Die Gartenlaube (1874)/Heft 13
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No. 13. | 1874. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Vor dem Forsthause, das Liane erst jetzt gleichsam entdeckt, hatte sie gestern die Blätter gelesen, und heute lagen sie wieder vor ihr. … Das Forsthaus war keines jener modernen, coquett geschmückten Häuser im Schweizerstile, wie man sie gern an den Waldessaum verlegt. Es war ein uraltes Gebäude mit schiefen Wänden und verschobenen Fenstern, hinter welchen die weißen Filetgardinen der Frau Försterin, wie verlegen über ihr unpassendes Placement, nur in schmalen Streifen erschienen. Weder Ziegel noch Schiefer hatten je den alten Veteranen geschützt – ein festes, gutgehaltenes Strohdach stieg in jäher Steilheit empor und trug eine so gewaltige Esse auf seinem Firste, als werde tagtäglich für ein ganzes Regiment Soldaten drunten in der Küche geschmort und gebacken. Ein von niedrigen Staketen eingefaßter, breiter Mittelweg durchschnitt den kleinen Vorgarten und führte zu der tiefgelegenen Hausthür, die, meist gastlich offen, die sandbestreuten Dielen des Flurs sehen ließ. An einer der Staket-Ecken stand eine Holzbank, die ein hochwipfliger Birnbaum vom Gärtchen aus beschattete – eine ganze Rankenwucht von wildem Hopfen fiel über das Geländer und strebte am Stamme des Obstbaumes empor. Hier saß die junge Frau vor einem Tische, den die Försterin mit einer bunten Kaffeeserviette geschmückt hatte. Freilich, von einem Ausblicke in die Ferne war nicht die Rede. Wie vergraben lag das alte Haus inmitten des Hochwaldes, und wohl nur vom erblindeten Giebelfensterchen droben, oder aus dem Taubenschlage dicht unter dem Firste konnte man ferne Höhenzüge, oder vielleicht auch die bunten Mosaikdächer von Schloß Schönwerth sehen. Im kleinen Garten blühten allerdings Verbenen und Dahlien, und neben der Hausthür stand sogar ein schöner Oleander im Kübel – aber kaum zehn Schritte davon entfernt lugten schon wieder unverdrängt die blauen Glockenblumen, das feuchte Grün des Maiblumenschlages und im tieferen Dunkel die bleichen Köpfe zahllos hingestreuter Pilze aus dem Walddickichte. … Hier überkam die junge Frau stets das Gefühl eines momentanen Verschollenseins, und das that ihr wohl. Sie wurde in keiner Weise belästigt. Die Försterin hielt sich in ehrerbietiger Entfernung und ging ihren häuslichen Geschäften nach; ihr Mann war meist fern mit seinen Gehülfen und Hunden, und so webte um das alte Haus mit dem Strohdache Schweigen, zauberhaftes Schweigen, das nur durch das Rucksen der ab- und zufliegenden Tauben und dann und wann durch ein leises Gebrumme vom Kuhstalle her unterbrochen wurde.
Die junge Frau im hellen Sommerkleide konnte recht wohl für des Försters Töchterlein gelten, so hold anmuthig und jungfräulich saß sie unter dem Baume; den neben ihr liegenden runden Strohhut wenig respectirend, hatte sich des Försters große, buntgetigerte Hauskatze breit und bequem über die andere Hälfte der Bank hingestreckt; auf dem Tische blinkte eine Kaffemaschine von Messing neben einem runden Laibe Schwarzbrod und dem dazu gehörigen Butterteller, und in einem lackirten Blechkörbchen lagen gelbe, eben erst vom Baume geschüttelte Birnen.
Dieses appetitliche Arrangement war augenblicklich ein wenig bei Seite geschoben – Leo hatte eine späte Erdbeerblüthe gebracht und war emsig dabei, sie unter Aufsicht und Beihülfe der Mama für sein Herbarium vorzurichten. Sein brauner Lockenkopf schmiegte sich nahe an die hellglänzenden Flechten der Mutter – auf Beider Wangen lag die rosige Gluth der Jugend, des erhöhten freudigen Pulsschlages im kräftigen Waldodem, im wohligen ungezwungenen Sichgehenlassen.
„Der Papa!“ schrie Leo plötzlich auf und flog mit ausgebreiteten Armen nach dem Wege, der sich schräg gegenüber schmal und dunkel aufthat. Da trat Mainau wirklich im schlichten braunen Sommerrocke, den Stock in der Hand, mit raschen Schritten heraus. Liane erhob sich und ging ihm entgegen, während er den Knaben hoch in die Lüfte hob und ihn dann mit einem Kusse auf den Boden stellte.
„Aus dem tiefen Walde, Mainau? … Und zu Fuße?“ fragte sie überrascht.
„Mein Gott, ich war des Rumpelns auf der Heerstraße müde – ich bin zu Wagen gekommen und habe ihn beim Chausseehause verlassen –“
„Von dort bis hierher mag eine tüchtige Wegstunde sein.“
Er zuckte lächelnd die Achseln. „Was thut man nicht, wenn man – seinen Knaben so lange nicht gesehen hat! … Aus Deinen Zeilen wußte ich, daß ich um diese Zeit Schönwerth doch leer finden würde.“ – Er schritt auf den Tisch zu. „Sieh da, wie lecker und gemüthlich das aussieht!“ sagte er und ließ sich auf der Bank nieder. Die Katze wurde rücksichtsvoll nur ein wenig nach dem Rande zu geschoben, denn sie hatte hier Heimathsrechte.
Liane verschwand für einen Augenblick im Forsthause und kehrte mit heißem Wasser zurück. Im Nu brannte die Flamme unter der kleinen Maschine, und gleich darauf mischte sich das köstliche Kaffeearoma mit der Waldluft. … Den mächtigen Brodlaib an sich gedrückt, schnitt und strich die junge Frau Butterbrode, so flink und mit solcher Lust, als gehöre Das, wie in der That bei Försters Töchterlein, zu ihrem Tagewerke.
[204] „Nein, mein Junge, der Platz gehört der Mama,“ sagte Mainau – er schob Leo, der auf die Bank klettern wollte, fast heftig bei Seite, und lud die junge Frau, die eben die Tasse gefüllt hatte, mit einer Handbewegung ein, sich neben ihn zu setzen.
Sie zögerte – er hätte doch recht gut die Katze fortjagen können, denn der Raum, der auf der anderen Seite blieb, war doch gar zu schmal; aber er that es nicht. In demselben Augenblicke machte die Försterin, die einen Rohrstuhl brachte, ihrer Verlegenheit ein Ende – sie hob Leo auf die Bank und setzte sich unter einem erleichterten Aufathmen auf den Stuhl. … Mainau warf seinen Hut auf den Rasen und fuhr mit beiden Händen durch sein schönes, braunes Lockenhaar – das finstere Lächeln, mit welchem er die diensteifrige Försterin begrüßte, sah nichts weniger als dankbar aus.
„Jetzt hab’ ich mit meinen eigenen Augen gesehen, was das für eine unglückliche Ehe ist,“ sagte sie drin zu ihrer alten Magd. „Guck’ doch ’nüber! Sie sitzen ja nicht einmal neben einander – und ein Gesicht macht er, als hätte ihm die liebe, sanfte Frau mit ihren bildschönen Händen Essig statt Kaffee eingeschenkt. … Für Den ist solch ein Zank- und Sprühteufelchen, wie die erste Gnädige war, am allerbesten – ja, werde nur Einer aus den Männern klug!“
Der Schatten auf Mainau’s Stirn war schon wieder verflogen. Er lehnte sich zurück an die Banklehne, so daß die Hopfenranken kühlend seine Stirn streiften – seine Augen glitten langsam über die flüsternden Baumwipfel, die seitwärts hervorkommende Hausecke und den ländlich besetzten Kaffeetisch.
„Wir spielen ein wenig Landprediger von Wakefield, wie mir scheint,“ sagte er lächelnd. „Bis jetzt habe ich wirklich nicht gewußt, daß wir hier ein so köstliches Stückchen Waldpoesie besitzen. Der Förster möchte gern das Strohdach los sein; er petitionirt eifrig – aber nun bleibt es.“ – Er führte mit sichtlichem Behagen die Tasse an die Lippen. „Solch ein ‚Tischlein deck’ dich‘ mitten im Walde zu finden, wenn man erst auf der staubigen, heißen Chaussee gefahren und dann eine tüchtige Stunde marschirt ist –“
„Ich weiß, wie das thut,“ unterbrach ihn die junge Frau lebhaft. „Wenn ich mit Magnus vom Pflanzensuchen zurückkam, müde, hungrig, mit brennenden Händen und Füßen, und bei der Fontaine in die lange Allee einbog, die Du kennst, da sah ich schon von Weitem den weißgedeckten Tisch hinter der Glaswand des Gartensalons stehen – die lieben, alten häßlichen Lehnstühle, die Du auch kennst, umkreisten ihn, und in demselben Momente, wo uns Ulrike bemerkte, schlug die kleine, blaue Flamme unter dem Theekessel auf. Solch ein Heimkommen ist wonnig – besonders, wenn man mit einem heranziehenden Gewitter um die Wette gelaufen ist, wenn man schon die ersten fallenden Tropfen im Gesicht gespürt hat, und nun unter dem heimischen Dache, im süßen Ausruhen, draußen den Sturm pfeifen und die Regenschauer niederprasseln hört.“
„Und nach solch einem Heimkommen sehnst Du Dich fast krank, seit Du in Schönwerth bist?“
Sie drückte mit aufstrahlenden Augen die festverschlungenen Hände unwillkürlich auf die Brust – man sah das zustimmende „Ja“ auf ihren Lippen schweben, aber sie sprach es nicht aus.
„Mama sagt immer, die letzten Trachenberger seien im Aussterben und im – Ausarten begriffen,“ versetzte sie, mit einem reizenden Lächeln der directen Antwort ausweichend. „Der Hang, in stiller, friedensvoller Häuslichkeit zu leben, den engen Kreis seiner Lieben, so viel man vermag, zu beglücken und darin selbst das eigene Glück zu finden – er mag schon ‚hausbacken‘ sein, wie Mama ihm schuld giebt – im Rudisdorfer Schlosse, wie es noch vor zehn Jahren gewesen ist, hätte er allerdings nicht mit der kleinsten Wurzel haften dürfen – aber er, er allein hat uns drei Geschwister stark gemacht in dem furchtbaren Umschwung der Verhältnisse, an welchem die Mama fast gestorben ist. … Uebrigens sind wir keine Hausunken, die sich in den engsten Gesichtskreis einspinnen und Egoisten werden, indem sie aus dem großen Verbande der gesammten Menschheit scheiden. Wir haben im Gegentheile unruhige Köpfe, die gern mitarbeiten und vorwärts wollen. … Du wirst lachen, wenn ich Dir sage, daß wir uns den Zucker beim Kaffee, die Butter auf dem Brode versagt haben, um gute Werke und Instrumente zu wissenschaftlichen Zwecken kaufen und verschiedene Zeitungen halten zu können. … Solch ein Zusammenleben und Wirken ist unsagbar beglückend, und jetzt, da ich Deine Schilderungen aus Norwegen gelesen habe, begreife ich nicht – ach, sie sind köstlich, herzerschütternd!“ unterbrach sie sich selbst und legte die Hand auf das kleine Heft, das auf der Tischecke lag. – „Wenn Du Dich entschließen könntest, sie zu veröffentlichen –“
„St! – kein Wort weiter, Juliane!“ rief er – eine tiefe Blässe folgte der Gluth, die bei den ersten begeisterten Worten der jungen Frau in seine Wangen gestiegen war. – „Beschwöre die häßlichen Geister nicht wieder herauf, die entschlafen sind, die Du selbst mit zweischneidiger Waffe angegriffen hast!“ – Er drückte die geballte Hand auf die Brusttasche. „Dein Brief war mit mir in Wolkershausen – er ist gut geschrieben, Juliane, so wirksam geschrieben, daß er als Bannfluch gegen die männliche Eitelkeit eigentlich vervielfältigt werden müßte. … Du hast einen klaren Philosophenkopf – ich gebe Dir in Vielem Recht, wenn ich auch z. B. nicht glaube, daß man erst verarmen müsse, um einzusehen, daß ein inniges Zusammenleben allerdings das süßeste Glück in sich schließt.“
Er nahm mit zerstreutem Blicke sein Manuscript auf und blätterte darin – einzelne kleine Blätter fielen heraus, nach denen er überrascht griff.
„Ja, denke nur,“ lachte die junge Frau leise auf, „die lebendigen Schilderungen wirkten dergestalt elektrisirend auf mich, daß ich unwillkürlich nach dem Stifte griff und zu illustriren anfing.“
„Du hast eine glückliche Hand, Juliane – das ist köstlich gemacht! … Merkwürdig, Dein Stift schmiegt sich den Schilderungen an, als habest Du sie gedacht, nicht ich – Deine Kritik spürt jeder meiner Regungen nach bis auf das kleinste Wurzelfäserchen, dem sie entsprossen, und doch – mein Gott, was grüble ich! – Das ist ja eben die tödtlichste, die leidenschaftsloseste Objectivität, die Dich zu meinem Meister macht.“ – Er sprach herb, mit einem schneidend scharfen Klange in der Stimme. – „Wie wär’s, Juliane, wenn wir uns associirten? das heißt, ich schreibe und Du illustrirst?“ sagte er gleich darauf in leichtem Tone.
„Gern – schicke mir Reiseberichte, so viel Du willst –“
„Der geschiedenen Frau?“
Sie schrak unwillkürlich zurück. Wohl hätte sie ihm sagen können: „Unser Verkehr in Schönwerth ist ein abnormer; wir sollen Freud und Leid miteinander theilen und gehen nebeneinander mit völlig getrenntem Geschicke – Du solltest mein Beschützer sein und lässest mich mißhandeln und stündlich mein ganzes Fühlen verwunden, ohne daß es Dir auch nur einfällt, einen Finger drum zu rühren – das Verhältniß ist unmoralisch, und ich schüttle es ab; dagegen stelle ich mich über Manches, das die Welt unpassend nennt.“ – Von Allem, was sie dachte, sagte sie ihm nur dies Letztere. „Ich glaube, der Schriftsteller und die Zeichnerin, die seine Werke illustrirt, können getrost schriftlich miteinander verkehren,“ setzte sie hinzu. „Wer kann etwas darin finden, wenn wir nicht in Todesfeindschaft auseinandergehen, sondern eine Art von freundschaftlicher Beziehung zwischen uns festhalten –“
„Wie kannst Du wagen, mir Das zu bieten – ich will Deine Freundschaft nicht,“ fuhr er wild empor und sprang auf. „Wohl – ich bin von meiner selbstbewußten Höhe tief, tief herabgestürzt, aber ich gehöre zu Denen, die lieber hungern als betteln.“
Vielleicht hatte die Försterin diesen Ausbruch durch das halboffene Fenster erlauscht und wähnte einen heftigen ehelichen Zwist im Anzuge. Mit halbunterdrückter Stimme rief und lockte sie Leo zu sich, um ihm ein Füllen im Hofe zu zeigen – das Kind that ihr leid.
Mainau war das Staket entlang geschritten und starrte einige Secunden lang in die gelben Ringelblumen, die ein Kohlbeet bekränzten – dann kam er langsam an den Tisch zurück, wo die junge Frau mit bebenden Händen die auf den Rasen hingeschleuderten Papierblätter sammelte.
„In Schönwerth ist während meiner Abwesenheit Alles beim Alten geblieben?“ fragte er erzwungen ruhig und trommelte leise mit den Fingern auf der Tischplatte.
„Ich habe Dir gar nichts Außergewöhnliches zu berichten – höchstens, daß Gabriel über seine nahe Abreise in Thränen schwimmt – Frau Löhn scheint tief bekümmert und erregt zu sein.“
[205] „Frau Löhn? Was geht das die Löhn an? Und wie kommst Du auf den sonderbaren Gedanken, daß diese Frau irgend etwas in der Welt errege? – Mit was für Augen, mit was für einer aufgeregten Phantasie siehst Du die Dinge in Schönwerth an! … Die Löhn, dieses harte Mannweib, dieser grobzugehauene Holzklotz ohne Nerven – sie dankt sicher Gott, wenn sie den Jungen endlich los wird –“
„Das glaube ich entschieden nicht.“
„Ah – Du hältst sie also für eine empfindsame Seele, wie Du auch in dem schlaffen, energielosen Burschen das kühne Genie eines Michel Angelo oder dergleichen entdeckt haben willst?“
Dieses kalte Verhöhnen, die Absicht, sie zu reizen und ihr weh zu thun, erbitterte sie; aber sie wollte keinen Streit mehr mit ihm.
