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Die Gartenlaube (1860)/Heft 35

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1860
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 35. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Brief aus Amerika.
Von Henriette von Bissing.
(Schluß.)

Heute hatte Herr Blenheim sich wieder mit Herrn Belani bei Tische gelangweilt und saß nun am Abend spät mit Mutter und Tochter allein in dem Salon, immer noch verstimmt, während Nancy den Flügel mit Phantasien über das Thema: „Ach, wenn Du wärst mein eigen!“ bearbeitete und, so sehr sie damit die Mutter ärgerte, den Vater dadurch endlich doch glücklich auf andere Gedanken brachte.

Er trat zu ihr, entzückt über die Fertigkeit ihrer Finger, indem er weder der Gräfin Hahn berühmtes Lied, noch die Gefühle kannte, die dasselbe in Nancy’s Herzen weckte oder doch begleitete. Als sie ihr Spiel beendet, küßte der Vater sie auf die Stirne und rief Beifall klatschend: „Möcht’ ich’s doch machen, wie jener Virtuos, der zum Kaiser Joseph sagte: „Ewig schade, daß Ew. Majestät kein Geigenspieler geworden sind!“ Aber nicht wahr, Nancy, Du würdest auch antworten, wie der Kaiser: „Hab’s halter so besser!“?“

Nancy nickte bejahend. Sie hätte gerne weiter geträumt, allein der Vater ließ ihr keine Zeit dazu. Noch hatte er ihr und der Mutter seine stolzen Hoffnungen nicht mitgetheilt, und sie sollten erst noch jeden Zoll der Huldigungen, die er heute eingenommen, mit genießen. Endlich erinnerte Nancy daran, daß die Uhr zwölf geschlagen. Die Mutter war schon lange eingenickt, da sprach der Vater, sich erhebend: „Nun werde ich Gelegenheit haben, mich an Manchem zu rächen, der sich einst gegen mich vergangen. Darunter ist auch der Almis. Wird mir ein Wechsel von dem groben, undankbaren Patron präsentirt, darf ich nur die Achsel zucken und ihn zurückweisen, dann raunt die ganze Börse sich zu: „der ist faul!““

„Du bist wohl gar böse, daß ich den eingebildeten Laffen laufen ließ?“ fragte Nancy verwundert.

„Ich weiß nicht, ob Du ihn hast laufen lassen,“ versetzte der Vater sarkastisch. „Nur das weiß ich, daß er ohne Dank und Abschied davon gelaufen ist. – Und ich hatt’s gut mit dem Burschen im Sinne,“ fügte er, wie zu sich selber redend, hinzu. „Es war doch Einer vom Geschäft und er hatte Kopf. Aus dem wär’ Etwas geworden, wenn ich ihn unter die Zucht nahm.“

„Versuch doch Deine Kunst an Eugen!“ warf Nancy boshaft ein.

„Was willst Du von ihm?“ rief der Vater hitzig. „Er hat Genie, und wenn er sich erst die Hörner abgelaufen, wird er seinen Weg schon machen. Eugen mischt sich nicht in Deine Phantastereien, gönne Du ihm die seinigen. Ihr werdet schon Beide noch einmal vernünftig.“

Die Mutter war erwacht, als ihr Gemahl sich erhoben, und fiel jetzt gähnend ein: „Nun, da der Almis ein solcher Herumtreiber ist, und Du ihn stürzen kannst, so wird er wohl bald bankerott. Da sieh doch zu, Gustav, daß wir das Haus bekommen. Ich möchte die Tannen umhauen und den Park vergrößern lassen.“

„Ach ja, Papa!“ rief Nancy lebhaft, „kaufe das Haus. Es kann so, wie es ist, im Park bleiben und mein eigen, mein Sanssouci, mein Tusculum werden; bitte, bitte, bester Papa!“

„Nun, wir wollen sehen, wie es sich macht,“ entgegnete der Banquier, und sie trennten sich, um in ihre verschiedenen Schlafgemächer zu gehen.




Der alte Almis galt lange Zeit für einen Geizhals und noch immer für einen Sonderling. Er hatte ein Commissionsgeschäft, dem er ganz allein vorstand und das man für sehr einträglich hielt, und man begriff daher nicht, warum er seinen Sohn nicht darin aufgenommen, ihn vielmehr bei seinem Nachbar, dem Schiffsmakler, in die Lehre gegeben hatte. Er selbst kaufte und verkaufte Häuser, die Hunderttausende kosteten, welcher Handel für ihn viel Geld mußte abgeworfen haben; dennoch wohnte er fortwährend in einem sehr kleinen Häuschen, an dessen einfacher Einrichtung nie etwas verändert ward. Bei dem Unterricht seines Sohnes hatte freilich einst auch er nichts gespart, aber an Kost und Kleidung, so viel es anging. Da William keine Brüder hatte, mußte er als Knabe alle alten Röcke seines Vaters allein zu Ende tragen, und es halfen weder Bitten noch Thränen. Der erste neue Rock, den er zur Confirmation bekam, ward so bestellt, daß er ihm noch nach drei Jahren passen mußte.

Kein Wunder, daß der eitle Jüngling desto mehr auf seinen Anzug verwendete, als er sich erst selbst etwas verdiente. Der Vater ließ ihn dabei gewähren, ja seine grämlichen Züge klärten sich mit dem Versuche eines schmunzelnden Wohlbehagens auf, als er seinen Eingebornen eines guten Tages in einen jungen Elegant verwandelt sah. Späterhin gab es freilich mitunter viel Angst und Sturm in dem kleinen Häuschen, durch Schulden veranlaßt, die William gemacht und die zu hoch waren, als daß seine Mittel oder die stets für ihn geöffnete Casse seiner Tante und Pflegemutter [546] dazu ausreichten. Aber diese gute Tante, die nach dem frühen Tode ihrer Schwägerin deren Stelle im Haushalte ihres Bruders ausfüllte, wußte den Letztern immer zum Zahlen zu bewegen, indem sie ihn an das holländische Sprüchwort erinnerte: „Einmal muß der Wein gähren, und der Jüngling rasen.“

Der alte Mann trug seitdem seine Röcke bis zur Fadenscheinigkeit, und wenn seine Schwester, die seine Verhältnisse kannte, wenigstens besser, als sonst Jemand auf der Welt, ihn deshalb tadelte, sagte er: „Es ist gut, wenn der Junge in mir eine Art von Gewissen vor Augen hat, da er in Dir die beständige Vergebung sieht. So wollen wir uns auch für ihn malen lassen, damit er uns noch nach unserm Tode also im Gedächtniß behält.“ Bald nachdem dieses Vornehmen ausgeführt war, starb die Tante, als sei nun ihre Mission auf Erden erfüllt.

Herminens Mutter war eine Verwandte von William’s Lehrherrn, auf dessen Comptoir auch ein armer verwaister Neffe von ihr das Geschäft erlernte, der in ihrem Manne seine letzte Stütze verloren hatte. Harry und William waren Freunde, soweit es ihre verschiedenen Charaktere und Verhältnisse gestatteten, und die kleine Hermine wuchs in den beiden Nachbarhäusern gewissermaßen mit auf, wo sie, so lange sie die Schule besuchte, ihren Tisch hatte. Sie und Harry waren erklärte Lieblinge von William’s Tante; der letztere interessirte sich wenig für das stille, schüchterne Kind. Der Nachbar starb, als William und Harry noch nicht lange ihre Lehrzeit beendet hatten, und der nun gänzlich verwaiste Jüngling ging nach Amerika, um dort sein Glück zu versuchen, und da er nichts wieder von sich hören ließ, hielten ihn seine Freunde endlich für untergegangen, wie so mancher nach Abenteuern suchende Jüngling untergeht.

Seit dem Tode von William’s Tante hatte sein Verkehr mit der Pastorin Walter gänzlich aufgehört, und zwei Jahre mochten verflossen sein, als William einst auf dem Wege, der ihn zu Blenheims, Herminen in die Stadt führen sollte, ihm begegnete. Er erkannte sie kaum wieder, aber geblendet von ihrer madonnenartigen Schönheit, blieb er unwillkürlich stehen. Sie hatte ihn sogleich erkannt und that dasselbe. Er kehrte mit ihr um, und auf dem Wege theilten Beide sich ihre Erlebnisse mit. Harry spielte in dieser Unterhaltung eine Hauptrolle, und William fand dadurch willkommene Gelegenheit, Herminens Mutter zu besuchen. Er holte und brachte Briefe mit Erkundigungen nach dem Verschollenen und Antworten von überseeischen Geschäftsfreunden, die leider nichts über ihn hatten erfahren können.

Als William seinem Vater die Neigung zu Herminen gestand, freute der alte Mann sich darüber im Stillen herzlich, obgleich er es für vortheilhafter hielt, sich hiervon nichts merken zu lassen. Ihm hatte das Mädchen immer sehr gefallen, und er kannte ihre Mutter genau genug, um zu wissen, nach welchen Grundsätzen sie ihre Tochter würde erzogen haben. Ja, er gab sich der gewissen Hoffnung hin, daß sein Sohn, nachdem er eine solche Wahl traf, nun endlich ausgeras’t hätte. Mit ebensoviel kaufmännischer Vorsicht, als väterlicher Liebe, gab er William die Mittel, Haushaltung und Geschäft auf’s Beste einzurichten, und indem er seinem Sohne sagte, daß er nun vor seines Vaters Ableben auf keinen Zuschuß mehr rechnen dürfe, überließ er es dem jungen Paare, mit der Welt und sich selber fertig zu werden.

Damals träumte William noch davon, einst auch noch ein Börsenkönig zu werden, und zu einem Matador in seinem Geschäft besaß er auch alle Anlagen. Mit einem offenen, gewinnenden Aeußeren verband er Schlauheit und Ueberredungskunst, und selbst sein wohlklingendes Organ trug dazu bei, auch den stöckischsten Engländer zu bewegen, ihm seine Schiffsladung anzuvertrauen. Auch verdiente er im ersten Jahre große Summen, sein Credit stieg, und die Achtung auch der gediegensten Geschäftsmänner ward ihm zu Theil. Seine junge Frau war selig in seinem Besitze und ihrer reizenden Häuslichkeit, und hielt es für ein unerhörtes Glück, als sie jetzt auch das Theater und die schönen Umgebungen der beiden großen Städte nach allen Richtungen hin kennen lernte.

Freundinnen besaß und entbehrte Hermine nicht. Die eingeschränkte Lage ihrer Mutter, der Fleiß, mit dem Beide an der Vermehrung ihrer kleinen Einnahme arbeiteten, erlaubte ihnen keinen Umgang, und nur eine alte Dame in Altona hatten sie zuweilen besucht, die den Verkauf ihrer Arbeiten besorgte. Hermine fand es daher weder auffallend, noch betrübte es sie, daß William auch nach ihrer Verheirathung sie in keine Familienkreise einführte, und nur von Zeit zu Zeit einen oder den andern Freund oder Schiffscapitaine zu Tisch lud, was das Geschäft so mit sich brachte.

Als bei William der erste Rausch der Leidenschaft für das schöne Weib verraucht, und ihm das rechte Verständniß für die Seele, die in ihr wohnte, noch nicht aufgegangen war, zog die Macht der Gewohnheit, der Geschmack an Vergnügungen, bei denen sittsame Frauen nicht zulässig, sowie die Spöttereien seiner Bekannten ihn wieder dem Rande des Abgrunds zu, in den er gänzlich zu versinken drohte, wenn keine höhere Macht sich seiner erbarmte. Hermine konnte leider noch immer das rechte Mittel nicht finden, ihn davon zurückzubringen. Sie hatte es auf alle Weise versucht, allein damit nur erreicht, daß William sich in ihrer Gesellschaft zu langweilen begann, und um nicht so schuldig vor sich selber da zu stehen, nach Gründen spähte, sich über sie beklagen zu können. Die gewöhnliche Weise der Leichtsinnigen! Allerlei unsinnige Einbildungen bemächtigten sich dabei seiner. Bald überredete er sich, es sei Eugen Blenheims Teufelskünsten gelungen, Hermine zu bestricken. Bald sollte ihre Mutter, eine fromme und ernste Frau, sie gegen ihn aufhetzen. Im Grunde aber waren diese Einbildungen doch nur ein Beweis von körperlichen und geistigen Leiden und von der erwachenden Regung seines Gewissens.

Eines Tages befand er sich auf dem Wege zur Eisenbahn, um die im Kieler Hafen stationirende Kriegsflotte in Augenschein zu nehmen. Er überdachte dabei seine Lage, die schon sehr kritisch geworden war und ihn leicht zum Bankerott führen konnte, wenn sein Vater ihm nicht half, dem er selbst sich unmöglich glaubte anvertrauen zu können. Er dachte, ob nicht vielleicht Hermine – – aber ihr verändertes Wesen gegen ihn – – – plötzlich warf eine göttliche oder teuflische Macht ihm einen Gedanken in das Herz, der ihm das Blut in den Adern erstarren machte, und bei dem es ihm zum ersten Male klar ward, daß selbst noch in diesem Augenblicke alle Güter der Erde ihm nichts gegen den Schatz galten, in dessen Besitz er sich allzu sicher geträumt, und den niemals besessen zu haben, eben dieser neueste Gedanke war: Herminens Liebe. Klar, wie der Tag, stand die Ueberzeugung vor seiner Seele, daß sie ihren Vetter Harry geliebt und ihn nur geheirathet hatte, weil sein Vater für einen reichen Mann galt. So lange er sich noch als den einzigen Erben eines solchen erwiesen, war sie stets heiter und liebreich gewesen; jetzt waren ihre Lebensanschauungen trübe, und ihre Augen zeigten stets die Spuren von Thränen. Und dann ihre Schwermuth, ihre Ermahnungen zu einem frommen Lebenswandel, die strenge Miene ihrer Mutter! O daß er bisher mit Blindheit geschlagen gewesen und nicht errathen hatte, woran er jetzt wie an ein Evangelium glaubte!

Statt seinen Weg zu verfolgen, schlug er gedankenlos den nach seinem Hause führenden ein; während Hermine, die ihn vor Abend nicht zurückerwartete, sich in dem Bilderzimmer mit einer großen Stickerei beschäftigte, die sie ihrer Mutter schenken wollte, damit diese sie auf dem frühern Wege verkaufen und dafür ihre kleinern Wintervorräthe beschaffen könnte. Niemand, William am Allerwenigsten, sollte und durfte Etwas davon erfahren, und deshalb verschloß sie jedesmal die Thüre, wenn sie ihre vielen Mußestunden zu dieser Arbeit verwendete, die nach einem berühmten Muster, Abrahams Opfer darstellend, mit ebenso viel Kunst als Emsigkeit von ihr ausgeführt ward. In den nächsten Tagen hoffte sie damit fertig zu werden, was des Zweckes wegen so wünschenswerth war, und heute besonders fürchtete sie keine Störung, als das Dienstmädchen an die Thüre klopfte und die Meldung machte, es sei eine Kiste und ein Brief für den Herrn gebracht. Hermine rief ihr zu, Beides im Salon zu lassen. Denn über sie war gerade wieder ein Moment des tiefsten Seelenschmerzes gekommen, und indem sie einen Gang durch das Zimmer machte, um keine Thräne auf die kostbare Stickerei fallen zu lassen, rief sie ein Mal über das andere händeringend aus: „Gott, mein Herr und Vater, erbarme dich seiner und meiner!“

Als sie sich wieder einigermaßen gesammelt hatte, gedachte sie des Briefes und der Kiste, und ohne die Adresse des ersteren, die von einer kaufmännischen Hand geschrieben war, näher zu betrachten, nahm sie ihn der Sicherheit wegen mit in das andere Zimmer und legte ihn gedankenlos in ihr Nähkörbchen. Kaum hatte sie sich wieder an ihre Arbeit gesetzt, als William mit unhörbaren Schritten über den dicken Teppich des Salons an die verriegelte Thüre eilte und sehr frappirt war, Herminen drinnen zu finden, [547] als er ihre Frage: „wer ist da wieder?“ vernahm. Ironisch antwortete er: „Ich bin’s, wenn Du mich aber nicht sehen magst, will ich nicht stören.“

„O William, welcher Einfall!“ rief Hermine letztlich erschrocken; denn schon war sie so zaghaft geworden, daß sie seine unverhoffte Rückkehr einem Unglücksfalle zuschrieb. „Warte nur einen Augenblick,“ fügte sie bittend hinzu, während sie hastig die Arbeit zusammenschlug und in dem Spiegelschrank verschloß. Sie öffnete hierauf eiligst die Thüre und trat dem argwöhnischen Gatten bleich, aber mit einem Engelslächeln entgegen, indem sie in seinem finstern Gesichte nach der Ursache forschte, die ihn sobald zurückgeführt hatte. Sein Aussehen schien ihre schlimmen Ahnungen zu bestätigen. Auch er war bleich wie der Tod, und seine Augen blickten wirr und irrten nach einem Streifblick in ihre verlegenen Züge im Zimmer umher und in das andre hinein, noch bevor er ein Wort sagte.

„Lieber William, was ist Dir widerfahren?“ fragte Hermine, und ihre Angst stieg, als er, statt hierauf zu antworten, mit erkünstelter Freundlichkeit fragte:

„Was ist denn Schönes in der antiken Kiste enthalten, die dort so sorgfältig auf den guten Teppich placirt ist?“

„Sie ist für Dich gebracht, lieber William, und hier ist auch ein Brief,“ sagte Hermine sanft, obgleich in tödtlicher Angst über sein Benehmen.

„Was!“ schrie er mit einem Zornblicke auf die Adresse. „Und Du denkst mich glauben zu machen, daß Du diese Hand nicht kenntest? O, daher Deine wieder gerötheten Augen! daher die verriegelte Thüre und das Schließen des Schrankes! daher Deine Blässe und sichtliche Angst! Verstelle Dich nicht länger, ich ahne, ich weiß Alles. Du hast einen Brief von derselben theuren Hand, von dem Dein Gatte nichts wissen darf und soll. Also dieser liebe, gute, redliche Harry lebt noch und hat doch in den ganzen vier Jahren sich weder um seine zweite Mutter noch um seine ihn so treu und innig liebende Cousine bekümmert?“

Hermine horchte anfangs mit sprachlosem Erstaunen auf William’s Worte, aber kaum verstand sie daraus, daß Harry noch lebe, als sie für nichts weiter Sinn noch Verständniß hatte. „William! mein bester William!“ rief sie, „Harry lebt? der Brief ist von ihm? So erbrich ihn doch und laß uns lesen was er schreibt!“

William wehrte sie mit herrischer Gebehrde von sich ab, als sie unwillkürlich die Hand nach dem Schreiben ausstreckte. „Ja, der Brief ist von Harry,“ sagte er höhnend, „aber dieser ist an mich, und ich halte es wie Du, ich lese auch meine Briefe allein für mich, wenn auch nicht bei verschlossenen Thüren.“ Dabei erbrach er das Couvert, aus welchem auch ein Schreiben an Herminens Mutter herausfiel. Er griff danach, besah die Aufschrift und überreichte es ihr mit einer höflichen Verbeugung, indem er hinzufügte: „Den bringst Du wohl gern selbst und allein an die Adresse.“

Die Schilderung der Gedanken und Gefühle, die während dieser qualvollen Minuten Herminens Kopf und Herz durchirrten, würde mehr Raum erfordern, als dieser Erzählung gewidmet ist. Genug, als William schwieg, stand Hermine hochaufgerichtet vor ihm, und ihn mitleidvoll anblickend, sagte sie: „William, Du bist kein guter Mensch!“ Dann nahm sie den Brief für ihre Mutter und ging damit zur Thüre hinaus.

