner Wiesen und Gärten, hier war auch nicht ein Fußbreit verloren gegangen, und in seinem Festgewande nahm es sich heute doppelt stattlich aus.

Der Haushofmeister musterte noch einmal die Dienerschaft, die in voller Gala auf der Terrasse versammelt war, und trat dann zu Arnold, der soeben aus dem Schlosse kam.

Arnold, in seiner Eigenschaft als Kammerdiener und Vertrauter seines jungen Herrn, hielt es natürlich unter seiner Würde, sich den anderen Dienern anzuschließen. Der Haushofmeister hatte diese Ausnahmestellung auch stets anerkannt und behandelte ihn fast als seines Gleichen.

„Jetzt ist alles bereit,“ sagte er. „In einer halben Stunde können die Herrschaften hier sein, der Empfang im Dorfe wird freilich einige Zeit beanspruchen.“

„Vermuthlich, denn er wird großartig,“ versetzte Arnold mit Genugthuung. „Jetzt freilich wissen sie sich nicht zu lassen vor Dankbarkeit und möchten ihren Gutsherrn in den Himmel erheben, und was für Niederträchtigkeiten haben sie früher gegen ihn ausgeübt!“

„Ja, unsere Werdenfelser haben harte Köpfe, aber ich denke, der Herr wird trotzdem jetzt mit ihnen fertig werden.“

„Das glaube ich auch. Der gnädige Herr Onkel“ – Arnold hielt diese Bezeichnung hartnäckig fest, wenn er von dem Freiherrn sprach – „haben eine ganz wunderbare Art, die Menschen nur mit den Augen zu maltraitiren. Es ist gar nicht nöthig, daß er den Mund öffnet, man hat vollständig genug an dem Blick.“

„Nun, an der That hat er es auch nicht fehlen lassen. Die Fahrt, die er damals beim Hochwasser mit dem Herrn Pfarrer unternahm, thut ihm Keiner so leicht nach. Sogar der junge Baron blieb am Ufer.“

„Natürlich blieb er!“ sagte Arnold würdevoll. „Der Chef der Familie hat überall den Vortritt. Wir sind die jüngere Linie, wir stehen zurück – selbst in der Gefahr.“

„Wie steht es denn eigentlich mit der Hochzeit?“ erkundigte sich der Haushofmeister, der in der Feststimmung des heutigen Tages ungewöhnlich gesprächig war. „Sie soll wohl erst in einem Jahre stattfinden.“

„Im nächsten Frühjahr. Unter uns gesagt, die jungen [467] Herrschaften müssen erst noch vernünftiger werden; der gnädige Onkel hat das auch eingesehen, und einstweilen läßt er uns das Herrenhaus in Buchdorf ganz neu und sehr glänzend einrichten. Herr Paul soll sich erst als Gutsherr bewähren, und die Kleine – ich wollte sagen unsere künftige gnädige Frau wird bis dahin doch noch etwas größer werden. Glauben Sie nicht, daß man mit sechszehn Jahren noch wachsen kann?“

„Gewiß, das glaube ich. – Und Sie bleiben also in Buchdorf?“

Arnold sah den Fragenden mit unermeßlichem Erstaunen an; er begriff nicht, wie man so etwas überhaupt fragen konnte.

„Selbstverständlich! Was sollten denn die jungen Herrschaften ohne mich anfangen? Ueberdies habe ich der seligen Frau Baronin auf dem Sterbebette versprochen –“

„Ja, das weiß ich, das haben Sie mir schon einige Male erzählt,“ fiel der Haushofmeister ein, aber Arnold hätte sich schwerlich von seinem Lieblingsthema abbringen lassen, wenn nicht in diesem Augenblick die „jüngere Linie“ erschienen wäre.

Paul führte seine Braut am Arme, die zur höchsten Befriedigung des alten Dieners in ihrem Festkleide mit der langen Schleppe etwas größer aussah als sonst. Sie musterten die Empfangsanstalten, und der junge Baron wandte sich an den Haushofmeister.

„Wir werden den Freiherrn und seine Gemahlin schon am Wagen begrüßen. Sie nehmen Ihren Platz wohl hier am Eingange, an der Spitze der Dienerschaft ein; Du bleibst gleichfalls hier, Arnold.“

Der Haushofmeister folgte natürlich der Anordnung, und Arnold that ebenso natürlich das Gegentheil, indem er sich seinem Herrn anschloß, der mit Lily weiter ging.

„Ich bleibe in Ihrer Nähe, Herr Paul,“ erklärte er mit einer Entschiedenheit, gegen die sich schlechterdings nichts einwenden ließ. „Das ist mein Platz, und übrigens macht es sich auch besser.“

„Müssen Sie denn immer widersprechen, Arnold?“ sagte Lily ungeduldig. „Haben Sie den Rosenstrauß in das Wohnzimmer meiner Schwester auf den kleinen Sophatisch gestellt, wie ich Ihnen befahl?“

„In das Wohnzimmer der Frau Baronin – jawohl, gnädiges Fräulein – die Rosen stehen auf dem Schreibtische.“

„Aber ich sagte Ihnen doch ausdrücklich, auf den Sophatisch! Weshalb haben Sie das nicht gethan?“

„Weil sie sich auf dem Schreibtische besser ausnehmen, viel besser.“

„Ich will sie aber an jener Stelle haben!“ rief Lily, mit dem Füßchen stampfend.

„Arnold, Du stellst augenblicklich die Blumen dorthin, wo meine Braut befiehlt!“ mischte sich Paul mit strenger Miene ein.

„Auf dem Schreibtische machen sie mehr Effect,“ behauptete Arnold mit unerschütterlicher Ruhe. „Sie stehen dort gerade vor dem Bilde des gnädigen Herrn, die gnädige Frau Baronin wird das als eine zarte Aufmerksamkeit empfinden, der gnädige Herr Onkel wird auch dieser Meinung sein, und das gnädige Fräulein wird sicher nicht darauf bestehen –“

„Um Gotteswillen – nein, nein!“ rief Lily verzweiflungsvoll. „Stellen Sie die Rosen meinetwegen unter den Tisch, aber hören Sie nur auf mit Ihren Gründen und Ihren ewigen Titulaturen.“

Sie zog Paul fort, und Arnold behauptete als Sieger das Feld. Er blickte mitleidig seiner Herrschaft nach, die die merkwürdige Angewohnheit hatte, ihm befehlen zu wollen. Er ließ sich allenfalls von den Augen des gnädigen Onkels maltraitiren, weil dieser der einzige Mensch war, der ihm überhaupt imponirte, aber die jüngere Linie versuchte es ganz vergeblich, gegen ihn aufzukommen, und sie sah das selbst ein.

„Paul,“ sagte Lily halb lachend, halb ärgerlich. „Wir stritten uns neulich, wer in unserem Hause das Scepter führen sollte, und Keiner wollte es dem Andern lassen. Es ist gar nicht nöthig, daß wir uns den Kopf darüber zerbrechen, Dein Arnold schwingt es über uns Beide.“

„Ja, mit diesem alten Familienerbstück ist nun einmal nichts anzufangen,“ stimmte Paul gleichfalls lachend ein. „Du beugst Dich auch schon seiner Tyrannei. Raimund müßte ihn einmal vier Wochen lang in seinen persönlichen Dienst nehmen, ich glaube, das wäre das einzige Mittel, ihm Gehorsam beizubringen. Komm, Lily, von dort aus übersieht man den Weg. Feldberg commandirt drüben die Böller, und sobald der Wagen in die Allee des Schloßberges einbiegt, krachen die Schüsse.“

„O, bis dahin haben wir noch Zeit, und ich muß vorher noch eine Entdeckungsreise anstellen. Ich bin nämlich dem Onkel Justizrath auf der Spur, der mir sehr verdächtig erscheint mit seinem Frack und seinem Bouquet. Ich weiß nun nachgerade, was dieser feierliche Aufzug bedeutet.“

„Was meinst Du? Mich hat Freising’s Erscheinen allerdings überrascht. Er steht doch Keinem von uns so nahe –“

„Nein, aber er möchte endlich irgend Jemandem nahe stehen, und das ist ihm wirklich nicht zu verdenken, der Arme hat ja bisher nichts als Hochachtung durchgemacht, und das muß schrecklich sein. Ich habe es deutlich gesehen, das Bouquet enthält diesmal nur Nelken, in allen Farben und Schattirungen – und das ist die Lieblingsblume Fräulein Hofer’s. Ich muß durchaus wissen, wie die Sache sich entwickelt. Schlägt sie wieder zum Unglück aus, dann – ja, Paul, ich kann Dir nicht helfen – dann nehme ich den Onkel Justizrath noch nachträglich aus Mitleid; denn mit sechs Körben kann er unmöglich existiren. Das hält kein Mensch aus!“

Paul protestirte sehr nachdrücklich gegen diese menschenfreundliche Absicht seiner Braut und war überhaupt der Meinung, man müsse auf der Terrasse bleiben, um zum Empfange der Erwarteten bereit zu sein, aber Lily bestand auf ihrem Willen. Sie hatte gesehen, wie der Justizrath und Fräulein Hofer in einem kleinen Pavillon verschwanden, der an der Rückseite des Schlosses lag, und ging sofort dieser Spur nach.

Der Pavillon, der eigens für die Bergaussicht erbaut war, lag sehr hoch, sodaß es unmöglich blieb, durch die Fenster einen Einblick zu gewinnen, und die Thür, die vorhin weit offen stand, war jetzt verdächtiger Weise geschlossen. Die junge Dame unternahm also zunächst einen Recognoscirungsgang um das kleine Gebäude, das heute ebenfalls einen Fahnenschmuck trug, und wurde dabei vom Zufall begünstigt.

An der rechten Seitenwand, die von dichtem Weinlaube umrankt war, stand eine Leiter, die man wahrscheinlich beim Befestigen der Fahne gebraucht und dann vergessen hatte. Lily war ganz entzückt über diesen Fund, sie hörte nicht auf Paul’s Einwendungen, der ihr folgte, sondern nahm ihre Schleppe zusammen und stieg schleunigst empor bis zur Fensterhöhe, wo sie mit unendlicher Neugier durch die Scheiben blickte, gerade wie Arnold es bei ihrer Verlobung im Gartenhause gethan hatte.

„Sie sind wirklich drinnen!“ rapportirte sie mit gedämpfter Stimme. „Sie befinden sich alle Drei auf dem Sopha, der Justizrath, das Bouquet und Fräulein Hofer. Schade, daß die Fenster geschlossen sind, ich kann nur sehen, und damals hinter der Salonthür konnte ich nur hören, aber die heutige Stellung ist etwas unbequemer.“

„Aber das ist ja Spionage,“ wandte Paul ein. „Wenn man Dich nun von innen bemerkt oder wenn irgend Jemand von der Dienerschaft auf diese Seite des Schlosses geräth, was sollen sie denken!“

„Sei still, Paul, und halte die Leiter!“ befahl die junge Dame. „Die ganze Dienerschaft ist drüben auf der Terrasse, und das Weinlaub ist so dicht, daß ich unmöglich entdeckt werden kann. Wie gesagt, hören kann ich nichts, aber ich sehe die ganze Pantomime. Der Onkel Justizrath zeigt eine sehr elegische Miene, er erzählt gewiß von seinen fünf Körben – wenn er nur nicht den sechsten erhält, Emma ist noch ganz Hochachtung – aber nein, jetzt lächelt sie – Gott sei Dank, nun kommt die Sache in Gang.“

„Lily, ich bitte Dich, komm’ herunter!“ bat Paul. „Wenn uns Jemand in dieser Situation überrascht – es schickt sich wirklich nicht.“

„Störe mich nicht und achte auf die Leiter, damit sie nicht umfällt,“ lautete die etwas ungnädige Antwort. „Nun rückt das Bouquet in’s Feuer, der Onkel Justizrath fängt stets mit der Blumensprache an. Bei Anna begann er damals: die Rosen – der Rose! Und jetzt sagt er gewiß: die Nelken – der Nelke!“

Freising mußte in der That etwas Aehnliches gesagt haben, denn Fräulein Hofer erröthete und schlug die Augen nieder, während er mit vollem Pathos fortfuhr:

[468] „Nie werde ich jene Stunde vergessen, wo ich in Schnee und Einsamkeit, mit einem verrenkten Fuße und von aller Welt verlassen auf der Landstraße saß. Sie retteten meine Acten –“

„O, das war ja nicht der Rede werth!“ lehnte Emma bescheiden ab.

„Bitte, es war sehr der Rede werth. Es waren die Urkunden von sechszehnhundertachtzig –“

„Werdenfels contra Werdenfels?“

„Ganz recht. Ohne Ihre muthige Dazwischenkunft wären sie ein Opfer dieser tückischen Geisterspitze geworden.“

„Glauben Sie denn an die Geisterspitze, Herr Justizrath?“ fragte Emma überrascht.

Freising warf einen scheuen Blick durch das Fenster, wo das „weiße Ungethüm“ in der Entfernung deutlich sichtbar war. Es schien ihn an das Gelübde zu mahnen, das er damals in höchster Noth gethan hatte, als auch ihn, den Freigeist, der Aberglaube packte. Aber eingestehen konnte er das unmöglich, und so antwortete er denn mit einer kühnen Wendung:

„Ich glaube, daß die Geisterspitze mir in jener Stunde ein Glück gezeigt hat, das ich bis dahin nicht erkannte. Emma, darf ich diesen Glauben festhalten?“

Die Sache entwickelte sich jetzt ziemlich rasch, aber die beiden Hauptpersonen hatten keine Ahnung davon, daß sie von zwei Seiten beobachtet wurden. Rechts drückte Lily ihr Gesicht an die Scheiben, und links blickte die Geisterspitze majestätisch in das Fenster, sie assistirte gleichfalls der Verlobung, die sie ja eigentlich gestiftet hatte.

Fräulein Hofer hielt den Nelkenstrauß in den Händen und blickte erröthend darauf nieder, während der Justizrath seinen Antrag vorbrachte, den er nun nachgerade auswendig wußte, und nach fünf Minuten hielt der Justizrath Fräulein Hofer in den Armen. Er kam sich wie ein Erlöster vor, als er endlich empfing, was ihm ein grausames Geschick so lange verweigert hatte – das kleine, kurze, nette Ja!

Da krachten draußen die Böller. Der Wagen des Freiherrn mußte in Sicht sein, denn die erste Begrüßungssalve donnerte von der Terrasse nieder in das Thal, und das Echo der Berge gab rollend die Schüsse zurück.

