Die Gartenlaube (1878)/Heft 7
Seitdem war in Irmgard’s Herzen wieder Friede. Ihre natürliche Heiterkeit kehrte zurück; sie machte wieder ihre Spaziergänge, zeichnete nach der Natur, arbeitete an dem Farbenbilde, zu dem Harder ihr die Idee gegeben hatte. Es war ihr nun gewiß, daß er nicht für immer geschieden sein könnte, sondern bald zurückkehren und den freundschaftlichen Umgang fortsetzen würde, nach dem sie sich schon so sehr sehnte. Er konnte zwar nicht wissen, daß etwas geschehen war, woran auch er Freude haben dürfte. Da sich nun in ihr ein Stimmungswechsel vollzogen hatte, der das Gemüth befreite, so meinte sie, daß auch außer ihr alles freundlicher und leichter geworden sein müßte. Die Welt ist in uns.
Sie behandelte die Mutter mit zärtlichster Aufmerksamkeit, aber doch in ganz anderer Weise, als vorher. Nicht wie eine hoffnungslos Traurige, deren Leid fortgeschmeichelt werden soll, sondern wie eine betrübte Freundin, die auf ein frohes Ereigniß vorzubereiten ist, das doch noch nicht genannt werden darf. Sie ruhte nicht, bis sie ihre Begleitung zu Spaziergängen auf die Haide und an den Seestrand zusagte; sie wußte auch einen Verkehr mit anderen Badegästen einzuleiten: es sähe ja aus, als ob sie ein böses Gewissen hätten, meinte sie, wenn sie sich der Gesellschaft ganz entzögen.
Als nun Gerichtsrath Pfaff hinüber kam, theilte er mit, daß das Vergnügungscomité für einen bestimmten Tag eine Festivität in Warnicken geplant habe, bei der sich natürlich auch Rauschen betheiligen müßte, und erzählte nebenbei, daß Referendar Hell eine Eroberung gemacht habe, die bald zu Tage kommen würde. Irmgard stellte sich sogleich auf seine Seite. Frau von der Wehr war schnell gewonnen, nicht ohne ihre Verwunderung darüber auszusprechen, daß ihr Töchterchen plötzlich so lebenslustig geworden sei.
Ob nun Robert Harder auf seinem Dorfe erfahren hatte, was im Werke sei, ober ob ihn die Sehnsucht zurücktrieb – er war am Abend vor dem Festtage wieder in Rauschen. Irmgard stand am Staketenzaun und sah ihn den Weg hinaufkommen, der am Hause vorbei nach der Haide führte. Er schien danach nicht beabsichtigt zu haben, einzukehren, blickte aber doch hinauf, grüßte und blieb stehen. Irmgard nickte so freundlich; das ganze feine Gesichtchen war wie mit Purpur übergossen.
Er kletterte nun den ziemlich steilen Anberg hinauf, indem er sich an den hohen Wermuthstauden festhielt, stellte sich ihr gegenüber an den Zaun und reichte ihr die Hand. Sie trug noch den Schlangenring – das war ihm ein gutes Zeichen. Es wurde eine Weile von allerhand gleichgültigen Dingen geplaudert, als ob nichts zwischen ihnen vorgefallen wäre. Nur daß immer auf beiden Seiten das Bemühen durchleuchtete, recht unbefangen zu erscheinen. Dann fragte sie, ob er nicht der Mutter einen guten Abend sagen wolle. Wenn er nicht unlieb zu kommen fürchten dürfe –? Er wollte nun wieder hinab, und auf dem richtigen Wege zur Gartenthür, aber sie meinte, der Zaun sei ja nicht hoch.
„Gut,“ sagte er, „so will ich einsteigen, wie ein Dieb in der Nacht, aber vergessen Sie nicht, daß Sie meine Mithelferin sind!“ Sie lachte und stützte seinen Arm.
Er blieb nun, wie er früher geblieben war, bis der Wächter mahnte. Es wurde viel von dem Feste am nächsten Tage gesprochen, ob das Wetter sich halten werde und was diese und jene Anzeichen zu bedeuten hätten? Gestern und vorgestern hatte wieder eine schwüle Hitze geherrscht. Heute stand über der See eine Wolkenbank mit scharfem Gezack, aber sie rührte sich schon seit Stunden nicht. Die Fischer wurden befragt, was sie davon hielten. Es könne besser und schlechter werden, meinten sie, und damit war man so klug als vorher. Alle Unschlüssigkeit hatte ein Ende, als um drei Uhr die Wagen aus Kuhren anlangten: das Vergnügungscomité hatte decretirt, daß das Wetter gut bleiben werde.
Die Fuhrwerke der Rauschener Wirthe standen schon angespannt. Man stieg auf, wo sich gerade ein Platz fand, nur daß „die Jugend“ zusammenhielt und den älteren Herrschaften den Vortritt ließ. So kam’s, daß die letzten Wagen nur mit jungen Leuten besetzt waren. Mit Gesang ging es durch’s Dorf und den Sandweg hinauf zur Höhe. Dort blies der Wind doch so kräftig, daß Hüte fortflogen und die Sonnenschirme der Damen geschlossen werden mußten.
Als man eine Viertelstunde unterwegs war, fuhr der Bauer den Wagen, auf dem Harder und Irmgard saßen, beim Abbiegen auf dem tiefen Sandgeleise so kräftig gegen einen Stein, daß das Rad brach. Mann mußte aussteigen und versuchen, den Schaden zu bessern. „Fahrt nur weiter!“ rief man den Andern zu, „wir kommen bald nach.“ Es hätte sich auf dem letzten Wagen auch nur mit Mühe Raum schaffen lassen.
Versuche, mit einer Nothspeiche und Stricken zu helfen,
[110] wurden angestellt. Ein Theil der munteren Gesellschaft hatte sich zu Fuß nach der Försterei aufgemacht, und zuletzt blieb neben dem Architekten nur Irmgard zurück. Der Schaden am Rade war nicht zu curiren.
„Dann freilich wird auch uns nichts übrig bleiben, als den Weg zu Fuß zu machen,“ meinte Harder.
„Aber die Andern sind weit voraus,“ warf Irmgard ein.
„Wir müssen ihnen also folgen,“ entgegnete er.
„Allerdings…“ Sie zögerte unschlüssig. „Sollten wir nicht lieber – umkehren…?“
Er sah sie überrascht an. „Umkehren? Ah – Sie wollen nicht mit mir allein –“
„O, nicht das –!“ fiel sie rasch ein. „Aber das Wetter droht ernstlich…“ Sie erröthete, wie auf einer Lüge ertappt.
„Wie Sie wollen, mein Fräulein!“ sagte er, sich zurückwendend. „Es thut ja nichts, wenn man uns auslacht.“
Sie blieb stehen. „Wenn man uns … Sie haben Recht, man wird uns auslachen. Aber es ist ja nicht nöthig, daß Sie mich nach Hause begleiten.“
„Das wird mir jedenfalls ein größeres Vergnügen sein, als allein an dem Feste Theil zu nehmen.“
„So wollen wir doch lieber…“ Sie strich das Haar aus der Stirn und wandte das Gesicht gegen den Wind. „Gehen wir!“
Er ließ ihr nicht Zeit, wieder bedenklich zu werden. Hatte er’s auch nicht darauf abgesehen gehabt, mit ihr allein zu bleiben, so konnte ihm doch etwas Lieberes kaum passiren. Nun sie sich einmal entschlossen hatte, ihn zu begleiten, wich auch rasch jede Schüchternheit. – Der Himmel über ihnen war theilweise noch blau; die Gluth der Sonne, wenn sie durch eine Wolkenlücke brach, schien stechend. Die dunkle Barre über der See hatte sich gehoben und ihre zackigen Kuppen weit vorgestreckt. Die Wolken, die mit dem Winde jagten, kamen dahinter hervor und gingen darüber hinweg. Die langsam bewegliche Masse zeigte eine unheimlich gelbröthliche Färbung. Irmgard blickte nicht ohne Besorgniß darauf. „Wir werden hier unbarmherzig vom Winde zerzaust,“ sagte Harder; „und ich möchte darauf wetten, unten am Strande ist’s windstill.“
„Steigen wir also hinab!“ meinte Irmgard, die sich von Zeit zu Zeit zurückwenden mußte, um Athem zu schöpfen.
Sie bogen nach der Haide zu ein und fanden bald einen Fischersteg, der ohne große Beschwerlichkeit zum Seestrande hinableitete. Wirklich war hier unten der Luftzug viel schwächer. Nur mitunter stieß der Wind hinab oder um eine vorspringende Ecke und trieb ihnen den Sand in’s Gesicht. Wie schauerlich einsam war’s hier! Unwillkürlich beschleunigten sie ihre Schritte. Nur hin und wieder fiel ein ermuthigendes Wort.
Das sanftere Zackengewölk über der See hob sich nun plötzlich rascher. Das Meer schien weithin nur noch als ein weißes Schaumgewoge. Immer wüthender peitschten die Wellen den flachen Strand; jede folgende näßte ihn in weiterem Halbzirkel. Es war, als ob empörte Wassergeister unermüdlich das Land stürmten, um es in ihr nasses Reich hinabzuschlingen. Harder rief von Zeit zu Zeit ein lautes „Ho–a–ho!“ darüber hin, als wollte er zeigen, daß die menschliche Stimme noch Macht habe, dieses Getose der Elemente zu übertönen.
So waren sie, ohne im Sande rasch fortzukommen, etwa eine Stunde gegangen, als der Strand sich verengte. Man mußte um eine vortretende Spitze des hohen Ufers herum, von der ein Zug gewaltiger Steinblöcke sich weit in die See hinaus erstreckte. Hier war der Ansturm der Wellen besonders stark; sie suchten die festgelagerten Steine aus dem Sande herauszuwaschen, und der Gischt der Brandung spritzte darüber hin zur steilen Wand hinauf. Irmgard stutzte doch vor dem Uebergange. „Reichen Sie mir die Hand!“ bat der Architekt, „man muß von Stein zu Stein springen, damit man bald unter dieser Douche hinwegkommt.“
Sie zögerte.
„Fürchten Sie sich?“ fragte er. „Dann kehren wir um.“
Sie zwang sich. „Ich fürchte mich nicht,“ antwortete sie entschlossen. „Wo Sie gehen, gehe auch ich. Führen Sie mich!“
Sie hielt ihm nun die Hand hin und ließ sich auf ein Steingerölle hinaufziehen, von dem man dann in kürzeren und weiteren Sprüngen über naß glatte Blöcke und angespülte Baumwurzeln wieder den flachen Strand erreichte. Er war aber hier, und so weit sich aus der Entfernung erkennen ließ, bis zum nächsten Vorsprung hin, so schmal, daß die Wellen fast bis an die steile Uferhöhe spülten und nur einen Weg von wenigen Schritten Breite freiließen. Mitunter leckte eine Wasserzunge auch darüber hin und höhlte den Sand und Lehm am Anberge aus. Man mußte dann eine Secunde abwarten und beim Rückzuge schnell die gefährliche Stelle überspringen. „Wir hätten doch lieber umkehren sollen,“ verrieth Irmgard ihre Besorgniß. Sie schaute dabei ängstlich nach der Wolkenwand seitwärts, die immer höher stieg und jetzt zeitweise von Blitzen durchleuchtet wurde, während die Sonne sich ganz versteckt zu haben schien.
„Nun müssen wir weiter,“ entschied er. „Hinter jenem zweiten Vorsprunge öffnet sich bald die Wolfsschlucht, in der wir ja geborgen sind. Sie ist nicht gefährlich, wie die im ‚Freischütz‘.“ Ihre Hand hatte er nicht mehr losgelassen und zog sie nun rascher mit sich fort. Ihre Lage schien ihm vielleicht selbst kritisch zu werden.
Bald war es nicht mehr möglich, jeder voreilenden Welle auszuweichen. Sie mußten von Zeit zu Zeit eine Strecke am Ufer hinklettern, um nicht ganz durchnäßt zu werden.
Nun ließ sich auch ferner Donner vernehmen; das Gewitter zog schnell in die Höhe und näherte sich von Minute zu Minute. Auch im Westen und Osten wurde es hell. Wie sehr der Sturm an Heftigkeit wuchs, zeigten die mächtigen Bäume hoch oben an der Uferkante; sie schienen bei jedem neuen Stoße wurzellos werden zu müssen. Als die Beiden in die Nähe des zweiten Vorsprungs kamen, überzeugten sie sich sogleich, daß hier ein Uebergang ganz unmöglich zu finden sei. Welle folgte auf Welle in rasender Eile, und der Wind stieß so gewaltsam um die Ecke, daß man sich auf den nassen Steinen nicht halten konnte.
„Wir kommen hier nicht durch,“ sagte Harder, nachdem er einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, dicht am Ufer hin feste Stützen für den Fuß zu ermitteln; „drüben ist der Lehm völlig unterwaschen, weil der Wind von dort her kommt. Wir müssen nun doch zurück.“
Aber man kam nun auch in entgegengesetzter Richtung nicht mehr weit. Vor dem heraneilenden Gewitter her übte der Sturm einen solchen Druck auf das Wasser aus, daß jetzt der ganze schmale Strand in der Bucht überspült war und bei jedem Schritte die Gefahr größer wurde, fortgerissen zu werden. Das steile Ufer aber war nicht zu erklettern. Nun fielen auch dicke Tropfen aus dem tiefziehenden Gewölk nieder, den Platzregen ankündend, der in wenigen Secunden losbrechen mußte. Es war eine verzweifelte Aussicht, ihn ohne jeden Schutz hier im Freien abzuwarten.
Da entdeckte Harder’s scharfes Auge in einiger Entfernung, etwa in halber Höhe des Uferberges, eine dunkle Stelle, die eine Vertiefung sein mußte. Er zeigte mit der Hand darauf und rief:
„Dorthin, Irmgard! Wir müssen das Unwetter vorüberziehen lassen. Gestrenge Herren regieren nicht lange.“
Er begann sogleich zu klettern, wühlte mit dem Fuß den Sand fort, um an den schwierigsten Stellen Stufen herzustellen, zog sie an der Hand nach und erreichte glücklich mit ihr einen Vorsprung, der mit Strauchwerk bewachsen war und für den Nothfall sicheren Halt gewährte. Von dort ließ sich deutlich erkennen, daß jene Vertiefung von Menschenhänden aufgewühlt war. Wahrscheinlich hatten die Fischer Bernstein gewittert und, trotz der Wachsamkeit des Strandwächters, in der Nacht „rabuscht“. Der Zugang war nicht leicht, aber nach einigem Suchen wurde doch ein schmaler Pfad durch das Gebüsch dahin entdeckt. Sie fanden eine kleine, schräg abgesenkte Höhle, groß genug um ihnen ein schützendes Obdach zu gewähren.
Kaum waren sie eingetreten, als der Regen in Strömen losbrach und einige Minuten lang See und Himmel verschleierte.
„Gott sei Dank,“ athmete er erleichtert auf, „daß wir im Trocknen und so gut geborgen sind!“
Sie hielt zitternd seinen Arm fest und zuckte bei jedem Blitze zusammen. Es war plötzlich dunkel geworden, wie nach Sonnenuntergang.
Allmählich gewöhnte sie sich an das Schauerliche ihrer Lage und gewann so viel Muth, um sich in der Höhle umzusehen. Diese verengte sich bald bis zu einem breiten und niedrigen Loche von Spatentiefe; die blaue Erde war aufgewühlt und gegen den [111] Rand hin geworfen, sodaß sich hier ein niedriger Damm gebildet hatte, der nun das Eindringen des Regenwassers hinderte. Einige große Steine waren bloßgelegt.
„Da haben wir zu unserer größeren Bequemlichkeit auch eine Bank,“ scherzte er, um sie zu ermuthigen. „Was fehlt uns noch?“ Sie fühlte sich zum Umsinken ermattet und nahm gern neben ihm Platz.
Blitz auf Blitz züngelte durch das schwarze Gewölk; der Donner rollte fast unaufhörlich; der Regen prasselte nieder; die Wellen brandeten wuchtig unter ihnen. Irmgard deckte die Hände über die Augen. „Es ist, als ob die Welt untergehen sollte,“ sagte sie nach einer Weile. „Und wer weiß – am Ende geht sie auch unter.“
Er lachte, aber er fühlte sich doch nicht ganz wohl dabei. Die Angst des lieben Mädchens schien ihm ganz gerechtfertigt, und er wußte sich verantwortlich für dessen Wohl und Wehe. „Wenn es wirklich so schlimm kommen sollte,“ antwortete er, „so wäre es mir wenigstens ein Trost, daß wir beisammen sind.“
„Mir auch,“ sagte sie leise.
Die zwei Worte klangen ihm wie eine süße Melodie durch den Gewittersturm. Er entgegnete darauf nichts, rückte aber auf dem Steine ein wenig seitwärts, bis sein Arm ihre Schulter berührte. Sie merkte es und lehnte sich an ihn.
„Es ist recht schauerlich,“ begann sie nach einer Pause wieder. „Wenn auch die Welt nicht untergeht, es könnte doch sein, daß wir Beide …“
„Was fürchten Sie?“
„Eigentlich nichts – aber doch! Daß uns hier ein Blitz trifft oder daß der Boden weicht und wir in die See hinabstürzen, oder sonst ein Unfall –“
„Hoffen wir, daß nichts der Art geschieht!“
„Aber bereiten wir uns doch auf das Schlimmste vor!“ Sie faltete die Hände und blickte eine Weile vor sich hin. Dann sagte sie leise und zögernd: „Es muß schön sein, in solchem Moment ein ganz reines Gewissen zu haben.“
„Daran fehlt es Ihnen doch gewiß nicht.“
„Wer weiß?“
„Was könnten Sie, Irmgard –?“
„Nicht wahr, Sie sind in den letzten Tagen mit mir recht unzufrieden gewesen? Deshalb gingen Sie fort…“
„Wie dürfte ich …“
„Nein, nein! Sagen Sie’s nur gerade heraus! Und Sie haben auch Grund dazu gehabt. Ich war nicht aufrichtig gegen Sie – ich hatte etwas, das ich Ihnen nicht meinte sagen zu können. Sie glauben nicht, wie mich das gequält hat. Und jetzt …“
„Wenn’s ein Geheimniß ist, so will ich es achten; seien Sie deshalb ganz ruhig!“
„Aber ich fühle, daß es vor Ihnen kein Geheimniß sein darf. Lassen Sie mich Ihnen Alles beichten!“
Sie wendete ihm dabei das Gesicht zu und sah ihn mit ihren unschuldigen blauen Augen so voll Innigkeit und Vertrauen an, daß ihm ganz wundersam zu Muthe ward. Jetzt oder nie! tönte es aus seinem Herzen herauf.
