Die Gartenlaube (1857)/Heft 37
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No. 37. | 1857. |
„Ich bin durchaus nicht böse,“ sagte er beschwichtigend. „Ich muß Ihnen vielmehr für Ihre Besorgniß und Aufmerksamkeit noch danken.“
„Ich habe aber Unrecht gethan, ohne Ihre Erlaubniß ein Buch aus Ihrer Bibliothek zu nehmen.“
„Wenn es weiter nichts ist, so können Sie ganz ruhig sein. Wenn Ihnen das Buch Vergnügen macht, und das hoffe ich, da Uhland auch mein Lieblingsdichter ist, so nehmen Sie es nur immer mit und behalten Sie es, bis Sie es ausgelesen haben. Ich wußte nicht, daß Sie so gern lesen, sonst hätte ich Ihnen schon früher die Erlaubniß gegeben, meine Bibliothek zu benutzen.“
„O! Sie sind so gut, so gut –.“
In dem Tone ihrer Stimme lag eine Hingebung, eine Liebe ohne Grenzen, die, ohne es zu wollen und nur zu ahnen, sich jetzt verrieth. Theodor merkte weiter nicht darauf, da er mit dem Aufziehen seiner Uhr beschäftigt war und seine Gedanken bei Clementinen weilten. Die Wirthschafterin zündete mit zitternder Hand den kleinen Küchenleuchter an, den sie mitgebracht hatte.
„Gute Nacht, Herr Assessor,“ flüsterte sie mit gesenkten Blicken.
„Gute Nacht,“ entgegnete er zerstreut, sie kaum ansehend.
Die Thür schloß sich hinter der anmuthigen Gestalt und bald hatte Theodor die Erscheinung des armen Mädchens vergessen.
Am anderen Tage erwachte Clementine von Wilden erst am späten Morgen gegen elf Uhr. Ihre Friseurin mußte so lange warten; dann brachte sie eine Stunde an ihrer Toilette zu, so daß der Mittag fast herannahte, ehe sie sichtbar wurde. Als sie in das Zimmer ihrer Mutter trat, fragte sie sogleich, ob ihr Verlobter nicht schon dagewesen. Er pflegte sonst an jedem Morgen zu kommen, ehe er seinen Amtsgeschäften auf der Regierung nachging. Heute erwartete sie um so mehr seinen Besuch, da es der Morgen nach einem Balle war.
„Ich begreife nicht,“ sagte sie gereizt über sein Zögern, „wo Theodor bleibt!“
„Aufrichtig gesagt,“ entgegnete die Präsidentin, deren Stolz in der Residenz bekannt war, „Dein Verlobter läßt es seit einiger Zeit auffallend an der nöthigen Aufmerksamkeit gegen Dich fehlen.“
„Du thust ihm Unrecht, liebe Mutter!“
„Ich weiß, was ich sage. Statt die Ehre zu würdigen, die ihm durch eine Verbindung mit unserer Familie zu Theil geworden, stimmt er einen Ton an, der mir nicht gefällt. Hat er nicht neulich erst dem Vater geradezu widersprochen, als dieser wegen der erledigten Rathsstelle sich für ihn bei dem Minister persönlich verwenden wollte? Der junge Herr will seine Beförderung lediglich seinen Verdiensten zu verdanken haben. Lächerlich! Mit solchen Grundsätzen kommt man nicht weiter und wenn er seinen Sinn nicht ändert, kann er ewig Assessor bleiben!“
„Theodor besitzt allerdings einen Stolz, den ich nicht mißbilligen kann. Er ist noch jung und sein Vermögen sichert ihm eine gewisse Unabhängigkeit.“
„Und doch lasse ich es mir nicht ausreden, daß Du eine bessere Partie hättest machen können. Ich räume Dir ein, daß sein Reichthum und die übrigen Eigenschaften nicht zu verachten sind, aber dafür mußt Du auch die ganze bürgerliche Familie in den Kauf nehmen und vor Allem eine Schwiegermutter, die gewohnt ist, das Regiment im Hause zu führen. Du wirst einen schweren Stand ihr gegenüber haben.“
„Die Commerzienräthin scheint mir eine gute Frau zu sein und ich habe bis jetzt keinen Grund gehabt, mich über ihr Benehmen zu beklagen.“
„Mir kann es recht sein, aber ich glaube kaum, daß ich mich mit der Frau befreunden werde. Sie hat so beschränkte Ansichten und ganz die Manieren der reichgewordenen Parvenus, die mir in der Seele zuwider sind.“
Clementine schwieg, da sie die Vorurtheile ihrer Mutter kannte; sie war an derartige Gespräche schon gewöhnt. Die Präsidentin betrachtete trotz aller pecuniären und anderen Vortheile die Verbindung ihrer Tochter mit dem bürgerlichen Assessor als eine Art Mesalliance von ihrem Standpunkte aus; sie hielt auf ihren Adel und auf die hohe Stellung, welche ihr Gatte einnahm. Trotzdem liebte sie Clementine zu sehr, um ihrer Neigung hindernd in den Weg zu treten. Auch war die lebenskluge Dame keineswegs blind für die Annehmlichkeiten eines großen Reichthums, den Theodor aufzuweisen hatte. Sein Vermögen fiel bei ihr um so mehr in’s Gewicht, da sie eine zahlreiche Familie besaß und sich deshalb selbst bei dem ansehnlichen Gehalte des Präsidenten manche Beschränkung auferlegen mußte. Nichtsdestoweniger empfand sie eine deutlich ausgesprochene Abneigung gegen diese Verbindung, da der Assessor eben so wenig wie die Commercienräthin nach ihrer Meinung die ihnen angethane Ehre hinlänglich zu würdigen schienen. Ihre Unterhaltungen mit Clementine drehten sich meist um diesen einen Punkt und unwillkürlich mußte die so oft wiederholte Ansicht [502] der Mutter auf die Gesinnung der Tochter einen nachtheiligen Einfluß ausüben. So lange diese sich selbst überlassen blieb und dem richtigen Gefühle ihres Herzens folgte, war sie voll Liebe und Zärtlichkeit für Theodor; aber diese Stimmung hielt nicht immer vor, und es gab auch Augenblicke, wo sie den Einflüsterungen der Präsidentin um so leichter Gehör schenkte, wenn sie sich, wie jetzt, von ihrem Verlobten vernachlässigt oder sonst gekränkt glaubte.
Der Mittag nahte heran und Theodor war noch immer nicht erschienen. Sein Ausbleiben fing sie an zu beunruhigen, da sie keinen Grund dafür zu finden vermochte. Ihr anfänglicher Uebermuth machte einer ängstlichen Besorgniß Platz.
„Er wird doch nicht ernstlich krank geworden sein?“ sagte sie zu der Mutter. „Auf dem Balle klagte er über leichtes Unwohlsein. Ich möchte unsern Bedienten schicken, um mich erkundigen zu lassen.“
„Das sähe aus, als ob Du ihm nachlaufen wolltest. Ich hätte Dich nicht für eine solche Närrin gehalten.“
„Aber, wenn er wirklich erkrankt wäre?“
„Thorheit! Ich kenne das. Dein Bräutigam ist ein verzogenes Muttersöhnchen. Wenn der den Schnupfen hat, so bringt ihn die Frau Commerzienräthin schon zu Bette und läßt ihn Kamillenthee trinken. Du wirst Deine liebe Noth mit dem einzigen Sohne haben.“
Die Präsidentin bemühte sich, die Furcht der Tochter lächerlich zu machen, und es gelang ihr auch auf einige Zeit, ihre Unruhe zu beschwichtigen. Eine halbe Stunde war so verflossen, als der Bediente der Commerzienräthin eintrat; er brachte für Clementine einige Zeilen von Theodors Hand, worin er sich zärtlich nach ihrem Befinden erkundigte. Zugleich meldete er in scherzhaft beruhigendem Tone, daß ein leichtes Kopfweh ihn daran verhindere, persönlich zu erscheinen, wogegen er die bestimmte Hoffnung gab,, sie den nächsten Tag zu sehen.
„Ich ahnte es gleich,“ sagte Clementine, nachdem sie gelesen hatte. Zugleich griff sie, dem ersten Triebe ihres Herzens folgend, nach ihrem Hut und Shawl.
„Wohin willst Du gehen?“ fragte die Präsidentin.
„Zu Theodors Mutter, um mich selbst zu überzeugen.“
„Du bist wirklich reif für ein Irrenhaus. Ich erkenne Dich nicht wieder. Mein Gott! was ist denn schon weiter, wenn einmal der junge Herr über Kopfschmerz klagt? Ich glaube gar, daß Du ernstlich die Absicht hast, Dich an seinem Bett als barmherzige Schwester zu etabliren und ihm kalte Umschläge zu machen, die für Dich nöthiger wären, als für ihn.“
Der Spott der Mutter verfehlte seine Wirkung nicht und Clementine gab ihr ursprüngliches Vorhaben auf, aus Furcht, sich lächerlich zu machen. Sie legte Hut und Shawl wieder ab und blieb, obgleich sie eine gewisse Unruhe und ein unbehagliches Gefühl nicht gänzlich verbergen konnte. Es war ihr, als hätte sie Unrecht gethan, nicht ihrem ersten Entschlusse sogleich zu folgen, als hätte sie eine dringende Pflicht versäumt. Sie war mit sich selber unzufrieden und ihr Herz machte ihr im Stillen Vorwürfe. Aber diese unbehagliche Stimmung war bald wieder verschwunden, als der Kammerherr, Baron von Rummelskirch, sich melden ließ und dem Bedienten auf dem Fuße folgte. Der feine und gewandte Hofmann entschuldigte seinen Besuch mit so vieler Liebenswürdigkeit und machte seine verwandtschaftlichen Rechte, wegen deren bisheriger Vernachlässigung er sich selbst am meisten anklagte, jetzt so dringend geltend, daß er Mutter und Tochter in gleicher Weise bezauberte. Ein Stündchen verfloß so schnell, daß Niemand wußte, wo es hingekommen. Der Kammerherr wußte so reizend zu erzählen, so anmuthig zu spotten und die Gesellschaft des Opernballes mit so pikanten Zügen vorzuführen, daß die Damen sich nie besser unterhalten zu haben glaubten. Er verstand es, eine Menge persönlicher Anekdoten und kleiner, interessanter Geschichten einzuflechten; er war mit allen Vorgängen bei Hofe und in der Stadt auf das Innigste vertraut; selbst das Unbedeutendste, und eigentlich sprach er, näher besehen, nur von lauter unbedeutenden Dingen, erhielt in seinem Munde einen eigenen Reiz. Auch seine äußere Erscheinung verfehlte nicht, trotzdem er bereits ein angehender Vierziger war, einen angenehmen Eindruck zu machen. Mit Hülfe seines Friseurs, des Schneiders und anderer Toilettenkünstler erschien er höchstens wie ein junger Mann von dreißig Jahren in der knappen Uniform, welche von einer ganzen Reihe verschiedener in- und ausländischer Orden bedeckt war, die er seinen großen Verdiensten beim Arrangement von Hoffesten und ähnlichen Feierlichkeiten zu verdanken hatte. Dazu besaß er eine weiße, sorgfältig gepflegte Hand, um die ihn sicher jede Dame beneiden mußte; aber er verstand es auch, dieselbe zu zeigen und den prachtvollen Brillanten an seinem Finger schimmern zu lassen.
„Ein charmanter Mann!“ sagte die Präsidentin, nachdem der Kammerherr sich empfohlen halte.
„Ich finde ihn auch äußerst liebenswürdig,“ entgegnete Clementine.
„Er war sehr artig gegen Dich. Sein Besuch kommt mir aber doch so sonderbar vor.“
„Ich finde durchaus nichts Auffallendes darin; eine gewöhnliche Artigkeit.“
„Er scheint sich ganz besonders für Dich zu interessiren.“
„Das glaube ich nicht; er weiß, daß ich Braut bin.“
„Schade!“ platzte die Präsidentin heraus, ohne den Satz zu vollenden.
Clementine brach das Gespräch ab, um nicht der Präsidentin zu neuen verletzenden Aeußerungen Veranlassung zu geben, obgleich auch ihr die Aufmerksamkeit des Kammerherrn nicht entgangen war, wodurch ihre Eitelkeit sich mehr, als sie sich selber gestehen wollte, geschmeichelt fühlte. Den ganzen übrigen Tag blieb sie zerstreut und mißgestimmt. Gern hätte sie Theodors Mutter aufgesucht, um sich nach dem Befinden ihres Verlobten zu erkundigen, aber sie fürchtete von Neuem den Spott der Präsidentin. Als sie aber auch am nächsten Morgen keine Nachricht von ihm erhielt, so eilte sie ohne Besinnen nach seiner Wohnung. Sie fand daselbst die Commerzienräthin, deren Gesicht nichts Gutes zu verrathen schien. Auf ihr Befragen erfuhr sie, daß Theodor eine schlechte Nacht zugebracht hatte. Zu seinem Kopfschmerz war ein Fieber hinzugetreten, das der herbeigerufene Medicinalrath nicht für ganz unbedeutend hielt.