Als diese sich hinter ihr schloß, sank William in Verzweiflung zurück. Jetzt sollte er den Unterschied zwischen eingebildetem und wirklichem Unglück gewahr werden, indem er fühlte, daß er in Wahrheit nie an Herminens Liebe gezweifelt, und daß er ihre Verachtung nicht überleben könnte. Endlich erbrach er den an ihn gerichteten Brief und hoffte darin wenigstens etwas zu finden, was ihm einen, wenn auch nur scheinbaren Grund zu so wahnsinnigem Benehmen hatte geben können.

Flüchtig überlief er die Schilderung der Erlebnisse seines Jugendfreundes, die sich hierzu allerdings nicht eigneten. Dem armen Harry war es ergangen wie so vielen Anderen, die nach Amerika gehen, um dort reich zu werden, und nichts Andres dahin mitbringen als kaufmännische Kenntnisse, an denen dort kein Mangel ist. „Köpfe habe ich genug und bessere als Du, wenigstens schlauere,“ ruft die neue Welt vergebens der alten zu, „sende mir nur noch tüchtige Arme.“ Mehr als zwanzig Rollen hatte Harry durchgemacht, nur um nicht zu verhungern. Von Ost nach West, von Nord nach Süd war er gewandert, bis er sich zuletzt in Toledo, einer neu gegründeten Stadt, niederlassen konnte. Hier hatte er in Compagnie mit einem jungen deutschen Arzte ein Drogueriegeschäft errichtet, in welchem sie zugleich als Apotheker, Liqueurfabrikanten und Schenkwirthe fungirten und das ihnen die Aussicht eröffnete, mit der Zeit noch einmal wohlhabende Leute zu werden.

„Endlich,“ so schloß Harry’s Epistel, „endlich kann ich nun auch anfangen, einige Zinsen von dem Capital abzuzahlen, das meine gute Tante und ihr Mann durch die Wohlthaten, die sie mir in meiner Kindheit erzeigten, bei mir angelegt. Bevor ich so weit war, wollte ich nicht schreiben. Besser, Ihr hieltet mich für todt, als elend. Wozu sollte es auch nützen, wenn ich die Sorgen einer armen Wittwe mit den meinigen vergrößerte? Zumal mir Niemand helfen konnte und sollte, als Gott und ich selber. Aus Europa hörte ich selten etwas; die größte und angenehmste Neuigkeit war die, daß aus Dir und meiner kleinen Cousine ein Paar geworden. Ich kann Dir nicht sagen, wie tröstlich mir diese Nachricht war, denn nun wußte ich, daß es meiner alten, trefflichen Tante an nichts fehlen würde. Doch, mein lieber William, Du darfst nicht vergessen, daß ich ihr ältester Sohn bin, und mußt es zulassen, daß ich von jetzt an das Meinige beitrage, ihren Lebensabend zu schmücken, wie sie es verdient. In dem anliegenden Schreiben sende ich ihr meine ersten Ersparnisse. Dich bitte ich, Dir die Havannah-Cigarren und den Liqueur aus unserer Fabrik gut schmecken zu lassen, und meiner kleinen lieben Hermine zu sagen, daß sie sich ihres Bruders in Liebe erinnern möge, wenn sie den beigeschlossenen Shawl um ihre weißen Schultern schlägt, die mir immer wie die Fittiche eines Engels vorkamen, wenn das liebreizende Kind meinen Hals umschlang. Sage ihr auch, daß sie es nicht übel nehmen soll, wenn ich für dies Mal nicht auch an sie schreibe; ich kann mir ja denken, daß sie diese Zeilen Wange an Wange mit Dir liest.“

„Hermine! Meine Hermine, ich habe Dich verloren!“ schrie William auf. „Du bist kein guter Mensch! – diese Worte werden ewig wie Flammen in meinem Herzen brennen! Und doch hat ein Engel sie gesprochen, ein gewöhnliches Weib würde mich ein Ungeheuer genannt haben, und mit Recht. Ich wahnsinniger Thor habe selbst das größte Glück der Erde von mir gestoßen! Ich bin so elend geworden, daß ich das Leben nicht mehr ertragen kann!“

Der unglückliche junge Mann würde in diesem Augenblicke das Mitleid selbst des strengsten Sittenrichters geweckt haben, so groß war sein Schmerz, seine Reue, seine Zerknirschung. Endlich raffte er sich mit einem verzweiflungsvollen Entschlusse empor. „Ich muß sie sehen!“ rief er, „zu ihren Füßen will ich sie in die ganze Höllentiefe meiner Schuld blicken lassen und ihr Urtheil, ihre Entschließung in Demuth empfangen und tragen.“

Ohne Hut stürzte er aus dem Hause, den Abhang hinunter, dem Häuschen am Strande zu. Durch die hellen Scheiben suchten seine Blicke das mißhandelte, schuldlose Weib, und neuer Schrecken ergriff ihn, als er Hermine kniend vor ihrer Mutter, das Haupt in deren Schooße verbergend, erblickte. Natürlich wußte die Mutter nun seine ganze Schande; wie konnte er ihr, die ihn wie den Wolf betrachten mußte, der ihr das Lamm geraubt und das Herz desselben zerfleischt hatte, unter die Augen treten? Aber die Mutter sah nicht auf, wie von Schmerz und Zorn bewegt, sie blickte glücklich und wie verklärt auf die Tochter herab, und hatte die Hände segnend auf das Haupt derselben gelegt.

Mit der Miene des Verbrechers, der seine Schuld empfindet und eingestehen will, trat William leise ein und warf sich an Herminens Seite nieder, indem er die flehenden Augen zur Mutter erhob, die ihn freundlich verwundert anschaute, als er ausrief: „O Mutter! Mutter! vergeben Sie mir!“

„Was soll ich Ihnen vergeben, lieber Sohn?“ war ihre fast ängstlich klingende Frage, während Hermine regungs- und athemlos in ihrer Stellung verharrte und keine Ahnung hatte, welche Wirkung Harry’s Brief in der Seele ihres verirrten Gatten hervorgebracht.

„Hat nicht Hermine – o daß ich noch sagen könnte: meine Hermine! – mich bei Ihnen verklagt? Sie zürnen mir, und das mit dem heiligsten Rechte. Versuchen Sie nicht, Ihre Gefühle gegen mich zu verbergen; ich bin nicht gekommen, mich zu entschuldigen, sondern mein Unrecht zu bekennen und mein Urtheil zu empfangen.“

„Hermine, mein Kind, blick’ doch auf und sprich!“ sprach die Pastorin, zärtlich bemüht, das hold erröthete Antlitz der Knieenden aufzurichten, und als das jungfräuliche Weib nun wie Maria, [548] als sie die Verheißung empfing, mit gesenkten Lidern das Haupt erhob, aber noch immer schwieg, überflog eine leise Röthe die Wangen der Matrone, und sie war fast schön zu nennen, als sie mit einer aus weiblicher Würde und Freude gemischten Haltung sprach: „Eigentlich, lieber Sohn, hätten Sie der Erste sein sollen, dem dies schämige Kind das süßeste Geheimniß des Weibes anvertraute. Doch wer weiß, wie lange sie es uns Beiden noch vorenthalten hätte, wenn die große Freude über Harry’s Brief es ihr nicht entrissen. Sie sehen mich ungläubig an? Ja, ja, es ist gewißlich wahr, der Herr unser Gott gab mir an einem und demselben Tage den todt geglaubten Sohn zurück und die beseligende Hoffnung, einen Enkel auf meinem Schooße wiegen zu können.“

Welche Feder wäre fähig, zu schildern, was bei dieser von ihm so heiß ersehnten Nachricht in William’s Herzen vorging? Er war von seinen Knieen aufgesprungen und starrte die Matrone erst ungläubig, dann wie verklärt vor Freude an. Aber unwillkürlich entfernte er sich von Herminen, als fühle er sich nicht würdig, seinem Gefühle Worte zu geben. Da aber erhob auch sie sich, und auf ihn zueilend, umschlang sie ihn mit ihren Armen heiß und innig, während ihre Lippen nichts als nur die Worte: „William! mein ewig Geliebter!“ stammelten.

Lange hielten sie sich so umschlungen, Beide in Thränen zerfließend, während die Mutter, die die ganze Scene mehr errieth, als verstand, nur einzelne Ausrufe hörte, als: „Ich bin ein Elender, ein wahnsinniger Thor!“ – – „O, klage Dich nicht an, sage mir nur, daß Du mich noch liebst!“ – – – „Du kannst mir nicht verzeihen.“ – – „Ich habe nichts mehr zu verzeihen, sobald Du nur an mich glaubst.“ – – „Ist es denn wahr, mein süßes Leben?! Doch sprich es nicht aus mit denselben Lippen, die erst vor einer Stunde sagten, ich sei kein guter Mensch, Gott – Gott, ich verdiene nicht das Glück, Vater zu sein!“ – – „William, Du wirst Deinem Kinde einst noch das edelste Vorbild sein, diese Stunde verbürgt es mir! – –“

Himmlische Minuten! wie sie nur selten denen zu Theil werden, deren Leben auf der Woge der Zeit gleichmäßig dahinfließt! Aber auch sie eilten vorüber, und William fand nun eine selbstquälerische Genugthuung darin, beide Frauen in die Tiefen seiner Brust blicken zu lassen. Vergebens suchte Hermine ihn mehrmals zu unterbrechen, vergebens versicherte ihm die Mutter, daß ihre Tochter sich niemals über ihn beklagt, und er sie nicht in Schmerzen einweihen sollte, zu denen er von jetzt an gewiß niemals mehr Veranlassung geben würde. Ohne Schonung gegen sich verglich er sein Benehmen mit Harry’s einfach redlichem, und indem er auch des Punktes erwähnte, daß der Letztere schon von Ersparungen sprach und einen so edeln Gebrauch davon machte, während aus seiner Mittheilung deutlich hervorging, daß seine Lage augenblicklich noch nichts weniger als glänzend war, gelangte er endlich dahin, sich selbst der gedankenlosesten Verschwendungssucht anzuklagen, und in wahrer Verzweiflung brach er in die Worte aus: „Ja, es muß heraus! Du mußt und sollst Alles wissen, ich bin ein ruinirter Mann! Wenn ich nicht bis übermorgen 4000 Mark habe, die ich nicht aufzubringen weiß, muß ich mich fallit erklären!“

Die Mutter sank bei dieser Nachricht fast in Ohnmacht. Sie warf dann in namenloser Angst den ersten Blick in die Banknote, die natürlich nicht so groß war, um eine solche Summe zu decken. Hermine dagegen fand eine Art Trost darin, als sie sich sagen konnte, daß Geldsorgen ihres Mannes Laune in der letzten Zeit sehr verfinstert und seine Härte, seine Rauhheit gegen sie veranlaßt haben könnten. Auch freute sie sich, als er ihr durch sein Vertrauen endlich Gelegenheit gab, ihm als christliche Ehegattin helfend und rathend zur Seite treten zu können.

„Verkaufe doch das Haus!“ sagte sie heiter. „Von meiner Wäscherin hörte ich, daß Madame Blenheim es sich mit Leidenschaft wünscht, um ihren Park vergrößern zu können.“

Anfangs ergriff William den Gedanken mit Begeisterung, allein bald schüttelte er das Haupt. „Nein,“ sagte er, „das Haus ist mir seit einer Stunde zu theuer geworden. Dort habe ich das höchste Glück genossen, dort habe ich es mit Füßen von mir gestoßen, dort möchte ich es mir auf’s Neue wieder erringen durch ein pflichtgetreues Leben.“

„William!“ rief Hermine begeistert, „was von Deinem Glücke in meiner Hand und in meinem Herzen liegt, das nimmst Du überall mit hin, sei es in eine Hütte oder in einen Palast.“ „Nicht an das Wo ist Seligkeit gebunden, wer hat das Glück schon außer sich gefunden?“ sangst Du nicht oftmals so? Nun wohlan denn, fasse den Entschluß! Laß uns Deinen Vater bitten, den Handel zu machen und uns mit in sein Haus aufzunehmen. „Stadt oder Land, die Außenwelt ist Tand!“ Aus der Stube Deiner Tante wollen wir uns ein neues Paradies schaffen, in der Kammer ist Raum genug für zwei Betten, auch noch für die Wiege unsers Kindes. Die alte Rebekka wird ohnehin zu alt, unser gutes Väterchen gehörig pflegen zu können, Grund genug zu unserer Bitte!“

„Mein Vater soll der Letzte sein, der meine Schande erfährt!“ rief William.

„Nenne nicht dies häßliche Wort, sage lieber Verlegenheit. Und weshalb Dein Vater der Letzte? sind nicht unsere Eltern unsere ersten und natürlichsten Vertrauten?“

„Ja, für die Geheimnisse der Engel und Madonnen!“

„Auch für unsere Verirrungen, geliebter William! Blicke doch in das gute, volle, wenn gleich wehmüthige Auge unserer Mutter! Ich wette, ihre Wehmuth rührt nur von ihrer Ohnmacht, Dir zu helfen, her. Laß uns zusammen und sogleich zu Deinem Vater gehen, ich will ihm unsere Bitte wegen der Aufnahme seiner Kinder unter sein Dach vortragen, Du unterstützest sie dann mit einem offenen Bekenntnisse.“

Jetzt hatte auch die Mutter wieder Kraft gesammelt, und so sehr es sie schmerzte, die Tochter gerade in dieser Zeit so weit von sich zu lassen, fand auch sie sich in die Nothwendigkeit, und beide Frauen hatten endlich die Freude, William zu überreden. Mit ihrem besten Segen entließ die würdige Frau bald darauf die beiden Ehegatten, die nun wieder wie ein Herz und eine Seele, aber mit verdoppelter Kraft und muthig, den besonders für William so schweren Weg antraten.

Das kleine, schmale und hohe Haus des alten Almis lag an einem großen Marktplatze, und das Schreibpult des in Berechnungen Vertieften stand dicht am Fenster. So konnte es geschehen, daß er zu seiner nicht geringen Verwunderung seine Kinder zu so ungewohnter Zeit schon einige Minuten vor ihrem Eintritte gewahr ward. Ihm ahnte sofort, daß William seine Hülfe suche, denn er war nicht so unbekannt mit dessen neuesten Verirrungen, als er sich den Anschein gab. Es finden sich überall Menschen, die es nicht ertragen, Jemand in Unwissenheit mit der Schande oder dem Unglücke eines Verwandten zu sehen. So hatte der schlaue alte Geschäftsmann sich denn schon darauf vorbereitet und sich vorgenommen, nur im äußersten Nothfalle helfen zu wollen. Daß Hermine ihren Gatten begleitete, gehörte freilich nicht mit in diese Vorbereitung, denn gegen sie spielte der Schwiegervater gewissermaßen immer halb und halb den Galanten, und auch jetzt hatte er rasch den bequemen Hausrock mit seinem allerbesten, das grüne Hauskäppchen mit dem schwarzsammtnen vertauscht, das Hermine ihm zu seinem Geburtstage geschenkt, und schon an der Hausthüre trat er den Beiden mit liebreicher Freundlichkeit entgegen, wodurch er Herminens Muth erhöhte, den des Sohnes aber völlig wieder in die Flucht schlug. Hermine nahm denn auch zuerst das Wort, und nicht ohne freudige Verwunderung, aber auch nicht ohne Schrecken vernahm der Alte ihre Bitte, die sie im zärtlichsten Tone vortrug, und sich mit der kindlichsten Demuth zu seiner besseren Pflege erbot.

„Nun, nun, mein Töchterchen,“ entgegnete er nach kurzem Besinnen, „ich finde es natürlich, daß Du, wie andere wohlhabende Frauen, auch gern eine Stadtwohnung hättest. Wäre auch für William bequemer, denn der Weg ist weit, und er brauchte Dich dann Mittags niemals allein essen zu lassen. Ich weiß zwar nicht, ob er das öfter gethan, bekümmere mich nicht um seine Angelegenheiten, so wenig ich ihm erlauben würde, sich in die meinigen zu mischen. – Aber mein Kind, Dein Wunsch kann erfüllt werden, ohne daß Ihr den Krebsgang in diesen alten Kasten zu thun braucht. Das würde dem Credit Deines Mannes schaden, und der Credit gilt dem Kaufmanne mehr als Geld. William hat Dir vielleicht erzählt, daß ich seit Jahren für einen reichen Sonderling, Namens List, nach und nach mehrere Häuser habe kaufen müssen, die ich für ihn administrire. Von einer Zeit zur andern wollte er kommen und eines davon beziehen, aber bis heute hat er nicht Wort gehalten. Im Frühjahre kam eines von diesen Häusern mit einer freien und sonnigen Lage frei, und ich durfte es nicht wieder vermiethen, weil List jedenfalls den Winter darin wohnen wollte.

[549]
Das Passions-Spiel in Oberammergau.

Christus. Maria.
Gemeindevorsteher Rupert Schauer.  Barbara Schaller.  

Judas. Nicodemus.
Oberammergauer Schauspieler.



Nun schreibt er wieder ab, und wenn ich bedenke, daß dies alte Haus nachgerade sehr zugig geworden ist, und Deine Mutter, mein Töchterchen, im Winter auch nicht gerade sehr behaglich in dem ihrigen sich fühlen muß, so sehe ich nicht ein, weshalb ich nicht das leerstehende Haus beziehen und Euch Alle als meine lieben Gäste darin einladen sollte. Meublirt ist es auch schon theilweise für List, und wenn Ihr Eure Einrichtung mitbringt – –“

„O Väterchen, herzliebes, gutes Väterchen!“ jubelte Hermine, und es fiel Niemandem ein, daß er nicht das Recht hätte, William’s Schwiegermutter als Hausgenossin bei sich aufzunehmen.