„Wohl! ich will Ihre Beichte anhören,“ sagte er, indem er ihre beiden Hände faßte und ihr freundlich zunickte; „aber dann erst, wenn ich weiß, daß ich ganze Macht über Ihr Herz habe – daß ich binden und lösen kann, wie ein Priester, dem sich die Seele öffnet.“
Nun wurde ihr recht beklommen zu Muthe. Sie senkte ängstlich den Blick und zog die Arme straff, als könnte sie ihn so ferner halten. „Eine Stunde wie diese,“ fuhr er fort, „kehrt nicht so leicht wieder, wo wir ganz abgeschlossen von der Welt nur mit einander sind, als wären wir Zwei die einzigen lebenden Wesen. Irmgard – was kümmert uns der Sturm der Elemente, wenn in uns Friede ist? Lassen Sie uns mitten im Aufruhre der Natur einen Bund für’s Leben schließen, der uns den Frieden giebt! Ich fühl’s, daß wir einander bestimmt sind – es wäre ein Frevel, wenn wir die Stimme des Herzens nicht hören wollten, die doch so laut spricht. Irmgard – ich liebe Sie. Und wenn Sie mir die Wahrheit sagen wollen …“
Sie ließ ihn nicht aussprechen, machte ihre Hände los, legte sie auf seine Schultern und barg das glühende Gesicht an seiner Brust. „Ist es denn wirklich…“ fragte sie mit bebenden Lippen. „Ist das – Liebe –? Ach! nun könnte ich glücklich sterben.“
„Nicht sterben – leben!“ rief er, indem er sie stürmisch an sich zog und ihren Mund mit Küssen bedeckte. „Du sollst gar nicht mehr an den Tod denken, nur an das Leben. Mag’s lang oder kurz währen, es wird unser sein in Liebe. Sage mir: Du liebst mich!“
„Ja – ja! in alle Ewigkeit!“
„Ach! wie glückliche Menschen wir sind!“
„Wie glückliche Menschen!“ wiederholte sie und schmiegte sich zärtlich an ihn.
So saßen sie eine Weile Arm in Arm und vergaßen, daß ihnen Gefahr drohte, und sahen und hörten von dem Unwetter draußen nichts. Da plötzlich zuckte ein Blitz dicht vor ihnen nieder, daß der grelle Lichtschein sie blendete, und in demselben Augenblicke folgte ein Donnerschlag, der den Berg erschütterte. Von der Höhe herab stürzte ein entwurzelter Baum, schlug auf den Vorsprung am Eingange der Höhle auf und polterte in die Tiefe. Irmgard riß sich ganz entsetzt los und starrte hinauf.
„Das war eine Mahnung vom Himmel –“ sagte sie zitternd.
„Ach Gott! ich vergaß …“
„Das Gewitter zieht vorüber,“ suchte er sie zu beruhigen. „Höre nur: der Donner rollt schon hinter uns – ein solcher Schlag wird Dich nicht mehr erschrecken, Liebste. Ueber der See wird’s hell – in einer halben Stunde haben wir wieder das schönste Wetter.“
Sie achtete nicht darauf, hielt ihr Tuch vor die Augen und weinte schluchzend. Er wollte sie an sich ziehen, aber sie wehrte jetzt ab. „Nein, Sie können mich nicht lieb haben,“ sagte sie. „O, mein Gott! Sie wissen nicht …“
„Was weiß ich nicht? Was brauche ich zu wissen –? Liebst Du mich nicht? Weiß ich nicht Alles in dem Einen?“
„Und doch – doch! Ach – das war’s ja, was ich beichten wollte. Ich habe Menschenglück zerstört, und nun straft sich’s an mir, daß auch ich nicht glücklich werden kann – nie, nie!“
Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Wessen Glück kannst Du zerstört haben?“ fragte er. „Einbildungen, Irmgard!“
„Meiner Mutter Glück!“ rief sie. „Ich weiß nun, was Liebe ist – und sie liebte.“
„Sie liebte?“
„Den Maler Max Werner.“
„Meinen Oheim? So war sie’s wirklich?“
„Sie hatten einander vor einem Jahre das Wort gegeben, wie wir einander heute – und ich stellte mich zwischen sie und litt nicht, daß sie bei einander blieben. Nun stellen sie sich zwischen uns – und wir müssen scheiden wie sie.“
Sie nahm seine Hand, drückte sie auf ihr Herz und stand rasch auf, sich zum Gehen wendend. Er verstand nun, was ihre Mutter bekümmert, sie selbst so schwer beunruhigt hatte. Eine Secunde lang wurde es ihm dunkel vor den Augen. Dann aber gewann er wieder allen Lebensmuth zurück. „Blicke hinaus, Irmgard!“ sagte er mit weicher und doch sicherer Stimme. „Eben noch war die ganze Natur in Aufruhr und Empörung. Es schien als wollte der Himmel mit seinen dunkeln Wolkenmassen alles Lebendige auf der Erde ersticken, der Sturm die Wälder brechen, die Meerfluth das Land fortspülen … und nun ist das blaue Himmelsgewölbe wieder so hoch und weit, wie es von Anbeginn war; die schäumenden Wellen glätten sich, Regen und Sonnenschein wechseln. Sollen wir darüber klagen? Das Leben hat Tag und Nacht; manchmal ist auch sein Tag dunkel und seine Nacht sternenhell.“
Sie hatte die Fingerspitzen an die Unterlippe gelegt und schob sie gegen die kleinen Zähne hin und her, den Mund halb öffnend. Nun nickte sie nachdenklich, wandte sich aber nicht zu ihm zurück. „Gehen wir!“ sagte sie nach einer Weile, „man wird besorgt um uns sein.“
„Irmgard –!“ bat er. Er wollte sie umfassen, aber sie trat schnell einen Schritt vor. „Wir dürfen nicht –“ wehrte sie erröthend ab. „Sie wissen das Schlimmste noch nicht. Aber vielleicht – vielleicht … Es bleibt noch eine Hoffnung. Kommen Sie! Auch das sollen Sie erfahren.“
„Wenn Du mich liebst, Irmgard –“
Sie kämpfte mit sich. „Ich hab’s ja gesagt – und es ist gewißlich wahr. Aber ich darf nicht – ich habe … Nein, [112] nicht hier! kommen Sie!“ Sie führte ihn auf den Vorberg hinaus. „Der Strand ist wieder frei, wir können unten entlang gehen bis zur Schlucht.“
„Ich wollte, es hätte nicht so bald ausgestürmt,“ bemerkte er, verstimmt durch ihr zaghaftes Ausweichen.
Sobald nur die steinige Ecke überwunden war, an der die Wellen noch immer kräftig brandeten, hatten sie einen leicht gangbaren Weg bis zu dem Ufereinschnitt, der zum Gasthause neben der Oberförsterei hinausführte. Als sie neben einander schweigend – sie hatten Beide nicht den Muth, von persönlichen Dingen zu reden – durch die Schlucht gingen, glaubte er ein leises Schluchzen zu vernehmen. „Du weinst, Liebste?“ fragte er.
Sie antwortete nicht.
„Aber was ist Dir? Wer uns so sähe, könnte schwerlich in uns zwei Menschen errathen, die in der jüngsten Stunde ihres Glückes gewiß geworden.“
Sie schluchzte heftiger. „Ihres Glückes –! Ach, daß ich vergaß …! Das Herz ist mir so bekümmert, und ich weiß gar nicht, wie ich’s tragen soll.“
„Was, Liebste?“
„Daß wir einander nicht angehören können.“
„Irmgard –!“
„Nein, nein –! Es ist so; glauben Sie mir!“
„Das wäre ein unseliger Glaube, Irmgard. Weshalb in aller Welt –“
„Ich habe meiner Mutter ein feierliches Versprechen gegeben, nie … nie mich von ihr zu trennen.“
„Aber sie wird nun auch meine Mutter sein; wir trennen uns nicht von ihr.“
„Nein – nicht so. Werner’s wegen –“
„Um diese Heirath zu hindern, Irmgard?“
„Ja, ja – deshalb. Und es ist nun alles aus.“
Er begriff den ganzen Zusammenhang der Geschichte, er wußte jetzt, weshalb er berufen war, den Bauplan eines Hauses der Barmherzigkeit vorzulegen. „Das darf nicht sein,“ rief er. „Wie konnte ein solches Versprechen ernst gemeint und ernst genommen sein? Deine Mutter ist herzensgut –“
„Ja! Aber ich habe ihr zu wehe gethan, Wie könnte ich je von ihr fordern –“
„Nicht Du, aber ich.“
„Nein, auch Du nicht.“ Sie erschrak über das vertrauliche Du, das ihr unwillkürlich entschlüpft war. „Warten Sie ab! Ich habe … Vielleicht fügt sich’s glücklich –“
„Worauf sollen wir warten, Irmgard? Nein, hier kann nur ganze Offenheit zum Ziele führen. Ich fordere die Hand des Mädchens, das ich liebe und das mich liebt.“
Sie faßte seinen Arm. „Das darf nicht geschehen.“
„Das wird geschehen,“ antwortete er mit männlicher Entschiedenheit. „Verleugne mich, wenn Du kannst!“ Er umfaßte sie schnell und drückte einen Kuß auf ihre Stirn.
Noch einige Stufen aufwärts, und das Gasthaus war in Sicht. Alle Fenster waren weit geöffnet. Vom Saal her tönte ihnen Tanzmusik entgegen. Die leichte Jugend hatte sich durch das Unwetter in ihrer Lustbarkeit nicht stören lassen und schnell war ein Ball improvisirt worden.
„Wir wollen nach Hause gehen,“ sagte Irmgard, den Schritt hemmend. „Jetzt in diese Gesellschaft –“
„Aber warum nicht froh sein mit den Fröhlichen?“ entgegnete er. Sein Muth belebte den ihren. Sie folgte ihm –: er hatte Macht über sie. Ihr Eintreten brachte einige Unruhe in die Gesellschaft. Frau von der Wehr war wirklich schon wegen des langen Ausbleibens ihrer Tochter besorgt gewesen. Nun drängte Alt und Jung hinzu, um zu fragen, wie’s ihnen ergangen sei. Harder berichtete das Vorgefallene kurz.
Der Tanz war unterbrochen worden, und die Gesellschaft sammelte sich allmählich auf dem breiten Balcon. Man arrangirte allerhand Spielchen und vergnügte sich auf’s Beste, bis nach dem schönsten Sonnenuntergang und einem gemeinsamen Abendessen auf einem entsetzlich verstimmten Waldhorn zur Abfahrt geblasen wurde. Die Insassen des zerbrochenen Wagens fanden hier und dort glücklich ein Unterkommen. Irmgard hielt sich zu ihrer Mutter. So kam es, daß Harder neben ihr keinen Platz fand. Er suchte nun auch nicht einen andern, verschwand im Gebüsch, ließ die Fuhrwerke abfahren und ging zu Fuß nach Rauschen zurück. –
Am andern Morgen, so früh es ihm irgend schicklich scheinen wollte, stieg Robert Harder zu dem Häuschen hinauf, in dem die Damen wohnten. Irmgard mußte ihn wohl bemerkt haben; sie floh wie ein gescheuchtes Reh aus dem Garten in einen Versteck im Hause. Harder ließ Frau von der Wehr hinausbitten; er habe ihr eine wichtige Mittheilung zu machen, bei der sie ganz ungestört sein müßten.
Sie kam in’s Zelt, und dort sagte er ihr, daß er Irmgard liebe und unter welchen Umständen er ihr gestern seine Liebe gestanden habe. Frau von der Wehr schien kaum überrascht zu sein. Einen Augenblick war’s, als ob aus diesem ernsten, bleichen Gesicht die Freude aufblitzen wollte, aber gleich wieder glitt ein finsterer Schatten darüber hin, und das Lächeln, das um den Mund stehen blieb, war so bitter, daß dem jungen Freier schnell die Hoffnung schwand, ohne Widerspruch zum gewünschten Ziele zu gelangen.
„Ich habe wohl geahnt,“ sagte sie, „daß es dahin kommen werde,“ und nach einigem Bedenken: „Was hat Irmgard Ihnen geantwortet?“
„Daß sie mich liebe, wie ich sie,“ versicherte er mit leidenschaftlicher Wärme und doch den Blick senkend.
„Und nur das?“ fragte sie.
Er überwand seinen Unmuth. „Nein. Auch das noch, daß sie mir nicht angehören könne, weil sie Ihnen das Wort gegeben, ledig zu bleiben.“
In die Stirn der schönen Frau furchte sich zwischen den Augenbrauen eine tiefe Falte; der Mund zuckte, als ob er sprechen wollte und nicht könnte. „Sie hat die Wahrheit gesprochen,“ sagte sie nach kurzem Nachdenken. „Irmgard hat sich – freiwillig – gebunden.“
„Und Sie wollten –?“
„Ich will nichts. Es ist eine unwandelbare Thatsache.“
„Das unüberlegte Versprechen eines Kindes –“
„Nicht das. Aber weshalb es gegeben wurde –!“
„Ich weiß Alles. Irmgard hatte von Ihnen ein Opfer gefordert; sie glaubte sich verpflichtet, dagegen ein Opfer zu bringen. Aber sie begriff dessen Größe gar nicht –“
„Mag sein. So wenig wie mein Leid.“
„Und doch soll sie so schwer büßen, als hätte sie’s Ihnen bewußt zugefügt? Nein, das kann Ihr Wille nimmer sein.“
Frau von der Wehr athmete gepreßt. „Mein Wille – nein, aber mein Wille entscheidet nicht. Ich habe Irmgard zu nichts verpflichtet, habe mich nur meines Kindes Wunsch gefügt. Ihr Versprechen … bindet sie, nicht mich. Kann sie sich selbst davon lösen – wohl! Ich werde sie nie daran erinnern.“
Er nahm ihre Hand und küßte sie. „Seien Sie gütig!“ bat er. „Keinen Augenblick habe ich gezweifelt, daß Sie Ihr Kind frei sprechen würden. Wie ich Sie kenne und verehre, werden Sie es nicht über das Herz bringen, zu sagen: ‚Weil ich nicht glücklich bin, sollst auch Du es nicht sein.‘ Aber das ist nicht genug, lange nicht genug. Was Sie thun, müssen Sie ganz thun – sonst ist’s gar nicht gethan. Irmgard fühlt sich Ihnen schwer verschuldet. Sie müssen die Schuld von ihr nehmen, wie man dem geliebten Menschen eine Thräne des Kummers vom Auge fortküßt. Sie dürfen sich nicht zwischen ihr Gewissen und ihre Liebe stellen und ihr zurufen: ‚Wähle! Ich will Deine Wahl gelten lassen, aber wähle!‘ Sie hat schon gewählt, sie glaubt entsagen zu müssen. Aber nie mehr wird sie ihres Lebens froh werden. Es handelt sich um das Glück Ihres einzigen Kindes – bedenken Sie das, und machen Sie ihr die Wahl leicht!“
Die unglückliche Frau sah finster vor sich hin. „Ich soll sie bitten, ihr Wort zu brechen –“ murmelte sie, „ich sie bitten, glücklich zu sein und das Leid zu vergessen, das sie mir zugefügt! Soll froh und zufrieden scheinen, damit sie’s vergessen kann!?“ Sie stand auf. „Fordern Sie nicht Unmenschliches von mir! Noch einmal. Irmgard ist frei – sie kann über ihre Hand verfügen, über ihr Vermögen … Ich zwinge sie nicht, sich Wort zu halten. Sie sind mir lieb und werth – schon seinetwegen –! Keinem gebe ich mein Kind so gern wie Ihnen …“ Aus ihren Augen tropften große Thränen. „Aber mehr – kann ich nicht – darf ich nicht – will ich nicht …“
Hätte Meister Kaulbach ein monumentales Gemälde „Unsere Zeit“ zu entwerfen gehabt, in der Weise, wie seine Werke in dem Treppenhause des Berliner neuen Museums, er würde dasselbe vielleicht also angeordnet haben:
In breitgestrecktem Vordergrunde kämpfen und morden sich in wirren Gruppen Russen und Türken am Balkan und weithin bis zum Kaukasus, den Thälern und Hochebenen Armeniens; – das wäre das Sinnbild der moskowitischen Culturmission in der Türkei und Asien, das Sinnbild moderner Diplomatenweisheit, humanitärer Localisirung eines völkerverheerenden Krieges. – Und hoch erhaben über alledem thront auf wolkengetragenem heiligem Stuhle, umstrahlt von himmlischer Glorie, der heilige Vater und waltet mit wie zum Segen ausgebreiteten Armen seines christlichen Liebesamtes mit Bann und Verfluchung.
An der einen Seite des Bildes steigen hochauf Gruppen gescheitelter Synodalen, die einander von der Kanzel stoßen, [114] tonsurirter Bischöfe mit zerbrochenen Hirtenstäben, knüppelschwingender Socialdemokraten, Gründer und Fürsten, flüchtig über die Trümmer gefallener Banken und befleckter Wappenschilder; – das die Symbolisirung unserer Culturkämpfe um die Freiheit des Geistes in Kirche und Wissenschaft, unserer Bestrebungen um Förderung des Volkswohls.
An dem andern Seitenrande des Gemäldes endlich steigen in langer Reihe die Märtyrer geographischer Forschung hernieder. Wir erkennen vor Allem die Heroen der Afrikareisenden: Rohlfs, Schweinfurth, Nachtigal, Falkenstein, der unsern darwinischen Erzvater Gorilla sorgsam in liebender Umarmung pflegt, Cameron und endlich Stanley an der Küste von Loango mit seiner verhungerten treuen Schaar schwarzer plattnasiger Wollköpfe.
Auf dieser letzten Gruppe meist verkümmerter Gestalten weilt das Auge mit erhöhetem Interesse, weil sie Gedanken wachruft von höheren idealen Anstrengungen im Dienste der Wissenschaft und der Civilisation, weil sie Hoffnungen weckt auf reellere Culturkämpfe im Dienste der Humanität, der Befreiung und Sittigung von Millionen in Thierheit und Sclaventhum verkommener Menschen. Ist doch die afrikanische Entdeckungsfrage unsere eigentliche orientalische Frage, die Mündung und Schiffbarkeit des Congo wichtiger als die Sulinamündung und Schiffbarkeit der unteren Donau, der afrikanische Fetisch- und Schlangencultus lehrreicher als der fanatische Zank der Schriftgelehrten und Gottesmänner, der Verkehr mit den Menschenfressern an den Katarakten des Congo ersprießlicher als der mit den Zollbeamten an der Grenze moskowitischer Länder. Kurz, die Entdeckungsfrage Afrikas ist eine brennende Frage des Tages, und ihrer Lösung weihen Staatsregierungen, wissenschaftliche Vereine, einzelne Männer von glühender Begeisterung reiche Mittel, heldenkühnste Ausdauer.
Dreiundzwanzig Jahrhunderte, wie zu Zeiten Herodot’s, liegt das Sinnbild des Räthsels, die Sphinx, unter dem Wüstensand Aegyptens an der Europa zugekehrten Schwelle des afrikanischen Erdtheils. Wie zu Herodot’s Zeiten hieß es Jahrhunderte lang: „Aus Afrika kommt immer etwas Neues“. Aber wie viel Neues sich auch gehäuft, wie manche vereinzelte geographische Räthselfragen auch gelöst worden, noch bis vor wenigen Jahren konnte man mit dem Dichter klagen:
„Jahre lang schöpfen wir schon in das Sieb und brüten den Stein aus,
Aber das Sieb wird nicht voll, aber der Stein wird nicht warm.“
Unseren Tagen, und nicht zum geringen Theil deutschen Männern, war es vorbehalten, das Sieb zu füllen, den Stein zu erwärmen.