„Darf ich ihn sehen?“ fragte Clementine.
„Der Medicinalrath hat ihm zwar dringend Ruhe empfohlen, aber mit Dir darf ich wohl eine Ausnahme machen,“ sagte die besorgte Mutter. „Theodor hat schon mehrere Male nach Dir gefragt, und ich glaube, daß Dein Anblick ihm wohlthun wird.“
Die Damen traten in das Krankenzimmer, worin Theodor lag. Die Vorhänge waren auf Anordnung des Doctors herabgelassen, um die blendenden Sonnenstrahlen abzuwehren. Es herrschte jene eigenthümliche, drückende Atmosphäre, die man in Patientenstuben gewöhnlich zu finden pflegt. Der Kranke lag auf seinem Bett mit einer leichten Decke zugedeckt. Seine Wangen waren unnatürlich geröthet, seine Augen, die tief in den Augenhöhlen lagen, zeigten einen eigenen Glanz, als wenn sie verglast wären; sein Blick hatte etwas Stieres und der Ausdruck seiner Züge schien eine große Abgespanntheit und Stumpfheit des Geistes zu verrathen. Die Commerzienräthin war voran gegangen, um Theodor auf den Besuch seiner Braut vorzubereiten. Ein schwaches, freundliches Lächeln schwebte um seine von der Fiebergluth vertrockneten Lippen; er streckte ihr die brennende Hand entgegen. Die stechende Hitze derselben fiel Clementinen unangenehm auf. Sie sprach einige zärtliche Worte, die er in gleicher Weise zu erwidern sich bemühte. An eine zusammenhängende Unterhaltung war nicht zu denken, da das Sprechen dem Kranken schwer fiel, und der Arzt die größte Schonung ohnehin empfohlen hatte. Dies Stillschweigen hatte etwas Beängstigendes für sie; die ganze Umgebung war ihr drückend; sie sehnte sich wieder hinaus in’s Freie, obgleich sie kaum eine Viertelstunde an seinem Bette verweilt haben mochte. Es war keineswegs ein Mangel an Zärtlichkeit; denn sie war ihrem Verlobten von ganzem Herzen zugethan, aber sie konnte den Anblick von Leidenden nicht gut vertragen. Die Luft der Krankenstube, die Medicinflaschen, die heruntergelassenen Vorhänge, die ganze Atmosphäre war dem vom Glücke verwöhnten Mädchen innerlich zuwider. Die Natur hatte ihr jene schönsten weiblichen Tugenden versagt – Geduld und Hingebung. Es fehlte ihr nicht an wahrer Theilnahme, aber sie hielt Theodor’s Zustand keineswegs für gefährlich, und sah in dem Allen nach dem Vorgange der Präsidentin nur die Verwöhnung des einzigen Sohnes und die zu weit getriebene mütterliche Zärtlichkeit der Commerzienräthin.
Aber schon die nächsten Tage lieferten ihr leider den Beweis, daß der Zustand ihres Verlobten keineswegs so leicht zu nehmen war, wie sie glaubte. Die Krankheit hatte rasch zugenommen, und der erfahrene Medicinalrath schüttelte bei jedem neuen Besuche bedenklich [503] mit dem Kopfe. Theodor war von einem schweren Nervenfieber befallen, darüber konnte nunmehr kein Zweifel sein. Diese Nachricht versetzte Clementinen in einen Zustand der höchsten Aufregung, sie fürchtete für sein Leben und auch für – das ihrige. Sie dachte wohl zunächst nur an die Gefahr und die Leiden ihres Verlobten, hinterdrein aber auch an die Möglichkeit, sich selber durch ihr Verweilen in der Nähe des Patienten eine Ansteckung zuzuziehen. In dieser Meinung wurde sie durch die Präsidentin nur noch mehr bestärkt. So oft sie die Commerzienräthin besuchen wollte, hatte sie erst einen förmlichen Kampf zu bestehen.
„Du kannst dort nichts nützen,“ sagte die besorgte Mutter, „und regst Dich nur unnöthiger Weise auf. Willst Du Dich denn mit aller Gewalt anstecken?“
„Aber meine Pflicht,“ wandte die Tochter schüchtern ein, die sich gern durch derartige Gründe überzeugen ließ.
„Auch die Pflicht hat ihre Grenzen. Wenn Du Theodor’s Frau schon wärest, hätte ich nichts dagegen einzuwenden. Vorläufig bist Du nur noch seine Verlobte.“
Nichts desto weniger ließ sich Clementinens besseres Gefühl nicht gänzlich unterdrücken; sie ging jeden Tag zur Commerzienräthin, aber nur selten noch betrat sie die Krankenstube selbst, weil ihr der Anblick des Patienten ein zu großes Entsetzen einflößte.
Sie wurde von einer förmlichen Angst befallen, wenn sie die abgemagerte Gestalt ihres Verlobten erblickte, und seine wirren Phantasien hörte. Meist lag er ohne Bewußtsein da, und er schien seine Umgebung kaum noch zu erkennen. Die Mutter und Gertrud theilten sich in seine Pflege, und wichen nicht von seinem Lager; besonders zeigte die Letztere eine Sorge und Aufopferung für den Leidenden, welche alle Begriffe überstieg. Das treue Mädchen hatte schon mehrere Nächte nicht geschlafen, die sie an seinem Lager zubrachte. Mit zärtlicher Aufmerksamkeit belauschte sie jeden Athemzug, seine leisesten Bewegungen; sie errieth seine Wünsche, die er nur durch dunkle Zeichen oder unverständliche Laute zu äußern vermochte. Bald reichte sie ihm mit ihren Händen die Medicin zur vorgeschriebenen Stunde, bald den erquickenden Labetrunk, den er von ihr am liebsten zu nehmen schien. Dabei klagte sie niemals über Ermüdung; sie schien wahre Riesenkräfte in dem zarten Körper zu beherbergen. Vergebens bat sie die Commerzienräthin, mit ihr in der Pflege abzuwechseln, und sich einige Ruhe zu gönnen; sie blieb fest auf ihrem Posten. Ein kurzer halbstündiger Schlaf auf dem Lehnstnhl genügte ihr, aber der Kranke brauchte sich nur zu rühren, und sie war schon wieder wach, voll Aufmerksamkeit und immer unverdrossen. Dem Leidenden und seiner Umgebung gegenüber zeigte sie stets eine heitere Miene voll Hoffnung und Zuversicht; nur wenn sie sich unbemerkt sah, oder wenn sie glaubte, daß Theodor schlafen mochte, verrieth sie ihr Mitgefühl durch ihre Thränen, die sie schnell wieder trocknete, sobald sich Jemand näherte. Alle Welt ließ ihrer Hingebung die vollste Gerechtigkeit widerfahren, obgleich sie sicher nicht darauf rechnete; am meisten aber der alte Medicinalrath, dessen erklärter Liebling Gertrud wurde.
„Sie sind ein Engel,“ pflegte er zu sagen. „Ja, ja! Ohne solche gute Geister, welche der Himmel zuweilen auf die Erde schickt, möchte ich nicht Arzt sein; sie helfen mehr, als alle Medicin. Dafür sollen Sie auch,“ setzte der alte Herr scherzend hinzu, „einen guten Mann bekommen. Am liebsten würde ich Sie zur Frau nehmen, wenn ich nicht schon für Sie zu alt wäre. Mit einer solchen Krankenpflegerin getraue ich es mir, auf hundert Jahre und noch mehr zu bringen.“
Gertrud erröthete, und entzog dem Medicinalrath ihre Hand, die er in der seinigen festzuhalten suchte.
„Aha!“ lächelte er. „Ich habe wohl den rechten Fleck getroffen, liebe Collegin!“ So nämlich pflegte sie der Medicinalrath im Scherz zu nennen. „Diese plötzliche Röthe läßt mich auf eine ziemlich weit vorgeschrittene Krankheit des Herzens schließen, die man im gewöhnlichen Leben Liebe nennt. Allgemeine Symptome: fliegende Hitze, schneller Puls, glänzende Augen, leise Delirien, stille Seufzer et caetera, et caetera. Aber zum Teufel! Da hab’ ich wohl was Schönes angerichtet? Thränen, Thränen in den frommen Augen. Habe ich Ihnen weh gethan? Das wollt’ ich meiner Seele nicht. Verzeihen Sie einem alten Mann, wenn er etwas Ungehöriges gesagt.“
Und sie verzieh ihm gern, und schaute ihn wieder unter Thränen lächelnd an.
Nach dieser kleinen Episode trat der würdige Arzt mit dem gebührenden Ernste an das Krankenbett, um den Zustand des Patienten aufmerksam zu untersuchen. Mit welcher Spannung folgte Gertrud seinen Mienen, mit welcher Aufmerksamkeit lauschte sie auf seine Anordnungen, mit welcher Aufregung hörte sie auf seinen Ausspruch, von dem ihr Tod und Leben abzuhängen schien! Ihr gegenüber sprach sich auch der Medicinalrath weit offener aus, da er die mütterlichen Gefühle der Commerzienräthin schonen wollte. Deshalb verschwieg er auch Gertrud nicht seine ernstlichen Besorgnisse und zunehmenden Befürchtungen, indem er bei ihr zwar einen hohen Grad von Theilnahme, aber nicht jene Liebe einer Mutter für ihren einzigen Sohn mit Recht voraussetzen durfte. Der erfahrene Praktiker ließ sich freilich durch den äußeren Anschein, so wie alle Welt täuschen.
Ruhig und mit jener erlaubten Verstellung, die den Frauen bei ähnlichen Gelegenheiten zu Gebote steht, nahm sie mit Fassung seine Mittheilungen hin, ohne durch irgend eine Bewegung ihr Inneres zu verrathen. Der Commerzienräthin zeigte sie stets ein unbefangenes Gesicht, vor ihr führte sie die Sprache der zuversichtlichsten Hoffnung, obgleich sie selbst die Gefahr des Patienten am besten kannte. So rechtfertigte sie die Bezeichnung des Arztes: wie ein Engel half sie pflegend, tröstend, die Gebrochenen aufrichtend, nur für Andere bedacht, sich selbst verleugnend.
„Heute Nacht,“ hatte ihr der Medicinalrath beim Abschiede leise zugeflüstert, „tritt wahrscheinlich die Krisis ein. Wenn die Kraft des Patienten ausreicht, so ist er gerettet; aber ich zweifle. Ich werde gegen Mitternacht noch einmal kommen. Sagen Sie aber der Commerzienräthin nichts davon. Die gute Frau dauert mich; sorgen Sie, daß sie sich schlafen legt; sie wird ohnehin ihre ganze Kraft brauchen, um den furchtbaren Schlag zu tragen. Arme Mutter!“
Gertrud blieb allein an dem Lager des Kranken zurück; sie saß mit gefalteten Händen und betete, still für seine Rettung zum Himmel flehend. Düster brannte die Nachtlampe, und beleuchtete das bleiche, eingefallene Gesicht des Patienten. In dem Zimmer herrschte ein trauriges Schweigen, nur von dem eintönigen Picken der Wanduhr unterbrochen. Immer näher rückte die verhängnißvolle Stunde der Entscheidung, wo die jugendliche Lebenskraft sich noch einmal zum Kampfe mit dem unerbittlichen Tode rüstete.
Jetzt begann jenes fürchterliche Ringen, jener entsetzliche Streit der dunklen Gewalten, das geheimnißvolle Wirken und Weben der Natur, welche dem leise heranschleichenden Tode sich noch einmal aufraffend entgegenstellte. Schauerlich tönten die wirren Phantasien des Bewußtlosen, furchtbare Krämpfe schüttelten den abgemagerten Körper, wie von unsichtbaren Fäusten gepackt; dumpfes Röcheln und Stöhnen aus der gepreßten Brust unterbrachen die ängstliche Stille.
Es war ein entsetzliches Schauspiel für die einsame Gertrud, welche die Commerzienräthin entfernt hatte, um ihr den schrecklichen Anblick zu ersparen; und doch war es nur der Beginn jener traurigen, unabwendbaren Katastrophe. Die treue Pflegerin näherte sich dem mit dem Tode Ringenden, um durch die verordnete Medicin das erlöschende Leben anzufachen, aber in einem Anfalle krankhafter Wuth stieß er sie fort, und schlug mit der geballten Faust nach ihr. Er kannte nicht mehr seinen Schutzengel; da schwand auch die letzte Hoffnung aus ihrer Brust. – Gegen Mitternacht kam der Medicinalrath, wie er es ihr versprochen hatte; er fühlte nach dem Pulse des Patienten, und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit auf die immer schwächer werdenden Schläge des Herzens.