Nun aber sollte die Hauptsache berührt werden, und der Vater hörte es schon dem leidenschaftlichen Danke des Sohnes an, daß demselben noch etwas wie ein Stein auf der Zunge lag. Indessen hatte auch William seinen Entschluß gefaßt und sagte ruhig, als ob es sich um ein gewöhnliches Gespräch handelte: „Ich habe ein Anliegen an Dich, lieber Vater! Ich möchte mein Haus verkaufen und Dir das Geschäft übergeben; Blenheim wünscht es zu haben, um seinen Park damit zu vergrößern, und Du wirst es begreifen, daß dies die beste Gelegenheit zu gutem Profit wäre.“

„Sehr gern,“ antwortete der Vater in demselben Tone. „Du willst im Frühjahr vielleicht ein größeres beziehen, und auch da kann ich dienen, habe eins vor dem Dammthor von List seinen, das ich Dir offeriren kann.“

„Ich danke, lieber Vater, Hermine und ich können es gelegentlich einmal besehen.“

„Ja, ja, es hat Zeit damit –“

„Aber nicht mit dem Verkauf meines Hauses,“ fiel William lebhaft ein. „Der Zeitpunkt ist besonders günstig, um Gartenanlagen zu verändern.“

„Freilich, da hast Du Recht, ich will nächsten Tags die Gelegenheit erhorchen.“

„Könntest Du vielleicht morgen?“ fragte William, und der Vater bewilligte auch diesen Wunsch, ohne nach dem Grunde einer solchen Eile zu fragen.

Hermine blickte von dem Einen auf den Andern und wußte nicht, was sie von Beiden denken, noch wie sie sich bei diesem sonderbaren Gespräch verhalten sollte. Endlich rief sie bewegt: „Aber William, Du wolltest ja unserm liebreichen Vater Alles sagen.“

„Um Gotteswillen nicht mehr als zur Sache gehört!“ fiel der Vater ihr freundlich in die Rede. „Ein guter Geschäftsmann verschwendet nichts, am wenigsten Zeit und Worte. Laß Du, mein Kind, es stets nur Deine größte Sorge sein, den Credit Deines Mannes aufrecht zu erhalten, selbst bei seinem Vater.“


[550] Am nächsten Tage lief eine Nachricht in der Börsenwelt umher, die Viele mit Verwunderung, Viele mit Schadenfreude, die Wenigsten mit Theilnahme anhörten und weiter verbreiteten. Der reiche Blenheim sollte, und schon seit Jahren, große Defrauden bei seinem Engros-Geschäft begangen haben. Er hatte versucht, seinem damit beauftragten Buchhalter die Schuld davon aufzubürden, und dieser war gefänglich eingezogen, Blenheim selbst nur gegen hohe Caution auf freiem Fuß gelassen.

Dies war natürlich kein günstiger Augenblick, ihm das Landhaus anzubieten, denn wenn der reiche Mann die Schuld nicht von sich abwälzen konnte, hatte er damit zugleich seinen Bürgereid gebrochen und konnte dann nicht in Hamburg bleiben.

Dies stellte der alte Almis seinem Sohne vor, und als er die bleiche Verzweiflung in dem Gesichte desselben las, kam er der Beichte, die schon auf William’s Lippen schwebte, eiligst zuvor, indem er sagte: „Ich kann Dir das Haus ja für List abkaufen und es, wenn Du Geld brauchst, gleich baar bezahlen. Er hat es in meinem Kasten liegen.“

William blickte gerührt in das grämliche Gesicht, drückte die Hand seines Vaters und sagte: „Strecke mir nur 4000 Mark vor. Wenn Gott uns bis Weihnacht offenes Wasser erhält, zahle ich es Dir schon in einigen Wochen zurück.“

„Du willst das Haus also nicht verkaufen?“

„Nein, mein herzlieber Vater!“ sprach William in tiefer Bewegung. „Ich möchte gern, daß die Wiege meines ersten Kindes da zu stehen käme, wo ich die Mutter zuerst als mein Eigen umarmte.“

„Was?“ rief der alte Mann freudebebend. „Hermine wird mir einen Enkel geben? Junge! ich schenke Dir das Geld für diese Nachricht.“

Zehn Jahre sind verflossen, seit wir die obigen Familien-Nachrichten niederschrieben. Das schöne Landschaftsbild ist noch dasselbe, aber in den Häusern, in die wir unsere Leser einführten, hat sich Alles verändert. Die Familie Blenheim ist in alle vier Winde zerstreut. Der Banquier ist am gebrochenen Herzen gestorben. Den Sohn haben Gemüthsbewegung und Ausschweifung in’s Irrenhaus geführt. Die Tochter hat einen Componisten zweiten Ranges geheirathet und sich mit ihm am Comersee niedergelassen. Die Mutter zog es vor, in einer großen süddeutschen Stadt ihren Millionen Geltung zu verschaffen.

List hat den Blenheim’schen Palast durch den alten Almis billig erstanden, und dieser ist mit seiner ganzen, jetzt schon sehr zahlreichen Familie hineingezogen, in der die Schwiegermutter keine Stunde mehr entbehrt werden kann.

Im Häuschen am Strande verzehrt die alte Rebekka das Gnadenbrod.

List ist noch immer nicht nach Hamburg gekommen, und wir vermuthen, daß derselbe nie und nirgendwo existirt hat, als in dem Kopfe des alten Almis. Dieser hat sich gänzlich vom Geschäft zurückgezogen und hat alle Gelübde aufgehoben, seit William ein Matador in Haus und Geschäft geworden. Im breiten Goldrahmen prangen jetzt die meisterhaft umgeschaffenen Bilder, daneben das von dem guten Harry, dem man es ansieht, daß es ihm gut geht, und das der Pastorin, Herminens trefflicher Mutter, und vier reizende Bilder, schöne Kinder, die sich jetzt im Park auf der Höhe umhertummeln. Hermine ist eine der schönsten und edelsten Frauen – – geblieben.




Das Passions-Spiel in Oberammergau.
Von Herman Schmid.
(Schluß.)

Die letzte Abtheilung beginnt mit Vorbildern, welche sich auf die Opferung Isaaks und die Aufstellung der ehernen Schlange durch Moses beziehen; darauf folgt der Zug zur Richtstätte. In ergreifend furchtbarer Wahrheit schreitet Christus, fast zusammenbrechend unter der Last des Kreuzes, ruhig und gelassen wie immer in der Mitte der Kriegsknechte und des höhnisch tobenden Volks heran. Aus der Mittelbühne kommt der Cyrenäer Simon, um zur Hülfe gezwungen zu werden, während gegenüber Maria mit Magdalena, Johannes und einigen andern in tiefster Betrübniß näher kommen. Die schon erwähnte vortheilhafte Einrichtung der Bühne macht es möglich, daß gleichzeitig mehrere Handlungen vorgehen, ohne daß der Uebersichtlichkeit oder dem Verständniß Eintrag geschähe. Die Begegnung der Mutter und des Sohnes, ohne allen rhetorischen oder dichterischen Schmuck, gehört zu den erschütterndsten Momenten; – da blieb kein Auge trocken.

Wie der Zug in die Mittelbühne verschwunden ist, fällt der Vorhang und die Schutzgeister erscheinen, aber nun mit umflorten Diademen und statt der bunten in schwarzen Trauermänteln. Während ihres feierlichen Gesanges hört man hinter der Bühne die Hammerschläge fallen, und als der Vorhang sich wieder erhebt, liegen die drei Kreuze am Boden, Christus ist bereits angenagelt, die Schächer sind angebunden; die Kreuze werden erhoben und ragen hoch in dem Proscenium empor. Die versammelte Menge ist wie versteint, nur vielfaches Schluchzen zeugt von vorhandenem Leben, und in gehobenster Stimmung läßt sie an sich alle Vorgänge vorüberziehen, welche die Bibel erzählt, den Spott der Priester und des Volks, Jesu Gespräch mit den Schächern, mit Maria und Johannes, den Tod, das Würfeln über die Kleider, den Lanzenstich in die Brust mit verströmendem Blute. Den Schächern werden dann die Arme und Beine zerschlagen und sie abgenommen, worauf die Kreuzabnahme Christi selbst folgt, die mittelst eines langen weißen Tuchs mit einer Würde vor sich geht, die den schönsten Gemälden über diesen Gegenstand kühn an die Seite treten kann. Dem schönen Bilde folgt ein nicht minder schönes, als die Leiche auf ein aufgebreitetes weißes Tuch in den Schooß Maria’s gelegt wird, um dann verhüllt und in das im Hintergrunde sichtbare steinerne Grabmal gelegt zu werden.

Damit ist der Höhepunkt der ganzen Darstellung überschritten; eine Steigerung ist nicht mehr wohl denkbar, und es ist daher erklärlich, wenn die darauf folgende Auferstehung, zumal weil sie theatralisch etwas ärmlich eingerichtet ist, gleiche Wirkung nicht hervorbringt. Sie ist eingeleitet von zwei Vorbildern, wie Jonas vom Wallfisch wieder an’s Land gesetzt wird, und wie Israel durchs rothe Meer gezogen ist, die beide – ersteres wohl des Stoffes halber – mit den frühern nicht glücklich wetteifern. Nach den Scenen mit den Wächtern, mit den Frauen am leeren Grabe, und dem Erscheinen Christi vor Magdalena folgt ein die Fortdauer des Erlösungswerks in der siegenden Kirche darstellendes Tableau und bildet mit einem Hymnus den Schluß.

Es war vier Uhr Nachmittags; die Versammlung mit nur einzelnen Ausnahmen hatte ruhig die zehn Stunden ohne Unterbrechung und Stärkung ausgehalten und strömte nun unabsehbar, aber ebenso ruhig, ohne die mindeste Störung auseinander. Es mochten gegen sechstausend sein, und einige tausend, die keinen Platz mehr erhalten hatten, warteten, daß Tags darauf die Vorstellung für sie wiederholt würde, was auch geschah. Das Wetter ließ dafür wenig Tröstliches erwarten; wir zogen es daher vor, sogleich abzureisen, um noch nach Murnau und Tags darauf nach Hause zu gelangen, mit Verwunderung den Schnee betrachtend, der auf den Bergen bis herab in’s Flachland lag.

Ueber die Aufführung werden wir weiter unten sprechen; es bleibt nur noch übrig, besonders hervorzuheben, daß sie ganz und gar nicht den Charakter anderer dramatischer Darstellungen hat. Es hängt das mit der Wesenheit des Drama’s zusammen, das sie darstellen. Dasselbe ist nicht eigentlich Drama, nicht eine aus der Entwickelung von Charakteren entspringende, sich schürzende und lösende Handlung; es ist mehr eine epische Reihe von Begebenheiten, eine in zusammenhängender Bilderfolge vorgestellte [551] Erzählung. Darum sind auch die Darsteller nicht Schauspieler in unserm gewöhnlichen Sinne; sie gehn nicht darauf aus, Charaktere zu entwickeln und darzustellen, sondern die Personen, deren Namen sie tragen, in möglichster Uebereinstimmung mit dem Ganzen der Begebenheiten vorzustellen. Das leisten sie auch in ausgezeichneter Weise, und es dürfte schwer sein, irgend etwas zu bemerken, was die Uebereinstimmung der Begriffe oder Ideale, die wir von Christus, Maria etc. haben, mit dem Vorgestellten aufzuheben oder zu stören vermöchte. Der Gemeindevorsteher Rupert Schauer ist nicht nur persönlich für die Rolle des Christus sehr geeignet, sondern führt sie auch mit einer Hoheit und Würde aus, die nichts zu wünschen übrig läßt. Dabei muß nebenher bemerkt werden, daß diese Rolle auch ein bedeutendes Maß körperlicher Anstrengung erfordert, indem z. B. durch das Hängen am Kreuze die Hände ganz blau und starr werden. Nach ihm ist der Zeichnungslehrer Flunger zu nennen, der früher den Christus, jetzt den Pilatus vorstellt. Er scheint der Schauspielgewandteste zu sein und gibt den feiner gebildeten ungläubigen Römer so vorzüglich, daß gegenüber den leidenschaftlichen Juden ein höchst wirksamer Gegensatz entsteht. Das bekannte inhaltsschwere Wort: „Was ist Wahrheit?“ kann kaum wahrer gesprochen werden. Inneres dramatisches Leben hat eigentlich nur Judas, denn nur er schreitet in der Entwickelung des Charakters von der Habsucht zum Verrath, von der Reue zur Verzweiflung fort. Dies kommt auch im Spiel zum Ausdruck, natürlich in den etwas derben, aber wahren Umrissen, wie sie in der Dichtung gegeben sind.

Maria wird von Barbara Schaller, Magdalena von Therese Lang dargestellt, einfach und schlicht weiblich, wobei nur die etwas hoch liegenden Organe Eintrag thun; minder bei Magdalena, deren Stimme demungeachtet einen elegisch weichen Klang hat. Auch die Sänger und Sängerinnen müssen noch in allen Ehren erwähnt werden: sie sind trefflich eingeschult, singen rein und präcis und zählen unter sich einige Stimmen, namentlich zwei Tenore, zwei Bässe und einen Knaben-Alt, deren naturfrische Kraft den Neid mancher großen Oper erwecken dürfte, zumal wenn man bedenkt, daß sie in einem völlig unbedeckten Raume singen und doch, ohne zu schreien, den ganzen Zuschauerraum ausfüllen.

Der Gesammteindruck des Ganzen ist hiernach nur ein würdiger; er zeugt von einem kaum glaublichen Eifer, von einer Ausdauer und Genauigkeit, welche sich nur dadurch erklärt, daß jeder Mitwirkende mit Kopf und Herz dabei und das vollständige Gelingen für Jeden eine Ehrensache ist. Die Stille des Auditoriums, seine Hingerissenheit sind die beste Probe dafür, und wenn hie und da, z. B. beim Tode des Judas, oder bei der Verleugnung des Petrus, ein frisches Lachen darüber hinschwebt, so gilt es nicht dem Dargestellten oder der Darstellung, sodern es ist eine Art moralischer Genugthuung, die sich der Schlechtigkeit und der Feigheit gegenüber geltend macht.

Nach diesem kurzen Rückblicke auf die Passionsvorstellung selbst möchte noch Einiges über deren Entstehung und Erhaltung nachgetragen werden. In ersterer Hinsicht wird erzählt, im Jahre 1633 habe in der Umgegend von Ammergau eine ansteckende tödtliche Krankheit, das wilde Kopfweh genannt, eine Menge Menschen hinweggerafft, Ammergau aber sei in Folge der getroffenen Vorsichtsmaßregeln davon verschont geblieben, bis ein auswärts arbeitender Tagelöhner sich heimlich in’s Dorf geschlichen habe, um das Kirchweihfest mit den Seinigen zu feiern. Er brachte die Krankheit mit, die bald ihn und eine große Anzahl von Bewohnern tödtete, sodaß die übrigen das Gelübde ablegten, sie wollten, wenn sie von der Seuche befreit würden, alle zehn Jahre die Leidensgeschichte Jesu öffentlich aufführen. Die Krankheit erlosch, und 1634 fand die erste Passionsvorstellung statt. Daß die Ammergauer gerade ein solches Gelöbniß machten, deutet darauf zurück, daß solche dramatische Aufführungen damals in Deutschland und insbesondere in den südlichen Theilen desselben und in den Gebirgen eine regelmäßige Erscheinung waren. Bekanntlich war der älteste christliche Gottesdienst, der (wie noch jetzt in Palästina) Abends begann und zu Mittag endete, rein dramatisch, und als diese Bestandtheile allmählich immer mehr ausgeschieden wurden, bildeten sich aus ihnen die biblischen Komödien, die anfangs in den Kirchen selbst, dann auf den Kirchhöfen, dann bei öffentlichen kirchlichen Aufzügen gegeben wurden, und aus welchen sich schließlich die Mysterienspiele des Mittelalters entwickelten.

Durch den dreißigjährigen Krieg verscheucht und zerstört, hatten sie in Deutschland eine Zuflucht bei den Tyrolern und den Bewohnern der bayerischen Gebirge gefunden und wurden dort an verschiedenen Orten mit großem Eifer gepflegt, bis die veränderten Anschauungen des vorigen Jahrhunderts ihnen durch Verbote ein Ende machten. Nur die Oberammergauer erwirkten von dem leutseligen König Max I. eine Ausnahme von diesen Verboten, und dieser Ausnahme ist es zu verdanken, daß in Deutschland die Möglichkeit gegeben ist, ein deutsches Mysterienspiel, wie sie um 1500 herum allgemein üblich waren, mit wenigen Aenderungen lebend und wirklich vor sich zu sehen. Ohne Zweifel haben die Ammergauer die Passion schon früher gespielt, aber sie mochte in Vergessenheit gerathen sein, und das Gelübde erklärt sich sonach als Wiederaufnahme derselben. Dafür spricht auch der noch vorhandene Urtext, welcher in seinem ganzen Wesen auf eine viel frühere Entstehungsperiode, als jene des dreißigjährigen Krieges ist, zurückweist. Derselbe ist ursprünglich wohl von einem Klostergeistlichen verfaßt, wie denn die Benediktiner von Ettal und dann die jeweiligen Pfarrer von Ammergau die mehrfachen Bearbeiter desselben wurden, ihn kürzer und zeitgemäßer einrichteten und insbesondere von den Teufeln und lustigen Personen befreiten, die in keinem echten Mysterium fehlen durften. Daß das so Entstandene so treu bewahrt, mit solcher Anhänglichkeit festgehalten wurde, liegt, abgesehen von der gestatteten Ausnahme und dem religiösen Sinne der Bevölkerung, welche die Aufführung zur Erfüllung des Gelübdes ihrer Vorfahren noch immer als ein frommes Werk vollbringt, in der schon am Eingange angedeuteten künstlerischen Befähigung und Beschäftigung derselben und in der beständigen Schauspielübung, in welcher sie durch eine im Schulhause befindliche ständische Bühne erhalten wird, auf welcher in der Zwischenzeit allerlei Stücke aufgeführt werden. Während dadurch Allen Gelegenheit gegeben ist, einen höhern Grad von Darstellungsfähigkeit zu erlangen, lebt in ihnen „der Passion“ und seine Spielweise als ein ihnen allein anvertrautes Kleinod in treuster Ueberlieferung fort, und man kann wohl sagen, daß sie in das Spiel förmlich hineinwachsen, wie denn auch ein großer Theil der Gruppirung und vielfach auch die Action das Gepräge der Tradition unverkennbar an sich trägt. Die Kinder beginnen im Arme ihrer Mutter, die eine Matrone von Jerusalem darstellt, sie rücken dann zu Kriegsknechten, zu Mitgliedern des hohen Raths, zu Priestern und schließlich zu Aposteln vor. Daher kommt es, daß einzelne Darsteller oft sehr bejahrt sind, wie z. B. 1850 der vielmalige Johannes schon über 60 Jahre, Barabbas aber 80 zählte und von Jugend auf diese liebenswürdige Rolle gespielt hatte. Manche Rollen sind auch geradezu erblich, wie jene des Judas, die schon mehrmals vom Vater auf den Sohn übergegangen ist. Aus all’ diesem spricht aber als hauptsächlichster Hebel der Erhaltung der gesunde Sinn des Volks, seine innere selbständige Kraft, seine so oft und mit so grobem Unrecht bezweifelte Fähigkeit zu Allem.[1]

Der Text an sich ist in seinem gesprochenen Theile vielfach rein aus Worten der Bibel zusammengesetzt; der übrige Dialog ist einfach und ohne allen Schmuck; hier und da allerdings von großer Naivetät, wie z. B. der seinen Herrn verleugnende Petrus „bei seiner Ehre“ betheuert, er kenne diesen Menschen nicht. Nirgends aber sinkt die Diction zum Platten oder Niedrigen herab, und selbst in den etwas steifen Wechselreden der Priester und Schriftgelehrten ist eine gewisse altväterische Würde nicht zu verkennen. Von den Versen der Chorgesänge läßt sich das nicht behaupten, denn die meisten davon sind für ein an Reinheit der Form gewöhntes Ohr von Wohlklang sehr weit entfernt.