Eine Karte von Afrika, welche die entdeckten Ländergebiete nach den Nationalitäten, die sie entdeckt und erforscht haben, verschiedenfarbig darstellt, zeigt augenfällig, daß die Größe der von Deutschen entdeckten Gebiete dem Umfange derjenigen, die von Franzosen und Engländern entdeckt wurden, nicht nachsteht. Sie zeigt ferner, daß, während die französischen und englischen Entdeckungsgebiete sich an der Basis der Küsten erstrecken, die deutschen Entdeckungen, unabhängig von politischen und commerciellen Zwecken, sich zu allermeist in dem tiefsten Innern des Continents ausbreiten.
Schon seit der Stiftung der Londoner „African Association“, 1788, und namentlich seit den letzten Jahrzehnten, hatten deutsche Männer in Afrika ein zahlreiches, theures Contingent zu den Opfern der Entdeckungen geliefert. Die Todtenliste der Reisenden in Afrika nennt in besten Ehren die Deutschen Hornemann, Röntjen, Kummer, Burckhardt, Hemprich, Liman, Overweg, Reitz, Schönlein, Vogel, Knoblecher, von Reimans, Vierthaler, Roscher, von Barnim, Harnier, Bilharz, von Beurmann, von der Decken, Linck, Steudner, Schubert, Munzinger, Graf Zichy, Frank, Mohr, Barth, von Bary, Landien und viele, viele andere.
Noch größer ist die Zahl der Deutschen, welche in den verschiedensten Theilen Afrikas als Pioniere der Wissenschaft ihre besten Kräfte opferten. Wir erinnern nur an die neuesten Namen: Schweinfurth, Nachtigal, Rohlfs, Güßfeld, Hildebrand. Die von ersteren durchforschten Gebiete füllen in ihrem Zusammenhange von Westen nach Osten die größte Längenerstreckung des Erdtheiles, fast siebenzig Längengrade. „Quer durch Afrika,“ – „Im Herzen von Afrika,“ sind die stolzen Titel von Rohlfs’ und Schweinfurth’s Reisewerken. Sie klingen und schallen wie schmetternde Fanfaren und verkünden die geographischen Siegeszüge deutscher Entdeckungsreisenden, deutscher erdkundiger Forscher im Innern des geheimnißvollen Erdtheils.
Vergessen wir aber darum die Verdienste der fast gleichzeitigen Afrikareisenden anderer Nationalitäten nicht! Die Gesammtbemühungen aller Forscher haben der Wissenschaft reiche Früchte zugeführt. Die Jahrtausende alte Nilquellenfrage wurde erledigt, die wechselnde Vorstellung von dem Labyrinth der innerafrikanischen Seeregion berichtigt; das unnahbare mit dem Blute der Reisenden Vogel und Beurmann getränkte Wadai ward der Forschung eine gastliche Stätte; zahlreiche Räthsel wurden gelöst vom Ursprung und Lauf der Flüsse; Wasserscheiden, Bodenbildung, Pflanzen-, Thier- und Menschenwelt wurden erforscht, und der Engländer Cameron hat vom März 1873 bis October 1875 Afrika vom indischen bis zum atlantischen Ocean, von Bogamoyo westwärts bis Embomma, durchkreuzt.
Inzwischen war auch der Reisende Stanley 1870 nach Afrika gegangen, um den verschollenen Livingstone aufzusuchen, und er hat ihn im October 1871 in Udjidji am Tanganyikasee gefunden. Nach seiner glücklichen Heimkehr und nach Livingstone’s Tod im Mai 1873 ging Stanley im Sommer 1874 zum zweiten Male nach Afrika, um die Entdeckungen Livingstone’s zu vervollständigen.
Seine Aufgabe war in der That keine kleine; es galt die Entdeckungen Speke’s und Grant’s in Betreff der Nilquellen zu vollenden: es galt den Victoria- und Tanganyikasee zu umschiffen, durch neue Forschungen im letzteren die Entdeckungen Speke’s und Burton’s zu vollenden und diejenigen Livingstone’s zum Abschlusse zu bringen. Eine der Hauptaufgaben war, zu erforschen, ob der Lualabastrom, den auch Livingstone für einen Arm des Nil gehalten hat, nicht der obere Lauf des Congo sei, wie der Scharfsinn des gothaischen Geographen Behm mit Zuversicht behauptet hatte.
Im November 1874 brach Stanley, vortrefflich ausgerüstet, mit einem vorzüglichen englischen zerlegbaren Boote, „Lady Alice“, und einer Escorte von dreihundert angeworbenen Eingeborenen, von Bogamoyo, gegenüber der Insel Zanzibar, auf. Er wandte sich zunächst nach dem central-afrikanischen Seegebiete des Tanganyika-, des Victoria-Nyanza- und Albert-Nyanzasees. Nach wichtigen Aufschlüssen über die Quellflüsse des Nil kehrte er zum Tanganyika nach Udjidji zurück und begann am 11. Juni 1875 auf der „Lady Alice“ die erste vollständige Aufnahme des Sees, die achthundert geographische Meilen beträgt.
Bei seiner Rückkehr nach Udjidji fand er Pockenkrankheit, Ausreißerei und Meuterei unter der Mannschaft. Er beeilte die Weiterreise. Aber zwei Ziele lockten ihn unaufhaltsam: entweder
1) westwärts zu gehen, nach Nyangwe am Lualaba und denselben weiter zu verfolgen, was weder Cameron noch Livingstone gelungen war, – oder
2) nordöstlich wiederum in das schon erwähnte Seegebiet zurückzukehren.
Stanley entschied sich für das erste Ziel, für die Erforschung des Lualaba. Am 29. August 1876 wurde Udjidji verlassen, der Tanganyika gekreuzt, nach Nyangwe vorgedrungen.
Nyangwe liegt fast in der Mitte des geheimnißvollen Erdtheils, ist unter dem vierten Grade südlicher Breite, etwa zweihundertundzwei geographische Meilen von der Ostküste und ungefähr zweihundertunddreißig geographische Meilen von der Westküste entfernt. Die östliche Hälfte des Erdtheils war zeither von Forschern besucht und im Allgemeinen ziemlich bekannt, die westliche Hälfte dagegen ein grauenvolles Geheimniß, eine fabelhafte Region von Zwergen, Menschenfressern, Gorilla’s. Dämonische Hindernisse hatten hier von allen Seiten das Eindringen gehemmt, aber gerade diese Schrecken lockten unseren Reisenden mit unwiderstehlichem Reize.
„Mein Geschick,“ sagt Stanley, „trieb mich vorwärts. Ich hörte den Geschichten zu, wie alle Karawanen vernichtet worden seien, welche es versucht hatten, den großen Fluß abwärts zu fahren. Ich hörte, daß ich umgebracht und gefressen werden würde, daß meine Mannschaft desertiren, und daß ich Schwierigkeiten unüberwindlicher Art finden würde. Aber alle Warnungen schreckten mich nicht.“ – Alle Vorkehrungen wurden getroffen, die Mannschaft der Expedition verstärkt, hundertvierzig Leute mit Gewehren, siebenzig mit Lanzen versehen, und „Vorwärts!“ war die Parole.
[115] Wenige Tagereisen nördlich von Nyangwe wendet sich der Lualaba nach Nordost. Hohe Zacken der Ureggahügel starren in die brausende Fluth; wilde Scenerien von Katarakten und schäumenden Wogen schrecken das Auge. An beiden Flußufern wohnen Wilde: die Wainya, feige, verrätherisch, listig und absolut unzugänglich, weiter nördlich ein mächtiges Volk höheren Muthes, die Wabroiro, am linken Ufer die Wainya, weiter westlich die kriegerischen Bakusu, – lucullische und sybaritische Menschenfresser.
„Auf dieses Volk,“ bemerkt Stanley, „würde die Ankunft eines ganzen Concils von Bischöfen und Missionären nur wie eine Zufuhr landesüblichen Beefsteaks wirken …“
Hier muß der Reisende zu jeder Stunde ein Mann der That sein.
In seinem letzten Briefe aus Innerafrika hatte Stanley von diesen schweren Thaten berichtet, von den Kämpfen mit den tückischen, verrätherischen Kannibalen und von der blutigen Züchtigung, die er ihnen ertheilte, was, wie erinnerlich, die Gelehrten der afrikanischen Entdeckungs-Societäten an den grünen Berathungstischen mit großer sittlicher Entrüstung erfüllt hatte. Glücklicher Weise blieb diese Entrüstung ohne Einfluß. Der willensstarke, muthige Mann drang unaufhaltsam vorwärts. Und schon waren neun lange, bange Monate vergangen, ohne daß Kunde von ihm oder über ihn gekommen; schon hatte sich schwere Besorgniß um ihn verbreitet – da brachte endlich der „Daily Telegraph“ die freudige Botschaft: „Stanley ist am 8. August 1877 in Embomma an der Westküste Afrikas angekommen. Er hat den ganzen Lualabafluß befahren und seine Identität mit dem Congo festgestellt.“
Stanley hat sonach Afrika vom November 1874 bis August 1877 von Bogamoyo bei Zanzibar westwärts bis Embomma nahe der Congomündung in seiner ganzen Breite durchwandert.
Es ist hier nicht der Ort, auf den Verlauf und die Resultate der Reise näher einzugehen, auch ist bis jetzt nur Summarisches bekannt geworden und Stanley selbst erst gegen Ende Januar in London wieder eingetroffen.
Die Bedeutsamkeit der Entdeckung des Congo- oder Lualabastromes muß uns aber schon jetzt frappirend entgegentreten, wenn wir einige Größenverhältnisse desselben mit denen des Rheins vergleichen. Nach uns geläufigen Maßen in Zahlen ausgedrückt ist:
des Congo: | des Rhein: | |||
die Stromlänge | 650 | geogr. Meilen, | 156 | geogr. Meilen, |
das Stromgebiet | 50–60,000 | „ Q.-Meilen, | 3600 | „ Q.-Meilen. |
Und wie charakterisirt Stanley Strom und Land? „Für die Schiffbarkeit des mächtigen Stroms,“ schreibt er, „bestehen die unüberwindlichen Hindernisse der Katarakte. Hier muß der Landtransport an die Stelle des Flußtransports treten. Sobald dagegen die ersten großen Wasserfälle passirt sind, liegt halb Afrika vor uns, und zwar nicht wie die unteren Nilgegenden als Sandwüsten, sondern als eine reiche, stark bevölkerte Ebene. Kein Theil von Afrika, mit Ausnahme von Ugoge, ist so reich bevölkert. Die gewöhnliche Bezeichnung Dorf ist eigentlich unrichtig für diese Menge von Häusern in den Ortschaften. Es sind wirkliche Städte, oft an manchen Plätzen zwei Meilen lang. Schon oft wurde in letzter Zeit die Befürchtung ausgesprochen, daß Elfenbein bald eine Seltenheit werden müsse, allein ich kann versichern, daß dies in den nächsten zwei bis drei Generationen nicht der Fall sein wird. Die ganze Ebene ist reich an ungeheuren Wäldern, welche Massen von Palmöl liefern können. Auch Baumwolle, Guttapercha, alle Nüsse, Copal, Palmfrüchte. Durch den Fluß ist auch eine Reise nach den Gold- und Kupferdistricten von Katange leicht gemacht.“ So wird der tausendjährige weiße Fleck auf unseren Landkarten von Afrika durch die Entdeckung des größten Stromes mit zahlreichen Nebenflüssen, mit zahlreichen Namen bisher ganz unbekannter Völker, mit Namen von Fundstätten werthvoller Producte ausgefüllt.
Und was war der Mann, der so Außerordentliches geleistet?
Nur ein Journalist – ein Zeitungsschreiber – „eine verfehlte Existenz“. –
Henry Stanley, 1840 in Wales von armen Eltern geboren, heißt eigentlich John Rowlands und wurde in einem Armenhause erzogen. Autodidact, wollte er Lehrer, Seemann, Kaufmann werden und fand in New-Orleans bei einem Kaufmann, Namens Stanley, Beschäftigung und Gelegenheit zu weiterer Ausbildung. Der Kaufmann gewann den anstelligen, fleißigen Knaben lieb und adoptirte ihn, versäumte aber ein Testament zu machen, sodaß der junge Mensch nach dem Tode seines vermeintlichen Wohlthäters bis auf den neuen Namen fast leer ausging. Soldat im Secessionskriege, zeigte er in allen Lebenslagen Charakter und Energie, in allen Aufträgen Umsicht und Geschick. Er bereiste dann die europäische und asiatische Türkei und begleitete 1867 die englische Expedition gegen König Theodor nach Abyssinien als Correspondent des „New-York-Herald“. Seine Berichte zeichneten sich so vortheilhaft vor allen anderen aus, daß er 1868 während der Karlistenunruhen nach Spanien als Reporter geschickt wurde.
Und als bald darauf F. Bennett, der Besitzer des „New-York-Herald“, für seine große, weit verbreitete Zeitung überraschende, sensationelle Berichte brauchte, als es galt, den verschollenen Livingstone in den Wüsten Afrikas aufzusuchen, als es galt, Jemand zu gewinnen, der reisen, schildern, berichten könnte, da wurde wieder Stanley auch mit dieser Mission betraut. Zunächst sollte er nach Aegypten gehen und über Land und Leute, den Khedive, die Eröffnung des Suezcanals, über den Nil, seine Katarakten und Denkmale berichten, dann nach Jerusalem und Constantinopel und über Sultan und Osmanenthum, über Personen und Zustände schreiben, ferner über die Krim, über Sebastopol, den Kaukasus, das Kaspische Meer, Persepolis, Bagdad, Persien nach Indien und von allen Orten interessante, packende Berichte für die Spalten der New-Yorker Zeitung schicken, und endlich sollte er, – was die Hauptsache war – nach Afrika gehen und Livingstone suchen.
Und so geschah es. Im October 1869 erhielt er den Auftrag; im Januar 1871, also nach nur fünfviertel Jahren, war er an der Küste von Zanzibar. Alles war bestens erledigt; überall ist er gewesen; von allen Orten hat er interessant berichtet, und am 26. März brach er von Zanzibar auf, um in den unbekannten Wüsten den Verschollenen zu suchen.
Schon waren zweihundertsechsunddreißig arbeitsvolle Tage vergangen mit beschwerlichen Wanderungen auf Kreuz- und Querzügen, da wiederholte sich das seltene Glück, das einst Eduard Vogel zwischen Kuka und Kano begegnete. Wie Vogel in der afrikanischen Waldwildniß den kranken, hülfsbedürftigen Heinrich Barth ganz unerwartet gefunden, so fand auch Stanley den eifrigst gesuchten Livingstone in Udjidji am nordöstlichen Ufer des Tanganyikasees. Was hierbei größer gewesen, der Spürsinn, das Combinationstalent, die unermüdliche Arbeitskraft des Amerikaners oder sein Glück, das zu entscheiden bleibe dem Scharfsinn unserer Leser überlassen.
Stanley hatte seine Aufgabe gelöst – er hatte Livingstone gefunden. Es galt nunmehr die Kunde hiervon heim zu bringen.
Aber der erste Verkehr beider Männer gestaltete sich alsbald zur innigen, hochachtungsvollen Freundschaft. Livingstone sah in Stanley seinen hoffnungsreichen Nachfolger, der seine Arbeiten vollenden, zum Abschluß bringen werde; Stanley erkannte in Livingstone sein ideales Vorbild, dem er nachzustreben habe. Beide Männer trennten sich nicht sobald. Als sollte Stanley unter den Augen Livingstone’s noch Proben ablegen für die Fähigkeit seiner großen Mission, wurde das Nordende des Tanganyika umschifft und kartirt. Erst im März 1872 trennte sich Stanley von Livingstone,[1] und am 6. Mai war er in Zanzibar.
Telegraphische Blitzboten trugen alsbald die Kunde so glücklicher Thaten in alle Welt, aber auch schnell wie der Blitz erhob sich Zweifel, Neid und Verdächtigung. „Barnum!“ „Humbug!“ „Zeitungsreclame!“ erschallt es hüben und drüben. Wie sollte so ein journalistischer Vagabund, so eine „verfehlte Existenz“ das ausgeführt haben, was gelehrte Fachmänner, wissenschaftliche Reisende nicht ausführen konnten? Nicht lange – Stanley kam. Seine Persönlichkeit, sein Werk „Wie ich Livingstone gefunden“ (How I found Livingstone) zerstreuten alsbald alle skeptischen und kritischen Nebel und der Geschmähte galt als Heros geographischer Forschung.
Was Stanley zum zweiten Male nach Afrika geführt, und was er auch diesmal geleistet, ist bereits erzählt worden. Er schied von den Freunden mit dem Todesmuth der römischen Kämpfer: moriturus vos saluto!
[116] Aber das Glück blieb ihm treu. Wie er auf der ersten Reise Livingstone gefunden, so hat er auf der zweiten den größten Strom, die Schlag- und Pulsader eines neuen Lebens des Erdtheils, gefunden und befahren.
Bei allen Huldigungen, die ihm auf der Heimreise erwiesen wurden, wollte der große Mann immer nur als Journalist gelten. In der Dankrede bei seinem Ehrenfeste in Paris führte er aus: daß in allen seinen Gefahren und Strapazen ihn der Gedanke aufrecht gehalten hätte, er sei am Ende nur ein Journalist. „Als die Eingebornen an den Ufern des Lualaba mir den Weg nach der See verlegen wollten und ich ihnen die Stirn bot, sagte ich mir, ich sei ja nur ein Journalist. Und als ich endlich erschöpft und ausgehungert die Küste des atlantischen Oceans erreichte, erinnerte ich mich wieder, daß ich nur ein Journalist war, und ehe ich auch nur ein Glas Wein und einen Zwieback zu mir genommen hatte, setzte ich ein Telegramm auf und schickte es ab. Der Instinct des Journalismus war es, der mich bestimmte, wie ein Pfeil bis zum Victoriasee zu fliegen, der mich auf meiner Wanderung durch diese Urwildniß aufrecht erhielt, der mich trieb wieder Kehrt zu machen, das Udjidjiland zu besuchen und so zu vollenden, was die Entdeckungsreisenden vor mir noch offen gelassen hatten. Der Ehrgeiz des Journalisten war es, der mich sprechen ließ: ‚Ich will mein Vorhaben nicht aufgeben, sondern vorwärts gehen und die Arbeiten Livingstone’s vollenden‘.“
Einem dankenswerthen Briefe aus San Paolo de Loando an die Redaction dieses Blattes lag die Photographie unseres kleinen Bildes bei. Dasselbe zeigt Stanley unter den Mitgliedern einer portugiesischen wissenschaftlichen Expedition, die kurz vor ihm eingetroffen waren. Der Brief giebt auch von der äußern Erscheinung des außerordentlichen Mannes folgende Schilderung: Henry M. Stanley, an der Schwelle der vierziger Jahre, ist ein Mann von mittlerem Wuchse, untersetzter, doch nicht sehr kräftiger Gestalt. Seine Körperhaltung ist eine gleichmäßig ruhige mit gerade aufgerichtetem Haupte. Geberden begleiten nur in seltenen Fällen seine Worte, aber die großen Augen leuchten an bedeutsamen Stellen. Sein bis auf den Schnurrbart glatt rasirtes Gesicht ist faltenlos; die Züge haben etwas ungewöhnlich Strammes. Das Haupthaar, das er kurz trägt, ist dicht und in Folge der letzten Reise bedeutend ergraut.