„Wenn Gott nicht Rettung schickt,“ sagte der würdige Arzt mit ernster Miene, „so muß der Kranke sterben. Ich gebe ihm höchstens eine Stunde Zeit.“
„Ewige Barmherzigkeit!“ schrie Gertrud auf, und wurde so bleich, als hätte sie ihr eigenes Todesurtheil aus dem Munde des Arztes gehört.
Sie schwankte und drohete umzusinken; doch im nächsten Augenblick besiegte sie wieder diese Anwandlung einer natürlichen Schwäche; sie fühlte, daß sie noch Pflichten hier zu erfüllen habe. Deshalb bezwang sie mit der größten Anstrengung diese Ohnmacht; nur die hervorbrechenden Thränen vermochte sie nicht zu verbergen.
„Was wird seine Mutter sagen?“ rief sie schmerzlich bewegt. „Sie wird den Tod ihres einzigen Sohnes nicht überleben.“
„Gott wird sie trösten,“ erwiderte der Medicinalrath, der am [504] Krankenbette die Nähe des Herrn schon öfters kennen gelernt hatte.
„Er wird mich trösten!“ wiederholte wie das klagende Echo eine sanfte, traurige Stimme.
Es war die der Commerzienräthin, welche unbemerkt hereingetreten war, deren Mutterherz die Sorge nicht schlafen ließ; sie war gekommen, um dem Liebling ihrer Seele die Augen zuzudrücken. Mit ihrem Taschentuchs wischte sie den Todesschweiß von seiner Stirn. Gertrud und der Medicinalrath strengten sich vergeblich an, sie zu entfernen, um ihr den schrecklichen Anblick zu ersparen.
„Ich hab’ ihn geboren,“ sagte sie milde, aber fest, „ich will ihm auch den letzten Dienst erweisen.“
Sie blieb und wich nicht mehr von seinem Lager, bis der theilnehmende Arzt sie mit Gewalt fortzog. Ein langer Seufzer entrang sich noch einmal der Brust des Sterbenden, dann ward es still, ganz still.
„Er hat vollendet!“ sagte der Arzt tief erschüttert.
Eine wohlthätige Ohnmacht breitete ihre Schatten über das gequälte Mutterherz. Gertrud wollte ihr zu Hülfe eilen und sie erwecken, obschon ihr selbst das Herz zu brechen drohte.
„Lassen Sie,“ rief ihr der alte Medicinalrath zu. „Ihr ist wohl; sie wird noch zeitig genug erwachen.“
Das treue Mädchen stand mit gefalteten Händen; ein leises Schluchzen nur verrieth die Größe ihres eigenen Schmerzes.
Am 3. Septbr. 1757 gebar die siebenzehnjährige Amalie ihrem Gemahl, dem Herzoge Ernst August von Weimar, den ersten Sohn, Karl August, und heute, am 3. Septbr. 1857, prangt nicht nur die kleine Stadt Weimar im festlichen Schmucke, um die hundertste Wiederkehr jenes Tages feierlichst zu begehen, auch aus allen Gegenden Deutschlands strömen Tausende freudig bewegt hinzu, das Fest mit zu feiern und dem Andenken jenes Fürsten den Zoll ihrer dankbaren Verehrung darzubringen. Es ist also kein blos Weimarsches, es ist vielmehr ein deutsches Fest, das man begeht. Ein deutsches Fest aber etwa nur, weil den großen deutschen Dichtern, die Karl August um sich sammelte und denen er Freund war, an diesem Tage Denkmale aus Erz errichtet werden? O nein! So tief die Nachwelt die Verdienste fühlt, welche Karl August um Wieland, Goethe, Herder und Schiller und damit zugleich um die deutsche Literatur sich erworben hat, so sehr sie von der Ueberzeugung durchdrungen ist, daß er jene Sterne nicht aus Eitelkeit um sich sammelte, um mit ihrem Glanze zu prahlen, so wenig vergißt sie, daß Karl August viel mehr war, als blos ein Förderer und Beschützer deutscher Dichter.
Ueberblickt man sein Leben und Streben, so drängt sich unabweislich der Gedanke auf, daß große Menschen sind, wie hohe Berge, denn wie die letzteren zuerst von den Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchtet werden und hell hineinleuchten in das Dunkel, das noch um sie her liegt, so erhellt große Menschen auch zuerst das Licht neuaufgehender Ideen, während die Masse des Volkes oft noch lange umnachtet bleibt. Einer solcher großen Menschen war Karl August und Deutschland verehrt ihn, weil die neuen Ideen, die leuchtend ihm zuerst erschienen, Deutschlands Wohl galten, Ansichten und Gedanken über das waren, was ihm Noth that und – noch Noth thut, Zielpunkte des Strebens, die er schon zu erreichen sich bemühete, um deretwillen das Vaterland so viel gelitten hat und die doch zum Theil noch immer unerreicht in der Ferne liegen. Darum aber erkennen Alle, die Deutschland einig, mächtig und glücklich sehen möchten, in Karl August das Ideal eines echten deutschen Mannes, eines echten deutschen Fürsten und darum feiern alle Vaterlandsfreunde den 3. Septbr. von Herzen mit.
Ueber den äußern Glanz des Lebens Karl August’s, so wie über die andern Seiten seiner Wirksamkeit, über seinen Charakter und seinen Geist, ist auch von uns schon häufig genug gesprochen worden; wir lassen also alles dies jetzt bei Seite, um kurz auf seine Bestrebungen und Verdienste als deutscher Fürst hinzudeuten.
Viel zu weit würde es uns führen, wollten wir den traurigen Zustand des heiligen römischen deutschen Reichs in den letzten Jahrzehnten seines Bestehens schildern. Nicht blos etwas war darin faul, sondern Alles. Karl August fühlte dies schmerzlich und die Abhülfe sah er schon damals in dem, was wir noch immer erstreben: in der Reform des Reichs, in einem deutschen Zollvereine u. s. w. Ueber die zahllosen Zollschranken, die damals Deutschland versperrten, zürnte er bei mehr als einer Gelegenheit, denn er fand mit Recht einen Grund der Noth darin, daß „die großen Staaten ihre Länder von jenen ihrer Nachbarn wie Inseln im offenen Meere absondern und die sicherste Art, ihre Macht zu vermehren, darin zu finden glauben, daß sie alle diejenigen, welche nicht die Ehre haben ihre Unterthanen zu sein, aushungern, damit sie sich aus Noth unterwerfen.“
Er sah das Heil Deutschlands nur „in der Vereinigung der verschieden wirkenden Kräfte auf einen Punkt,“ also in einer gründlichen Reform des Reiches, aus welcher die Gründung einer nationalen Macht hervorgehen sollte. Diesen Gedanken hat er verfolgt sein ganzes Leben hindurch, und überall und alle Zeit, wo er hoffen durfte, zu seiner Verwirklichung mithelfen zu können, war er unermüdlich thätig dafür. Schon in den ersten Jahren seiner Regierung, als die Thaten Friedrichs des Großen Deutschland aufrüttelten, schrieb er einmal: „man beginnt zu hoffen, daß der träge Schlummer, der Deutschland seit dem westphälischen Frieden drückt, endlich einmal zerstreut, daß der Nationalgeist in unserem Vaterlande erweckt werden könne.“
Wahrhaft begeistert nahm er die Idee des Fürstenbundes auf, weil er durch denselben zur Reform des Reichs zu gelangen hoffte. Droysen (in seinem trefflichen Schriftchen: Karl August und die deutsche Politik. Jena, Frommann) theilt einige wichtige Eröffnungen darüber mit. Man gewann, namentlich durch Karl August, Preußen für die Idee, namentlich den Thronfolger des alten Fritz, so daß Karl August schreiben konnte: „der Prinz von Preußen versprach, wenn die deutschen Fürsten sich zu der vorgeschlagenen gesetzmäßigen Verbindung bereit finden lassen und dadurch beweisen, daß sie sich nicht nachlässiger Weise blos auf fremde Hülfe verlassen, sondern selbst an ihrer Erhaltung, so wie es echten Deutschen geziemt, arbeiten wollen, bei seiner Thronbesteigung und in der Fortdauer seiner Regierung das deutsche Reich vor aller an seiner Freiheit und Constitution zu nehmender Unbilde zu schützen, selbst nie etwas zu thun, was dem Reichssystem zuwider laufen könnte, und sich überhaupt als ein wahrer patriotischer deutscher Reichsstand zu beweisen.“ Und ein anderes Mal schreibt er: „ich bezeuge auf meine Ehre, daß die Gesinnungen des Prinzen Thronfolger lauter sind und daß seine Absicht dahin geht, die deutschen Stände aus ihrem Schlafe zu wecken und ihnen fühlen zu machen, daß es unschicklich sei, nichts für ihre Erhaltung zu thun. Es ist hierbei nicht zu leugnen, daß ja, wenn hier von Interesse die Rede sein kann, der Prinz von Preußen dasjenige besitzt, ein so mächtiges Reich, wie Deutschland ist, zusammenverbunden zum Freunde zu haben und diesen gesetzmäßigen Alliirten als ein starkes Gegengewicht gegen alle usurpirenden Mächte zu besitzen. Ferner hilft es ihm aus der Verlegenheit, einstmalen gezwungen zu sein, Deutschland theilen zu helfen, welches gewiß erfolgen würde etc.“
Preußen sollte dafür, daß es an die Spitze des Fürstenbundes trat, die Pflicht übernehmen, seine Politik nicht mehr blos eine preußische, sondern eine deutsche sein zu lassen, während die Fürsten auf jeden Schein eigener auswärtiger Politik verzichteten. Politisch und militärisch sollte das Gebiet des Bundes als eine Macht dastehen; es war bereits von einem gemeinsamen Gesetzbuche, von Aufhebung der Binnenzölle etc. die Rede.
Ueber die Ansicht Karl August’s über diesen Bund äußert Graf Görz: „er betrachtete denselben mehr aus dem höhern Pnnkte der Nationalität und erblickte in ihm ein Mittel zur Wiedergeburt des deutschen Vaterlandes, und zur Wiederbelebung seines erloschenen Gemeingeistes und seiner tief gesunkenen Gesammtkraft, [505] als Mittel, nicht nur Deutschlands Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu sichern, sondern auch seine Verfassung zu verbessern.“
Wie das Alles mißlang, wie nur Schmach von Frankreich her über Deutschland durch Napoleon kam, zu dessen Schmeichlern Karl August nie gehörte, wie derselbe sofort mit allem Eifer thätig war, als die Hoffnung sich zeigte, das Vaterland befreien zu können, ist bekannt genug. Weniger ist es sein Mißmuth über den Gang der Verhandlungen auf dem Wiener Kongresse und wie unverhohlen er ihn aussprach: „Unweisheit und Egoismus beseelen die hiesigen Berathungen und der gute Wille, der so viele Menschen belebte, ist schändlich in die Schanze geschlagen worden. Man hat viel von Napoleon gelernt, auch die Frechheit. Da alle Briefe eröffnet werden, so kann man sich nicht ordentlich herauslassen; deswegen schreibe ich euch so selten.“ Und am 5. Februar 1815: „Auf diese Welt komme ich nicht wieder, wenn die freie Wahl mir dazu gelassen wird, es geht zu arg darin zu. Den hiesigen Aufenthalt habe ich dicke satt, indessen kann ich nicht weg, bis daß der Knoten geschürzt und namentlich die Grundzüge der künftigen Verfassung Deutschlands ausgesprochen sind.“
Bekanntlich war er der Erste, der sich seiner vollen Souveranetät und zwar freiwillig begab und (schon im Januar 1816), „eingedenk der Vorschrift und des Sinnes des deutschen Bundesvertrags“, Einleitungen zum Entwurf einer Verfassung für sein Land treffen ließ, „denn es sei sein Wille,“ erklärte er den versammelten Ständen, „die für Deutschland aufgegangenen Hoffnungen in seinem Lande zu verwirklichen, die Lehre so außerordentlicher Schicksale benutzend, auf Eintracht das Glück des Staates zu gründen.“
Die bald eintretende Reaction machte ihm Kummer und Sorge, und kaum vermochte er vor den Alles überfluthenden Wogen derselben sein Land wenigstens einigermaßen zu schützen. Welche Gesinnungen diesen ächten deutschen Patrioten beseelten, hat er bei der Erneuerung des Ordens seines Hauses deutlich in der Urkunde über die Pflichten der Ordensritter ausgesprochen: „Treue und Ergebenheit gegen das gemeinsame deutsche Vaterland und daß jedes Mitglied des Ordens dahin wirke, daß vaterländische Gesinnung, deutsche Art und Kunst, Vervollkommnung der gesellschaftlichen Einrichtungen sich immer weiter entwickele, und daß auf eine gründliche und des Ernstes des deutschen Nationalcharakters würdige Weise sich Licht und Wahrheit verbreite.“
Karl August’s Gemahlin, Louise, geborne Prinzessin von Darmstadt, erblickte ebenfalls im Jahre 1757 das Licht der Welt, und sie hat es um Weimar verdient, daß man bei der Festfeier auch ihrer gedenke. Obgleich sie in der stürmischen Jugend Karl August’s mancherlei ertragen mußte, bewahrte sie doch immer ihre sanfte Milde und würdevolle gleiche Ruhe. Durch dieselbe zwang sie selbst Napoleon Achtung ab, als sie ihm, dem hochfahrenden Sieger, nach der Schlacht bei Jena entgegentrat. Der Engländer Lewes sagt deshalb: „Die Königin von Preußen und die Herzogin von Sachsen-Weimar sind zwei der hervorragenden Gestalten in der deutschen Geschichte, welche dem ersten Manne seiner Zeit, Napoleon, entgegenzutreten wagten, und von ihm, eben dieses Muthes wegen, bewundert wurden.“
Die freiwillige, nicht officielle Liebe, mit der heute die Besten der deutschen Nation nach 100 Jahren einem todten Fürsten nachjubelt, trägt eine ernste, wichtige Mahnung in sich.