Die Musik zum Ganzen, wohl ebenso umfangreich wie ein großes Oratorium, hat den Ammergauer Rochus Dedler zum Verfasser, der daselbst als Lehrer ziemlich jung starb und von der Dankbarkeit seiner Landsleute durch eine Ehrensäule über seinem Grabe ausgezeichnet ward. Sie ward ihm nicht mit Unrecht, denn das Tonwerk zeugt von nicht gewöhnlicher Begabung und ist, wenn auch nicht im hohen Style von Bach oder Händel, so doch [552] in einem Charakter gehalten, der bei aller Weichheit der Melodien nie unter den Inhalt herabsinkt, stellenweise sogar sich zu treffender Charakteristik und frommem Schwunge erhebt. Es ist der Styl der Land-Messen, bei welchem die Sangbarkeit, sowie die leichtere Möglichkeit des Einstudirens immer besonders im Auge gehalten werden muß.

Fragen wir zum Schlusse nach der Bedeutung des Passionsspiels, so ist von selbst klar, daß dessen anderwärts vielfach hervorgehobene religiöse Seite nicht in diesen Bericht und in diese Blätter gehört. Die ästhetische oder dramatische Bedeutung haben wir schon erörtert und können uns auf eine kurze Schlußbemerkung beschränken. Wenn das Spiel auch nicht sowohl dramatische Handlung als epische Begebenheiten bringt, so trägt es doch die Keime der erstern in sich, denn in der Verschwörung der Krämer und in der Art, wie sie im Bunde mit den Hohenpriestern Judas zu ihrem Werkzeuge machen, ist die Intrigue des modernen Drama’s im Grundzuge bereits gegeben. Im Ganzen und Großen aber kann man sagen, daß man die ewige Tragödie der Menschheit in der Versündigung an ihrem reinsten Ideal im Entwurfe in ergreifender Weise an sich vorübergehen sieht.

Die scenische oder theatralische Bedeutung des Passionsspiels ergibt sich zum größten Theile schon aus dem Gesagten. Die Bühne desselben ist, wie das Spiel selbst, ein überlieferter Rest der alten Mysterienbühne, welche drei Stockwerke übereinander hatte, um die in Himmel und Hölle und auf der Erde zugleich vorgehenden Handlungen fassen zu können. Himmel und Hölle sind hier weggefallen, und so ist denn nur das untere Stockwerk in der stehenden Mittelbühne erhalten geblieben. Dadurch aber, wie durch die beiden Seitenstraßen, das Proscenium und die beiden Altane ist eine fünffache Abtheilung des Schauplatzes gegeben, deren überraschende Vortheile wir bereits angedeutet haben. Ohne Zweifel lag der Einrichtung der Mysterienbühne eine Erinnerung an jene des altgriechischen Theaters zu Grunde, die also mit erhalten blieb und durch ihre Anschaulichkeit auch in dieser Hinsicht Manches erklärt. Unsere jetzige Schaubühne hat – mit Ausnahme besonders hergestellter Vorrichtungen in Einzelfällen – auf die Mannichfaltigkeit der Scene verzichtet; sie stellt immer nur eine bestimmt abgegrenzte Räumlichkeit dar und hat es eben darum in der Kunst, diese auszuschmücken, weiter gebracht. Es ist sehr die Frage, ob sie dadurch gewonnen hat, und ob die äußere Regelmäßigkeit, welche dadurch erreicht ist, nicht durch das freiere Leben und die größere Beweglichkeit der Darstellung reichlich aufgewogen würde.

Die wichtigste Bedeutung des Spiels aber bleibt immer die Eingangs hervorgehobene nationale. Im deutschen Mittelalter hat es bekanntlich eigentliche Berufsschauspieler nicht gegeben; die Bühne war – bis in spätern Zeiten sich die Jesuiten derselben bemächtigten und sie für ihre Zwecke ausnützten – in den Händen des Volks; Handwerker und Studenten waren die ausschließenden Darsteller, und auch der Bauer verlangte und erhielt seinen Theil an der Ergötzlichkeit dramatischer Darstellungen. Wie die Zünfte in den sogenannten Fastnachtsbrüdern das bürgerliche Spiel zu einer hohen Entwickelung in Hans Sachs und Ayrer brachten; wie die aus den fahrenden Schülern zusammengetretenen Studententruppen – von denen Einige sich die Parnaßbrüder nannten – ein etwas höheres Ziel verfolgten: so bemächtigte sich das Landvolk der ihm am nächsten liegenden religiösen Mysterien, und überall, namentlich in Süddeutschland und bei den Gebirgsbewohnern, erstanden und blühten eine kaum glaubliche Anzahl von Bauernbühnen. Die Studententruppen sind zum Theil von den Jesuitenspielen aufgesogen worden, theils gingen aus ihnen die ersten ständigen Wandergruppen von Berufsschauspielern hervor; die Bühne der Handwerker ist verschwunden, bis auf die Spiele der Schifferzunft zu Laufen an der Salzach, welche seit vielen Jahrhunderten zur Winterszeit in den Stätten des platten Landes herumzieht und regelmäßige theatralische Vorstellungen gibt, wie z. B. Johann von Nepomuk, Schinderhannes, die Königin von Saba etc., dabei aber noch den alten Fastnachtsschwank erhalten hat, der jedesmal den Schluß bildet und nach welchem die ganze dazu eigens eingerichtete Bühne zusammenstürzt. Von der Bauernbühne ist meines Wissens nur jene zu Oberammergau übrig geblieben, und wir haben daher mit Recht behauptet, daß ihre Darstellungen nicht blos einen geschichtlichen und alterthümlichen Werth haben, sondern auch deshalb hohe Beachtung verdienen, weil uns daraus der Athem einer freien selbstständigen Entwickelung, ein echt nationaler Hauch entgegenweht, getragen von echt deutscher Energie des Willens, der Kraft und Energie im Volke.

Man hat deshalb den Vorschlag gemacht, solche Spiele auch an andern Orten einzuführen; wohl mit Unrecht, denn was hier naturgemäß gewachsen ist, kann nicht willkürlich und künstlich verpflanzt und gezogen werden. Es müßte von außen hinein getragen werden, während es hier als die Frucht eines schönen und begeisterten Gemeinwesens von innen heraus schwillt. Demungeachtet könnte davon für nationale Zwecke eine vielleicht ersprießliche Anwendung gemacht werden. Bei größern Festen ist in der Regel die Zahl der Feierlichkeiten bald erschöpft, und weil die ständigen Bühnen vermöge ihrer Bauart die Betheiligung von Massen ausschließen, wäre in dieser offenen Bühne und ihrer Spielweise ein ganz neuer Ausweg gegeben, große geschichtliche Begebenheiten vor einer großen Menge in eindringlichster Weise darzustellen und dadurch die öffentlichen Umzüge im Costüme, die immer etwas Maskeradenhaftes haben, überflüssig zu machen. Der Versuch würde sicher von Erfolg begleitet sein, vorausgesetzt, daß die Ansführung hier wie dort durch freiwillige Theilnahme und Begeisterung erfolgt, woran bei gehöriger Anregung nicht zu zweifeln ist. Auch die Dichter würden nicht ausbleiben und dadurch dem deutschen Geschichtsdrama vielleicht die Schulfesseln abgenommen und ihm eine Aera der Volksthümlichkeit angebahnt werden, wie sie weiland nur den Griechen zu Theil geworden.

Wir sind überzeugt, daß jeder Besucher des Ammergauer Passionsspiels in diese Wünsche einstimmt – gelten sie doch der Erhebung und dem Ruhme des Allen gleich theuren deutschen Vaterlandes!




Aus Garibaldi’s Leben.
Nr. 4.

Die Lage der republikanischen Armee verschlimmerte sich inzwischen von Tag zu Tag, ihre Bedürfnisse wurden größer, ihre Hülfsmittel geringer; die beiden heftigen Gefechte bei Taquari und bei San José des Nordens hatten die Infanterie decimirt, die, obschon weniger zahlreich, der Nerv der Belagerungsoperationen war. Bald riß Desertion ein; die Bevölkerungen wurden, wie es in zu lang ausgedehnten Kriegen zu geschehen pflegt, müde und überdrüssig; Gleichgültigkeit bemächtigte sich ihrer, und man fühlte von allen Seiten, daß der Augenblick gekommen sei, dem ein Ende zu machen.

Die Schlacht von Causa hatte stattgefunden; die Republikaner wurden darin von den Kaiserlichen geschlagen. Der mitten im Winter in einem gebirgigen Lande und bei einem unaufhörlichen Regen unternommene Rückzug war das Schrecklichste und Gräulichste, was Garibaldi je gesehen hatte. Zum Glück führten sie als Proviant einige Kühe mit sich, da sie im Voraus wußten, daß auf den Wegen, die sie zu durchschreiten hatten, kein zur Nahrung geeignetes Thier ihnen begegnen würde. Anita erduldete während dieses dreimonatlichen Rückzugs Alles, was nur ein Mensch ertragen kann, ohne die Seele aufzugeben, und sie ertrug mit unaussprechlichem Muth und Stoicismus.

Man muß einige Kenntniß von den Wäldern in diesem Theile Brasiliens besitzen, um sich eine Idee von den Entbehrungen machen zu können, welche eine Truppe ohne weitere Transportmittel erduldete, eine Truppe, die als einziges Proviantirungsmittel nur den Lasso hatte, eine ganz nützliche Waffe in den von wilden Thieren und Hochwild bewohnten Prairien, die aber in den dichten Waldungen, wo nur Jaguare und Unzen hausen, ganz zwecklos ist. Um das Unglück auf den höchsten Punkt zu bringen, waren die in diesen jungfräulichen Wäldern nahe bei einander laufenden Flüsse über alle Maßen angeschwollen; jener furchtbare Regen, der Garibaldi unablässig verfolgte, hatte zur Folge, daß oftmals ein Theil der [553] Truppen zwischen zwei Flüssen eingeschlossen wurde und sich dort jeder Nahrung beraubt sah. Nun machte der Hunger sein Werk, hauptsächlich unter den Frauen und Kindern, und seine Verheerungen waren jammervoller, als die, welche Kanonen- und Flintenkugeln angerichtet hatten.

Namentlich litt das Fußvolk unter Leiden und Entbehrungen aller Art, denn dieses konnte nicht, wie die Reiterei, im äußersten Nothfalle seine Zuflucht zum Pferdefleisch nehmen. Wenige Frauen und noch weniger Kinder kamen glücklich aus dem Walde heraus: die wenigen, welche dem Tode entgingen, wurden von den Reitern gerettet, die Mitleid mit den armen kleinen, von ihren Müttern verlassen und vor Hunger, Frost und Ermattung sterbenden Wesen empfanden.

Anita, die treue Gattin Garibaldi’s, zitterte bei dem Gedanken, ihren Menotti zu verlieren, der übrigens nur durch ein Wunder gerettet wurde. An den gefährlichsten Orten, oder wenn Flüsse zu passiren waren, trug Garibaldi sein armes drei Monate altes Kind, das er in einem Taschentuch an seinem Halse befestigt hatte und mit seinem Athem zu erwärmen suchte.[2] Von einem Dutzend Zugthieren, Pferden und Mauleseln, die Garibaldi beim Eintritt in den Wald sowohl für seinen eigenen Dienst, wie für sein Fuhrwerk besessen hatte, blieben ihm nur zwei Maulthiere und zwei Pferde; die übrigen waren verhungert oder vor Mattigkeit gestürzt. Zum größten Unglück hatten endlich noch die Führer den Weg verloren. So weit sie auch vorwärts drangen, so fanden sie doch das Ende dieses vermaledeiten Waldes nicht. Jetzt blieb Garibaldi mit zwei schrecklich ermatteten Maulthieren zurück, in der Absicht, sie vielleicht dadurch zu retten, daß er sie nur Schritt vor Schritt gehen ließ und mit den Blättern des Taquara, eines Schilfrohrs, von welchem der Taquari seinen Namen erhalten, zu ernähren suchte. Unterdessen sandte er Anita mit einem Dienstboten und dem Kinde voraus, um wo möglich einen Ausgang aus diesem endlosen Walde, so wie einige Nahrung aufzufinden. Die beiden Pferde, die er Anita gelassen, und die eins nach dem andern von dem muthvollen Weibe geritten wurden, retteten Alle. Sie gelangte endlich zum Ausgang des Waldes und traf glücklicherweise am äußersten Ende ein Piquet seiner braven Soldaten, die um ein angezündetes Feuer, etwas Seltenes in diesem allgemeinen Regen, sich gelagert hatten.

„Meine Cameraden hatten,“ so erzählt Garibaldi, „zum Glück einige wollene Kleidungsstücke erhalten, wickelten das Kind in dieselben, erwärmten es wieder und brachten es in’s Leben zurück, an welchem die arme Mutter bereits zu verzweifeln begonnen hatte. Dies war aber noch nicht Alles; mit zärtlicher Sorglichkeit machten sie sich auf den Weg, um einige Nahrungsmittel aufzusuchen, die sie nicht für sich selbst, sondern aus Liebe zu mir aufzufinden strebten, und mit denen sie die Mutter und das Kind ein wenig erquickten. – Ich selbst hatte mir eine unnütze Mühe genommen, meine beiden Maulthiere zu retten, endlich sah ich mich genöthigt, die armen keuchenden, verschlagenen und ganz abgefallenen Thiere zu verlassen; ich selbst legte den letzten Theil des Weges durch den Wald zu Fuß zurück. Denselben Tag noch fand ich mein Weib und mein Kind wieder und vernahm, was meine theuern Waffengefährten für sie gethan hatten. Neun Tage nach unserem Eintritt in den Wald verließen erst die letzten der Division ihn wieder; nur wenige Officiere hatten ihre Pferde glücklich durchgebracht; der Feind, der uns voranschritt, hatte bei seiner Flucht vor uns zwei Geschützstücke in der Pecada zurückgelassen; aber wir schenkten ihnen im Vorüberziehen kaum einen Blick, denn es fehlten uns alle Transportmittel, und wahrscheinlich befinden sie sich noch heute auf derselben Stelle, wo ich sie damals sah.

„Der Sturm und Regen schien auf den Wald beschränkt; kaum hatten wir ihn verlassen und näherten uns der Crima da Serra und der Vaccaria, als wir schönes Wetter bekamen. Dieses schöne Wetter und einige Ochsen, die in unsere Hände fielen und uns für die lange Fastenzeit entschädigten, ließen uns Ermattung, Hunger und Regen vergessen. Wir verweilten einige Tage im Departement von Vaccaria, um die Division von Bento Gonzales zu erwarten, die in Unordnung und auf ein Drittheil zusammengeschmolzen wieder zu uns stieß. – Während eines kurzen Aufenthalts, den wir uns am Saume einer dieser riesigen Waldungen gestatteten, sahen wir eine Frau aus ihm heraustreten, die in ihrer Jugend von den Wilden geraubt worden war und unsere Nachbarschaft benutzte, um zu entfliehen. Das arme Geschöpf befand sich in einem bejammernswerthen Zustande.

„Da wir jetzt keinen Feind mehr zu fliehen, noch in diesen hohen Gegenden zu verfolgen hatten, setzten wir unsern Marsch in kurzen Etappen fort, zumal da uns Pferde gänzlich mangelten und wir uns gezwungen sahen, Füllen einzufangen und unterwegs zu zähmen. Das Corps der republikanischen Lanciers war vollständig unberitten und konnte sich nur durch Füllen wieder aufhelfen. Es war übrigens ein prachtvolles und, obschon täglich wiederholtes, doch stets neues Schauspiel, diese jungen und kräftigen Schwarzen zu sehen, von denen Jeder den Beinamen des Pferdebändigers verdiente, welchen Virgil dem Peleps ertheilt. Man mußte sie sehen, wie sie auf diese wilden, des Gebisses, Sattels und Sporns unkundigen Kinder der Steppe sprangen, sich an die Mähne derselben anklammerten und mit ihnen durch die Ebene brausten, bis das Thier, dem Menschen nachgebend, sich für besiegt bekannte. Allein der Kampf währte lange; das Thier ergab sich nicht eher, als bis alle seine Kräfte, sich seines Tyrannen zu erwehren, erschöpft waren; der Mann war seinerseits bewunderungswürdig, was Gewandtheit, Kraft und Muth anlangt: an alle Bewegungen des Thieres gebunden, es zwischen die Kniee wie zwischen einen Schraubstock pressend, mit ihm aufspringend, sich mit ihm niederwälzend, wieder mit ihm sich erhebend und sich nicht von ihm trennend, als bis es in Schweiß gebadet, mit weißem Schaum bedeckt und mit zitternden Knieen gebändigt die Kraft des Mannes anerkannte. Ein tüchtiger Pferdebändiger brauchte drei Tage Zeit, um auch das wildeste Roß dahin zu bringen, daß es sich dem Gebiß unterwarf. Selten werden jedoch die Füllen von den Soldaten, namentlich auf dem Marsche, gut gebändigt, denn zu viele Beschäftigungen verhindern die Bändiger, ihnen die nöthige Sorgfalt zuzuwenden.