Das neue Brautpaar fuhr erschrocken aus einander, Fräulein Hofer war sonst nichts weniger als nervös, bei dieser ebenso unerwarteten als lärmenden Gratulation der Werdenfelser Geschütze erlaubte sie sich aber doch einen kleinen Ohnmachtsanfall. Sie schwankte und machte Anstalt, zu sinken, als der Justizrath sie natürlich umfaßte und in seinen Armen aufrecht erhielt.

„Erhole Dich, Emma!“ sagte er mit feierlicher Zärtlichkeit. „Ich bin an Deiner Seite.“

Und Emma erholte sich! –

Fast gleichzeitig bog Arnold in höchster Eile um die Ecke des Schlosses. Er suchte seinen jungen Herrn und dessen Braut, die auf unbegreifliche Weise verschwunden waren.

„Herr Paul, der Wagen kommt! Herr Paul, wo sind Sie?“

Er verstummte plötzlich und hob Augen und Hände zum Himmel, bei dem Anblick, der sich ihm darbot. Da stand Fräulein Lily, in der langen Seidenschleppe mit dem Spitzenbesatz, hoch oben auf der Leiter und guckte in den Pavillon, während Herr Paul unten stand und mit größter Sorgfalt die Leiter hielt, und Beide waren so vertieft in ihre Beschäftigung, daß sie den Ruf ganz überhörten.

In diesem Augenblicke gaben die Böller das Begrüßungszeichen. Lily fuhr auf, sprang mit einem Satze von der Leiter und geradewegs in Paul’s Arme, der sie auffing, und nun hatte der alte Diener den noch weit schrecklicheren Anblick, wie der Gutsherr von Buchdorf die künftige gnädige Frau bis auf die Terrasse trug. Hier sprang Lily wie ein junges Reh von seinem Arme und nun liefen Beide um die Wette bis zu der großen Freitreppe, wo sie athemlos anlangten. Die junge Dame hatte kaum noch Zeit, ihre Schleppe wieder in Ordnung zu bringen, als der Wagen schon in die Allee einbog.

„Und diese Kinder wollen nun heirathen!“ sagte Arnold wehmüthig. „Und da fragt der Haushofmeister noch, ob ich in Buchdorf bleibe! Ein vernünftiger Mensch muß doch wenigstens da sein, und leider bin ich dieser einzige!“

Der alte Diener mar mit seinem Entsetzen über dies Preisgeben aller Würde von Seiten der jüngeren Linie noch nicht fertig geworden, als der Justizrath und Fräulein Hofer an ihm vorbeisausten, Arm in Arm und mit ganz verklärten Gesichtern, sie liefen gleichfalls, um den Empfang nicht zu versäumen. Dies Stürzen des sonst so würdigen rechtsgelehrten Herrn und sein seliges Lächeln brachten Arnold um den letzten Rest seiner Fassung.

„Ich glaube, ganz Werdenfels steht heute auf dem Kopfe!“ seufzte er, während er sich anschickte zu folgen, um wenigstens den Effect seiner Stellung hinter dem jungen Herrn nicht einzubüßen.

Werdenfels schien wirklich auf dem Kopfe zu stehen, und die Werdenfelser zeigten sich gerade so maßlos in ihrer Dankbarkeit, wie früher in ihrem Hasse. Empfang, Begrüßung und Reden hatten programmmäßig im Dorfe stattgefunden, aber die halbe Dorfschaft begleitete den Freiherrn und seine Gemahlin nach dem Schlosse. Der jüngere Theil dieser Begleitung leistete im freudigen Lärmen das Aeußerste, und der älteste Sohn Rainer’s – derselbe, der sich damals an dem Attentat gegen die Orangerien betheiligt hatte – schrie jetzt so lange und so energisch Hoch, bis er kirschbraun im Gesichte war.

Jetzt nahte der Wagen, und inmitten dieses stürmischen Jubels, unter flatternden Fahnen und endlosen Böllerschüssen hielten Raimund und Anna ihren Einzug in das Schloß.

Auch hier wurde beim Empfange nicht ganz die beabsichtigte Feierlichkeit eingehalten. Nur der Haushofmeister stand steif und feierlich an der Spitze der Dienerschaft und sorgte dafür, daß Niemand sich rührte, bis er das Zeichen dazu gab. Bei der Begrüßung an der Freitreppe aber war Arnold der Einzige, der seine Würde behauptete. Der Justizrath und Fräulein Hofer hatten eine wahre Manie, heute aller Welt die Hand zu schütteln, und die jungen Herrschaften setzten nun vollends jede Etiquette bei Seite.

Lily warf sich stürmisch an die Brust ihrer Schwester und ließ sich dann von ihrem Schwager umarmen, sie schien nicht mehr zu fürchten, daß er ihr den Hals umdrehen werde. Paul dagegen wurde doch ernst, als er seiner nunmehrigen Schwägerin die Hand küßte.

Für einen Moment verblich das rosige, lachende Gesicht seiner Lily vor der Erinnerung an jene Meeresfahrt, wo er ein anderes Antlitz so kalt und ernst und doch so hinreißend schön gesehen hatte, im zauberischen Mondesglanz. Jetzt spielte das Sonnenlicht auf den goldschimmernden Haaren und sonniger Glanz lag in den großen braunen Augen.

In dem Herzen des jungen Mannes wollte wieder das alte Weh aufwachen, aber er überwand schnell die unwillkürliche Regung, er sah ja, daß jene Augen nur Raimund’s Blick suchten. Dem Freiherrn gelang es jetzt endlich, sich los zu machen, und der verneigenden Dienerschaft freundlich zuwinkend, führte er seine junge Frau in das Schloß seiner Väter ein.

Paul und Lily schlossen sich ihnen an, und die letztere gab leider wieder einen Beweis, wie wenig sie feierliche Momente begriff, denn noch auf der Schwelle flüsterte sie ihrer Schwester zu:

„Denke nur, Anna, der Onkel Justizrath bekommt endlich eine Frau! Er heirathet Emma Hofer, und als er das kleine, nette Ja erhielt, schossen unsere sämmtlichen Böller Victoria!“ –

Es war einige Stunden später. Der Jubel des Empfanges war verrauscht und auf der nun wieder völlig einsamen Terrasse stand Anna von Werdenfels und blickte hinüber nach den Bergen, wo sie die erste Zeit ihrer Ehe verlebt hatte, wo ein so lang ersehntes, so schwer errungenes Glück endlich zur Wahrheit geworden war.

Der Pfarrer von Hochdorf hatte in der Schloßcapelle von Felseneck die Trauung vollzogen. Gregor Vilmut befand sich damals gerade in der Residenz, wohin amtliche Angelegenheiten ihn riefen. Er hatte die nunmehrige Baronin Werdenfels erste heute wiedergesehen, wo er an der Spitze des Dorfes mit einigen kurzen ernsten Worten sie und ihren Gatten begrüßte. Die eigentlichen Reden überließ er dem Gemeindevorsteher und Rainer, welche denn auch eine ganz wunderbare Leistung zu Stande brachten. Er selbst sprach nur das Nothwendige, aber er that es mit ruhiger Würde und zog sich, sobald der Wagen vorüber war, in das Pfarrhaus zurück.

Jetzt aber erschien er dort auf der Freitreppe und näherte sich der jungen Frau, die ihm überrascht entgegen trat.

„Du bist es, Gregor? Ich hoffte garnicht, Dich heute noch zu sehen.“

[469]

Kolkrabe und Hase.
Originalzeichnung von C. F. Deiker.

[470] „Ich komme, um Dir Lebewohl zu sagen! Meine Abreise ist auf übermorgen festgesetzt.“

„So plötzlich? Du solltest Deine neue Stellung in M. ja erst im Herbste antreten.“

„Das hat sich geändert. Das dortige Pfarramt ist verwaist und bedarf dringend eines Vertreters, während mein Nachfolger in Werdenfels jede Stunde bereit ist. Ich nehme bereits morgen Abschied von meiner Gemeinde, aber wenn Du auch der kirchlichen Feierlichkeit beiwohnst, so werde ich doch schwerlich Gelegenheit finden, Dich allein zu sprechen, und deshalb komme ich heute!“

Anna’s Augen ruhten betroffen und forschend auf den Zügen des Pfarrers, endlich sagte sie:

„Diese unerwartete Beschleunigung ist Dein Werk, Gregor! Du gehst, weil Raimund kommt.“

Gregor widersprach nicht, und die junge Frau fuhr mit leisem Vorwurf fort:

„Ich glaubte, die alte Feindschaft sei zu Ende seit jener Fahrt auf Leben und Tod, welche Ihr zusammen unternommen habt?“

„Wir sind keine Feinde mehr,“ erwiderte Vilmut fest. „Gegner bleiben wir immer, denn hier handelt es sich um Ueberzeugungen, die Keiner opfert. Du solltest mir den Entschluß danken, den ich gefaßt habe. Bliebe ich, so würde der Kampf von Neuem beginnen, müßte beginnen, denn ein wirklicher Ausgleich ist nicht möglich.“

„Und Du räumst einem Gegner das Feld? Das sieht Dir nicht ähnlich.“

„Ich räume einen Platz, auf dem ich nicht mehr fest und unerschütterlich stehe, wie einst. All die stürmischen Proteste, die gegen meine Entfernung laut wurden, all die Bitten, zu bleiben, täuschen mich nicht darüber. Vor meiner ganzen Gemeinde hat mir Rainer den Vorwurf zugeschleudert, ich hätte das Dorf in das Verderben gebracht, und die Anderen stimmten ihm bei. Das ist nicht auszulöschen, weder für sie noch für mich, und darüber hilft auch keine Anhänglichkeit hinweg. Sie glauben nicht mehr an mich, und sie müssen diesen Glauben an ihren Priester haben, wenn sein Wirken nützen soll.“

„Also ist diese Berufung nach M. auf Deine Veranlassung geschehen? Ich ahnte es! Aber Deine Gemeinde wird Dich schwer vermissen.“

„Glaubst Du, daß mir die Trennung von Werdenfels leicht wird, mit dem ich seit zwanzig Jahren verwachsen bin, wo ich eine ganze Generation erzogen und eine andere geleitet habe? Aber es muß sein! Ich ertrage nun einmal nichts Halbes, und mit voller ungebrochener Kraft kann ich nur in einen neuen Wirkungskreis eintreten.“

Es lag wieder die alte, unbeugsame Energie in diesen Worten – und Anna fühlte zu sehr deren Wahrheit, um Widerspruch zu erheben.

„Willst Du Raimund sprechen?“ fragte sie. „Er ist im Schlosse, wenn Du ihn dort –“

„Wozu das? Ich habe ihn heute begrüßt, als er nach Werdenfels kam, und er wird mir dieselbe Rücksicht erweisen, wenn ich Werdenfels verlasse. Für seine, wie für meine künftige Stellung wird diese öffentliche Versöhnung von Nutzen sein, vertraulich haben wir nichts mit einander zu verhandeln. Ich wollte von Dir Abschied nehmen, Anna, da unsere Wege sich jetzt trennen.“

„Doch nicht für immer?“ sagte die junge Frau zögernd. „M. ist freilich sehr fern.“

„Und wenn es auch näher läge, unsere Beziehungen würden doch zu Ende sein. Meine Vormundschaft über Lily ist nur noch eine Form, seit ihre Vermählung beschlossen ist. Im nächsten Jahre trägt auch sie den Namen des Geschlechtes, dem Du jetzt angehörst – aber ich suchte heute nicht die Gemahlin des Freiherrn von Werdenfels, ich wollte Anna Vilmut noch einmal sehen, die ich als Kind in meine Obhut nahm. Leb’ wohl, Anna – für immer!“

Das Auge der jungen Frau verschleierte eine Thräne, als sie ihm die Hand reichte.

Gregor’s Auge blieb trocken, aber es haftete lang und düster auf ihrem Antlitz, als wolle er das Bild mit sich nehmen in die Ferne. Er drückte noch einmal ihre Hand, dann ging er festen Schrittes davon, ohne sich wieder umzuwenden.

Anna blickte ihm lange nach. Das Eine, was unausgesprochen zwischen ihnen blieb, war jetzt überwunden, sie hatte es in seinem Blick gelesen, aber sie las auch darin, was diese Ueberwindung ihn gekostet hatte.

Da tönten nahende Schritte, und als Anna sich umwandte, gewahrte sie ihren Gatten, der aus dem Schlosse gekommen war.

„Hast Du auf mich gewartet?“ fragte er. „Ich konnte Eckfried nicht so schnell verabschieden, er ist eigens mit seinem Toni vom Mattenhofe gekommen, um heute in Werdenfels zu sein.“

„Ja, der Toni stand im Dorfe an der Spitze der Kinderschaar und überreichte mir einen riesigen Strauß Alpenblumen,“ sagte die junge Frau lächelnd. „Aber er vergaß den eingelernten Vers zur Hälfte und half sich damit, daß er mir mit ungeheuerem Stolz erzählte, er und der Großvater hätten jetzt ein Pferd und ein Wägli, in dem sie gekommen seien und auch wieder heimfahren würden.“

„Das ist ihm allerdings etwas Neues. Es war ein glücklicher Gedanke, als Du mir riethest, den verschuldeten Mattenhof zu kaufen und dem Knaben zu verschreiben, der ihn ja eigentlich von den Eltern hätte erben sollen.“

„Es galt, den Starrkopf Eckfried’s zu beschwichtigen, der für sich selbst vielleicht nichts angenommen hätte. Er ist freilich wie verwandelt, seit Du ihm damals seinen Enkel in die Arme legtest, und er erhob auch keine Einwendung, als Du das Recht in Anspruch nahmst, für das gerettete Kind zu sorgen.“

„Nun, vielleicht erlebt er es noch, den Buben heranwachsen und den Hof antreten zu sehen! Die wenigen Wochen da oben haben ihn förmlich verjüngt. Es war allzu hart für den ehemaligen Bauer, bei Fremden als Knecht arbeiten zu müssen, jetzt kann er wieder auf eigenem Grund und Boden wirthschaften und für seinen Enkel schaffen, das verlängert sein Leben um zehn Jahre.“

„Gregor war vorhin bei mir,“ sagte Anna nach einer Pause. „Er kam, um Abschied zu nehmen. Er bleibt nicht bis zum Herbste, wie wir voraussetzten, sondern geht schon übermorgen.“

„Ich weiß es, Eckfried theilte es mir mit. Ich habe nie gezweifelt, daß Vilmut sobald als möglich gehen werde. Er hat eingesehen, daß für uns Beide nicht Platz in Werdenfels ist, und er weiß, daß ich nicht wieder von dem Platze weichen werde, den ich einmal errungen habe.“

„Du thust Gregor Unrecht. Er weicht nicht Dir, sondern jener Stunde, in der das Hochwasser über das Dorf hereinbrach. Wenn er die Schuld auch männlich gesühnt hat, ein Vorwurf bleibt es immer, und er mag ja Recht haben, der Glaube seiner Gemeinde an ihn ist einmal erschüttert, das könnte verhängnißvoll werden für sein späteres Wirken.“

„Besser, er geht in Frieden von uns,“ entgegnete Raimund ernst. „Friede wäre doch nicht geblieben, wenn er nach wie vor an der Spitze des Dorfes stand; zwei Herren taugen nicht an einem Orte, und nach dem, was geschehen war, konnten wir uns doch nicht wieder feindlich gegenüberstehen. Auch nach seiner Entfernung werde ich noch genug mit meinen Werdenfelsern zu kämpfen haben, sobald die Feststimmung dieser Tage erst verrauscht ist. Es liegt eine vierzehnjährige Entfremdung zwischen uns, und in all diesen Jahren hat Gregor Vilmut sie beherrscht und geleitet. Aber sie haben Vertrauen zu mir gelernt in der Stunde der Noth, und ich vertraue ihnen. Auf diesem Grunde, denke ich, wird sich eine Zukunft erbauen lassen.“

Anna deutete auf die einst so blühende und jetzt so wüste Umgebung des Schlosses.