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Nachdem wir die Erlaubniß eingeholt und uns zugleich überzeugt haben, daß die Wetter im Schachte besser geworden und es wieder „brennt“, eilen wir am frühen Morgen zum Schacht, ziehen in der Expedition Hosen und „Bergkittel“ an, schnallen das Leder um, setzen den Schachthut auf und hängen die Blende vor. Nun sind wir fertig zum Einfahren und schlagen in Begleitung des dienstthuenden Obersteigers den Weg zur Grube ein. Die Fallthüre öffnet sich und die Tiefe gähnt schwarz herauf. Es kommt Manchem, wenn er die Fahrt betritt, der Schwindel an; wir aber kennen den Schwindel nicht und müssen uns nur wundern, wie Jemand, der fast nicht mehr sieht, als er greifen kann, vom Schwindel gefaßt werden kann.
Jede Fahrt ist sechs Ellen lang; ihre ursprünglich sehr breiten Sprossen sind schon bedeutend ausgetreten, aber hier und da zeigt eine neue eingezogene, daß sorgsame Augen über gute Instandhaltung der Fahrten wachen. Ist man an drei Fahrten heruntergefahren, so wird dem Fuße ein Ruhepunkt auf einer Bühne, die von achtzehn zu achtzehn Ellen wiederkehrt. Auf der Bühne wird links um die Fahrt herum getreten, und es kann die linke Hand die wohl zwei Ellen über die Bühne hervorstehende neue Fahrt schon erfassen, während die rechte die alte noch hält. Zehn Fahrten haben wir auf diese Weise passirt; da hält der Steiger mit Fahren an und macht darauf aufmerksam, daß hier die Schachtmauerung zu Ende ist und der Holzausbau beginnt. Bei kleinen Schächten, wie sie früher alle waren, geht der Holzeinbau von oben bis unten; aber große Schächte müssen, je nachdem man zeitiger oder später auf Gebirge kommt, das im Stande ist, eine so gewaltige Mauer mit Sicherheit zu tragen, vierzig, fünfzig, sechzig, siebzig und noch mehr Ellen mit Mauern von 1 bis 1½ Elle Stärke ausgefüttert sein. Unterhalb der Mauer folgt in Zwischenräumen von 1½ Elle ein viereckiger Kranz von starkem Holz und die Zwischenräume sind mit Schwarten sorgfältig verkleidet. Zur rechten Hand rollen in einer durch eine Bretterwand abgeschlossenen Abtheilung des Schachtes am Drahtseile die Förderwagen – Hunde genannt – auf und nieder, die vollen auf, die leeren nieder; zur linken geht das Gestänge für die Drucksätze seinen einförmigen Gang. Die Last des Gestänges, worunter man sich nicht etwa schwache Stangen, sondern je nach der Tiefe vier, sechs, acht, zehn Zoll starkes, vollkantig gehauenes, mit Eisen vielfach beschwertes Holz denken muß, ist ungeheuer. Die Aufgabe der Wasserhaltungsmaschine ist es, dieses an die eine Seite des Balanciers angehängte Gestänge aufzuheben. Wenn es aber wieder niedergeht, so drückt es einzig durch seine Last, welche die der Wassersäule übertrifft, die in luftdicht verschlossenen, in Absätzen von der Schachtsohle bis zu Tage senkrecht aufsteigenden Röhren aufgestellt ist, die Schachtwasser zu Tage aus, wo es theils zur Kesselspeisung, theils zum Kohlenwaschen verwendet wird, theils unbenutzt fortläuft.
Endlich sind wir bis auf die Sohle des Schachtes gekommen und befinden uns gegen 500 Ellen tief in der Erde. Ein helles Glückauf tönt uns mehrstimmig entgegen; einige Förderleute stehen da mit dem eben herangeschobenen Förderwagen; sie warten, bis der leere Hund von oben niederrasselt, schieben ihn rasch weg und vertauschen ihn mit einem vollen. Ein kräftiger Zug, und zu Tage verkündet die Schelle, daß man unten fertig ist. Der Dampf strömt wieder ein in die Fördermaschine und wenige Minuten, so sieht die Kohle wieder den Tag, dem sie vor vielen Tausend Jahren entrückt ward. Können genug Kohlen herzugeschafft werden, so können in einem Tage über 300 Karren zu Tage gefördert werden.
Wir biegen nun ein in die Strecke, welche vom Schachte aus in das Kohlenflötz hineingetrieben ist. Zu beiden Seiten steht mehr als reichhoch der schwarze Kohlenstock, die Decke ist vor dem Einstürzen gesichert durch Querhölzer, welche von Zeit zu Zeit an bedenklicheren Stellen eingezwängt sind. Ist aber die Strecke und also auch die Decke breiter, so wird das Querholz und mit ihm die Decke von starken zu beiden Seiten ausgestellten Holzstöcken, den sogenannten Stempeln, getragen. Auf dem Boden aber liegen in den Hauptstrecken vier eiserne Schienen, zwei für die vollen und zwei für die leeren Hunde. Die Strecken werden bis an die Grenze des Kohlenfeldes getrieben und die Grenze selbst umfahren; der einen Strecke läuft parallel eine zweite; beide werden durch Seitenstrecken mit einander in Verbindung gesetzt und so nach und nach der erst im Ganzen umfahrene Kohlenstock in lauter einzelne Pfeiler getheilt. Nun werden die Pfeiler von außen herein nach einander abgebaut; nach dem Abbau werden die Stempel so viel als möglich wieder herausgerissen – geraubt –; die wenigen stehen bleibenden sind nicht mehr im Stande, die auf ihnen lagernde ungeheuere Last zu tragen; sie knistern und knallen und zerfahren zuletzt mit furchtbarem Prasseln und krachen in Tausende von kleinen Splittern; die frühere Kohlendecke bricht donnernd herein und füllt den durch den Kohlenabbau gewordenen leeren Raum wieder aus. Es ist zu Bruch gebaut worden.
Nach weitem Weg durch die Strecken finden wir endlich den Häuer vor Ort; die Frucht seiner Arbeit sahen wir schon oft, wenn uns in den Strecken die vollen Hunde begegneten. Es arbeiten allemal zwei Häuer zusammen an einem Ort. Zuerst treiben sie in den Fuß der Kohle mit ihrem spitzen Kohleisen eine möglichst tiefe Kerbe hinein, – sie schrämen – eine Arbeit, die sie fast nur liegend vollbringen können und wobei sie sich vor dem Herabstürzen von Kohlenstücken dadurch zu sichern suchen, daß sie Holzstücken gegen den abzubauenden Kohlenstock stemmen. Dann führen sie eine gleiche Kerbe herunter, – sie schlitzen. Natürlich, daß der nun von drei Seiten losgelöste Kohlenstock die Neigung hat, die ihm entzogene Auflage wieder zu erlangen: er zerspringt, knistert und prickelt, wie wenn er jeden Augenblick in helle Flammen, ausbrechen wollte. Aber es würde dem Häuer zu lange dauern, wenn er warten sollte, bis der Kohl von selbst sich löste. Darum hilft er mit seinem Eisen nach oder, wenn ihn das auch zu langsam zum Ziele führt, so muß die erprobte Kraft des Pulvers ihm seine Dienste leihen. Ein Loch ist bald gebohrt, eine Patrone haftet darin mit brennender Lunte, der Häuer weicht ein Stück zurück, ein dumpfer Knall und ein gut Theil Arbeit ist gethan. Die Kohlenwand ist, so weit sie geschrämt und geschlitzt, niedergebrochen, und was noch steht und hängt, ist so durchschüttert, daß das Eisen halbe Arbeit hat.
Es haben sich nun vor Ort die Kohlen so aufgehäuft, daß der Häuer, um seine Arbeit von Neuem beginnen zu können, erst räumen muß. Der Hund wird von den Förderleuten herzugeschafft und von den Häuern so lange gefüllt wieder fortgeschickt, als der gewonnene Vorrath reicht. Der Zimmerling aber muß auch immer zur Hand sein, daß er die durch den fortschreitenden Abbau immer auf’s Neue blosgelegte Decke mit seinen Stempeln zur rechten Zeit vor dem Einbruch sichern kann.
Um den Förderleuten die Arbeit zu erleichtern oder auch stellenweise möglich zu machen, sind auf den Hauptstrecken gewöhnlich Bremsberge angebracht. Es liegen nämlich die Flötze fast niemals wagerecht, sondern fallen in der Regel von oben nach unten in einem Winkel, dessen Grade ziemlich verschieden sind. Die Kohlen werden von da an abgebaut, wo sie am wenigsten tief liegen, nach dem Fallen zu. Wenn sie also zum Förderschacht geschafft werden sollen, haben die Hunde den Berg herunterzulaufen. Dabei würden sie, da sie auf eisernen Bahnen gehen, so in’s Rennen kommen, daß die Förderleute sie nicht mehr beherrschen können. Darum steht auf der Höhe des Berges eine Bremse, welche an einem langen Drahtseile den vollen Hund in mäßigem Laufe herunterläßt, während er zugleich auf der anderen Seite den an das andere Ende des Drahtseiles gehängten leeren Hund zum Füllen heraufziehen muß. Wo aber der Weg wagerecht oder wenig geneigt fortgeht, muß der Fördermann seinen Hund selbst fortschieben.
Der Besucher eines großen Schachtes hat sich vor diesen Hunden, die ihre Ankunft allerdings schon von Weitem donnernd verkünden, gehörig in Acht zu nehmen, zumal da in den Strecken nicht überall so viel Raum ist, daß man ungefährdet zur Seite stehen könnte, während der Hund vorbeifährt.
Nach dem Gesagten scheint es vielleicht, als ob der Kohlenabbau mit ungestörter Regelmäßigkeit stattfinden könnte. Aber dem ist nicht so. Nicht immer geht ein Flötz in gleicher Stärke und in gleichem Fallwinkel fort. Das Flötz, das drei, vier Ellen mächtig ist, schwindet auf einmal auf eine Elle Mächtigkeit zusammen; hier zählt der Fallwinkel eines Flötzes vier Grad und dort sechs, [507] acht, zehn Grad; hier erhält plötzlich die Sohle des Flötzes, die sonst immer wagerecht geht, eine starke Neigung, und dort ist das Flötz auf einmal ganz weg. Im letzteren Falle ist es dann entweder ganz alle oder der Bergmann hat es nur mit einem Versetzen zu thun. Um das Flötz wieder zu erlangen, macht er Querschläge durch das taube Gebirge, wobei ihm die Lage und Richtung desselben und gar manche andere nur seinen Augen erkennbare Andeutungen den rechten Weg zeigen müssen. Er findet das Flötz schon wieder, aber einen guten Theil des Gewinns haben ihm die Versuchsarbeiten genommen.
Und die Wetter, wie viel Verdruß machen sie ihm! Er führt Luftkanäle – Lutten – von unten bis oben herauf; er heizt in verschiedenen Tiefen unausgesetzt Oefen und unterhält Feuer, um die Luftströmungen zu befördern; er läßt seine Ventilatoren klappern, und wenn die heißen, schwülen Sommermonate kommen, brennt es doch gleich Wochen lang nicht, mag er auch noch so verdrüßlich drein schauen.