„Nachdem wir die „Mattos“ passirt, zogen wir durch die Provinz der Missionsgesellschaften, wendeten uns nach Cruz-Alta, dem Hauptort dieser kleinen Provinz, und von Cruz-Alta nach San Gabriel, wo das Hauptquartier errichtet und Baracken für das Lager der Armee aufgeschlagen wurden. Sechs Jahre dieses Gebens unter Gefahren und Abenteuern hatten mich nicht ermüdet, so lange ich allein geblieben war; allein jetzt, wo ich eine kleine Familie besaß, ließ diese Trennung von allen meinen ehemaligen Bekannten, diese Unkenntniß, was während so vieler Jahre aus meinen Eltern geworden, in mir das Verlangen aufsteigen, mich einem Punkte zu nähern, wo mir Nachrichten von meinem Vater und meiner Mutter zukommen konnten. Ich vermochte zwar für einen Augenblick all diese zärtlichen Gefühle in meinem Herzen zurückzudrängen; allein sie hatten sich daselbst angehäuft und gewannen wieder die Oberhand. – Setzen wir hinzu, daß ich auch nicht wußte, wie es meiner andern Mutter erging, die man Italien nennt! Die Familie ist mächtig, aber das Vaterland unwiderstehlich. Ich entschloß mich daher, wieder nach Montevideo zu reisen und daselbst wenigstens einige Zeit lang zu bleiben; deshalb bat ich den Präsidenten um meinen Abschied und die Erlaubniß, mir eine kleine Ochsenheerde anzuschaffen, deren stückweiser Verkauf mir während der Dauer der Reise meinen Unterhalt bestreiten helfen sollte.“

So finden wir denn Garibaldi als Truppiere, mit andern Worten als Ochsenführer wieder! In einer Estancia, el Corral de Pedras mit Namen, gelang es ihm, mit Ermächtigung des Finanzministers in einigen zwanzig Tagen und mit unsäglichen Mühen und Beschwerden gegen neunhundert Stück Vieh zusammenzubringen. Diese Thiere waren jedoch noch vollständig wild, und eine noch größere Mühe harrte seiner unterwegs, wo sich ihm fast unübersteigliche Hindernisse entgegenstellten. Lassen wir ihn selbst erzählen:

„Die größte Mühe,“ so berichtet er, „machte mir der Uebergang über den Rio Negro, wo ich mein ganzes Capital versinken sah. Ich hatte nicht allein die Schwierigkeiten des Uebergangs und meine Unerfahrenheit in meinem neuen Geschäft gegen mich, sondern hauptsächlich die Unredlichkeit einiger von mir als Führer gedungenen Leute. Dennoch rettete ich ungefähr fünfhundert Stück, aber in Folge schlechten Futters, der Länge der Reise und der Schwierigkeiten beim Flußübergang hielt man sie für unfähig, ihre Bestimmung zu erreichen. Ich beschloß daher sie todtzuschlagen, die Haut abzuziehen und nur ihre Felle zu verkaufen, ein Unternehmen, [554] bei welchem mir, die Unkosten vorläufig abgezogen, kaum einhundert Thaler blieben, welche mir zur Bestreitung der nothwendigsten Bedürfnisse meiner Familie dienen sollten. Ich will bei dieser Gelegenheit noch eines Zusammentreffens erwähnen, das mir einen meiner theuersten und zärtlichsten Freunde verschaffte. Ach! noch einer, der in einer bessern Welt die Befreiung Italiens erwartet!

„Als ich während unseres Rückzugs in die Nähe von San Gabriel gelangte, hörte ich einen italienischen Officier von großem Geist, großem Herzen und großer Kenntniß nennen, der als Carbonaro verwiesen, sich für Frankreich, am 5. Juni, zu Oporto geschlagen, die lange Belagerung, welche dieser Stadt den Namen der Unüberwindlichen verschafft, mit durchgemacht, endlich aber, wie ich, gezwungen war, Europa zu verlassen und nun seinen Muth und seine Kenntnisse den jungen südamerikanischen Republiken angeboten und gewidmet hatte. Man erzählte von ihm Züge von Muth, Kaltblütigkeit und Kraft, daß ich mir zehnmal wiederholte: Sollte ich dem Manne begegnen, so wird er mein Freund sein! Er nannte sich Auzani.

„Ein Stück von ihm machte großes Aufsehen. Als Auzani in Amerika ankam, hatte er sich mit einem Empfehlungsschreiben bei den Herren N***, Kaufleuten zu V. und Italienern wie er, vorgestellt. Diese Herren hatten bald ihr Factotum aus ihm gemacht. Auzani war gleichzeitig bei ihnen Cassirer, Buchhalter, Vertrauter, besser gesagt, Auzani war der gute Genius ihres Hauses. Wie alle kräftigen und muthvollen Menschen war auch Auzani ruhig und sanft.

„Das Haus, dessen eigentlicher Director er geworden, war eins jener Häuser, wie man sie nur in Südamerika findet, die Lager von Allem, was man sich nur erdenken kann, halten und in einer einzigen Handlung so ziemlich sämmtliche Handelsartikel vereinigen. Nun war aber die Stadt, in welcher das Handelshaus unserer Landsleute sich befand, zum Unglück in der Nachbarschaft eines Waldes gelegen, in welchem jene indischen Stämme, die Bugren, hausten. Einer der Häuptlinge dieser Indier war der Schrecken des ganzen Städtchens, das er zwei Mal jährlich mit seinem Stamm besuchte und nach Belieben ausplünderte, ohne daß es ihm einen Widerstand entgegenzusetzen gewagt hätte. Anfangs war er mit zwei- bis dreihundert Mann, dann mit hundert, später mit fünfzig eingezogen; wie er aber den Schrecken gesehen, den seine Gegenwart verursachte, glaubte er endlich allein kommen und doch den Gebieter spielen zu können. Dies that er denn auch, erließ seine Befehle und stellte seine Forderungen, als ob sein ganzer Stamm hinter ihm gestanden, um die Stadt mit Blut und Feuer zu verheeren.

„Auzani hatte von diesem Eisenfresser sprechen hören und Alles still vernommen, ohne seine Meinung über die Verwegenheit des wilden Häuptlings und über den Schrecken auszusprechen, den seine Wildheit verbreitete. Dieser Schrecken war so groß, daß, sobald das Geschrei erklang: „der Häuptling der Mattos!“ sofort alle Fenster geschlossen, alle Thüren verriegelt wurden, als ob man die Anwesenheit eines tollen Hundes ausgerufen hätte. Der Indier war an diese Zeichen des Entsetzens gewöhnt, die seinem Stolze schmeichelten. Er wählte eine Thüre aus, die er geöffnet wünschte, klopfte an dieselbe an, und nachdem sie ihm erschlossen worden, was mit der Geschwindigkeit des Schreckens geschah, konnte er nun das ganze Haus ausplündern, ohne daß der Hausherr, die Nachbarn oder die Einwohner auch nur daran gedacht hätten, seinen Rückzug zu beunruhigen.

„Es waren ungefähr zwei Monate vergangen, seitdem Auzani das Handelshaus in den größten wie geringsten Einzelnheiten zur großen Genugthuung seiner beiden Principale leitete, als plötzlich der Schreckensruf ertönte: „der Häuptling der Mattos!“ Wie gewöhnlich, schlossen sich eiligst Thüren und Läden. Auzani war allein im Hause und eben beschäftigt, die Wochenrechnung abzuschließen; er dachte nicht daran, daß die tosende Nachricht der Mühe lohne, sich stören zu lassen, und blieb daher bei offener Thür und offenem Fenster hinter seinem Ladentisch. Staunend blieb der Indianer vor diesem Hause stehen, das mitten in dem allgemeinen Umsturz, den seine Gegenwart hervorrief, bei seiner Ankunft gleichgültig erschien. Er trat ein und erblickte auf der andern Seite des Comptoirs einen Mann mit bleichem Angesicht, der seine Rechnungen abschloß. Mit gekreuzten Armen blieb er vor ihm stehen und betrachtete ihn verwundert. Auzani erhob den Kopf. Er war die Höflichkeit selbst.

„Was wollt Ihr, mein Freund?“ fragte er den Indianer.

„Wie? was ich will?“ erwiderte dieser.

„Gewiß,“ entgegnete Auzani, „wenn man in ein Magazin eintritt, wünscht man etwas zu kaufen.“

Der Indianer brach in ein Lächeln aus.

„Du kennst mich also nicht?“ fragte er Auzani.

„Wie sollte ich Dich denn kennen? Es ist das erste Mal, daß ich Dich sehe.“

„Ich bin der Häuptling der Mattos,“ antwortete der Indier, indem er seine Arme entkreuzte und in seinem Gürtel ein Arsenal von vier Pistolen und einen Dolch erblicken ließ.

„Nun, Häuptling der Mattos, was willst Du?“ fragte Auzani.

„Zu trinken will ich,“ erwiderte dieser.

„Und was willst Du trinken?“

„Ein Glas Aguardiente.“

„Nichts leichter als das; zahle zuvor und ich werde Dir dann Dein Glas bringen.“

Der Indier begann ein zweites Mal zu lachen. Auzani runzelte leicht die Augenbrauen.

„Sieh,“ sagte er, statt zu antworten, „lachst Du mir zum zweiten Male in’s Gesicht! Ich finde das nicht höflich. Ich sage Dir daher, geschieht es zum dritten Male, so werfe ich Dich zur Thüre hinaus.“

Auzani hatte diese Worte mit einem Tone von Festigkeit gesprochen, der jedem Andern als einem Indier ein Maß für den Mann gegeben haben würde, mit dem er es zu thun hatte. Vielleicht verstand ihn der Häuptling, allein er gab sich das Ansehen, ihn nicht zu verstehen.

„Ich sagte Dir, Du solltest mir ein Glas Aguardiente geben,“ wiederholte er, indem er mit der Faust auf den Ladentisch schlug.

„Und ich sagte Dir, Du möchtest vorher bezahlen,“ gab ihm Auzani als Antwort zurück, „wo nicht, erhältst Du nichts.“

Der Indier warf einen Zornblick auf Auzani, aber Auzani’s Auge begegnete dem seinigen. Blitz um Blitz kreuzten sich. Auzani sagte gewöhnlich: „Es gibt keine faktischere Macht, als die moralische; betrachtet kühn, fest und beharrlich den Mann, der euch betrachtet; senkt er die Augen nieder, so seid ihr sein Meister. Senkt aber nicht die eurigen, sonst wird er euer Meister.“ – Auzani’s Blick hatte eine unwiderstehliche Gewalt: der Indier schlug die Augen nieder. Er fühlte seine Inferiorität und wollte sich doch, wüthend über diesen ihm unbekannten Zauber, durch Trinken wieder ein Herz verschaffen.

„Wohlan,“ sagte er, „hier ist ein halber Piaster, schenk ein.“

„Es ist mein Amt, die, welche zahlen, zu bedienen,“ antwortete Auzani ruhig.

Und er brachte dem Indier ein Glas Branntwein. Der Indier goß es hinunter.

„Noch eins,“ rief er.

Auzani brachte ihm ein zweites. Der Indier schüttete es wie das erste hinab.

„Noch eins!“ sprach er von Neuem.

So lange das Geld ausreichte, um die Libationen des Indiers zu decken, machte Auzani keine Bemerkung; als der Zecher aber so viel hinabgegurgelt hatte, als der Preis des Geldstückes auswog, hielt er an.

„Nun?“ fragte der Indier.

Auzani machte ihm seine Rechnung.

„Was weiter?“ beharrte der Indier.

„Was weiter? Ohne Geld keinen Branntwein!“ entgegnete Auzani.

Der Indier hatte richtig gerechnet. Die fünf bis sechs Glas Aguardiente, die er hinuntergestürzt, hatten ihm den Muth wieder verliehen, den er vor dem Löwenblick Auzani’s verloren.

„Aguardiente!“ schrie er, indem er die Hand an eine seiner Pistolen hielt, „Aguardiente, oder ich morde Dich!“

Auzani, welcher merkte, daß die Sache damit endigen könne, hielt sich gefaßt. Er war ein Mann von fünf Fuß neun Zoll, mit fabelhafter Kraft und bewunderungswürdiger Gewandtheit. Seine rechte Hand stützte er auf den Ladentisch, sprang auf die andere Seite hinüber und stürzte mit seinem ganzen Gewicht auf den Indier und bemächtigte sich, bevor dieser noch Zeit gefunden, [555] sein Pistol zu ziehen, mit der linken Hand der rechten Faust seines Gegners. Der Indier konnte den Stoß nicht aushalten, er fiel rücklings zu Boden. Auzani stürzte auf ihn und setzte ihm das Knie auf die Brust. Jetzt entriß er ihm, während der Indier seine Waffe nicht gebrauchen konnte, die Pistolen wie den Dolch aus seinem Gürtel und warf sie in das Magazin, dann entwand er ihm das Pistol, das er in seiner Rechten hielt, und schlug nun, den Lauf in der Hand, mit dem Kolben aus aller Kraft auf den Häuptling los. Endlich, als er glaubte, daß der Indier, um mich des Kunstausdrucks zu bedienen, genug habe, erhob er sich und stieß ihn mit kräftigen Fußtritten zur Thüre hinaus, wo er bis in die Gosse rollte, in welcher er ihn liegen ließ. In der That hatte der Indier genug. Er stand auf und erschien nie wieder in San Gabriel.

„Unter einem andern Namen, als dem seinigen – unter dem Namen Ferrari – hatte Auzani den portugiesischen Krieg gemacht. Unter diesem Namen hatte er sich bewunderungswürdig gehalten; unter diesem Namen hatte er den Rang eines Capitains sich erworben; unter diesem Namen hatte er zwei schwere Wunden, die eine am Kopfe, die andere in die Brust, erhalten, so schwere Wunden, daß er nach Verlauf von sechzehn Jahren an einer derselben starb. Die Wunde am Kopfe rührte von einem Säbelhiebe her, der ihm die Hirnschale zerschmetterte. Die in der Brust rührte von einer Kugel her, die in der Lunge festsaß und später eine Lungenschwindsucht herbeiführte.

„Wenn man zu Auzani von den Wundern des Muths sprach, die er unter dem Namen Ferrari vollbracht hatte, lächelte er und behauptete, dieser Ferrari und er wären verschiedene Menschen. Von diesem Manne hatte man mir erzählt, das war der Mann, den ich kennen zu lernen wünschte und den ich zu meinem Freund machen wollte. Zu San Gabriel vernahm ich, daß er in Geschäftsangelegenheiten ein Dutzend Miglien weit verreist sei. Ich erkundigte mich näher und bestieg mein Pferd, um ihn aufzusuchen. Unterwegs, am Ufer eines kleinen Flüßchens, fand ich einen Mann, der mit nackter Brust sein Hemd wusch. Ich merkte, daß dies der Mann sei, den ich suchte.

„Ich schritt auf ihn zu, reichte ihm die Hand und nannte meinen Namen. Von diesem Augenblicke an waren wir Brüder. Zu jener Zeit war er nicht mehr in seinem Handelshaus; wie ich, war er in die Dienste der Republik von Rio Grande eingetreten. Er befehligte die Infanterie der Division Juan Antonio, eines der berühmtesten republikanischen Chefs; wie ich, verließ er übrigens diesen Dienst und wendete sich nach el Salto.

„Nachdem wir einen Tag mit einander verlebt hatten, gaben wir uns unsere gegenseitigen Adressen und kamen überein, daß wir nichts Wichtiges vornehmen wollten, ohne daß der Eine den Andern davon benachrichtigte. Man gestatte mir noch eine Einzelheit, um unsere Noth und unsere Brüderlichkeit daraus zu erkennen. Auzani hatte nur ein Hemd, aber er besaß zwei Paar Beinkleider. Ich war eben so arm wie er in Bezug auf das Hemd, aber er war um ein Paar Beinkleider reicher als ich. Wir schliefen unter dem nämlichen Dache, aber Auzani reiste vor Tage ab, ohne mich zu wecken. Als ich erwachte, fand ich auf meinem Bett das beste Paar seiner beiden Beinkleider. Ich hatte Auzani kaum gesehen, allein er war einer von den Männern, die man auf den ersten Anblick beurtheilt. Deshalb war auch, als ich Dienste bei der Republik von Montevideo nahm und mit der Organisation der italienischen Legion beauftragt wurde, meine erste Sorge, an ihn zu schreiben und ihn einzuladen, diese Arbeit mit mir zu theilen. Er kam, und wir verließen uns erst an dem Tage, wo er die italienische Erde wieder berührte und in meinen Armen starb.“




Ein deutscher Dichter und Dulder.
Von Albert Traeger.

Stehst Du zum deutschen Sängerorden,
Denk’ nicht an Lohn und Lorbeerkron’!
Das Vaterland ist Bettler worden,
Was fordert noch des Bettlers Sohn?
Er heischt ein Schwert und todestiefe Wunden;
Die sind ja bald in seinem Dienst gefunden; –
Nur kühn voran!
  Julius Mosen.

