Die Gartenlaube (1857)/Heft 13
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No. 13. | 1857. | |
„Aber, mein Herr,“ unterbrach Amanda den heftig Erglühenden, „Sie nennen ein schreckliches Mittel und ich kam, weil ich glaubte, Sie hätten ein anderes, um Blumenbach zur Entsagung zu bringen.“
Bruno sah nachdenkend vor sich nieder.
„Ein unehrliches Mittel, wie eine Lüge wäre, mag ich nicht anwenden,“ sagte er, „und ich weiß nicht, ob die Unterredung, die er mir zu morgen bewilligt, einen so guten Erfolg haben wird, wie meine heutige. – Fräulein, Sie sind Malerin!“ rief er nach einigem Besinnen, „eine Malerin in Baireuth, die mir befreundet, ein altes Fräulein – einst eine Freundin und Jüngerin Jean Paul’s – würde Ihnen ein schützendes Asyl gewähren; wollen Sie zu ihr?“
„Aber, wie kann ich? Alles das ist so abenteuerlich!“ sagte Amanda zögernd.
„Wenn man nicht in der Flachheit des Lebens zu Grunde gehen will, muß man auch vor keinem Abenteuer zurückbeben, das rettend auf seine Höhen führt!“
Er hatte kaum mit sehr entschiedener Stimme diese Worte ziemlich laut gesagt, als nahe her der Ruf erscholl:
„Amanda! Amanda!“
„Wollen Sie sich verbergen?“ flüsterte ihr Bruno zu, „so trete ich hervor.“
„Nein,“ antwortete Amanda hastig, „es ist meine Verwandte Bertha, von der ich Ihnen sagte.“
„Also doch Mißtrauen!“ rief Bruno schmerzlich.
„Nein!“ versetzte Amanda, „sie weiß nicht, wo ich bin, sie sucht mich nur an meinem Lieblingsplatze, sie wird mich vermißt haben!“
Bruno nahm dies für eine Weisung sich zurückzuziehen, und indeß Amanda vorwärts eilte und „Bertha, hier bin ich!“ rief, schlich er in die Grotte, die ihn verbergen konnte.
„Um’s Himmelswillen, Amanda!“ rief Bertha, auf sie zueilend, „wo bist Du und ist es wahr, bist Du nicht allein? Hat der Zudringliche von gestern es wieder gewagt, sich Dir zu nähern?“
„Ja, er hat es gewagt!“ sagte Bruno vortretend.
„Mein Herr!“ rief Bertha, „sowenig kümmert Sie der Ruf einer jungen Dame?“
„Weniger immerhin als ihr ganzes Lebensglück!“ antwortete Bruno fest; „in keiner geringern Absicht kam ich hierher.“
„Herr Meinhardt beging keine Indiscretion,“ sagte Amanda athemlos und Bruno fiel es auf, daß sie seinen Namen nannte, er hatte ihr ihn nicht gesagt, so mußte sie sich bei Andern bemüht haben, ihn zu erfahren. Sie fuhr fort: „Nachher erkläre ich Dir Alles, jetzt rede, was ist geschehen? Vermißt man mich? Warum suchst Du mich?“
„Weil man Dich hier gesehen und in dieser Gesellschaft. Herr von Subow, der Freund Deiner Mutter und Blumenbach’s, erzählte es Beiden laut im Concertsaal, da man nach Dir fragte; Du warst verschwunden, ich hatte es längst bemerkt und eilte hierher, Dich zu suchen; ich bin außer mir, denn ich kann mir nicht schrecklich genug denken, was Dich erwartet; komm, laß uns eilen. Herr Meinhardt, verschonen Sie uns mit Ihrer Begleitung.“
„Zu Ihrem Befehl,“ antwortete Bruno; „aber ich werde vor Ihnen im Concertsaal sein und ein Wort mit diesem Subow reden.“
Amanda ergriff seine Hand: „Versprechen Sie mir, daß Sie sich um meinetwillen keiner Gefahr aussetzen, sie sei welcher Art sie wolle.“
Bruno drückte diese Hand und schob eine Visitenkarte hinein, dann eilte er mit schnellen Schritten davon.
Als Bertha und Amanda nach Alexanderbad zurückkamen, war zehn Uhr vorüber. Erstere wollte im Cursaal recognosciren, ob Amanda’s Eltern und Blumenbach noch da seien, und letztere ging in ihre Wohnung. Ihre Aufwärterin im Hause sagte, daß die Frau Regierungsräthin, auf ihren Gemahl gestützt, schon vor einer Stunde nach Hause gekommen sei und heftige Krämpfe gehabt habe. „Ach, sie war so wüthend und ist es gewiß noch!“ fügte das Mädchen mit mitleidigen Blicken auf Amanda hinzu, als wolle sie damit warnen, denn im Hause war es nur zu bekannt, daß die Stiefmutter ihre Tochter in ausgesuchter und gemeiner Weise zu quälen suchte.
Amanda ging mit klopfendem Herzen hinauf. Die Familienwohnung bestand aus drei Zimmern. Ein Wohnzimmer, rechts das Schlafzimmer der Eltern, links das Amanda’s. Letzteres hatte keinen besondern Eingang und konnte nur durch das Wohnzimmer betreten werden. Die Thür war verschlossen. Amanda klopfte vergeblich. Endlich klopfte sie auch an der Thür des elterlichen Schlafzimmers, das eine zweite Thür nach Außen hatte.
[170] „Amanda!“ rief endlich die Stimme ihres Vaters von drinnen.
„Ich bin schon längst hier, aber die Thür ist verschlossen!“ antwortete Amanda.
„Untersteh’ Dich nicht, sie einzulassen!“ rief die Regierungsräthin ihrem Manne zu und dann ergoß sie – die vor Kurzem im Salon als feine Weltdame geglänzt – durch die Thür eine Fluth der gemeinsten Schimpfreden über Amanda und erklärte, sie nun und nimmer hereinzulassen, sie sei unwerth, mit ihnen unter einem Dache zu weilen. Das Rendez-vous mit einem fremden Abenteurer ward ihr vorgeworfen und daß nun kein ordentlicher Mann mehr etwas von ihr werde wissen wollen.
Amanda erwiederte kein Wort darauf. Nach längerer Zeit aber rief sie: „Vater, dieser Auftritt wird nicht mich, sondern Sie compromittiren, die Leute im Hause hören diese Reden, sagen Sie mir, was ich thun soll, denn hier kann ich nicht länger stehen bleiben, wenn Sie mich nicht wenigstens einlassen.“
„Geh’ hinüber zu Bertha, damit ich endlich Ruhe habe,“ antwortete grollend der Vater.
„Du heißt mich gehen? Ich gehe! Gute Nacht, Vater!“ und Amanda wankte die Stiege hinab. Wie sie an das Geländer sich anhielt, fühlte sie Bruno’s Karte in ihrem Handschuh. Mechanisch zog sie dieselbe heraus und las auf der Kehrseite mit Silberstift geschrieben beim Scheine der Hauslampe:
- „Die Post fährt täglich früh drei Uhr von Wunsiedel nach Baireuth. Daselbst empfohlen an Fräulein Marianne Spindel, Malerin, Gymnasialplatz Nr. 12.“
Es war bald ein Uhr geworden, die Nacht klar und warm, als Amanda hinaustrat. Was sollte sie bei Bertha? Was konnte daraus entstehen, als morgen eine neue Scene mit den Eltern, die sie doch dahin bringen mußte, sich von ihnen zu trennen? Sie hielt die Karte in der Hand, die ihr den Weg zur Rettung wies, und sie trat ihn an.
Nächtliche Schauer schüttelten sie, aber sie nahm ihren Muth und ihre Entschlossenheit zusammen und wollte besonnen sein und handeln. Sie griff in ihre Tasche. Zum Glück hatte sie ihr Portemonnaie mit einigen Gulden und auch ihre Brieftasche mit einigen Cassenbillets darin. So war sie doch im Augenblicke in dieser Beziehung keiner Verlegenheit ausgesetzt. Ringsum war es still geworden, der Tanz pflegte nicht bis nach Mitternacht zu dauern und andere Nachtschwärmer gab es auch nicht in dem stillen Alexanderbad. Hastig eilte sie auf der Landstraße dahin, deren eigenthümliches Weiß selbst im Dunkel leuchtete. In einiger Entfernung hob sich ein dunkler Schatten von ihr ab. Amanda zögerte. Sollte sie umkehren? War es eine fremde Person, die sich nicht um sie kümmern würde, oder eine bekannte, der sie ungesehen zu bleiben wünschen mußte? Aber da sie zögerte, kam die Gestalt auf sie zu und rief:
„In der Hoffnung, daß Sie kommen würden, erwarte ich Sie hier! Ich habe indessen an Fräulein Spindel einige erklärende Zeilen für Sie geschrieben; es steht bei Ihnen, dieselben vorher zu lesen oder nicht, es ist kein Urias-Brief.“ Und Bruno überreichte ihr mit diesen Worten einen unversiegelt couvertirten Brief.