Uns hat es geglückt; den ersten Tag, wo es nach langer Pause wieder brannte, sind wir angefahren; drum waren wir auch guten Muthes, als uns der flinke Hund der Finsternis wieder entrückte und wohlbehalten dem Lichte des Tages wiedergab. Glückauf!
Haben wir nun Gelegenheit genommen, die Gewinnung der Kohlen in der Tiefe der Erde anzusehen, so dürfen wir es wohl nicht verabsäumen, die mit dem Kohlenbergbau eng zusammenhängende Cokfabrikation kennen zu lernen.
Die Coköfen werden immer zusammengebaut und bilden eine ununterbrochene bald kürzere, bald längere Reihe. Der einzelne Ofen ist backofenähnlich und bildet ein längliches Viereck; im Innern hat er ungefähr eine Elle über dem Boden einen von vorn nach hinten sanft ansteigenden Heerd, und nicht nur das Gewölbe besteht ganz aus feuerbeständigen Thonziegeln, sondern es sind auch alle Seiten mit derartigen Ziegeln sorgsam ausgefüttert. Lehmziegel würden bei dem hohen Hitzgrade, welchen die Oefen auszuhalten haben, schmelzen und aus ihnen erbaute Oefen gar bald zusammenbrechen. An der hintern Seite wird mitten durch das Gewölbe eine Esse – Fuchs genannt – herausgeschleift und an der vordern Seite hat der Ofen eine etwa drei Fuß hohe und breite viereckige Oeffnung. Soll der Ofen gefüllt werden, so werden die Kohlen von oben durch den Fuchs hineingeworfen und mit leichten Krücken durch die vordere Oeffnung so lange gleichmäßig auf dem Heerde vertheilt, bis sie ungefähr eine Elle hoch liegen, wozu in den Regel zehn Karren Kohlen erforderlich sind. Wird der Ofen zum ersten Male gebraucht, so muß unter die Kohlen ein bedeutendes Holzfeuer gemacht werden, damit dadurch nicht nur die Kohlen entzündet, sondern auch hauptsächlich der Heerd in Hitze gebracht wird. Ist der Ofen aber schon in gehörigem Gang, so ist er noch über und über glühend, wenn die Kohle eingeworfen wird, und es entzündet sich diese selbst. Nach Beendigung des Einwerfens wird die vordere Oeffnung mit Ziegelsteinen ganz versetzt und die Fugen zwischen den Steinen mit Lehm verklebt. Es dauert nicht lange, so steigt aus dem Fuchs ein schwarzer, dicker, von gelben Schwefeladern durchzogener Qualm; dieser wird je länger, je lichter; die Flamme bricht durch und herrscht zuletzt allein; ihre erst gelbe Farbe wird weißer und weißer, verschwindet endlich ganz und nur die über dem Fuchs heftig erzitternde Luft zeugt von der aus dem Ofen drängenden Hitze. Nach zwei bis drei, auch vier Tagen, je nach der Größe des Ofens wird die an der vorderen Seite versetzte Oeffnung wieder geöffnet und nun der fertige Cok mit einer langen und starken eisernen Krücke, welche auf einem dicken, quer über die Oeffnung eingelegten eisernen Stabe ruht, stückweise losgebrochen und herausgezogen. Er bricht, wenn er gut ist, säulenartig und je schwächer die Säulen werden, um so lieber hat man ihn. So wie er aus dem Ofen fällt, wird er von schon mit gewaltigen Schaufeln bereit stehenden Arbeitern ausgenommen und dann zum Auskühlen ausgebreitet. Dieses Auskühlen geht mit ziemlicher Schnelligkeit vor sich; denn so wie die Oefen wieder mit Kohlen versorgt sind, wird auch schon der kaum erst ausgepackte Cok entweder in Körbe zum Versand durch die Eisenbahn oder auf die Wagen der Fuhrleute verladen. Die kleinen Stücken, welche liegen bleiben, geben den sogenannten Zünder, der für die Schmiedefeuer und für die Stubenöfen verwendet wird, während die großen Stücken zur Unterhaltung großer Maschinenfeuer und zum Schmelzen des Eisens und Silbers genommen werden.
Guter Cok sieht silbergrau aus und ist sehr hart; bisweilen finden sich Stückchen von solcher Härte, daß man mit ihnen wie mit einem Diamanten Glas schneiden kann. Bei genauerer Betrachtung wird man am Cok oft die prächtigsten Bildungen wahrnehmen. Hier sind ganze Seitenflächen mit kleinen runden, wellenförmig aufgehäuften Silberperlchen bedeckt, dort breitet ein Bäumchen seine feinen Aeste und Zweige aus, hier steht eine wohlgeordnete Säulengruppe, dort scheint eine wogende Silberfluth plötzlich erstarrt zu sein, hier baut sich ein Gebirge im Kleinen zackig und grotesk empor, dort steigt man auf sanften Wellenlinien zur Höhe, und wer möchte alle die wundersamen Bildungen nennen, die das schöpferische Element des Feuers in seinem Gluthofen an den unförmlichen Kohlen hervorzaubert!
Zum Cokbrennen werden nur klare Pechkohlen verwendet. Die Nußkohle gibt ein so schlechtes Product, daß man weitere Versuche, ihr einen leidlichen Cok abzugewinnen, aufgegeben hat. Bevor jedoch die Kohlen in den Ofen eingeworfen werden, müssen sie in einer besonders dazu hergerichteten Wäsche von Steinen, Schiefer und anderem Unrath mit Hülfe des Wassers gereinigt werden. Es werden nämlich die Kohlen in eine Rinne, durch welche Wasser gelassen werden kann, eingeworfen; dem Wasser wird darin gerade so viel Fall und Kraft gegeben, daß es die leichteren Kohlen mit fortnimmt in einen großen Kasten, in welchem sie sich ansammeln, während die schweren Steine und Schieferstücken in der Rinne liegen bleiben und der Kohlenstaub und Schmutz theilweise mit dem Wasser fortgeht.
Anlangend den chemischen Proceß, welchen die Kohle bei der Verwandlung in Cok erfährt, so ist derselbe auch für den Laien unschwer einzusehen. Die Kohle besteht nicht nur aus reinem Kohlenstoff, sondern es sind derselben auch viele harzige Fettigkeiten und Schwefeltheile, meist in Verbindung mit erdigen und metallischen Stoffen, beigemischt. Diese letzteren müssen ausgeschieden werden, wenn man die Kohle in Cok verwandeln will; denn guter Cok ist eben nur der reine Kohlenstoff. Zur Verbrennung des reinen Kohlenstoffes ist heftiger Zutritt von Sauerstoff nöthig, oder wie man im Leben sich ausdrückt, es muß viel Zug vorhanden sein, während die übrigen Theile der Kohle schon verbrennen oder als Gase ausscheiden bei geringem Zutritt von Sauerstoff. Ist der Cokofen nach Einwerfung frischer Kohlen an der vorderen Seite zugesetzt und mit Lehm verstrichen, so kann zuerst gar kein Sauerstoff in den Ofen treten. Aber schnell trocknet die Hitze den Lehm, so daß er zwischen den Steinen kleine Risse bekommt, durch welche schon so viel Sauerstoff zutreten kann, daß eine Verbrennung der Fett- und Schwefeltheile stattfindet. Ist aber der Zutritt des Sauerstoffes durch die selbstgewordenen Risse noch zu gering, so hilft der Cokser durch ein Loch, welches er zwischen zwei Ziegel macht, noch nach. Sind auf diese Weise je nach der Größe des Ofens in zwei bis vier Tagen die Anhängsel des Kohlenstoffes ausgeschieden, so bleibt der wegen Mangel an Sauerstoff nicht verbrannte Kohlenstoff übrig, und der Cok ist fertig. Dieser aber verbrennt auch, wenn die Feuerstätte, wo er verbrennen soll, starken Zufluß von Sauerstoff hat, und erzeugt dann höhere Hitze, als die Kohle, ohne noch Rauch entwickeln zu können.
Wie bedeutend die Cokfabrikation bei dem Zwickauer Bergbau ist, läßt sich daraus erkennen, daß weit über 200 Oefen im Gange sind, von denen jeder durchschnittlich in 3 Tagen 30 bis 32 Centner Cok bereitet.
Schließlich dürfte es doch wohl noch der Mühe werth sein, einen Blick auf die Männer zu werfen, die ihre beste Kraft und Leib und Leben daran wagen, um der Tiefe der Erde ihre schwarzen Schätze zu entreißen.
Des Bergmanns Leben ist ein Leben voll Mühe, Arbeit und Gefahr. Die kleinste Unvorsichtigkeit rächt sich bei ihm hier mit einer leichten Verwundung, dort mit Verstümmelung und augenblicklichem Tod, und sei er auch noch so vorsichtig, er weiß doch nicht, ob er die gesunden Glieder, die er in den Schacht mit hinabnimmt, auch wieder heraus bringt. Daraus ist erklärlich, daß der Bergmann in der Regel eine ernste Anschauung vom Leben erhält, und daß er, dem fortwährend unwiderstehlich wirkende Gewalten feindlich gegenüber stehen, seinen Leib und sein Leben unter den Schuh Gottes stellt, dessen Willen alle Gewalten dienen müssen. Der Bergmann ist religiös; Leichtsinn und Frivolität kommt wohl bei dem jüngeren Bergmann noch vor, aber hält nicht nach bis in die reiferen Jahre. Fährt er zur Grube hinab, so thut [508] er es mit Gott, und fährt er wieder heraus, so denkt er dankend an Gott, dessen Schutz ihm zu Theil ward. Die schöne Gewohnheit bei dem Regalbergbau, daß die Bergleute vor ihrer Einfahrt im Huthause gemeinschaftlich beten, ist bei dem Zwickauer Steinkohenebergbau noch nicht eingeführt.
Aberglaube, sonst bei den Bergleuten sehr gang und gäbe, ist bei dem Zwickauer Kohlenbergmann fast gar nicht zu finden. Er fürchtet sich nicht vor der Tücke der Kobolde, noch hofft er auf Segen aus den Händen der Berggeister. Er glaubt an die unwandelbar wirkenden Gesetze der Natur, an die Stärke seiner Maschinen, an die Festigkeit seiner Bauten, an die Zuverlässigkeit seiner Drahtseile und Fahrten, an die Kenntnisse, Erfahrung und Gewissenhaftigkeit seiner Vorgesetzten.
Muth und Entschlossenheit, rasches, energisches Handeln sind Eigenschaften, welche der Kohlenbergmann in hohem Grade besitzen muß, wenn er nicht jeder Gefahr zum Raube werden will. Eine schnelle Wendung bringt ihn aus dem Bereiche eines unversehens herabstürzenden centnerschweren Kohlenstückes; ein kühner Griff bewahrt ihn vor dem Fall in schauerliche Tiefe: eine entschlossene That rettet ihn und seine Kameraden vom sonst unvermeidlichen Tode.
Seine Arbeit ist voll Mühsal, gleichviel, ob er den Schacht erst niederbringt, oder vor Ort arbeitet, oder die losgearbeiteten Kohlen bis zum Förderschacht schafft, oder mit dem Einbaue in den Schacht beschäftigt ist, oder ob er vor der Gluth der Kessel und Coköfen sein Werk treibt. Bald liegt er, bald sitzt er, bald kniet er, bald lauert er, bald steht er, bald schwebt er, in allen Stellungen und Lagen muß er sein gewichtiges Werkzeug zu gebrauchen wissen. Dabei hat er zeitweilig nicht nur von der Nässe zu leiden, sondern muß sich auch oft mit einer schweren und drückenden Luft begnügen, die so mit schädlichen Gasarten angefüllt ist, daß das Grubenlicht kaum das zur Arbeit nothwendige Licht gewähren will. Diese „bösen Wetter“ werden namentlich im heißen Sommer bisweilen so arg, daß ihretwegen die Arbeit eingestellt werden muß. Noch schlimmer, als die bösen Wetter, sind die schlagenden Wetter; diese bestehen aus Wasserstoffgas, das sich, wenn es mit Feuer in Berührung kommt, sofort entzündet und den darein gerathenen Bergmann jämmerlich verbrennt. Diese schlagenden Wetter kommen zwar im Zwickauer Revier nur selten vor; aber doch fordern sie von Zeit zu Zeit ein Menschenleben.
Bei solchen Mühen und Beschwerden, die der Kohlenbergmann zu ertragen hat, können natürlich nur gesunde und kräftige Arbeiter gebraucht werden. Die Umgegend von Zwickau liefert die meisten und besten; die aus dem Obergebirge ankommenden Bergeleute halten gewöhnlich nicht lange aus, sei es, daß ihnen die Arbeit zu schwer ist, sei es, daß sie vom Heimweh ergriffen werden.