Wir freilich haben bei dem Gedanken an die unaufhörlichen Kämpfe im nie betretenen Lande, an die Noth und Drangsale des beschwerlichen Zuges, an die unbeugsame Charakterstärke, die Umsicht und den Heroismus Stanley’s das Bild eines Heroen aus der Zeit des Columbus, dem Zeitalter der Entdeckungen Amerikas.
Für die echte und wahre Popularität eines Mannes spricht nichts schöner und beweiskräftiger, als wenn man ihn zu einer Zeit, da diese Bezeichnung nach seinen Kalenderjahren eigentlich gar nicht zutreffend erscheint, allgemein den „Alten“ heißt – und darum so schön, weil’s eben beweist, daß der Alte längst vor Abschluß der Tagesrechnung eine gewaltige Summe von Thaten oder Erfolgen aufzuweisen gehabt, für welche die allgemeine Volksschätzung allbereits ein vollgewogenes Menschenleben voraussetzen zu können vermeinte. Wie solch ein Wort wird und wächst, das läßt sich im Einzelnen schwer nachweisen; es fliegt wie das Mariengarn über Wald und Feld und alle Schlagbäume. Jeder spricht’s nach, und Jedem ist’s recht. Jeder hat dasselbe Gefühl der Pietät, der Ehrfurcht und der – man möchte sagen – zu solch einem „Alten“ kindlich aufschauenden Dankbarkeit. Den „alten Holtei“ nannte man schon so, als er eben erst auf dem Zenith seines Lebensweges angelangt war und körperlich wie geistig frisch auf der Höhe stand. Die stürmische Odyssee seines ersten Lebenstheils lag bereits hinter ihm; der Vielgewanderte hatte sein Ithaka an dem traulichen Heerde seiner einzigen Tochter in Graz gefunden und spann sich dort wie ein fleißiger Seidenwurm still am Schreibtisch ein. Nach dem, was damals schon hinter ihm lag, konnte man ihn gleichwohl den Alten nennen, und wär’ es auch nur wegen der „Vierzig Jahre“ gewesen, die er ja nicht nur geschrieben, sondern auch erlebt hat. Und was hatte er daneben nicht Alles gedichtet und gesungen und im Dienste der Musen gewirkt an allen Enden! Und was hatte er daneben nicht Alles gelitten und verloren!
„Meine treuesten Freunde: Kummer und Schmerz!
Meine größten Feinde: ich und mein Herz!“
So konnte er schon damals ausrufen im schmerzerfüllten Rückblick auf den von Leichensteinen umfriedeten Lebensweg.
Vom „jungen Holtei“ weiß die Welt genug, sollte und könnte es wenigstens wissen; er selbst und viele Andere, die seines Werthes echten Goldgehalt erkannt, haben dafür nach Kräften gesorgt – vom „alten Holtei“ aber ist dann nicht viel mehr die Rede gewesen. Und darum soll’s hier geschehen; ein Epilog zu jener achtzigsten Geburtstagsfeier, welche der Nestor der schlesischen Dichter vor wenigen Wochen bekanntlich unter der herzlichsten Antheilnahme von Nah und Fern beging. Wohlverstanden, bezieht sich das eben Gesagte auf die Personalia des Dichters: daß sein poetisches Wirken nicht einschlummerte, bewies manches neue Buch, und kam in einem Jahr einmal keins, so durfte man nur Trewendt’s „Volkskalender“ aufschlagen, um zu erfahren, daß der „Alte“ doch niemals ganz feiern könne. Die Person aber trat allgemach zurück; der alte Herr zog selbst die Kreise um sich enger und enger. Sein stilles Heim im dritten Stock des in einer nicht allzu freundlichen Seitenstraße gelegenen und damals auch wenig bequem ausgestatteten „Hôtels zu den drei Bergen“ war keineswegs geeignet, dem betagten Wittwer den anmuthenden Zauber einer behaglichen Häuslichkeit zu bieten, wie ihn der moderne Comfort auch ohne großen Aufwand je nach Geschmack, Beruf oder Geistesrichtung eines älteren Pensionärs herzustellen vermag. Zur Wahl dieser Wohnung hatten alte Erinnerungen beigetragen und dann – der Umzug! So blieb’s denn schon von Jahr zu Jahr bei der alten Klause. „Die steilen Treppen halten die Wiederkehr manches überlästigen Besuches besser von mir ab, als zehn Cerberusse es vermöchten,“ sagte er einmal.
Freilich war’s mit diesen Besuchen oft ein wenig arg. Daß Jeder, der dem Reiche der Künste angehörte, dem alten Herrn seine Visite machte, verstand sich von selbst und diesen stand die Thür stets offen, aber müßige Neugier, stoffarme Feuilletonisten und dann die typischen Figuren, welche keinem Vorzimmer eines populären und berühmten Mannes fehlen, als da sind: der einen Album-Vers erbettelnde Gymnasiast, die stille Verehrerin, die um eine Haarlocke bittet, die hungernde Wittib eines „Collegen“ (?) – wie denen den Zutritt sperren? Holtei’s reiches Gemüth und seine große Gutmüthigkeit wurden dabei oft genug irregeführt. Er gab so gern, daß man ihm nur dankbare Schuldner hätte wünschen mögen. Und er sprach auch so gern, wenn eben ein Besuch kam, der ihn anregte. Die Lampenwelt stand dabei wohl immer noch ein wenig im Vordergrund. Fremde Gäste aus der Coulissenwelt brachten blos durch ihr Erscheinen und durch die Beziehungen, welche der Ort ihrer damaligen artistischen Wirksamkeit in den Erinnerungen des „Vielgewanderten“ anregte, eine solche Fülle von Anekdoten, Theatergeschichten und Reflexionen in seine Rede, daß der alte Herr stets die Kosten der Unterhaltung allein trug. Da wurden Namen aus dem goldenen Buch der Schauspielerwelt citirt, wie Anschütz, Marr, Löwe, Devrient – und mit vollem Feuer und Eifer bekannte sich der alte Herr zu der von jenen Großmeistern verfolgten idealen Richtung; mit heiligem Zorne wetterte er gegen den Götzendienst der falschen Kunst, die heut’ zu Tage in dem deutschen Musentempel sich eingenistet; mit edelstem und hinreißendem Enthusiasmus konnte er über die ethische und ästhetische Mission der Schaubühne reden, um dann zu einer persönlichen Anekdote, die hinter den Coulissen gespielt, überzuspringen und damit zu schließen. Freilich war der Humor solcher Schlußwendungen stets so überwältigend, daß auch der ärgste Hypochonder lachen mußte.
[117]
Ein besonderes Lieblingsgespräch des alten Herrn war Schlesiens Antheil an der deutschen Poesie, über welche er bis in’s kleinste Detail unterrichtet war. Mit staunenswerthem Gedächtniß konnte er von Opitz und Gryphius an alle größeren Werke schlesischer Dichter zergliedern und recitiren. – Im „Shakespeare“, den er ja oft von der Tribüne interpretirt, so vielfach und so mustergültig für die Bühne inscenirt, war er ganz besonders heimisch und liebte es, größere Monologe seiner Unterhaltung einzufügen. Und wie schön der alte Herr noch sprechen konnte! Wer einmal solch einer Plauderstunde bei dem „Alten vom Berge“ beigewohnt, wird die Erinnerung daran nie verlieren können.
Mit dem Theater stand Holtei, seitdem er diese letzte Periode seines Lebens angetreten, in keinerlei directem Verkehr. Er besuchte es auch nur sehr selten, zuletzt 1869 – wenn ich nicht irre – bei einem Gastspiel der Viardot-Garcia. Aber er verfolgte mit lebhaftestem Interesse die Entwickelung des modernen Bühnenrepertoires und blieb gern im Verkehr mit jüngeren hoffnungsvollen Talenten. Als das Theater zum ersten Male abgebrannt und dann durch die Freigebigkeit der Stadt schöner und glänzender aus der Asche emporgestiegen war, setzte Holtei alle seine Bekanntschaften – und deren weittragende Kraft bis in die höchsten Gesellschaftskreise hinein war und ist eine gewaltige – in Bewegung, um einem Manne das Directionsscepter in die Hand zu legen, welcher dazumal sich den Breslauern nur durch jeweilige Gastspiele als ein ganz excellenter Komiker empfohlen hatte. Theodor Lobe, jetzt einer der gewaltigsten Tragöden der deutschen Bühne, war jener Schützling Holtei’s; sein gegenwärtiger Ruhm beweist, wie sehr er jener Fürsprache würdig war und wie richtig der „alte Herr“ über ihn an eben dieser Stelle vor Jahr und Tag geurtheilt. Im Erkennen junger Bühnentalente zeigte Holtei überhaupt stets einen ausnehmend scharfen Blick; bei Lobe war die Sache um so schwieriger, da dieser damals schon im Zenith seines Könnens und Leistens zu stehen schien.
Von Holtei’s geselligen Beziehungen, seitdem er in Breslau sein dauerndes Asyl genommen, dürften von allgemeinem Interesse wohl folgende sein. Zunächst und vor Allem seine intimen Beziehungen zu dem Breslauer Fürstbischof Dr. Heinrich Förster, der seit den Maigesetzen bekanntlich seinen Palast geräumt hat, um den österreichischen Theil seiner Diöcese von Johannisberg aus zu verwalten. Förster und Holtei mußten sich anziehen; die Seelen Beider hatten Magnete in sich, welche sich finden mußten. Förster galt als Schlesiens größter Kanzelredner, und es gab Zeiten, in welchen er hinsichtlich seiner Popularität in Breslau seinem Freunde, den der Lorbeer der Bühne und der Tribüne [118] schmückte, kaum nachstand. Als das Vaticanische Concil in Sicht kam, sah der alternde Prälat mit blutendem Herzen den schrecklichen Stürmen entgegen, welche die Römlinge im Vatican heraufbeschwören wollten. Man hat Grund zu glauben, daß in diesen Tagen der qualvollsten Aufregung der Einfluß des Dichters auf den fürstbischöflichen Freund tiefeingreifend war in alle seine Entschlüsse und daß Jener durch directen Rapport mit den allerhöchsten Personen in der Residenz Mittel und Wege fand, um den schwankenden Kirchenfürsten zu bewegen, wenigstens auf seinem Posten auszuharren. Welche weiteren Wünsche sich an diese erste Concession knüpfen mochten, darf aus naheliegender Rücksicht hier nicht weiter verfolgt werden. Rom war schließlich mächtiger als Berlin und – alte Freundschaft.
In noch engerer Verbindung lebte der „Alte vom Berge“ mit dem bekannten Verleger fast aller seiner Werke Eduard Trewendt. Dieser, wir möchten fast sagen brüderliche Liebesbund ward erst vor wenig Jahren durch den frühzeitigen Tod jenes edlen Mannes jäh und schmerzvoll für den Zurückbleibenden gelöst. Nicht ohne tiefste Wehmuth konnte man damals im nächsten Trewendt Kalender die im schlesischen Dialekte abgefaßte Todtenklage lesen, welche mit der Bitte an den Verblichenen abschloß: „nun auch ihm recht bald da droben bei’m himmlischen Vater im großen Büchersaal sein Plätzchen zu bestellen.“ Holtei’s Werke haben dem Trewendt’schen Verlag keinen Schaden bereitet; das beweist allein die Zahl ihrer einzelnen Auflagen; daß auch ihm, dem Dichter, sein gebührend Theil geworden, hat er selbst zu öfteren Malen gern bekannt, und bis in die letzten Jahre hinein war in seinem Einnahmen-Etat diese Firma vertreten.
Es sei bei der Gelegenheit auch ein für alle Mal die alte ungereimte Mär vom Hungerloos der deutschen Dichter, die eigentlich kein Anderer als Dawison an Holtei’s Rockschöße gehängt hat, abgethan. Aus Mißverständniß einer Annonce in Kölbel’s Theaterchronik (so motivirte mir selbst gegenüber Dawison seine gutgemeinte Tactlosigkeit) hatte der berühmte Schauspieler die Directoren der deutschen Bühne aufgefordert, dem „bedürftigen“ Dichter (der alte Herr hatte ja nur gebeten, ihn mit unfrankirten Petitionen zu verschonen, die er doch nicht erfüllen könne) Tantième-Benefize zu veranstalten, und machte selbst damit auf seinen Gastspielen den Anfang. Natürlich wirbelte die Sache viel Staub auf. Kurzum, es dauerte lange, bevor jene leidige Mär wieder zum Einschlafen kam, die bei Niemandem weniger angebracht war als eben bei Holtei. Obschon derselbe nicht der für alle dramatischen Autoren so glücklichen Zeitepoche der Tantièmen angehörte, so haben seine Honorare und Vorlesungen und späterhin die Subventionen der königlichen Hausschatulle und der Schillerstiftung den Dichter stets in die Lage gesetzt, bis zu dieser Stunde und weiter in höchst behaglicher Weise zu leben.
Die stramme preußische Haltung, die Holtei als Politiker stets vertreten und die ihm in früheren Zeiten in manchen Regionen sogar den Vorwurf eintrug: „er sei ein Reactionär“, mag viel dazu mitgewirkt haben, um den alten Fahnenflüchtling, der dem damals noch ziemlich niedrig gradirten Schauspielerstande so manches Jährlein angehört hatte, so volksbeliebt zu machen. Und dieser Vorzug, nicht nur in der kleinen Hütte des Holzschlägers vom Sudetenwald, sondern auch droben im herrlichen Grafenschloß des Kohlen-Eldorados gleiche Popularität zu genießen, darf in Wahrheit den alten Herrn erfreuen.
Nach seiner Uebersiedelung nach Breslau genoß er natürlich bald in allen höchsten Kreisen der Gesellschaft besondere Gunst und selbst die zartbesaitetsten Naturen nahmen vom alten Holtei wohl auch eine schärfere Witzpointe lächelnd auf, die jeden Anderen in ewige Ungnade gestürzt haben würde. In großer Gesellschaft fühlte er sich übrigens nie so ganz wohl. „Wenn ich schon den Frack anziehe,“ sagte er einmal zu mir, „so ist’s mir, als müßte ich zu einer Hinrichtung. Ja, wär’s noch eine auf meinem Schaffot, dann ging’s eher an!“ „Schaffot“ nannte Holtei nämlich das Vorlesepult seiner Recitationen.
Selbst die großen Feste im Palais des Oberpräsidenten (die Herren Schleinitz wie Graf Stolberg zählten zu Holtei’s wärmsten Verehrern) besuchte er in den letzten Jahren nicht mehr; zum kleinen Cirkel, wo man unter sich war, kam er ungleich lieber und dann hatte der „schlesische Boz“, der schon seit fünfundzwanzig Jahren täglich vom Sterben sprach, oft noch recht heitere von echtem Humor durchleuchtete Stunden. Daß das pessimistische Element in ihm immer mehr zunahm, war im Rückblick auf eine so vielfach bewegte Pilgrimfahrt wohl begreiflich, und am wenigsten durfte man’s dem Vielgewanderten verdenken, wenn er früher als mancher Andere mit Shakespeare’s Heinrich dem Sechsten ausrief: „Mein Alter lechzt nach Ruhe.“ Schließlich war ihm ja sein Schreibtisch immer der liebste Freund gewesen, und so lange es noch mit dem Lesen ging, boten Zeitungen und Bücher ihm vollauf Ersatz für die Conversation der Salons. Am großen Weltgetriebe nahm er, seitdem sein politisches und immer treu vertheidigtes Glaubensbekenntniß so glorreich gesiegt hatte, wieder den wärmsten Antheil, und manch herrliches Wort haben wir über die neu erstandene und erstehende Reichsherrlichkeit von dem alten Herrn gehört, das Kunde gab von der ewigen Jugend seines Herzens wie seines Geistes. Auch die fortschreitende Literatur-Entwickelung verfolgte er mit lebhaftestem Interesse; besonders übel kam in seiner drastischen Kritik, die oft in ihrem Cynismus recht weit ging, die neue französische Schule von Dumas fils weg.
Zum Ersatz für die Ausflüge in Rübezahl’s Berge, die nun allgemach unmöglich wurden, unternahm unser Holtei in den letzten Jahren täglich einen Mittagsspaziergang durch die herrlichen und weit über Schlesiens Grenze hinaus mit Recht berühmten Breslauer Promenadenanlagen. Den breiten Filzhut etwas hinterrücks, die linke Wange stets mit schwarzem Seidentuch verbunden, den Stock horizontal mit beiden Händen auf dem Rücken, so schlenderte der alte Herr, dessen lang herabwallendes Silberhaar dem ausdrucksvollen Kopf ein überaus ehrwürdiges Relief verlieh, gemächlich daher. Trotz der etwas vorgebeugten Haltung und des nicht allzu strammen Ganges machte die stattliche Erscheinung dazumal noch immer den Eindruck eines wohlerhaltenen Sechszigers. Wie oft hörte man vor und hinter ihm aus den Gruppen, die hier die schöne Fontainen, dort eine seltene Orientblume anstaunte – Provinzler natürlich oder Bergvölkler – den freudigen Ausruf: „ih, das ist ja der alte Holtei.“ Und dann ein Aufschauen, ein fröhliches Nicken und in allen Augen stolze Freude, daß es ihnen beim Ausflug nach „Gruße Brassel“ durch Zufall vergönnt gewesen „unseren Holtei“ zu sehen. Mit dem Anreden auf der Promenade war’s schon so ein gewagtes Ding; es gab Tage, an denen man damit auch übel ablaufen konnte. „Mir ist dann zu Muth,“ sagte er mir einmal, „wie dem Zecher, der sich ganz allein hinsetzt, um sich einen guten Schluck ganz ungestört anzuthun. Wie sagt die Maria Stuart?