In einer kleinen Residenzstadt unseres an diesen Marksteinen äußerer und innerer Zerklüftung so überreichen armen Vaterlandes, in Oldenburg, steht freundlichen Ansehens ein bescheidenes Haus, auf dem eine besondere Weihe zu ruhen scheint. Mittag ist’s; die Rosen unten im Garten schauen wie sehnsüchtige Bräute zu den geöffneten Fenstern und senden grüßend ihre zartesten Düfte hinauf; in der Laube lagern zwei blühende Jünglinge, auch sie wenden sich zuweilen erwartungsvoll empor; oben im Wohnzimmer bereitet die Hausfrau den Tisch zum Mahle. Emsig waltet sie und geräuschlos, wie in der Nähe eines Krankenbettes; plötzlich unterbricht sie sich, ein dumpfer Ton hat unhörbar fast ihr geübtes Ohr berührt, schon ist sie im Nebengemach. Zusammengekrümmt sitzt dort die abgezehrte Gestalt eines Mannes, machtlos ruht das Haupt auf der Brust, in unheimlicher Weiße erglänzt die gewaltige Stirne, bis zur Unsichtbarkeit sind die Augen von den schweren, müden Lidern überhangen, die farblosen Lippen zucken wie im Krampfe. Vor ihm auf dem Tische liegt ein Zeitungsblatt. Behutsam neigt die Frau sich über ihn und wendet es um, seine unablässig zitternden Hände versagen jeden Dienst. Unhörbar, wie sie gekommen, ist die treue Helferin schon wieder entschwunden, er liest weiter. Was liest er? Vielleicht von dem frevelhaften Spiele, das ein nachbarlicher Gewaltherrscher bedrohlich an unseren Grenzen treibt, und dem Proteste, den einzig das kleinste und freieste Volk dagegen erhoben, kühn aber fruchtlos, da die Mächtigen unthätig zuzuschauen sich begnügten. Und der Feuergeist, der in der schlackenhaften Hülle des Lesenden unversehrt sich erhalten, lodert zürnend empor, und sein Unmuth kleidet sich in die Worte eines Liedes, seines Liedes: „Gott sei mit euch, mit dem verrathnen deutschen Reich!“ Er liest weiter. Vielleicht von den armen deutschen Brüdern, die angesichts der Uebrigen der höhnende Uebermuth fremder Rohheit mit den Geißeln der Knechtschaft peitscht, oder von Anderen, die im eigenen Vaterlande vergebens nur ihr Recht begehren. Ein wildes Weh ergreift ihn, ein Weh, wie er es vor langen Jahren bereits hinausgesungen in die weite Welt mit den zündenden Lauten: „Es blutete der Brüder Herz, ganz Deutschland, ach, in Schmach und Schmerz!“ Vielleicht aber auch weht ihm aus den Spalten des Zeitungsblattes der Flügelschlag eines frischeren, freieren Geistes entgegen, der im Vaterlande jetzt mächtig sich zu regen beginnt, und sein Schmerzenslager umleuchtet gleich freundlichem Abendrothe die Hoffnung, daß auch er nicht umsonst gelebt, gekämpft und gelitten, daß der Same, den auch er mit treuen Händen ausgestreut, noch Früchte tragen werde weit über sein nahes Grab hinaus.

Vielleicht auch erfährt er, wie unter Vielem, was man endlich zu begreifen anfängt, auch die späte Einsicht gekommen, daß ein der Freiheit entgegenstrebendes Volk nicht länger dem Soldaten der Freiheit den Ehrensold versagen dürfe, daß es seiner Dichter und Schriftsteller werkthätig sich annehmen müsse. Und wenn vor seinem Blicke das überraschende Ergebniß freudiger Anstrengungen sich berechnet, überschleicht ihn bei aller Befriedigung sicher auch ein leises Gefühl zweifelnder Verstimmung. Er weiß und fühlt es wie kein Anderer, daß der Dichter höhere Ansprüche hat, als nicht zu verhungern, daß er vor Allem verstanden und gewürdigt sein will. Er hat im Laufe eines langen Lebens schmerzlich erfahren, wie es um die geistige und sittliche Reife eines Volkes beschaffen, das seine gediegensten Schätze unbeachtet im Dunkel verstauben läßt und, wie der Wilde, an nichtigem Flittertande ein kindisches Ergötzen hat, das die Kanzel des Dichters, das Theater, hartnäckig dem wahren Berufe verschließt und jämmerlichen Gauklern zum Tummelplatze überläßt. Ein freundliches Geschick hat es verhindert, daß mit der Krankheit das Elend sich gegen ihn verbündete, aber vergebens harrt er noch darauf, daß seinem Namen die volle Ehre werde, die ihm gebührt. Julius Mosen, der Sänger des Hoferliedes, der seit mehr denn zehn Jahren langsam stirbt, ist lange schon ein fast Verschollener, nur in einzelnen Liedern lebt er noch

[556]

Julius Mosen.

fort in seinem Volke, dem die schönsten Werke eines seiner besten Dichter unbekannt und vorenthalten bleiben.

Julius Mosen ist am 8. Juli 1803 in Marieney, einem Dorfe des sächsischen Vogtlandes geboren, der zweite Sohn des dortigen Schullehrers. Sein Vater, ein geistig geweckter und gebildeter Mann, der seine kärglichen Verhältnisse mit glücklichem Humor sich zurechtzulegen verstand, unterrichtete den Knaben selbst, bis er ihn, gewiß mit schweren Opfern und banger Besorgniß, im Drangsals- und Hungerjahre 1817 auf das Gymnasium nach Plauen brachte. Von da aus bezog der angehende Student fünf Jahre später die Universität Jena, um die Rechte zu studiren. Unbeachtet lebte der bescheidene Jüngling hier still und zurückgezogen, bis er eines Tages im Freundeskreise seine erste Novelle: „Der Gang nach dem Luthersbrunnen“ vorlas, und sich dadurch mit einem Schlage die Achtung und Zuvorkommenheit aller seiner Genossen erwarb. Ein Festlied, welches er bald darauf zur Jubelfeier des Großherzogs von Weimar, Karl August, als Rector magnificus der Universität dichtete, ließ sein väterlicher Gönner, der Professor Hand, auf eigene Kosten drucken und überreichte es dem fürstlichen Jubilar. Goethe erkannte diesem Gedicht vor allen eingegangenen den Preis zu, und der jugendliche Sänger erhielt vom Hofe zwölf Dukaten nebst huldreichen Zusicherungen.

Als Mosen 1824 im Begriff war, nach Leipzig zu gehen, verlor er seinen Vater, die Mutter zog mit den übrigen Kindern nach ihrer Heimathstadt Oelsnitz. Er mußte schon damals thätig seiner Familie sich annehmen, die der Tod ihres Ernährers in arge Bedrängniß gebracht hatte; dessenungeachtet fand er aber gerade in dieser schweren Zeit den Muth und die Mittel, einen längst gehegten Lieblingswunsch auszuführen, und machte sich auf den Weg nach Italien. Von gewaltigstem, auf sein ganzes Leben und Schaffen nachwirkendem Einflusse waren die Eindrücke und Anregungen, die der in der Gährung begriffene Dichter auf dieser Wanderung empfing. Sein Form- und Schönheitssinn klärte sich an der antiken Ruhe classischer Schöpfung ab, sein Forschergeist, der stets mit eingehender Vorliebe und besonderem Verständnisse den Entwickelungsgängen der Geschichte gefolgt, stand auf der erinnerungsreichen Markscheide der alten und neuen Götter- und Völkerwelt, und entzifferte die Riesenschrift, deren Zeichen jedem Steine eingeprägt sind.

Als er im Winter 1826 in Oelsnitz an der Stadtmauer wieder heraufkam, erkannte ihn sein jüngster Bruder, der dort mit andern Knaben spielte, nicht, so mächtig war er auch im Aeußeren entwickelt. Hier in der Ruhe der mütterlichen Häuslichkeit schuf er das Epos „Ritter Wahn,“ dessen Stoff er zu Florenz gefunden hatte in einer alten, jedenfalls zur Zeit der Völkerwanderung von germanischen Stämmen auf italienischen Boden verpflanzten Sage, deren Grundzug echtdeutsches Heimweh ist. Er dachte jedoch viel zu edel von dem Schatze, den ein Gott in seine Brust gelegt, um handwerkermäßig die Scheidemünze des täglichen Unterhaltes daraus prägen zu wollen, und so ging er zur Beendigung seiner Fachstudien mit dem kommenden Frühling nach Leipzig.

[557] Mit der drückendsten Noth kämpfend und nur von einem hochherzigen Gönner, dem Hofgerichtsrath Dr. Wenck, freundlich unterstützt, arbeitete er so unverdrossenen Eifers, daß er schon im nächsten Jahre die Prüfung mit der ersten Censur bestand. Hierauf bildete er sich drei Jahre lang in Neukirchen bei dem Stadtschreiber Schweinitz zum praktischen Juristen aus. Mag es dem jungen Dichter, an dessen Schöpferdrang unablässig neue Pläne und Entwürfe gebieterische Ansprüche erhoben, schon schwer genug gefallen sein, die Flügel niederzuhalten und geduldig in das trockene Formularwesen seiner Beschäftigung und den bureaukratischen Hochmuth eines verknöcherten Pedanten sich zu ergeben, schwerer noch lastete auf seiner freiheitliebenden Seele die Noth und Schmach des Vaterlandes.

In Mosen’s Knabenzeit fielen die herrlichsten Jahre unserer Geschichte: er hatte sein Volk wie einen Mann sich erheben sehen, er hatte es mit erlebt, daß Deutschlands Einigkeit eine Macht, an welcher eine für unüberwindlich gehaltene Gewalt wie an einem Felsen zerschellte; die heilige Begeisterung der Befreiungskriege mit ihrer maßgebenden Wirkung auf die Gegenwart, mit ihren zuversichtlichen Hoffnungen für die Zukunft hatte auch ihn berauscht – er war kaum zum Jüngling herangewachsen, als auch er schon gewaltsam ernüchtert ward. Man hatte die heiligsten Gefühle des Volkes benutzt, und als der Zweck erreicht war, drückte man die erhabenen Regungen, denen man die Erlösung aus der schmählichsten Erniedrigung verdankte, mit eiserner Faust wieder zu Boden; man strafte, um der Verlegenheit zu entgehen, belohnen zu müssen. Man lebte in banger Furcht, daß ein Volk, welches nach außen eine so achtunggebietende Macht entwickelt, auch nach innen mit gleicher Stärke sich geltend machen könnte, und schuf deshalb den Polizeistaat, der jeden Einzelnen ängstlich vom Allgemeinen absperrte und es zum Verbrechen stempelte, sich um die Wohlfahrt des Ganzen zu bekümmern. Männer, die mit Wort und Schwert in den Reihen der Befreier gekämpft, wurden „unschädlich“ gemacht, wenn nicht verfolgt und des Landes verwiesen, die Demagogen-Untersuchungen begannen, die Karlsbader Beschlüsse wurden gefaßt; ja als der so schroff unterdrückte Freiheitstrieb außerhalb der heimischen Grenzen einen Zielpunkt suchte und Alles den Griechen zujauchzte, die das türkische Joch abzuschütteln begannen, wies der Congreß von Verona die philhellenischen Bestrebungen zurück, nur um im Sultan das Princip der Rechtmäßigkeit aufrecht zu erhalten.

Mosen hat ein Jahrzehnt später diesen Congreß als Vorwurf und Titel eines Romanes benutzt, der ein höchst treues und wechselvolles, leider aber auch wenig erhebendes Gemälde des neueren Staatengetriebes entrollt. Während so der Dichter und der Vaterlandsfreund dumpf trauernd in Neukirchen einförmige Tage spann, brach unter gewaltigen Stürmen die Juli-Revolution aus; sie weckte auch Mosen aus seiner Erstarrung, alle Fesseln von sich abschüttelnd, eilte er nach Leipzig. Hier ward ihm endlich an Ambrosius Barth ein Verleger für seinen „Ritter Wahn“, der ein nicht geringes Aufsehen erregte, obschon die allgemeine Aufmerksamkeit damals ganz andern Gegenständen zugewandt war.

Einen wahren Jubel aber erregten einzelne, unter dem Einflusse der herrschenden Stimmung gedichtete Lieder, die seinen Namen augenblicklich in allen Gauen des gesammten Vaterlandes zu einem der beliebtesten und gefeiertsten machten, und gegenwärtig noch als Volkslieder in jedem Munde leben: „Der Trompeter an der Katzbach,“ „Andreas Hofer“ und „Die letzten Zehn vom vierten Regiment.“ Dieses namentlich hallte in Aller Herzen wieder, da das unglückliche Schicksal der Polen allerorten die wärmste Theilnahme erregte. Mosen war nicht nur einer ihrer begeistertsten, sondern auch thätigsten Freunde. Im Herbst 1831 beim Patrimonialgericht in Kohren als Actuar angestellt, unterstützte er von seinem kärglichen Einkommen die Mutter, ließ den jüngsten Bruder auf seine Kosten erziehen und opferte außerdem noch den unglücklichen Flüchtlingen manches Scherflein. In dem benachbarten Altenburg, wo er jener Zeit viel verkehrte, bildete sich unter seiner Anregung eine Gesellschaft von Polenfreunden, die ihre Versammlungen an einem nicht weit von der Stadt gelegenen Vergnügungsorte abhielt, dem noch bis heute der Name „Polen“ geblieben. Natürlich fehlte es nicht an Conflicten mit der Polizei.

Gewissenhaft und treu erfüllte Mosen seine Berufspflichten, die sich stets mehrten, da der Justitiar Schmelzer, ein schließlich in Wahnsinn endender Trunkenbold, dem der Dichter in der Novelle „Vinetus“ ein Denkmal gesetzt, ihm nach und nach alle Arbeitslast aufbürdete. Dabei fand er doch Muße, einen Roman „Georg Venlot“ erscheinen zu lassen, neue Lieder, mehrere Novellen und das Schauspiel „Heinrich der Finkler“ zu dichten, ein herrliches Denkmal seiner schöpferischen Kraft und seines echt vaterländischen Sinnes. Als der Besitzer von Kohren 1834 die Gerichtsbarkeit an den Staat abgetreten, ließ sich Mosen in Dresden, zunächst als Armen-Advocat, nieder. Seine schnell wachsende Praxis versetzte ihn bald in freundliche äußere Verhältnisse, und so begann die glücklichste und fruchtbarste Zeit seines Lebens. Unter den jüngeren Dichtern und Künstlern fand er zusagenden und anregenden Umgang: am innigsten befreundete er sich mit Bähr, Professor an der Maler-Akademie, einer ihm nahe verwandten, selbstständig den eigenen Weg gehenden und zu keinerlei Zugeständnissen sich herablassenden Natur; auch in Tieck’s, des Vielgefeierten, Hause verkehrte er, ohne jedoch über allen Vorzügen des hochbegabten Mannes dessen servile, fortschrittsfeindliche Gesinnung verwinden zu können. Mosen’s „Gedichte“ und „Novellen“ erschienen gesammelt, er vollendete das Epos „Ahasver“, das sich stellenweise bis zu schwindelnder Großartigkeit emporgipfelt, und zu Michaelis 1839 ging sein Drama „Otto III.“ zur Eröffnung der Wintersaison über die Hofbühne. Es wurde mit ungetheiltem Enthusiasmus aufgenommen und der Dichter am Schlusse stürmisch gerufen. Er erschien und, was in Dresden etwas ganz Unerhörtes war, er redete das Publicum an, ungefähr mit folgenden Worten: „Wenn das Schiff glücklich den Hafen erreicht hat, so ist das nicht das Verdienst dessen, der es gebaut, sondern der Piloten, die es so meisterhaft gesteuert haben; dem Zimmermann aber wird der Erfolg den Muth geben, wieder einmal die Axt zu ergreifen, um ein neues Schiff zu zimmern.“ Mit ganz demselben Erfolge wurde das Stück in den nächsten Tagen noch zwei Mal gegeben, um dann unerklärlicher Weise für immer von den Bretern zu verschwinden.

Bald darauf verlobte sich Mosen, und der nächste Sommer vereinigte auf dem anmuthigen Landaufenthalte seiner Schwiegereltern in dem Dorfe Strehlen allabendlich um das glückliche Brautpaar einen Kreis feingebildeter und gefühlswarmer Menschen, der häufig durch fremde Gäste erweitert ward; es gibt fast nicht einen unter den bedeutenderen Dichtern und Schriftstellern unserer Tage, von Uhland an, der nicht einmal an jenem gastfreundlichen Tische gesessen. Dabei verbreitete sich Mosen’s Ruhm immer weiter, und von nah und fern wurden ihm Zeichen der Anerkennung; so ernannte ihn die Universität Jena 1840 zum Ehren-Doctor. Im Winter führte er seine Minna heim, und am Hochzeitstage wurde sein neues Stück „die Bräute von Florenz“ aufgeführt. Gleich den spätern Dramen „Bernhard von Weimar“ und „Cola Rienzi“, die auch noch in Dresden zur Darstellung gelangten, zündete es so mächtig, daß man sich nicht enträthseln kann, wie solch erprobte Dichtungen in dem Archive der Hofbühne ein so frühes, unverdientes Grab finden konnten. In der Fülle seiner männlichen und dichterischen Kraft, die ihn jetzt fast ausschließlich dem Drama zudrängte, im Schooße seines herrlich erblühenden häuslichen Glückes, vermißte Mosen nun nichts weiter mehr, als eine seinem inneren Berufe entsprechendere äußere Thätigkeit. Auch dieser Wunsch sollte sich ihm erfüllen. In Oldenburg war ein Hoftheater errichtet worden, für das ein Dramaturg gewonnen werden sollte. Adolf Stahr schlug Mosen vor, suchte ihn auf und ließ dessen eben vollendetes Trauerspiel „der Sohn des Fürsten“ noch im Manuscript durch den Intendanten Herrn von Gall dem Großherzog Paul Friedrich August vorlegen. Dieser gewann den Dichter daraus lieb und lud ihn zur Probe und Aufführung des „Bernhard von Weimar“ nach Oldenburg ein. Von Hof und Publicum ehrenvoll empfangen wie gebührend gewürdigt, kehrte Mosen, nachdem er die Anstellung als Dramaturg mit dem Charakter „Hofrath“ erhalten, einstweilen nach Dresden zurück. Mosen, ein Dichter von Gottes Gnaden, ehrt diesen Titel, den so Viele, die dieser meist zweifelhaften Auszeichnung ihr Talent und ihre Gesinnung geopfert, einem noch schlimmeren Fluche, als dem der Lächerlichkeit, preisgegeben haben.

Nachdem er der Bevölkerung Dresdens, die ihm bei seinem Scheiden in rührender Weise die allgemeinste Theilnahme kundgab, in dem poetischen und kunstkritischen Werke „die Dresdener Gemälde-Gallerie“ ein werthvolles und dauerndes Andenken [558] hinterlassen, siedelte er im Mai 1844 mit seiner Frau und zwei Knaben nach Oldenburg über. Mit wahrer und warmer Begeisterung trat er in seinen neuen Wirkungskreis; beschirmt von einem kunstsinnigen und hochherzigen Fürsten, von allen Seiten unterstützt und gefördert, schuf er unter bescheidenen, ja theilweise beschränkten Verhältnissen eine Musterbühne, wie sie Deutschland nur selten besessen, indem er durch die mächtige Gluth seines Inneren Schauspieler und Publicum entzündete und wie im Sturme mit sich fortriß. Was er durch seinen jetzt unmittelbarsten Verkehr mit der Bühne an praktischer Einsicht gewonnen, verwerthete er in dem Drama „Johann von Oesterreich“, das einen entschiedenen Fortschritt nach dieser Seite hin bekundet. So näherte er sich mit gewaltigen Schritten dem Gipfel der Vollendung und des Glückes, als er mit einem Male dicht am Ziele jäh zusammenbrach. Eine entsetzliche Krankheit, gegen die er mit aller Ausdauer seines männlichen Muthes ankämpfte, überwältigte ihn und beraubte ihn der Herrschaft über seinen Körper. Nachdem er vergeblich alle Heilquellen versucht und seine letzten Kräfte in dem fruchtlosen Widerstande aufgerieben hatte, mußte er mit der Darstellung des Lessing’schen „Nathan“ seinem dramaturgischen Wirken ein Ziel setzen. 1840 hatte er noch „die Bilder im Moose“ herausgegeben, eine Novellen-Sammlung, die zwei der köstlichsten Perlen unserer Literatur auf diesem Gebiete umschließt: „die blaue Blume“ und „das Heimweh“; schon bei ihrem ersten Erscheinen in der „Urania“ hatten sie Alles entzückt. Vor zwei Jahren ist „der Sohn des Fürsten“ im Druck erschienen, dem Andenken des 1853 verstorbenen Großherzogs Paul Friedrich August gewidmet, jenes edlen Fürsten, der dem unglücklichen Dichter eine sorgenfreie äußere Lage gesichert und allein die Schuld einer ganzen Nation abgetragen hat.