Amanda nahm ihn und sagte: „Ich handele wie eine Träumende und verstehe mich selbst nicht mehr. Aber da mir eben jetzt meine Eltern die Thür gewiesen, so muß ich wohl als eine Verstoßene durch die Nacht wandeln und mir selbst einen Lebensweg suchen.“
„Es ist immer besser, durch eine Nacht dem Tage entgegenzuwandeln, als immer nur in der Dämmerung sich im Kreise zu drehen,“ entgegnete Bruno. „Erlauben Sie, daß ich Sie nach Wunsiedel begleite?“ Er sah, daß sie eine Einwendung machen wollte, und fügte, neben ihr weiter wandelnd, hinzu: „Nur bis dahin, nicht weiter. Ich weiß, was ich Ihrem Rufe schuldig bin. Sie werden verschwunden sein und ich werde noch einige Tage in Alexanderbad bleiben und jedes böswillige Gerücht Lügen strafen, das sich über Sie verbreiten möchte. Dann muß ich wieder zurückkehren in meine sächsische Heimath, wohin mein Beruf als Ingenieur mich führt.“
Amanda blieb stehen und sagte: „Folgen Sie mir auch jetzt nicht weiter. Sie haben mit entscheidender Hand in mein äußerlich nur alltägliches, innerlich aber namenlos qualvolles Leben eingegriffen; lassen Sie mich glauben, daß es so sein mußte, daß Sie der Himmel zu diesem Zwecke auf meinen Pfad führte. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen danken und Sie verehren, oder Ihnen mißtrauen und Sie hassen soll. Aber das weiß ich, daß wir jetzt schnell, wie wir uns begegneten, und für immer scheiden müssen. Leben Sie wohl und wagen Sie nicht, mir noch einen Schritt zu folgen, sonst kehre ich in das Joch zurück, aus dem Sie mich gerettet.“
Bruno blieb stehen. Unbegreiflich erschien ihm diese plötzliche Veränderung in ihrem Benehmen, dieser heftige gebietende Ton ihrer Stimme.
„Ich gehorche,“ sagte er, „aber wir sehen uns wieder!“
Bald waren Beide einander aus den Augen geschwunden.
Am folgenden Morgen ging Bruno zur bestimmten Stunde zu Blumenbach. Zu seiner Verwunderung fand er Herrn von Subow bei ihm.
Herr von Subow war während der Badesaison der unzertrennliche Hausfreund der Familie des Regierungsrathes; zunächst der seiner Gemahlin. Seine Aufmerksamkeiten für sie mochten wohl, obschon sie von ihr geduldet wurden, über das Maß des Erlaubten hinausschweifen – darum war er der natürliche Feind der unbequemen Stieftochter und strebte gleich der Regierungsräthin danach, auch Amanda’s Sittenreinheit in ein zweifelhaftes Licht zu stellen. Ueber ihre einsamen Spaziergänge hatte er schon oft hämische Bemerkungen gemacht, und da sie an jenem Concertabend aus dem Saale verschwunden war, beschloß er, ihr zu folgen. Er vermuthete, wohin sie ihren Weg genommen, da die Louisenburg immer ihr Ziel war. Fragen an andere Spaziergänger, welche sie hatten gehen sehen, bestätigten ihm seine Vermuthung; wie triumphirte er, da er Amanda im Zwiegespräch mit einem jungen Manne sah, und wie eilte er wieder zurück, ihren Eltern und ihrem Bräutigam seine Entdeckung zu verkünden! Da aber Bruno ihn im Concertsaal suchte, war er feig daraus verschwunden und auch Blumenbach, wie betäubt von den Erlebnissen dieses einen Tages, hatte sich zurückgezogen, um sich in Nichts zu übereilen und lieber von dem Zufall eine Entscheidung zu erwarten, als sie selbst herbeizuführen.
Der reiche Blumenbach hatte die arme, aber einer angesehenen Familie angehörende Amanda aus Liebe gewählt, aber es war die maßvolle Liebe eines älteren behäbigen Mannes, der nur daran denkt, sich durch seine Wahl ein ruhiges und angenehmes Leben zu bereiten. Daß Amanda erklärte, ihn nicht lieben zu können, hörte er ruhig als die Erklärung einer überschwänglichen Mädchenphantasie an und war mit ihrer Achtung wie mit der freudigen Einwilligung ihrer Eltern vollkommen zufrieden. War Amanda nur erst sein, dachte er, werde sich das Uebrige Alles von selbst finden. Aber er war schon bedenklich geworden, da der ihm fremde Bruno auf der heutigen Morgenpromenade dem Gespräch mit ihm eine so sonderbare Wendung gab. Was konnte ihm der Fremde zu sagen haben? Und um sich kein Dementi zu geben, zog er vor, unter einem Vorwand die doch nur erzwungene Verlobung aufzuschieben.
Als jetzt Bruno bei ihm eintrat, sagte Blumenbach: „Mein Herr, ich erwarte Ihre Erklärung, und zwar vor diesem Zeugen.“
„Ich hätte einen Würdigeren gewünscht, denn einen Spion und Verleumder –“
„Mein Herr,“ unterbrach ihn Subow hitzig, „wir werden uns schlagen nach solcher Herausforderung! Kommen Sie auf die Stelle, wo Sie die Braut dieses Ehrenmannes ihm abwendig machten.“
„Wo ich erfuhr, daß Sie es niemals sein wollte!“ rief Bruno, „und Jean Paul auf dem Platze, der seinen Namen trägt, eine würdigere Huldigung darbringen wollte – ein weibliches Herz vom Untergange erretten! Der Platz, der den Namen dessen trägt, der die „Kriegserklärung wider den Krieg“ geschrieben, wäre auch schlecht gewählt zu einem Duell, ich schlage mich nicht, aber bin zu jeder andern Erklärung bereit. Lassen Sie mich von mir beginnen. Meine Mutter, deren einziger Sohn ich bin, war mir das Ideal eines Weibes. Aber in ihrer himmlischen Milde erschien sie mir, so lange mein Vater lebte, wie eine duldende Heilige. [171] Sie erfüllte jede ihrer Pflichten und las dem Vater jeden seiner Wünsche an den Augen ab; aber sie that es nie mit dem Lächeln des Glückes. Ich sah sie oft verstohlene Thränen weinen und wenn ich sie dann zuweilen fragte, was ihr fehle, so erschrak sie heftig und sagte: „Nichts, gar nichts! warum fragst Du denn so? laß es ja den Vater nicht merken, daß ich geweint.“
„Da ich fünfzehn Jahr alt war, ward mein Vater krank und sein Leben verzehrte sich unter täglich wachsenden Schmerzen. Mit engelhafter Milde pflegte ihn die Mutter und es gab kein Opfer, das sie ihm nicht freudig gebracht hätte. Eines Tages, da sie auch am Krankenbette weilte und ich mich im Nebenzimmer befand, hörte ich den Vater zu ihr sagen: „O, ich wußte es wohl, Amalie, welchen Schatz ich an Dir hatte, darum nahm ich einst Deine Hand an; trotz Deiner Versicherung, daß Deine Liebe einem Andern gehöre, daß nur der Eltern Wille Dich vermöchte, zu mir nicht „Nein!“ zu sagen, aber ich ehrte Dein aufrichtiges Geständniß doch nur halb und hätte es höher geehrt, wenn ich Dir entsagt. Aber ich, der gereifte Mann, glaubte, aus dem Herzen eines achtzehnjährigen Mädchens die Liebe zu einem Jüngling gleichen Alters durch meine Liebe bannen zu können. Es ist mir nicht gelungen; wir sind Beide unglücklich gewesen, Beide, weil Du mich nicht lieben konntest, und es war kein Ersatz dafür, daß wir Beide jede Pflicht für einander gewissenhaft erfüllten und die Welt, die uns nie unzufrieden miteinander sah, glauben ließen, wir wären ein glückliches Paar. Es gibt nichts auf der Welt, das fehlende Liebe ersetzen kann! Ich habe Dich sonst oft eine Schwärmerin genannt, jetzt sehe ich ein, daß es Unrecht war, aus dem Leben dieses höhere Aufschwingen bannen zu wollen, das mir Schwärmerei hieß. Es ist allein das wahrhaft Reelle der gemeinen Wirklichkeit des Scheines gegenüber. Auf einem Sterbebette klären sich die Begriffe. Versprich es mir, Deinen Sohn in Deinen Grundsätzen zu bestärken und ihm dazu die Festigkeit zu geben, die er bedarf, um sie zu befolgen, und die Dir mangelte, da Du Dich überreden ließest, mir Deine Hand zu geben.“
„Eine lange Rede,“ unterbrach ihn Blumenbach; „was soll sie mir? Der Fall paßt nicht, denn Amanda hat mir nie gesagt, daß sie einen Andern liebe.“
„Mein Herr,“ sagte Bruno, „ich wollte Ihnen nur an diesem Beispiel zeigen, wie elend eine Ehe ohne Liebe ist, auch wenn beide Theile ihren Pflichten genügen. Ich möchte nicht, daß Sie das Loos meines guten Vaters hätten, noch Amanda das meiner herrlichen Mutter. Noch mehr aber wollte ich Ihnen durch diese Erzählung meine eigne Handlungsweise erklären. Meine Mutter, deren Lieblingsschriftsteller und persönlicher Bekannter Jean Paul war, fand in seinen Schriften den besten Trost und nährte auch meinen Geist damit, und später, da ich zum Jünglinge und Mann gereift, machte sie es mir zur heiligsten Pflicht, nie ein Weib ohne Liebe an mich fesseln zu wollen. Ich selbst ging noch weiter! Um meiner unglücklichen Mutter willen machte ich es mir selbst zur Pflicht, wo es in meinen Kräften stand, der Beschützer der unglücklichen, verkannten und hülfsbedürftigen Mädchen zu werden, die einem gleichen Loose geopfert werden sollten. Darum ward ich’s für diese junge Fremde, deren Herz und Geschick mir ein Zufall enthüllte. Vielleicht, daß auch der Jüngling, der meine Mutter geliebt, sie nicht vergessen konnte.“
„Wissen Sie nicht seinen Namen?“ fragte Blumenbach in äußerster Spannung, die Augen niederschlagend.
„Seinen Geschlechtsnamen habe ich nie erfahren,“ sagte Bruno, „meine Mutter nannte ihn Moritz – und sagte noch vor wenig Jahren, daß er unvermählt geblieben.“
„Und Ihre Mutter war eine geborne Marbach!“ rief Blumenbach athemlos.
„Ja!“ antwortete Bruno und sah verwundert auf den Erschütterten.