„Ich erinnere mich nicht, Gabriel mit einem berühmten Meister verglichen zu haben,“ erwiderte sie, ihn mit einem ernsten Blicke messend. „Ich habe nur gesagt, daß ein bedeutendes Malertalent in ihm erstickt wird – und das wiederhole ich in diesem Augenblicke ausdrücklich.“
„Bah – wer erstickt es denn? – Ist es so durchschlagend, wie Du meinst, dann hat es gerade im Kloster den besten Boden – die Maler haben manchen hochberühmten Mönch in ihren Reihen. … Uebrigens, weshalb um des Kaisers Bart streiten! Weder ich, noch der Onkel haben den Knaben für den geistlichen Beruf bestimmt; wir führen nur den letzten Willen eines Verstorbenen durch.“
„Hast Du diesen letzten Willen wirklich gelesen und gewissenhaft – geprüft?“
Er fuhr herum – seine aufglühenden Augen bohrten sich in die ihren. „Juliane, nimm Dich in Acht!“ drohte er mit gedämpfter Stimme und hob den Zeigefinger. „Mir scheint, Du möchtest dem Hause, dem Du den Rücken wendest, noch einen Makel anhängen – Du möchtest gerne sagen können: ‚Ich gebe zu, daß durch die Sequestration ein entstellender Flecken auf das Geschlecht der Trachenberger gefallen ist – aber dort im Schönwerther Schlosse geht auch nicht Alles mit rechten Dingen zu, mit dem großen Reichthum hat es seine ganz besondere Bewandtniß.‘ Auf diese Verdächtigung hin antworte ich Dir: ‚Der Onkel ist geizig; er ist vom Hochmuthsteufel besessen, wie kaum ein Anderer; er hat seine kleinen Bosheiten, gegen die man sich auflehnen muß – aber mit seinem besonnenen Kopf, seiner kühlen Natur, an die nie die Verirrungen schlimmer Leidenschaften herantreten durften, hat er zeitlebens an den Hauptgrundsätzen des echten Edelmannes unerschütterlich festgehalten – darin vertraue ich ihm blind, unbedingt und fasse es als eine tödtliche Verletzung meiner eigenen Ehre auf, wollte man auch nur spielend leise auf ehrenrührige Dinge, wie z. B. einen gefälschten letzten Willen, oder dergleichen, hindeuten. … Ich gebe Dir Das zu bedenken, Juliane.‘ Und nun, meine ich, ist es Zeit, heimzugehen – das Rauschen in den Wipfeln wird verdächtig; wenn auch schon in den ersten Septembertagen, sind wir bei der drückenden Schwüle doch nicht sicher vor einem Gewitter. … Unser Heimkommen wird freilich kein so wonniges sein, wie Du vorhin geschildert – aber was thut’s? – Man muß sich auch darüber hinwegzusetzen wissen.“
Sie wandte ihm schweigend den Rücken und ging in das Haus, um Leo zu holen. Jeder Nerv bebte in ihr. „Liane, er ist schrecklich!“ hatte Ulrike am Hochzeitstage aufgeschrieen, und da war er doch nur ruhig kalt gewesen – was würde sie sagen solchen Ausbrüchen gegenüber, in denen er Geberden annahm und Töne in seiner Stimme hatte, die geradezu vernichtend wirkten! … Und doch – wie wunderlich – Liane verstummte ängstlich und beklommen vor ihnen; sie fühlte sich tief verletzt durch seine ungerechten Beschuldigungen; aber er war ihr verständlicher als in seiner erkünstelten Passivität und Blasirtheit – das war seine Natur, sein Charakter, der ja auch unbewußt aus seinen schriftlichen Darstellungen hervortrat und der sie plötzlich gegen ihren Willen anzog; wie wäre es ihr sonst möglich gewesen, ihm – jetzt, im Hineilen nach dem Hause, schlug sie beschämt die Hände vor das heißerglühende Gesicht, denn sie war ja zurückgewiesen worden – eine Art von freundschaftlicher Beziehung vorzuschlagen?
Schwere Wetterwolken mit hagelweißen Contouren zogen in der That über die Schönwerther Gegend hin, als die Heimkehrenden beim Jägerhäuschen aus dem Walde traten. Mainau, der vorwärts geeilt war, ohne auch nur noch ein Wort zu sprechen, wollte das hereinbrechende Unwetter im Jägerhäuschen abwarten; aber Liane wies auf den Hofmarschall hin, der sich jedenfalls um Leo sehr ängstigen würde, und so ging es weiter im Geschwindschritte durch den Garten. Der Sturm pfiff hinterdrein; in den Obstplantagen wirbelten abgerissene Blätter in den Lüften, und reife Früchte klatschten schwer nieder und kollerten über den Weg.
Mainau stampfte leicht mit dem Fuße auf, als in der Nähe des Schlosses ein Stallbursche im Vorübereilen meldete, die Reitpferde der Frau Herzogin und ihrer Dame ständen im Stalle – sie sei spazierengeritten und im Schlosse während des Wetters „untergetreten“.
„Nun, wird mir nicht auch eine süße Heimkehr in Schönwerth? Kann man liebenswürdiger und besorgnißvoller empfangen werden?“ fragte Mainau in kaltspöttischem Tone und neigte leicht hinüberdeutend den Kopf nach der Freitreppe des Schlosses. Die Herzogin im königsblauen Reitkleide war rasch aus der Glasthür getreten – der Sturm faßte peitschend ihre lang über den Nacken herabhängenden schwarzen Locken und riß und pflückte an der weißen Straußenfeder ihres Hutes; aber sie ergriff mit beiden Händen das Treppengeländer und starrte so ungläubig erstaunt nieder auf das scheinbar einträchtig daherkommende Paar, welches Leo in seiner Mitte führte, daß sie Mainau’s Begrüßung ganz übersah. Sie zog sich mit einer stolzen Wendung des Kopfes ebenso rasch wieder zurück und lehnte bequem in einem Fauteuil zwischen dem Hofprediger und dem alten Herrn, als die Heimkehrenden den Salon betraten.
Es war, als zögen die Wetterwolken auch droben an der Decke des Saales hin, ein so häßlich gedrücktes Halbdunkel webte in dem weiten Raume – die weißen Gypsornamente dämmerten gespenstig an den Wänden; noch fahler aber erschien das maskenhaft bleiche, in grimmem Spotte verzogene Antlitz der fürstlichen Frau; das ungewisse trübe Tageslicht löschte selbst den Glanz ihrer schönen Augen – wie glimmende Kohlen lagen sie unter der tief eingebogenen Krempe des hellgrauen Filzhutes. Sie erwiderte Lianens höfliche Verbeugung mit einem hochmüthigen Kopfnicken.
„Was in aller Welt sind das für Grillen, Raoul?“ rief der Hofmarschall seinem Neffen ärgerlich entgegen. „Lässest Wagen und Pferde im Stiche, um eine sentimentale Promenade durch den Wald zu machen! … Weißt Du auch, daß es beinahe ein Unglück gegeben hat? Wie kannst Du nur einem so dummen Burschen, wie der André ist, die wilden Wolkershäuser Pferde allein überlassen! Sie sind ihm durchgegangen – er kam halb todt vor Angst und Schrecken hier an.“
„Lächerlich – er hat sie seit Jahr und Tag allein unter den Händen – sie werden wieder einmal vor dem Meilensteine gescheut haben. … Uebrigens hat meine Heimkehr durch den Wald nicht im Entferntesten etwas mit der leidigen Sentimentalität zu schaffen – ich hatte nur keine Lust, mich ferner vom Sonnenbrand auf dem Kutschersitz ausdörren zu lassen.“
„Und Sie, meine Gnädigste, hätten auch am besten gethan, allein nach Ihrem Forsthaus zu gehen, für welches Sie so plötzlich passionirt sind,“ sagte der alte Herr mit schneidender Stimme zu der jungen Frau, ohne auch nur den Kopf nach ihr zu wenden – er hielt es nicht für nöthig, seine bequeme Stellung um ihretwillen zu verändern. – „Ich muß Sie dringend bitten, meinen Enkel nicht so ausschließlich als Trachenberg’sches Eigenthum zu reclamiren, mit welchem Sie nach Belieben schalten und walten zu dürfen meinen – ich habe eine angstvolle Stunde um das Kind verlebt.“
„Das bedaure ich herzlich, Herr Hofmarschall,“ entgegnete Liane aufrichtig, die dabei fallenden impertinenten Stiche ruhig verschmerzend.
Die Herzogin war sichtlich heiter geworden. Sie zog Leo zu sich heran und herzte ihn. „Er ist ja unversehrt wieder da, mein bester Herr von Mainau,“ sagte sie begütigend zu dem alten Herrn.
Leo wand sich mit derber Abwehr aus den schönen Armen [206] – „dem Erbprinzen seine Mama“ hatte er nun einmal nicht lieb, wie er stets hartnäckig versicherte. Desto besser gefiel ihm die Reitgerte der hohen Frau, die vor ihr auf dem Tische lag – der Griff bestand aus einem schöngearbeiteten Tigerkopf von Gold mit Brillantenaugen. „Die Reitgerte ist auch mit auf dem Bild, das auf Papa’s Schreibtisch gestanden hat,“ sagte er – er meinte die große Photographie der Herzogin im Reitcostüm. „Aber jetzt steht sie nicht mehr dort“ – pfeifend ließ er die Gerte durch die Luft sausen – „alle anderen Bilder auch nicht, und wo sie gehangen haben, ist die Tapete noch sehr schön roth – und der dumme blaue Schuh ist auch fort –“
„Wie, Baron Mainau, haben Sie tabula rasa gemacht?“ fragte die Herzogin mit zurückgehaltenem Athem. „Haben Sie alle diese pensionirten Andenken in einen Winkel zurückgestellt?“ Der ganze unbändige Stolz der regierenden Frau lag in ihrer Haltung; in ihrer tiefen, halbversagenden Stimme aber klangen tödtlicher Schrecken und eine wilde Angst und Spannung nebeneinander. … Sie kannte Mainau’s Zimmereinrichtung genau – zu Lebzeiten der ersten Frau hatte sie mancher Soirée in jenen Räumen beigewohnt.
Er stand ihr gegenüber – ruhig, fast amüsirt begegnete sein Blick ihren leidenschaftlich flammenden Augen. „Hoheit, sie sind sorgfältig eingepackt,“ sagte er. „Ich gehe ja fort auf lange und werde doch diese Andenken nicht dem Staube und den ungeschickten Händen der Bedienung überlassen.“
„Aber, Papa mein Bild hast Du doch nun dahin gestellt, wo erst die Glasglocke mit dem alten Schuhe stand,“ erinnerte Leo hartnäckig; „und darüber hängt das neue Bild, das die Mama gemalt hat.“
Nicht auf das Gesicht der Herzogin oder eines der anderen Anwesenden fiel Mainau’s Blick in diesem Moment – mit einer jähen Wendung des Kopfes sah er nach der jungen Frau hin, so scheu und dabei so zornig, als sei er wüthend darüber, daß gerade sie diese kindliche Ausplauderei mit angehört habe.
„Also Du hast das Bild confiscirt, Raoul?“ rief der Hofmarschall lebhaft. „Ich hatte mir erlaubt, die Behauptung der Frau Baronin, daß sie die Skizze nicht wieder an sich genommen habe, ein wenig zu bezweifeln – um Vergebung, meine Gnädigste! Ich that Ihnen unrecht.“ Er neigte den Kopf spöttisch feierlich gegen Liane. „Nun meinetwegen – bei Dir ist es gut aufgehoben, Raoul; mag es in der Fensterecke bleiben! … Weißt Du aber auch, zu welchem Preise es die Künstlerin selbst abgeschätzt hat? .. Vierzig Thaler –“
„Ich muß Dich sehr bitten es mir zu überlassen, wie ich den Ausgleich bewerkstelligen will,“ unterbrach ihn Mainau heftig. Der alte Herr schrak ein wenig zusammen vor diesem tief verfinsterten Männergesicht – sah es doch fast aus, als wolle die festgeballte Rechte dort sich drohend heben.
Die Herzogin und ihre Hofdame saßen verständnißlos bei diesem kleinen Wortwechsel – der Hofprediger aber, der sich bis dahin vollkommen passiv verhalten, stemmte, den Oberkörper vorgebeugt, beide Hände auf die Armlehnen seines Stuhles – es war eine Stellung, so dämonisch lauernd und gespannt lauschend, als spüre er in Blick, Stimme und Geberden des schönen heftigen Mannes einem scheuen Geheimniß nach.
„Mein Gott, rege Dich nicht unnöthig auf, bester Raoul!“ beschwichtigte der Hofmarschall. „Weshalb echauffirst Du Dich denn? Ich will ja nur Gerechtigkeit.“
Mainau sah ihm ernst in das Gesicht. „Das will ich glauben Onkel – nur passirt es Dir leicht, daß Du Dich im Ausüben derselben allzusehr in der Form vergreifst. … Niemand schwört lieber auf Dein Rechtsgefühl als ich – Du bist ja der einzige noch lebende Mainau, an den ich mich halten kann mit meinem Standesbewußtsein, mit dem Stolz auf die Ehrenhaftigkeit unseres Geschlechts. … Apropos, da fällt mir ein – kann ich nicht noch einmal Einsicht in die Papiere nehmen, durch die sich Onkel Gisbert auf dem Krankenbett seiner Umgebung verständlich gemacht hat? … Ich wurde in Wolkershausen lebhaft an ihn erinnert, als ich vor seinem wundervollen Oelbild stand und zu meinem Schrecken bemerkte, daß es durch Staub und Feuchtigkeit gelitten hat und restaurirt werden muß. … Aus den Papieren spricht doch noch sein scheidender Gruß zu uns.“
„Du sollst sie haben – muß es denn sofort sein?“
„Sie sind ja wohl dort in einem der Raritätenkasten aufbewahrt?“ meinte Baron Mainau leichthin und zeigte nach dem Rococoschreibtisch. „Wenn Du die Güte haben wolltest, aufzuschließen –“
Der Hofmarschall stand schon auf seinen Füßen und stelzte bereitwillig durch den Saal. Er schloß denselben Kasten auf, in welchem das Billet der Gräfin Trachenberg lag. Mit spitzen Fingern faßte er zart das rosenfarbene Papier und zeigte es diabolisch lächelnd der Herzogin hinüber. „Schöne Erinnerungen, Hoheit – ein rosiger Duft – nichts weiter, und ist mir doch Tausende werth!“ rief er frivol auflachend und warf es in den Kasten zurück. Dann nahm er eine mit schwarzem Band umwickelte dicke Papierrolle heraus. „Hier, mein Freund!“ – Er reichte sie Mainau hin, der das Band sofort löste.
„Ah – da liegt ja die Verfügung bezüglich Gabriel’s obenauf,“ sagte Mainau, einen schmalen Papierstreifen aus dem Inneren der Rolle nehmend. „Es war ja wohl der letzte schriftliche Ausdruck seines Willens?“
„Es war sein letzter Wille,“ bestätigte der Hofmarschall unbefangen, indem er zu seinem Rollstuhl zurückkehrte.
Mainau nahm noch einige Papiere heraus und legte sie nebeneinander auf den Tisch. „Merkwürdig!“ rief er. „Diese letzte Verfügung ist nur wenige Stunden vor seinem Tode geschrieben, wie man mir sagt, und doch sind es die unverändert eigenthümlichen, krausverschlungenen Schriftzüge; selbst bis auf Punkt und Komma bleiben sie sich treu – der herannahende Tod hat keine Gewalt über die Festigkeit seiner Hand gehabt. … Und das ist gut – wie leicht könnte sonst dieses ohne gerichtliche Zeugen geschriebene Blatt angezweifelt werden.“
Die Herzogin nahm ihm neugierig den Papierstreifen aus der Hand. „Charakteristisch, aber schwer zu entziffern ist diese Hand,“ meinte sie. – „Ich bestimme den Knaben Gabriel ausdrücklich für den geistlichen Beruf – er soll im Kloster für seine tiefgefallene Mutter beten“ – las sie stockend einen der Sätze ab.