Der arme Dulder hat seinen hohen Freund überlebt und schmachtet seit langen Jahren selber im qualvollsten Zustande der Erlösung entgegen. Er muß gehoben und getragen werden, da jede Bewegung ihm die ungeheuersten Schmerzen verursacht. Früher gewann er es bisweilen, um seine Familie zu beruhigen, mit unsäglicher Anstrengung über sich, aus dem Gemache, wo er vor Tische die Zeitungen zu lesen pflegte, allein in das anstoßende Wohnzimmer zu gehen; seit er aber bei einem solchen Versuche gestürzt ist und sich schwer beschädigte, hat er auch dazu den Muth verloren. Nicht ganze Worte, nur einzelne Sylben vermögen mit leisem, dumpfen Tone mühsam über seine bleichen Lippen zu gelangen, und so muß seine Gattin die Gedankenblitze verdolmetschen, die er in die Unterhaltung wirft, wenn sich am Abend jedes Donnerstages ein Kreis hochgebildeter Männer um sein Lager versammelt. Er nimmt an Allem noch den lebhaftesten Antheil, und daß selbst die schöpferische Ader seines Geistes zuweilen noch in alter Kraft hervorquillt, beweisen sein Festgedicht zu Schiller’s Jubelfeier, das dessen Tochter als die herrlichste Gabe jenes Tages bezeichnet hat, und die Verse zum Angedenken Arndt’s, die kürzlich von ihm in diesen Blättern veröffentlicht wurden.

Ein erschütternderes Schicksal hat selten einen Menschen getroffen, als Mosen; schnöderer Undank ist vielleicht niemals einem Dichter von so ehrlichem Streben und so hoher Bedeutung widerfahren. Während täglich speculirende Buchhandlungen die Erzeugnisse flacher Mittelmäßigkeit unter der Firma und in dem Formate von Classikern in die Häuser colportiren, warten wir immer noch vergeblich auf eine Gesammtausgabe von Mosen’s Werken; seine Gedichte sind nur zwei Mal aufgelegt, seine Romane und Novellen von der Sündfluth seichtester Unterhaltungsjämmerlichkeiten verschlungen worden. Am schwersten aber wird gegen den Dramatiker gesündigt, der Schiller am nächsten verwandt ist, ohne Nachahmer zu sein. Vaterländische Stoffe und vaterländische Gesinnung mit dem das deutsche Gemüth so mächtig ergreifenden und fortreißenden vaterländischen Pathos sind die unschätzbaren Vorzüge von Mosen’s dramatischen Dichtungen, die sämmtlich ihre Lebensfähigkeit auf der Bühne auf das Glänzendste dargethan. Warum werden sie uns mit solcher Hartnäckigkeit vorenthalten? Wie viel geradezu Unsinniges und Ekelhaftes bekommen wir allabendlich zu sehen und zu hören, und welche Wirkung müßte es bei dem Ernste unserer jetzigen Lage und der Richtung unserer heutigen Stimmung auf uns äußern, wenn Mosen in seinem „Heinrich der Finkler“ von den Bretern herab uns zurufen dürfte:

„O, hätt’ ich eines Domes Glockenstimme,
Ich wollte zu euch stürmen Tag und Nacht:
Vereinigt euch und rettet euch, ihr Brüder!
Ach, meine Hand ist schwach, vereinigt aber –
Vor unsrer Brust zerbräche eine Welt!
Wohl Eins! nur Eins! ein einzig deutsches Reich!




Blätter und Blüthen.


Das Officiersfest in Genf. Wie trotz aller Lehren der Geschichte, trotz Athen, Florenz, Venedig, Holland und Nürnberg, das Vorurtheil fortbesteht, daß die Künste nur in monarchischen Staaten gedeihen, so wiederholt man auch gedankenlos, daß schöne Festlichkeiten nur in solchen Staaten vorkommen können. Es ist freilich wahr, daß in freien Staaten der Polizeicommissar nicht in’s Haus des Bürgers treten und ihm befehlen kann, heute Abend so und so viele Lampen anzustecken und sich außerordentlich zu freuen über die Freude des Herrschers; es ist auch wahr, daß hier nicht eine Million aus der Staatscasse genommen werden kann, um eine Place de la Concorde zu schmücken und um den Schweiß von hunderttausend Steuerpflichtigen als Feuerwerk auf dem Trocadero zu verpuffen; und es ist ferner wahr, daß man in freien Staaten einer Municipalität nicht befehlen kann, wenigstens fünfzehnhunderttausend Francs auf die Pracht eines officiellen Abends zu verwenden, auf die Gefahr hin, im selben Jahre ein neues Municipalanlehen machen zu müssen; aber an der Stelle dieser Festlichkeits- und Beleuchtungsmittel gibt es in freien Ländern, besonders in gewissen Momenten, da es sich um das Vaterland und nicht um leeren Pomp und Gloire handelt, eine Einmüthigkeit, eine öffentliche Meinung, eine Begeisterung, die besser zu beleuchten und Städte zu schmücken und Jubel hervorzubringen versteht, als alle Polizeipräfecten, Viertelsmeister, Staats- und Stadtcassen der Welt. In der Ferne ist das schwer zu glauben, da das Festlichkeitsbudget freier Länder so winzig aussieht, neben den ungeheuren Kosten, wie sie z. B. ein 15. August oder ein Einzug in Paris verursacht. Aber es geht damit wie mit der berühmten Brücke von Lausanne. Als der französische Minister Teste dieses Wunder moderner Baukunst sah und erfuhr, daß es dem Staat nur 1,500,000 Francs kostete, konnte er es nicht glauben und rief aus: „Bei uns würde die Brücke so viele Millionen gekostet haben.“

Doch wir wollen unsere Zeit nicht mit Vergleichungen verlieren und aus dergleichen Dingen kein fabula docet abstrahiren; es könnte uns auf Resultate führen, die zur Zeit nicht zeitgemäß sind. Nur der Hinblick auf französische Festlichkeiten und wie dergleichen veranstaltet werden, ist vielleicht erlaubt und hier am Platze, da die Genfer Augustfeste nichts Anderes waren, als eine einzige große Demonstration gegen Frankreich, und sich zu Pariser Festen verhielten, wie Freiheit zu Zwang, wie Bürgerthum zu Unterthanenthum, wie öffentliche Meinung zu einer eingelernten, gedankenlos ausgesprochenen Phrase. Noch näher läge uns die Vergleichung mit dem, was vor unseren Thoren, in unserer nächsten Nähe, in Savoyen vorgeht, wo bereits für den bevorstehenden Besuch des neuen Herren Präfecten Souspräfecten, Polizeicommissäre, Gensd’armen und geheime Polizei Jubelvorrath fabriciren. Aber wie gesagt, das kümmert uns nicht, kümmert uns um so weniger, als wir seit dem Genfer Feste die Besorgniß, dergleichen eines Tages hier selbst zu erleben, bedeutend vermindert fühlen. Wir glauben nach diesem Feste wahrhaftig, daß trotz der Nähe des Feindes und trotz des Mangels aller Festungswerke Genf im gegebenen Falle Europa ein Beispiel geben könnte, wie Sagunt und Numantia. Die société militaire, die Repräsentantin der Schweizer Armee, d. i., bei der populairen Beschaffenheit des Schweizer Heeres, des ganzen Schweizer-Volkes, welcher zu Ehren das ganze Fest veranstaltet worden, brachte bei dieser Gelegenheit die Bundesfahne hierher, also auf den bedrohtesten Punkt des Vaterlandes, in die Stadt, auf welche von allen Seiten französische Berge herabblicken; dies will und soll jedem Angreifer nichts Anderes besagen, als daß man das Palladium und die Ehre des Vaterlandes auf diesem bedrohten, alle Lüsternheiten barbarischer Eroberungssucht weckenden Punkte eben so gesichert betrachte, als wären sie in den verborgensten Schluchten des Oberlandes geborgen. James Fazy, die Spitze der Genfer Behörden, als er die Officiere in der Nähe der Orangerie empfing, gab diesem Gefühle den verhüllten Ausdruck, indem er sagte: „Man hat behauptet, daß Genf vor einem Handstreich des Fremden nicht gesichert werden könne und daß man den Feind anderswo erwarten müsse. Aber Schweizer Boden muß überall, wo er immer liege, vertheidigt werden; aber wir sind überzeugt, daß uns unsere Eidgenossen mit der Ueberzeugung von unserer gänzlichen Hingebung an das Schweizer Vaterland verlassen werden, und fest entschlossen, lieber Alles zu dulden, als das Band brechen zu lassen, das Genf mit der Eidgenossenschaft verknüpft.“

Mit Fazy’s Worten stand das Aussehen der ganzen Stadt in Harmonie; ja, jedes Haus sprach es noch deutlicher und unumwundener aus, was man denkt und fühlt, als die Worte des politischen Mannes es ausdrücken durften. Die ganze Stadt bis in die verborgensten Winkel, bis in die entferntesten Vorstädte und bis in die Verborgenheiten der Armuth, die glücklicherweise in Genf keine großen Quartiere bilden, war in ein Meer von Flaggen getaucht. Ueberall wehte die eidgenössische Flagge, das weiße Kreuz auf rothem Felde, in Verbindung mit der rothgelben Flagge des Cantons. Sonst pflegte bei Genfer Festen zwischen der oberen aristokratischen und der unteren liberalen Stadt ein gewaltiger Unterschied obzuwalten; jene schmollte und blieb stille, wenn diese sich freute; diese arbeitete [559] weiter, wenn jene Festtage beging. Diesmal war es anders. Die Parteiunterschiede haben aufgehört; ganz Genf war national schweizerisch, eidgenössisch, antifranzösisch. Einzelne reiche Häuser ausgenommen, waren doch die populairen Straßen, die Rues Coutance und Cornavain am rechten, die Rues Basses und du Rhone am linken Rhoneufer am reichsten und schönsten geschmückt. Fahnen, Guirlanden, Kränze und Inschriften bedeckten daselbst die Häuser und bildeten Hallen, daß kaum der Himmel zu sehen war.

Auch die vielen Fremden aller Nationen, die in grosser Menge Genf bewohnen, wollten an diesem Feste, das so zu einem Nationalfeste wurde, Theil nehmen, und in Verbindung mit den Schweizer und Genfer Fahnen sah man überall Flaggen der entferntesten Nationen, amerikanische, englische, italienische, ungarische, russische, preußische. Auch die deutsche schwarzrothgoldne Flagge sahen wir zu unserer Freude aus vielen Fenstern wehen. Es war wie ein Vorspiel einer europäischen Coalition zu Gunsten der Schweiz, oder im Allgemeinen gegen übermüthige Eingriffe und Eroberungsgelüste. Die französische Fahne fehlte in diesem Congresse, obwohl es hier Franzosen gibt. Aber wo lebt ein Franzose, der nicht Chauvin genug wäre, um empört zu sein, daß man sich von seiner großen Nation nicht wolle erobern lassen? Selbst in Genf lebend, selbst in hiesiger Freiheit gedeihend und sie ausbeutend, wird er nicht begreifen, wie man vor französischem Despotismus und übertünchter französischer Bornirtheit einen Horror haben könne, und Keiner wird sich zu der Höhe erheben, einem Volke, das sich gegen französische Beglückung sträubt, gerecht zu werden oder gar in seinen Widerspruch mit einzustimmen. Aber vielleicht thue ich doch dem Einen oder dem Andern Unrecht: vielleicht lebt ein solcher Phönix hier, erzogen von der Genfer Freiheit, und hat er seine Sympathie für ein Volk, das Freiheit und Ehre wahren will, nur aus Furcht vor dem Consul und der Armee von Spähern, die in diesen Tagen Genf bevölkerten, nicht gezeigt. Das Factum ist, daß eine ganz kleine französische Fahne einen Moment lang in der Rue du Rhone geweht hat, und daß auch sie bald verschwunden ist, denn diejenigen, die, von diesem Wunder hörend, es lachend aufsuchen wollten, fanden sie nirgends mehr.

Die Officiere kamen Samstag, den 4. August, gegen sechs Uhr, in Folge eines kleinen Unfalls an der Dampfmaschine, um zwei Stunden später, als sie angekündigt waren, in Genf an. Die Quais der Rhone- und Seeufer waren von Menschen überfüllt, alle Fenster und alle Balcone mit jener weltberühmten Aussicht wie Theaterlogen und Gallerien besetzt. Im Augenblicke, da das Dampfschiff in den Hafen einbog, donnerten Kanonen und Böller von vielen Punkten des Ufers auf einmal; die Glocken fingen zu läuten an, zahlreiche Musikbanden, die auf der Bergues-Brücke, auf der Rousseauinsel, an den Ufern aufgestellt waren, spielten den Kuhreigen oder „Rufst Du, mein Vaterland,“ und Zehntausende von Stimmen riefen ihr „Willkommen“ und „Es lebe die Schweiz, es lebe die Eidgenossenschaft!“ darein. Hunderte von kleinen Booten umschwärmten das vielbeflaggte Dampfschiff, das die Eidgenossen brachte und die Grüße der Stadt mit seinen Kanonen beantwortete. Alle Dampf- und Segelschiffe im Hafen strichen die Flaggen. Es war in der That ein ebenso malerischer als erhebender Moment, ein Schauspiel zugleich für’s Auge, wie für das Herz. – Vom Landungsplatze begaben sich die Gäste in langem Zuge, immer vom Zuruf des Volkes begleitet, in die Nähe des botanischen Gartens, wo sie von den Behörden der Stadt und des Cantons bewillkommnet wurden, und wo James Fazy die Rede hielt, aus der wir oben einige Worte anführten. Abends war grosser Ball im Wahlhause, das mit grossem Geschmack geziert war und wo sich alle Classen der Bevölkerung versammelten.

Sonntag Morgens hielten die Comité’s für die Specialwaffen ihre Sitzungen. Gegen drei Uhr machten die Gäste auf zwei Dampfschiffen einen Ausflug auf den See. Bei ihrer Rückkehr gab man ihnen das Schauspiel einer Regatta oder eines Wettrennens in Kähnen. Dann landeten sie im Landhause des Herrn Eduard Favre, wo ihnen dieser Bürger in Zelten und auf Rasenplätzen ein prächtiges Mahl auftischte. Der Wein floß in marmornen Rinnen die verschiedenen Tafeln und Gruppen entlang. Herr Favre hatte das Glück, in seinen Armidagärten an jenem Nachmittage an fünfzehnhundert Gäste zu bewirthen. Aber die schönste Epoche des Festes kam erst mit der Nacht. Ist Genf immer schön, so war es in dieser Nacht in der That, wie Stämpfli in seiner Rede sagt, „zu schön, denn es weckt Verlangen und die Lüsternheit nach seiner Schönheit.“ Dies war der unbeschreibliche Moment. Nur wer Genf kennt, kann sich mit Hülfe einer reichen Phantasie eine Vorstellung von dem Genf machen, das mit seinen in Licht- und Flammenguirlanden getauchten Palästen, Ufern und Brücken sich in Rhone und See widerspiegelt, während auf dem See Hunderte von Booten mit ihren Fanalen und Fackeln wie Feuermücken umherfliegen, und auf den Höhen Freudenfeuersäulen aufsteigen. Der Schreiber dieser Zeilen hat viele derartige Beleuchtungen gesehen, wenige, die er mit dieser an Pracht, Reichthum und Geschmack vergleichen könnte. Es war eine Herrlichkeit, wie sie eben nur aus einem Consensus omnium hervorgehen kann. Den Höhepunkt erreichte die Illumination, als sich gegen zehn Uhr aus der Mitte des Sees, scheinbar aus der Tiefe des Wassers selbst, wie ein griechisches Feuer ein grosses Feuerwerk erhob, dem Raketen und Bouquete von den verschiedensten Seiten her Antwort gaben. Besonders erwähnenswerth ist die Trophäe, die, von einer elektrischen Sonne beleuchtet, sich auf dem neuen Platze befand; allerdings rührte ihre Zeichnung von einem großen Künstler, von Diday, dem Lehrer Calame’s, her. – Feuerwerk und Beleuchtung von den savoyischen Bergen her, welche einige Tage vorher in den Journalen anonym angekündigt waren, „als ein Zeichen der Sympathie Savovens für Genf und die Schweiz,“ fanden nicht statt. Französische Autoritäten wissen dergleichen zu verhindern, was die naiven Savoyarden noch nicht recht wissen, aber bald bis zum Ueberdruß wissen werden.

Der schönen Nacht folgte der ernste Morgen. Auf der Ebene von Plainpalais, dem Marsfelde Genfs, wo sich ein Triumphbogen erhob, wurde der Stadt Genf die Fahne übergeben. Der alte General Dufour nahm sie in Empfang und versicherte, daß sie die Söhne Genfs wohl zu verwahren und zu behüten wissen werden. Er empfahl den Officieren der Eidgenossenschaft, sich wohl zu erinnern, daß nun die Fahne der Schweiz auf Genfer Boden aufgepflanzt und daß die Vertheidigung dieses Theiles helvetischen Bodens eine heilige Pflicht des Schweizer Heerbannes sei. Hierauf folgte eine allgemeine Sitzung der société militaire in dem weiten Raume der alten Kathedrale von St. Pierre, welche die wichtigsten Vorgänge der ereignißreichen Geschichte Genfs gesehen.