Aber dieser schloß ihn in seine Arme, und rief: „Sohn meiner Jugendgeliebten – führen Sie mich zu der verwittweten Mutter – ich bin es, dem sie treu geblieben! Wir liebten uns in früher Jugend, schworen, uns ewig zu gehören. Ich hatte ihren Wohnort verlassen, um zu studiren. Da erfuhr ich, daß ein Anderer, ein Mann in Amt und Würden, um sie warb. Der Student durfte nicht mit ihm bei den Eltern in die Schranken treten – er konnte nur still auf die Treue seines Mädchens bauen. Aber Amalie gab dem Drängen ihrer Eltern nach – Sie ward Meinhardt’s Gattin, und ich fühlte, daß ich die für immer fliehen mußte, die mir auf ewig verloren. Ich entsagte dem Studium und ward Landwirth, reiste und widmete mich meinem Berufe. Aber nie suchte ich einen Ersatz für Amalien. So lebte ich fünfundzwanzig Jahre einsam, weder glücklich noch unglücklich. Jetzt, den Funfzigen nahe, sehnte ich mich danach, dies einsame Leben aufzugeben – ich lernte Amanda kennen, sie zog mich an, erschien mir eine passende Lebensgefährtin, und da sie arm war, meinte ich, das Glück des Reichthums an meiner Seite könne ihr ersetzen, was sie an jugendlichem Liebesglück vermissen würde. Jetzt erkenne ich meinen Irrthum – jetzt, da ich hoffen kann, die einzig wahre Geliebte wieder zu finden, gebe ich Amanda frei, um zu Amalien zu eilen!“
Indeß Bruno erschüttert zuhörte, fand Herr von Subow für gut, sich leise zu entfernen, um die überraschende Neuigkeit der Regierungsräthin zu hinterbringen.
Ein Jahr war vergangen. Der blaue Sommerhimmel ruhte auf den höchsten Gipfeln des Fichtelgebirges und schmückte sie mit rothgoldenem Sonnenglanz, indeß durchsichtige Federwölkchen um die Häupter der schwarzen Tannen spielten, die wie eine zweite Krone von den Kronen der Berge ihre Spitzen zum Hinmel emporstreckten. Auf der Louisenburg, dieser romantischen Felsenpartie, in der wunderbare Steingebilde, rieselnde Quellen, Wald und Gebüsch in malerischen Gruppirungen von der Hand der Natur durcheinander geworfen und von der künstlerischen Menschenhand nur nachhelfend geordnet, waren alle Wunder dieses großartigen Naturwerkes vom Glanz der Sommersonne mit neuen Zaubern umwoben und von den Gesängen unzähliger Vögel melodisch belebt. In dieses Heiligthum der Natur traten zwei Herren von verschiedenem Alter, in deren Mitte eine Dame ging; die Gattin des Einen und die Mutter des Anderen. Bruno’s Mutter, seit ein paar Monaten mit Blumenbach verheirathet.
Die Langgetrennten hatten sich wiedergesehen, sich wiedergefunden. Amalie Meinhardt, die längst auf jedes Glück verzichtet hatte, außer dem, das ihr der Sohn bereitete, zögerte erst lange, ihre Hand im Alter in die des Jugendgeliebten zu legen, um den Gram und Resignation sie gealtert. Aber er ließ nicht nach mit Bitten, bis sie die Untreue ihrer Jugendjahre durch Treue im Alter zu sühnen versprach, und ihm auf seine Güter folgte als sein Weib. Jetzt hatten sie eine Reise in’s Fichtelgebirge gemacht, um die Stelle aufzusuchen, die auf so wunderbare Art zum Voraltar geworden, den Langgetrennten doch noch zur Vereinigung zu helfen. Bruno, der dabei der Vermittler gewesen, durfte auch bei dieser Reise nicht fehlen. Aber ihm war trübe zu Sinnen, denn alle seine Bemühungen, sowie die Blumenbach’s, etwas von Amanda zu erfahren, waren erfolglos gewesen. Wohl hatte er damals auf der Post erforscht, daß sie wirklich mit dieser nach Bayreuth gereist sei, aber dort war ihre Spur verloren, denn auch zu der Malerin, an die sie Bruno empfohlen, war sie nicht gekommen. Wenn er sie, um sie zu befreien, vielleicht in den Tod gejagt? Wenn vielleicht irgend ein Fluß ihr ein geheimes Grab gegönnt?
Bruno ging still und düster neben dem vereinten Paar, und da es sich in Erinnerungen vergangener Zeiten verlor, stahl er sich von ihnen hinweg, um den Jean Pauls-Platz aufzusuchen, an dem er Amanda zuerst erblickt hatte. Still und einsam war es auf seinem Weg, nur ein munterer Finke folgte ihm mit seinem Sängerschlag, von Zweig zu Zweig hüpfend, und die schelmische Weise, die er angestimmt, war für Bruno eher ärgerlich als erfreuend. Da sah er etwas Weißes durch das Grün der Zweige schimmern – er trat näher – eine bekannte Gestalt tauchte vor ihm auf – er täuschte sich nicht – zwei Schritte noch und er lag athemlos zu Amanda’s Füßen; er hielt ihr Gewand in seinen Händen und stammelte das glühende Gestandniß einer Liebe, die bei dem ersten Begegnen erwacht, in einem Jahr gänzlicher Trennung und Ungewißheit zur heftigsten Leidenschaft sich herangebildet.
Amanda verhüllte weinend ihr glühendes Gesicht, und rang vergebens nach einer Antwort. Widerstandslos glitt sie in seine Arme, und ruhte wie eine Ohnmächtige an seinem Herzen.
[172] „Der Himmel hat uns zusammengeführt!“ rief Bruno. „Widerstreben wir ihm nicht länger! Amanda, ich will Ihre Liebe nicht gewaltsam erobern; ich will demüthig darum werben – aber mein Herz sagt mir, daß ich es darf! Damals, als ich Sie meiner alten Freundin senden wollte, berechnete ich, daß ich da Gelegenheit fände, mich Ihnen zu nähern –“
„Und darum,“ unterbrach ihn Amanda, „mußte ich meine Schritte wo anders hin lenken, zu viel schon hatte ich den fremden Jüngling in mein Schicksal eingreifen lassen; es durfte nicht mehr geschehen, wenn nicht er selbst und mit Recht den Glauben an weibliche Würde und Selbstständigkeit verlieren, ich an mir selbst verzweifeln sollte. Ich reiste nach Bayreuth, aber darüber hinaus. Ich hatte im „Nürnberger Correspondent“ gelesen, daß eine Dame auf einem Gut bei Bamberg für eine eben der Schule entwachsene Tochter eine jugendliche Gesellschafterin suchte, die Unterricht im Malen, Musik und Sprachen geben könne. Ich reiste dahin und stellte mich ihr vor. Die Dame gefiel mir – ich schenkte ihr mein ganzes Vertrauen, sie nahm mich sogleich und unter einem andern Namen bei sich auf. Erst habe ich lange gar Niemanden, dann Bertha mein glücklich gewendetes Schicksal mitgetheilt, aber Schweigen ihr zur Pflicht gemacht. Jetzt schrieb sie mir, daß sie diesen Sommer wieder hier sein werde, allein, und meine Dame gab mir ein paar Wochen Urlaub, sie aufzusuchen. Seit gestern bin ich bei ihr – und heute eilte ich allein an diese Stelle.“
„Und werden Sie wieder nach Bamberg zurückkehren?“ fragte Bruno.
„Bertha sagt mir, daß mein armer Vater mir vergeben hat und meiner bedarf,“ antwortete Amanda, „so bald als möglich kehre ich zu ihm; Herr von Subow hat meine Stiefmutter entführt – mein Vater ist in der Scheidung begriffen und kränkelt – Blumenbach ist, wie ich höre, glücklich verheirathet.“
„Er ist mein Vater geworden!“ rief Bruno und erzählte was geschehen.
Und was nun weiter geschah, ist schnell errathen und erzählt.
Derselbe Abend schon vereinte einen Kreis von glücklichen versöhnten Menschen in Alexanderbad, die nach wenig erklärenden Worten in die Verhältnisse zu einander sich zu finden wußten: Blumenbach mit seiner Frau, Bruno, Amanda und Bertha.
Mehr als ein heiterer Tag folgte diesem Abend des wunderbaren Findens. Da kam plötzlich auch der Regierungsrath an – Amanda hatte ihm geschrieben und er eilte, der schmerzlich entbehrten Tochter seine Verzeihung zu bringen und – wenn er das auch nicht eingestand – noch mehr die ihrige zu suchen, denn nach dem ehrlosen Betragen seiner Gemahlin waren ihm endlich die Augen über diese aufgegangen und er hatte schmerzlich bereut, wie viel er durch seine Verblendung seine Tochter hatte leiden lassen. Auch mit Blumenbach und Bruno versöhnte er sich und gestattete, daß noch Amanda’s Verlobung mit letzterem vor seiner Abreise auf der Louisenburg gefeiert ward! –
Sobald der Tag erscheint, wo die Fischerei beginnen soll, und der Fischerei-Ataman bestimmt worden, ist Alles schon voller Erwartung und Leben. Mancher Kosak kann vor Freude die ganze Nacht nicht schlafen, und lange vor Tagesanbruch wird schon gekocht und gebraten, gegessen und getrunken. Kaum zeigt sich der erste Schimmer der Morgenröthe, so ziehen die Tausende von Kosaken schon zum Flusse an den Ort, wo der Fischfang beginnen soll. Ihnen folgen eine Menge Russen und Kirgisen, welche als gemiethete Arbeiter für die Pferde zu sorgen haben, das Zelt oder die Filzhütte aufschlagen, Feuer von Strauchwerk anmachen und überhaupt alle Arbeiten verrichten, die nicht unmittelbar der Fischerei angehören, mit welcher sich der Kosak allein beschäftigt. Hinter den Kosaken folgen große Züge russischer Kaufleute aus Uralsk und andern Orten mit ihren vielen Fuhren und Arbeitern, welche den Fischzug immerwährend begleiten, die Fische, so wie sie aus dem Wasser kommen, sofort von den Kosaken kaufen, den Kaviar herausnehmen, einsalzen und in Tonnen schlagen, die Fische selbst aber, nachdem auch die sogenannte Hausenblase herausgenommen ist, entweder steinhart frieren lassen oder ebenfalls einsalzen, um Alles so rasch als möglich in’s Innere des Reichs zu versenden. Zusammen mit den Kaufleuten begleiten immer eine Menge Handelsleute oder Marketender den Fischzug, schlagen ihre leichten Hütten am Ufer auf, wo sie dann Hafer und Heu, Brot, Backwerk, Nüsse, Pfefferkuchen und anderes Eßwerk verkaufen, dabei aber auch Thee und Branntwein verschenken.