Der Verdienst des Kohlenbergmanns ist ziemlich hoch. Die Zimmerlinge, welche den ganzen Einbau in den Schacht zu besorgen haben, und aus den Häuern genommen werden, erhalten für die zwölfstündige Schicht 16 Ngr., die Häuer, welche die Kohlen vom Kohlenstock losarbeiten, 15 Ngr., die Förderleute, welche die Kohlen vom Orte bis zum Förderschachte schaffen, 12 Ngr., die Tagearbeiter 10 Ngr. Dieser Lohn wächst aber noch beträchtlich dadurch, daß die Bergleute sehr oft 1¼, ja sogar 1½ Schicht machen, und daß sie fast fortwährend im Gedinge arbeiten, wobei ihnen der Lohn nicht nach der Dauer der verwandten Zeit, sondern nach der Größe der gelieferten Arbeit gezahlt wird. Dabei ist es jetzt nichts gar Seltenes, daß ein tüchtiger Zimmerling oder Häuer den Tag über seinen Thaler verdient.
Daß der Bergmann bei so anstrengender Arbeit mit schmaler Kost nicht zufrieden ist, kann wohl nicht befremden. Wenn aber der Eine oder der Andere im Genuß geistiger Getränke nicht das rechte Maß hält, so ist das zwar bedauerlich und für die betreffenden Personen mit großer Gefahr verbunden; aber im Allgemeinen kann dem Zwickauer Kohlenbergmann die Mäßigkeit und Nüchternheit, ohne welche er sein Werk nie zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten verrichten könnte, nicht abgesprochen werden.
Für Krankheits-, Unglücks- und Todesfälle ist bei jedem großen Kohlenwerke eine sogenannte Knappschaftscasse errichtet. Ihr müssen nicht nur alle Arbeiter, sondern auch alle Officianten, bis zum Bergverwalter herauf, beitreten. Für die Beiträge, welche sie an diese Casse bezahlen, erhalten sie in Krankheitsfällen freie ärztliche Behandlung und Medicin, auch einen Theil ihres Arbeitslohnes, und wenn sie arbeitsunfähig geworden sind, wird ihnen eine kleine Pension auf Lebenszeit gewährt, die nach ihrem Tode theilweise sogar auf ihre Hinterlassenen übergeht. Diese Knappschaftscassen sind bei den häufigen Unglücksfällen, die bei dem Kohlenbergbau vorkommen, überaus heilsam wirkende Einrichtungen, zumal da der treue Arbeiter in der ihm gereichten Unterstützung nicht ein Almosen, sondern die Befriedigung eines während seiner Arbeitszeit wohlerworbenen Anspruches zu erblicken hat.
Alljährlich einmal versammeln sich die gesammten Bergleute eines Werkes zur Feier eines Knappschaftsfestes. Dabei halten sie in ihrer malerischen Kleidung feierliche Aufzüge, manchmal auch mit Kirchenparade und Bergpredigt verbunden. Bei dem darauf folgenden gemeinschaftlichen Mahle und Tanze wird freilich der bergmännische Ernst einmal ganz vergessen; wir wollen es aber den Männern, deren Leben eine fortgesetzte Reihe von Mühe und Gefahr ist, nicht verdenken, wenn sie die wenigen Rosen, die ihnen auf ihrem Lebenswege blühen, mit raschem Griffe pflücken, mag auch dem Einen oder Andern dabei ein kleiner Dorn in die Finger fahren.
Alle Ehre den braven Bergleuten, den Männern der Arbeit und Gefahr!
Das achtzehnte Jahrhundert zeigt eine große Vorliebe für alle Verbindungen, weltliche, geistliche und halb weltliche, halb geistliche. Wir wollen nur an die Illuminaten, Rosenkreuzer u. A. erinnern, deren Zwecke sehr hoch gestellt waren und die nichts Geringeres beabsichtigten, als die Menschheit aus den Banden, in denen sie schmachtet und die ihre freie Entwickelung hindern, zu lösen. Wir wollen hier nur zweier solcher Verbindungen Erwähnung thun, die nicht so hochfliegende Pläne verfolgten, die einzig zu Erziehungs- und gesellschaftlichen Förderungsmitteln dienen sollten und ihre Bestimmung auch genügend erfüllten. Der erstere war ein Orden, den eine fromme Gräfin von Zinzendorff, die Mutter des bekannten Gründers der Herrnhuter Gemeinde, gründete und der sich der „Orden vom Senfkorn“ nannte, auf jenes biblische Gleichniß sich beziehend, wo es heißt: „Wenn ihr Glauben habt nur eines Senfkorns Größe, so werdet ihr können Berge versetzen.“
Trotz dieser geistlichen Etiquette war dieser Orden doch lediglich ein auf weltliche Erziehungszwecke abzielender, denn die Theilnehmer desselben verpflichteten sich, dem Tanze und dem Spiele zu entsagen. In jener Zeit, wo die Moral auf so schwachen Füßen stand, wo die Verführungen der großen Weltstädte London und Paris, wohin die junge Welt ihre Reisen machte, zahllose Opfer dahinrafften, konnte eine zwingende Ordensregel, die gerade aus zwei der ärgsten, Gesundheit und Geld raubenden Modeleidenschaften ihr Augenmerk richtete, ganz gute Wirkung thun. Spangenberg im Leben des Grafen von Zinzendorff erzählt von der Gründung und dem weitverbreiteten Nutzen dieses Ordens vom Senfkorn. Ein anderer Orden, diesem nachgebildet und ebenfalls von einer frommen Gräfin gegründet, sollte die jungen Leute zwingen, ihre Schulden zu bezahlen. In die Verbindung des Ordens, der übrigens seinen Theilnehmern weltliche Vortheile, Protectionen bei Nachsuchung von Aemtern, günstige Heirathsprojecte etc. zusicherte, wurden nur Personen aufgenommen, die von keiner Art Gläubiger verfolgt wurden. Zeigte sich, daß ein Mitglied irgend eine Schuld, auch nur bis auf einen Thaler reichend, auf sich lasten fühlte, so wurde er unerbittlich aus dem Ordensverband gestoßen. Begreiflicher Weise hielt sich jedoch dieser Orden, der der Orden „zum guten Haushalter“ hieß, nicht lange. Der Orden, von dem wir jetzt sprechen wollen, hielt sich länger, weil er auf eine Basis gegründet war, die keine besonderen Pflichten und Opfer als nothwendig erachten ließ und nur mit dem Aufbau einer geistvollen, ungetrübten und glücklichen Geselligkeit sich beschäftigte.
Zwei Stunden von Gotha liegt das in französisch-holländischem Geschmack erbaute Lustschloß Friedrichswerth. Hier gründete [509] Herzog Friedrich III. den Orden „der lustigen Eremiten“ (l’ordre des Hermites de bonne humeur) der in den Jahren 1739–1742 florirte und endlich in dem Getöse des siebenjährigen Krieges unterging. Diese lustigen Eremiten waren Lebemänner von der feinsten Sorte, an ihrer Spitze befand sich jener berühmte und berüchtigte Graf Gotter, einer der beliebtesten Tischgenossen und literarischen Freunde des großen Friedrich und der Meister der Epikuräer und Genußzöglinge jener Zeit. Er hatte sein Schloß Molsdorf ganz in der Nähe von Friedrichswerth. Die Idee von der Gründung eines solchen Ordens, der eigentlich bestimmt war, den Kern der feinen Gesellschaftsbildung in sich einzuschließen und vor rohen Angriffen und Elementen zu wahren, ging von zwei Frauen aus, zunächst von einer Frau von Buchwald, die wir als schönen Geist und als Correspondentin Voltaires öfters in den Denkwürdigkeiten jener Tage genannt sehen, und dann von der Gemahlin des Herzogs, von der geistvollen Louise Dorothea von Sachsen-Meiningen. Der Herzog wurde veranlaßt, die poetischen Gebilde und Träume dieser beiden Damen zu realisiren. Auch er für seine Person hatte bereits ähnliche Regungen empfunden, auch ihm dünkte der Gedanke ein glücklicher, fern von dem Treiben der Welt und ihren Eitelkeiten philosophische Freuden in einer Klausnerhütte zu genießen. Man ging demnach sogleich daran, den Plan auszuführen. In dem Parke zu Friedrichswerth entstanden eine Anzahl von Einsiedlerklausen, eine zierlicher wie die andere im Innern ausgestattet, während das Aeußere die strenge Einfachheit anachoretischer Baukunst zeigte. Jede Klause war anscheinend roh aus Brettern zusammengefügt, mit einer Strohmatte an der Thüre und einer Glocke in einem Thürmchen. Lichte Baumgruppen und blühende Gesträuche, durch die ein kleiner sorgsam gepflegter Pfad sich schlängelte, hier und da auch klare Seen mit ländlichen Brücken, die auf Inseln führten, verbanden diese kleine Einsiedlerstadt. Oeffnete man die grobgearbeiteten Thüren dieser Zellen, so erblickte man zwei bis drei zierlich eingerichtete Zimmer, im feinsten Geschmack decorirt, oft mit Spiegelwänden und Atlasruhebetten versehen und mit Wachskerzen erleuchtet, die ihren Schimmer auf die vor dem Fenster wehenden Gebüsche warfen, wenn es der Eigenthümer der Klause nicht vorzog die Laden seiner Fenster zu schließen, um die neugierig herumwandelnden Eremiten nicht unnützer Weise mit den Eigenthümlichkeiten seiner Privat-Andacht bekannt zu machen.
In diesen anmuthig gelegenen und bequem ausgestatteten Cabineten versammelte sich nun die zum philosophischen Lebensgenuß aufgelegte Gesellschaft nach bestimmten Regeln und Statuten. Bis zehn Uhr war Conversationsfreiheit, nach zehn Uhr schlossen sich die Klausen, und nur Eremiten des ersten und zweiten Grades, – und diese auch nur in Gesellschaft zu Dreien, hatten die Berechtigung, wenn sie Einladungen zu kleinen Soupers erhalten sollten, die Klausen der Einsiedlerinnen zu besuchen. Die ersten drei Nächte nach eingetretenem Vollmond war diese Stunde des Schlusses der Klausen bis auf die elfte Stunde verlängert, weil man annahm, daß der zärtliche Einfluß, den der milde Strahl des Mondlichtes auf gefühlvolle Gemüther ausübt, ganz besonders dazu geeignet ist, der Geselligkeit jenen sanften Charakter bescheidener und anmuthiger Heiterkeit geben, die die Quelle tausend reiner und edler Herzens- und Geistesbündnisse sei. Da die Gesellschaft nur aus Personen bestand, die, was den männlichen Theil betraf, dem Herzog, den weiblichen, der Herzogin durch Handgelöbniß die Zusicherung eines streng sittlichen Wandels gegeben hatten, so war nichts zu befürchten. Die Statuten wurden dem zufolge ziemlich nachlässig eingehalten, eben so wenig kam es dazu, daß die Strafen in Anwendung gebracht wurden, die auf einzelne Fälle von Widersetzlichkeit gesetzt waren.
Alles, was Trübsinn, Traurigkeit, schwerfälliges Nachdenken, unheilbare Pedanterie und geistmörderische Langweiligkeit hieß, war auf das Strengste verbannt. Die Gabe, nur das zu sagen, was gefällt, und das auf eine Weise zu sagen, die gefällt, wurde hier ausgebildet. In Versen war es erlaubt, sich lange Bekenntnisse zu machen, und den Gott der Liebe und Freundschaft mit in’s Spiel zu ziehen, nie aber durfte Liebe und Freundschaft bis auf einen Punkt hin getrieben werden, wo sie anfangen, Pflichten zu werden, und in die Reihe der Sorgen des bürgerlichen Lebens zu treten. Zwei Liebende, als alle Regel der gemeinschaftlichen Mittheilung und Freude geradezu vernichtende egoistische und nur sich selbst lebende Wesen, wurden als Feinde des Ganzen betrachtet. Thränen, Seufzer wären ein Entsetzen gewesen für die lustige Gesellschaft der Eremiten. Deshalb durfte die Liebe wie die Freundschaft nur ihre heitere Seite zeigen, und sie durften es nicht übel nehmen, wenn ihnen bei Gelegenheit tausend Possen gespielt wurden.
Uebrigens gibt es eine Liebe, die nie Herzenssache wird, die sich nur mit der Oberfläche des Lebens beschäftigt, und die ganz dazu gemacht ist, als Gesellschaftselement jede Zusammenkunft der Geschlechter anmuthig und belebt zu machen. Mit dieser Art Liebe war den lustigen Eremiten vollkommen gedient. Die Briefe, die man sich schrieb, wurden von einer besondern Post umhergetragen, und Nachts in die offen stehenden Fenster geworfen. Mit den Briefen flogen Blumen, oft auch Ringe und Pretiosen herein.