„Willst Du Dir diese interessanten letztwilligen Verfügungen eines Sterbenden nicht auch einmal ansehen, Juliane?“ wandte sich Mainau unbefangen an die junge Frau, die, ihre Hände auf die hohe Lehne gelegt, hinter einem leeren Fauteuil stand. Sie sah nicht auf zu ihm, der sie tief zu beschämen suchte. Niemand von Allen, die um den Tisch saßen, ahnte, was er bezweckte – für sie allein war jedes Wort ein gutgezielter Messerstich. Warum war sie auch so vermessen gewesen, die Hand nach dem bedeckenden Schleier auszustrecken, auf den Frau Löhn bedeutsam hingewiesen! … Mainau hielt ihr zwei Blätter hin, und sie verglich sie, ohne dieselben zu berühren, mit pflichtschuldiger Aufmerksamkeit. Es war genau eine und dieselbe Handschrift, genau ein und derselbe Schnörkel am Schlußwort – dabei waren diese Züge zu originell, zu sonderbar eigenwillig, als daß man an eine Fälschung hätte denken können, und doch –
Ein eintretender Lakai, der auf silbernem Teller Mainau eine Karte überbrachte, machte der peinlichen Situation ein Ende.
„Ach ja!“ rief der Hofmarschall und schlug sich leicht vor die Stirn; „das habe ich rein vergessen, Raoul! … Vor einer Stunde fuhr ein junger Mann vor und stieg aus dem Wagen, so selbstverständlich und ungezwungen, als beabsichtige er hier zu bleiben. … Er hat auch behauptet, auf Deinen Befehl gekommen zu sein, und wäre mir nicht das unschätzbare Glück zu Theil geworden, Ihre Hoheit begrüßen zu dürfen, dann hätte ich ihn angenommen, um zu hören, was er eigentlich will –“
„In der That dableiben, Onkel – es ist Leo’s neuer Hofmeister,“ versetzte Mainau gelassen und legte sorgfältig die Papiere aufeinander.
Der Hofmarschall bog sich vor, als höre er nicht recht. „Mein lieber Raoul, ich glaube, ich habe Dich falsch verstanden,“ sagte er langsam, jedes Wort accentuirend. „Sagtest Du wirklich: Leo’s neuer Hofmeister? … Mein Gott, sollte ich denn monatelang geschlafen haben ober fieberkrank gewesen sein, daß ich davon nichts weiß?“
Mainau’s Mundwinkel zuckten sarkastisch. „Die Veränderung hat sich durchaus nicht monatelang vorbereitet, Onkel. Der junge Mann ist mir früher schon einmal vorgeschlagen worden, und jetzt, wo ich seiner bedurfte, habe ich ihn kommen lassen. Glücklicherweise war er gerade frei und so unbehindert, daß er zwei Tage früher hier eingetroffen ist, als ich bestimmt hatte. Das ist mir
[207] [208] insofern nicht lieb, als ich Dir wenigstens einen Tag vorher seine Ankunft anzuzeigen wünschte.“
„Es würde wenig an meiner Willensmeinung geändert haben, nach welcher dieser hereingeschneite junge Mann nicht in Schönwerth bleiben wird.“
Mainau hatte eben die gelösten Papiere in den Händen und war im Begriffe, sie nach dem Schreibtische zurückzutragen – bei den letzten, mit unglaublicher Impertinenz gesprochenen Worten des alten Herrn blieb er, wie durch einen Ruck festgehalten, sofort stehen und wandte das Gesicht nach dem Sprechenden zurück – die Damen schlugen unwillkürlich und ängstlich die Augen nieder vor dem Ingrimme und der tiefen Gereiztheit, die das schöne Gesicht des Mannes entstellten.
Der Hofmarschall ließ sich nicht beirren; er war innerlich wüthend – man sah es an seinem scharf hervorgeschobenen Kinne, an der Art und Weise, wie er seine bleichen Finger in das purpurseidene, auf seinem Schooße liegende Taschentuch vergrub. „Darf man wenigstens erfahren, was Dich veranlaßt hat zu diesem plötzlichen – Staatsstreiche?“
„Das könntest Du Dir selbst sagen, Onkel,“ antwortete Mainau sich bezwingend, mit leichtem Hohne. „Ich verreise – was ich wohl nun sattsam angesprochen habe – für Jahr und Tag; die Baronin geht nach Rudisdorf; sie wird Leo nicht mehr unterrichten;“ – bei dieser eisigkalten Hindeutung hob die Herzogin die gesenkten Lider, und ein unverschleierter Triumphblick flog nach der jungen Frau hin, die still und gelassen in ihrer bisherigen Stellung verharrte – „und – was mir in der That die Hauptsache ist,“ fuhr Mainau fort – „wir können unmöglich vom Herrn Hofprediger verlangen, daß er auch im Winter so oft nach Schönwerth kommt, um Leo Religionsunterricht zu ertheilen.“
„Ah bah – das machst Du mir nicht weis – an diesen Grund glaubst Du selbst nicht. Du weißt im Gegentheile recht gut, daß unser lieber Hofprediger sich kürzlich sogar erboten hat, das Kind auch in anderen Fächern zu unterrichten –“
„O ja, ich erinnere mich,“ versetzte Mainau trocken; „aber bei meinem Grauen vor gefälschter Welt- und Naturgeschichte wirst Du es begreiflich finden, wenn ich für so viel Güte und Aufopferung danke.“
„Herr Baron!“ fuhr der Hofprediger auf.
„Hochwürden?“ frug Mainau langsam und hohnvoll zurück und ließ aus den halbgesunkenen Augen einen messenden Blick über ihn hinstreifen
Wir leben in einer strengen Zeit, die von Allem, was Geschichte sein will, verlangt, daß es seine Urkunde vorweise. Jede andere Ueberlieferung, und hätten Glaube und Verehrung sie im Herzen der Völker Jahrhunderte geweiht, wird aus den Rollen der Geschichte gestrichen, wenn sie ihren Schein nicht beibringt. So kommt es, daß die Sage, deren Grenzlinie wir früher jenseits der Morgenröthe der Geschichte suchten, in Einzelerscheinungen mit einem Male weit in die geschichtliche Zeit hereintritt, oder daß Personen und Thatsachen, die in der Geschichte bisher ein ganz besonderer Strahlenkranz schmückte, plötzlich zu unverbürgten Gestalten und Nachrichten degradirt und in das Gebiet der Sage zurück verwiesen werden.
So ist der „heilige Nepomuk“ vor der historischen Kritik zu einer Erfindung der Jesuiten zusammengeschrumpft; so sind die „Vierhundert von Pforzheim“, die wir mit so schönem Stolze der Leonidas-Schaar der Griechen an die Seite stellten, durch die unerbittliche Forschung nach dem Schein uns genommen worden; so ist Wilhelm Tell, trotz Tells-Platte und Tells-Capelle, am Mythenstein vorüber in das Land der Mythe heimgegangen; ja, so haben die Schweizer den größten patriotischen Schmerz erlebt, als sie sogar für den vergöttertsten ihrer Volkshelden, den noch vor neun Jahren mit einem prachtvollen Denkmal verherrlichten Arnold Winkelried, die verbürgende Urkunde nicht aufspüren konnten, und so sank auch er zur ewigen Dämmerung der Sage hinab. Nach solchen Erscheinungen darf es nicht Wunder nehmen, wenn auch gegen ein Zimmtholzfeuer, welches einen kaiserlichen Schuldbrief verbrannt haben soll, die Vernichtungskritik bereits den Drohfinger erhebt, weil ihm der beglaubigende Schein fehlt.
Der Vorgang, den unser Bild vorstellt, wird gewöhnlich und noch heute so erzählt: Zu dem Kriege gegen die Türken, mit welchen der allerchristlichste König von Frankreich sich gegen das Deutsche Reich verbündet hatte, und insbesondere zu dem Seezug gegen Tunis 1535, hätten die Fugger dem Kaiser Karl dem Fünften ansehnliche Summen vorgestreckt. Bekannlich endete dieser Zug sieg- und ehrenreich für den Kaiser, der den Feind vollkommen demüthigte und über zwanzigtausend gefangene Christen aus der Sclaverei befreite. Als nach diesem Triumph Karl wieder nach Augsburg kam und, wie früher schon, bei Fuggers als Gast herbergte, da habe Herr Anton Fugger im Kamin eines Saales, der heute noch gezeigt wird, dem Kaiser ein Feuer von dem kostbaren Zimmtholze anzünden lassen; aber nicht genug damit: er holte auch jene Schuldverschreibung herbei und warf sie hinein – vor des Kaisers und seiner Begleitung jedenfalls staunenden Augen. So etwa soll die Sache sich zugetragen haben.
Und warum nicht? Denn die Möglichkeit ist vorhanden: seine Mittel erlaubten ihm das! – Davon werden wir uns durch einen Gang zu den Fuggers von damals am besten überzeugen.
Wir können in diesem Artikel unsere Leser nicht Schritt vor Schritt durch die Jahrhunderte führen, die zwischen dem Häuschen im Dorfe Graben auf dem Lechfelde, in welchem Hans Fugger’s Webstuhl gestanden, und dem Fugger-Hause am Weinmarkte in Augsburg liegen, in welchem Deutschlands römische Kaiser als Gäste der Fugger ein- und ausgingen und welches das Geschlecht der Gegenwart durch die Hand der Kunst auch äußerlich wieder mit fürstlicher Pracht geschmückt hat. Da aber unser Künstler uns gleich einen Einblick in die glanzreichen Tage der Fugger im Reformationszeitalter eröffnet, so überlassen wir einer für die Fugger-Geschichte ganz vorzüglich ausgerüsteten Feder die Darstellung derselben für später und treten sofort in jene Räume, die uns die Beziehungen des Fugger’schen Reichthums zu Kunst, Wissenschaft und Luxus in jener Blüthezeit der Kunstgewerbe vor dem Dreißigjährige Kriege zur Anschauung bringen.
Waren es auch in Augsburg nicht blos die Fugger, welche das Wiederaufleben der Künste und Wissenschaften zur Pflege eines edeln Luxus benutzten, haben auch die Welser, Peutinger, Walter, Baumgarten, Hainzel, Schwarz etc. darin viel Bewundertes geleistet, so sind jene doch von Niemandem übertroffen worden, so daß ihr Haus und dessen Einrichtung zu Ende des Mittelalters und zu Anfange der neueren Zeit als Muster für alles Damalige der Art gelten kann.
Die Häuser der reichsten Geschlechter zeichneten sich schon durch ihre Größe sowie durch die Kupferbedachung und den Bilderschmuck an den Außenwänden vor denen der anderen Bürger aus. Die in ganz Süddeutschland zu jener Zeit herrschende Sitte, in besagter Weise hervorragende Gebäude von außen mit großen Bildern auf nassem Wurfe (al fresco) bemalen zu lassen, zog zuerst fremde Künstler herbei und erhob die Lust, auch für den inneren Schmuck nur das Werthvollste zu erwerben. So weiß man, daß Joseph Hainz, der schweizerische Maler und Architekt, und Christoph Amberg aus Nürnberg, ein Schüler des jüngeren Holbein, am Fugger-Hause thätig waren. Aber selbst Titian und nach ihm Giulio Licinio, genannt der jüngere Pordenone, kamen durch die Fugger nach Augsburg, was Ersterer da geschaffen, wurde ihm mit dreitausend Kronen gelohnt; Letzterem gestattete der Kaiser, während des Reichstages von 1559 sein Kunst- und Malwerk, die allein auf römische Art, wie es heißt, gestaltet war, allda zu treiben, und die Stadt gab ihm später sogar ihr Bürgerrecht umsonst. Unter den einheimischen [209] Künstlern beschäftigten die Fugger namentlich die Holbein, Hans Birkenmaier, Hagenauer und Johannes Fischer, welcher Bildnisse und Historien, meist auf Kupfer, mit Farben von bewundernswerther Dauerhaftigkeit malte. Von ihren Architekten hat sich das glänzendste Denkmal Elias Holl gesetzt in dem von ihm erbauten Rathhause. Graf Hans Jakob Fugger hatte ihn in Venedig zum Meister ausbilden lassen; ihm wird nachgerühmt, er habe „halb Augsburg“ gebaut. In großer Beliebtheit standen auch die Sculptur und die Schnitzereien in Holz und Elfenbein; ebenso hat man noch heute Gelegenheit, in alten Patricierhäusern die feinen Schreiner- und Schlosserarbeiten zu bewundern.
An all’ solchen Herrlichkeiten fehlte es nirgends weniger als im Fugger-Hause. Man geht natürlich an der Hand der alten Augsburger Chronisten und Geschichtschreiber hinein, denen so gewissenhaft auch der brave Geschichtsforscher und Patriot Hans Karl Dippold (gestorben 1811 in Danzig) nachgegangen ist, um dem deutschen Volke in seiner erbärmlichsten Zeit, 1811, die Bilder großer vergangener Tage zum Troste und zur Ermuthigung vorzuführen. Ihm folgen wir in diesen Schilderungen.
Von marmornen Säulen getragen, deren Knäufe dem Muster der Alten nachgebildet waren – so berichtet er –, stieß ein geräumiges und geschmücktes Gemach an das andere, unterbrochen von warmen Bädern und bedeckten Lustgängen, und überall hatte man die getäfelten Decken und Zierrath aller Art zu bewundern. Im Schlafgemache zog der vergoldete Stubenhimmel und ebenso das Bett wegen seiner Prächtigkeit aller Augen auf sich; an dasselbe stieß ein Betstübchen, dem heiligen Sebastian geweiht, dessen Sessel besonders kostbar an Stoffen und Arbeit waren. In Raymund Fugger’s Hause rühmten die Besucher jener Zeit vor Allem die großen Säle mit den reichgeschmückten Kaminen und die Thüren, die durch des Hauses Mitte alle genau aufeinander stießen; auch wird die häusliche und künstlerische Ausstattung aller Räume zwar reich, doch solid und durchaus nicht verschwenderisch genannt. Hier hat sich freilich wiederum der Begriff nach der Größe der Mittel zu dehnen. Denn wenn man an den Wänden nur prächtige Gemälde von den besten, zum nicht geringen Theile italienischen Meistern sah, so war das eben auch nicht Jedermanns Kauf. Mehrere Gemächer enthielten die Antikensammlung, welche Graf Raymund mit ungemeinen Kosten überall her, wo er solcher habhaft werden konnte, meistens aber aus Griechenland und Sicilien herbeigeschafft hatte. Im ersten Zimmer standen die Bronzen, u. A. ein Jupiter, ein Neptun, ein Mercur, eine Pallas etc., Manches kaum kenntlich unter dem Roste des Alterthums. Der Hauptschatz des zweiten Gemachs war eine liegende Circe aus Stein, rings um sie her auf dem Rande der Marmortafel die Opfer ihrer Zauberei. Ein drittes Zimmer füllte eine große Sammlung zum Theil noch wohl erhaltener, zum Theil zertrümmerter Sculpturwerke an. – Die Anlegung von Münzsammlungen war durch Peutinger eine Leidenschaft der Hochmögenden in Augsburg geworden. Die Fugger thaten’s ihm zuerst nach, dann zuvor; Beiden folgten die Hopfer, Buroner, Steininger und Hainhofer, deren Sammlungen ein Stolz Augsburgs waren, bis der Dreißigjährige Krieg alle verschlang.
Wie die bildenden Künste, so fanden auch die Wissenschaften an den Fuggern Förderer und Pfleger. Ihre Bibliothek galt für eine der größten nicht blos in Augsburg; doch waren namentlich hierin die Ansprüche in der alten Zeit bescheidener, als in unseren Tagen der Dampf-Schnellpressen. Die Bücherei des Klosters Hirschau zählte im zwölften Jahrhundert sechszig Bände, und das war etwas Außerordentliches. Welch gepriesenes Geschenk war 1421 die Bibliothek, mit welcher der Kurfürst Ludwig von der Pfalz seine Universität Heidelberg beglückte; es waren zweihundertzweiundfünfzig Bände. Peutinger’s Sammlung war stärker, doch noch gering gegen die der Fugger, die aus fünfzehntausend Stück bestand – und besonders durch einen Reichthum an griechischen und römischen Handschriften ausgezeichnet war. Letztere verschaffte ihnen, oft um ganz bedeutende Summen und mit unglaublicher Mühe, ihr Sachwalter am türkischen Sultanshofe, Johann Doreschwan. Einer ihrer besten Bibliothekare war der seiner Zeit berühmte Humanist und lateinische Dichter Hieronymus Wolf, dem trotz alles Wissens sein Glaube an Zauberei, Astrologie und Chiromantie ein elendes Leben bereitete, und Heinrich Stephan zu Paris, den Ulrich Fugger zur Herausgabe alter Handschriften in Sold nahm und der gar manches Buch selbst schrieb, setzte und druckte, nannte sich 1558 bis 1567 „des erlauchteten Ulrich’s Fugger Buchdrucker“. – Sogar zwei künstliche Sphären, von M. Furtenbach und von Albrecht Dürer’s Hand, gehörten zu dem gelehrten Apparat. In eigens dazu eingerichteten Gemächern saßen nun da die Gelehrten und Schriftsteller, oft weit her, als Gäste der Fugger und schwelgten im Genuß der so seltenen Schätze. Wie dieselben von Augsburg fort- und wohin sie gekommen, gehört in die Geschichte der Fugger.