„Sie haben es ja täglich vor Augen, was Du für sie gethan hast, und die Mahnung wird fruchten. Es thut mir doch weh, daß unsere schönen Gärten so ganz vernichtet sind, und dort drüben in der Niederung liegt noch unendlich mehr begraben. Du hast beinahe die Hälfte Deines Vermögens zum Opfer bringen müssen.“

Raimund’s Blick folgte der angedeuteten Richtung, aber es war ein heller, muthiger Blick.

„Ja, es wird Zeit und Arbeit kosten, die Verwüstungen jenes Tages zu tilgen. Verloren gebe ich meine Besitzungen trotzdem nicht, wenn ich mir sie auch erst wieder erobern und jeden Fußbreit Boden der Verheerung abtrotzen muß. Vielleicht [471] ist das die beste Schule für den Träumer, der sich erst im Leben zurechtfinden muß. Meinst Du nicht, Anna?“

Er legte den Arm um seine Gattin, die ihm mit einem strahlenden Lächeln antwortete.

„Raimund, ist es nicht besser, mit den Menschen zu leben, besser, selbst mit ihnen zu kämpfen, als in öder Einsamkeit sich selbst und der Welt verloren zu sein?“

„Schilt mir mein Felseneck nicht,“ sagte Raimund innig. „Du bist dort mein geworden, und in seinen Mauern haben wir Beide die ersten Wochen unseres Glückes durchlebt und durchträumt. Aber Du hast Recht, man darf nicht immer träumen, auch im Glücke nicht, deshalb habe ich mich losgerissen von unserer Bergeseinsamkeit und trete mit Dir in die Welt und in das Leben!“

Sein Auge verlor sich noch einmal in die Ferne, wo die Geisterspitze in ihrer stolzen, eisigen Majestät aufragte, aber heute schien sie zu schwimmen in dem goldenen Dufte, der das ganze Gebirge umfloß. Der Sommertag war auf seiner Mittagshöhe, tiefblau wölbte sich der Himmel und Sonnenglanz füllte die Luft.

Die Wellen des Bergstromes rauschten und funkelten wieder in ihrer bläulich grünen Gletscherpracht, als hätten sie niemals den Menschen Verderben und Unheil bereitet. Und dieselben Wogen hatten doch das Brandmal getilgt, das die Schuld des Vaters heraufbeschworen, und die Ketten gesprengt, die auch den Sohn an jenes Verhängniß fesselten. Der alte Bann versank, wie die Nebel und Wolken jener stürmenden Frühlingstage, und ein erlöstes, befreites Leben rang sich daraus empor!




Der „arme Reisende“.

Beiträge zur Geschichte des Vagabondenthums und der Mittel zu seiner Abwehr.
Von Fr. Helbig.
II.
Strafgesetze. – Correctionsanstalten. – Das belgische System. – Die Selbsthülfe der Gesellschaft. – Vereine gegen Hausbettelei. – Gemeinde- und Bezirksinstitute. – Canstatter Thesen. – Das Armenwesen in Württemberg. – Die Arbeitscolonie Wilhelmsdorf. – Genossenschaftshülfe. – Die Herbergen zur Heimath. – Die Wendung zum Bessern.

Wenden wir uns nun zu den Maßnahmen, welche darauf hinzielten, das Vagabondenthum zu unterdrücken, so hat der Staat es sich schon früh angelegen sein lassen, im Wege der Strafgesetzgebung und des polizeilichen Zwanges den alten Feind der gesellschaftlichen Ordnung zu bekämpfen. Seine Macht hat sich aber auf keinem Gebiete so ohnmächtig gezeigt, wie auf diesem. Gegen Betteln und Landstreichen bestanden früher die schwersten Strafen: Zuchthaus, Staupenschlag, Brandmarkung, Verweisung des Landes auf ewige Zeiten. Aber die Klagen über Ueberhandnehmen der Vagabonden nahmen nicht ab. Sie begleiteten jede neue Strafordnung.

Der Kurfürst von Mainz gebot sogar mit Patent vom 1. Juni 1723, daß „an den Zigeunern, Vagabonden und anderem liederlichen Gesind, ohne-einziges Nachsehen an den Ort, wo sie ertappet, die Todes-Straff exequiret und sie an den nächsten Baum aufgehängt werden sollten.“

Auch das half nichts. Das Bettelunwesen blieb dasselbe nach wie vor. Es wurde namentlich, wie schon gedacht, begünstigt durch die Zerstückelung Deutschlands in eine Menge Herrschaften.

Neuerer Zeit sind die Strafgesetze gegen Bettler und Landstreicher immer milder geworden. Das deutsche Reichsstrafgesetzbuch hat auch noch die früheren Strafschärfungen – Dunkelarrest, hartes Lager, Entziehung der Kost – beseitigt und setzt auf Betteln und Landstreichen nur eine Strafe bis zu sechs Wochen Haft. Diese Strafe wird für die Stromer, besonders zur Winterzeit, geradezu eine ersehnte Wohlthat. Eine Arbeit ist mit dieser Strafe gewöhnlich nicht verbunden, da die Amtsgerichtslocale darauf nicht eingerichtet sind; sie ist somit eine Zeit des Nichtsthuns und der bequemen zeitlichen Versorgung. „Hafttage sind Ruhetage“. Es ist daher nicht selten vorgekommen, daß Vagabonden den Richter, statt um eine Herabsetzung, um eine Verdoppelung der vom Amtsanwalt beantragten Strafe gebeten haben.

Weit mehr gefürchtet ist die durch die Landespolizeibehörden verfügte Unterbringung in Strafarbeits- (Corrections-) Anstalten, auf welche nach Umständen zugleich mit erkannt werden kann, denn hier herrscht der Arbeitszwang. Nach einer ziemlich allgemeinen Erfahrung ist der Erfolg, der in diesen Anstalten erzielt wird, indeß ein nur wenig segensreicher. Der durch die gemeinsame Arbeit geförderte Verkehr der guten mit den schlechten Elementen wirkt entsittlichend; die oft harte Behandlung stumpft ab oder erbittert. Die religiöse Einwirkung erzieht schlechte Naturen leicht zu Heuchlern. Das Brandmal, das der Sträfling von dort mitnimmt, erschwert ihm beim Wiedereintritt in die bürgerliche Gesellschaft wesentlich das Fortkommen.

Eine Ausnahme bilden hier nur die wahrhaft musterhaften Anstalten im Königreich Belgien. Bei denselben ist eine möglichste Gliederung der verschiedenen Arbeiterclassen und eine Berücksichtigung der individualen Anlage in’s Auge gefaßt. Es giebt dort besondere Anstalten für die Jugend, für jedes Geschlecht, für die Erwachsenen und unter ihnen wieder für die Gesunden wie für die Kranken und Gebrechlichen.

In den Anstalten für jugendliche Vagabonden steht das erziehende Element im Vordergrunde, dessen Grundsatz die Gewöhnung an ein bedürfnißloses Leben mit harter Arbeit ist. Es sind keine Gefangenanstalten, sondern landwirthschaftliche Colonien, welche durch ihre Lage abseits der großen Städte die Zöglinge von der Berührung mit schlechten Elementen der Außenwelt schützen, ihre körperliche und geistige Entwickelung fördern.

Die Anstalten für erwachsene und arbeitsfähige Vagabonden haben zwar Gefängnißreglement, aber die Hauptbeschäftigung der Sträflinge besteht in der Bebauung des sehr umfangreichen zur Anstalt gehörigen Areals. Jeder verurtheilte Landstreicher hat dort mindestens einen Monat, beim Rückfall ein Jahr zu bleiben. Die Anstalt gestattet auch den freiwilligen Eintritt für subsistenzlos gewordene Personen, die von jenen getrennt werden. Die Anstalt in Brügge für altersschwache und arbeitsunfähige Personen trägt ganz den Charakter eines Hospitals. Daneben besteht das Gesetz, daß jede über vierzehn Jahr alte gesunde, beim Betteln oder Vagabondiren betroffene Person nach zuerkannter Strafe der Regierung überwiesen wird. Diese Einrichtungen haben sich in Belgien so segensreich erwiesen, daß schon im nächsten Jahre nach dem Erlasse des Gesetzes die Zahl der betreffenden Verurtheilten sich um fünfunddreißig Procent minderte.

An die Stelle der unzulänglichen Hülfe des Staats trat sehr bald die Selbsthülfe der Gesellschaft. Trug sie, die Gesellschaft, doch auch einen wesentlichen Antheil daran, daß das Vagabondenthum sich so üppig ausgebreitet hatte. Denn gerade der an sich so löbliche Sinn für Mildthat und Wohlthun hatte das Aufgehen und Fortwuchern der bösen Saat unfreiwillig gefördert. Man war ja weit enfernt, das Stromerthum durch die Gaben zu unterstützen, man wollte immer nur dem „armen Reisenden“ von Ehedem geben, aber im Moment, als die Bitte an den Einzelnen heran trat, konnte man das gute und schlechte Element nicht von einander unterscheiden, und um nicht das erstere durch das letztere leiden zu lassen, gab man unterschiedslos Jedem.

Zunächst ging man nur darauf aus, das Wandern von Haus zu Haus zu beseitigen. Man gründete Vereine gegen Hausbettelei durch Verabfolgung von Ortsgeschenken, und machte die letztern wohl noch abhängig von dem Besitze von Legitimationspapieren und dem Ablaufe einer Zeit seit der letzten Gabe. Eine Zeit lang wurde damit auch der Hausbettelei Einbruch gethan, aber die Sache hielt sich gewöhnlich nicht lange. Meist war es das gute Menschenherz selbst, das die vom Verstande geschaffene Satzung durchbrach. Was der Mann consequent durchführte, vereitelte in vielen Fällen die Frau, und der pfiffige Wanderbettler lernte allmählich an dem in der Hausflur hängenden Blechschilde vorübergehen, ohne es einer Beachtung zu würdigen. Er holte sich das Ortsgeschenk und bettelte noch obendrein.

Die Sache hatte sogar noch ihre sehr schlimme Seite, denn [472] man beobachtete alsbald, daß die Wandernden ihre Marschrouten nach den vorhandenen, ihnen wohl bekannten Vereinen einrichteten und oftmals einen besonderen Abstecher per Bahn machten, um sich das Ortsgeschenk zu holen. Die Unterstützung betrachteten sie als eine berechtigte Forderung. Es wurden daher Stimmen laut, welche in den Vereinen geradezu eine amtlich beglaubigte Unterstützung des Vagabondenwesens erblickten. Mit der Zeit gingen auch viele Mitglieder wieder ab und die Vereine zumeist ihrer Auflösung entgegen.

Da in den Händen der Privaten die Sache nicht einschlagen wollte, so kam man in einigen Gegenden dahin, diese Antibettelvereine in Gemeinde-Institute zu verwandeln. Die Gemeindebehörden zahlten aus dem durch freiwillige Beiträge der Einwohner erweiterten Fonds der Ortsarmencasse kleine Geldgeschenke an die armen Reisenden. Ein Ortsanschlag verkündete den letzteren gleich beim Eintritt in’s Dorf – die Einrichtung wurde namentlich von Landgemeinden angenommen (als ob die Vagabonden dies nicht längst gewußt hätten!) – daß das Betteln verboten sei. Allein auch hier trat die Unzuverlässigkeit der Privaten und der Mangel einheitlicher Durchführung störend dazwischen. Die ohnedies nicht scharfe Ortspolizei wurde lässig und „die armen Reisenden wurden bald wieder Herren der Lage und lachten bei ihren Schnapsgelagen in den Herbergen über die dummen Bauern, welche ihnen noch aus der Gemeindecasse Geld zu einem lustigen Abende gewährten“.

Man suchte nun das Institut zu seiner besseren Kräftigung auf ganze Bezirke auszudehnen. Dies geschah zuerst im Königreich Sachsen, in den Jahren 1880 und 1881. Dort nahmen einzelne Amtshauptmannschaften die Sache in die Hand und organisirten das Geschenkwesen für ihre Bezirke theils durch freie Vereinigung der Gemeinden, theils dadurch, daß sie die Unterstützung zu einer Angelegenheit des Bezirks machten. Um Mißbrauch zu verhüten, werden die Gaben an beschränkten, in einer Entfernung von etwa zwei Stunden von einander getrennten Gabestellen verabfolgt; der Aufwand wird als eine Art Bezirkssteuer aufgebracht und auf die Gemeinden repartirt. Voraussetzung für die Unterstützung ist Bedürftigkeit und der Besitz einer genügenden Legitimation. Zur Sicherstellung der Einrichtung gegen den Wankelmuth des Publicums wurde dem letzteren die Verabreichung von Gaben an Bettler verboten.

Durch diese Einrichtung wurde der Hausbettelei in den betreffenden Districten fast ganz gesteuert; die Zahl der armen Reisenden ging zwar nach einem vorliegenden Berichte vom Jahre 1882 nicht erheblich zurück, aber die Qualität derselben wurde besser, das heißt die professionirten Stromer mieden die Bezirke. Dadurch wurden diese Bezirksvereine freilich gewissermaßen zu Abwehranstalten, welche die Reisenden in andere Bezirke trieben.