‚Laß mich in vollen, in durstigen Zügen
Trinken die freie, die himmlische Luft.‘
So mein’ ich’s auf meinen Promenaden mit dem Lufttrunk auch. In die Stubengruft, mein Gott, kommt man ja noch immer früh genug zurück.“
Nur einmal habe ich ihn diese weise Lehre völlig außer Acht setzen gesehen. Es war die Nachricht gekommen, daß die große Legislative die Concessionsfreiheit der Theater proclamirt, freilich eine nothwendige Folge der Gewerbefreiheitsgesetze, allein für die betreffenden Kunstbezirke die Quelle des ganzen gegenwärtigen Theaterelendes. Das erkannte der alte Herr mit richtigem Scharfblicke an und mit der ganzen Entrüstung, deren er fähig, hielt er mir eine Strafrede, die mir unvergeßlich:
„Finis Poloniae! Jetzt könnt Ihr Alle nach Amerika wandern und Kirschbäume pflanzen. Das Haus am Schweidnitzerstadtgraben[2] sperrt nur gleich zu! Wie soll das denn jetzt noch bestehen, wo jeder Schuster oder Bandeljüd’ sein Kasperletheater mit lebendigen Puppen anthun kann? Sittliche Mission der Kunst – ja wohl, die Concurrenz wird Euer Repertoire schon zurechtstutzen; gebt Acht, ob Offenbach den Herren Mozart und Beethoven noch erlaubt, das Wort zu nehmen! Consolidirung des Schauspielerstandes – ja wohl, das Proletariat wird all seine Blattern in Eure Genossenschaft werfen.“ So ging es weiter, bis eine jener drastischen Schlußperioden, die sich nicht wiedergeben lassen, die entrüstete Rede abschloß.
Fortan war ihm unser städtisches Kunstinstitut „eine verlorene Sache“. Mit ironischem Lächeln und einem „Hab’ ich’s nicht vorhergesagt?“ hörte er dann die einzelnen Schicksalsschläge, welche das hiesige Theater so hart betrafen. Ravené’s Schicksal – [119] der junge Enthusiast büßte bekanntlich die Lust, hier die goldpapierne Directionskrone tragen zu dürfen, mit dem Verlust eines Vermögens von mehr als hunderttausend Thalern – hörte der alte Herr doch nicht ohne Wehmuth. „Man hätt’s ihm ersparen sollen,“ meinte er. Bei dem jungen Heißsporn wäre das indeß wohl kaum möglich gewesen; er stürmte in sein Verderben wie Max Piccolomini in den Tod: „er wollte …“
Wie die „Charpie“ und das „Simmelsammelsurium“ genugsam beweisen, gab es im Schreibtische des alten Herrn auch in dieser Periode noch Mancherlei aufzuräumen, und wer weiß, was auch jetzt noch in der Zeiten Hintergrunde schlummert.
Wie man über den Werth der Holtei’schen Dichtungen auch immer urtheilen mag (in der Parteien Gunst schwebt ja das Bild der Lebendigen immer hin und her), eines steht fest: über sein treu preußisches Herz und sein echt schlesisches Gemüth kann wohl Niemand in Zweifel sein. Es war und ist ihm eigen, was den Mann zum Manne stempelt für alle Zeiten: Wissen und Würde und Tüchtigkeit.
Als nun die Tage kamen, von denen der Mensch mit Recht klagen darf: sie gefallen mir nicht – als Krankheit und Leiden ihn an Zimmer und Bett fesselten und seine Kräfte zusehends erschöpften, und alle seine Freunde allbereits das Schlimmste fürchteten, da zeigte sich Holtei wie sein „alter Feldherr“ würdiglich und gefaßt. Eine Anschwellung am Halse ging, nachdem sie lange schon den alten Herrn vielfach gequält, in offene Eiterung über. Die Aerzte selbst hatten wenig Hoffnung. Um für die nöthige Pflege zu sorgen, entschloß sich Holtei zu den „Barmherzigen Brüdern“ überzusiedeln. Der Entschluß war zu seinem Heil. Das berühmte Kloster that zu seinen vielen Wundern auf dem Gebiete der Krankenpflege ein neues, und der Dichter – ward gerettet. Mit frohem Jubel begrüßte die ganze Provinz diese Nachricht, die anfänglich Manchem wie eine ganz unglaubliche Mär erschien. Und nicht allein, daß der alte Herr außer Lebensgefahr war, nein, er erholte sich zusehends, bekam die Rede wieder und den frohen Ausblick auf eine ungestörte Feier seines achtzigsten Geburtstages und noch, so Gott will, mancher anderer. Die Tage des Festes sind nun schon vorüber; alle Welt weiß, wie allgemein die Theilnahme Schlesiens gewesen bei diesen ihrem Lieblingssohne bereiteten Ovationen. Das war ein Tag der Ernte! Das waren volle und schöne Garben! Das war der Segen eines reichen Tagewerkes! Daß die während eines so langen Lebens und Strebens treu bewährte patriotische und persönliche Anhänglichkeit an den Kaiser und sein Haus von Seiten Sr. Majestät durch Verleihung des Ritterkreuzes des königlichen Hausordens von Hohenzollern (der nur diesem Zwecke gestiftet ist) anerkannt wurde, dürfte sicherlich auch in den weitesten Kreisen mit lebhaftester Genugthuung aufgenommen werden.
Neben den unzähligen Gedichten, Kränzen, Widmungen und Adressen (die erste derselben natürlich vom Magistrate Breslaus), welche am Jubeltage einliefen, sei ein prächtiger Pokal erwähnt, vom Provinziallandtage gespendet. Er trägt die Inschrift, welche diesem Artikel als Ueberschrift vorgesetzt ist: „Suste nischt ack heem“ (weiter nichts als heim), und diese ist einem Gedichte Holtei’s entnommen, in dem sich so recht die innige unauslöschliche Heimathsliebe des Dichters mit all ihrer tiefen Gemüthsinnigkeit ausspricht. Ein armer Bauernbursch hat einem Prinzlein das Leben gerettet. In ihrem überströmenden Danke beschließt die Frau Fürstin, den Jungen fortan wie ihr eigenes Kind zu halten. Er wird auf’s Schloß geholt, prinzlich eingekleidet, und die gute Dame thut Alles, damit’s dem Friedel bei ihr recht wohl sein möge. Der aber steht gar trübselig da, nimmt zusehends ab von Tag zu Tage und will und kann da droben nicht froh werden. Endlich zieht ihn die Frau Fürstin bei Seite und bittet ihn herzinniglich, ihr doch zu sagen, was ihm fehle, oder was er wünsche. Da faßt sich Friedel Muth und meint:
„heem möcht’ isch; suste weiter nischt ack heem“ ...
Und so, meint der Dichter zum Schlusse, sei es auch ihm ergangen. Man habe ihm da draußen in der Welt auch viel Liebes und Gutes gethan, ihn hoch geehrt:
„in grußen Städten und uf hochen Schlössern,“
aber die Sehnsucht nach dem kleinen Häuschen in der „Schläsung“ habe, ihn dabei doch niemals verlassen. Derselbe Grundton durchklingt viele der schlesischen Lieder.
Von den Ovationen, die man dem achtzigjährigen Jubelgreise dargebracht, sei hier nur noch eine erwähnt, nach unserem Dafürhalten die sinnigste und schönste Festgabe, und wie wir annehmen zu können glauben, so recht nach dem Sinne des edlen Dichters. Wir meinen die Holtei-Stiftung, eine zu ewigem Gedächtnisse an jenen Tag (24. Januar 1878) in’s Leben gerufene Unterstützungscasse für alternde und bedürftige Schriftsteller, für die wir auch hier, vor dem weiten Leserauditorium dieses Weltblattes, noch einmal das Wort ergreifen möchten, um in Nord und Süd, in Ost und West alle Freunde und Verehrer des greisen Dichters zur Betheiligung aufzurufen. Bekanntlich hat sich die Kaiserin Augusta, seit Jahrzehnten schon Holtei’s huldvolle Beschützerin, mit einem Beitrage von tausend Mark an die Spitze dieses Unternehmens gestellt, allein um die Idee der Stiftung in segensreicher Weise zu verwirklichen, bedarf es trotz der zeither abgesammelten Summen noch weiterer Betheiligung der großen Masse des Volkes.[3] Auch die Theater, die Liedertafeln, die Clubs in fremdem Lande sollten ihre Mitwirkung kräftiger bethätigen, als dies bisher geschehen ist.
Ich kann diesen Artikel nicht schließen, ohne einige Worte über Holtei’s gegenwärtige Lage und seinen jetzigen Aufenthalt hinzuzufügen, weil ich glaube, ja weiß, daß damit mancher vielfach verbreitete Irrthum wird beseitigt werden können.
„Im Kloster!“ das will Manchem gar nicht in den Sinn. Wer tief im protestantischen Lande lebt und niemals den katholischen Süden mit eigenem Auge sah, hat von einem Kloster meisthin curiose Ansichten. Mir liegt von einem sonst vielseitig gebildeten Manne aus meiner Heimath – dem alten Sachsenlande zwischen Elbe und Trave – eine ernsthafte Anfrage vor: wie es denn möglich sei, daß der Dichter der „Lenore“ auf seine alten Tage die Mönchskutte angethan? Ein Anderer klagt: „und so weit mußte es mit dem Aermsten kommen, daß er bei den Barmherzigen Brüdern um Aufnahme bitten muß.“ Es dürfte nicht überflüssig sein, über diese vielleicht mehr, als man hierorts für möglich hält, verbreiteten Irrthümer einige berichtigende Aufklärung zu geben.
Das Kloster der „Barmherzigen Brüder“ in Breslau also ist (und war seit seiner Stiftung, die in das Jahr 1711 fällt,) absolut nichts anderes als ein Krankenhospital, welches die Armen (und zwar jeder Confession ohne Unterschied) ohne jede Entschädigung bis zu ihrer Heilung pflegt und beherbergt und welches den Bemittelten ein mit allem Comfort der Neuzeit ausgestattetes Pensionat darbietet, damit sie sich in demselben, sei es während einer vorübergehenden Krankheit, sei es auch für den ganzen Lebensabend, verpflegen lassen können. Die Kosten betragen, inclusive Kost, Wohnung, Heizung, Licht, Arzt, Medicin etc., in der ersten Classe etwa fünf Mark pro Tag. In dieser Pensionatsabtheilung, die in dem zweiten Stockwerke liegt, befindet sich Karl von Holtei. Sein Zimmer trägt die Nr. 21, liegt gen Südosten und gewährt einen schönen Ausblick auf Gärten und Fruchtfelder. Unweit des Fensters, auf einem bequemen Lehnstuhle, ist des Dichters Lieblingsplatz und von dort schweift das träumende Auge weit hinaus in sein geliebtes schlesisches Land. Trotz seines hohen Alters fühlt sich der alte Herr jetzt wieder wohl, läßt sich vorlesen, dictirt auch ein Brieflein. Das lange Sprechen wird ihm schwer. Daß er sich entschloß, zu den „Barmherzigen Brüdern“ zu gehen, segnet er jetzt jeden Tag. Der Pater Provinzial, den ich aufsuchte, meinte: „Der alte Herr macht uns täglich mehr Freude, denn er ist ein geduldiger Kranker gewesen und nun ein so lieber Genesender.“ Daß im Pensionat völlige Verkehrsfreiheit herrscht, so weit die Hausordnung dieselbe gestatten darf, versteht sich von selbst. Nur die Glasmalereien und die Heiligenbilder der hohen, luftigen Corridore, erinnern an ein Kloster.
Daß Holtei’s jetzige Einnahmen ihm sehr gut gestatten, sich in diesem trefflichen Pensionat (von Möncherei und Proselytenmacherei ist dieser echt humanitären Anstalt noch nie das Mindeste nachgesagt worden) ganz nach Wunsch zu pflegen, dürfte zur Beruhigung aller seiner Freunde aus dem oben Mitgetheilten genugsam hervorgehen. Also nichts mehr von „Mönchszellen“, „Mönchskutte“, „Hungerloos“ und derlei bösem [120] Gerede! Möge noch mancher freundliche Gruß des Lebens hinein tönen in Holtei’s traulich stilles Gemach! Möge die sanfte Abendröthe, die so friedlich seinem wildbewegten Tagewerk nachleuchtet, noch lange mit ihrem Schimmer sein geliebtes, ehrwürdiges Haupt umfließen, und wenn es einst Zeit ist, möge der Bruder des Schlafes leise eintreten, wie unser Dichter sich’s immer gewünscht: an einem lauen Sommerabend, wenn draußen die Finken schlagen!
Wenn im Mai und Juni im sächsischen Voigtlande die Wasser der weißen Elster und einiger in die Elster fließender Bäche fallen und sich wärmen, macht sich ein Fischer mit seinen Gehülfen zur Jagd auf. Er ist Königlicher Fischer und sagt mit Stolz, daß seine Familie das ehrenvolle Amt seit 1621 bekleidet. Er hat sein Jagdgebiet in dreihundertundzehn Tracte getheilt, die auf ein Flüßchen, acht Bäche und dreiundzwanzig Mühlgräben fallen und nach einem zehnjährigen Turnus begangen werden. In hohen Wasserstiefeln watet er der Strömung entgegen. Jetzt muß er auf Beute stoßen; vor zehn Jahren verhieß der Ort reichen Fund. Aber ach! er sucht vergeblich; Eisgang und Hochwasser haben den Grund verändert; das Lager wurde weggeschwemmt, über blankes Gestein plätschern die Wellen. „Tausend Schritt weiter hinauf!“ tröstet der junge Begleiter des ergrauten Waidmannes. Der Alte schüttelt traurig lächelnd den Kopf: er weiß, daß an der bezeichneten Stelle der Bahnbau den einst so dichten Wildstand gelichtet, räuberische Hand an dem Ueberbleibsel gefrevelt. Doch da, wo er nichts gehofft, ein reiches Lager! Stück an Stück! Der Grund des Flüßchens scheint mit dem Wilde gepflastert zu sein. Die Linke fährt in das seichte Wasser; aus sandigem und thonigem Boden hebt sie drei schwarze, länglich bis ein Decimeter ausgestreckte, gebauchte Körper. Die Rechte, ein Instrument führend, öffnet mit Fertigkeit die Körper fingerbreit. Aus einigen schneidet der Fischer glänzend runde Dingerchen, wenn groß, so von der Größe eines Haselnußkerns; auf andere schreibt er die laufende Jahreszahl und wirft sie dann unbenutzt auf einen Haufen in das Wasser, den Verworfenen es überlassend, ihr Haus wieder an einen geeigneten Ort zu stellen und daselbst eine Bank zu bilden.
Es ist der Perlenfischer, der auf Beute ausgeht. An zweihundert Perlen erjagt er jährlich, schöne helle, auch minder gesuchte, halbhelle und Sandperlen. –
Da brachte die in Regenbogenfarben schillernde Muschelschale, das sogenannte Perlmutter, den jetzt noch lebenden Perlenfischer Schmerler in Oelsnitz auf den Gedanken, auch den Schalen der kopflosen Weichthiere durch Bearbeitung einen Werth zu verleihen. Nach unendlicher Mühe gelang es dem rastlosen Eifer Schmerler’s, aus den Schalen Portemonnaies herzustellen. Es war dies vor fünfundzwanzig Jahren, 1853. Der Buchbinder F. A. Schmidt in Adorf, ein geweckter, unternehmender Mann, der mit Schmerler in Verbindung stand, verpflanzte die Muschelbearbeitung als neuen Industriezweig nach Adorf. Jetzt leben nahe an tausend Menschen von dem „Muschlen“.
Ein Vernichtungskrieg ist nun gegen die harmlosen Wasserbewohner entbrannt. Tausende der waffenlosen Thierchen verenden jährlich in heißer Sonne, im dumpfigen Keller, vom geldgierigen Menschen gefühllos zu Haufen geschüttet; tausende der stillen Künstler werden von kleinen Mädchen mit Hadern aus ihrem Schalenhause gewaschen. Kistenladungen von Muscheln bringen baierische und böhmische Händler nach Adorf. Den Giften der Fabriken, dem Geräusche und der Unruhe der Wasser- und Bahnbauten, der Hitze trockener Sommer haben die Schalenthiere kräftig widerstanden; der Raubgier der Muschler werden die Perlenbildner erliegen müssen. Was in Baiern und Böhmen der Privateigenthümer der Muscheln führenden Gewässer plündert, das wird im sächsischen Voigtlande gestohlen. Der Perlenfischer fand einmal in einem Keller zwölftausend Stück aus seinem Reviere gestohlener Muscheln. Das Geschäft Schmidt und Sohn verarbeitet in einem Jahre über 150,000 Stück Muscheln, das Haus Lots wohl ebenso viel, kleinerer Geschäfte nicht zu erwähnen. Wenn man nun bedenkt, daß eine Muschelschale, welche zum Portefeuilliren verwendet werden soll, hundert bis hundertzwanzig Jahre alt sein muß, so kann man wohl schließen, daß die Muschler nach zehn Jahren in den voigtländischen Bächen vergeblich nach brauchbaren Muscheln suchen dürften.
Als Schmerler im Jahre 1853 die Muschel zum ersten Male zu Portemonnaies verarbeitete, verkaufte er das Stück um fünf Mark. Die Kaufleute nahmen natürlich auch einen hübschen Gewinn. Im Kleinhandel kam der Preis eines Muschelportemonnaies auf sechs und sieben Mark. Jetzt kauft man sie schon für fünfunddreißig Pfennig. Wirklich haltbare und praktisch eingerichtete kauft man von fünfundsiebenzig Pfennig an bis zu zwei Mark. Mit einem Geldtäschchen ist nicht zu rechnen; die Masse muß den Verdienst bringen.
Die Bearbeitung der kalkigen Schale erfordert viele Hände. Die Muschel wird zuerst geschliffen; aus rohem Sandsteine beseitigt ein Knabe in einigen Minuten die äußere schwarze Schale, bis das Perlmutter zum Vorschein kommt. (Die neuere Technik kocht die Muscheln vorerst mit Seifenstein, um das Schleifen zu beschleunigen; doch giebt eine solch gekochte Schale nie dauernden Glanz und Halt.) Hierauf geschieht das Zusammenschleifen zu einem Paare mit festem Schlusse; die scharfen Kanten werden beseitigt. An dem Zusammenschleifen mag man mit die solide Arbeit erkennen. Jetzt mischt der Schleifer Gyps und Leim zu einem Kitte und bestreicht damit die inneren Flächen des Muschelpaares. Ein anderer Knabe empfängt nun die grob geschliffenen und ausgekitteten Muscheln, und mit einer nicht feinen Feile sucht er die Unebenheiten des Schleifens zu beseitigen, die Hügel zu ebenen. Seine Arbeit erfordert fünf Minuten Zeit, aber die Striche der Feile schabt dann ein anderer mit einem dreiseitigen glatten Eisen heraus, und in wenigen Minuten ist auch diese Arbeit beendet. Es folgt das Abreiben der geschabten Muscheln mit Sandpapier. Zu sieben Dutzend Doppelschalen braucht das abreibende Kind zwei Bogen Sandpapier, einen Bogen grobes und einen Bogen feines. Die Sandpapierstriche verschwinden zu lassen, kommt die Muschel zur Drehbank. Um ein Bild der Drehbank zu erhalten, braucht sich der Leser nur einen Schleifstein zu vergegenwärtigen. Was hier Stein, ist dort Holz mit von Bimsstein und Wachs geriebenem Filze umgeben. Auf der Drehbank erhält die Muschel einen matten Glanz, und dieses zweite Schleifen läßt das Poliren folgen. Man tröpfeln auf die matt glänzende Seite Olium, drückt sie auf Trippel und reibt nun mit einem Filzstabe, bis mit Wärme auch der wahre Glanz kommt. Ein Arbeiter polirt in einer Stunde drei Dutzend Muscheln.