Hat der große Zug dieser Masse von Menschen und Thieren in langen Reihen endlich die Ufer des Flusses erreicht, so werden in der Eile eine Menge von 500 bis 1000 Filzhütten, leichte Zelte und andere kleine Wohnlichkeiten errichtet, die aber, da sie den Fischzug immer stromabwärts begleiten, nur auf kurze Zeit berechnet sind. Alles ist hier in reger Thätigkeit, um das Lager einzurichten, die Ufer wimmeln von Menschen und das Ganze gleicht einer großen Völkerwanderung. Endlich hat Alles einen Platz gefunden, am Ufer ist die Signalkanone aufgestellt und neben ihr steht der Artillerist mit der brennenden Lunte. Nun erhalten die Kosaken den Befehl, sich in langen Reihen an den beiden Ufern des Flusses aufzustellen, um hier das Signal zum Fischfange zu erwarten. Jeder Kosak schleppt die Fischhaken und Brechstangen hinter sich her und stellt sich an’s Ufer, wo er gerade Platz findet, oder wo er glaubt, eine tiefe Stelle und viele Fische zu finden.
Nachdem sich Alles geordnet und beide Ufer des Urals mit Kosaken besetzt sind, tritt endlich der Fischerei-Ataman aus seinem Zelte und geht langsam mitten auf den Fluß, den vor dem Kanonenschusse kein Kosak betreten darf. Nun erfolgt eine wahre Todtenstille, Alles ist voller Erwartung und mit vorgebeugtem Oberkörper ist schon Jeder zum Sprunge bereit. Es ist ein wahrhaft interessanter Augenblick, diese Reihen so vieler kräftiger und lebensfroher Menschen lautlos und doch in höchster Aufregung zu sehen. Wie wunderbar schön dieses Alles ist, läßt sich nur unvollkommen beschreiben. Alle Gesichter strahlen voller Freude und Lust, die Augen entweder auf einen vorher ausgesuchten Fleck im Flusse oder starr auf den Fischerei-Ataman gerichtet, der das Zeichen zum Abfeuern der Kanone geben soll. Doch dieser übereilt sich nicht – er geht gemüthlich von einem Ufer zum andern und macht allerlei Bewegungen, um die Kosaken zu täuschen. Ist der Heeres–Ataman zufälligerweise gegenwärtig, so nimmt der Fischerei–Ataman seine Mütze ab und verbeugt sich ehrfurchtsvoll in der Richtung hin, wo dies oberste Haupt der Kosaken am Ufer steht. Dann gibt er endlich nach vielen Neckereien das geheime Zeichen, welches nur ihm und dem Artilleristen bekannt ist.
Die Kanone kracht, der dicke Rauch hat sich kaum aus der Mündung gewälzt, so entsteht in demselben Augenblicke ein wahrer Höllenlärm, denn das ganze Kosakenheer stürzt sich nun mit Geschrei und Jubel bunt durcheinander auf’s Eis. Jeder strebt nun mit rasender Hast nach einem vorher ausgesuchten Platz zum Fischen oder, wenn ihm ein Anderer schon zuvorgekommen, so wählt er eine andere Stelle, wie Eile, Zufall und Raum es gestatten. In einem Nu werden Tausende kleiner Löcher von ein paar Fuß im Durchmesser ins Eis gehauen – und an vielen Stellen, wo man gerade viele Fische erwartet, kaum drei bis vier große Schritte von einander entfernt, und nun erhebt sich ein ganzer Wald von langen Fischerhaken, welche in die Eislöcher bis auf ein oder zwei Fuß vom Grunde herabgesenkt und von den Kosaken in der Hand gehalten werden, damit der Fischer sogleich fühlen kann, wenn ein Fisch über den Haken geht, oder die Stange berührt. Ist dies nun der Fall, so zieht der Kosak mit einem schnellen Ruck die Stange aufwärts, der scharfe Haken faßt den Fisch unter dem Bauche in’s Fleisch und er ist gefangen. Das Loch im Eise wird nun vergrößert, der Fisch mit kleinen Haken noch besser gefaßt, und endlich von einem Kosaken, oder mit Hülfe mehrer auf’s Eis gezogen. Durch das Hin- und Herlaufen und das Geschrei
[173]Du bist wie eine Blume,
So hold und schön und rein;
Ich schau’ dich an, und Wehmuth
Schleicht mir in’s Herz hinein.
Mir ist, als ob ich die Hände
Auf’s Haupt dir legen sollt’,
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.
[174] der vielen Menschen, durch das Brechen der Eislöcher und durch die Tausende von langen Stangen, welche sich labyrinthisch in die Tiefe senken, werden die Fische von ihren Lagerstellen aufgeschreckt, streichen unruhig hin und her und gerathen nun immerwährend in die Fischhaken. Dadurch wird auch bald das ganze Eis mit Blut bedeckt, es ist eine wahre Schlacht, und am Ufer häufen sich kleine Berge von Fischen, denn sobald nur ein Fisch am Haken sitzt, erscheinen auch schon Kaufleute auf dem Eise, um zu handeln und dem Kosaken seinen Fisch abzukaufen. Oft geschieht dies, wenn der Fisch noch unter dem Wasser ist und man seine Größe noch nicht kennt, in welchem Falle denn auf gut Glück gekauft und verkauft wird.
Mitunter trifft es sich auch, daß ein langnasiger Schipp oder ein großer Wels von 6 bis 8 Pud gefangen und unten im Flusse schon am Haken festsitzt. Da aber der Wels wenig geachtet wird und auch keinen Kaviar gibt, so bietet der erfahrene Fischer, der schon seinen Fang, ohne ihn gesehen zu haben, am Gefühl des weicheren Fleisches und der Bewegung am Haken erkennt, den Fisch auf gut Glück zum Verkauf aus, wobei es an gewandter Ueberredung auch nicht fehlt. Findet sich nun ein noch unerfahrener Käufer, so wird ihm die Stange des Fischhakens in die Hand gegeben, er fühlt, wie der große Fisch zappelt und die Stange hin und her rüttelt, und je wilder der Fisch da unten tobt, desto größer wird die Lust zum Kaufen und die Ueberzeugung, daß doch nur ein großer Hausen oder ein herrlicher Stör am Haken sitzen könne. Mancher Kosak steht viele Stunden, ohne daß ein Fisch auch nur seine Stange berührt. Er zieht seinen Fischhaken endlich aus dem Wasser, um einen andern Platz zu erwählen.
Kaum aber hat er seine Stelle verkästen, so wird diese auch schon von einem Andern eingenommen, der dann oft, durch Glück und Zufall begünstigt, gleich beim Herabsenken seines Hakens den herrlichsten Fisch herauszieht. Hat der Kosak lange nichts gefangen, so fühlt er auch wohl vorsichtig mit dem Fischhaken unten im Flusse herum, ob nicht ein vorbeistreichender Fisch die Stange berührt, welchen er dann durch einen kräftigen Ruck einzuhaken sucht. Ist der Fisch zu groß und macht er da unten viel Lärm und Spectakel, indem er sich loszureißen sucht, welches sehr oft gelingt, besonders wenn ihn der Haken nur am Schwanze gefaßt hat, so ruft der Kosak seinen zunächst stehenden Nachbar zu Hülfe. Es wird nun noch ein Haken eingesetzt und der Fisch endlich mit vereinten Kräften auf’s Eis gezogen.
Am vorsichtigsten und daher am schwersten zu fangen sind die großen Hausen von 15 bis 20 Pud (800 Pfund). Wird ein solcher Riesenfisch durch den fürchterlichen Lärm und das Getöse, wovon das ganze Eis dröhnt, aufgeschreckt, so kommt er oft an die Oberfläche des Eises, um zu sehen, was da oben geschieht, oder er schwimmt schlau im halben Wasser. Berührt nun ein so großer Knabe die Stange des vier oder fünf Faden tiefer im Grunde liegenden Hakens, so erfordert es viel Schnelligkeit und Gewandtheit, den Haken so weit rasch heraufzuziehen, um den Fisch unter dem Bauche zu fassen. Oft zerbricht ein solcher Fisch die Stange, fährt in den Haken des Nachbarn, zerbricht auch diesen und sucht zu entkommen, was aber doch nur selten gelingt. Denn da Überall auf dem Flusse Haken an Haken eingesenkt sind, so entsteht, wenn ein so großer Fisch durchgeht, ein allgemeiner Lärm; alle passen auf, wo sich die Stange rührt, und oft wird der Flüchtling doch eingefangen, unter allgemeinem Jubel und Zappeln auf’s Eis gezogen und wandert nun in die Hände der Kaufleute. So ein großer Hausen, der 100 bis 130 Pfd. Kaviar liefert, wird von den Kosaken für sehr listig gehalten.