Der Hauptmangel auch dieser Einrichtung ist aber der, daß die Geschenke mit wenigen Ausnahmen in Geld gegeben wurden. Geld bleibt in der Tasche des Vagabonden aber immer ein bedenklicher Besitz, denn er wird es in den meisten Fällen nicht zu Kost und Kleidung, sondern zu Trunk und Spiel verwenden. Die Erkenntniß der Gefährlichkeit der Geldunterstützung hat in einzelnen Gegenden, namentlich in Württemberg, die Einrichtung der Naturalunterstützung für die armen Reisenden hervorgerufen. Ihrer Einführung ging eine Versammlung der Bezirkswohlthätigkeitsvereine und der weltlichen und geistlichen Bezirksbehörden aller Oberämter in Cannstatt voraus. In dieser, am 24. November 1880 abgehaltenen Landesversammlung wurden auf Grund der gewonnenen Erfahrungen eine Anzahl sehr beherzigenswerther Thesen aufgestellt, von denen wir nur folgende hervorheben:

1) Die Unterstützung Durchreisender hat ausschließlich nur durch Gewährung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse und, soweit ausführbar, gegen Arbeitsleistung zu geschehen. Unmittelbare Geldspenden müssen unbedingt aufhören.

2) Diese Unterstützung soll nicht von einzelnen Einwohnern verabreicht werden, sondern in erster Linie von der Gemeinde oder einer Unterstützungsstation.

3) Kost und Nachtquartier sind zu gewähren gegen eine dem Bittenden eingehändigte Marke in einer hierzu bestimmten Speise-Anstalt und Herberge.

4) Kleidung soll nur gegen entsprechende Arbeitsleistung abgegeben werden, um den Wiederverkauf derselben zu verhüten.

5) Zur Beschaffung von Arbeit empfiehlt sich ein Nachweisbureau von offenen Arbeitsstellen.

Die Organisation der Naturalverpflegungs-Einrichtungen erfolgte nunmehr nach zwei Systemen. In einigen Bezirken wurde das Gemeindesystem, das heißt die gemeindeweise Unterstützung, in anderen das Stationssystem eingeführt, bei welchem die Naturalverpflegung in einer Anzahl im Bezirke eingerichteter Stationen erfolgte. Die Verpflegung geschieht dabei in folgender Weise:

Die durch öffentliche Anschläge vor Bettel und Umschau gewarnten Reisenden haben sich an den Ortsvorsteher oder an einen besonderen Anweisungsbeamten zu wenden, ihre Legitimationspapiere vorzuweisen und Karten oder Marken in Empfang zu nehmen, welche auf Speise oder Nachtquartier oder aus beides lauten. Die Verpflegung geschieht theilweise in den christlichen Gesellenherbergen oder Herbergen zur Heimath, meistens aber in sonstigen Wirthshäusern. Den Wirthen ist bei Conventionalstrafe verboten, für die Anweisungskarten oder Marken geistige Getränke abzugeben. Die Verrechnung mit den Wirthen geschieht auf Grund der erhaltenen Anweisungskarten, welche der Anweisungsbeamte nach seinem Verzeichnisse controlirt. Außerdem wird durch Arbeitsnachweisungsbureaus und die Karten- oder Markengeber dafür gesorgt, daß die Reisenden eine bei den Gewerbetreibenden oder Landwirthen vorhandene Arbeitsgelegenheit erfahren.

Auch diese Württemberger Einrichtung hatte die besten Erfolge. Die schlechteren Elemente der armen Reisenden wurden fern gehalten; die Schnaps- und Bierorgien in den Herbergen hörten auf; die Hausbettelei verschwand, und die öffentliche Sicherheit nahm zu.

Doch macht man auch diesem System den Vorwurf, daß es die Gewährung der Naturalunterstützung nicht von der Leistung der Arbeit abhängig macht, sondern die letztere nur anbietet. Es könne namentlich bei schlechter Lage des Arbeitsmarktes dennoch vorkommen, daß sich der Reisende ohne eine Gegenleistung längere Zeit, wandernd von Ort zu Ort, ernähren lasse. Das könne auf dessen Charakter keinesfalls günstig einwirken. Deshalb stellten neuere Versammlungen von Fachmännern den theoretisch jedenfalls richtigen Grundsatz auf, daß das rechte Mittel zur wirksamen Bekämpfung des Vagabondenthums sei: organisirte Unterstützung durch Naturalverpflegung gegen Arbeitsleistung.

Vereinzelt hatte man schon die Forderung einer Arbeitsleistung als Voraussetzung der Unterstützung aufgestellt, so namentlich in einzelnen Antibettelvereinen. Man hatte z. B. den Empfang einer Freikarte des Vereins davon abhängig gemacht, daß Jeder anderthalb Stunden lang Holz zerkleinere oder Steine klopfe. Dadurch hatte man jedoch erreicht, daß die Freikarten weniger Abnehmer fanden, ein dauernder Effect hätte nur erzielt werden können bei einer Organisation im Großen, durch Errichtung von Centralarbeitsstellen, namentlich auf dem Lande, und durch Nachweisungsbureaus in den Städten.

Ein praktisches Beispiel für die Durchführung dieses Gedankens bildet die auf Anregung des Pastors Bodelschwingh in Bielefeld in’s Leben gerufene Arbeitscolonie Wilhelmsdorf. Sie hat den Zweck, arbeitslustige und arbeitslose Männer jeden Alters, jeder Confession und jeden Standes, so weit sie wirklich noch arbeitsfähig sind, so lange in ländlichen und anderen Arbeiten zu beschäftigen, bis es möglich geworden ist, ihnen anderweitig lohnende Arbeiten zu beschaffen und ihnen so die Hand zu bieten, vom Vagabondenleben los zu kommen, und damit zugleich arbeitsscheuen Vagabonden jede Entschuldigung abzuschneiden, daß sie keine Arbeit hätten.

Zu diesem Zwecke wurden durch die Provinzialstände Westfalens zunächst drei Bauernhöfe in der Senne von circa fünfhundert Morgen angekauft. Die Arbeit besteht vorzüglich in Spatencultur und dem Anbau von Handelsculturpflanzen und Gartenfrüchten; zur Winterszeit im Urbarmachen des unbebauten Sennelandes und Aufbrechung des Ockers, sowie in Wiesenbauten; für die kurze Zeit, wo die ländliche Arbeit feiert, in Flechten von Matten und Körben. Mit jedem Eintretenden wird nach dem Maße seiner Leistungsfähigkeit ein Lohncontract gemacht. Hat der Arbeiter soviel verdient, daß er wieder eine saubere Kleidung und eigenes Arbeitszeug besitzt, so wird möglichst dafür gesorgt, daß er außer der Anstalt Arbeit bekommt, durch ein mit dieser verbundenes Arbeitsnachweisebureau.

[473]

Kleine Bilder aus der Gegenwart.

Wer kennt nicht den Zauber, welchen die Geschichte frühester Jahrhunderte um die ehrwürdige Stadt Aachen wob und welchen die Ueberlieferung und die Sage auf spätere Geschlechter übertrug? Im grauen Nebel römischer Zeit verliert sich die Gründung der Stadt, schon Chlodwig hielt hier einen Reichstag ab, und Theodorich wählte im Jahre 514 Aachen zu seiner Residenz. Zwei Jahrhunderte später erblickte in Aachens Mauern Karl der Große das Licht der Welt, hier weilte er, sobald es ihm die Regierungsgeschäfte seines weiten Reiches erlaubten, hier baute er die Bäder, das berühmte Rathhaus und den kunstvollen Dom, hier schloß der erste deutsche Kaiser seine müden Augen und fand seine letzte Ruhestätte.

Das Rathhaus zu Aachen vor dem Brande.
Nach einer Photographie.

Und später! Seit Ludwig dem Frommen, dem dritten Sohne Karl’s des Großen, viele Jahrhunderte hindurch bis zu Ferdinand dem Ersten (1531), war Aachen die Krönungsstadt des deutschen Reiches und siebenunddreißig Kaiser erhielten hier die kirchliche Weihe. Kein Wunder also, daß Aachen im Mittelalter die für damalige Zeiten stattliche Zahl von 100,000 Einwohnern aufweisen konnte und seine Bürger durch viele Privilegien eine geachtete Stellung im Reiche einnahmen. Alle diese Erinnerungen bewegten auf das Tiefste die deutschen Gemüther, als am 29. Juni der Telegraph die schmerzliche Nachricht verbreitete, ein großer Brand herrsche in Aachen, das Rathhaus stehe in Flammen und von den benachbarten Städten hätte Hülfe requirirt werden müssen.

Das Aachener Rathhaus! Einfach, aber würdig erhob es sich auf dem Marktplatze als stolzes Wahrzeichen der Stadt. An demselben Orte stand einst die kaiserliche Pfalz[1], vom Kaiser Karl in den Jahren 780 bis 785 erbaut. Auf den Trümmern derselben wurde um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts das Rathhaus aufgeführt, in welches viele Theile der alten Pfalz aufgenommen wurden. Selbst als dieser Bau in dem großen Brande von 1656 zu Grunde gegangen war und unter der Leitung des städtischen Zimmermeisters Gerhard Kraus das heutige Rathhaus entstand, blieben unzweifelhaft einzelne Theile des alten Mauerwerks erhalten, sodaß wir in demselben die werthvollen Ueberreste der ältesten deutschen Baukunst erkennen müssen.

Das Rathhaus zu Aachen nach dem Brande.
Nach einer Skizze von Georg Macco.

Neben dem 170 Fuß langen und 60 Fuß hohen Gebäude erhoben sich, wie wir auf unserer Abbildung sehen, zwei 180 Fuß hohe Thürme. In dem westlichen halbrundgeformten befindet sich die ehemalige Haupttreppe zu dem großen Krönungssaale, an der nordwestlichen Seite erblicken wir noch ein kleines Erkerthürmchen, von dem eine Treppe in die Nähe des kaiserlichen Thrones führte. Der zweite an der Ostseite gelegene Thurm ist dagegen viereckig und mit Schießscharten versehen.

Die beiden großen Thürme waren mit einem hohen Dachaufsatze und Gallerien versehen, von denen das Auge das Aachener Thal weit überschauen konnte.

Diese beiden „Holzhelme“ wurden nun nebst dem Dachstuhle von dem Flugfeuer, welches sich über einen Theil der Stadt von dem Brandherde, dem Magazin der Mohnheim’schen Fabrik, ausbreitete, ergriffen, und sind in kurzer Zeit ein Raub der Flammen geworden.

Wiewohl der eine Thurm zusammenbrach und seine Trümmer auf das Rathhaus niederstürzten, so hielten dennoch die mächtigen Bogen des Kaisersaales den wuchtigen Anprall aus, bis es gelang, die Gefahr von dem Hauptgebäude abzuwenden.

So ist, wie wir aus unserer zweiten Abbildung ersehen können, nur der Verlust des Daches und der Thürme zu beklagen; das Rathhaus selbst aber mit seinen unersetzlichen Archivschätzen, seinen reichen Bildergallerien, den berühmten Fresken des Kaisersaales, die von Rethel’s Künstlerhand gemalt wurden, ist gottlob! erhalten; selbst der reiche Schmuck der Frontwand ist unversehrt geblieben.

Bekanntlich hat der Brand auch in anderer Beziehung die Stadt hart geprüft, da an jenem verhängnißvollen Tage nicht weniger als dreißig Brandstellen vorhanden waren, aber die Aachener hielten tapfer Stand und mit Hülfe der Stolberger, Eupener, Langerweher, Düsseldorfer und Kölner Feuerwehr gelang es ihnen schließlich, des Feuers Herr zu werden, und man tröstete sich im Unglück vor Allem damit, daß kein Menschenleben verloren ging. Das frühzeitige Erscheinen der auswärtigen Feuerwehren mit bespannten Spritzen und Zubehör in der bedrängten Stadt gehört wohl zu den charakteristischen Zügen unserer Zeit, die durch Dampf und elektrischen Funken, durch die gebändigten Elemente, gegen die entfesselte Macht derselben anzukämpfen weiß. Hätte wohl Jemand noch vor fünfzig Jahren an die Möglichkeit gedacht, daß in kaum sechs Stunden nach Ausbruch des Brandes in Aachen die Feuerwehren von Düsseldorf und Köln mit Spritzen und Geräthewagen an Ort und Stelle erscheinen könnten?


Ein wesentliches Abwehrmittel gegen die Entartung der reisenden Handwerksburschen ist die Neubegründung handwerksgenossenschaftlicher Verbände zum Ersatze des Zunftverbandes. So hat der „Verein deutscher Buchdrucker“ durch seine Unterstützungsagenturen den Genossen seines Faches wesentliche Dienste gethan. Dasselbe gilt von den vom Pfarrer Kolping gegründeten „Katholischen Gesellenvereinen“, abgesehen von ihrer confessionellen Tendenz. Im Jahre 1881 zählte man deren fünfhundert.

Einen ganz besonderen Antheil an der Fürsorge für Besserung der Verhältnisse des wandernden Arbeitspersonals darf die Innere [474] Mission in Anspruch nehmen. Sie zählt dieselben zu ihren Hauptaufgaben. Sie hat vor Allem die "Herbergen zur Heimath" in’s Leben gerufen und dadurch den verderblichen Einflüssen der Pennenwirthschaft, von welcher unser erster Artikel ein Bild zu geben bestrebt war, mit Erfolg entgegengearbeitet. In diesen „Herbergen zur Heimath“ – schon der Name ist gut gewählt – sollte den armen Reisenden in eigens geschaffenen Gasthäusern ein menschenwürdiges Unterkommen geboten werden; statt der dumpfen Löcher gute Zimmer; statt Diele und Strohlager reinliche Betten. Speise und Getränke werden controllirt und vor Allem der Branntwein ganz von der Liste der Getränke gestrichen; das Kartenspiel wurde verpönt und durch eine strenge Hausordnung alle Ungebühr unterdrückt. Die Centralleitung der ersten sogenannten christlichen „Herbergen zur Heimath“ ging vom „Rauhen Hause“ in Horn bei Hamburg aus. Dahin muß jede einen bestimmten jährlichen Beitrag abliefern. Die Direktion des „Rauhen Hauses“ ernennt die Hausväter. Jeden Monat wird über die Vorkommnisse in Haus und Familie Bericht erstattet. Dem entsprechend hat das religiöse Element einen starken Antheil an der Hausordnung. Morgens und Abends werden regelmäßige Andachten abgehalten, von denen keiner der jeweiligen Insassen sich ausschließen darf. Anfangs nahm man sowohl im Publicum, wie in den Kreisen der armen Reisenden die Einrichtung nicht ohne Mißtrauen auf, und es waren erfahrungsgemäß nicht die Besten und am wenigsten die wahrhaft kirchlich Gesinnten, welche dort Einkehr nahmen. Die Einrichtung erwies sich aber in ihren Grundgedanken als so segensreich, daß dieselbe auch außerhalb des Bannes strenger Orthodoxie Verbreitung fand, und dürfte jetzt kaum mehr eine größere protestantische Stadt zu finden sein, in welcher nicht eine solche „Herberge zur Heimath“ oder ein dem ähnliches Institut errichtet wurde. Der Besuch derselben Seitens unserer armen Reisenden ist in stetem Zunehmen begriffen, sodaß in vielen Städten schon Erweiterungsbauten haben vorgenommen werden müssen. Vielfach haben sich die oben geschilderten Unterstützungsvereine mit denselben in Verbindung gesetzt, indem sie ihre Pfleglinge dahin verwiesen. –

Aus dem Allen geht hervor, daß, so groß auch die socialen Schäden sind, an denen unsere Zeit krankt, so groß doch auch ihre Humanität und Menschenliebe, ihr Geschick und ihre Macht sind, diese Schäden zu heilen. Daß dies nicht mit einem Male geschieht, daß immer erst die Erfahrung das rechte Mittel findet, das ist das Loos alles menschlichen Thuns. Statistische Nachweise haben ergeben, daß die Krankheit bereits ihren Höhepunkt erreicht hat, und daß die Zeit nicht mehr fern sein wird, wo der arme Reisende das Vagabondenthum abstreift und zu der alten Harmlosigkeit zurückkehrt, in welcher die Hand keine Versündigung an der Gesellschaft mehr begeht, wenn sie ihm einen Zehrpfennig zusteckt.