Es gab Zellen von Einsiedlerinnen, in denen man nur Bücher und Manuscripte fand, andere, in welchen dem Auge nur musikalische Instrumente sichtbar wurden, wieder andere zeigten die Feinheiten der Toilette und des weiblichen Putzes, und Einsiedlerinnen dieser Sorte saßen oft noch um Mittag vor ihrem Spiegel, und empfingen Besuche, indem sie sich das Haar frisiren und pudern ließen. Die Klausen des Herzogs und der Herzogin waren von denen der Andern in nichts unterschieden.
Die Hauptregeln des Ordens waren folgende:
1) Wer in den Orden der lustigen Eremiten tritt, muß zuvörderst bekunden, daß er Seiner Hoheit dem Herzog, so wie dessen Gemahlin, mit Eifer und Liebe ergeben ist.
2) Er muß Alles, was in seinen Kräften steht, thun, um zur Förderung der Zwecke der Verbindung beizutragen.
3) Er verscheucht aus seinem Geiste Alles, was wie Kummer und Sorge aussieht, vor allen Dingen die üble Laune, das Gift aller gesellschaftlichen Zusammenkünfte.[2]
4) Wenn man einer anständigen Freiheit genießt, so muß man dabei bedenken, daß es der Zweck dieser Freiheit ist, eine vernünftige Freude, eine stets gleiche, gleich reine und von keiner Leidenschaft getrübte einzuführen.
5) Der Hauptzweck der Verbrüderung ist, eine dauernde und feste Freundschaft, die für das ganze Leben ausreicht, unter den Mitgliedern zu begründen.
6) Die Zusammenkünfte müssen vollständig sein, nur sehr triftige Gründe können das Nichterscheinen entschuldigen.
7) Wird man verhindert, zu kommen, so muß man einen Entschuldigungsbrief, aber einen scherzhaften, der in der Versammlung vorgelesen werden kann, einschicken.
8) Nur in der Ordenskleidung darf man erscheinen.
9) Die eigentlichen Ordensinsignien werden nur an den Ordensfesttagen angelegt. Andere Ordenszeichen und Costüme dürfen nicht angelegt werden.
10) Stets müssen die Ordensregeln und die Liste der Ordensmitglieder bei jedem einzelnen Mitgliede vorgefunden werden. Wird man gefragt in Ordensangelegenheiten, so gibt man bescheiden und heiter seinen Rath, ungefragt, schweigt man.
12) Niemand darf von Dingen sprechen, die er in engen Ordensconferenzen gehört. Unverbrüchliches Schweigen wird gelobt.
13) Bei Tafel wird gesungen, besonders, wenn der Wein und die Confitüren aufgetragen werden. Französische Chansons werden zu diesem Zwecke vorgeschlagen.
14) Begrüßt man sich unter einander, so sagt man nichts als die Worte: Es lebe die Freude! worauf geantwortet wird: Die Freude lebe!
Außer diesen 14 Hauptregeln, die in französischer Sprache aufgesetzt waren, gab es noch eine Anzahl kleiner sogenannter Haushaltungsbefehle, unter denen jene bereits angeführten Gesetze über das Schließen der Klausen und die späten Besuche bei den Einsiedlerinnen sich befanden. Die Ordenstracht war eine Mönchskutte, doch in modischer Form zugeschnitten. Man hatte Mönchskutten, die mit rosenrothem Tasset gefüttert waren, vorn auseinander flatterten, und das schöne Bein der Cavaliere zeigten, das in einer Atlashose und in seidenen Strümpfen steckte. Die Damen machten sogenannte halbe Hoftoilette, und warfen über diese das Ordenskleid, das heißt, an den Feststagen des Ordens. Das Ordenszeichen war ein kleiner, in Silber gefaßter Jocusstab, an welchem bei der Dame la Prieure (die Herzogin) Diamanten glänzten.
Wir wollen nun aus der Liste der Mitglieder, wie sie zwischen den Jahren 1739–1742 aufgezeichnet sind, einige Namen [510] herausziehen. Jede Person hatte ihren Ordensnamen. Die Herzogin hieß Madame la Prieure superieure, der Herzog Mgr. le Prieur superieur. Der Herzog von Meiningen hieß der Zufriedene (content). Frau von Buchwald, der berühmte Schöngeist, die Glänzende. Der Erbprinz hieß der Wachsame, Fräulein von Kameke die Hoffende, der Prinz Wilhelm der Unterhaltende, ein Fräulein Jacquin die Vielgetreue, ein Herr Cachedenier, der nebenbei ein angesehener Gelehrter und ein großer Buchersammler war, der Verschwiegene, ein Herr von Beust der Sänger, ein Herr von Buchwald der Scherzhafte, ein Herr von Bachoff wurde Schmetterling genannt, und der Graf Gotter, der eigentlich die Seele des Ganzen war und ohne den, wenn er einmal fehlte, die ganze Eremitage in's Stocken gerieth, wurde der Sausewind (tourbillon) genannt. Drei Damen, Frau von Herzberg, von Pflugk und von Janus nannten sich nach den drei Parzen: Clotho, Lachefis, Atropos, und drei Herren Aeakus, Minos und Rhadamanthus. Und so noch eine große Menge mehr.
Mitten in der blühendsten Periode des Ordens kamen die Franzosen nach Deutschland und diese Fremdlinge, die man anfangs mit Bewunderung und großer Freude in den Reihen der Eremiten aufnahm, waren Ursache, daß der Orden in Verfall gerieth. Diese Sorte Eremiten war denn doch etwas stark. So wie diese neuen Gäste die Galanterie und Courtoisie verstanden, hatte man, ob gleich man an deutschen Höfen abgöttisch die Franzosen verehrte, doch weder Muth noch Lust, sie zu verstehen. Die Ordnung in der Verbindung wurde wankend, es schlichen sich unerhört freie Sitten ein und die Marschälle Soubise und Caulincourt, geraden Weges aus den Boudoirs der Pariser Weltdamen kommend, machten sich zu Stimmführern der Gothaer Anachoreten. Der bekannte Schriftsteller Thümmel hat uns eine Schilderung der Ankunft dieser Helden und ihr Einwirken auf die Bewohner von Friedrichswerth gegeben, die jene Zeiten lebhaft charakterisirt. Es ist dem großen Friedrich nicht genug zu danken, daß er, selbst social und literarisch französisch gefärbt, doch so echt deutsch dachte und handelte, daß er diese frisirten Gecken, die sich Soldaten nannten, so effectvoll nach Hause leuchtete.
Das ernste Antlitz, das jetzt die Zeit annahm, zerstörte die Privat-Lustbarkeiten und mithin auch den Orden der lustigen Eremiten. – Nur Einer dieser Eremiten hat sich ein Andenken bis auf unsere Tage gegründet, dies ist ein Herr von Rotberg, der unter dem Namen der Weise in der Mitglieder-Liste aufgeführt steht und der der Gründer des Gotha'schen Hof-Kalenders ist, eines Büchleins, das in manchen tausend Exemplaren verbreitet ist und das Jedermann, wenigstens dem Namen nach, kennt. So hat also dieser Berg doch wenigstens eine Maus geboren.
„Mein Frau ist in Kösen,“ ist der in unserer Zeit aufgetauchte Ausruf des Berliners, der in den glücklichen Augenblicken seines ehelichen Lebens athmet, wo seine Frau verreist ist. Mag die Frau nun gerade in Kösen sein oder nicht, Kösen ist der Ort, der diesen Schrei der Freude in’s Leben gerufen hat; Kösen ist es, das mit Anbruch der Saison so und so viel Damen der Hauptstadt entführt, und Kösen muß daher für den Junggesellen das sein, was dem Muhamedaner als siebenter Himmel vorgespiegelt wird. Dahin mußte nothwendiger Weise der Tourist-Garçon, ehe er in das so vielseitig gefeierte Land der Thüringer einrückte. Also „zwei Billet nach Kösen“ – und mein Vetter R. und ich saßen in den staubigen Kissen des Waggon. – Schreckliche Eisenbahn, die zwischen öden, sich bis zum Horizont hinstreckenden Stoppelfeldern und einigen glatzenartigen Hügeln dahinzieht!, schreckliches Geschlecht, das Einen umgibt, sobald man dieselbe betritt! Wir waren umgeben von jüdischen Handlungs-Reisenden! –
Das erste Nahen einer bergigen Gegend empfindet man, sobald man die thüringer Bahn betritt, denn dies Gefühl der Bewegung, das dem Rütteln eines Leiterwagens auf einem ausgefahrenen Krüppeldamme gleicht, – kann unmöglich an dem schlechten Bau der Bahn liegen, wenn man auch allerdings auf eine weise Sparsamkeit der Direction durch die schmalen Sitze geführt wird, die zum Einschlafen der Füße und Kniereißen ganz besonders geeignet erscheinen. – Herrlicher Mondschein lag über der Gegend, und als wir die alten Thürme von Naumburg sahen, konnten wir nicht umhin, schon dieser Stadt einen flüchtigen Besuch zu machen. Das Gitter knarrt und der Miehtswagen rollt über das Pflaster der menschenleeren Straßen.
Durch zudringliche Fliegen früh gestört, öffneten wir der schönen frischen Morgenluft das Fenster und unserem entzückten Auge bot sich das reiche, belebte Bild einer kleinen Provinzialstadt dar. Ein Hausknecht wäscht die grau überzogenen Wagenräder, eine Bäckersfrau ordnet militärisch die langen Semmeln auf dem Schaubrett und zwei Hündchen überlassen sich unbefangen dem ganzen Muthwillen einer zuchtlosen Jugend.
Naumburg ist ein ungemein hübsches Städtchen mit einigen verbesserten Überresten alter Baukunst, unter denen sich besonders der Dom auszeichnet. Der älteste Theil, außer der im Anfange des Christenthums gegründeten Krypta, ist noch in Rundbogen-Auffassung (byzantinisch) mit einigen Uebergängen zum Spitzbogen (gothisch) und die unbeholfenen, aber charakteristischen Statuen der Gründer umstehen die halbverwitterten Säulen des einen Chores, während einige vortreffliche, lebensgroße Heiligenbilder von Lucas Cranach das entgegengesetzte schmücken. Die strenge Zeichnung, die mit ungemeiner Feinheit wiedergegebenen individuellen Kleinigkeiten der Physiognomieen, die gediegene Ruhe der Auffassung und des Colorit contrastieren als erhabenes Vorbild gegen die nüchternen daneben hängenden Werke eines Schadow, v. Schnorr etc. etc., die auf Bestellung irgend eines Mäcen 1820 in Rom gemalt wurden. Es sind Schülerarbeiten, die nicht gerade hier ihren Aufbewahrungsplatz finden sollten. Die Lage Naumburg’s ist eine durch manche Burg romantisch gemachte Gegend und seine Weinberge tragen nicht wenig dazu bei, jenen Ruf zu erhöhen. Wie mancher „Weißberger“ mag schon den nicht zu verwöhnten Gaumen eines wohlhabenden Privatmannes als weißer Bordeauxwein durchrieselt haben!
An einem heißen, sonnigen Nachmittage befanden wir uns auf der Landstraße nach Kösen. Erst jetzt fühlten wir uns frei, und lustig und guter Dinge zogen wir dahin, bis das Dorf Altenburg (Almerich gesprochen) die erste passende Gelegenheit zum Rasen bot. Klagetöne über gebotene Einstellung unschuldige Festlichkeiten [511] über Beschränkungen der Musik und über fast unterdrückte Sonntagsvergnügen durchzitterten die Luft; der neue Landrath wurde genannt und mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft das trostreiche Wort geseufzt: „es kann nicht ewig dauern,“ „nur neue Besen kehren gut.“
Am Knabenberge vorbei, standen wir über dem mächtigen Knabenzwinger Schulpforta. Ruhig und kalt lag es da, und nur Arbeiter, die an der Restauration der Kirche beschäftigt waren, unterbrachen die Stille. Wir ruhten nur wenig an dem Orte der Prügel und der Thränen und hatten bald das liebliche Thal von Kösen mit seinen Salinen-Werken vor uns.
Kösen wimmelt von Weibern, die theilweise ihre serophulösen Kinder den stärkeren Salzbädern zur Reinigung anvertrauten, größtenteils aber, wie in so vielen anderen Badeorten, in träger Ruhe den Tag hier zubringen. Sie trieben sich von einer Aussicht auf die andere, von einem Stuhl auf den anderen, nehmen hin und wieder aus langer Weile das feine Stück Battist vor, mit der Absicht, das zu thun , was sie arbeiten nennen, erwarten alle Sonnabend Abend ihren Mann, der in der Hauptstadt den mühsamen Gang der Geschäfte ordnet, und klatschen und machen sich lustig über Leute, die weniger Faulheit und weniger Reichthum entwickeln als sie. Die sogenannten vornehmenen Jüdinnen der Residenz nehmen auch hierin den breitesten Platz ein.