Für den fremden Beobachter hat dies höchst eigenthümliche Fischerleben einen so hohen Reiz, daß man sich nicht satt sehen und nicht genug das rasche unternehmende Wesen der Kosaken bewundern kann. Fällt z. B., selbst bei starkem Froste, eine eiserne Brechstange durch das aufgeeisete Loch in den Strom, so wird hiervon nicht viel Wesens gemacht, der erste beste Kosak entkleidet sich, man bindet ihm einen Strick um den Leib, er taucht unter, findet die Brechstange und wird von seinen Kameraden wieder auf’s Eis gezogen, hier kleidet er sich schnell an, macht das Kreuz, nimmt dann auch wohl einen Schluck Branntwein und geht nun, als wenn nichts vorgefallen wäre, ruhig wieder an seine Fischerei.
Höchst interessant war die Fischerei im December, ich glaube im Jahre 1847. Es war schon hohe Zeit, das Präsent zum Allerhöchsten kaiserlichen Hofe abzufertigen. Der Ural war aber noch nicht ganz zugefroren, und in der Mitte gab es noch große Flächen offenes Wasser. Man versuchte wohl zu fischen, aber es wollte sich nichts fangen lassen. Endlich bemerkte ein Kosak, daß sich eine Menge Fische, durch den Lärm aufgescheucht, an der Oberfläche des offenen Wassers zeigten, wie nun aber da hinkommen? Doch ohne langes Besinnen wurde eine Eisscholle vom Rande abgehauen, ein rüstiger Kosak setzte sich darauf und schwamm nach der Mitte, vorsichtig mit dem Fischhaken im Wasser so lange herumfühlend, bis er endlich so glücklich war, einen recht großen Fisch mit dem Haken zu fassen. Nun aber wurde das Schauspiel erst recht interessant. Der Kosak konnte das große Thier nicht bändigen, es schleppte ihn mit der leichten Scholle hin und her, und zuletzt zog es ihn von der Scholle herab. Doch der Kosak hielt die Stange mit dem Fische immer fest, plätscherte im Wasser so gut es gehen wollte, und da er sich zuletzt dem Rande des Eises etwas näherte, so wurde ihm ein langer Haken vorsichtig in die Kleider gehakt, und nun Mensch und Fisch zusammen unter grenzenlosem Jubel auf’s Eis gezogen. Da nun das Kunststück so wunderbar geglückt war, so wurde eine große Eisscholle abgetrennt, mehrern Kosaken sprangen darauf, um den Feind mitten im Flusse anzugreifen. Dieser Fischfang war nun wohl mühevoll und ungewöhnlich, aber doch machte er den Kosaken eine allgemeine Freude, da das Allerhöchste Präsent nun zur bestimmten Zeit abgesendet werden konnte. Ist der Fischfang endlich an einem Tage beendet, so begibt sich Alles in’s Lager, es wird gegessen und getrunken, gekauft und verkauft, Fische eingesalzen und Kaviar gemacht. Die Tages-Ereignisse werden dann vielfach besprochen, es wird gelacht und gejubelt und die Ufer des Urals ertönen oft von den heimathlichen Klängen des Gesanges, bis endlich ermattet von der Arbeit Alles in Schlummer sinkt. Doch kaum graut der Morgen, so wird auch schon aufgebrochen, man zieht stromabwärts nach einer neuen Station, auf welcher die Fischerei eben so wie am ersten Tage wieder durch einen Kanonenschuß eröffnet wird. In dieser Weise rückt man alle Tage weiter vor, bis endlich der ganze Strom, so weit es bestimmt, völlig abgefischt ward und alle Kosaken in ihre Wohnungen zurückkehren. Die gefangenen Fische werden nun größtentheils in das Innere des Reichs gesendet, der herrliche Kaviar und die Hausenblase aber in ganz Europa herum verschickt. Die Winterfischerei ist nun beendet und erst im nächsten Frühjahr, wo wieder neue Schaaren von Fischen aus dem kaspischen Meer aufwärts in den Strom ziehen und alle Gewässer sich auf’s Neue füllen, beginnt das lustige Fischerleben von Neuem.
Bevor ich nach Californien ging, beschloß ich noch, die Vereinigten Staaten etwas zu durchreisen, und mich dann in New-Orleans einzuschiffen. Was ich auf dieser dreimonatlichen Reise in Nordamerika, bei der ich fast alle einzelnen Staaten berührte, sah und hörte, bestärkte mich auf’s Neue, nicht in denselben eine bleibende Stätte zu suchen. Geld konnte ich freilich daselbst verdienen [175] und meine Erfahrungen in New-York waren mir trefflich zu Statten gekommen. Aber die Zustände in den Sclavenstaaten hatten für mich zu viel des Ekelhaften, als daß ich mich hätte entschließen können, länger, als eben nöthig, dort zu verweilen. Ich komme vielleicht später auf dieses Thema zurück.
Bei diesen Kreuz- und Querfahrten traf ich übrigens noch manche Angehörige der schleswig-holsteinschen Armee. Einzelnen ging es äußerlich sehr gut, sie erwarben viel Geld; manchen so ziemlich erträglich, mehreren aber nur schlecht, so daß sie bei harter Arbeit nur eben die nothwendigsten Lebensbedürfnisse befriedigen konnten. Am besten waren stets alle die daran, die irgend ein Handwerk trieben, am schlechtesten aber die, welche nur eine theoretische Wissenschaft gelernt hatten. Einen unserer Artillerie-Officiere, der in Schleswig-Holstein sich gerade nicht durch sonderlich platonischen Lebenswandel ausgezeichnet hatte, traf ich in Boston als Lehrer der Naturwissenschaften in einem großen, berühmten Mädcheninstitut, und im Begriff, die Vorsteherin desselben, eine schon etwas ältliche Engländerin, die mehr Dollars wie körperliche Reize besaß, zu heirathen. Der dicke, lustige Hauptmann N., der stets ein so großes gastronomisches Talent bewiesen, war in New-Orleans Inhaber einer Delikatessenhandlung, und verdiente nach seiner eigenen Aussage viel Geld; eben so waren in letzterer Stadt einige unserer früheren Militairärzte sehr beschäftigt, während ein junger früherer Artillerie-Lieutenant als Matrose auf einem Paketboot nach England fuhr, mir aber selbst sagte, daß er Aussicht habe, es noch zum Steuermann, ja selbst bis zum Capitain zu bringen.
Auf einem dieser liederlichen amerikanischen Flußdampfer, die von Louisville nach New-Orleans auf dem Mississippi fahren, wäre ich übrigens beinahe mit in die Luft geflogen. Ich war mit meinem treuen Hansen noch nicht fünf Minuten vom Schiffe, als der überheizte Kessel sprang, und das Schiff in Trümmer zerriß. Ueber vierzig Personen verloren bei dieser Gelegenheit das Leben, noch mehr aber erhielten bedeutende Verletzungen, und das Ganze bot ein furchtbares Schauspiel dar, fast eben so schrecklich, wie das, welches uns im August des Unglücksjahres 1850 traf, als in Rendsburg das große Laboratorium in die Luft flog, das so viel Unheil anrichtete. Es kamen auf dem Mississippi bei dieser Explosion furchtbare Scenen vor, die ich für mein ganzes ferneres Leben niemals wieder vergessen werde.
Ich war die ganze Nacht, denn das Unglück geschah gerade in der Mitternachtsstunde, mit meinem Hansen und noch einigen Deutschen beim Retten mit beschäftigt, und wir haben gewiß einige Dutzende von Menschen aus den schmutzigen Wellen dieses mächtigen Stromes herausgezogen und dadurch gerettet. Manche hatten sich auf Baumstämme geflüchtet, die im Flusse herumschwammen, und mußten auf diesen schwankenden Sitzen, den halben Oberleib im Wasser, mehrere Stunden verharren, bis es uns gelang, sie Alle zu retten. Dabei kamen manche schauerliche Fälle vor, die recht deutlich zeigten, wie schwer das Schicksal einzelne Menschen prüft. So war auf dem Dampfer eine deutsche Familie gewesen, mit der ich mich auf der Fahrt von Louisville her vorzugsweise gern unterhalten hatte. Der Mann, eine jugendlich schöne, kräftige, ungemein anziehende Persönlichkeit, hatte sich im Jahre 1849 mehr aus Unbesonnenheit, wie aus planmäßiger Ueberlegung, an den Unruhen in Baden betheiligt, und war in Folge dessen flüchtig geworden. Seine Braut, eine der ansprechendsten Frauenerscheinungen, die ich jemals sah, hatte ihn im Unglück nicht verlassen wollen, und sich gegen den Willen ihrer Eltern in London mit ihm trauen lassen, und war dann dem Manne ihres Herzens über das Meer gefolgt. Obgleich das junge Ehepaar den höchsten Ständen angehörte, hatte es sich in Louisville ungemein kümmerlich durchschlagen müssen. Die junge, verwöhnte Frau hatte für Geld genähet und Putzsachen gemacht, der Mann war Zeitungsausträger, dann Lehrer in einer Volksschule und zuletzt Corrector in einer Zeitungsexpedition gewesen. Nur in ihrer gegenseitigen Liebe hatte das Ehepaar Glück und Trost in allem diesem Ungemach gefunden, und die Geburt eines Töchterleins hatte dann noch mehr dazu beigetragen, der Frau Alles, was sie im alten Vaterlande zurückgelassen, vergessen zu machen. Jetzt endlich schien das Glück ihnen zu lächeln. Der Mann hatte durch Verwendung einflußreicher Verwandten Amnestie und Erlaubniß zur Rückkehr in sein Vaterland erhalten, und auch sein Schwiegervater war endlich erweicht worden, hatte der Tochter verziehen und sich bereit erklärt, dem Ehepaare eines seiner Landgüter abzutreten, damit es daselbst in ländlicher Stille sich so recht seines eheliches Glückes erfreuen könne.