Die Theater in Paris.

Von Rudolf von Gottschall.

Paris ist eine echte Theaterstadt; nicht blos die Hochfluth des Fremdenbesuchs strömt in die Theater der Weltstadt. Freilich, über die eigentliche Pariser Bevölkerung breitet sich eine große europäische und amerikanische Schicht, die auf den Boulevards und in den Theatern sich am meisten bemerkbar macht und den Pulsschlag der Weltstadt zu einer fast krankhaften Regsamkeit steigert; doch auch die Theater an den äußeren Boulevards, in Batignolles und anderen Gemeinden, ja selbst in Belleville, dem Hauptsitze der Revolutionairs, Theater, in welche die Neugierde nur selten einmal einen Fremden lockt, beweisen, daß die Theaterlust in allen Kreisen der Pariser Bevölkerung heimisch ist.

Und haben die Pariser Poeten nicht das echte Theatergenie? Man muß es doch glauben, wenn man unsere deutschen Direktoren jahraus, jahrein nach der Seinestadt wallfahren sieht, um sich dort mit dem nöthigen Repertoirefutter zu verproviantiren. Glücklich, wer das goldene Vließ in der Tasche mit nach Hause bringt, wer seinem Gegner glücklich zuvorgekommen ist oder ihn durch ein größeres Gebot geschlagen hat; denn was deutsche Direktoren den deutschen Dichtern nie bewilligen, das bewilligen sie den französischen: eine oft sehr bedeutende Prämie für das Aufführungsrecht, ganz abgesehen von den hohen Tantiemen. Und muß man an dies überlegene Theatergenie der Pariser nicht glauben, wenn man die deutschen Kritiken liest, in denen jedes französische Stück als ein classisches Meisterwerk bewundert und mit einer Sorgfalt zergliedert wird, als handle es sich um eine Schöpfung, welche es verdiente, deutsches Nationaleigenthum zu werden? Und wie über die deutsche Bühne, so gehen die französischen Stücke auch über die englische, russische, italienische, spanische; Paris ist die Hauptstadt des europäischen Theaters.

Zwar von der großen Oper geht nicht mehr der Glanz aus wie zu den Zeiten Rossini’s, Auber’s und des deutsch-französischen Meyerbeer; neuerdings beginnt die Richard-Wagner-Oper ihr eine internationale Concurrenz zu machen. Dagegen haben die Operetten von Offenbach und Lecocq alle Bühnen Europas wie im Sturm erobert; von den kleinen Bouffes Parisiennes, diesem bescheidenen Nachbartheater der Italienischen Oper, wo zuerst Offenbach’s ironische Violinen kicherten und bacchantische Trommeln wirbelten, überkam ganz Europa die hunderttausend Teufel und Teufelchen des musikalisch-dramatischen Champagnerrausches, dieser prickelnden und trippelnden Vergnüglichkeit, die ihre Sache auf nichts gestellt hat. Und die Lorbeern Offenbach’s ließen die deutschen Kapellmeister nicht schlafen; mit mehr Glück als die deutschen Lustspieldichter ahmten sie die französischen Vorbilder nach und hatten gleiche Erfolge: mehr als hundert Aufführungen an den Operettenbühnen der Hauptstädte.

Und welchen Kreis beschreiben die Dramen Augier’s, Sardou’s, des jüngeren Dumas’, Pailleron’s? Zugstücke überall, Lieblingsstücke der deutschen gastirenden Künstlerinnen, beengen sie nicht nur das deutsche Repertoire; sie rufen schwache Nachahmungen hervor, welche die Kritik schonend behandelt oder glänzend verherrlicht, weil auch sie sich ganz im Fahrwasser der französischen Muse befindet. Die Autoren jenseits des Rheins haben das echte Theaterblut: es cirkulirt auch in der Hauptstadt. Freilich, die Theater allein reichen dafür nicht aus; sie braucht große Schau- und Spektakelstücke; sie braucht nicht blos einen Talma, sondern auch einen Napoleon.

Die neue Republik ist wenig theatralisch – und das ist ihre Achilleus-Ferse. Gambetta hatte wenigstens theatralische Gesten und Attitüden; er wußte die Toga in Falten zu legen: doch auch das letzte darstellende Talent der französischen Haupt- und Staatsactionen ist hinter den Coulissen verschwunden, um nie auf die Bühne wiederzukehren.

Ein Pariser Theater bietet im Allgemeinen einen etwas anderen Anblick dar, als ein deutsches: das Parquet, les stalles d’orchestre, gehört ausschließlich den Herren, die Damen sitzen in den Logen und Baignoires, in den großen Theatern, besonders in der Italienischen Oper, in der elegantesten Toilette. Das Pariser Feuilleton erwähnt, wenn es sich um erste Aufführungen handelt, die hervorragenden Damen, mögen sie nun der Aristokratie, der reichen Bourgeoisie, der Künstlerwelt oder der Halbwelt angehören, und versäumt es nicht, die Kritik mit dem Modebericht zu verknüpfen, indem es diese Toiletten schildert. Und dabei läßt sie ihre Sonne aufgehen über Gerechte und Ungerechte, und eine schöne Courtisane erhält reicheres Lob, als eine minder schöne Prinzessin.

Die galanten Verehrer finden sich in den Logen ein; jeder bringt eine kleine Gabe, Confitüren, Apfelsinen, und manche der Damen macht den Eindruck, als säße sie an einer Verkaufsstelle in einer Wohlthätigkeitsausstellung. Doch ist diese Sitte in der Republik etwas eingeschlafen; man ist nicht mehr so galant, wie unter dem Kaiserthum; es gehört dies vielleicht zur republikanischen Tugend, von der man sonst in Paris, trotz Montesquieu, jetzt wenig genug bemerkt.

Im Zwischenact werden die Pariser Theater lebendig: da finden sich die Ausrufer ein, welche Erquickungen jeder Art, Theaterzettel und „le livre“ feilbieten. Das Buch: es ist dies eine

[475] gute Pariser Sitte, von welcher das Publicum wie der dramatische Dichter den gleichen Vortheil hat. Das im Buchhandel erschienene Drama, das auf den Brettern gespielt wird, kann dadurch in den Besitz eines Jeden gelangen, welcher schon während der Aufführung sich die genauere Kenntniß des Stückes verschaffen oder nach derselben sich noch einmal in den Zusammenhang des Ganzen und die einzelnen Wendungen vertiefen will. Der Preis dieser Bücher ist durchaus kein geringer und nicht entfernt mit demjenigen zu vergleichen, mit welchem die Hefte der Reclam’schen Universalbibliothek bezahlt werden, die jetzt auch an manchen Theatercassen zum Verkauf ausliegen, wenn das Stück gegeben wird, das sie enthalten.

Während sich im Theater selbst ein lärmender Jahrmarkt entwickelt, geht ein großer Theil des Publicums in den Foyers spazieren. Nur das Foyer der Großen Oper macht indeß einen imposanten Eindruck; hier promenirt fast alles in Gesellschaftstoilette; Fracks und weiße Halsbinden trifft man öfter; obligatorisch ist aber in allen Foyers, auch der zweiten Theater, der Cylinderhut für die Herren. Dort baarhäuptig zu wandern, wäre ein Verstoß gegen die übliche Sitte.

Das Foyer des Théâtre Français besteht aus einer Reihe von Zimmern, die mit den Bildern und Statuetten schauspielerischer oder schriftstellerischer Berühmtheiten geschmückt sind. Auch in den andern Theatern sind es nur größere oder kleinere Salons, in denen man hin und her spaziert. So schöne große und geschmückte Rundgänge, wie das Foyer des Leipziger Stadttheaters, findet man dort nirgends. Dagegen können mit den großen prachtvollen Säulen-, und Spiegelhallen des Opernhauses nur die Wiener Oper und einigermaßen die Foyers in den großen Theatern von Dresden und Frankfurt a. M. concurriren.

An allen Pariser Theatern sind die ersten Aufführungen neuer Stücke am besuchtesten; das fashionable und urtheilsfähige Paris giebt sich hier ein Rendezvous. Ein solcher erster Abend gehört fast ganz den Autoren: sie vertheilen die große Mehrzahl der Billets selbst. Eine première ist stets ein Ereigniß; die Kritik bespricht nicht blos das Stück und die Schauspieler, sondern auch das Publicum. Im Ganzen ist die Kritik, neuen dramatischen Erzeugnissen gegenüber, bei weitem wohlwollender, als in Deutschland, wo oft verunglückte Dramatiker oder Schriftsteller aus den niederen Rängen der Literatur das große Wort führen. In den großen Theatern der deutschen Hauptstädte wird zwar eine première auch seitens des Publicums mehr beachtet; doch an mittleren Bühnen bewahrt dasselbe eine mehr abwartende Haltung; man ist da frei von jedem Ehrgeiz in Bezug auf literarische Dinge und schont sein Geld, bis die Kritik sich darüber ausgesprochen, ob das Stück wirklich sehenswerth sei.

Der Erfolg der ersten Aufführungen in Paris ist nicht vom Beifall der Claque abhängig, denn diese wohlorganisirte Claque thut immer gleichmäßig ihre Schuldigkeit. Die chevaliers du lustre, die Ritter des Kronleuchters, versammeln sich unter kundiger Führung; doch sie beschränken sich nicht auf enthusiastisches Beifallklatschen und auf die Ausbrüche lärmender Fröhlichkeit, durch welche sie das Publicum in die gleiche Stimmung zu versetzen suchen; sie gebieten über eine große Menge feinerer Kunstgriffe. Schon das Weinen ist schwieriger als das Lachen: der moucheur, der in Augenblicken der Erregung zum Schnupftuch greift, der sangloteur, der sich bei rührenden Situationen auf das Schluchzen versteht, das für zartbesaitete Gemüther eine unwiderstehliche Ansteckungsfähigkeit besitzt: das sind schon Claqueurs von feinerer Kunstbildung, die aus der Masse hervorragen.

Auch Frauen wirken mit, wenngleich nicht unter dem Kronleuchter; sie finden sich als Kränzewerferinnen auf den Gallerien ein, oder als pâmeuses in den Logen des ersten Ranges. Eine pâmeuse ist eine Jüngerin der Claque, welche die Verpflichtung übernommen hat, an geeigneter Stelle in Ohnmacht zu fallen. In dem interessanten Rodenberg’schen Skizzenbuche: „Paris bei Sonnenschein und Lampenlicht“, wird eine ergötzliche Anekdote von einer solchen pâmeuse erzählt: Sie tritt als Zeugin vor Gericht auf und der Präsident fragt sie nach ihrem Beruf; sie antwortet: „je m’évanouis!“ („ich falle in Ohnmacht!“). Der Präsident ruft nach Wasser und läßt ihr einen Stuhl bringen. Sie trinkt und setzt sich. Nach längerer Pause wiederholt der Präsident die Frage nach ihrem Beruf; sie ertheilt dieselbe Antwort: „je m’évanouis!“ „Schon wieder?“ ruft der Präsident, auf’s Höchste erstaunt, bis ihn ein jüngerer Secretär über diesen Beruf der pâmeuses aufklärt.

Auch über ein anderes, höchst geniales Kunststück der Claque berichtet Rodenberg:

„Neulich wurde ein Stück zum ersten Mal gegeben. In einer Loge des Prosceniums hatte ein Vater mit seiner ganzen Familie, Frau, Töchter und Söhne, Platz genommen. Mitten im Act, bei einer anstößigen Stelle, erhebt sich der Vater sehr brüsk; er murmelt ziemlich laut, daß es empörend sei, dergleichen einer honneten Familie zu bieten. Geräuschvoll erheben sich die Frau, die Töchter, die Söhne: die Loge wird leer und bleibt leer. Alle Welt ist aufmerksam geworden und alle Blätter erzählen am andern Morgen, daß in dem und dem Theater eine neue Pièce zur Aufführung gekommen, welche so unanständig sei, daß mitten im Act ein Familienvater mit Frau, Töchtern und Söhnen sich gezwungen gesehen habe, das Theater zu verlassen. Das wirkte. Ganz Paris wollte das unanständige Stück sehen, und der Erfolg desselben war im voraus für hundert Abende gesichert.“

Wenn man von der Napoleonischen Kirche, der Madeleine, die Boulevards entlang geht, so öffnet sich zur Linken bald der Platz der Großen Oper, und dies Prachtgebäude mit seiner monumentalen Treppe, seinen drei mächtigen Portalen, der Loggia des Foyer, den Marmorgruppen der Seitenthore fesselt den Blick. Im Innern, im Treppenhause unter der Kuppel, steigen Marmortreppen mit dem carrarischen Geländer empor; es fesseln den Blick die Gänge des Treppenhauses mit ihren kleinen Balcons, und über der Haupttreppe hoch oben der sein Viergespann lenkende Neptun. Auch das Foyer schimmert von Gold und hat schöne Plafondbilder. Der Plafond des Zuschauerraums mit dem Stundentanz, und der prachtvolle Kronleuchter bilden einen seltenen Schmuck des Gebäudes. Und welche Dimensionen hat die Bühne!

Als ich im letzten Herbst in Paris war, sah ich den „Freischütz“ aufführen, nicht ohne einige bedenkliche Regiestriche, mit einer glänzenden, aber durchaus nicht stimmungsvollen Inscenirung. Das Wilde, Gespenstige der Wolfsschlucht kam weniger zur Geltung: freilich, es war wie ein verzauberter Wald, magische Gestalten überall, im Gebüsch, in den Wipfeln, an den Felswänden, eine Uebervölkerung mit traumhaften Bildern; doch es war dies mehr wie ein Feengarten, alles gebannt vom Zauber wie die Bilder eines Wachsfigurencabinets, nicht die wilden vom Sturm gescheuchten Gestalten.