Auch die Pflege der Tonkunst war ihnen nicht fremd Wie sie im Besitz ihrer eigenen Orgel waren, und zwar in ihrer prächtigen Capelle in der Sanct Annenkirche, in welcher in Stein, Marmor, Holz und Farben die Kunst viel Herrliches geleistet, das bis auf heute bewahrt ist, so hatten die Fugger auch ihre eigenen Organisten und Componisten, wie Gregor Aichinger, dessen „Cantionen“ 1546 zu Augsburg gedruckt wurden, Martin Boets aus Brüssel, einen kunstreichen Mann, und Leo Haßler aus Nürnberg, den Schöpfer vieler Messen und Kirchenstücke.
Manche behaupten, daß noch sehenswerther, als die von aller Kunst erfüllten Häuser und Capellen, die Gärten der Fugger gewesen seien. Sie lagen theils im Bezirke der Ringmauer, theils vor dem Thore. Allerdings gehörte der Geschmack jener Zeit dazu, um von ihrer sorgfältig geschnittenen Buchsbaumwelt, den schnurgeraden Baumgängen und den steifzierlichen Lauben so entzückt zu werden, wie jener poetische Fuggerverherrlicher, welcher, zwischen den „mehr als dädalischen“ Labyrinthen, Springbrunnen, Wasserwerken, Bäumen und italischen Gewächsen lustwandelnd, nur darüber erstaunt war, daß nicht alle Götter des Olymps sofort sich auf die Sohlen machten, um auf dem sammtenen Wasen und des Gartens Tapezerei ihre himmlische Lust zu suchen. Blumen, wie sie diese Gärten erforderten, waren eine kostbare Waare, denn da mußten nicht blos die herrlichsten Hyacinthen und Narcissen blühen, sondern auch die Tulpe begann damals vom Morgenland her ihren Triumphzug nach Europa. Zwar trug der Schweizer Conrad Gesner, der deutsche Plinius genannt, den Sieg davon, die neue Wunderblume Tulipa Gesneriana zu nennen, aber die Augsburger lassen es sich nicht nehmen, daß schon zwei Jahre vor ihm, 1557, ihr Mitbürger Heinrich Herwarts die ersten Tulpenzwiebeln aus Constantinopel erhalten habe. Da werden sie auch die Fugger nicht lange vermißt haben, in deren Gärten außerdem das edelste Obst wuchs, Oliven und Lorbeeren immer grünten und Franzosenholz (Buchsbaum) und Weinreben vortrefflich gediehen. Wer will es da einem zeitgenössischen Autor, Herrn Beatus Rhenanus, verargen, wenn er vor all den Lusthäusern, Bädern und Bildsäulen von Erz und Marmor inmitten dieser duftenden und farbenglühenden Herrlichkeit ausruft: Selbst die königlichen Gärten zu Tours und zu Blois, die er doch auch gesehen, seien nichts gegen die der Fugger.
Und in solchen Wohnungen und Gärten beherbergten diese Augsburger Kaufherren und Geldgroßen ihre Kaiser! Und da soll es unglaublich sein, daß sie nicht bloß Zimmtholz, sondern auch Schuldscheine ihnen zu Lieb’ und Ehren verbrannt hätten? An der Glaubhaftigkeit mäkelt auch Dippold, der gewissenhafte, nicht, aber – die Urkundlichkeit verläßt uns eben doch. Ja, es tritt sogar gegen die Wahrscheinlichkeit der Sage selbst ein Kämpfer auf, dem das ganze Augsburger Stadtarchiv dazu zu Gebote steht. Derselbe theilt der Redaction der Gartenlaube darüber das Folgende mit:
„Die Wahrheit dieser Scene muß aus verschiedenen Gründen auf das Stärkste angezweifelt werden. In keiner einzigen der sämmtlichen gleichzeitigen Geschichtsquellen findet sich eine Andeutung jener Erzählung. Historisch beglaubigt ist nur so viel, daß die Fugger schon seit der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts die Hofbanquiers der Habsburger waren. Schon im Jahre 1473, als Kaiser Friedrich sich in Augsburg zum Zuge nach Trier rüstete, um den Herzog Karl von Burgund mit Geldern zu belehnen, begann Ulrich Fugger mit den Fürsten des Hauses Oesterreich Geldgeschäfte die in der Folge zu enormer Höhe gelangten. 1509 zahlten die Fugger innerhalb acht Wochen an Kaiser Maximilian zum Kriege gegen Venedig die Summe von hundertsiebenzigtausend Dukaten aus. Von ihnen empfing [210] Karl der Fünfte die Mittel zu seinen Expeditionen gegen Tunis und Algier und zur Unterdrückung des Schmalkaldischen Bundes. Für diese Darlehen erhielten die Fugger große und reiche Herrschaften, Bergwerke in Tirol, Ungarn, Spanien und andere zum Unterpfande und gelangten, da diese Pfandschaften nicht mehr ausgelöst wurden, später in den Besitz derselben. Wenn also wirklich eine solche Verbrennungsscene gespielt hat, so darf sie doch nur in dem Sinne aufgefaßt werden, daß der Vernichtung der Schuldscheine irgend eine ausgleichende Bewilligung Seitens des Kaisers vorausgegangen ist.
„Die ganze Erzählung dürfte vielleicht die Erfindung eines schlauen Kopfes sein. In dem jetzigen Hôtel zu den ‚Drei Mohren‘, das bis in den Anfang des vorigen Jahrhunderts im Besitze der Fugger war, wird noch heute den Fremden ein Saal gezeigt, in dessen Kamin Fugger die Schuldscheine verbrannt haben soll. Die Täfelung der Decke dieses Saales ist unzweifelhaft alt, wenn auch nicht so alt, wie der Fremdenführer angiebt; der Kamin aber stammt sicherlich nicht aus der Zeit Karl’s des Fünften, sondern ist um Jahrhunderte jünger. Noch zweifelhafter als der Kamin ist die über demselben angebrachte, auf die Verbrennungsscene Bezug nehmende Inschrift, die geradezu als das Machwerk eines frühern Gasthofsbesitzers erscheint, der, die Eigenschaft seines Hauses als des zum alten Palast der Fugger gehörigen Theiles kennend und auf der alten Tradition der großen Geldgeschäfte der Fugger mit den Habsburgern fußend, unter Benutzung der für das Verständniß des reisenden Publicums leidlich wahrscheinlichen Localitäten zum Vergnügen desselben und zu eigenem Vortheile die ganze Geschichte mit ihren Details erfand.“
Das wäre das prosaische Ende, welches auch diesem alten Fugger-Nimbus durch die unerbittliche historische Kritik bereitet wird, und es kann uns hier, wie bei den zur Sagenwelt hinabgesunkenen Schicksalsgenossen dieser Scene, nur Das trösten, daß sie als Geschichte doch recht schön war und selbst als Sage noch schön und einer künstlerischen Darstellung würdig bleibt.
Der Saal aber, in welchen der Künstler uns geführt hat, ist durch ein anderes, wirkliches und uns Allen noch nahe stehendes Ereigniß zu unvergänglicher geschichtlicher Bedeutung gekommen. In diesen selben Räumen hat der deutsche Bundestag, fünfzig Jahre der furchtbare Alp der deutschen Nation, am 24. August 1866 die letzte seiner vielen, für Deutschland nur verderblichen Sitzungen gehalten.
Dieses heilvolle nationale Ereigniß, das zur Rückkehr in das alte Zersplitterungselend Deutschlands die letzte Pforte für immer verschloß, kann uns schon mit dem Verlust eines Stückchens alter Familiengeschichte versöhnen.
Der Krieg auf Tod und Leben, den seit Kurzem die Frauen im Staate Ohio gegen die Trinkstuben zu führen begonnen haben, und der sich bereits auf die Nachbarstaaten West-Virginien, Indiana und Illinois auszudehnen beginnt, müßte schon um des Geschlechts der Angreifer willen von höchstem Interesse sein, selbst wenn die Waffe, deren sie sich ausschließlich bedienen, nicht eine so ganz wunderliche wäre, da sie nichts Anderes als das Gebet und der geistliche Gesang ist. Um jedoch meinen Lesern einen klaren Einblick in diese eigenthümliche Erscheinung zu geben und sie zu einem alle Seiten derselben in Betracht ziehenden Urtheile zu befähigen, wird es um so nötiger, etwas weiter auszuholen, als dem Deutschen nach seinen Anschauungen, Sitten und Einrichtungen, so wie nach seinem nationalen Charakter eine solch gewaltsame Anstrengung ganz unbegreiflich erscheinen muß.
Es kann nicht bestritten werden und ist ein Gegenstand tiefster Besorgniß für jeden Patrioten, daß in den Vereinigten Staaten der Uebergenuß starker Getränke (Whiskey, Brandy, Cognac etc. und all’ jener mit den wunderlichsten Namen, wie „Hahnenschwanz“ etc., belegten Mischungen derselben) zu einem alle Stände, Geschlechter und Gesellschaftsclassen durchdringenden Laster geworden. So ist in den Abendgesellschaften der ersten Classen in den großen Städten der Union und insbesondere der Hauptstadt, Washington, den gebrannten Weinen ein gewöhnlich offener, häufig aber auch mehr oder weniger verschämt aufgestellter Tisch oder gewählter Nebenraum gewidmet. In den Eisenbahnwagen trägt die Mehrzahl der Reisenden aller Classen und auch Derer, die von in Gold und Sammet strotzenden Damen begleitet werden, eine kleine Flasche mit „etwas Stärkerem als Wasser“ bei sich, der nicht selten zugesprochen wird und die ich manchmal sogar schöne Lippen benetzen, öfter aber mit einem Blicke resignirter Scham zurückweisen sah. In der Stadt New-York betrug die Zahl der während des Jahres 1873 wegen Trunkenheit auf den Straßen aufgegriffenen Personen über achttausend, von welcher an sich erschreckenden Summe siebenzig Procent dem weiblichen Geschlechte angehörten. Es ist kaum glaublich und dennoch von der Polizeibehörde veröffentlicht. Der Umstand, daß diese unglücklichen von der Straße aufgegriffen wurden, möchte zu dem Schlusse veranlassen, daß sie nur den unteren Classen der Gesellschaft angehörten und daher nur unter ihnen das Laster solch furchtbare Verwüstungen anrichte. Dem scheint jedoch nicht so zu sein, ich sage „scheint“, um nicht eine Behauptung zu wagen, die ich zu beweisen außer Stande bin. Allein es ist ein offenes Geheimniß, daß sich das Laster in die ersten Familien eingedrängt hat, und daß über manchen Palast der Millionärstraßen die Trunksucht von Frauen oder selbst Töchtern einen tiefen, trostlosen Schatten wirft, und ich habe mehr als ein Mitglied des Senates der Vereinigten Staaten mühsam in seinen Armstuhl schwanken, fast aus demselben herausfallen und zuletzt darin einschlafen gesehen.
Eine tiefere Untersuchung der Frage, die sich jedem Leser wohl unwillkürlich aufdrängt, wie es komme, daß im amerikanischen Volke der übermäßige Genuß der allerstärksten Getränke so allgemein verbreitet sei, gehört, genau genommen, nicht in ein Unterhaltungsblatt. Allein es mag mir gestattet sein, einige der Ursachen, wie sie sich mir aufgedrängt haben, wenigstens anzudeuten
Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß mit vielem Vortrefflichen die Amerikaner ihre Vorliebe für starke Getränke von ihren Stammesgenossen, den Engländern, überkommen haben. Letzteren – ich hörte diesen wunderlichen Beweisgrund noch jüngst anführen – sind diese Getränke unentbehrlich wegen des feuchten, nebeligen Klimas. Ebenso sind sie, nach Autorität der Schnapstrinker, hier absolut nöthig, in dem aufreibenden, stündlich wechselnden Klima und dem überstürzenden Geschäftstreiben der Vereinigten Staaten. Sonderbarer Weise fand ich sie gleich unentbehrlich in dem äußerst trockenen Klima von Texas und den nördlichen Staaten von Mexico. Aber das Wunderbarste war, daß in Central-Amerika, wo man das Jahr so ziemlich in eine regnerische und in eine trockene Hälfte theilen kann, man, dem Rathe der Schnapsanbeter gemäß, in der einen Hälfte Branntwein trinken müsse, um der Feuchtigkeit, in der anderen, um der übermäßigen Trockenheit in ihren äußerst nachtheiligen Folgen auf das „System“ entgegenzuwirken. Und ich glaube in der That, die letzteren Schnapsphilosophen haben Recht, und sie irren sich blos über die Stelle, wo die große Trockenheit herrscht und gefährlich ist.
Meiner festen Ueberzeugung und eigenen Erfahrung nach ist dieses Laster, wie die meisten anderen, eine reine Gewohnheit, und die geschickte Weise, in welcher die Amerikaner auf diesem Felde, wie auf jedem andern, es verstanden haben, dem Fröhnen dieser Gewohnheit so Vorschub zu leisten, daß dabei möglichst wenig Zeit verloren wird und der ihr Huldigende durch eiligstes Bedienen, Hinunterstürzen im Stehen vor der Bar (dem Schenktische) und durch eine vor der Localthür aufgestellte spanische Wand vor Beobachtung geschützt wird, hat sicher das Umsichgreifen des Lasters wesentlich befördert. Was aber noch täglich die Zahl der Trinker und das Maß der vertilgten Quantitäten stärkster Branntweine vermehrt, ist das abscheuliche Tractiren (treat). Der Amerikaner trinkt nämlich fast nie allein oder für sich. Entweder ladet er eine Anzahl Bekannter zum Trinken ein, wo dann [211] Jeder nach seinem Geschmacke aus dem höllischen Trinkzettel bestellt, was ihm beliebt, und der Einlader für Alle bezahlt, oder er läßt sich einladen. Wenn ihm dazu die Mittel fehlen oder der Durst zu groß wird, um auf eine Einladung zu warten, so ist die an die Umgebenden gerichtete Frage: „Wer will tractiren?“ fast nie erfolglos.
Gewöhnlich tritt nun der bedauerliche Fall ein, daß mit einem Treat der Durst nicht gestillt ist, oder aber Einer oder der Andere der eben Tractirten hält es für seine Ehrenpflicht, nun auch sich liberal zu zeigen. Es wird also ein zweiter Treat bestellt und abgefertigt, wohl auch ein dritter und vierter etc., bis so ziemlich die Reihe an Jeden gekommen ist, und das Alles geschieht innerhalb fünf bis sechs Minuten. Die Einladung zu einem Treat auszuschlagen, gilt für eine tödtliche Beleidigung, und es gehört eine äußerst selten anzutreffende Charakter- und nicht selten auch Körperstärke dazu, es ungestraft zu thun. Das fast einzige Schutzmittel ist die Erklärung, man habe den Temperanz-Eid geleistet, wo dann die auch dem verworfensten Amerikaner anklebende Achtung vor jeder sittlichen Anstrengung sich geltend macht. Statt daß also, wie nach deutscher Sitte, sich jene Leute ruhig um einen Tisch gesetzt und im Laufe einer kurzen Unterhaltung Jeder für sich einen Schnaps, ein Glas Bier oder Wein getrunken und dafür eine geringe Ausgabe gemacht hätte, hat er fünf bis sechs in athemloser Hast hinuntergestürzt und eine nicht unbedeutende Zeche bezahlt.