Der freudigsten Hoffnung voll, hatte sich dies schöne Paar mit uns in Louisville auf dem Dampfer eingeschifft, um von New-Orleans aus die Fahrt nach Deutschland anzutreten. Besonders die junge Frau, ihr Töchterlein, ein liebliches kleines Mädchen von zwei und ein halb Jahren, auf dem Schooße, war überglücklich, in ihr Vaterland zurückkehren zu dürfen, und daselbst an der Seite ihres Mannes, den sie über Alles liebte, ein ruhiges Leben führen zu können. Sie schwelgte förmlich in Hoffnungsplänen, und lud mich ein, später, wenn ich einmal wieder nach Deutschland zurückkehren sollte, sie auf ihrem Gute zu besuchen. Und alles dies Glück zerstörte nun die Explosion des Dampfkessels, lediglich durch die frevelhafte Ruchlosigkeit des Capitains, der eine Wette gemacht hatte, ich weiß nicht mehr, in wie viel Stunden nach New-Orleans zu fahren. Der Ehemann wurde, förmlich in Stücken zerrissen, an das Ufer geschleudert, und wir fanden seinen Kopf später an einem Baumaste; dem kleinen Kinde war ein Fuß abgerissen worden, es schrie die ganze Nacht furchtbar und starb am andern Morgen im Arme der Mutter, die mehrere Stunden auf einem im Flusse treibenden Baumstamme sich angeklammert hatte, bis es uns gelang, sie zu retten. Als sie am Morgen, beim anbrechenden Tageslicht, den abgerissenen Kopf ihres Gatten, den sie bis dahin noch immer wiederzufinden gehofft hatte, erblickte, wurde sie wahnsinnig, und wollte sich in den Mississippi stürzen, so daß sie gebunden und streng bewacht werden mußte. Sie verfiel in Tobsucht und starb einige Tage darauf an einem Gehirnschlage im Hospital zu New-Orleans.
Auch sonst kamen in dieser Schreckensnacht noch mehrere derartige Scenen vor, namentlich war das Geschrei der Kinder nach ihren Eltern und umgekehrt das Rufen der Eltern nach ihren Kindern entsetzlich. Die von dem heißen Wasser des zersprungenen Kessels förmlich abgebrühten Maschinenleute jammerten vor unerträglichem Schmerz, und einer derselben, ein junger Deutscher, dem das Eingeweide förmlich aus dem Leibe heraushing, zog mit letzter Kraft eine Pistole aus seiner Tasche und erschoß sich selbst. Diese ganze schaurige Scene ging dazu in einem dicken Urwald, der von beiden Seiten den mächtig rauschenden Strom umgab, vor sich und brennende Holzstöße, die wir angezündet hatten, um den Schauplatz des Unglücks besser sehen zu können, wie auch die aus dem Wrack des Schiffes herausschlagenden Flammen erhellten das Ganze.
Die Mannschaft eines amerikanischen Flachbootes aus dem fernen Westen, das grade unfern des Dampfers geankert hatte, echte, tüchtige Hinterwäldler, und dann 4–5 Deutsche, die auf einer Station zum Holzeinnehmen wohnten, bei der ich mich fünf Minuten zuvor hatte aussetzen lassen, um einen frühern schleswig-holsteinschen Officier in der Nähe zu besuchen, wurden nebst meinem Hansen und mir die Hauptretter der im Flusse herumschwimmenden und treibenden Passagiere. Ich möchte fast sagen, leider, retteten wir auch den schuftigen Capitain, der auf einem großen Baumstamme saß und sich mit echt nordamerikanischer Kaltblütigkeit schon wieder eine Cigarre angezündet hatte. Hätte ich gewußt, daß es der Capitain sei, ich wäre mit meinem Kahne vielleicht an dem Baumstamme vorbeigerudert, wenigstens hätte der Kerl bis zu allerletzt warten sollen, bevor an ihn die Reihe des Rettens gekommen. Das viele Unglück, was sein ruchloser Leichtsinn angestiftet hatte, schien diesen Menschen wenig zu betrüben, und er bedauerte besonders nur, daß auch die Kasse des Schiffs mit in den Mississippi gefallen sei.
In New-Orleans, was gegen New-York gehalten, eigentlich sehr ärmlich aussieht, dabei aber schon eine ungemein südliche Charakteristik zeigt, herrschte während meiner Anwesenheit gerade das gelbe Fieber in der größten Heftigkeit. Zu Hunderten starben die Menschen hin und es waren bisweilen kaum Kräfte genug vorhanden, um die vielen Leichen so schnell, wie es nöthig war, zu begraben. Besonders mehrere hundert arme deutsche Auswanderer – wenn ich nicht irre, aus Rheinhessen, die man hier ohne Weiteres an das Land gesetzt hatte, starben fast sämmtlich. Es waren die Armen einiger Gemeinden, die man auf öffentliche Kosten hieher befördert hatte. Ohne Geld, ohne der Sprache im Mindesten mächtig zu sein, halb verhungert und verkümmert und von Schmutz starrend, lagen diese Armen obdachlos auf einem [176] öffentlichen Platze am Flußufer und suchten ihr elendes Dasein durch Betteln noch um einige Tage zu fristen.
Ich blieb trotz des gelben Fiebers an sieben Wochen in New-Orleans und verdiente ziemlich viel Geld, indem ich bei einem großen Pferdehändler, dessen Stallmeister gestorben war, während dieser Zeit junge Pferde zuritt und zufuhr. Ich hätte immer hier bleiben können, aber nicht für einen Gehalt von monatlich 1000 Dollars wäre ich dazu bereit gewesen, so widerlich war mir der Ort und das ganze Getreibe, was in demselben herrscht. Ich bin überzeugt, es giebt in der ganzen Welt keine zweite Stadt von gleicher Größe, in der eine solche Menge von Schuften aller Art leben und eine so grenzenlose Immoralität herrscht wie gerade in New-Orleans. Die wilde Leidenschaftlichkeit der Südländer und die kalte berechnende Herzlosigkeit der Yankee’s vereinigen sich hier und geben ein Ganzes was nicht im Mindesten anlockend ist.
Ich war daher herzlich froh, daß ich endlich ein Fahrzeug fand, was direct nach San Francisco fuhr, und ließ gern meinen guten Verdienst bei dem Pferdehändler, einem wahren Gauner, der auch noch ein Spielhaus für junge Leute höherer Stände hielt, in Stich, und schiffte mich mit meinem Hansen ein. Das Fahrzeug, was uns trug, war ein dänisches und die dänischen Farben, die ich drei Jahre lang bekämpft hatte, flatterten jetzt über meinem Kopfe. Nur gezwungen führte der wackere Schiffscapitain eben diese dänischen Farben, denn er wie seine gesammte Mannschaft waren gute Schleswig-Holsteiner von der Westküste, die nichts weniger wie Vorliebe für Dänemark hegten. Eine gar wackre Schiffsmannschaft war dies aber und daß unsere norddeutschen Seeleute die besten sind, welche die Welt nur besitzt, konnte ich bei unserer ungemein stürmischen und gefährlichen Fahrt um das Cap Horn wieder so recht erkennen. Möglich, daß die Engländer und besonders auch Irländer oft noch verwegener und tollkühner sind, dafür saufen die Matrosen dieser Nation ungemein stark und sind auch sonst sehr nachlässig. Kann ein nordamerikanischer Kapitain norddeutsche Matrosen an Bord bekommen, so zieht er solche allen übrigen und selbst seinen eigenen Landsleuten vor. Dies ist eine Thatsache, die Jeder, der längere Zeit in nord- und südamerikanischen Häfen gelebt hat, bestätigen wird.
Eine wildere, rauhere Gegend wie das Cap Horn gibt es gewiß auf Gottes weiter Erde nicht mehr. Furchtbar zerrissene und zerklüftete Felsenmassen, ohne die mindeste Spur irgend einer Vegetation, starren in den hier stets mit dunklen grauen Wolken bedeckten Himmel hinein. Dabei herrschen hier fast beständig die heftigsten Stürme, die das Meer in hohen Wellen aufbäumen lassen und die Schifffahrt gefährlich machen. – Ein alter Capitain eines amerikanischen Wallfischfängers, der als Passagier mit an Bord war, sagte uns, er habe das Cap Horn schon siebzehn Mal in seinem Leben umfahren und stets rauhe und stürmische Witterung daselbst gefunden. Da sich mir Gott Neptun stets sehr ungnädig zeigt, so ließ er es bei meiner jetzigen Fahrt an Sturm und Unwetter auch wieder nicht fehlen. Hagelschauer, Schneegestöber und heftige Windstöße wechselten über acht Tage lang unaufhörlich, die Sturmwellen schlugen über das Verdeck, daß es eine Art hatte, und unsere Matrosen, die Tag und Nacht nicht aus den nassen Kleidern kamen, mußten ununterbrochen arbeiten. So eine Fahrt um das verrufene Cap ist für den Seemann fast immer eine harte Prüfungszeit, in der er zeigen kann, daß er aus tüchtigem Stoffe gebildet ist.
Eine nordamerikanische Brigg, die uns in übermüthiger Weise vorbeisegeln wollte und deshalb trotz des Sturmes zu viel Segel beigesetzt hatte, schlug einige hundert Schritte vor uns um und sank mit Mann und Maus augenblicklich in die Tiefe des Meeres unter, so daß an Rettung der Mannschaft gar nicht mehr zu denken war. Auch wir erlitten beträchtliche Havarie, und unser Leck war so groß geworden, daß selbst wir Kajütenpassagiere einige Tage lang an den Pumpen arbeiten mußten, bis es uns gelang, das Leck zu verstopfen. Als wir erst in das Weltmeer gekommen waren, legte sich auch allmählich das Unwetter mehr; jetzt konnten wir erst die Schäden wieder ausbessern und langten nun in sehr rascher Fahrt und ohne weitere Ereignisse glücklich bis an die Küste von Californien.