Und fragt man überhaupt, welche künstlerische Perle in dieser prachtvollen Muschel sich findet, so kann die Antwort nur ein bedauerliches Achselzucken sein. Die Große Oper hat seit dem Bestehen des grandiosen Kunsttempels keinen einzigen Erfolg mit einer neuen Schöpfung aufzuweisen, ebenso wenig Künstler von phänomenaler Bedeutung. Sie lebt von den Reprisen der Meyerbeer’schen und Gounod’schen Opern. Nur einmal wagte sie es, eine Novität zu bringen, die „Jeanne d'Arc“ von Mermet, welche im Jahre 1877 über die Bühne ging, aber das Publicum in hohem Maße langweilte, trotz des patriotischen Stoffes oder vielleicht wegen desselben; denn im Opernhause will man keinen Patriotismus, da herrschen andere Götter. Eine große Rolle spielt hier das Ballet; aber zu voller Selbstständigkeit hat es sich auch hier nicht emporgerungen: es darf nie den Abend füllen. Sonst hat ihm die bildende Kunst, die das Opernhaus schmückte, zahlreiche Huldigungen zu Theil werden lassen. Die etwas kecke Tänzergruppe Carpeau’s am Eingange, die Bilder, in denen Boulanger die verschiedensten Tänze im Foyer de la danse, dieser glanzvollen großen Börse des Kunst- und Skandalgesprächs hinter den Coulissen, dargestellt hat, beweisen zur Genüge, daß Terpsichore hier eine bevorzugte Rolle spielt.

Weiterhin auf dem Boulevard steht das neue Theater de Vaudeville, das sich früher gegenüber der Börse befand. Es ist dies nächst dem Gymnasetheater die beste Vorschule für das Théâtre Français, eine vorzügliche Lustspielbühne: hier sind viele Stücke von Sardou zum ersten Male gegeben worden. Ich sah in diesem eleganten Schauspielhause ein höchst ergötzliches Stück: „Tête de linotte“, das unter dem Titel: „die Confusionsräthin“ am Wiener Stadttheater in Scene ging, ohne sonderlich zu gefallen. Es ist dies begreiflich, denn die Voraussetzungen der Handlung sind ganz aus dem Pariser Leben gegriffen und für ein deutsches Publicum etwas anstößig.

Auf dem Boulevard des Italiens hat sich ein neues Operettentheater [476] aufgethan, das Théâtre des Nouveautés, welches mit seinen Zugstücken große Erfolge erringt.

Das Gymnasetheater auf dem Boulevard Bonne-Nouvelle hebt sich von demselben durch eine Vortreppe etwas stattlicher ab. Hier haben Scribe und sein Nachfolger Sardou ihre hauptsächlichsten Erfolge errungen. Daß hier die Darsteller des feinsten Conversationstons mächtig sind, bewies mir eine Darstellung der „Heloïse Paranquet“, der ich beiwohnte; es war dies eine Réprise jenes zusammengequälten Dramas, welches das in Frankreich so beliebte Thema der „unwürdigen Mütter“ behandelt.

Vorbei an den Triumphbogen der Porte Saint-Denis und Saint-Martin und an zwei neuen Operettenbühnen, von denen das Renaissancetheater in seinem Innern ein wahres Schmuckkästlein ist, führt uns der Weg zum altberühmten Theater der Porte-Saint-Martin, wo früher die großen romantischen Trauerspiele, später die wunderbarsten Feerien, Revuen und Spectakelstücke gegeben wurden. Hier ist auch die Stätte für das patriotische Drama, wo die Helden sich an die Brust schlagen und „La France“ mit Begeisterung in die freudig wiederhallenden Räume des Hauses schleudern. Mag das Stück in China, Kamtschatka und am Nordpol spielen: immer spielt ein Franzose mit, der die große Nation mit Heldenmuth und Edelmuth und volltönenden Phrasen vertritt. So war’s auch in Dennery’s „Michel Strokoff“, einem großen Ausstattungsstücke, das ich dort sah. Da fehlte es nicht an brennenden Städten, an Schlachtfeldern, die mit Leichen bedeckt sind, an Naphthaflüssen, Tatarenfesten, an Sensationsscenen, indem z. B. ein russischer Courier geblendet wird, aber das Augenlicht wieder erhält durch ein psychologisches Wunder. Doch auch der tapfere, edle Franzose fehlt hier nicht, der, als Kriegsjournalist mit einem drolligen Engländer gleichen Berufs im Bunde, die merkwürdigsten Abenteuer erlebt.

Weiterhin am Boulevard liegt das Ambigu-Comique, ein Volkstheater, das sich während meiner Anwesenheit in Paris vorzugsweise damit beschäftigte, die Streiche des wackeren Cartouche seinem Publicum vorzuführen.

Auf der andern Seite der Boulevards liegt das Théâtre des Variétés, eine Lustspiel- und Opernbühne, die Vieles und Allen Etwas bringt, und an der Place Favard, nicht weit von der Großen Oper, die Opéra comique, die Stätte, wo Auber’s, Boieldieu’s und Thomas’ Lorbeern blühen.

Es ist unmöglich, in dem beschränkten Raume meiner kurzen Skizze alle Pariser Theater Revue passiren zu lassen; wir erwähnen nur noch das Gaîté-Theater an der Place des Arts et Metiers, das mit Ausstattungs- und Conversationsstücken wechselt, das größte Theater von Parts, das Châtelettheater, welches über 3300 Zuschauer faßt und in welchem wir zur Zeit des second empire eine prachtvolle Aufführung des französischen „Aschenbrödel“ („Cendrillon“) sahen, und das ihm gegenüberliegende Théâtre Lyrique, wo früher vorzugsweise die deutsche Oper gepflegt wurde. Die neuesten Schicksale dieser beiden Bühnen sind mir unbekannt. Thatsache ist das Ueberwuchern der Operette im letzten Jahrzehnt, welche jetzt mit drei bis vier Bühnen den Boulevard beherrscht. Doch wo bleibt das Trauerspiel? Die Comédie Française, die es eigentlich nicht im Wappen führt, hat Corneille und Racine auf ihrem Repertoire, bringt auch gelegentlich Victor Hugo eine Huldigung durch Aufführung eines seiner Trauerspiele dar, aber die neueste dramatische Dichtung höheren Stils findet hier nur selten ein Asyl: Ponsard war der letzte namhafte Poet, den dies Theater begünstigt hat. Die andern flüchten sich auf die Versuchsbühne des Quartier Latin, das Odéon, wo Stücke in gereimten Alexandrinern noch den Beifall des akademischen Publicums finden. Dort hat Louis Bouilhet seine Lorbeern geerntet. Wer der Aufführung klassischer Trauerspiele am Théâtre Français beigewohnt hat, der wird erstaunt sein über das eigenthümliche Pathos, mit welchem die Darsteller hier die Verse der unsterblichen Dichter in’s Publicum lanciren und das in so auffallendem Contraste steht zu der großen Lebenswahrheit und künstlerischen Feinheit, mit welcher sie die moderne Komödie spielen. Allen Respect vor der Darstellungskunst der Sociétaires der ersten Bühne Europas; aber ihre dramaturgische Einsicht kann mir nicht imponiren. Ich hatte das Unglück, allzu oft Stücke zu sehen, welche Fiasco machten und es zu machen verdienten: vor Jahren einmal Le fils von Vacquerie, jetzt Les Corbeaux von Becques, ein Schauspiel ohne jeden künstlerischen Aufbau, von krasser Lebenswahrheit und verletzendem Abschlusse.

Das Theater von Paris ist nach wie vor das Welttheater; aber die Weltbühne selbst, die Bühne, wo sich die Geschicke Europas entscheiden, ist nicht mehr an der Seine zu suchen.




Bilder aus der Hygiene-Ausstellung.

2.00Volksküche und Kochschule.

„Wie komme ich am besten nach der Volksküche?“ fragte ich einen Beamten der Hygiene-Ausstellung, nachdem ich mich einige Zeit im Hauptgebäude aufgehalten und dann einen Spaziergang durch die davor befindlichen Gartenanlagen gemacht hatte. Es war am Tage nach der vorläufigen Eröffnung der Ausstellung, die officielle Einweihung in Gegenwart des Kronprinzen sollte erst am nächsten Tage stattfinden, es war daher nur von einer keineren Anzahl von Besuchern zu erwarten, daß sie sich bereits völlig orientirt hätten, trotzdem mußte in meiner Frage etwas Befremdendes liegen. Bei aller Höflichkeit, mit welcher der Mann sich anschickte, mir Antwort zu geben, malte sich in seinem Gesichte ein Ausdruck, der, in Worte übersetzt, vielleicht gelautet hätte:

„Wie kann man nicht wissen, wo die Volksküche liegt! – Die Volksküche, die den im Schweiße ihres Angesichtes schaffenden und sorgenden Beamten und Arbeitern schon Freundin und Ernährerin geworden ist, ehe noch die Pforten der Ausstellung dem schau- und lernlustigen Publicum aufgethan worden sind!“

Schnell wie der Gedanke ging aber der staunende Blick in einen mitleidigen über. Es war Mittagszeit, vielleicht war auch ich eine Hungrige, die zu den Fleischtöpfen der Volksküche wallfahrten wollte – und ich vermochte den Weg dahin nicht zu finden!

„Gehen Sie durch den Stadtbahnbogen, dann über die Brücke, und – nun, dann werden Sie schon sehen.“

Der letzte Satz des Bescheides war mir zwar nicht ganz klar, indeß ich folgte der Weisung, gelangte in’s „Seegebiet“, eine anmuthige Parkanlage mit einem breiten Wasserspiegel, ging an dem rasengrünen, mit Turngeräth versehenen Spielplatz vorüber und sah die Gebäude der Separat-Ausstellungen vor mir liegen, gleichzeitig verstand ich aber auch, was mit dem: „dann werden Sie schon sehen“, gemeint war. Eines Wegweisers nach meinem Ziele brauchte es nicht. Ich durfte mich nur dem Strome anschließen, welcher ihm zustrebte, und der sich zum größeren Theile nicht nur aus Schau-, sondern aus Eßlustigen zusammensetzte; einer der ersten Stimmführer in der socialen Frage, der Magen, lenkte ihre Schritte. Und diese Frage wird hier gelöst in einer Weise, die ebenso zuträglich für die Gesundheit, wie schonend für das Portemonnaie ist.

Es war, wie bereits erwähnt, Speisezeit, und in der Küche entfaltete sich das regste Leben. Das links am Eingange befindliche Comptoir der Markenverkäuferin war dicht belagert, man beeilte sich, seine fünfzehn Pfennig gegen eine Marke umzutauschen und diese dann wieder an dem die eigentliche Küche vom Publicum trennenden Schalter in einen Napf voll Sauerkohl und Erbsen mit einem Stück Fleisch und Brod dazu, oder in einen eben solchen Napf voll Reis sammt Fleisch und Brod zu verwandeln und sich an einem der rechts und links vom Eingange aufgestellten Tische niederzulassen, um die Portion mit gutem Appetite zu verzehren, der allerdings schon ein recht guter sein muß, wenn er das verabreichte Quantum bewältigen will.

Es war eine bunte und im besten Sinne des Wortes gemischte Gesellschaft, die sich hier zusammengefunden hatte. Dicht neben mir stand ein commandirender General, die Gemahlin am Arme, beide kosteten herzhaft von der ihnen dargereichten Schüssel und erklärten die Speisen für vortrefflich. Hatte die Excellenzen auch nicht der Hunger in die Volksküche geführt; war es dem berühmten Künstler, der sich nach ihnen mit der verdienstvollen

[477]

Sonntags vor der Volksküche. Besuch der Kaiserin. Die Kochschule des Berliner Hausfrauen-Vereins. In der Volksküche.

Die Berliner Volksküche und Kochschule auf der Hygiene-Ausstellung.
Originalzeichnung von H. Lüders.

[478] Gründerin und Leiterin, Frau Lina Morgenstern, in ein Gespräch einließ, mehr um das buntfarbige Bild als um die Kost zu thun; wollte dieser Arzt und jener Vorstand einer großen Verpflegungsanstalt, welche die unermüdlich und unverdrossen Auskunft gebende Frau mit Fragen bestürmten, mehr ihre Wißbegierde stillen als für ihres Leibes Nothdurft sorgen: so war es doch der überwiegend größte Theil der Anwesenden, die der Wunsch nach Sättigung hergeführt.

Besucher der Ausstellung, den besten Gesellschaftskreisen angehörig, nahmen die Gelegenheit wahr, sich für beispiellos wenig Geld eine reiche schmackhafte Mahlzeit zu verschaffen, Beamte der Ausstellung, Mitglieder des zahlreichen Aufsichtspersonals der einzelnen Aussteller, die im Gebäude und im Garten beschäftigten Arbeiter, wer zählt, wer kennt sie Alle, die während der Zeit von ein bis drei Uhr täglich hier ihr Mittagsmahl nehmen, um alsdann schleunigst für Andere Platz zu machen. Der Raum, der gleichzeitig kaum fünfzig Speisende zu fassen vermag, wird jeden Tag von circa sechs- bis achthundert aufgesucht, die in der musterhaftesten Ordnung kommen und gehen.

Rechnet man die der Neu- oder Wißbegierde halber einmal eine Mahlzeit einnehmenden Besucher der Ausstellung ab, so sind die Gäste der Volksküche auf der Ausstellung im Großen und Ganzen dieselben, welche man in den Volksküchen in der Stadt, jetzt vierzehn an der Zahl, findet. In letzteren überwiegen die Arbeiter allerdings noch mehr als in der Ausstellung, dennoch wäre es unrichtig, zu glauben, daß diesen allein die Einrichtung zugute käme; auch der Stand der kleinen Beamten, der Handel- und Gewerbetreibenden, der Lehrenden etc. sendet in seinen männlichen und weiblichen Vertretern täglich zahlreiche Stammgäste in die Volksküche.

Die Physiognomie der Besucher und vielleicht ein etwas kleinerer Maßstab der Koch- und Speiseräume ist jedoch das Einzige, wodurch sich die Volksküche auf der Ausstellung von denen in der Stadt unterscheidet, sonst ist sie eine völlig getreue Nachbildung derselben. Hier sind die gleichen, als gut und praktisch erprobten Kochherde wie dort, die Kessel und Töpfe, die tiefen, inhaltreichen Näpfe, die hölzernen Stühle, Bänke und Tische, hier sind sogar die Sprüche an den Wänden, mit denen Frau Morgenstern alle jene Räume ausgeziert.