Würde man nun annehmen, daß damit das Tagewerk vollbracht sei, so würde man sich sehr irren. Jeder dieser unserer fünf bis sechs Bekannten spielt dasselbe Stück etwa jede Stunde des Vormittags ab, freilich nicht in derselben Giftbude; diese wechselt mit seiner Beschäftigung und der Vorliebe des ersten Einladenden. Man kann sich hieraus leicht ein Bild vom Zustande des Kopfes und Magens eines solchen Menschen um die Mittags- ober Abendzeit machen, wenn der Herr Gemahl mit leerem Geldbeutel zum häuslichen Herde zurückkehrt. Ich habe Männer, selbst angesehene Kaufleute, Advocaten und mehrmals wiedergewählte Beamte, sogar Richter gekannt und kenne noch solche, die dreißig bis fünfzig „drinks“ täglich als ein ihnen zukommendes Minimum ansehen. Auf meine an einen irischen Schnapswirth gestellte Frage, weshalb er nicht lieber Tische hinstelle, an welchen seine Gäste sich niederlassen könnten, erwiderte er: „Dann wäre ich bald nicht mehr Herr im eigenen Locale; die professionellen Schnapstrinker, die Bummler und Strolche würden den ganzen Tag daran sitzen bleiben, im Winter wegen der Wärme, im Sommer wegen der Kühle.“ Sein Local war nämlich in einem Keller.
Die hier ausgesprochene Ansicht über die Gefährlichkeit der Einrichtung des Bar-Raums habe ich noch nirgends angedeutet gefunden, und ich würde vielleicht selbst auch nicht dazu gekommen sein – der Mensch wird sich meistens über das ihm täglich Begegnende am wenigsten klar –, wenn ich nicht während eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes in spanisch-amerikanischen Ländern bemerkt hätte, daß mit der Einrichtung eines solchen Etablissements an irgend einem Orte trotz der sprüchwörtlichen Nüchternheit und Enthaltsamkeit der spanischen Race die Trunksucht begann und sich mit zunehmender Zahl derselben vermehrte, zugleich aber auch die Anzahl Derer, die an Säuferwahnsinn starben, zunahm. Es ist nämlich erwiesene Thatsache, daß der reine Rum (aguardiente, aus Zucker bereitet) jener Länder nie jene entsetzliche Erscheinung zur Folge hat, und weiter, daß alten Rumtrinkern dieses Getränk zuletzt schal erscheint und daß sie mit der größten Gier und auch für den höchsten Preis zu den Giftproducten amerikanischer, französischer (Cognac!?) und deutscher Industrie (feine Liqueure) greifen.
Die unabweisliche Nothwendigkeit, gegen dieses entsetzliche, die Grundfesten des Gemeinwesens tückisch benagende Laster Mittel zu ergreifen, machte sich bereits über ein halbes Jahrhundert geltend. Anfänglich war die Bekämpfung des Uebels auf moralische Einwirkung durch die Presse, Kanzel und herumreisende Apostel beschränkt, und das angestrebte Ziel war Mäßigkeit im Genusse der gefährlichsten Gattungen von berauschende Getränken. Es liegen mir keine Materialien vor, um zu beurtheilen, welchen Erfolg jene Schritte gehabt, und ich kann mich so lange nicht dazu verstehen, aus den nachfolgenden fanatischen Maßregeln der sogenannten Temperanzfreunde auf deren Fehlschlagen zu schließen, so lange mir nicht nachgewiesen wird, daß blinder Fanatismus eher sein Ziel erreicht als allseitig erwägende Vernunft.
Wir sehen demnächst einerseits das sogenannte Licenzsystem einführen, wonach Niemand ohne Erlaubniß einer gesetzlich bestimmten Behörde, der es zusteht, dieselbe auch zu verweigern, eine Schenkwirthschaft eröffnen darf und dafür eine jährliche Abgabe an die Gemeinde oder den Staat zu bezahlen hat, und andererseits den Charakter der Gemeinschädlichkeit auch weniger starken Getränken, wie Bier, Apfel- und Traubenwein, aufdrücken.
Aber auch damit waren die Temperanzfanatiker nicht zu beschwichtigen und unter ihrem Einflusse erließ die Legislatur des nordöstlichsten Staates der Union, Maine (sprich Mähn), das absolute Verbot jedes Schenklocales und selbst des Einführens von Getränken zu Land oder See und gestattete blos den Apothekern, zu medicinischen Zwecken Branntweine zu halten, und zwar in kleinen Quantitäten, und auf Verschreibung der Aerzte sie zu verabfolgen. Es war erstaunlich, zu beobachten, welch entschieden nachtheiligen Einfluß dieses Gesetz in Maine wie in anderen ihm folgenden Staaten auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung hatte und für welche bisher ungeahnte Menge von Uebeln, „denen das Fleisch unterworfen“, geistige Getränke Heilmittel wurden. Das Resultat des unsinnigen Gesetzes war: jede Apotheke, jede Materialwaarenhandlung, ja ein großer Theil der Privatwohnungen wurden Schnapsbuden, und das gefährlichste aller Symptome dieses Lasters, „der heimliche Soff“, riß dermaßen ein, daß die Executivbehörden erschreckt sich zu einer milderen Praxis bequemen mußten, das heißt das Gesetz blieb ein todter Buchstabe.
Die totale Erfolglosigkeit der von den Fanatikern durchgesetzten Repressivmaßregeln und der heftige Widerstand, welchen denselben viele besonnene Leute unter den Amerikanern, besonders aber die Einwanderer vom europäischen Continente, an ihrer Spitze die Deutschen, entgegensetzten, rief eine Partei in’s Leben, die, wie es jedem Vermittler zwischen fanatisch Streitenden ergeht, bis jetzt fast noch ganz ohne Erfolg gearbeitet hat. Sie ist der Ansicht, daß es nicht der Genuß, selbst der übermäßige, von geistigen Getränken sei, welcher so beklagenswerthe Erscheinungen zur Folge habe, sondern vielmehr der Genuß verfälschter und aus der Gesundheit nachtheiligen Elementen zusammengesetzter Getränke; alle Getränke sollten daher einer chemischen Analyse unterworfen, die verfälschten und schädlichen zerstört und ihre Verfertiger bestraft werden. Sie wies überdies darauf hin, daß durch die gänzliche Unterdrückung des einheimischen Whiskey und Brandy, des Bieres und Weines fast ein Viertheil der Gesammtbevölkerung der Vereinigten Staaten, die theils mit der Erzeugung der dazu nöthigen Rohproducte, wie Mais, Hopfen, Gerste und Trauben, theils mit deren Darstellung und Versendung direct oder indirect beschäftigt sind, in Mitleidenschaft gezogen, wenn nicht brodlos gemacht würden.
In den letzten Jahren ist der Kampf der Temperanzler und ihrer Gegner immer erbitterter geworden. Keine Partei will von Vermittelungsvorschlägen hören. Die Temperanzler haben mehr und mehr eine religiöse Färbung angenommen, und ihre Gegner sind zu Maschinen in der Hand der Vereine von Brauern, Brennern etc. geworden. Es scheint, als ob die Temperanzler ihre fanatischen Zwecke zu verfolgen entschlossen sind, wenn auch Millionen darüber an den Bettelstab kommen sollten, und als ob ihren Gegnern der Ruin von Hunderttausenden von Mitbürgern und von Tausenden von Familien nichts gilt, wenn sie nur ihr Ziel erreichen. Es ist im höchsten Grade zu bedauern, daß die Mittelpartei noch so der Sache ruhig zusieht und sich nicht einmal ein öffentliches Organ von Bedeutung zur Vertretung ihrer Ansichten und Bekämpfung der Uebertreibungen Seitens der kämpfenden Hauptparteien verschafft hat.
Seit Anfang dieses Monats ist in diesem Kampfe eine ganz neue und völlig unerwartete Phase eingetreten. Wer der Erfinder der darin leitenden Idee, ist ebenso bestritten, wie das Verdienst mancher andern großen Erfindungen. Es scheint jedoch, daß dem seit langen Jahren als Humanist berühmten und vielseitig verdienten Dr. Dio Lewis (sprich Louis) von Boston die Palme zukommt, wenn es eine solche giebt. Für die deutschen Leser, die ja so vielseitige Wahlverwandtschaft mit Amerika haben [212] und von denen Mancher sich zur Auswanderung dahin vorbereitet oder doch sehnsüchtige Blicke herüberschickt, dürfte diese Episode in der Temperanzbewegung um so interessanter sein, als sie ihnen eine in Deutschland ganz unmögliche Erscheinung, die dagegen in den Vereinigten Staaten vom allerentschiedensten Gewichte ist, zur Anschauung bringt.
Schon seit mehreren Jahren kamen, besonders im Gebiete der jüngeren Staaten, wo überhaupt die Zustände noch manchmal unter einer keineswegs angenehmen Urwüchsigkeit leiden, Fälle vor, daß die Frauen eines Dorfes, einer Ansiedelung oder einer Stadt sich zusammenschaarten, in Masse einen gewaltsamen Angriff auf ein ihren Männern, Söhnen oder Brüdern besonders gefährliches Schenklocal machten, und in demselben, besonders aber unter den Fässern mit Getränken durch Einschlagen arge Verwüstungen anrichteten. So sehr auch die öffentliche Stimme im Urtheile gegen Frauen respectvoll und nachsichtig ist, und in diesem Falle um so mehr, als sich jeder Besonnene sagen mußte, daß meistens arge Herausforderung vorlag, so konnte doch diese Rücksichtnahme die Tumultuanten höchstens gegen strafrechtliches Verfahren, nicht aber gegen die Entschädigungsklagen derjenigen schützen, welche durch die ungesetzlichen Handlungen derselben Verluste erlitten hatten.
Es mußte also ein Verfahren erfunden werden, das bei gleicher Wirksamkeit doch weniger mit dem Strafgesetz in Conflict kam. Herr Dio Lewis empfahl daher, daß die Frauen, in den kleineren Ortschaften beginnend, sich zu dem Zwecke vereinigen sollten, „in hellen Haufen“ eine nach der anderen der Trinkstuben einnehmen und den Eigenthümer unter allen möglichen friedlichen Argumenten, ihrem häuslichen, durch den Trunk ihrer Männer veranlaßten Unglücke entnommen, bitten und beschwören sollten, ihrem Gewerbe zu entsagen und ihre Vorräthe an Getränken in die Straße laufen zu lassen. Würde ihren Bitten nicht entsprochen, so sollten sie in dem Trinklocale selbst sofort geistliche Lieder und Gebete zur Bekehrung des Widerspenstigen anstimmen und tagelang fortsetzen, bis sie ihr Ziel erreicht hätten. Würde ihnen das Verbleiben im Schenklocale nicht gestattet, dann sollten sie ihre Gebete und Gesänge vor der Thür des Hartnäckigen, auf dem Bürgerstieg oder in der Straße, oder in Nebenhäusern fortsetzen, bis das Ziel gewonnen.
Dieser Plan ist nun bereits seit fast einem Monate in praktischer Ausführung begriffen, und, wie es scheint, mit bedeutendem Erfolge, wenigstens auf dem Lande, das heißt, in den kleineren Ortschaften und Städtchen. Die einzige größere Stadt, in welcher diese Kreuzzüglerinnen sich bis jetzt versucht haben, ist die Hauptstadt des Staates Ohio, Columbus. Die in dem Feldzugsplane der Frauen befolgte Taktik ist überall die folgende: Zunächst wird eine Massenversammlung abgehalten, in der durch geeignete Ansprachen der Widerwille der Amerikanerinnen gegen Trinken und Trunksucht bis zum erforderlichen Grade von Aufregung und Fanatismus gesteigert wird. Dann verbinden sich die Frauen zu einem Mäßigkeitsverein; sie wählen Beamte, und die Geschäftsordnung beginnt. Alsdann werden die Opfer vorgeschlagen, die man zunächst heimzusuchen gedenkt. Ein Wirthshaus wird ausgewählt, eine Deputation ernannt – und die Frauenprocession formirt sich an der Schwelle der Kirche, in der gewöhnlich die Versammlungen stattfinden. Militärisch, zwei Damen immer nebeneinander, und in langem, zuweilen gegen hundert Frauen umschließendem Zuge, zieht die Procession durch die Straßen, bis das Ziel, ein Trinklocal, erreicht ist. Die frommen Damen, deren einzige Waffe in Sanftmuth und Ueberredung besteht, erbitten Eintritt, und wird dieser verweigert, so bleiben sie vor der Thür stehen. Eine Schwester erhebt dann ihre Stimme im Gebet, das sehr viele gute Lehren und noch mehr andächtige Stoßseufzer enthält und das die schwere Schuld des Spirituosenverkäufers und sein fluchwürdiges Gewerbe drastisch behandelt. Dem Sologebete folgt eine vom gesammten Frauenchor gesungene Hymne, am häufigsten eine aus dem schwungvollen, erweckenden methodistischen Gesangbuche. Der bekannte Refrain dieser Lieder gewinnt zuweilen durch den Chorgesang der Zuschauer eine nicht immer melodische Verstärkung. Alsdann tritt eine der Wortführerinnen zu dem entweder zerknirschten oder ergrimmten Wirthe und überreicht ihm ein Document mit der Bitte, dasselbe zu unterzeichnen. Die Denkschrift enthält das Gelübde, daß der Unterfertigte sich unter Verpfändung seines Ehrenwortes verpflichtet, dem Verkaufe geistiger Getränke fortan zu entsagen und zum eigenen Heile, wie zum Wohle seiner Mitbürger ein besseres Gewerbe zu erwählen. Auch die Stammgäste des Locals werden in ähnlicher Weise ermahnt, und in oder vor dem nächsten Trinksalon beginnt ein fernerer Act des seltsamen Schauspiels.
Die Ausdauer und Opferwilligkeit der betenden Frauen umhüllt diese auch zuweilen mit einem Nimbus des Märtyrerthums, der selbstverständlich eine fanatisirende Wirkung auf die umgebenden Volksmassen ausübt. So begann das Beten auf einem Platze, wo ein verstockt sündiger Gastwirth Haus hielt, um neun Uhr Morgens und dauerte ohne Unterbrechung bis zehn Uhr Abends, und zwar während mehrerer Tage. Die Frauen waren so organisirt, daß sie sich regelmäßig in ihrem Amte, die Geister des Weins und des Spiritus zu beschwören, ablösten. An einem anderen Orte, wo den Frauen der Eintritt in’s Gastzimmer verweigert wurde, knieten sie auf den kalten Steinen vor der Thür, vom Schneesturm umweht, und beteten für das Seelenheil des Wirthes, dem Gott nicht in gleicher Weise das Thor des Erbarmens verschließen möge. In einem Städtchen Indiana’s, wo sie nirgends Einlaß erhielten, zogen sie unter Weinen und Wehklagen in die Kirche zurück, so daß kaum ein Auge, das diesen Trauerzug erblickte, trocken blieb. In einer größeren Stadt Indiana’s, Columbus, grassirte die Seuche des Betens in ganz besonders aufregender Weise. Die Frauen erhielten hier Verstärkung durch wahrhaft begeisterte Beterinnen aus der benachbarten Quäkercolonie Azalia. Ein Augenzeuge schildert die Art und Weise, in der diese Quäkerinnen beten, als ganz besonders erschütternd. Tiefer Ernst und eine zum Herzen dringende Aufrichtigkeit charakterisiren diese Gebete, in denen Schwulst und Salbung und selbst das herkömmliche Amen vermieden wird. Die Worte klingen rhythmisch und brechen plötzlich ab, so daß man, seltsam ergriffen, noch lange lauscht, wenn das Gebet bereits verklungen ist.