Als wir am Abend vor San Francisco die Anker warfen, stand gerade ein großes Quartier dieser leicht gebauten Stadt in vollen Flammen und die Gluth röthete den Horizont. Feuersbrünste waren damals etwas sehr Gewöhnliches und fast keine Woche verging, wo nicht eine oder mehrere stattfanden. Sehr häufig geschahen dieselben durch absichtliches Brandanlegen, wie denn gerade zu jener Zeit die öffentliche Sicherheit auf das Aergste gefährdet war und Raubanfälle, Mordthaten und Brandstiftungen zu den gewöhnlichen Begebenheiten gehörten. Später hat das sogenannte „Vigilance-Comité,“ dem ich selbst angehörte, etwas mehr unter diesen Verbrechern aufgeräumt und wir haben wenigstens ein Dutzend solcher Kerle, die auf frischer That ergriffen wurden, ohne Weiteres an den ersten besten Baum aufgeknüpft. Ich selbst habe später einmal eine derartige Execution, die leider dazu noch an einem Deutschen vollführt werden mußte, geleitet und dem Verbrecher selbst den Strick um den Hals gelegt. Derselbe hatte seinen Kameraden, der mit ihm in einem Goldloche gearbeitet und in einem Zelte geschlafen, heimtückischer Weise ermordet, um sich des Vermögens desselben zu bemächtigen. Die Sache ward am anderen Tage – ich weiß nicht mehr durch welchen Zufall – entdeckt; wir machten nun Jagd auf den Kerl, der sich indessen geflüchtet hatte, und holten ihn auch glücklich ein. Eine Jury aus zwölf Steinarbeitern und Fuhrleuten, denen ich präsidirte, trat zusammen; der Schuldige konnte sein Verbrechen nicht leugnen und ward deshalb einstimmig zum Erhängen verurtheilt. Ein Strick wurde genommen, ein früherer Matrose machte eine gute Schlinge daraus, ich legte sie dem Verurtheilten, dem Hände und Füße gebunden waren, um den Hals; darauf ward das Ende des Strickes über den Ast eines Baumes geworfen und dann von drei bis vier Mann schnell und kräftig angezogen – und der Verbrecher war nach einigen Augenblicken schon eine Leiche. Diese ließen wir zur Warnung am Baume hängen, nachdem ihr ein Bogen Papier, auf dem in englischer und deutscher Sprache der Grund der Strafe und der Art ihrer Vollziehung stand, an der Brust befestigt worden war. Gewiß eine schnelle, dabei freilich etwas formlose Handhabung der Justiz, die sich aber für die californischen Zustände, wie sie nun einmal waren, trefflich eignete.
Ich komme noch einmal auf meine Ankunft in San Francisco zurück. – Es sah daselbst am Morgen nach dem Ausbruche des großen Brandes schaurig aus. Ganze Straßen lagen in Schutt und Asche und überall schlugen noch die hellen Flammen aus den Brandhaufen heraus. Trotz dieser Verwüstung fing man aber schon wieder an, neue Häuser zu bauen, und besonders die Besitzer der Spielbanken konnten es gar nicht erwarten, daß ihre Locale wieder bereit standen, um auf’s Neue die thörichten Spieler auszuplündern. Hier war für zwei rüstige, kräftige Männer, die arbeiten wollten und konnten, etwas zu verdienen, das sah ich sogleich ein. Um zu faullenzen, waren wir, Hansen und ich, wahrlich nicht nach San Francisco gekommen, und den nordamerikanischen Wahlspruch „Zeit ist Geld“ hatte ich mir wohl gemerkt. Am Morgen waren wir gelandet und am Nachmittage desselben Tages hatte ich mir schon einen starken Lastwagen und drei tüchtige Zugpferde mit Geschirr für die Summe von 450 Dollars von einem Amerikaner, der in seine Heimath zurückkehren wollte, gekauft. Der Wagen diente uns auch des Nachts als Schlafstätte, indem wir uns, in unsere dicken Wolldecken gehüllt, zwischen seine Räder legten und vortrefflich schliefen, während die Pferde, an der Deichsel angebunden, aus den vorgehängten Futtersäcken ihren Mais verzehrten.
Schon am nächsten Tage fing die Arbeit an und ich unternahm es, Ziegelsteine aus einer eine halbe Meile von der Stadt entfernten Ziegelei für den Bau der Häuser zu fahren. Mein Hansen und ich mußten die Ziegelsteine auf- und abladen und aufstellen, erhielten dann aber für jede Fuhre sieben Dollars. Wenn wir recht fleißig waren, konnten wir an einem Tage vier Fuhren machen und hatten dann 28 Dollars verdient. Für drei Dollars per Tag konnten wir uns reichlich beköstigen, vier Dollars kostete die Fourage für die drei Pferde und ein bis zwei Dollars gingen für sonstige Nebenausgaben auf, so daß uns ein reiner Gewinn von fünfzehn Dollars täglich übrig blieb. Davon erhielt Jeder von uns fünf Dollars und die übrigen fünf kamen noch auf mein Theil als das Verdienst des Gespannes, was mir gehörte. Wir arbeiteten übrigens anstrengend und gönnten uns nur des Sonntags Ruhe. Wie mancher Schweißtropfen floß da bei der Arbeit über meine gebräunte Stirn, während meine Hände von dem steten Anfassen der rauhen Ziegelsteine so hart und schwielig wurden, daß sie in Glacehandschuhe wahrlich nicht mehr [177] gepaßt hätten. Nun, Arbeit ist hier keine Schande, und wenn ich auch die ganze Woche über unermüdet Ziegelsteine gefahren hatte, so konnte ich mich doch des Sonntags ohne Scheu unter die vornehme Welt mischen – wenn überhaupt von einer solchen hier die Rede sein kann. – Lachen mußte ich übrigens doch mitunter, wenn ich mich jetzt mit meinen großen Wasserstiefeln, blauer Blouse und einem runden Wachstuchhute auf dem Kopfe als Fuhrmann erblickte, während ich sonst als eleganter Tänzer auf so manchem Hofballe figurirt hatte.
Nach Cobden, der das moderne England öffentlich im Parlamente der Feigheit und Liebedienerei gegen starke und der Renommisterei und Grausamkeit gegen schwache Völker beschuldigte, ohne daß ihm Palmerston, dem dies persönlich galt, die Beschuldigung widerlegen konnte, nach Cobden und andern Engländern hat die Palmerstonsche Politik nur deshalb so tollkühn und unconstitutionell gegen China gehandelt, weil man wußte, daß sie keine Kriegsschiffe, keine Rifles, keine Bombenmörser zu fürchten habe. Die Chinesen gelten als feig. Sie sind mindestens unkriegerisch. Ihr großes Land ist ein Garten. Jedes Fleckchen Erde, wenn auch von Natur noch so ärmlich, wird dahin gebracht, daß es seine Familie nähre, und sei es auch nicht größer, als bei uns eine große Stube. Alles treibt Acker- und Gartenbau. Dabei hat jedes Dorf seine Bibliothek, seine Zeitschrift, ja sogar seine Druckerei, wie der Engländer Martin aus eigener Anschauung schilderte. Dabei können sie nicht große Krieger sein. Sie sind zu civilisirt dazu. Sie waren zu anständig, zu gebildet, zu civilisirt, um sich im Schießen, im Hauen und Bombardiren zu üben. Sie hatten auch keine Feinde in ihrem großen himmlischen Reiche. Seitdem aber die „rothborstigen Barbaren,“ wie die Engländer von ihnen genannt werden, durch den „Opiumkrieg“ sich Eingang, mindestens in fünf Häfen, und die Colonie Hongkong erzwungen haben (seit 1843) gab’s viel Feindschaft und Kampf und Aerger und seitdem sollen sie auch bessere Soldaten geworden sein. Wenigstens kamen bei und nach dem Bombardement Cantons Beweise ihrer Tapferkeit, ihrer bis zum höchsten Grade gesteigerten Wuth vor. Sie führen einzeln und in Massen einen förmlichen Vertilgungskrieg gegen alle Fremden, welche Lüge, Betrug, Opium Gift und Bomben importirten, statt der versprochenen Freundschaft und „westlichen Civilisation.“ Dabei sind sie militärisch freilich der europäischen Kriegskunst nicht gewachsen, so daß sie den Engländern bei fortgesetztem Kampfe wohl wieder unterliegen werden, wenn Wuth und grimmig beleidigte Nationalität nicht diese Kunst ersetzen.
Interessant ist’s unter diesen Umständen, etwas von der chinesischen Militärdisciplin zu erfahren. Die Soldaten sehen in [178] unsern Augen lächerlich aus. Sie haben zu viel flatteriges, burlesk zugeschnittenes und besetztes Zeug um sich, gefranzte Umschlagetücher um den Leib gewickelt, hinten einen Panzer auf dem Allerwerthesten, dann wieder oben um die Schultern eine Art von Umschlagetuch, darunter lederne und bei Officieren reich gestickte Panzer an Brust und Leib und mancherlei seltsame Kopfbedeckungen, darunter auch eine Art von Helm mit Federbusch, der an den preußischen erinnern würde, wenn er nicht kleiner, kappenartiger und geschmackvoller wäre. Andere Kopfbedeckungen gleichen der Nachtmütze unserer guten Tante, nur daß sie von Leder sind, andere nehmen die Figuren von Drachen und andern Ungeheuern an, die über den Gesichtern der Soldaten gar gräßliche Fratzen in die Luft hineinschneiden und den Feind schon in der Ferne zu fürchten machen sollen.