„Arbeit, Mäßigkeit und Ruh
Schließt dem Arzt die Thüre zu,“

liest man in schön verzierter Schrift – ein sehr geeignetes Motto für die Hygiene-Ausstellung.

Wie ihre Ausstattung, so giebt auch die Verwaltung ein getreues Bild des Geistes freier, werkthätiger Menschenliebe, aus welchem die Volksküchen im Jahre 1866 während ernster schwerer Zeit entstanden sind, in welchem sie sich fortentwickelt haben und eine Pflanzstätte ähnlicher Unternehmungen in allen größeren und mittleren Städten Deutschlands, in Oesterreich, Holland, Belgien, Rußland geworden sind.

Von den Damen des Centralvorstandes ist täglich eine zur Ueberwachung und Repräsentation anwesend, die Vorsteherinnen der vierzehn Küchen übernehmen der Reihe nach mit ihrem aus jüngeren Frauen und Mädchen bestehenden Hülfspersonal den freiwilligen Dienst in der Ausstellungsküche, und wahrlich, es heißt, sich hier tüchtig rühren, um die Speisen zu vertheilen, die in der durch eine Barrière vom Speiseraum geschiedenen Küche von dem Küchenpersonal bereitet, von der Wirtschafterin vorgelegt werden.

Neben der Küche befinden sich noch einige Gelasse zur Aufbewahrung von Vorräten und zum Reinigen des Geschirres, sowie ein kleines sehr einfach eingerichtetes Zimmer, in das sich die Vorstandsdamen zur Berathung und zu einer kurzen Rast zurückziehen können; ob ihnen aber für die letztere je schon Zeit geblieben ist oder jemals bleiben wird, möchte ich nach den bei wiederholten Besuchen gemachten Erfahrungen stark bezweifeln.

Es ist eine überaus anstrengende Thätigkeit, die diesen Damen zugemuthet wird, denn wenn auch die größte Lebhaftigkeit sich innerhalb der Speisestunden entfaltet, so nehmen die Vorbereitungen für das Mahl, so nimmt das Ordnen nach demselben eine ungleich größere Zeit in Anspruch; noch ehe die Ausstellung geöffnet wird, beginnt die Arbeit, und wenn Abends um sechs Uhr Besucher und Aufsichtspersonal in die Anlagen strömen, dann muß hinter den geschlossenen Schaltern der Volksküche noch überlegt, gesorgt, gerechnet werden für den nächsten Tag.

Und doch, was ist dieses Ueberlegen, Sorgen, Rechnen gegen die Mühen und Sorgen, unter welchen das segensreiche Unternehmen groß gezogen ward! Die Volksküche auf der Ausstellung giebt wohl ein treues Bild der Anstalten, wie sie jetzt sind, wie sie sich zum Segen für das Allgemeine, getragen von der Gunst der Wohldenkenden aller Parteien, als fester Bestand in unseren socialen Verhältnissen eingebürgert haben; aber wie sie geworden sind, das kann man nur an der Hand einer eingehenden Geschichte ihrer Entstehung, Bedeutung und Organisation erfahren, wie sie denn in der That auch von der Begründerin geschrieben worden ist.[2]

Hier sei nur darauf hingewiesen, daß die Volksküchen, wie bereits erwähnt, im Jahre 1866 zunächst als ein Ergebniß der durch den ausbrechenden Krieg verursachten Noth in’s Leben traten und Gefahr liefen, mit dem Frieden, als für Friedenszeiten ungeeignet, wieder beseitigt zu werden. Der Energie und rastlosen Thätigkeit der Schöpferin dieses Institutes und eines Kreises von Frauen und Männern, die gleich ihr die eminente wirtschaftliche Bedeutung des Unternehmens erkannten, gelang es, diese Gefahr davon abzuwenden und es durch noch andere gefährliche Klippen und Brandungen zu steuern, bis es glücklich alle Kinderkrankheiten überwunden hatte und nicht allein selbsterhaltend dastand, sondern ein Vermögen erwarb und erwirbt, das es ermöglicht, immer neue Küchen zu eröffnen und es zu ertragen, wenn eine dieser Anlagen sich nicht als prosperirend erweisen sollte.

In den Jahren 1870 und 1871 entfaltete der „Verein der Berliner Volksküchen von 1866“, wie er sich nennt, eine großartige Wirksamkeit für die Verpflegung der Truppen auf dem Niederschlesischen Bahnhof, sein eigentlicher Schwerpunkt ruht aber doch in dem, was täglich durch seine Anstalten geschieht. In den Jahren 1866 und 1867 wurden in 4 Küchen 192,735 ganze und 351,404 halbe Portionen verabreicht, im Jahre 1882 lieferten 14 Küchen in Berlin 102,359 ganze und 1,252,629 halbe Portionen, wobei zu bemerken ist, daß davon noch eine größere Anzahl von Personen gespeist haben, da wohl selten Jemand im Stande sein dürfte, eine ganze Portion (à 30 Pfennig) zu vertilgen. Diese ganzen Portionen werden denn auch zumeist abgeholt und von den Betreffenden in ihrem Hause mit der Familie verzehrt, wogegen die halben Portionen zum allergrößten Theile in der Volksküche selbst verspeist werden.

Erst von der Einrichtung der dafür nothwendigen Räume, die getrennt für Frauen und Männer vorhanden sind, datirt der eigentliche Aufschwung der Volksküchen, denn erst damit war dem Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung Rechnung getragen. Als ein weiterer Beweis für die Richtigkeit und Nothwendigkeit dieser Maßregel ist es ferner anzusehen, daß Volksküchen nicht in den sogenannten Arbeitervierteln den größten Zuspruch haben, sondern in denjenigen Stadttheilen, nach denen die Leute sich zur Arbeit zu begeben pflegen, und wo sie alsdann auch gern Mittag halten.

Während eines sechszehnjährigen Bestehens haben die Berliner Volksküchen 28,520,399 Portionen geliefert. Welch eine Summe von freiwilliger Thätigkeit im Dienste der Humanität ist in diesen Zahlen enthalten, welch eine Summe von Gesundheit, Kraft und Wohlbehagen ist den ärmeren Schichten der Gesellschaft dadurch zugeführt worden, nicht als Almosen, sondern wohlerworben und bezahlt durch den Ertrag der eigenen Arbeit!

Die Jury der Hygiene-Ausstellung hat in Anerkennung der außerordentlichen Verdienste der Volksküchen um die gesunde Ernährung der Massen ihnen die goldene Medaille zuerkannt; Kaiserin Augusta, die eifrige Beschützerin aller Bestrebungen auf diesem Gebiete, wendet den Volksküchen ihre ganz besondere Theilnahme zu, besucht sie häufig, bescheidet die Vorsitzende und Begründerin zu sich und zeichnete sie beim Besuch der Ausstellung kürzlich noch aus.

Auch ist die goldene Medaille nicht der erste Preis, den die Volksküchen davon getragen; wo sie auf einer Ausstellung erschienen, ward auch ihr Werth anerkannt, und nicht lange wird es dauern, so wird die Einrichtung, je nach Erforderniß etwas verändert, aber in ihrer Grundform doch gleichbleibend, durch alle civilisirten Länder verbreitet sein. Ein schönes, erhebendes Zeugniß dessen, was geleistet werden kann, wenn sich Menschen, [479] getragen von einer Idee, ohne Unterschied des Geschlechtes, des Glaubens und des Standes, zu einem guten Werke die Hände reichen.

Doch die Begeisterung hat mich durch Zeiten und Länder getragen, und ich vergaß, daß ich an Ort und Stelle noch Pflichten zu erfüllen habe – vergaß – nicht oft mag das im Leben geschehen – über der Großmutter die keineswegs mehr in den Windeln liegende, sondern auch schon recht stattlich herangewachsene Enkelin. Sie hat in geringer Entfernung von der Volksküche, nur getrennt durch den Pavillon von carne pura, ihr Zelt aufgeschlagen und nennt sich „Kochschule des Hausfrauenvereins“.

Die Enkelin der Volksküchen habe ich die Kochschule genannt, denn sie ist eine Tochter des Berliner Hausfrauenvereins, und dieser wiederum ward in’s Leben gerufen in einer Generalversammlung des Vereins der Berliner Volksküchen am 20. November 1873 durch einen Vortrag der Frau Lina Morgenstern: „Was vermögen die vereinigten Hausfrauen gegen die Vertheuerung der Lebensmittel?“

Der Hausfrauenverein hat während seines jetzt bald zehnjährigen Bestehens mancherlei Anfechtungen erfahren, es ist ihm aber gelungen, eine ganze Reihe von Anstalten zu begründen, die vereint und einzeln recht wichtige Factoren auf dem Felde socialer Wirksamkeit, wie der Bestrebungen für die Verbesserung der weiblichen Erziehung geworden sind. Es gehören dahin die Verkaufsstellen von Lebensmitteln zu Engrospreisen im Einzelnen für die Mitglieder, die Unterstützungscasse für Notleidende, die Casse für Prämiirung und Altersunterstützung treuer Dienstboten der Mitglieder, die von Frau Lina Morgenstern redigirte „Hausfrauenzeitung“, die unentgeltliche Stellenvermittelung, und endlich die Kochschule, mit welcher wir es hier vorzugsweise zu thun haben.

Die Anstalt hat den Zweck, junge Mädchen aus den gebildeten Ständen für ihren künftigen Beruf, sei es als Leiterin eines Hausstandes, sei es als Gehülfin in einem solchen, auszubilden und sie in Küche und Speisekammer nicht in empirischer Weise, sondern an der Hand der Wissenschaft, mit Berücksichtigung der Chemie und Gesundheitslehre einzuweihen. Es werden zu diesem Behufe Vorträge gehalten, an vorhandenen Wachsapparaten wird der Bau des menschlichen Körpers erklärt, die Lebensmittel werden auf ihren Nährgehalt, auf ihre Einwirkung auf den menschlichen Organismus, auf ihren Werth und ihre Verfälschung geprüft.

Indeß „grau, theurer Freund, ist alle Theorie, und grün ist nur des Lebens goldner Baum“. Was nützte es, wären die Köpfe mit all diesem Wissen angefüllt und die Hände verstünden doch die der Gesundheit zuträgliche Speise nicht schmackhaft zu bereiten? Daß die Kochschule dieser Aufgabe gerecht wird, davon können sich sämmtliche Sinne Derjenigen überzeugen, welche das von der Lehranstalt auf der Ausstellung bezogene kleine Haus besuchen.

Dasselbe ist ein überaus behaglicher Raum, der eine vollkommene bürgerliche Kücheneinrichtung enthält. Unter der Aufsicht einer Vorstandsdame und der Leitung der Kochlehrerin sind eine Anzahl junger Damen in einfacher Kleidung, angethan mit blendend weißen Schürzen, emsig mit Zubereitung der Speisen beschäftigt. Da wird gerührt, abgeschäumt, Schnee geschlagen, da wird Gemüse geputzt, der Braten begossen und umgewendet, da kreischt in der Pfanne die Butter, da schmort und brodelt es vielverheißend in Töpfen und Tiegeln. Liebliche Düfte steigen gleich Opferduft zum Aether hinauf, und mit glühenden Wangen walten die Priesterinnen ihres Amtes, mit dem sie es so ernst nehmen, daß sie sogar die beschwerliche Arbeit des Herzens der Kochmaschine eigenhändig verrichten.

Das Werk – oder vielmehr die Werke loben dann aber auch Meister und Schülerinnen. Kunstvolle Aspics, leckere Braten und Fische, kräftige Suppen, süße Speisen, eingesottene Früchte, verführerisch duftendes Backwerk, kurz – Herz, was begehrst du – gehen aus den Händen der jungen Kochkünstlerinnen hervor. In einem angrenzenden Speisezelt, das mit einem äußerst sauberen, praktischen Fußboden und Glasfliesen ausgestattet ist, stehen Tische bereit, an welchen die Auserwählten sich niederlassen und ein Diner von sechs Gängen einnehmen dürfen.

Die Auserwählten, sage ich, nicht sowohl deshalb, weil der Preis eines solchen Diners 2,50 Mark beträgt, was sich immerhin nur eine Minderheit leisten kann, sondern weil das Monopol des Herrn Bauer es nöthig macht, unter dieser Minderheit noch eine Auswahl zu treffen. Nur fünfundzwanzig Couverts dürfen täglich verabreicht werden, und diese Zahl ist im Nu erreicht. Wer zu spät kommt, muß sich mit dem Anblick begnügen, wenn ihm nicht eine milde Hand einen Leckerbissen spendet, den er, wie es sich gerade schicken will, stehend oder sitzend verzehrt und für den er sich durch eine der Unterstützungscasse dargereichte Gabe erkenntlich zeigt.

In der Kochschule befindet sich ferner noch eine Collectivausstellung von Nahrungs- und Genußmitteln, von Kücheneinrichtungen und Haushaltungsgegenständen, die sich theils, wie das schöne Geschirr aus Gußeisen von Ravené in Berlin, der gesammten Ausstattung einfügen, theils, wie der Pumpernickel, das Brod, die Conserven etc., mit servirt werden, theils mit ausführlichen Gebrauchsanweisungen zur Ansicht ausgestellt sind. Endlich ist auch noch eine reiche Literatur aus dem Bereiche der Kochkunst und der Ernährungsfrage vorhanden, an welcher die Leiterin und Begründerin der Kochschule, Frau Lina Morgenstern, in hervorragender Weise betheiligt ist.

Die Volksküche und die Kochschule auf der Hygiene-Ausstellung bilden ein organisches Ganzes, nicht blos weil ihr Ursprung auf dieselbe Quelle zurückzuführen ist, nicht nur, weil sie in Personal-Union von einem Kopfe regiert werden, sondern auch, weil sie beide dazu bestimmt sind, eine nachhaltige und segensreiche Einwirkung auf die Ernährung und Gesundheitspflege breiter Schichten der Bevölkerung zu üben, und weil sie die Frau für ihre hochwichtige Stellung in der Gesellschaft als Verwalterin der Güter, als Haushälterin, als Pflegerin der Gesunden und Kranken, der Armen und Schwachen, der Greise und Kinder, ausbilden und sie an den ihr in dieser Beziehung gebührenden Platz stellen. Von einer Frau für Frauen und mit Frauen gegründet, nehmen sie eine hoch beachtenswerte Stelle ein im Haushalte der Nation.

Jenny Hirsch.




Blätter und Blüthen.