Bis jetzt hatte der Kampf der Frauen in den Städten keinen bedeutenden Erfolg, doch währt er noch fort, und die Temperanzler sind hoffnungsvoll. Bereits bilden sich Vereine von Männern, welche bedeutende Summen unterzeichnen, um die nachgiebigen Wirthe zu entschädigen und ihnen die Mittel zu gewähren, einen andern Erwerb zu beginnen. Unter dem Einflusse der Mütter bilden sich Kindervereine, um die Bestrebungen der Frauen zu unterstützen. Wohl kann man mit dem Endziele dieser Frauenbewegungen einverstanden sein, und doch die Mittel, deren sie sich bedienen, entschieden verwerfen. Denn es ist nicht zweifelhaft, daß sie sich herausnehmen, gegen ein vom Gesetz anerkanntes und von ihm zu schützendes Gewerbe einen moralischen Zwang auszuüben, der jede andere Classe der Bevölkerung vor den Strafrichter bringen würde. Ueberdies übertreten sie die Polizeigesetze durch Versperrung des Eingangs der von ihnen belagerten Giftfestungen, der Trottoirs und Straßen. Allein dennoch ist es wieder unmöglich, nicht mit den Frauen zu sympathisiren, namentlich in Amerika, wo „das Recht, das mit uns geboren“, nicht selten das positive Gesetz niedertritt, und wo die Verehrung und Achtung vor allen Mitgliedern des weiblichen Geschlechtes ein so tief ausgebildeter nationaler Charakterzug ist, daß die Männer sich schweigend selbst Unarten und Ueberhebungen fügen. Diese Frauen streiten für das Höchste, was ihre Seele kennt, für häuslichen Frieden, für die Gesundheit und das Lebensglück ihrer Ehegatten, Söhne und Brüder; sie thun es muthig und unerschrocken, obwohl Alles gegen sie ist. Während sie in tiefem Schnee oder Straßenschmutz, in strömendem Regen und in schneidender Kälte ausharren, und kein Wort der Bitterkeit oder Drohung über ihre Lippen kommt, ja während sie das Einschreiten des von ihnen angebeteten höchsten Wesens zum Besten ihres Gebetes in inbrünstigen, lauten Gebeten und Gesängen herabrufen, ertragen sie ruhig die ihnen zugerufenen spöttischen Bemerkungen, Verhöhnungen und selbst manchmal Beleidigungen. Aus den Trinkstuben vertrieben, knieen sie in die schmutzigen Straßen, beten für ihren Verfolger und trotzen Wind, Schnee und Regen. Ob auch ein Wirth die in seinem Locale Knieenden mit Bier überschüttet, Schnupftabak über sie ausstreuet oder sie mit dem Stecheisen angreift, was alles vorgekommen ist – keine Widerrede kommt von ihren Lippen. Das Gesetz ist gegen sie angerufen von einem oder mehreren Wirthen; der Richter erläßt einen Einhaltsbefehl – [213] sie gehorchen ihm und ziehen vor andere Locale, bis das gerichtliche Verfahren entschieden sein wird. Ist das nicht edelster, großartigster Heroismus? Das lange stillleidende, niedergedrückte Weib, die von der Trunksucht ihres Mannes und ihrer Kinder in’s Herz getroffene Frau und Mutter, die verzweifelnde Schwester und Liebende erheben sich zur Beseitigung jener Höllen, in denen ihnen das Ihrem Herzen Theuerste verthiert, verunstaltet und sogar getödtet wird.
In wie weit diese Anstrengung, dieser feierliche Aufschwung im Leben der Frauen eines großen Theiles der Vereinigten Staaten einen dauernden Erfolg haben werde, ist freilich eine andere Frage. So viel ist klar, daß selbst wir Amerikaner bisher den Enthusiasmus und die Hingabe der Frauen an eine große Idee unterschätzt haben. Diese hochherzigen Impulse sind etwas mehr als bloße Gefühlsausbrüche, sie sind wichtige Kräfte in dem Gesellschaftsorganismus. Die Bewegung wird schwerlich die Unmäßigkeit ausrotten, oder den Verkauf von berauschenden Getränken auf die Dauer zerstören. Allein sie wird dazu beitragen, das Betrinken, das Uebermaß im Genusse und das Halten von Trinklocalen schimpflicher zu machen, und wohl auch Tausende retten, die noch nicht hoffnungslos dem Laster verfallen sind. Die Gefahr in der Bewegung liegt darin, daß ihre Apostel zu schnell und zu weit gehen, oder daß sie in die Hände der geriebenen, charakterlosen Politiker fallen und diese sie und ihre Bestrebungen als Mittel zu ihren persönlichen Zwecken benutzen.[1]
Es ist auffallend, wie verschieden die Anschauungsweise des Amerikaners und Irländers einerseits von der des Deutschen andererseits über öffentliche Trinklocale ist. Während der Letztere darin einen Ort sieht, wo sich alle Gesellschaftsclassen in demokratischster Weise dem vertrauten Umgange mit Freunden, der Erholung im Familienkreise nach des Tages Mühen, dem Genusse der Natur und der Musik hingeben und dabei ein mäßiges Quantum eines unschuldigen und billigen Getränkes zu sich nehmen, sehen jene darin (und wohl nicht mit Unrecht) einen von der öffentlichen Moral verfehmten Ort, in dem sich nicht gern Jemand sehen läßt, den man aber doch nicht vermeiden kann, wo man möglichst eilig den Spiritus hinunterschüttet, dessen man bei der aufreibendsten Thätigkeit, geistigen wie körperlichen, nicht entbehren kann, wo man nur so viel spricht wie nöthig, um seinen „drink“ zu erhalten und zu bezahlen, wo sich Niemand zur Unterhaltung niedersetzt, wo Jeder den Andern ignorirt, wo man Giftdünste mit Wollust einathmet und wo nie ein ehrbares Frauenzimmer gesehen oder eine unschuldige Kinderstimme gehört werden darf. Wohl sind in fast allen Städten der Union auch Biergärten errichtet; allein dem Amerikaner, dem das Verständniß der deutschen Anschauung durchaus abgeht, sind sie um nichts besser als seine „bar-rooms“, und es ist unmöglich, daß der Bann, den die Majorität der Bevölkerung gegen diese Gärten ausgesprochen, nicht auf den Charakter derselben, sowie auf den Ton der daselbst sich Versammelnden nachtheilig zurückwirke, da sie ja der Controle entbehren, die ihnen in Deutschland die allgemeine Popularität und die Theilnahme aller Stände und Geschlechter gewährt. Aber die weiblichen Bilderstürmer machen keinen Unterschied, und mit der irisch-amerikanischen Gift- und (gewöhnlich auch) Spielhölle wird auch der deutsche Biergarten in den Vereinigten Staaten sein Ende finden oder doch gleiches Schicksal mit ihr theilen.
New-York, im Februar 1874.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß Wien seit dem 24. October des vergangenen Jahres, dem Tage der Eröffnung seiner neuen Wasserleitung, unter allen Großstädten der Welt das beste Trinkwasser besitzt. Wir brauchen die Leser der Gartenlaube wohl nicht erst über die Nützlichkeit dieses unabweisbarsten Lebensbedürfnisses zu unterhalten, namentlich in dem Falle nicht, wo durch die permanente Anhäufung großer Menschenmassen und durch dichtes Beisammenwohnen die atmosphärische Luft verdorben wird. Erkannten doch schon die Culturvölker des Alterthums, wie z. B. die Römer, bei ihren bleibenden Ansiedlungen die Nothwendigkeit des Bezuges von gutem Trink- und Nutzwasser an, wofür die existirenden Ruinen ihrer Aquäducte noch heute ein sprechendes Zeugniß ablegen. Die Gebirgsquellen des Wiener Waldes und zwar auf der Ostseite desselben, auf denselben Terrains, auf denen sich die neue Wasserleitung hinzieht, waren bereits vor zweitausend Jahren zur Feste Vindobona geleitet, wie die in dem Zeitraum von 1859–65 aufgefundenen Reste römischer Wassercanäle beweisen. – Eine Commune von der Bedeutung, wie das jetzige Wien, von einer Einwohnerschaft von beinahe einer Million Seelen, beansprucht für den Hausverbrauch, zum Trinken, Kochen und Reinigen, für industriellen Bedarf und endlich für öffentliche Zwecke gewaltige Quantitäten Wassers, welche, im Hinblick auf die künftige Vermehrung der Bevölkerung, auch im gesteigerten Maße zuführungsfähig sein müssen.
Die ersten Schwierigkeiten, welche sich einem Unternehmen von solchem Umfange entgegenstellen, sind die in der Natur allenthalben vorkommenden Verunreinigungen der freien Gewässer. Es gilt dies sowohl in Bezug auf Bäche und Flüsse, wie auch auf Haus- und öffentliche Brunnen, da die Wasserreinheit der Letzteren in dem Grade gefährdet erscheint, wie sich in deren Umgebung die Unrathscanäle vermehren. – Chemische Untersuchungen, welche in dieser Richtung angestellt worden sind, ergaben bezüglich des Donauwassers bei Wien das überraschende Resultat, daß solches circa fünfmal mehr verunreinigt ist, als das Wasser der nächstgelegenen Alpenquellen.
Diese und ähnliche Untersuchungen führten denn auch zu dem nicht anzuzweifelnden Schlusse, daß Quellwasser im Allgemeinen selbst dem besten Flußwasser vorzuziehen sei, da das Letztere stets organische Substanzen mit sich zu führen pflegt.
Gleichzeitig wurde der Umstand constatirt, daß die Quellen in Wiens näherer und nächster Umgebung sich genau und ununterbrochen in dem Grade vermindern, wie die Baulichkeiten und die damit verbundene Bodenbenutzung überhand nehmen. Den circa 12000 Grundstücken Wiens stand, die Leistungen aller alten und neuen Wasserleitungen zusammengenommen, ein verfügbares Quantum von beiläufig 500000 Eimern pro Tag gegenüber, für den Verbrauch weder qualitativ noch quantitativ befriedigend, da jene Million Bewohner, ausreichend versorgt, einen Tagesbedarf von 1⅔ Million Eimer bedingen, wovon die Straßenbespritzung von 1,500000 Quadratklaftern allein 330000 Eimer täglich in Anspruch nimmt.
Selbstverständlich rief die für eine solche Riesenversorgung ausgeschriebene Concurrenz sehr auseinandergehende Projecte hervor. Zwei derselben wurden, als der Erfüllung der gestellten Aufgabe am meisten entsprechend, den eingehendsten Prüfungen unterzogen. Es war dies einerseits die Zuleitung der Königin der österreichischen Alpenquellen, des „Kaiserbrunnens“, aus dem Höllenthale vom Gebirgsstocke des 6600 Fuß hohen Schneebergs herab sammt den dazu gehörenden Seitenquellen, andererseits die Benutzung des unter dem Steinfelde bei Wiener Neustadt befindlichen unterirdischen Sees. Der Voranschlag für das erstere Project, die Zuleitung jener mächtigen Alpenquellen, welcher auf 16,034000 Gulden sich bezifferte, gewann nach langwierigen Debatten des Wiener Gemeinderaths die Oberhand, wenn schon die zweite Combination für die Heranschaffung größerer Wassermengen vom Steinfelde voraussichtlich um circa 6 Millionen Gulden billiger auszuführen gewesen wäre. Dreierlei Gründe dürften hierbei maßgebend gewesen sein. Zuerst das Gutachten der Gesellschaft der österreichischen Aerzte, welches der idealreinen Quelle des Kaiserbrunnens und Stixensteines in gesundheitlicher [214] Beziehung einen unbedingten Vorzug vor den möglicherweise doch verunreinigten Seegewässern des Neustädter Steinfeldes einräumte, ferner die chemische Zusammensetzung, der niedrige Temperaturgehalt des Ersteren und endlich das natürliche Gefälle derselben bis zum Benutzungsorte. Hätte man doch beim Bezuge des Wassers aus dem Neustädter Seebecken innerhalb des Weichbildes von Wien Dampfhebemaschinen bis zu 3000 Pferdekräften bedurft.
Es sei bei dieser Gelegenheit eines hochinteressanten geologischen Vorkommens, des unterirdischen Sees im Neustädter Plateau, gedacht. Dasselbe, im Osten vom Leitha-Gebirge, im Süden und Westen von den Alpen eingeschlossen, enthält auf einem Flächeninhalte von beiläufig dreißig Quadratmeilen bis zu einer Tiefe von dreißig und mehr Schuh wasserführende
Kiesschichten (Schotterbänke), welche bei dem Fallen von einem Pariser Zoll Regenmenge über 1100 Millionen Eimer Grundwasser ansammeln; eine Quantität, bedeutend genug, um alle Großstädte der Welt mit Wasser zu versehen.
Mit der definitiven Annahme des Hochquellenprojectes ging die Schenkung der Quellen an die Stadt Wien Hand in Hand. Der Kaiser von Oesterreich übergab, ohne eine Gegenleistung dafür zu beanspruchen, den prachtvollen „Kaiserbrunnenquell“ in das Eigenthum seiner Residenzstadt; während der Graf von Hoyos-Sprinzenstein diesem hochherzigen Beispiele folgte und die ihm gehörende, im Thale des Sirning-Baches, unter dem Schlosse Stixenstein hervorsprudelnde Quelle des gleichen Namens der Stadt Wien verehrte. Dagegen waren auf der 14,096 geographische Meilen betragenden Länge der Wasserleitung die Grunderwerbungen von circa 200000 Quadratklaftern Weingärten, sowie von circa 800000 Quadratklaftern Boden von Wäldern, Aeckern und dergleichen mehr mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft. In den wasserreichen Thälern des Schneeberges, der gleich hohen Raxalpe und den dazu gehörigen Vorbergen galt es nunmehr die gemachten Detailstudien zur praktischen Ausführung zu bringen, und diese Aufgabe ist, wie wir im Nachstehenden zeigen, technisch keine kleine gewesen.
Unbestritten besitzt Wien jetzt auf dem europäische Continente die bedeutendste und vollkommenste Wasserleitung, welcher aus der Zahl ähnlicher Bauten aller Länder der Erde technisch höchstens diejenigen von Manchester, Glasgow und New-York zur Seite gestellt werden können. Jedenfalls bleibt die Leitung des Kaiserbrunnens nach Wien für alle Zeit ein großartiger Gedanke. – In den zerklüfteten Oberflächen des Schneeberges, die voll zahlreicher Schluchten und Mulden sind, läuft der darin angesammelte und zerschmolzene Schnee durch das Innere des Kalksteingebirges in zahlreichen Spalten ab und bildet jenen reichen Abfluß im Höllenthale, „Kaiserbrunnen“ genannt.
Zu jener Zeit, als diese Hauptquelle des Höllenthals in den Besitz der Residenzstadt überging, schwankte die Tagesergiebigkeit derselben zwischen einer halben und drei Viertel Million Eimer; diejenige des Stixensteines betrug 500000 bis 600000 Eimer; die Altaquelle zeigte eine Tagesdifferenz von 150000 bis 500000 Eimern. Um den größtmöglichen Wasserzufluß herbeizuführen, wurden durch Aussprengungen und Abmauerungen im Bergesinnern der beiden erstgenannten Quellen große Reservoirs, Wasserschlösser genannt, hergestellt. Bei Gelegenheit des Aussprengens im Innern des Kaiserbrunnens entdeckte man weitläufige Höhlengänge mit prachtvollen Stalaktiten angefüllt; auch traten fünf große Felsspalten zu Tage, aus denen die Quellen mächtig hervorsprudelten. Diese Arbeiten, von hundert Mann der österreichischen Genietruppe ausgeführt, boten bei dem enormen Wasserandrange keine geringen Schwierigkeiten dar, da die Soldaten monatelang in einem reißenden Wasser [215] von einer Temperatur von 5 Grad Réaumur arbeiten mußten. In Folge dieser Erweiterung des inneren Quellenzuflusses ist der Kaiserbrunnen auf eine durchschnittliche Tagesergiebigkeit von 1,400000 Eimern gebracht worden und somit allein schon im Stande, den Wasserbedarf der Großstadt zu decken.
Erwägt man hierbei, daß die sämmtlichen jetzt unbenutzten Zuflüsse des Höllenthales oberhalb des Kaiserbrunnens die annähernde Tagesquantität von einer und zwei Drittel Million Eimer ergeben und daß deren künftige Ausnutzung keine technischen Schwierigkeiten mehr bietet, so gelangt man zu der Ueberzeugung, daß der Wasserbedarf der österreichischen Hauptstadt auf Generationen hinaus gedeckt ist. Die einzuhaltende Richtung bedingte die Aufführung von vier Aquäducten mit einem Gesammtkostenaufwande von circa 1,600000 Gulden; hiervon ist der die
Stadt Baden übersetzende der bedeutendste. Dreizehn Stollen (Wassertunnel) mit einer Totallänge von 4405 Klaftern (gleich einer und einem Zehntel geographischer Meile) führen die dem Höllenthale entnommene Wassersäule durch die Berge; sie sind theils in den festen Felsen gehauen, theils in Ziegeln mit Portlandcement ausgemauert. Zu diesen Schwierigkeiten kam innerhalb des Weichbildes der Stadt Wien noch die Uebersetzung des Donaucanals und des Wienflusses.