Das Schleifen, Feilen, Schaben, Abreiben, das zweite Schleifen, das Poliren bildet den ersten Theil der Arbeit, während der andere das Anschlagen und das Portefeuilliren umfaßt. Unter dem Anschlagen versteht man das Annieten der messingnern, neusilbernen und silbernen Beschläge an die Muschel. Die Nietlöcher hat man auf der Drehbank mittelst eines feinen Stahlstiftes gebohrt. Der Portefeuillirer leimt an das beschlagene Muschelpaar das Futter und die Taschen aus Atlas, Seide, Leder, Calico, Chagran, Papier.
Alle diese Arbeit erfolgt nicht in der Fabrik; denn dieser Zweig der Muschelindustrie ist vornehmlich Hausindustrie.
Der Verdienst der Muschelarbeiter ist natürlich mit dem Sinken der Muschelwaarenpreise bedeutend zurückgegangen. Das Dutzend kleinerer Muscheln (das ist vierundzwanzig Stück Schalen) zu feilen, zu schaben, abzureiben, sie nochmals zu schleifen und zu poliren bringt fünfundvierzig Pfennig Lohn, das Dutzend größerer sechszig bis siebenzig Pfennig. Ein fleißiger Arbeiter bringt es in der Woche auf zehn bis elf Mark.
Die Industrie blieb nun bei der Herstellung von Geldtäschchen nicht stehen. Sie fertigte aus der Flußperlmuschel (Margaritana margaritifera) bald Brochen, Ohrringe, Knopfgarnituren, diverse Waaren, wie Tabatièren, Feuerzeuge, Aschenbecher, Armbänder und Halsketten. Um Schmucksachen mit schillernderen Farbenspiele und milderem Lichte zu fabriciren, griff sie zu der Verarbeitung der Seeperlmutter (Meleagrina), die sich in großen Bänken im persischen Meerbusen, im Meere
[121][122] der Sundainseln, auch am mexicanischen Meerbusen findet und in ganzen Schiffsladungen nach Europa gebracht wird. Hiermit trat die voigtländische Muschelindustrie in den Kampf mit ihren strahlenden Schwestern in Paris und Birmingham. Daß aber der größte Theil der in Adorf gefertigten Waare nach England und Amerika geht – bei einem Zolle von fünfunddreißig und zehn Procent – spricht wohl deutlich für die Güte der Adorfer Waare. Die in sanftem Röthlich spielenden Kämme, Kopf- und Tuchnadeln, letztere sehr häufig Schmetterlinge, Pflanzenblätter, Blumen und dergleichen darstellend, sind von Meleagrina.
Wahrhaft künstlerische Arbeiten entstanden jedoch erst, als die Industrie auch das Gehäuse einiger Schneckenarten in ihr Arbeitsgebiet zog. Zwei Familien der Schildkiemenschnecken, die Familie der Kreiselschnecken (Trochoïdea) und die der Seeohren (Haliotidea), zeichnen sich im Innern ihres Gehäuses durch den in den prachtvoll tiefsten Regenbogenfarben schillernden Perlmutterglanz aus. Haliotis tuberculata spiegelt in äußerst schönen hellgrünen, weiß und blaßrothen Farben, Haliotis Iris dagegen in mehr dunkleren, prächtig tiefgrün und blau schillernd. Diese beiden und das Gehäuse der Kreiselschnecke Rundmund (Turbo) mit ihrer gold- oder silberfarbigen Mündung geben die herrlichste Mosaikgegenstände. Wenn man Schatullen, Toilette, Albums mit den eingelegten, überaus malerischen Landschaften sieht, bekommt man vor der jungen deutschen Industrie Respect und versagt den Männern die Hochachtung nicht, die aus ihrem eigenen Kopfe so künstlerisch schaffen.
Wer einmal das Städtchen Adorf berührt, das jetzt von den Gästen des nahe liegenden, rasch berühmt gewordenen Bades, Elster, viel besucht wird, versäume ja nicht, sich in den Muschelfabriken – den einzigen in Deutschland – umzusehen. Mit der liebeswürdigsten Bereitwilligkeit öffnet man ihm Arbeitsstuben und Niederlagen. Er sieht, wie man mit Salzsäure die dicken Gehäuse der Seeschnecken von der braungrauen äußeren Schale reinigt, auf runden mit der Drehbank bewegten Sägen die kalkigen ohr-, kegel- oder thurmförmigen Schalen in kleine handliche Stücke theilt, sie polirt und zu lebensvollen Mosaikzusammensetzungen formt, um sie nochmals zu poliren. Die Gegenstände, für das Auge so lieblich zu schauen, sind dabei auch von ungemeiner Dauerhaftigkeit; man kann sie aus ziemlicher Höhe fallen lassen, ohne daß sie Schaden leiden.
Eine kleinere Fabrik unterzieht sich auch dem Vertriebe und der Herstellung der bekannten „Hamburger Waare“, zumeist in Cartonagen bestehend. In Uhrgehäuse, Uhrpantoffeln, Bilder- und Spiegelrahmen, Körbchen, Briefmappen, Nadelkissen, Necessaires, Schreibzeugen, Cigarrenhaltern, Cigarreabschneidern, Toiletten, Dosen, Albums, Schlüsselhaltern, Aquarien sieht man die Gehäuse der Schrauben (Terebra), der Kegelschnecke (Conus), der Tigerschnecke (Cypraea), der Flügelschnecke (Strombus), der Pilgermuschel (Pectinea), der Herzmuschel (Cardioidea), der Ovula etc. Es repräsentirt sich dem Beschauer das mit der Zeit so mürbe werdende Gehäuse des eßbaren See-Igels und der niedlich weiße Reiß. Freilich muß auf diese Specialität – Hamburger Waare – noch viel Fleiß verwendet werden, damit sie sich zu höherer Feinheit emporhebe.
Die Adorfer Muschelindustrie selbst hat noch eine Zukunft. Tausende von Familien, welche sich einen gewissen Luxus und Comfort gönnen, sind mit den Erzeugnissen dieses Kunstgewerbes gänzlich unbekannt. Sie wissen nicht, daß sie für wenig Geld ein schönes und haltbares Stück Hausgeräth, einen im Ansehen bleibenden geschmackvollen Zimmerschmuck erhalten.
Wiederum auch wird mit der Nachfrage die Erfindungsgabe der Fabrikanten gesteigert werden und die Muschelindustrie sich neue Arbeitsfelder suchen. Alles aber wird dem Städtlein zu Gute kommen, das ich auf meiner Wanderung lieb gewonnen.
Einer Amsel.
Ich schreit’ allein am Waldesrand;
Rings liegt verschneit das weite Land;
Die Luft geht kalt und schnöde.
Da fliegst du auf vom Beerenbusch
In tief’re Waldesöde.
O bleib’! Nicht grausam ist mein Sinn –
Nicht wähne, daß ein Feind ich bin!
Es droht dir keine Falle;
Sind mir der schaffenden Natur
Unmünd’ge Kinder alle.
Und sieh’! uns drückt dasselbe Leid,
Die freudenlose Winterzeit
Nach Frühlingsglanz und Frühlingslust
Lebt dir wie mir in tiefster Brust
Ein sehnendes Verlangen.
Geduld! Liegt todt auch Wald und Au’,
Sind schon die schlimmsten Tage.
Schon zog in’s Land der Februar;
Des Märzen Luft, so mild und klar,
Weckt neue Pracht im Hage.
Durch Wald und Flur und Baum und Strauch –
Die Veilchen blühen wieder;
Dann sitzest du auf hohem Ast
Und singst im ersten Frühlingsglast
Bald grünt die Flur – dann sommerlang
Fliegst liebend du um Hald’ und Hang,
Bist allem Leid entronnen;
Ich aber geh’ durch’s bunte Feld
Und deiner Liebeswonnen.
Albert Moeser.
Das war des Nachmittags geschehen. Der Doctor hatte sich dann auf die Veranda begeben, wie jeden Tag, wenn das Wetter gut war, um der Ruhe zu pflegen, zu lesen, zu rauchen und sich seinen Betrachtungen und Gedanken zu überlassen. Gegen Abend, als die Strahlen der Sonne hell in das Thal fielen, vernahm er Schießen, der Ton kam von Westen her. Auch die beiden Dienstboten hatten es gehört, die alte Margarethe zuerst. Sie meinten, es komme von der Waltersburg und meldeten es dem Doctor, mit Angst und Schrecken in den alten Gesichtern. Die feinen Züge des alten Herrn blieben unverändert.
„Trefft Anstalten,“ sagte er nur, „daß wir Besuch aufnehmen können!“
„Die Rebellen?“ rief entsetzt Margarethe.
„Nein! Geht!“
Sie gingen. Er las wieder und rauchte und hatte seine Betrachtungen und Gedanken, bis die Sonne aus dem Thale verschwunden war und ihre letzten Strahlen nur noch die Bäume oben auf den Bergen vergoldeten. Er legte das Buch zur Seite und verfolgte die Strahlen und die feinen blauen Wölkchen seiner Cigarre. Da hörte er einen Wagen heranfahren; er ließ sein silbernes Glöckchen ertönen, das vor ihm auf dem Tische stand, und befahl dem eintretenden Diener, die Herrschaft zu empfangen und zu ihm zu führen. Der Wagen hielt an der Hausthür. Die alte Magd meldete mit leichenblassem Gesichte, die Herrschaft von Schloß Waltersburg sei da, ob der arme Herr noch lebe, wisse sie nicht. Der Doctor erhob sich, verließ die Veranda und trat an den Wagen, der vor dem Hause hielt.
Er erschrak. Er hatte erwartet, den Schloßherrn zu sehen,
[123] aber er stand vor einem unglücklichen Paare, an das er nicht hatte denken können, denn in dem Wagen saßen der Rittmeister und seine Schwägerin. Sie waren ein paar arme, unglückliche Menschen.
Als der Rittmeister sich allein auf den Schloßhof begeben, hatten die Bauern nicht den Muth gehabt, auf ihn zu schießen. Da stürmten die Husaren heran, und auf beiden Seiten wurde geschossen. Der Freiherr Ottokar von Waltershausen fiel. Der Kampf wurde ein wüthender, und die Kugeln flogen hin und her.
In den Kampf hinein stürzte aus dem Schlosse eine von Schmerz und Wahnsinn gejagte Frau. Sie hatte sich nicht um die Menschen gekümmert, die im Schlosse sie hatten zurückhalten wollen, nicht um die Kugeln, die sie aus dem Hofe umflogen. Sie warf sich über den Mann, der in seinem Blute am Boden lag, hob ihn auf mit der Riesenkraft der Verzweiflung und trug ihn in’s Schloß. Als sie ihn den Kugeln entrissen hatte, sank sie erschöpft zusammen.
Der Verwundete wurde untersucht. Er hatte eine unaufhaltsam blutende Wunde in der Brust. Da im Schlosse kein Wundarzt war, so wurde schnell ein vorläufiger Verband angelegt.
„Nach Friedenthal!“ rief dann die Schloßherrin, die wieder zu sich gekommen war. „Angespannt! Sofort!“ befahl sie.
Sie hatte den einzigen Ausweg gefunden, der offen stand, und Niemand widersprach ihr. Der Wagen wurde angespannt und der Verwundete in Betten hineingetragen. Die Schloßherrin setzte sich zu ihm, und ein paar alte Diener begleiteten sie.
„Adalbert,“ sagte sie zu ihrem Gatten, der ebenfalls in den Wagen steigen wollte, „Ehre und Muth gestatten Dir nicht, Dein Schloß und Deine Leute in der Gefahr zu verlassen.“
„Ja, Adalbert,“ meinte auch der Baron Kurt, „unser Ehrenplatz ist hier.“
Die beiden Brüder blieben. Durch ein Hinterthor mußte der Wagen das Schloß verlassen, und an den Oekonomiegebäuden entlang seinen Weg nehmen, denn der Kampf zwischen den Bauern und Husaren dauerte fort.
Man erreichte ohne Gefahr durch einsame Waldwege das Landhaus des Doctor Fabricius. Dieser fand den Verwundeten, umfangen von den weichen Armen der schönen Frau, im Zustande völliger Ermattung und Erschlaffung, einem Todten gleich.
„Möchten Sie helfen, möchten Sie retten können!“ sagte Emma von Waltershausen.
„Hoffen wir!“ erwiderte der Arzt.
Der Verwundete wurde in ein Zimmer gebracht und auf ein Bett gelegt. Er schlug die Augen nicht auf.
„Jetzt, gnädige Frau,“ sagte der Arzt, „muß er mir gehören. Darf ich bitten, sich in ein Gemach zu begeben, das meine alte Margarethe für Sie hergerichtet?“
„Muß es sein?“ fragte die Dame.
„Es muß sein, um Ihretwillen und um seinetwillen.“
Sie verließ, von ihrer Kammerfrau begleitet, das Zimmer.
Der Arzt begann die Untersuchung des Verwundeten; sein alter Diener und der der Baronin unterstützten ihn. Die Kugel war in die Brust gedrungen, tief in die rechte Lunge hinein.
„Werde ich leben, Doctor?“ fragte der Rittmeister, jetzt erst die Augen aufschlagend.
„Ihr Leben steht in Gottes Hand,“ antwortete der Doctor, „ich will aufrichtig sein, wie der Arzt gegenüber einem Manne, der den Tod nicht fürchtet, es sein darf. Die Kugel muß aus dem Körper entfernt werden, wenn Sie genesen sollen, und es muß schleunigst geschehen, lieber Baron. Die nächste Viertelstunde entscheidet über Ihr Leben.“
„Ich danke Ihnen,“ sagte Ottokar von Waltershausen. „Darf ich meine Schwägerin sehen?“ fragte er dann.
„Ich führe sie zu Ihnen.“
Der Doctor ging zu der Baronin. Sie las in seinem Gesichte die Nachricht, die er ihr zu bringen hatte.
„Er stirbt; ist er schon todt?“
„Er lebt!“ erwiderte der stets ruhige Arzt.
„Aber muß er sterben? Und ich bin seine Mörderin.“
„Gnädige Frau, er wünscht Sie zu sprechen. Es muß sofort eine Operation vorgenommen werden, um die Kugel aus der Brust zu entfernen. Ich habe wenig Vertrauen, daß sie gelingt. Ich kenne vollkommen Ihre Lage gegenüber Ihrem vortrefflichen Schwager. Machen Sie in den wenigen Minuten, die Sie ihm noch widmen können, sich keinen Vorwurf! Jeder solcher Vorwurf würde für ihn ein Fluch sein, mit dem er vom Leben scheiden müßte. Geben Sie mir als muthige Frau Ihre Hand!“
„Gehen wir!“ sagte sie und reichte ihm die Rechte.
Sie gingen in’s Zimmer des Verwundeten. Beide sprachen kein Wort weiter mit einander. Der Arzt gab den Dienern einen Wink und entfernte sich mit ihnen.
Emma von Waltershausen war mit ihrem Schwager Ottokar allein. Sie war leise eingetreten, und der Arzt hatte ihre Anwesenheit dem Freiherrn nicht mitgetheilt: dieser lag mit geschlossenen Augen auf seinem Lager; er hatte also auch ihr Eintreten nicht wahrgenommen. Aber er hatte ja den Arzt gebeten, sie zu ihm zu führen und konnte durch ihr Erscheinen nicht überrascht werden. Sie setzte sich leise auf einen Stuhl vor dem Bette und regte sich nicht, wartend, bis er die Augen aufschlagen werde; sie durfte seinen Schlummer, und wenn er auch nicht schlummerte, seine Ruhe nicht stören. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, auf die schönen männlichen Züge, die auch in der Nähe des Todes den Ausdruck der Kraft, des Muthes bewahrt hatten.
Der Verwundete schlug die Augen auf, und sein Blick begegnete dem ihrigen. Er wollte ihren Namen aussprechen, aber die Kräfte versagten ihm. Sie legte ihre Hand leicht und weich auf die seinige.
„Ottokar,“ hauchte sie, „mein theurer Ottokar!“
Sie wollte weiter sprechen, allein ein leiser Druck seiner Hand hinderte sie. Sie sah ihn fragend an. Seine Augen baten sie um eine Pause – er schien sprechen zu wollen. Sie möge sich zu ihm neigen, winkte er ihr dann. Sie that es, und er sprach flüsternd zu ihr:
„Emma, ich fühle den Tod herannahen. Er befreiet mich; denn in seiner Nähe darf ich Dir sagen, wie unendlich ich Dich liebe. Dem Sterbenden verzeihst Du auch die unglückliche Stunde des heutigen Tages –“
„Ich trieb Dich in den Tod, Ottokar,“ unterbrach sie ihn, „o, diese unglückliche Stunde! Ich war herzlos –“
Sie wand sich in Schmerz; sie hätte sich auflösen mögen in Thränen. Er aber hatte angesichts des Todes sich die Ruhe des muthigen Mannes bewahrt.
„Nein, meine Emma! Du triebst mich nicht in den Tod. Als ich Dich wiedersah nach so langer Zeit, als es mir zum klaren Bewußtsein wurde, daß ein Leben ohne Dich mir eine Qual sei, da – ich gestehe es – kam der Gedanke über mich, die Qual von mir zu werfen, den Tod zu suchen. Aber Herr wurde der Gedanke nicht über mich. Meiner Ehre und meiner Pflicht, ihnen allein wollte ich folgen; ihnen folgte ich, als die tödtliche Kugel mich traf.“
Sie hatte sich gefaßt.
„Du bist großmüthig,“ sagte sie.
„Ich bin nur aufrichtig, Emma. Und, um es Dir ganz zu beweisen, wiederhole ich meine Bitte. Verzeihe mir jene Stunde! Vertilge sie aus Deinem Gedächtnisse!“
Ruhig, wie er, konnte auch sie nun sprechen.
„Ottokar, ich hatte Dir in dem Augenblicke verziehen, da ich Dir zürnen wollte. Aber für mich hatte ich keine Verzeihung. Ich trug eine schwere Schuld, ich allein – und ich mußte hart, zurückstoßend gegen Dich scheinen, um Dir nicht zu verrathen, wie unendlich mein Herz litt. Jedes Wort hätte Deine Leidenschaft wieder anfachen müssen; ich fühlte meine Schwäche, und ich wollte eine ehrliche Frau bleiben.“
„Habe Dank, Emma!“
Es waren seine letzten Worte. Noch einmal drückte er ihre Hand. Dann griff er krampfhaft nach dem Herzen. Die Stimme versagte ihm; seine Augen waren gebrochen; sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Die unglückliche Frau umklammerte die theure Leiche und preßte heiße Küsse auf die Lippen, die Augen und die Stirn des Todten. Der Tod gab ihr, was das Leben ihr versagt hatte, sie durfte ihn küssen.
Der Arzt hatte draußen die Bewegung im Zimmer gehört. Er trat ein und sah das Antlitz des Todten.
„Er starb den Tod des Glücklichen!“ sagte er. „Kommen Sie, unglückliche Frau!“ fügte er hinzu und zog sie sanft von dem Todten hinweg. „Ihr Platz darf hier nicht länger sein.“
[124] Noch einmal wollte in ihr die Leidenschaft aufflammen.