Ein Mann ist in Kösen, wie im Lande der Amazonen, der Seltenheit wegen sehr geschätzt, aber ich glaube nicht, daß sich einer
der Durchreisenden auf längere Zeit fesseln ließe; die Crinoline allein zieht nicht, wenn auch die Mode des Tages, der breite,
braune Hut mit dem Bindfaden, wohlthätig verhüllt, was man, leichtsinnig genug, gewohnt ist, zuerst zu betrachten.
Ueber die „Katze“ einen kleinen Vergnügungsort von kindlicher Bescheidenheit, durch Wiesen und Gestein erstiegen wir, nachdem wir bei einem Concert obige Bemerkungen gemacht, die Rudelsburg. Noch aus den Trümmern erkennt man den großen Umfang es alten Raubnestes, das, als die hohen Erpressungen, der schwere Zoll, Brücken- und Geleitsgeld, überhaupt die ganze freche Straßenräuberei des damaligen Besitzers zu sehr überhand nahmen, mit so und so viel anderen Wohnungen der Steigreifritter und Schnapphähne von dem erzürnten Habsburger vernichtet wurde. Gänzlich unbewohnt und nur von Fremden besucht, die sich der herrlichen Aussichten erfreuen, ist die Burg erst seit Anfang des vorigen Jahrhunderts. Der Hofraum, eine Halle, mehrere Fensternieschen und offenen Gallerien bieten reizende Plätzchen für den erschöpften Wanderer, in denen er sich dem Genuß des „Bairischen“ oder des Glases Milch ergeben kann, wenn er nicht das Unglück hat, durch die Corpulenz einer mit mehreren Küchlein herumschwappenden Tochter Juda’s darin gestört zu werden. Zwei nur durch ein kleines Thal von der Rudelsburg getrennte Thürme, die sich als unheimliche riesige Silhoutten auf dem hellen Abendhimmel abzeichneten, sind die einzigen Reste der Burg Saaleck. Einst Karl dem Großen gehörig, wurde sie im vierzehnten Jahrhundert durch die Bischöfe von Naumburg der Schauplatz der wüstesten Orgien.
Am Morgen des nächsten Tages erstiegen wir noch den „Göttersitz“ und fuhren dann wieder, um Zeit zu gewinnen, per Eisenbahn nach Weimar.
Es ist die eine kleine Residenz in des Wortes verwegenster Bedeutung, sauber und langweilig; nur das im gothischen Style erbaute Rathhaus macht in der Masse der nichtssagendenen Gebäude einen noblen Eindruck. Herder, Wieland, Schiller und Goethe haben in Weimar gelebt und ihre Häuser sind theilweise noch zu sehen, Das des Letzteren wird von der Familie vermiethet und ist jetzt ein englischer Speculant eingekommen, um es zu einem Erziehungs-Institut für junge Engländer einzurichten. Um den Namen der vier Geistesheroen einigermaßen gerecht zu werden, besuchten wir die denselben im Schlosse geweihten Zimmer. Das Goethe-Zimmer fällt sofort durch seinen Einfachheit und seine schönen Verhältnisse auf, und mit Genugthuung erfährt man, daß Meister Schinkel der Erbauer desselben ist. Scenen aus Goethe’s Werken, von Neher al fresco gemalt, schmücken die Wände. Das Schiller-Zimmer, ebenso ausgestattet, ist architektonisch kleinlich; es ist zuviel darin gemacht, das Ganze zu spielend gehalten. Die Bilder, oft theatralisch und nüchtern, wie z. B. der Tod des Fiesco, sind ebenfalls von Neher. Eine schöne Idee ist, daß die sich um sämmtliche Bilder windende und dieselben verbindende Arabeske das „Lied von der Glocke“ darstellt. Herder ist von Prof. Jäger sinnreich illustriert, wie Wieland von dem tüchtigen Landschafter Preller, der sich durch seine Darstellungen aus dem Oberen auch den Figuren-Malern anreiht. Der Geist der Großherzogin Amalie weht noch durch diese Räume, aber die Poesie jener Zeiten ist daraus entschwunden; vielleicht nicht allein durch das Dahinscheiden jener Poeten. Ein Doppelstandbild der beiden größten deutschen Dichter, Schiller und Goethe, wird in kurzer Zeit die Stadt zieren.
Ein Omnibus macht die langweilige Fahrt nach Rudolstadt, und da nichts dem unermüdlichen Fußreisenden mehr zu empfehlen ist, als ein Wagen, so hatten wir auch bald unsere Plätze darin
[512] eingenommen. Origineller bin ich aber fast noch nicht gereist, denn wir hatten das nach hinten hinausgehende Cabriolet. Es war ein sonderbares Fahren; fast senkrecht hinab ging das Leder der Trommel, die Erde floh unter unseren Füßen, und wenn es bergauf ging, gesellte sich der lustige, redselige Fuhrmann zu uns und schien sich für verpflichtet zu halten uns von seinem Leben und seinen Abenteuern zu erzählen.
Immer mehr und mehr überschreitet man die Vorberge des thüringer Waldes, und als es wiederum Abend war, langten wir in Rudolstadt an.
Der „Ritter“ (Gasthaus), der bescheiden das Epitheton ornans „muthig“ unterdrückt, tritt im Uebrigen dennoch nicht so bescheiden auf, als jener in Kösen. Er war unsere Zuflucht, Der herrliche Abend führte uns noch auf den Anger, eine parkartige Anlage mit Bierlocalen, und zu dem angefangenen Theater. Wie die Ruinen von Pompeji lagen die Steine im Mondschein da. Das Jahr 1848, welches so viele Verhältnisse änderte, hat auch hier das Seinige gethan. Der Bau wurde inhibirt, und wartet man noch einige Zeit mit der Vollendung, so kann man wenigstens schon wieder Viehfutter auf den vermodernden Steinen ernten. So weit der Grund auf das Ganze schließen läßt, ist es geräumig und bequem angelegt und die Stadt einer hervorragenden Zierde beraubt. Rudolstadt selbst, zwischen seinen Fichtengehölzen, ist ein anmuthiges kleines Städtchen, das sich ländlich-kokett unter dem ziemlich bedeutenden Schlosse ausbreitet. Am Morgen erstiegen wir dasselbe. Ein menschenfreundlicher Soldat, ein werthvolles Vorbild für unsere uniformirten Bauern, übt hier auf Commando das Recht des Umherführens und lüftet, gegen ein mäßiges Honorar, den Schleier der Geschichte, die schon bei dem ersten Auftreten der Thüringer von den Herzögen von Rudolstadt erzählt. Im siebenten Jahrhundert soll die Stadt gegründet, im sechzehnten jedoch das Schloß auf den Trümmern der alten Heideksburg erbaut sein. Die Gesellschaftszimmer, welche dem Fremden gezeigt werden, gehören der Zeit des ausschweifendsten Zopfes an und ist besonders der große Eßsaal hervorzuheben. Trotz aller Fehler dieses, in allen Formen extravagirenden Zeitalters, macht dennoch die heitere Ueppigkeit, die Verschwendung des Raumes einen großartigen Eindruck und der Ueberfluß von Linien und Schnörkeln, die vor Uebermuth nicht wissen wohin, harmonirt vollständig mit den decolletirten Weibern jener Zeit, die in einigen lüsternen Bildern die Architektur ergänzen. Das Ganze aber leidet an Verfall und die schönen, nobel angelegten Treppen, welche von unförmlich hölzernen Geländern begleitet sind, die wurmstichigen, entfärbten Fensterrahmen zeigen, ebenso wie der äußere abgefallene Putz und der hübsch angelegt, aber schlecht behandelte Park, einen gewißen Ueberdruß oder Geldmangel des Besitzers. Und dennoch! wie glücklich wohnt er hier, dieser kleine Fürst! Es ist der wohlhabende Privatmann mit einer Handvoll Militär, der für den Lauf der Welt Gott und die Großmächte sorgen läßt. Wenn auch, wie ich oft klagen hörte, die Industrie noch im bedeutenden Rückstande bleibt und noch durchaus nicht das Wesen derselben ergriffen ist, so lebt er doch, von seinen Unterthanen geliebt, still und ruhig und „Unser Durchlauchtigster“ ist immer das dritte Wort der Bevölkerung.
M. R–r. in Dresden. Sie machen uns auf das Gedicht „Franz Liszt in Leipzig“ im 3. Hefte der Brendel’schen Anregungen aufmerksam und fordern eine Abfertigung dieses Machwerks. Die Gartenlaube ist nicht der Ort, dergleichen Lächerlichkeiten zu rügen, zumal wenn sie, wie hier, wenig in’s Publicum kommen und also auch wenig schaden können. Wollten wir allen Bänkelsänger-Unsinn geißeln, der heutzutage unter dem Preßbengel hervorgeht, dürfte der große Raum unseres Blattes kaum ausreichen. Das Gebahren dieser Leute kann übrigens nur Mitleid erregen.
B. in Glga. Sie sind im Irrthum. Das Areal der sächsischen Steinkohlen-Compagnie liegt nicht im Zwickauer Revier, sondern auf Oberlungwitzer Flur, am nördlichen Rande des berühmten erzgebirgischen Kohlenbassins. Daß dieses ganze Terrain sehr kohlenhaltig ist, kann nach den genauen Untersuchungen der bekannten Geologen Professor Naumann in Leipzig und Professor Geinitz in Dresden nicht bezweifelt werden, die Kosten des Abbau’s werden nach den Versicherungen sachverständiger Bergfactoren sogar sehr gering sein, da auf einem großen Theile des Areals die Kohlen nach der Erdoberfläche zu ausstrahlen und also schon in geringer Tiefe angetroffen werden. Ueber die Rentabilität dieses Actien-Unternehmens läßt sich natürlich noch kein endgültiges Urtheil abgeben, doch sprechen alle Anzeichen sehr günstig für dasselbe. Das Areal ist unter sehr billigen Bedingungen und für einen geringen Preis gekauft, die Lage desselben – es wird seiner ganzen Länge nach von der vollendeten Chemnitz-Zwickauer Eisenbahn durchschnitten – eine sehr günstige und die Namen der an der Spitze stehenden Unternehmer sehr ehrenwerthe. So viel wir hören, sind ihre Actien vielfach gesucht. Uebrigens finden Sie die näheren Angaben in dem Prospekt der Compagnie (Leipzig, Brockhaus).
E. M. in London. Das Händelfest kam zu spät. Was soll mit dem Manuscript geschehen?
J. G. in Graz. Ersuchen, das Gesandte franco zu remittiren.
P. T–ow. in St. Petersburg. Bitten, einen Probeartikel einzusenden – vorausgesetzt, daß diese Beiträge nicht in Gedichten oder Novellen, sondern in interessanten Schilderungen russischer Zustände und Verhältnisse bestehen.
Hbg. in Bckbg. Eignet sich nicht für die Gartenlaube.
Salam. in Thn. Das Gerstäcker’sche Buch wird in den nächsten Wochen in sehr brillanter Ausstattung erscheinen.
Dr. Clem. in Rud. Das Fach der Menschenheilkunde hat allein Herr Prof. Bock in der Gartenlaube zu vertreten, bedauern deshalb, auf Ihre Offerte nicht eingehen zu können.
C. C. in Fl. Wenn die Gedichte abdruckenswerth sind – warum nicht?
Bei Ernst Keil in Leipzig ist so eben erschienen:
August Diezmann.
Mit einem Plane vom damaligen Weimar und mit einer bisher noch ungedruckten Abhandlung von Goethe.
19 Bogen. eleg. broch. 11/3 Thaler.Der Verfasser hat es versucht, Goethe’s und seines fürstlichen Freundes Karl August stürmische Jugend ausführlich zu schildern, und legt nun. da beiden in Weimar, an der Stätte ihrer Wirksamkeit, eherne Denkmale errichtet werden, die Frucht seiner Studien nebst Mittheilungen von Zeitgenossen und bisher unbekannten Documenten vor, die Mancherlei aufklären werden. – Es zerfällt diese Schrift in sieben Capitel: 1. Goethes Reise von Frankfurt nach Weimar; 2. Weimar zur Zeit seiner Ankunft daselbst; 3. Der Kreis, in den er eintrat. nebst Schilderungen von Karl August, den Herzoginnen Louise und Amalie. der Sängerin Corona Schröter etc.; 4. Das heitere Leben am Hofe und Goethe’s Betheiligung daran; 5. das fürstliche Privattheater und Goethe’s Thätigkeit für und auf dieser merkwürdigen Bühne; 6. Goethe’s Liebe zu der Frau von Stein; 7. Seine amtliche Thätigkeit in seiner Stellung als Minister Karl August’s bis zu seiner Reise nach Italien.