Das Gesammtgefälle der Leitung vom Abflusse des Kaiserbrunnens bis zum Nullpunkte des Donaucanals dürfte 1150 Fuß betragen. Der hierdurch bedingte ungeheure Wasserdruck wird durch drei gewaltige Reservoirs in der unmittelbaren Nähe Wiens, auf dem Rosenhügel nächst Speising, auf der Höhe der Schmelz und auf dem Wienerberge nächst der Spinnerin am Kreuze belegen, neutralisirt, und so kommt es, daß ein Wasserquantum selbst von zwei Millionen Eimern, für welches die Leitung hergestellt ist, innerhalb vierundzwanzig Stunden gefahrlos für die Nachbarschaft seinen Weg vom Hochgebirge herab zurücklegen kann. Bereits im ersten Baujahre 1870 wurden unter der Leitung des Bauunternehmers Gabrielli 2500 bis 3000 Arbeiter täglich verwendet, die sich in den folgenden Jahren, im Verhältnisse des Baufortschrittes, mehr als verdoppelten. Das für eine Stadt von der Größe Wiens erforderliche Röhrennetz ist begreiflicher Weise von ungeheurer Ausdehnung, waren doch schon mit Ende des Jahres 1871 bei 49,000 Currentklaftern oder 12¼ deutsche Meilen Wasserröhren im Betriebe, während die neu hinzutretenden Röhrenanlagen auf 138,839 Currentklaftern mit einem Kostenaufwande von 3,766,771 Gulden in Voranschlag gebracht sind. Die Hauptröhrenstränge, welche von den Reservoirs abzweigen, besitzen eine lichte Weite von 36 und 33 Wiener Zoll und verjüngen sich, dem natürlichen Bedarfe entsprechend, in vielfältigen Abstufungen bis zum kleinsten Caliber. Der im letzten Spätherbste in Wien am Schwarzenberg-Platze eröffnete Hochstrahlbrunnen gab dem gigantischen, in seinen Hauptgrundzügen glücklich beendeten Werke eine würdige Weihe; sein 8¼ Zoll im Durchmesser haltender Hochstrahl kann bis zu einer Höhe von 150 Fuß getrieben werden, während ihn 300 vierundzwanzig Fuß hoch springende Seitenfontainen in Form einer Glocke umgeben.
Sind wir recht unterrichtet, so wurden für dieses Riesenunternehmen bis jetzt 23,379,000 Gulden aus städtischen Mitteln verausgabt, jedoch dürften bis zu dessen gänzlicher Vollendung noch mehrere Millionen erforderlich sein. Der Unternehmer des Baues, Gabrielli, wurde für frühere Vollendung als die contractlich bedungene mit einer Extra-Prämie von einer Million Gulden belohnt.
Gewiß hat dieses in seiner Art einzig dastehende Werk seine Entstehung dem vereinten Zusammenwirken vieler einsichtsvollen und verdienstlichen Männer zu danken, die von der richtigen Ueberzeugung durchdrungen waren, daß eine Commune [216] keine heiligere Verpflichtung haben kann, als für die Gesundheit ihrer Angehörigen zu sorgen. Soll in dieser Beziehung einem Manne der Dank der Bevölkerung Wiens dargebracht werden, so gebührt dies unzweifelhaft dem hochverdienten Professor der Geologie Herrn Sueß; nicht minder haben sich die beiden technischen Chef-Leiter, die Herren Ober-Ingenieure Mihatsch und Junker, ein dauerndes, ehrenvolles Andenken dabei erworben.
„London hat seinen Theodor von Abessinien, einen großmächtigen Elephanten, als Beutestück des bekannten afrikanischen Feldzugs – warum sollten wir in Breslau, einem der Krystallisationspunkte des deutschen Reichs, nicht auch unseren Theodor haben? Unserem zoologischen Garten fehlt ein Elephant – also schafft auch uns einen Theodor!“ heischten die Breslauer, und mit dem hochzuverehrenden Publicum ist bekanntlich nicht zu spaßen. Ein Elephant ist aber ein kostbares Schaustück, kostbar an sich schon, noch kostbarer sein Haus, am kostbarsten sein Unterhalt. Und dann vor allen Dingen – wo einen Elephanten hernehmen? Er fand sich wider Vermuthen schnell. Unser Theodor stand im Londoner zoologischen Garten um den Preis von dreitausend Thalern feil, zwölf Jahre alt, acht Fuß hoch, kerngesund, zugeritten. Nunmehr drängte die nackte Frage: „Wie das Heidengeld zu beschaffen?“ Man verfiel auf den nicht mehr ungewöhnlichen Weg, das Geld durch eine Lotterie aufzubringen. Die Idee wirkte elektrisirend, zündend. Von allen Seiten strömten Gewinne herbei, und in wenigen Wochen schon baute sich ein Bazar auf, bunt und reich. Auch für den Futteretat des Elephanten war gesorgt. Ich schiffte mich nach London ein, um das Thier zu mustern, erreichte aber mein Ziel, in Folge einer höchst unerquicklichen Verzögerung durch Sturm und Wetter, sehr verspätet.
In London angekommen, fand ich den Elephanten schön, fromm und sogar zugeritten. Natürlich konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mich auf seinem Rücken durch den Garten tragen zu lassen, und bedauerte dabei nur, endlich doch wieder absteigen zu müssen. Am liebsten, wenn nicht ein Stückchen Ocean dazwischen gelegen, würde ich meinen Weg gen Breslau fortgesetzt haben. Bis dahin hatte ich niemals Gelegenheit zu einem Elephantenritte gehabt. Einmal nur versuchte ich neben einem Elephantenreiter einherzuschreiten, mußte aber wirklich traben, um nur dem gemächlichen Schritte des allerdings kolossalen Thieres folgen zu können. Bischof Heber schildert die Bewegung des Thieres als gar nicht so unangenehm, obschon von der eines Pferdes sehr verschieden. Beide Beine einer Seite heben sich nämlich gleichzeitig, und so entsteht das Gefühl, als ob man auf den Schultern eines Mannes getragen würde. Ein anderer englischer Reisender, Williamson, dagegen fand die Arbeit auf einem Elephanten zu reiten höchst unbehaglich, widerlich, sogar peinlich und schier ermüdend, zumal wenn es Tagereisen gilt. Gerade die größten Elephanten schienen ihm die schlechtesten Reitthiere. Ich für meinen Theil fand die Schenkelbewegung recht angenehm, doch will ich nicht in Abrede stellen, daß bei größerer Schnelligkeit und längerer Dauer schließlich doch eine Anwandelung wie Seekrankheit hätte erfolgen können.
Kleine Elephanten kann man mit Sattel und Steigbügel reiten. Gewöhnlich bedeckt man den Rücken des Thieres mit einem Kissen oder sicherer mit einem Armsessel, in London sogar zweiseitig zur Aufnahme mehrerer, vier bis sechs Personen. Beim Aufsteigen wird das Thier knieend oder mittelst Leiter bemannt. Ebenso wird das Absteigen ermöglicht, falls man nicht vorzieht, nach Art der Eingeborenen, sich mittelst Tau herunterzulassen. Sämmtliche Elephanten des Londoner Thiergartens – damals deren vier – sind zugeritten und an großen Tagen sämmtlich in Thätigkeit. In keinem anderen Thiergarten Europas kennt man dieses Vergnügen, obgleich einige derselben mehr als einen Elephanten besitzen. So ohne Weiteres läßt sich das Thier freilich nicht besteigen. Auch ihm muß das angelernt werden. Beim indischen Elephanten, dessen Ahnen seit Jahrtausenden schon im Dienste des Menschen stehen, mag das etwas leichter sein. Der Afrikaner, der uns sein Lebenlang nur als Elfenbeinjäger kennen gelernt hat, gebehrdet sich etwas widerwilliger, nimmt aber schließlich doch Lehre an, ganz der vielgerühmten Intelligenz seines Geschlechtes entsprechend. Die indischen Elephanten gelten obendrein als begabter, und unter ihnen werden die Ceyloneser wieder als besonders brauchbar zu Menschendiensten geschätzt. Unser Theodor rühmt sich, seine Heimstätte auf jener Insel zu haben. Möglich wohl, daß die größere Entwickelung der geistigen Fähigkeiten lediglich durch den langdauernden anregenden Verkehr mit Menschen bedingt worden ist, möglich auch, daß der indische Elephant in seinem Abhängigkeitsgefühle gleichsam sich ohne Mißtrauen ganz in der Weise giebt, wie er es von Natur aus ist, friedlich, zuthulich, anstellig. Jung ist das Thier natürlich leichter zu gewinnen und zu gewöhnen. Doch in Indien werden selbst erwachsene Elephanten unschwer gezähmt, zumal sie unter bereits gesittete Genossen gerathen. Immerhin aber rechnet man fünf bis sechs Monate recht sorgfältige Arbeit, bis daß der Wildling auf den Wink parirt. In Europa zieht man indische Elephanten zur Abrichtung vor und zwar weibliche Thiere, weil diese für gelehriger gelten als die männlichen. Im Londoner Thiergarten werden die Elephanten ohne Unterschied der Nationalität zum Reiten benutzt, und aus neuester Zeit sei nur an den prächtig dressirten Elephanten Broeckman’s erinnert, der von Afrika stammt.
Unser Theodor hatte die beste Schule in London genossen, und bei der Aussicht in unserem Garten Gelegenheit zu einem Elephantenritte zu haben jubelte unsere Jugend laut auf. Jeder gelobte sich, fernerhin nie mehr unsere Reitesel, ja kaum die prächtigen bis dahin so sehr beliebten Shetlands-Ponies zu beachten. Schließlich mußte ein Machtspruch gethan und solch romantischer Ritt nur als Belohnung für recht artige, recht fleißige Kinder in Aussicht gestellt werden. Censur Nr. 3 reitet Esel (unter 3 aber rücklings den Schwanz in der Hand), Nr. 2 trabt auf dem Pony und Nr. 1 schaukelt sich als mongolischer Khan auf dem Rücken unseres Elephanten. Der Anblick des imposanten Thieres, hochbeladen mit sechs bis acht Kindern, klein und groß, einem wandelnden Berge, oder wie Aelian sagt, einer Wetterwolke gleich, gelassen an uns vorüberziehend, wirkt geradezu elektrisirend. Dicht neben ihm schrumpft der Beschauer zum Zwerge zusammen. Wirksamer kann keines der Thiere unserer zoologischen Gärten zur Geltung gebracht werden als ein frei sich bewegender, zwischen dem Publicum durchschwankender Elephant.
Der Wärter des Londoner Gartens, der das Thier zu begleiten hatte, war gewonnen, auch wegen Ueberfahrt und Unterkunft des Elephanten mit der Dampfschiffs-Gesellschaft verhandelt worden. Alles in Ordnung. Da kam ein Hinderniß von unerwarteter Seite. Die englische Hausfrau ließ ihren Gatten nicht ziehen, und anderen Tages erklärte mir der Mann ganz entschieden, daß er dem nicht zuwiderhandeln könnte, außer auf Befehl des Directoriums. Die verlockendsten Versprechungen fruchteten nicht. Gezwungen konnte er zu dem immerhin bedenklichen, wenigstens ganz unberechenbaren Transporte keinesfalls werden, und der directe Befehl dazu schloß selbstverständlich ein, daß im Falle eines den Mann treffenden Ungemachs für die ganze Familie zu sorgen sei und zwar nach englischem Pfundfuße. Jedenfalls war aber auch der Mann auf Einflüsterung seiner Collegen und seiner wohl rechnenden Ehehälfte zu der Ueberzeugung gekommen, daß es der allerdümmste Streich gewesen wäre, den er sich jemals zu Schulden kommen lassen konnte, zur Entfernung dieses um seiner Intelligenz willen bei dem Publicum äußerst beliebten und darum für des Kornaks Tasche höchst einträglichen Thieres seinerseits bereite Hand zu bieten. Neben dem Wärter hatte ja auch unser Theodor Sitz und Stimme, und der war schlechterdings nicht von seiner altgewohnten Heimstätte wegzubringen, nicht einmal mit Hülfe des Kornaks, unbedingt aber ganz und gar nicht ohne denselben.
Nachdem das Thier zehn Jahre seines Lebens im dortigen Garten und zwar stets in Gesellschaft mehrerer Genossen zugebracht [217] hatte, schien es mit dem Boden gleichsam verwurzelt. Schließlich reifte die Ueberzeugung, das Thier nicht anders als in geschlossenem und zwar elephantenfestem Behälter der Verschiffung aussetzen zu können, wollte man nicht leichtsinnig in den Kauf nehmen, daß hier der Elephant, zwischen Bergen von Kisten, Möbeln und Fässern, einer ganzen Reihe von Rindvieh hinstürmend, Schaden erleidet wie das jüngst erst mit einem dem Thierhändler Hagenbeck in Hamburg gehörigen weit kleineren Elephanten geschehen ist, daß das Thier über Bord gehe oder auf Ordre des Schiffstyrannen im Oceane unschädlich gemacht werde. Das waren vielleicht die geringsten Bedenken; aber daß an Schiff und Ladung so und so viel Schaden angerichtet, Menschenleben gefährdet werden konnten, daran dachte man freilich in meiner Heimath nicht, wenigstens nicht ernstlich und nicht allerwegen. Man ließ eben einfach den gewichtigsten Factor, den Elephanten selbst, gerade das unbekannte X, außer Rechnung. Freilich mit solchen Größen zu rechnen, ist nicht Jedermanns Sache. Und nicht allein darum handelte es sich, das Thier zur Stelle zu schaffen, was Nichtkennern vielfach Hauptaufgabe dünken mochte; denn ein erwachsener Elephant ohne vertrauten oder doch geschulten Wärter ist unbrauchbar, wenigstens dann, wenn er ein handlicher Bewohner des Gartens sein und bleiben soll.
Ganz unbekümmert um die sich überstürzenden Urtheile der Menge Ungeduldiger, lediglich gestützt auf den Beirath der anerkanntesten Sachverständigen, zog ich, wiewohl schweren Herzens, von London ab, beschaffte in Hamburg einen Elephantenwagen und einen Mann dazu, dem die Aufgabe gestellt wurde, sich auf englischem Boden mit unserem Theodor vertraut zu machen und dann dessen Transport nach Breslau zu leiten. Alles Das ging aber nicht schnell genug, wenigstens nicht nach Wunsch schnell genug. Da – es war gerade an dem Tage, wo der Verabredung gemäß der Elephant in London eingeschifft werden sollte – erreichte uns ein Schreiben der Verwaltung des dortigen Gartens mit der Anzeige, daß der von Hamburg angelangte Wärter von dem Thiere an die Wand gerannt worden, nicht unerheblich beschädigt, doch wiederum auf dem Wege der Besserung, daß aber bei dem Widerwillen, den das Thier gegen den Mann gefaßt, es gerathen sei, an Ersatz zu denken. Solches Hinderniß fehlte eben noch. Die Ungeduldigsten wurden geradezu unwillig und darum ungerecht. Ich selbst wußte mir kaum Rath; von allen Seiten stürmten Vorschläge in so großer Menge, wohlgemeint, aber wohlfeil, auf uns ein, daß, um endlich über das Stadium der Redensarten hinauszukommen, ein Aufgebot sich nothwendig machte.
„Freiwillige vor, die Klügsten voran!“ hieß es; Niemand aber meldete sich, und so waren wir wieder auf uns selbst angewiesen. Wir gehen einen Schritt weiter. Der Wagen wird durch den Elephanten erprobt; unter seinen Füßen prasselt der Boden; derselbe muß erneuert werden. Auch das noch! Nunmehr wird von den dortigen Sachverständigen ein zweiter Begleiter gewünscht, und dieser wird von hier aus nachgesandt. Endlich ist Alles zur Abfahrt bereit, da weigert sich das Dampfschiff, den Passagier mitzunehmen, weil er sich durch seinen Eigensinn in den Geruch der Bösartigkeit gebracht hatte. Durch nochmalige Vorstellung bei der Gesellschaft gelang es, deren Zusage zu gewinnen. Wieder ist Alles in Vorbereitung, da stellt sich heraus, daß der am Ladeplatze des Dampfschiffes arbeitende Krahn nicht Kraft genug hat, um den hundertvierzig Centner schweren Elephanten nebst Wagen an Bord zu heben, und weil ein anderer passender in der Nähe nicht zu haben war, hieß es wiederum auf Verladung des Thieres verzichten. So langte ein Schiff nach dem andern an, immer aber ohne unsern Elephanten. Endlich verhandelte man mit dem Stettiner Dampfer, und auf diesem ging nunmehr die Verschiffung glücklich von Statten.
Nach ziemlich stürmischer Ueberfahrt und darum etwas verspätet traf der Dampfer „Norman“ in Stettin ein. Endlich, am 14. September, standen wir voller Erwartung auf dem Perron des Posener Bahnhofes. Das Signal ertönt, da erscheint am Ende des langen Zuges hoch emporragend ein Bau, der sofort sehr richtig als der Salonwagen unseres Gastes gedeutet wurde. Wir begrüßten denselben unwillkürlich mit einem herzhaften Hurrah. Der Schah von Persien hatte unser Breslau verschmäht, dafür empfingen wir heute eine andere asiatische Größe und zwar nicht zum Besuche blos, vielmehr als hoffentlich recht ständigen Gast.