„Ich bleibe hier. Hier ist mein Platz. Ich will, ich muß mit ihm sterben.“
„Unglückliche!“ sagte der Arzt.
Aber ihre Kraft war gebrochen, plötzlich, nach allen den Aufregungen des Tages. Sie war in ihren Stuhl zurückgesunken.
„Gehen wir!“ bat der Doctor nach einigen Augenblicken und nahm ihre Hand.
Sie erhob sich und folgte ihm wie ein müdes Kind. Er führte sie in ihr Gemach und schickte ihre Kammerfrau zu ihr. Seiner wartete schon eine andere Liebespflicht.
Die Dunkelheit des Abends war eingetreten, mit ihr hatte tiefe Stille sich über das Thal ausgebreitet, über Berg und Wald umher. Durch Dunkel und Stille drangen sonderbare Töne zu dem Landhause herüber; sie kamen näher und näher. Der alte Thomas, der draußen stand, hatte sie zuerst vernommen.
„Ein Wagen?“ fragte er sich. „Aber die Räder knarren so besonders. Und es kommt so langsam heran. Und doch!“ Er horchte verwundert und blickte erwartungsvoll in das Dunkel unter den Bäumen, aus dem das Erwartete zum Vorschein kommen mußte.
„In der That ein Wagen! Und welche Ladung trägt er denn? Nur ein Pferd zieht ihn, und vier – nein fünf Menschen bei ihm! Kleine Kinder? Was wird uns da gebracht?“
Er wollte in’s Haus eilen und seinem Herrn ankündigen, was er gehört und gesehen hatte, welcher neue, unbekannte Besuch dem Landhause bevorstehe. Der Doctor war schon in der Hausthür erschienen. Auch er hatte unbestimmt das Nahen eines Wagens gehört, und als er draußen es deutlicher vernahm, wußte er, wer es war, der da kam.
„Ja, ja,“ sagte er nur für sich.
Dann ging er dem Gefährt und den Menschen, die es begleiteten, entgegen.
„Armer Freund, auch Sie! Aber wir sind ja – rasch genug – in eine Zeit eingetreten, in welcher alles Gute und Edle verfolgt wird und die Gemeinheit und Niederträchtigkeit triumphirt. Seien Sie mir willkommen mit Kind und Kegel, mit Sack und Pack!“
Er schüttelte dem Pfarrer die Hand und drückte sie jedem der Kinder; als er sie Reginen drückte, durchrieselte diese ein Schauer. Durch die Dunkelheit traf sie ein Stechen seiner Augen, vor dem sie die ihrigen niederschlagen mußte. Ruhig sprach er dann weiter, indem sie dem Hause sich näherten.
„Und meinen besten Dank nehmen Sie, daß Sie gleich an mich dachten, den alten Freund! Ich wäre, wenn die Bauern mich von hier vertrieben hätten, nur zu Ihnen gekommen. Und noch einen anderen Grund des Dankes habe ich: Sie bringen wieder das Leben in das Haus des Todes.“
Der Pfarrer blickte ihn fragend an.
„Ja,“ erhielt er zur Antwort, und sie war nicht allein an ihn gerichtet. „Ja, der arme Ottokar von Waltershausen – seine Schwägerin brachte ihn hierher – er wurde vor wenigen Minuten von seinen Schmerzen erlöst.“
„Der Rittmeister –?“ rief der Pfarrer.
Er erhielt keine Antwort; denn der Doctor sah Regine wanken und war schnell an ihrer Seite; er stützte sie.
„Ja, Regine,“ sagte er, zu dem Mädchen gewandt, das er hatte aufwachsen sehen wie die übrigen Kinder des Pfarrers, und für das er daher noch immer ein vertrauliches Du hatte, „Du kommst zu einer Leiche. Und Du kannst mit einer Unglücklichen, mit einer anderen Unglücklichen,“ verbesserte er sich, „an das Todtenlager treten –“
Es waren wohl seltsame Worte, und noch mehr mußte der Ton auffallen, mit dem er sie gesprochen hatte. Nur die Baronin hatte er zuerst eine Unglückliche genannt. War sie, Regine, denn nicht auch eine solche? Sie zuckte an seinem Arme heftig zusammen; erst da nannte er auch sie so. Und dann gab er der Regung seines guten Herzens noch mehr Folge.
„Regine,“ fuhr er so leise zu ihr fort, daß nur sie es hören konnte, „Du mußtest einmal die Wahrheit von mir hören. Es ist geschehen. Ich bin fortan nur noch Dein verzeihender Freund.“
Sie hatten das Haus erreicht.
„Seid mir Alle willkommen!“ drückte der Doctor ihnen noch einmal die Hände.
Dem alten Thomas befahl er dann, den Wagen abzupacken und für die Sachen und das Pferd zu sorgen. Margarethe mußte der kleinere Kinder sich annehmen, er selbst aber hatte zunächst noch die andere Unglückliche aufgesucht. Er fand die Baronin, sie, die an Dulden und Entsagen gewöhnt war, gefaßt. Er durfte ihr mittheilen, wer angekommen.
Es durchzuckte sie. „Regine!“
„Sie ist auch eine Unglückliche,“ sagte der Doctor, „und –“
Er brach ab, ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab und trat entschlossen wieder zu der Baronin.
„Ja, meine liebe Frau Baronin, es sind Unterschiede zwischen Ihnen und Jener. Lassen Sie mich hier von allen nur einen hervorheben! Sie haben gebüßt; denn ganz ohne Schuld waren auch Sie nicht. Regine muß noch büßen, mehr als Sie; sie trägt an einer schwereren Schuld. Erleichtern Sie es ihr, durch eine freundliche Verzeihung dessen, was sie gegen Sie verbrach!“
„Führen Sie mich zu ihr!“ sagte die Baronin, indem sie sich erhob.
„Ich bringe sie zu Ihnen.“
Er ging zu Regine zurück.
„Begleitest Du mich zu der Baronin?“
Sie erschrak.
„Ihr sollt Freundinnen werden.“
Sie folgte ihm. Die beiden Frauenherzen weinten bitterlich mit einander, und die Thränen hatten einen festen Freundschaftsbund eingeweiht. –
Der Friede der Herzen, die Ruhe des Todes sollte in dem Friedenthal noch einmal gestört werden. Der Bauernaufruhr in Waltershausen war schnell niedergeworfen worden. Pferde sprengten in das Thal; Waffen klirrten; laute Rufe ertönten. Alles war auf den Fersen eines gehetzten Menschen, der um sein Leben lief. Ein Schuß fiel; der Mensch sank mit einem dumpfen Schrei zusammen. Der Bauernadvocat, von den Husaren verfolgt, war tödtlich getroffen worden.
Von Emil Brunn hat man niemals wieder etwas gehört. Ob er beim Bauernaufruhre gefallen oder entflohen – man weiß es nicht.
In doppelter Gefangenschaft. (Mit Abbildung Seite 121.) Die Durchzüge der türkischen Gefangenen von Plewna durch Bukarest bringen, neben dem gestaltenvollen Bilderreichthum, mit welchem sie die Straßen beleben, auch manches Geschichtchen an den Tag, welches in dieser harten Zeit vom besten Theil des Menschen unter allen Himmeln zeugt. Arm in Arm mit dem Maler G., der sich nicht zu den eigentlichen „Feldmalern“ rechnet, sondern hier Menschenstudien auf eigene Faust treibt, ging ich häufig auf den Türkenfang aus, und wir machten, da unsere Augen gelernt hatten, auch in Schmutz und Kleiderfetzen die im Elend der Gefangenschaft Herangekommenen von den von Haus aus Gemeinen zu unterscheiden, manchen guten Fang, der beste aber war der, dessen Erzählung mein Maler, wie Figura zeigt, mit seinem Griffel gefolgt ist.
Wir flanirten auf dem Corso (der sogenannten „Chaussée“) nach der Straße Mogoschoi hin, als wir einem Trüppchen von sechs Türken begegneten, das ein rumänischer Soldat begleitete und dem ein Mann folgte, in welchem G. durchaus keinen Türken, sondern einen Bulgaren erkennen wollte. Von den Türken gehörten Drei augenscheinlich zur besseren Sorte, und sofort nahmen wir, mit einigen Geldstücken winkend, die ganze Gesellschaft in Beschlag. Das Glück war uns günstig. Unter den Türken war Einer, der gerade so viel Französisch radebrechte, wie G. vom Osmanli-Türkischen verstand, und so erfuhren wir, daß Ebenderselbe ein letztes Kleinod, eine Uhr, die er, in einem Tuchfetzen eingewickelt, in der Hand trug, veräußern wollte, um ihren großen Hunger zu stillen. Mit einem Blick gegenseitig verständigt, versprach G., ihnen ihren Wunsch ohne die Uhr zu erfüllen, und so zogen wir mit ihnen in eines der Speisehäuser ein, an welchen hier kein Mangel ist.
Hier fiel es uns sofort auf, daß der „Bulgare“ nur für Einen der Türken, und gerade unsern Sprecher, Augen zu haben schien, denn erst auf dessen Wink nahm auch er von den dargereichten Speisen und Getränken. G. konnte nun nicht umhin, zu fragen, ob es den Gefangenen gestattet sei, auch ihre Diener mit sich zu nehmen, und wies dabei auf den noch immer respectvoll bei Seite stehenden Mann hin.
Da sprach der Türke: „Nein, Herr. Den Mann hat Allah mir zum Bruder gegeben, und er geht freiwillig mit mir in die Gefangenschaft,
[125] um mein Schicksal zu theilen.“ Und nun, nachdem der Magen befriedigt und das Herz mittheilsam geworden war, erzählte er, in köstlichem Durcheinander von Französisch und Türkisch, wie es für das Verständniß G.’s sich nothwendig machte – eine Unterhaltung; deren Niederschrift eine herrliche Arbeit für einen Stenographen gewesen wäre – das Geschichtchen, das wir in möglichster Kürze mittheilen.
Der Türke bezeichnete den Mann gleich im Voraus als seinen Lebensretter und bestätigte, daß er ein Bulgare sei. Asan – so nannte er ihn – hatte in einem der zerstörten Dörfer bei Plewna Haus und Hof besessen. Weib und Kind hatten bei der Zerstörung den Tod gefunden, aber mit seinem alten Mütterchen war’s ihm gelungen, nach Plewna zu flüchten; als Osman Pascha heranzog, und als dieser die Stadt besetzte, war er in seinem Versteck geblieben, bis ihn der Hunger hervortrieb. Tapfer und listig, wagte er für seine Mutter Alles, als in der Stadt der Preis der Lebensmittel für ihn nicht mehr zu erschwingen war. Manche Nacht schlich er hinaus, oft Stunden weit, um Nahrung zu schaffen. Wie es wohl oft im Kriege geht, hielten die Türken ihn für einen der Ihrigen, und bei den Russen wußte er als einer ihrer Spione zu gelten, ohne ihnen je zu dienen. – „Ist es so, Bruder Asan?“ Der Bulgare hielt die Hand auf’s Herz, nickte und sprach: „So ist es, Bruder Ibrahim!“
So trieb er’s lange, auch als die Russen die Stadt schon vollständig eingeschlossen hatten. Da begab sich’s, daß Ibrahim, unser Türke, bei einem nächtlichen Ausfall verwundet wurde, und dies führte die Beiden zuerst zusammen. Die Türken flohen; die Russen ließen Ibrahim für todt liegen. In der kalten Nacht erwachte der Verwundete aus tiefer Ohnmacht und versuchte, da er nicht gehen konnte, fortzukriechen. Diese Bewegung war sein Glück, denn eben schlich Asan der Bulgare, wieder seinen alten Gang, als er den Verwundeten gewahrte. Er verband ihn nothdürftig, gab ihm einen Trunk und suchte ihn fortzuschleppen. Aber die Schmerzen desselben waren zu groß; er bat, ihn noch ein wenig ruhen zu lassen. Darüber brach der Morgen an, und der kluge Bulgare wußte, daß jetzt die größte Gefahr nahe. Eiligst spähte er nach Waffen, Todte lagen genug umher, er suchte ihre Gewehre zusammen und lud alle. Und da kam’s, wie er gewußt. Einige Kosaken schwärmten heran offenbar um die Todten zu plündern, was sie in der Nacht nicht gewagt hatten. Und da kämpfte der eine Mann wie ein Löwe für den Türken, bis aus der Festung Hülfe kam. Die Kosaken flohen – und nun war kein Säumen mehr; er trug den ächzenden Mann fort, bis er in Sicherheit war. „So,“ sprach der Türke, „ist Asan mein Bruder geworden.“ Er reichte ihm die Hand, die dieser demüthig küßte.
Von da an wagte der Bulgare sich nicht mehr von dieser Seite zu den Russen. Er fürchtete, erkannt zu werden. Auch sorgte der Türke für ihn und seine Mutter, bis er selbst nichts mehr zu theilen hatte. Da trieb’s den Bulgaren, um bei den Rumänen zu versuchen, was ihm bei den Russen so lange gelungen war. „Das verrieth er seiner Mutter,“ erzählte Ibrahim, „und diese mir noch in derselben Stunde, wo er weggegangen war. Ich erschrak; mir wurde angst um ihn, denn wenn ihn auch bei meiner Truppe Jedermann als meinen Lebensretter kannte, so war er doch unseren gegen die Rumänen fechtenden Leuten unbekannt. Ich bat sofort um die Erlaubniß, ihm nacheilen zu dürfen, erhielt sie und jagte, wohin mein Pferd laufen wollte, nach der Seite der rumänischen Stellungen fort – und wär’ doch um eines Athems Länge fast zu spät gekommen.“ Er sah dabei den Bulgaren an – und dieser, der eine Aufforderung zum Erzählen darin zu erblicken schien, platzte mit einem Male los mit einem Redestrom, den nichts zu hemmen vermochte und den Alle geduldig über sich ergehen ließen. Obgleich wir kein Wort davon verstanden, verrieth uns doch sein Mienen- und Geberdenspiel, daß man ihn gefangen, ihm die Hände auf den Rücken und einen Strick um den Hals gebunden habe. Erschöpft schloß er und küßte Ibrahim die Hand.
Dieser berichtete nun kurz, daß sein armer „Bruder Asan“ den dummen Streich gemacht habe, einer türkischen Streifpatrouille, die seiner ansichtig geworden, entfliehen zu wollen. Er wurde gejagt und gefangen und trotz aller Betheuerungen als Spion behandelt. Schon stand er mit dem Stricke um den Hals unter einem Baume und sollte eben in die Höhe gezogen werden, als der Türke daher gesprengt kam. Sein Verzweiflungsruf: „Bruder, mein Bruder!“ hemmte die Execution. „Ich konnte nun ihn retten, wie er mich gerettet hatte. Als meinen Gefangenen führte ich ihn nach Plewna zurück – und nun ist er doppelt gefangen.“
„Ein wunderbares Schicksal!“ sprach ich ergriffen, und ruhig sagte der Türke darauf: „Wenn es nicht so wunderbar wäre, brauchte man es nicht zu erzählen.“ Aller Blicke richteten sich plötzlich erstaunt auf G., der sein Skizzenbuch hervorzog und den Türken portraitiren wollte. Dieser wehrte jedoch entrüstet ab und bat, die Gesetze seines Glaubens zu schonen. Dagegen sah er lächelnd zu, als G. nun den Bulgaren zeichnete, und zwar in dem Augenblicke, wo man ihm die Hände auf den Rücken band. Das Uebrige entwarf er nur flüchtig nach den Andeutungen unseres Türken, der schließlich wenigstens gestattete, daß er als Lebensretter im fernen Hintergrunde mit aufgeführt werde. Daß auch die Oertlichkeit nur nach der ziemlich unklaren Schilderung hingestellt ist, muß man freundlich berücksichtigen und entschuldigen.
Das Geburtshaus der Mutter Mac Mahon’s in Fallersleben. Bereits in Nr. 47 des Jahrgangs 1870 der „Gartenlaube“ wurde in einer kurzen Notiz erwähnt, daß die Mutter Mac Mahon’s eine Deutsche und in Fallersleben (dem Geburtsorte des verstorbenen Dichters Hoffman von Fallersleben) geboren worden. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen, wo der Sohn dieser deutschen Mutter an der Spitze von Frankreich steht, dürfte es von Interesse sein, zu erfahren, wie die Uebersiedelung unserer Landsmännin nach Frankreich und deren Verheirathung zu Stande gekommen. Die nachfolgenden Mittheilungen beruhen meistens auf mündlichen Ueberlieferungen.
Die Mutter Mac Mahon’s wurde am 15. Juli 1790 geboren, und laut dem Fallerslebener Kirchenbuche bereits am 19. Juli auf die Namen Johanne Marie Henriette getauft. Ihr Vater war der Lieutenant Johann Daniel Behne, ihre Mutter, Mathilde Behne, eine geborene Bennet. Die obigen Taufnamen waren den Vornamen der Gevattern entnommen, aber das Kind wurde später stets Emilie genannt. Die Eheleute Behne hatten nur diese eine Tochter als erstgeborenes Kind und drei später geborene Söhne. Der Vater wurde später zum Hauptmann ernannt und starb im Jahre 1807. Die Wittwe konnte in der damaligen bösen Franzosenzeit nichts Besseres thun, als das bedeutende in Fallersleben belegene Besitzthum zu verpachten. Sie zog nach Hannover, um den Kindern besseren Unterricht und eine sorgfältigere Erziehung angedeihen zu lassen, und hier lernte sie den aus Schottland nach Hannover übergesiedelten Kunstmaler und Sprachlehrer Ariechall kennen und verheiratete sich mit demselben. Aus dieser zweiten Ehe sind Kinder nicht hervorgegangen. Der erwachsenen Emilie mochte die Wiederverheirathung der Mutter unangenehm sein, denn sie besuchte oft auf längere Zeit einen Onkel in Hannover, einen berühmten Arzt. Dieser fand an der jungen, munteren Emilie, welche für eine wirkliche Schönheit galt, so viel Gefallen, daß er sie immer um sich haben wollte und schließlich ganz in sein Haus nahm. Dies war ein entscheidender Schritt für das ganze Leben des jungen Mädchens. Es kam französische Einquartierung nach Hannover. Das Haus des Onkels wurde mit einem jungen Kriegscommissar, Namens Mac Mahon, belegt, welcher, gewandt und fein gebildet, sich sehr höflich und rücksichtsvoll gegen seine Hausgenossen benahm. Es konnte nicht verhindert werden, daß der junge Kriegsmann die hübsche, blühende Emilie Behne häufig sah, nachdem schon der erste Eindruck für beide junge Leute entscheidend gewesen.