Von den Reden, die am selben Tage am großen Banquet gehalten wurden, und zwar in allen Sprachen, welche die Eidgenossenschaft friedlich und brüderlich in ihrem Schooße vereinigt und mit gleicher Liebe und Freiheit herbergt, haben die Zeitungen gesprochen. In welcher Sprache immer gesprochen worden, aus welchem Theile des freien Landes immer der Redner stammen mochte, in der gegenseitigen Ermuthigung, sich gleich ausdauernd und kräftig gegen directe Angriffe sowohl wie gegen „verführerische, lügenhafte Versprechungen“ zu vertheidigen, stimmten Alle überein. Die hervorragendsten Redner waren General Dufour, James Fazy und Stämpfli.

Der Eindruck, den man als ruhiger und unparteiischer Zuschauer des ganzen dreitägigen Festes empfing, war der Art, daß man glaubte, der Erneuerung und Verjüngung der Eidgenossenschaft beizuwohnen und überhaupt einem Momente, der für gewisse Fälle, die Uebermuth, Habsucht, Gloirenpolitik herbeiführen könnten, dem ganzen Europa ein gesundes, vielleicht beschämendes Beispiel verspricht. Wir sind gewiß, daß es in Paris nicht ohne Eindruck vorübergegangen, vorausgesetzt, daß die unzähligen Correspondenten Louis Napoleons und Pretu’s, die sich jetzt hier herumtreiben, die Wahrheit berichten oder, heutige Franzosen wie sie sind, für solche Regungen und spontane Aeußerungen eines ganzen Volkes noch Aug’ und Ohren haben.

Die Officiere der Schweizer Armee sind wieder in ihre Heimath gezogen; die Fahnen und Kränze sind verschwunden, aber in den Gemüthern der Genfer ist eine Stimmung zurückgeblieben, als ob sie in einer uneinnehmbaren Festung säßen. Was die Gäste betrifft, so haben sie von Genf, seinem schweizerischen Patriotismus, seiner Opferbereitwilligkeit eine andere Meinung mit nach Hause genommen, als jene ist, welche die Zöpfe verrotteter Städte verbreiten, aus Angst vor dieser freien Stadt der Schweiz und vor der Ansteckung, die sie von daher befürchten – und eine andere Meinung, als jene, welche die Staatsmänner verbreiten, die mehr französisch sind als schweizerisch und Genf als französisch verleumden, um es mit einem Schein von Recht im Stiche lassen zu können. Die drei Augusttage waren ein großer Triumph Genfs und seines Vertreters, des viel verleumdeten Patrioten James Fazy.
X.


Aus meiner Pilgertasche. Ich war schon einige Wochen in Wien, ohne den Kaiser Franz gesehen zu haben. Eines Tages strichen F. Treitschke, Ochsenheimer und ich auf dem Glacis umher, um eine Raupenart zu suchen, welche die beiden Schmetterlingskundigen besonders interessirte. Ohne davon etwas entdeckt zu haben, kamen wir in den sogenannten Burggarten, an dem geordnet und gebaut wurde. Wir fanden einen jungen Mann auf einem Steinhaufen sitzend, mit Planzeichnungen beschäftigt. Beide begrüßten ihn freundlich als einen Bekannten und jungen Baukünstler. Wir betrachteten seine hübschen Planzeichnungen und kamen dabei an ein Blatt mit allerlei uns unverständlichen einzelnen Figuren. Auf unsere Frage um die Bedeutung dieser Figuren antwortete er, sich mißmuthig die Stirn reibend: „Dieses Blatt verursacht mir mehr Kopfzerbrechens, als alle übrigen. Die Idee, die Steine für Becken von Springbrunnen ohne irgend einen Kitt wasserfest verbinden zu können, fuhr mir durch den Kopf, und nun studire und zeichne ich fort und fort, um eine passende Verbindungsform zu finden, ohne bis jetzt damit in’s Reine kommen zu können.“

Ich antwortete: „Dieses Suchen einer Verbindungsform dürfte auch vergeblich sein.“

„Warum?“

„Weil ich der Ansicht bin, daß man Steine ohne irgend ein Medium nicht so fest zusammenfügen könne, daß nicht Wasser dazwischen treten und dadurch die ganze Vorrichtung nutzlos werden sollte, indem ich vermuthe, daß der Stein nicht, gleich dem Holz, im Wasser anschwelle.“

Im Begriff, mir zu entgegnen, sprang der Baumeister plötzlich auf und riß mit einer tiefsten Verbeugung den Hut bis an die Kniee herab. Beide Freunde thaten desgleichen, und ich folgte mechanisch ihrem Beispiele. Ganz nahe vor uns stand Kaiser Franz, den ich lediglich an dem habsburgischen Gesicht erkannte, indem der höchst einfache, nicht neue Oberrock und der abgetragene Hut auf alles Andere, als auf den Kaiser, hätte schließen lassen. Er zwang sein Gesicht zu einem Lächeln gegen Treitschke und Ochsenheimer, lüftete den Hut ein wenig und sprach: „Servus!“ trat dann einen Schritt näher auf mich zu, während seine Physiognomie sich in ernste Falten legte, und frug:

„Wer ist der Herr?“

Ich nannte meinen Namen. – Etwas leichter, als zuvor, den Hut lüftend, wiederholte der Kaiser:

„Servus! – Wo ist der Herr zu Hause?“

„Im Großherzogthum Baden.“

„Ein schönes Land, brave und gescheidte Leute, aber Alles wissen sie doch nicht. – Was treibt der Herr hier in Wien?“

„Ich arbeite für die Theater und für die Buchhändler.“

„Das mag passiren. Hat der Herr auch ’s Bauwesen studirt?“

„Nein, Majestät.“

„Versteht sich der Herr auf’s Planzeichnen?“

„Nein, Majestät.“

„Nun, da wäre es gescheidter, der Herr redete nicht über Dinge, von denen er nichts versteht. Servus!“ – Er lüftete wieder den Hut, zwang sich zu einem freundlichen Kopfnicken gegen die Anderen, drehte sich langsam um und wandelte phlegmatisch seiner Wege.

[560] Ochsenheimer bemerkte: „Hu, heute ist mit Franzl nicht gut Kirschen essen! Er hat ohne Zweifel Ihre Zweifel gegen den Baumeister gehört und hält es für vorlaut, einem Sachverständigen und Beamteten in Fachesangelegenheiten zu widersprechen.“ – – – – – – – Der Baumeister gab seine Idee der Steinzusammenfügung bald als unpraktisch auf und blieb bei der alten, auch viel wohlfeilern Weise, nachdem er dem Kaiser alle Gründe dafür auseinander gesetzt [und] von ihm die Schlußbemerkung empfangen hatte: „Schau der Herr, so geht’s halt gewöhnlich mit den Neuerungen, es kostet viel Zeit und Geld, und am Ende ist’s nichts damit.“

Erst nach einigen Jahren führte mich das Schicksal wieder Auge in Auge mit dem guten Kaiser zusammen. Fest hielt der Kaiser an dem schönen Gebrauch einer Audienz in jeder Woche, wozu Jedermann ohne Ausnahme vorgelassen wurde, der sich in das unter Aufsicht eines Officiers der Arcieregarde im Vorzimmer liegende Buch eingeschrieben hatte. Der Zutritt erfolgte hierauf, welches Namens und Standes auch die Bittsteller sein mochten, unverbrüchlich genau nach deren Reihenfolge im Audienzbuch. Zu Aufrechthaltung dieser Vorschrift erhielt der Kaiser jedesmal eine Abschrift dieser Reihenfolge der Bittsteller auf den Audienztisch, der sich, ähnlich einem Ladentische, durch das Zimmer zog.

Graf Ferd. Palffy bedurfte in Sachen seiner famosen Lotterieausspielung des Theaters an der Wien einer Audienz bei dem Kaiser, nicht um von diesem selbst einen Bescheid darauf zu erhalten, sondern damit sein Gesuch von Allerhöchstoben herab an die betreffende Behörde gelangen sollte. Gewöhnt, sich alles Unangenehme vom Hals zu schaffen, und wahrscheinlich in der Voraussicht einiger bittern Pillen von Seiten des Kaisers, bat er mich, unter dem Vorwande einer Unpäßlichkeit, für ihn zur Audienz zu gehen, instruirte mich über alles Nöthige und behändigte mir die Bittschrift. Wie bedenklich mir auch die Geschichte einerseits erschien, so sagte ich doch Ja, aus purer Neugierde, einmal Bekanntschaft mit einer solchen Audienz zu machen. Der Wachhabende nahm mich als Stellvertreter für den Grafen an, trug das Ereigniß in das Audienzbuch ein und bemerkte: „Ob es seiner kaiserlichen Majestät auch genehm erscheinen wird, weiß ich nicht, das ist nicht meine Sache. Sie kommen an die Reihe, sobald die Dame abgefertigt ist.“

Die alte Dame kam sehr heiter heraus, machte dem Wachhabenden einen zierlichen Knix und entfernte sich. Er forderte mich zum Eintreten mit den Worten auf: „Nun Glück auf! Die Alte war vergnügt; es scheint, daß da drinnen heute gutes Wetter ist.“ Ich trat ein. In Uniform stand der Kaiser hinter seinem Tisch, mit der Audienzliste vor den Augen und frug, ohne mich anzusehen:

„Wer ist der Herr?“

Ich nannte mich.

„Was ist das? der Herr steht ja gar nicht auf der Liste!“

„Ich erscheine für den Graf Ferd. Palffy, der sehr unpäßlich geworden ist.“

„Ich bin kein Doctor, er kann sich anderwärts curiren lassen. Was schafft der Graf?“

„Eurer kaiserlichen und königlichen Majestät überbringt er ehrfurchtsvoll diese Supplik mit der unterthänigsten Bitte, seiner Allerhuldreichst zu gedenken.“

„Wenn er es nur immer möglich machte, seiner allerhuldreichst zu gedenken; aber – nun, was will denn eigentlich diese Schrift?“

„In Betreff der beabsichtigten Ausspielung des Theaters an der Wien –“

„Ja, ich weiß schon, eine saubere Geschichte, da wird’s mit dem Allerhuldreichsten nicht viel werden! Uebrigens betrifft die Sache nicht den Grafen allein, sondern viele andere Leute sehr ernsthaft; darein habe ich also gar nichts zu reden, sondern meine Leute und meine Gesetze müssen sprechen, was das Recht hier erfordert.“ Die Schrift abnehmend und nebenan auf den Tisch legend, fuhr er fort: „Werde Alles besorgen; dem Grafen wünsche ich gute Besserung, Servus!“

Er nickte zum Abschied. Als ich den Rückzug geziemendst antrat, gebot er noch einmal Halt: „Apropos, wir haben uns schon einmal gesehen, erinnert sich der Herr noch?“

„Ja, Majestät.“

„Der Herr hatte damals zufällig Recht, aber ich hatte doch auch Recht: man muß über nichts reden, was man nicht versteht. Servus!“

Acht Tage danach erfolgte für des Grafen Plan die kaiserliche Genehmigung.
v. Biedenfeld.




Das Kind versteht es noch nicht. Das ist eine gewöhnliche Entschuldigung der Mütter, wenn man ihnen den Vorwurf macht, daß sie ihren Kindern allen Willen lassen und ihren Launen niemals eine Schranke setzen. Es ist eine unbestrittene Thatsache, daß gewöhnlich das erstgeborene oder das letzte Kind einer Familie, das sogenannte Nesthäkchen, verzogen werden. Man gibt dem Kinde jeden Gegenstand, auf den es mit den Fingerchen deutet und nach dem es Verlangen trägt, weil die Mutter sieht, daß ihr Kind dadurch ruhig und freundlich bleibt; ja es gibt Mütter, welche es als Sünde betrachten würden, wenn sie ihrem Sprößlinge nur das Geringste verweigern würden. Dadurch wird das Kind gewöhnt, jeden Wunsch erfüllt zu sehen, und geschieht dies nicht, so fängt es an zu weinen. Da nun viele Mütter ihre Kinder nicht weinen sehen können, bringen sie den verlangten Gegenstand, und das Kind beruhigt sich. Derlei Manöver wiederholen sich öfters, da sich das Kind nur zu gut gemerkt hat, daß es durch Schreien, Weinen oder durch Trotz alles erzwingen kann.

„Es darf der Laune des Kindes nach ungebundener Willkür niemals freier Lauf gelassen werden,“ sagt Professor Bock in seinem trefflichen Buche vom gesunden und kranken Menschen, „sondern es muß ein Gesetz beobachtet werden, nach welchem sich die vernünftige Gewährung des Einen und das Versagen des Andern richtet; dann wird das Kind nach und nach ein Gefühl vom Gesetz gewinnen, dem sich unterzuordnen Nothwendigkeit ist.“

Dieser wichtige Grundsatz jeder vernünftigen Kindererziehung wird nur selten beobachtet. Merken endlich die Mütter, daß das Kind boshaft und eigensinnig wird, so glauben sie durch harte Strafen und durch Schläge den bösen Samen ausrotten zu können, den sie selbst so fleißig gesäet; aber nun ist es freilich zu spät, und die Erfahrung beweist es, welchen Irrweg man gegangen und daß eine Einwirkung auf die Entwicklung des Kindes bereits stattfinde, ehe noch das Kind ein Bewußtsein vom sittlichen Werthe oder Unwerthe seiner Handlungen habe.

Wie oft hörte ich nicht von Müttern, denen ich ihr verfehltes Erziehungssystem vorstellte, folgende Worte: „Das Kind versteht es ja noch nicht. Wie soll denn das Kind schon so viel Verstand haben, als ein erwachsener Mensch? Das verliert sich alles mit den Jahren,“ und dergleichen Floskeln mehr. Mütter, welche so reden, bedenken nicht, daß die ersten Jahre des Kindes die entscheidendsten und wichtigsten für das ganze übrige Leben sind, und zeigen auf das Deutlichste, daß ihnen der wichtigste Factor eines Erziehers, zu welchem sie von der Natur aus für dieses Lebensalter des Kindes bestimmt sind, nämlich die genügende Bildung, mangle und daher die Erziehung der Kinder unter ihren Händen eine gänzlich verfehlte sein müsse.

Ein Kind, welches eine verfehlte Erziehung genossen und das nun die Eltern durch körperliche Züchtigungen bessern und, gut deutsch gesagt, ihr eigenes schlechtes Erziehungssystem aus dem Kinde herausprügeln wollen, ein solches Kind wird nur in den seltensten Fällen jene eingeimpften Fehler ablegen, meistens aber wird durch Schläge nichts erreicht, vielmehr die Bosheit, Heimtücke und Halsstarrigkeit des Kindes befördert, da ein Kind, das im vierten Jahre nicht auf die Worte der Eltern horcht und ihnen Gehorsam leistet, gewiß als verfehlt erzogen betrachtet werden kann. Mögen die deutschen Mütter durch diese wenigen Worte auf ein Erziehungsmaxim aufmerksam gemacht werden, das, so unbedeutend es ihnen auch erscheinen mag, doch so gewichtige und unheilvolle Folgen nicht nur für das Kind selbst, sondern auch für die menschliche Gesellschaft mit sich bringt, welche berechtigt ist, von den Eltern eine derartige Kindererziehung zu fordern, welche die nöthige Bürgschaft gibt, daß der Nachwuchs auf geeignetste Weise herangezogen werde, um als kräftige Stütze des Staatslebens dazustehen. Letzteres aber wird geschehen, wenn die Bildung überhaupt nicht blos Einzelngut der Gelehrten, sondern Gemeingut sein wird des gesammten deutschen Volkes!
F. S.




Gerstäcker. Nachdem der berühmte Reisende neulich in der „Allgemeinen Zeitung“ wieder das erste Lebenszeichen von sich gegeben, erhalten wir von der Gattin unseres Freundes noch einige nähere Mittheilungen: Nach sehr glücklicher Fahrt ist Gerstäcker am 16. Juni in Esmeralda in Ecuador gelandet, und von dort aus gleich in das Innere des Landes den Paylon hinaufgegangen (woselbst er eine äußerst interessante Nacht zugebracht hat, die er für die Gartenlaube bearbeiten wird), um dort eine neue Ansiedelung gründen zu helfen. Der überwältigende Eindruck der großartigen Natur so wohl, wie die verschiedenen lebenden Sprachen, in denen er fortwährend Rede und Antwort geben muß, beschäftigen ihn augenblicklich noch so angestrengt, daß er nur kurze Mittheilungen an seine Familie zu schreiben vermag. Er sammelt aber reichlich und führt ein sehr interessantes Leben. Gesund war er vollkommen, trotzdem daß das kalte Fieber dort herrscht und es „sehr heiß“ ist. Vor Monat October dürften schwerlich ausführliche Nachrichten in Deutschland eintreffen. Von Ecuador aus wird Gerstäcker nach Lima gehen, und von da durch die La Platastaaten.


Bei Ernst Keil in Leipzig erschien:

Gedichte.
Von Albert Traeger.
Elegant cart. 221/2 Ngr„ prachtvoll geb. 1 Thlr.

Albert Traeger, den Lesern der Gartenlaube durch seine Beiträge, namentlich durch die ebenso sinnigen, wie tiefgefühlten Lieder: „Wenn Du noch eine Heimath hast – Das Mutterherz – Wie stirbt es schön sich in der Kindheit Tagen – Wenn Dich die Welt an’s Kreuz geschlagen“ etc. etc. hinlänglich bekannt, bietet in seinen gesammelten Gedichten noch viele schöne Gaben, die sich durch Tiefe des Gemüths und eine edle vollendete Form auszeichnen.


Antwort auf vielfache Anfragen.
Von den frühern Jahrgängen der „Gartenlaube“ sind nur die Jahrgänge 1855 bis 1859 noch complet auf Lager und können durch jede Buchhandlung oder Postamt broschirt à 2 Thlr., gebunden à 2 Thlr. 20 Ngr., bezogen werden. Ebenso werden einzelne Hefte und Quartale auf Verlangen jederzeit à 5 und 15 Ngr. nachgeliefert. Vom Jahrgang 1853 und 1854 sind nur noch einzelne Hefte oder Nummern vorhanden.
Die Verlagshandlung. 

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Um auf die praktische Seite dieser Passionsspiele zu kommen, so dürfte die Mittheilung nicht uninteressant sein, daß die diesjährige Saison eine sehr ergiebige sein wird. Man spricht von 40–50,000 Gulden, die trotz der schlechten Witterung bereits eingegangen sind. Davon werden jetzt schon 25,000 Gulden auf die Mitspielenden vertheilt, 8-10,000 Gulden für gemeinnützige Zwecke der Gemeinde, der Rest für Garderobe, Malerei, Musik etc. verwendet.
    D. Red.
  2. Das Kind, jetzt ein kräftiger Jüngling, kämpft augenblicklich an der Seite seines Vaters und hat bereits mehrere Male für die Errettung seines Vaterlandes geblutet.
    D. Red.