Jetzt hält der Zug; der Adjutant öffnet die Thür eben weit genug, daß der hohe Herr seine allerdings mehr als landesüblich lange Nase den auf dem Perron Versammelten entgegenstrecken kann. Ehrfurchtsvoll treten wir in gemessene Ferne abseit, weniger jedoch um der wunderbarlichen Begrüßung mittelst der Nase willen, die uns ja von anderen Asiaten her nicht ganz fremd ist, als vielmehr wegen des unerwarteten Trompetenwillkommens in Antwort auf unser Hurrah. Alsbald zog sich der hohe Reisende zurück, und hinter ihm schloß sich der Salon. Schon warten acht Pferde, mit Laub und Kränzen geschmückt, der Abfahrt. Der Reisewagen rückt zur Rampe; die Pferde werden vorgelegt. Der Uebergang des ungewöhnlich hohen Gebäudes auf die abschüssige und obendrein einseitig abfallende Rampe war ein sehr bedenklicher Augenblick, vor dem, ohne daß der theure Gast eine Ahnung davon hatte, uns Umstehenden recht bangte. Jetzt – die Pferde ziehen an – ein kräftiger Ruck – wir halten den Athem an – der Koloß setzt sich in Bewegung – uns versagt der Puls – eben gleitet Theodor die schiefe Ebene abwärts, glücklich, ohne Unfall – da erst athmen wir auf. Die Tour nach dem zoologischen Garten, unter Begleitung Tausender von Menschen zum Triumphzuge werdend, wurde ohne Störung und Hemmniß zurückgelegt. Die Häuser der vom Zuge berührten Straßen waren dicht belagert, und hätte man überhaupt dem seit vielen Monaten bereits und leider allzu säumigen Freunde solch überraschende Eile zu guter Letzt noch zugetraut, die Ziegel auf den Dächern würden sicher nicht verschont geblieben sein.
Sofort nach Einfahrt in den Garten mußten die Thore gegen die anstürmende Menge geschlossen werden. Im Trabe eilte man mit dem für unsere Gartenwege ungewohnt schweren Gefährte bis nahe dem zur Aufnahme des Gastes bestimmten Palais neuindischen Stils. Hier aber strebte die Last sinkend dem Mittelpunkte der Erde zu. Der Wagen stand, wo er stand, und, wohl oder übel, Theodor mußte sich zum Aussteigen bequemen. Die Thür öffnete sich; Kenner aber nur gewahrten, wie dabei Theodor’s Hinterfront zum Vorscheine kam, und mancherseits wurde deren Anhängsel als vermeintlicher Rüssel, seiner Unansehnlichkeit wegen, stark bemängelt. Rückwärts nämlich mußte er und blindlings den ihm gänzlich fremden Boden betreten; an ein Umdrehen im Wagen war nicht zu denken. Obwohl der Abstand von den niedrigen Hinterrädern bis zum festen Grunde nicht übermäßig groß war, so trug der wohlbeleibte Herr doch Bedenken, in’s Ungewisse hinauszutappen. Mehrmals versuchend, zog er immer wieder sein gewichtiges Pedal aus Mangel an Vertrauen zurück. Der Aufenthalt in dem Reisewagen mag für Theodor, wiewohl er aus den Tropen gebürtig, wegen der Enge des Raumes und der dadurch bedingten Hitze und Stickluft recht beschwerlich gewesen sein. Durch die offene Hinterpforte herein fühlte er sich von kühlenden Lüften angenehm umweht; er vernahm des Kornaks ermunternden Ruf, der Peitsche knallende Mahnung – da entschloß er sich endlich, nochmals einen herzhaften Tritt zu wagen, und siehe der Boden widersteht seiner Wucht; der andere Fuß folgt nach, der Rumpf, die Vorderfüße auch; jetzt erscheint der Kopf. Zu beiden Seiten werden Balken parallel gehalten, um ihm den Weg zu bezeichnen, den er zu gehen hat. Geschickt sich wendend, schreitet er dem Kornak innerhalb eines enggeschlossenen Menschenspaliers nach, geruhig, wahrhaft grandios in seinen Park hinein und von da weiter in seinen Wohnraum.
Ein Hurrah der Anwesenden schloß das hochinteressante Schauspiel. Zunächst schien dem Thiere Ruhe unerläßliches Bedürfniß; denn neun volle Tage hatte es in der engen Zelle auf schwankem Schiffe und polternder Eisenbahn verbracht. Nach und nach erst überwand es die furchtbaren Strapazen der Reise.
Noch geraume Zeit beherrschte ihn eine heimwehartige Stimmung; die Sprache, in der wir mit ihm verkehrten, war ihm fremd. Genossen suchte er auch vergebens; unser Heu mundete ihm nicht, unser Brod nicht. Jetzt hat er sich bereits in der neuen Welt eingelebt und Tag um Tag die Besucher mit immer neuen Belegen seiner Intelligenz überrascht, bis wir schließlich ganz und voll das Thier wiedererkannten, welches er im Regentspark [218] gewesen, welches er Dank seiner vorzüglichen Begabung, Dank seiner vortrefflichen Schule im Laufe eines Jahrzehnts geworden.
Unseres Elephanten Lebensgeschichte betreffend, sei mir gestattet, noch beizufügen, daß er im Jahre 1863 als zweijähriger Bursche von Ceylon in London anlangte. Man erzählt sich, daß der dortige Garten durch Ungefähr in Besitz des Thieres kam. Ein englischer Lord verabschiedete sich nach Indien. Seine schöne Freundin band ihm auf Herz und Seele, ihrer auch in der Ferne zu gedenken, und das rückständige „Vielliebchen“ auszulösen. Tage, Wochen und Monate vergingen; der Lord mußte bereits am Reiseziele sein; wieder verstrich Monat zu Monat, da langt in London die telegraphische Nachricht an, daß am Bord des eingetroffenen Indienfahrers ein Elephant für Mistreß X. gelandet worden. Diese allerdings große Aufmerksamkeit hatte sie ihrem fernen Freunde zu verdanken. Unmöglich ließ sich diese indische Curiosität unter den Nippsachen im Boudoir der Dame unterbringen, und der Londoner zoologische Garten war so freundlich – übrigens unsere continentalen Gärten werden vorkommenden Falles in Galanterie sicher nicht nachstehen – das Geschenk an- und aufzunehmen. So kam man dort leichten Kaufes zu dem Thiere; desto schwerer kamen wir aber dazu. Die Leidensgeschichte des Elephanten oder vielmehr derer, die monatelang Alles aufgeboten hatten, den Unhold für hier zu gewinnen, zu eignem größtem Leidwesen aber nicht so schnell wie erwünscht zum Ziele kommen konnten, nebenbei noch womöglich jedwede Verzögerung auf ihr Conto nehmen mußten, ist heute noch im frischesten Angedenken; kein Wunder also, daß wir unseren Elephanten lieben, gleichwie Mütter Schmerzenskinder in Liebe bevorzugen. Aber nicht allein für uns, für das gesammte Breslau ist er das Schmerzenskind; ein Jeder liebt ihn mit Schmerzen, von Herzen.
Den Schlußstein des endlich doch noch zu allseitiger Zufriedenheit abgeschlossenen Werkes bildete naturgemäß ein Festessen des „Elephanten-Comité’s“, dem noch andere Gönner des Institutes sich anschlossen. Bei diesem „Elephanten-Souper“ fand gleichzeitig die officielle Uebergabe des Thieres statt, nebst feierlicher Taufe. Sein Name „Peter“, den er bislang in London geführt, wurde nämlich umgewandelt in „Theodor“, zu dankbarer Erinnerung an den Erfinder unserer Elephanten-Lotterie.
Was wir aber noch ungleich höher anschlagen, als diese immerhin kostbare Bereicherung unseres Thierbestandes, das ist die durch jenes Unternehmen angefachte Belebung des Interesses für unseren Thiergarten. Jeder fühlte sich gedrungen, zu dem Gelingen nach Kräften beizutragen. Jeder hatte somit Theil an der glücklichen Ausführung. Monatelang, ob der Verzögerung fast ein halbes Jahr lang, war unser Elephant das Tagesgespräch; hoffend und fürchtend, tadelnd und klagend erging man sich nach Herzenslust. Immer weitere Kreise, selbst da, wo man sonst ziemlich theilnahmlos ach gezeigt, wurden von dem Elephantenfieber ergriffen; die Reclame bemächtigte sich der Sache mit bestem Erfolge; ein Elephant als Vignette gebot unwiderstehlich Halt in Zeitungen wie an Straßenecken, und selbst das Theater glaubte mit einem flugs erzeugten Localschwank, betitelt: „Der Elephant“, die Tagesfrage zu Capital schlagen zu müssen. Vivat sequens!
Breslau. Dr. Schlegel.
Kleiner Briefkasten.
M. K. in Ch. Ein Verlagsgeschäft, welches Ihre im volksthümlichen Stile verfaßten Arbeiten gewiß gern erwerben würde, ist der kürzlich von einer Anzahl hochangesehener Volks- und Vaterlandsfreunde in der Provinz Hannover, dem Großherzogthume Oldenburg und der freien Stadt Bremen in’s Leben gerufene Nordwestdeutsche Volksschriftenverlag in Bremen, eine Actiengesellschaft, welche, unterstützt von den angesehensten deutschen Schriftstellern, es sich zur Aufgabe gemacht hat, gute belehrende und unterhaltende Schriften aller Art zu verlegen und in die weitesten Kreise zu verbreiten. Wir wissen aus verbürgter Quelle, daß die erwähnte Verlagsgesellschaft jede tüchtige volksschriftstellerische Kraft, welche ihre Vermittelung in Anspruch nehmen sollte, mit Freuden begrüßen und bereit sein würde, ihr die Bahnen in’s Volk ebnen zu helfen. Dienen Sie daher der guten Sache! Fördern Sie ein Unternehmen, welches die Volksbildung auf sein Panier geschrieben hat und darum die Unterstützung aller wahren Freunde des Fortschrittes verdient.
Berichtigung. In meinem Aufsatze „Saat in’s Wasser“ in Nr. 8 der Gartenlaube berührt ein Passus die großen Hüninger Fischzuchtanlagen. Es ist darin gesagt worden, daß die Anstalt die Aufzucht von Edelfischen nicht in großem Maßstabe betreiben könne. Unter der Hand höre ich jedoch, daß die deutsche Leitung jüngerer Zeit auch nach dieser Seite hin Versuche angestellt hat und daß recht respectable Resultate in Aussicht stehen sollen. Jedem guten Deutschen wird lieb sein, zu hören, daß der deutsche volkswirthschaftliche Fleiß in den wiedereroberten Reichslanden sich lohnend erweist. Ich moderire meine ausgesprochene Ansicht mit freudiger Bereitwilligkeit.Gampe.
Für den
gingen wieder ein: E. F. S. in Lauban 5 Thlr.; Saling’s Börsenblatt in Berlin 5 Thlr.; N. N. in Ulm 2 Thlr.; große Verehrerin der Gartenlaube in Chzelitz 5 Thlr.; N. N. in Lippstadt 1 Thlr.; Bomeisler in Floß 2 Thlr.; R. M. 2 Thlr.; Stiller in Sorau 5 Thlr.; C. St. in Calw 2 Thlr.; Hedwig Fr–s in Dresden 1 Thlr.; Ertrag einer Spielgesellschaft in Berlin durch E. Otke 7 Thlr. 15 Ngr.; Dr. Franc von Liechtenstein 2 Thlr.; T. L. in H–städt 10 Thlr.; aus Freude über die Genesung eines theuren Familiengliedes 1 Thlr.; St. 2 Thlr.; S. A. in Leobschütz 2 Thlr.; C. M. in Meißen 2 Thlr.; F. Georgii in Schalkau 10 Thlr.; Pöhlmann in Redwitz 5 Thlr.; Bierkränzchen auf der Pelzmühle bei Siegmar 4 Thlr. 24 Ngr.; Abendgesellschaft im „Goldenen Stern“ zu Weißenburg a. Sand 2 Thlr.; Fr. Schwed aus Berlin 1 Thlr. 10 Ngr.; C. W. C. in Kassel 3 Thlr.; Löw in Blaubeuren 2 Thlr.; R. J. in D. 2 Thlr.; Emma. B. in T. 2 Thlr.; A. B. in L.; 2 Thlr.; T. 1 Thlr.; Verein für milde Zwecke in Wolkenburg 10 Thlr.; C. D. in Teplitz 5 Thlr.; J. B. Lesser in Berlin 25 Thlr.; Professor Laqueur in Straßburg 6 Thlr. 20 Ngr.; Th. R. in Meerane 1 Thlr.; A. K. in Gumbinnen 2 Thlr.; Frau Ernst Hasenclever 25 Thlr.; Frau Clara Scharlach in Chemnitz 5 Thlr.; O. P. in Berg-Gladbach 10 Thlr.; C. F. in Wiesbaden 10 Thlr.; aus Annaberg 2 Thlr.; W. in London 3 Thlr. 10 Ngr.; M. in London 3 Thlr. 10 Ngr.; B. S. in Hzhn. 13 Thlr. 12 Ngr. 8 Pf.; A. G. in Constanz 10 Thlr.; C. K. in Vilsen 5 Thlr.; R. E. in Münster 1 Thlr.; N. in Graz 1 Thlr.; Frau H. in Boppard 2 Thlr.; C. B. in Cranz 5 Thlr.; E. St. 1 Thlr.; Frau D. Houraud und Frau A. K. in K. 10 Thlr.; C. A. P. in Idar 5 Thlr.; Dr. S. (durch Gust. Mayer) 4 Thlr.; Gerber Kr. in Sch. 20 Thlr.; J. J. in Bremen 10 Thlr.; Chr. Rehbach in Regensburg 10 Thlr.; Pfarrhaus zu Großfurra 1 Thlr.; W. Greve in Berlin 5 Thlr.; von drei Lesern der Gartenlaube in Zwönitz 5 Thlr.; Obfr. Bgta. in Grüna 1 Thlr.; Kühnert in Dresden 3 Thlr.; von Hänschen, der auch den unglücklichen Landsleuten in Paris mithelfen will, 1 Thlr.; Unbekannt 1 Thlr.; Frau E. P. in Ballenstedt 2 Thlr.; Rosa 2 Thlr. 15 Ngr.; Hegenbarth’s Erben in Haida 7 Thlr. 27 Ngr.; eine alte Schuld aus Oesterreich 10 fl. ö. W.; A. G. in W. M. 1 fl. rh.; Teuffel in Stuttgart 10 Franken; ein patriotischer Deutscher und mildthätiger Oesterreicher 50 fl. ö. W.; Em. Raupenhof in Klagenfurt 2 fl. ö. W.; A. R. 5 Rubel; Rud. K. 5 Rubel; D. M. 2 Rubel und Constant B. 1 Rubel in Petersburg; F. u. C. W. 5 fl. rh.; aus dem schleswig-holsteinschen Anlehen durch Professor Eisenlohr in Heidelberg 50 Thlr.
Wir wiederholen unsere Bitte um weitere Beiträge auf das Dringendste.Die Redaction der Gartenlaube.
E. K.
Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.
In Folge einer Verordnung der kaiserlichen Post werden die nach Erscheinen der ersten Quartalnummer aufgegebenen Bestellungen nur gegen Portovergütung von 1 Sgr. ausgeführt. Wir ersuchen also unsere Post-Abonnenten, zur Ersparung dieser überflüssigen Ausgabe, ihre Bestellungen
aufzugeben, bei späteren Bestellungen aber den von der Postbehörde octroyirten Groschen zu zahlen und jedenfalls die bereits erschienenen Nummern des Quartals zu reclamiren. Jede Postbehörde hat die Verpflichtung, das Quartal vollständig zu liefern.
- ↑ Wenn der Herr Verfasser die Hauptgefahr für die Temperanz-Bewegung der amerikanischen Frauen in der Einmischung selbstsüchtiger Politiker erblickt, so können wir dieser Auffassung unseres bewährten New-Yorker Correspondenten, wie auch einigen anderen Ausführungen des obigen Artikels, nicht überall beistimmen. Wir unsererseits glauben, daß es neben den Politikern namentlich der Clerus ist, der diese sociale Revolution zu seinen Zwecken auszubeuten bestrebt ist, wie denn überhaupt priesterliche Herrschsucht als der Haupthebel der ganzen Bewegung zu betrachten sein dürfte; werden doch die Meetings in den Kirchen gehalten und die Glocken zu den Gebeten und Gesängen der fanatischen Frauen geläutet.
D. Red.