Zwar zurückhaltend, aber doch eifrig, ergriff der junge Soldat jede Gelegenheit, sich mit der reizenden Emilie zu unterhalten und sie mit galanten französischen Artigkeiten zu überhäufen. Nun war aber in der Behne’schen Familie die Liebe zum Vaterlande immer ganz besonders groß und reichlich so groß der Haß gegen die französische Gewaltherrschaft gewesen; dieser Haß gegen Alles, was französisch war oder genannt wurde, war auch der Emilie Behne gleichsam angeboren und sie damit aufgewachsen; hatte doch ihr Vater gegen den Franzmann tapfer gefochten, und ihr ebenso tapferer Bruder stritt noch fortwährend gegen den Feind des Vaterlandes. Aber was vermochte das Alles gegen ein leidenschaftlich liebendes Mädchenherz? Der alte arglose, vielbeschäftigte Doctor und liebevolle Onkel hatte nicht im mindesten geahnt, was sich im Stillen hinter seinem Rücken entwickelt hatte, und durch schärfer sehende Hausgenossen mußte er erst darauf aufmerksam gemacht werden. Nun brach natürlich ein Sturm von Vorwürfen los, welcher besser gedacht, als beschrieben werden kann. Es war ja auch entsetzlich, einem leichtfertigen Franzosen, der nichts hatte als seinen Soldatenrock und jeden Tag todtgeschossen werden konnte, und noch dazu einem solchen Feind und Unterdrücker des Vaterlandes, der das deutsche Haus und den deutschen Herd schädigte, einem solchen Unwürdigen Herz und Hand zu geben. –
Mutter, Vormünder und wem sonst Einfluß zugetraut wurde, mußten abraten und abmahnen, ja es wurde mit allen Mitteln gedroht, welche auf ein junges Mädchen Wirkung ausüben konnten, aber vergeblich. Beide junge Leute hatten sich unwandelbare Liebe und Treue gelobt und blieben unerschütterlich in dem Entschlusse, diese Liebe und Treue sich gegenseitig erhalten zu wollen und nicht eher zu ruhen, bis der Ehebund ihre Gelobnisse und Schwüre besiegelt habe, sei es mit oder ohne Einwilligung der Verwandten. Doch diese Verwandten waren und blieben außer sich und gingen alsbald zu Gewaltmaßregeln über. Das junge Mädchen wurde aus dem Bereiche des Onkels entfernt und unter gehörig bewaffneter Begleitung, aber ganz im Stillen und möglichst heimlich, nach Rinteln an der Weser, in ein unter strenger Aufsicht stehendes Mädcheninstitut gebracht. Der verliebte Kriegscommissar mochte aber auch wohl Alles aufgeboten haben, über das Verbleiben der holden Braut Kunde zu erlangen; wir wissen, daß er Gelegenheit fand, die Geliebte in Rinteln zu sprechen, sie zur Flucht zu bereden und diese Flucht wirklich auszuführen, nach welcher sie dann in Frankreich durch den Segen der Kirche des Kriegscommissars Mac Mahon’s Gattin wurde. Unter den damaligen mangelhaften Verkehrsverhältnissen erhielten Mutter, Vormünder und sonstige Verwandte die Kunde von der Flucht ihrer Schutzbefohlenen erst, als dieselbe längst in Sicherheit und das Ehebündniß geschlossen worden war. Schreck, Entrüstung und Schmerz war bei Allen gleich groß und hat sich nie ganz verloren, denn diese Emilie wurde selten in der Familie erwähnt. Wohl mag der gewagte Schritt dem jungen Mädchen sehr schwer gefallen sein, da sie Vaterland, Verwandte und die sorgliche Mutter verlassen und einem ungewissen Schicksale sich anvertrauen mußte. Um so erfreulicher ist es aber, anführen zu können, daß sie diesen kühnen Schritt nie bereut, ihr treuer Gatte vielmehr alle gebrachten Opfer ihr vergolten hat. Der gegenwärtige Präsident der französischen Republik ist dieser Ehe am 10. Juli 1808 entsprossen.
Wir wollen noch anführen, daß Mac Mahon’s Vater Pair von Frankreich und mit Karl dem Zehnten persönlich befreundet gewesen sein soll. Die Mac Mahon’s stammen wahrscheinlich von schottischen Clans ab.
Der älteste Bruder der Emilie Mac Mahon, geborene Behne, Ludwig, trat als ganz junger Mann von fünfzehn bis sechszehn Jahren in die deutsch-englische Legion, machte den Feldzug in Spanien etc., dann die Schlacht von Waterloo mit und kehrte, mit Wunden und Ruhm bedeckt, als Major nach Fallersleben zurück, wo er bald nachher Commissair bei der Militär-Aushebungs-Commission wurde. Im Jahre 1845 gab er diese Stellung auf und ging, durch die damaligen pomphaften Schilderungen dazu verleitet, nach Texas, nachdem er seinen bedeutenden Grundbesitz, wozu auch das Geburtshaus der Emilie gehörte, verkauft hatte. In Texas waren die hochfliegenden Erwartungen nicht in Erfüllung gegangen; er kehrte nach drei Jahren kränklich zurück und starb bald darauf. Dieser Major Ludwig Behne hat – um dies nicht unerwähnt zu lassen – im
[126] Jahre 1833 einen artesischen Brunnen, den ersten in Deutschland auf dem neben dem Wohnhause belegenen Hofe bohren lassen.
Der zweite Bruder der Emilie Mac Mahon war früher Bürgermeister und Advocat in Neustadt a. R. In Streit mit einem dortigen Geistlichen gekommen, sah er sich zur Freiheitsstrafe verurtheilt, aber dieselbe wurde vom Könige Ernst August im Wege der Gnade unter der Bedingung erlassen, daß er auswandere, weshalb er denn nach Amerika ging. Der jüngste Bruder, Advocat in Diepholz, hatte sich bereits früher nach Amerika gewandt und fungirte dort, ich glaube in Louisville, als Zeitungsredacteur. Der Präsident von Frankreich, Mac Mahon, soll die Tochter dieses seines jüngsten Onkels, also eine geborene Behne, seine Cousine, geheiratet haben, welche er bei einem Besuche hatte kennen gelernt.
Die Familie Behne war früher in Fallersleben in drei Linien vertreten, ist aber jetzt gänzlich ausgestorben.
Der siebenzigste Geburtstag eines Meisters deutscher Kunst. Die „Gartenlaube“ schmückt ihre heute erscheinende Nummer (Seite 117) mit
dem Bildnisse des Künstlers, dessen siebenzigsten Geburtstag die gesammte deutsche Kunstwelt feiert, denn der Karl Friedrich Lessing, welcher am 15. Februar 1808 geboren worden, steht heute als ein Meister da, der auf dem Gebiete der Landschaft- wie der Historienmalerei gleich Großes leistet.
Die Leiter, auf welcher er zu der Höhe, die er nunmehr erreicht hat, aufstieg, hat er sich selbst gestellt, und seine innere Kraft war es, die ihn von Stufe zu Stufe emportrieb. Es ist ein Weg der Künstlerentwickelung, auf welchen man nur mit Wohlgefallen zurückblicken kann. Die Pflanzenkunde, in welcher der sorgfältige Vater ihn unterrichtete, bildete frühzeitig seinen Sinn für Form und Farbe aus, und da der Knabe später, auf dem katholischen Gymnasium zu Breslau, der Mineralogie sich mit demselben Eifer, wie früher der Botanik zuwandte, so erschien er dem Vater als besonders für das Baufach geeignet. Ein Ausflug von der Berliner Bauakademie nach Rügen entschied einen neuen Schritt des Kunstjüngers. Die herrliche Natur der Insel verführte ihn zur Landschaftsmalerei, der er sich nun mit solchem Eifer widmete, daß sein strenger Vater sich in dieses „Umsatteln“ des Sohnes ergab. Da wanderte Schadow nach Düsseldorf aus, und Lessing folgte ihm nach, auch in dessen Schule. Mit demselben Ernste, mit dem er bisher die Landschaft behandelt hatte, ging er an die Darstellung des Menschen, und aus seinen anfangs fast zu üppig hervorwuchernden Compositionsskizzen wuchsen endlich Werke heraus, die auch auf dem neuen Felde bald den Meister erkennen ließen. Treu der Schule, wandelte auch er eine Strecke ihre von Uhland’schem Geiste geweihte romantische Bahn, bis er, auch hier zu seiner Eigenart durchbrechend, der künstlerische Darsteller der großen mittelalterlichen Conflicte zwischen geistlicher und weltlicher Macht und der Verherrlicher der Bahnbrecher der Reformation und ihrer Helden selbst, eines Huß und Luther, wurde. Die allgemeinste Verbreitung und Bewunderung fand sein jetzt die Berliner Nationalgalerie schmückendes großes Bild, das Huß auf dem Gange zum Scheiterhaufen darstellt.
Wir können hier keine weitere Aufzählung und Würdigung seiner Werke geben, dies mag einer anderen Feder vorbehalten bleiben. Aber das muß hier zum Schlusse ausgesprochen werden, daß Karl Friedrich Lessing in der tiefpoetischen Auffassung der von ihm gewählten Stoffe, in dem Ernst seiner Studien, der Strenge seiner Charakteristik und dem Ringen nach Wahrheit der echte Erbe seines Großoheims, des großen Geisteshelden Gotthold Ephraim Lessing, ist. Ihm, dem gefeierten Künstler, sei heute unser ehrfurchtsvoller Gruß gesandt. Im Geiste nehmen wir Theil an den Ehrenfesten, die, mit allem Eifer der Liebe und Verehrung in Karlsruhe, der Stätte seiner amtlichen Wirksamkeit seit zwanzig Jahren, vorbereitet, gewiß mit einer des großen Künstlers und edlen Mannes würdigen Begeisterung heute begangen werden.
Unsere Zeitgeschichte. An Geschichten der neuesten Zeit fehlt es in unserer Literatur nicht, und wir mochten namentlich einigen derselben hervorragende Verdienste nicht absprechen. Mehr oder weniger sind es aber doch nur geschickt verarbeitete Erzählungen der äußeren Hergänge, während gerade der Rückblick auf die Entwickelungen der jüngsten Vergangenheit den Anlaß bietet, uns an unserem eigenen Fleisch und Blut, nicht an fremden und fernliegenden Beispielen, auch die inneren Gesetze erkennen zu lassen, von denen das Leben und Ringen der Völker, ihr Werden und Vergehen, ihr Steigen und Sinken beherrscht wird. So ist der fünfundfünfzigjährige Zeitraum von 1815 bis 1870 von Constantin Bulle in seiner vielfach bereits anerkannten „Geschichte der neuesten Zeit“ (2 Bd. Leipzig, Beit u. Co.) aufgefaßt und geschildert worden. Dieses Werk zeichnet sich vor Allem dadurch aus, daß es eine organische, aus selbstständiger Forschungsarbeit erwachsene Schöpfung ist, daß es nach Inhalt und Form, nach der wissenschaftlichen wie nach der künstlerischen Seite hin, in der Entfaltung und Gestaltung des Ganzen, wie in der Fülle anziehender und treffender Einzelschilderungen das Gepräge eines Originalwerkes zeigt, nicht einer nur für das augenblickliche Bedürfniß zurechtgestutzten Marktwaare. Wie aus den Gesichtspunkten, Auffassungen und Urtheilen des Verfassers eine ebenso schwung- wie maßvolle Idealität, ein warmherzig fester, aber besonnener Freisinn uns wohltuend entgegen leuchtet, so fließt auch der Stil in einem schön und edel durchwärmten, aber ruhigen Gleichmaß dahin, ohne daß aus dem wohlgelungenen Streben nach Gemeinverständlichkeit ein Mangel an kritischer Schärfe, eine Verwässerung des Gedankens, eine Plattheit und Geschmacklosigkeit des Tons und der Sprache sich irgend ergeben hat. Kein Lernbegieriger wird sagen können, daß er aus diesem Buche nicht Geschichte gelernt, aber auch der Kundige, selbst wenn er in manchen Punkten anderer Meinung ist, wird gern zugestehen, daß diese kernhafte Schilderung bekannter Verläufe ihm erfrischenden Genuß gewährt, seine Hoffnungen belebt und seinen Ueberzeugungsmuth gestärkt, seine Ansichten über Erscheinungen und Persönlichkeiten gefestigt, hin und wieder auch ergänzt und berichtigt hat. Indem der Verfasser Geschichte und nur tatsächliche Geschichte erzählt, giebt er zugleich allen Denkenden, besonders den Leitungen der Schulen und der Bildungsvereine ein sprechendes Beispiel, wie man Geschichte erzählen und lehren muß, wenn dadurch ein Nutzen für Wissenserweiterung, die sittliche Erhebung und politische Bildung des Volkes erzielt werden soll.
Erwähnt muß noch werden, daß das Werk sämmtliche moderne Culturvölker umfaßt, daß aber den Mittelpunkt der Erzählung unsere deutsche Geschichte bildet, weil diese allein in dem vorgeführten Zeitraum einen Abschluß gefunden hat. Dadurch erhält die Arbeit des Geschichtsschreibers zugleich den Werth eines patriotischen Gedenkbuches, dem wir im Uebrigen einen möglichst großen Leserkreis schon wegen der zwei Hauptlehren wünschen, die es nicht gepredigt, sondern überzeugend an den Entwickelungen der Thatsachen vergegenwärtigt hat. Diese Lehren heißen: Eine gute und wahre Idee geht niemals wieder unter und kann auch nicht lange unterdrückt werden, wenn ihre Anhänger Muth und Treue bewähren. Kein Ideal aber wird durch schnellen Ansturm in die Wirklichkeit gezaubert, wenn es nicht in langsamer Arbeit (das heißt von lange her in der Geschichte) vorbereitet ist.
Instinct oder Ueberlegung? Vor einiger Zeit besuchte ich einen mir befreundeten Geistlichen. Als wir uns zu einer Tasse Kaffee niedersetzten, wurde der Kanarienvogel, dessen Käfig ganz in der Nähe des Kaffeetisches stand, unruhig. „Aha,“ sagte mein Freund, „Mätzchen will ein Stückchen Zucker haben. Nun geben Sie einmal Acht!“ Er suchte ein recht hartes Stück aus und reichte es in den Käfig. Der Vogel bearbeitete es eine Zeit lang mit Klauen und Schnabel, aber, wie es schien, ohne Erfolg. Plötzlich nimmt er seinen Zucker in den Schnabel; hopp! hopp! sitzt er vor dem Wassernäpfchen und taucht den Zucker hinein. Nun flog er auf den Boden des Käfigs und verzehrte seinen Leckerbissen in aller Ruhe. „Wenn der Zucker nicht sehr hart ist, sodaß er ihn zerbeißen kann, fällt es ihm nicht ein, ihn erst anzufeuchten. Zuweilen,“ erzählte mein Freund weiter, „kommt es vor, daß beim Eintauchen das Stück seinem Schnabel entfällt; dann macht er mannigfache Versuche, es wiederzuerlangen, und noch lange nachher denkt er an den ihm entgangenen Leckerbissen und sieht aufmerksam in das Wasser hinein.“ Von Dressur kann hierbei nicht die Rede sein, denn der Vogel ist von jung auf im Besitze des Geistlichen gewesen und ohne alle Abrichtung geblieben.
Den vielen Anfragern in Bezug auf die Jabloschkoff’schen Kerzen, worunter auch Einige gleich zu wissen wünschen, was das Pfund davon kostet, diene zur Antwort, daß sie, wenn sie den Artikel etwas genauer gelesen haben würden, gesehen haben müßten, daß es sich hier um Versuche handelt, die noch lange nicht abgeschlossen sind, sondern immer nur wieder neue Fortschritte bezeichnen, die vielleicht morgen schon überholt werden. Allerdings werden bereits viele Fabriken und Etablissements mit elektrischem Lichte beleuchtet, aber es handelt sich dabei um Einrichtungen, die viele Tausende kosten, nicht um die Unterhaltung einiger Schaufensterlampen und dergleichen. Wer sich für diese Versuche interessirt, möge die Pariser Weltausstellung besuchen, in welcher der elektrischen Beleuchtung eine besondere Abteilung gewidmet werden wird, für welche immerfort noch großartige Versuche angestellt werden. In den letzten Monaten arbeitete auf dem Lyoner Bahnhofe zu Paris eine neue Combination, deren Dampfmaschine darauf berechnet war, zweiundsiebenzig Lampen zu speisen, und von denen weniger als die Hälfte, in Betrieb gesetzt, die Nacht völlig in Tageshelle verwandelten. Aber, wie gesagt, das sind keine Objecte für kleinindustrielle Versuche. Ueberhaupt muß es die Redaction der „Gartenlaube“ ablehnen, in solchen Fällen als technisches Auskunftsbureau zu dienen. Sie rechnet es mit zu ihren Aufgaben, gelegentlich auf hervorragende und allgemein interessante Fortschritte der Technik und Industrie hinzuweisen, aber zum Vermittler zwischen Fabrikant und Käufer oder zur Hervorhebung bestimmter Firmen kann sie sich nicht hergeben. Die Fragesteller vieler Art mögen sich nicht wundern, wenn ihre Briefe nicht beantwortet werden.
H. B-g in der Capstadt (Cap der guten Hoffnung). Senden Sie die offerirten Beiträge gütigst zur Prüfung ein!
Einem langjährigen Abonnenten in Chemnitz und vielen anderen Fragestellern zur Nachricht, daß es uns ganz unmöglich ist, irgend eine Antwort schon „in der nächsten Nummer“ unseres Blattes zu geben. Man wolle freundlichst erwägen, daß die Herstellung einer Gartenlauben-Nummer ungefähr drei Wochen in Anspruch nimmt und daß Redaction und Druckerei daher den Lesern stets um mindestens zwei Nummern voraus sind. Wenn beispielsweise Nr. 1 ausgegeben wird, liegen für uns Nr. 2 und 3 bereits fertig und völlig abgeschlossen vor, sodaß Aenderungen und Hinzufügungen zum Texte nicht mehr thunlich sind. Man wolle daher bei allen eilig zu beantwortenden Anfragen gütigst denjenigen Weg der Antwort uns ermöglichen, der uns stets der liebste ist, den directen, brieflichen, wozu freilich volle Angabe der Adresse und Beifügung einer Marke zur Francatur nöthig. Diese Bitte richten wir ganz besonders an diejenigen Fragesteller, welche sich in sanitären und medicinischen Angelegenheiten an uns wenden, da hier im Interesse der Adressaten oft schleunigste Erledigung geboten ist. Wir benutzen diese Gelegenheit, unsere Leser zu ersuchen, ihre Anfragen überhaupt auf dringende Anlässe zu beschränken, da das auf uns anstürmende Heer der Frager ein oft wahrhaft erdrückendes ist, weshalb denn auch stets eine große Anzahl derselben ohne Antwort bleiben muß.
Beamter G. B. in Wien. Der Brief ging uns anonym zu; auch dürfen wir den Ort nicht nennen. Wir können also nichts vermitteln. Besten Dank!
- ↑ In unserer Nr. 12, 1875, gaben wir unsern Lesern ein Bild der letzten Tage des Jahrzehnte ausharrenden Forschers.
D. Red.
- ↑ Das Breslauer Stadttheater; bekanntlich wurde jene Prophezeiung an diesem Institute in der That nur zu bald vollste Wahrheit.
- ↑ Der Schatzmeister der Stiftung, Herr Stadtrath Hühner in Breslau, nimmt die Beiträge entgegen.