Raben auf der Hasenjagd. (Mit Illustration auf Seite 469.) „Das Leben der Hasen,“ sagte einst unser geschätzter Mitarbeiter Adolf Müller, „ist fast eine ununterbrochene Kette der Drangsal, der Noth und des Leidens, denen die Geschwister Wachsamkeit und Vorsicht zwar auf dem Fuße folgen, welchen aber auch das allbekannte, weniger bemitleidete als verspottete Kind, die Hasenfurcht, gleichsam riesig über den Kopf wächst. Schickt doch das ganze Heer unserer einheimischen Raubthiere unter Säugern und Vögeln die Spione, Schleicher, Wegelagerer und Raubmörder hinter dem Friedlichen und Wehrlosen her, das stille Eden seiner Fluren und Wälder in einen Plan der Bedrängniß und des Todes umzuwandeln.“

Diese vogelfreie Stellung in der Natur war es, welche schon zu der Zeit, da kaum ein richtiger Waidmann auf die Hasenjagd ging, die Dichter unsern Lampe zum Sinnbild der verfolgten Unschuld erheben ließ. Und doch ist der Hase keineswegs so harmlos, wie man glaubt. Schlechte Behandlung erzeugt bei Menschen schlechten Charakter, warum sollte dasselbe nicht auch im Thierleben der Fall sein?

Und in der That sind im Laufe der Zeit gar schlimme Charakterzüge bei denen vom Lampegeschlechte beobachtet worden. So lesen wir in Brehm’s „Thierleben“ einen Satz von Dietrich aus dem Winckell, wonach das größte Laster des Hasen seine Bosheit sei, die er nicht allein durch Kratzen und Beißen, sondern durch Verleugnung der elterlichen Liebe und oft durch Grausamkeit gegen junge Häschen in empörendster Weise bethätigt.

Geben wir hier nur ein Beispiel, wie der Hasenvater beschaffen ist. Der obengenannte Gewährsmann berichtet darüber wörtlich:

„Ich hörte einst einen jungen Hasen klagen, glaubte aber, da es in der Nähe des Dorfes war, ihn in den Klauen einer Katze und eilte dahin, um dieser den Lohn mit einem Schusse zu geben. Statt dessen aber sah ich einen Rammler vor dem Häschen sitzen und ihn mit beiden Vorderläufen von einer Seite zur andern unaufhörlich so maulschelliren, daß das arme Thierchen schon ganz matt geworden war. Dafür mußte aber der Alte seine Bosheit mit dem Leben bezahlen.“

Und die Hasenmutter! Sie ist bekanntlich eine sehr lose und leichtfertige Person und kümmert sich darum wenig um ihre Jungen. Sie wirft ja die Jungen manchmal auf den flachen Boden und giebt sich überhaupt keine Mühe, ein richtiges Lager zu bereiten. Nach fünf bis sechs Tagen verläßt sie ihre Kinder, und wenn ihnen schon früher Gefahr drohen sollte, so eilt sie in der Regel davon. Nur selten hat man beobachtet, daß sie sich gegen Feinde aus Mutterliebe zur Wehr setzte, und einen solchen Ausnahmefall hat der geniale Thiermaler Deicker heute unsern Lesern in der lebenswahrsten Darstellung vor Augen geführt.

[480] Der Feind der Lampefamilie ist hier ein Rabe. Der alte Jacob ist bekanntlich auch kein guter Charakter. Den scharfen Verstand, den ihm die Natur verliehen, benutzt er nur zu allerlei schlechten Streichen, und er ist ein Dieb und Räuber erster Classe.

Früher glaubte man, daß er nur an angeschossenen Hasen sich vergreife, aber genauere Beobachtungen haben das Gegentheil erwiesen. Unser Rabe geht geradezu mit leidenschaftlicher Vorliebe auf die Hasenjagd. Der treffliche Beobachter des Thierlebens, Graf Wodzicki, hat mehrmals Gelegenheit gehabt, Raben auf solchen Streifzügen zu ertappen, und wir geben im Folgenden nur eine dieser „Jagdgeschichten“ wieder, welche die Ueberlegung und List des Raubvogels besonders kennzeichnet.

„Im December 1847,“ erzählt der genannte Forscher, „ging ich bei hohem Schnee mit einem Gefährten auf die Hasenjagd. Obgleich wir schon einige Male geschossen hatten, erblickten wir doch an einer Schlucht des gegenüberliegenden Berges zwei Raben. Der eine saß ruhig am Rande und blickte hinunter, der andere, welcher etwas niedriger stand, langte mit dem Schnabel vorwärts und sprang behend zurück. Das wiederholte er mehrere Male. Erst als wir uns ihnen bis auf einige Schritte genähert hatten, flogen die Räuber auf, setzten sich aber in einer Entfernung von wenig Schritten wieder nieder, wie es schien, in der Hoffnung, daß auch wir, wie sonst die Bauern, vorbeigehen würden, ohne ihnen Schaden zu thun. An der Stelle nun, wo wir sie beobachtet hatten, saß an der Schneewand, etwa sechszig Centimeter tief, ein großer alter Hase. Der eine Rabe hatte denselben vorn vorn angegriffen, um ihn zum Aufstehen zu zwingen, der andere hatte mit Schnabel und Krallen von oben ein Loch in die Schneewand gebohrt, augenscheinlich in der Absicht, den Hasen von oben herauszujagen. Dieser war aber so klug gewesen, sitzen zu bleiben, und hatte durch Brummen und Fauchen den Raben zurückgescheucht.“

Auch in Schaaren verfolgen die Raben den fliehenden Hasen, der ihnen alsdann bald unterliegt, und suchen sogar manchmal, den Jagdhunden gleich, die Hasenspur auf.

Brehm hat in sein Thierleben eine ganze Reihe ähnlicher Beobachtungen aufgenommen, und wer sich dafür besonders interessirt, wird das Buch sicher nicht ohne innere Befriedigung aus der Hand legen.

Der Ausgang des Zweikampfes auf unserem Bilde ist nach dem Gesagten leicht vorauszusehen. Kommen dem Angreifer noch andere Genossen zur Hülfe, so fällt auch die alte Häsin ihnen zum Opfer. Auf alle Fälle aber bleiben dem Galgenvogel die im Grase versteckten Jungen ein sicherer Raub.




Eine Säcular-Erinnerung. Es war im Herbste 1783, als der junge Barnabitenmönch Karl Leonhard Reinhold[3] – um dem Widerspruche, in welchen er nach seiner philosophischen und religiösen Ueberzeugung zu den Gelübden und Regeln des Ordens getreten war, durch Abschüttelung peinlichster Fesseln ein Ende zu machen und sich der wissenschaftlichen Forschung ganz und frei hinzugeben – dem Barnabitenkloster in Wien entfloh und zunächst nach der protestantischen Universität Leipzig, dann aber nach Weimar, unter Karl August’s Schutz, zu Wieland sich wandte, dessen Genosse in der Redaction des „Deutschen Mercur“ er wurde und dessen Tochter Sophie er bald darauf zur Gattin nahm. Als erster und bedeutendster Schüler und Commentator des großen Königsberger Philosophen Kant erwarb er sich um die Einführung, Verbreitung und Fortbildung der kritischen Philosophie unsterbliche Verdienste. Mit dem Augenblick, als er, der geistreiche Gelehrte, der vertraute Herzensfreund Wieland’s, der treue Freund Schiller’s, den philosophischen Lehrstuhl in Jena einnahm, begann für die thüringische Universität die in der Geschichte der Universitäten einzig dastehende große Glanzperiode, und mit der Einführung und Fortentwickelung der kritischen Philosophie die durchgreifende Reform des Denkens und Strebens auf allen Gebieten der Wissenschaft.

Im Herbst dieses Jahres vollendet sich seit jener Flucht vom Herbst 1783 ein Jahrhundert. Wohl ziemt es der deutschen Wissenschaft, ja jedem Gebildeten, des bedeutungsvollen Tages in dankbarer Verehrung des großen deutschen Gelehrten zu gedenken. Der Enkel desselben, Herr Landgerichtsrath Dr. Reinhold in Weimar, hat die Veröffentlichung der noch erhaltenen werthvollen Nachlaßpapiere des Großvaters freundlichst gestattet. Ein Theil davon, die interessanten Briefe der Wiener Jugendfreunde (der Gelehrten und Dichter von Born, Alxinger, Leon und Haschka) enthaltend, wird soeben von Unterzeichnetem unter dem Titel: „Wiener Freunde 1784 bis 1808; Beiträge zur Jugendgeschichte der deutsch-österreichischen Literatur“ in Wien herausgegeben. Der übrige handschriftliche Nachlaß Reinhold’s, darunter Briefe des letzteren selbst, sowie die Briefe Wieland’s, Fichte’s, Jacobi’s, Erhard’s, Niethammer’s, Schiller’s, Lavater’s, E.’s von der Recke, der Familie Reimarus und Anderer an Reinhold, wird demnächst als größeres Werk unter dem Titel: „Wieland und Reinhold“, mit einer Lebensskizze des großen Philosophen veröffentlicht werden. Mögen beide Publicationen zur Feier seines Andenkens dienen und jedem Freunde deutschen Geisteslebens, deutscher Wissenschaft willkommen sein.

Weimar, im Juli 1883.Robert Keil.     



April in Californien.[4]

Es erweckt der April im deutschen Land
In Jedem des Aergers Gewalten.
Ein falscher Geselle wird er genannt
Von den Jungen sowohl wie den Alten;

5
Und lächeln die Falten seines Gesichts,

Falsch ist er und bleibt er – es hilft ihm nichts!

Gewiß verdroß ihn das ew’ge Geschelt,
Als wär’ er voll Laster und Sünden.
Drum kam er herüber zur Neuen Welt,

10
Eine bessere Heimath zu finden,

Und eilte durch Berge, Wüsten und Plan,
Bis er schaute den westlichen Ocean.

Mir schien’s, als wär’ er der wonnige Mai,
Der Juni, mit leuchtenden Blicken,

15
Als jüngst ich ihn sah an Pablos Bai

Bunt schimmernde Blumen pflücken,
Als er lächelnd grüßte Sonómas Thal
Und Napa mit goldigem Sonnenstrahl.

Die Fluren kleidet’ er all’ in Smaragd

20
Und schmückte in zaubrischem Bilde

Mit orangenglühender Blumenpracht
Die von Eichen umsäumten Gefilde.
Auf die Berge legt’ er mit Künstlerhand
Von Ultramarin ein festlich Gewand.

25
In den Gärten streute der Pfirsich schon

Von den Zweigen die rosigen Blüthen,
Und Fuchsien prangten und bunter Mohn;
Aus den Büschen am Boden glühten,
Als wären’s Karfunkeln mit rothem Strahl,

30
Die Erdbeeren, reif zum würzigen Mahl.


Auf den Feldern standen in endlosen Reih’n
Die Rebenstöcke und tranken
Mit Lust den strahlenden Sonnenschein.
Es schwoll der Saft in den Ranken

35
Und drängte zum Licht sich, mit heißem Blut

Auf’s neu’ uns zu spenden der Sonne Gluth.

Die Lerchen sangen aus blauer Luft
Ihr Lied in die blühenden Lande,
Die Sträucher athmeten wonnigen Duft

40
Im festlichen Frühlingsgewande,

Und deutsche Männer, mit frohem Gesang,
Die zechten beim tönenden Gläserklang.

Diesen Becher mit feurigem Napawein,
Ihn will ich heute zu Ehren

45
Des heitern April auf blumigem Rain

In durstigen Zügen leeren.
Hoch sei er gepriesen, der lachende Fant,
Der Liebling vom Californialand!




Kleiner Briefkasten.

Zehn Postkartensender. Ein Druckfehler kann einen wahren Sturm erregen, und warum nicht mit Recht? Der Verfasser unseres Artikels „Die Krönungsburg des Czaren“ hatte das Gewicht der Kölner Kaiserglocke zu etwa 29,000 Kilo angegeben; gewöhnlich nimmt man sie nur zu 26,250 Kilo an. Darüber hätte sich noch rechten lassen; da muß die 2 vor 9000 übersehen und vergessen werden, und der schwere Verstoß ist da. Möge diese Notiz ihn beseitigen!

B. R. in Z. Bevor Sie uns Vorschläge machen und ausführliche Antwort verlangen, wollen Sie sich zunächst gütigst überzeugen, ob Artikel über die betreffenden Themata in unserm Blatte bereits erschienen sind. Sie würden dann sich und uns Zeit ersparen. Es ist die Pflicht eines Jeden, der als Mitarbeiter an einem Blatte wirken will, daß er dieses Blatt liest, um den Geist und die Bedürfnisse desselben kennen zu lernen. Ueber die in der „Gartenlaube“ von 1853 bis 1880 behandelten Gegenstände belehrt das „Generalregister“ derselben.




Inhalt: Gebannt und erlöst. Von E. Werner (Schluß), S. 465. – Der „arme Reisende“. Beitrage zur Geschichte des Vagabondenthums und der Mittel zu seiner Abwehr. Von Fr. Helbig. II., S. 471. – Kleine Bilder aus der Gegenwart. Nr. 2. Der Brand in Aachen am 29. Juni d. J. Mit Illustrationen: 1) Das Rathhaus zu Aachen vor dem Brande. – 2) Dasselbe nach dem Brande, S. 473. – Die Theater in Paris, von Rudolf von Gottschall, S. 474. – Bilder aus der Hygiene-Ausstellung. 2. Volksküche und Kochschule. Von Jenny Hirsch, S. 476. Mit Illustration von H. Lüders, S. 477. – Blätter und Blüthen: Raben auf der Hasenjagd (mit Illustration auf S. 469), S. 479. – Eine Säcular-Erinnerung. Von R. Keil. – April in Californien. Gedicht von Theodor Kirchhoff. – Kleiner Briefkasten, S. 480.



Unter Verantwortlichkeit von Dr. Friedrich Hofmann in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. „Pfalz“, von dem lateinischen Palatium abgeleitet, = Palast.
  2. Die Volksküchen von Lina Morgenstern. Berlin, Stuhr’sche Buchhandlung, 1883.
  3. Vergl. „Gartenlaube“ 1869, S. 568: „Zwei Mönche einer protestantischen Hochschule“. „Ein Jesuitenzögling“ etc. A. d. R.
  4. Wir entnehmen dieses Gedicht, in dessen frischem Duft und Glanz die Naturschönheit des Goldlandes sich widerspiegelt, dem soeben erscheinenden Buche: „Balladen und Neue Gedichte von Theodor Kirchhoff (in San Francisco)“ (Altona, Schlüter’sche Buchhandlung – und New-York, E. Steiger u. Comp.). – Unseren Lesern ist der Name des Dichters kein fremder; sie kennen ihn als einen Mitarbeiter der „Gartenlaube“, der seit achtzehn Jahren sie durch treffliche Belehrungen und Schilderungen über amerikanisches Leben erfreut hat; sie werden, wie dem Schriftsteller, auch dem Dichter ihre Theilnahme, und gewiß zu ihrer eigenen Genugthuung zuwenden.