Unsere Abbildung, Copie einer Zeichnung von einem chinesischen Maler, die Martin mitbrachte, gibt eine Anschauung von diesem Militärcostüm, wenigstens der Officiere. Sämmtliche Figuren stellen Uniformen verschiedener Officiergattungen dar und sind, nach Martin’s Zeugniß, getreu nach der Wirklichkeit. Die üblichsten Waffen sind Lanzen, Bogen, Schwerter, sensenartige, aber gerade aufstehende und in der Scheide fünffach gebugte und gespitzte Lanzensäbel (wie die der mittelsten Figur im Vordergrunde) und Luntenflinten, die wie Kanonen mit der Lunte abgefeuert werden. Letztere finden wir mit unserer hohen Mordgewehrcultur lächerlich. Aber auf dem Standpunkte der Leben begünstigenden und erfreuenden, statt en gros mörderischen Civilisation müßte dies just bei dem Volke, welches das Pulver, wie die Buchdruckerkunst u. s. w. ein Paar Jahrtausende früher erfand, wie wir, als Ruhm gelten. Dabei sind sie besonders geübt und gefürchtet mit dem kurzen Schwerte und der Tartsche, dem alten Schilde, so daß sie wie Homerische Helden und wie Männer fechten. Ein Gewehr kann jeder Feigling losschießen und Männer damit durchlöchern aus weiterer, sicherer Ferne. Sie stehen also, nach dem Handschwert und der Tartsche, als ihren Hauptwaffen, zu schließen, moralisch höher als Krieger, wie wir mit unsern weithintragenden Mordgewehren. Auch in der Taktik und Strategie sind sie nicht zu verachten. In ihren Ein- und Abtheilungen herrscht die Zahl Fünf, wie in ihrer Philosophie und Mythologie (der chinesische Maler hat auch fünf Figuren gezeichnet, wie dies auch sonst Styl sein soll). Die Soldaten gruppiren sich in je fünf. Zweimal fünf solcher Fünfen sind, was wir eine Compagnie nennen würden. Dreimal fünf Compagnieen heißen eine „Chin“ (Bataillon). Die Officiere vertheilen sich ebenfalls in Gruppen und Rangstufen zu fünf. Ein Bataillon besteht mit Officieren aus 450 Mann. Im Felde und beim Manövriren gehören je dreißig Compagnien zusammen, die in bestimmten Figuren sich aufstellen und bewegen. Diese Figuren haben einen gemeinschaftlichen Namen „fliegender Drache,“ „zerstörende Wolke“ u. s. w. Jede solche Figur hat acht Spitzen, entsprechend den acht „Kwa“ ihrer Philosophie, den Grundstoffen der Elemente (unser Militär frägt nicht nach Philosophie). Acht Bataillone bilden für Schlachten ein solides Carré mit den commandirenden Officieren in der Mitte. Dreimal acht Bataillone mit der Hälfte disciplinarisch ausgebildeter Soldaten formiren sich vor diesem lebendigen Quadrat und der Basis zu zwei halbcirkelförmigen Linien. Die erste hat in der Schlacht den ersten Angriff zu machen oder dem Feinde Trotz zu bieten, während die zweite Linie und das Quadrat der Basis ruhig stehen bleiben. Zwölf Bataillone greifen an oder halten dem Feinde Stand. So wie eine der zwölf zurückgetrieben oder kampfunfähig wird, rückt ein frisches aus dem zweiten Halbkreise hervor. Es wurde der alten römischen Strategie nachgerühmt, daß sie jeden Feind drei Mal mit frischen Truppen angriff. Die Chinesen greifen aber, nach obigen Aufstellungen zu schließen, vierundzwanzig Mal mit ganz frischen Truppen an, ehe es dem Feinde gelingen kann, den Kern, das Carré, selbst zu attakiren.
Die Engländer werden trotz des Tadelvotums gegen Palmerston den Kampf gegen China fortsetzen oder erneuern. Mit Bomben aus den schwimmenden Kriegspalästen ist’s weder eine Kunst, noch eine Ehre. Wir wollen sehen, wie sich Engländer und Chinesen auf festem Boden und in ordentlicher Schlacht einander gegenüber bewähren werden.
Mit welcher schwungvollen Umschreibung würde der poetische Hindu oder Araber, der es zum ersten Male sähe, das Fenstereis bezeichnen! Vielleicht würde er sagen: „Gott ist groß! Er läßt die Oase grünen mitten im Wüstensande und Blumen blühen auf der gläsernen Thüre des Nordländers. Bei meinem Barte, keine Damascenerklinge und kein Teppich von Mosul ist prächtiger gemustert, als dieser erstarrte Hauch, der vor der Sonne verschwindet, wie ein Trugbild der Wüste!“
Doch bedarf das Fenstereis keineswegs des Reizes der Neuheit, den es für solche Südländer haben würde, um Interesse und Wohlgefallen zu erwecken. Auch der Deutsche bewundert immer auf’s Neue die schönen Gestalten, in welche sich das Wasser verkleidet. Dabei fragt man sich wohl, warum die modernen Sprachen nicht eine schönere, oder doch richtigere Bezeichnung für den Vorgang gewählt haben mögen. Denn, daß man nicht mit gleichem Rechte sagt: die Fenster gefrieren, wie man spricht: der Fluß gefriert, liegt auf der Hand.
Sind auch die Gestalten, in denen das Wasser an der innern Fläche der Fenster erstarrt, nicht so regelmäßig schön und zierlich, wie die Gebilde des Reifes und Schnees, so ersetzt das Fenstereis durch seine freieren, gewissermaßen launigen Formen das, was ihm an fester Regelmäßigkeit abgeht. Man wünscht sich, da die froststarren Finger das Zeichnen, welches ohnehin nur unvollkommene Abbilder gibt, nicht erlauben, gar oft einen Daguerre’schen Apparat, um manche dieser vergänglichen Kunstwerke der Natur aufzubewahren. Gewiß gibt es unter allen „nachahmenden Gestalten,“ in welchen es der unorganischen Natur beliebt die organische zu parodiren, keine, die an Schönheit die des Fenstereises übertrifft. Das oft in moosähnlichen Fädchen vorkommende Silber und die auf Kalkplatten häufigen braunen oder schwarzen baumartigen Zeichnungen aus Eisen- und Braunsteinoxyd (Dendriten) stehen wenigstens an Reichthum der Formen dem gefrorenen Fenster nach. Ist es doch, als wollte das Wasser zeigen, daß es halb und halb organischer Natur ist, da es in keinem lebenden Wesen fehlt.
Die mannichfaltigen, von mir bis jetzt beobachteten Formen des Fenstereises lassen sich auf fünf Hauptformen zurückführen.
1) Die größtentheils eisfreie Glasscheibe ist nur an einzelnen Stellen mit Eissternen aus drei bis sechs Strahlen besetzt, welche letztere wieder kleine Fiederblätter tragen. Gleichzeitig trifft man nicht selten weiße, ziemlich gerade, zuweilen sich kreuzende Linien, welche mit kurzen weißen Eiszacken besetzt sind, so daß sie einem bereiften Strohhalme, einem schlaffen Moosstengel oder einer kurzästigen Tanne gleichen.
2) Die Glastafel trägt einzelne Gestalten, welche den Wedeln des Farrnkrautes oder dem Barte einer Schreibfeder ähneln.
3) Ein scheinbar gleichartiger, nebelähnlicher mattweißer Anflug, dessen Rand da, wo er an die unbeeisten Stellen angrenzt, dem Saume eines fernen Nadelwaldes gleicht, oder einem mit Schilf bewachsenen Ufer ähnlich ist. Jener scheinbar gleichartige matte Grund ist, wie man durch die Loupe erkennt, aus sehr kleinen anliegenden Eissäulchen gebildet, welche in ihrer Gruppirung oft an die Fußstapfen der Vögel im Schnee, also an unregelmäßige Sterne erinnern.
4) Die Glastafel ist von einem Gewebe mit unregelmäßigen Maschen bedeckt, welches dem Tüll ähnelt. Die Maschen sind stets am oberen Theile der Tafel feiner, als unten. Der freie Rand des Gewebes zeigt gewöhnlich, wenn nicht die ganze Tafel bedeckt [179] ist, schiff- und nadelwaldartige Zacken. Daß die scheinbaren Maschen nicht eisfreie Lücken zwischen den Eisfäden sind, erkennt man leicht; sie sind mit dünnem Eis belegt. Zuweilen bemerkt man an dem Spitzengrunde, besonders wenn man ihn bei schief durchfallendem Lichte betrachtet, Spuren von Gruppirung gewisser Partien zu Gestalten, die an die isländische Flechte oder an Damhirschgeweihe erinnern.
5) Die ganze Glasscheibe ist mit einem dichteren Eisbelege überzogen, der unregelmäßig eckige, zuweilen fast rautenförmige Figuren bildet, die zum Theil matt, zum Theil perlmutterglänzend aussehen und auffallend dem Metallmohr der Präsentirteller oder dem Moiré gewisser Damenkleiderstoffe ähnlich sind. Diese moirirten Figuren sind gewöhnlich mit mehlartigem Schneestaube mehr oder weniger dicht bedeckt.
Da keiner der freundlichen Leser, der soviel Natursinn hat, um diese Vorgänge überhaupt zu beachten, sich mit der bloßen Betrachtung der Figuren begnügen wird, vielmehr wünscht, etwas über ihr Werden zu erfahren, so soll hier aus die hauptsächlichen Punkte, auf die es bei der Bildung derselben ankommt, aufmerksam gemacht werden, zumal da die physikalischen Lehr- und Lesebücher diese für die Hausphysik wichtige Erscheinung unberücksichtigt lassen.
Das Gefrieren der Fenster tritt nicht schon dann ein, wenn die äußere Luft auf den Gefrierpunkt erkaltet ist, sondern erst bei wenigstens 4° Grad Kälte derselben. Nur dann erkalten die Glasscheiben, welche von innen Wärme bekommen, bis zum Nullpunkte. Gewöhnlich beginnt im mittleren Deutschland die Bildung des Fenstereises nicht vor dem November und dauert nicht länger als bis zum März; am häufigsten und dichtesten sind die Eisvorhänge im Januar. Je klarer und heller gestirnt eine Winternacht ist, desto sicherer darf man erwarten, daß die Eisblumen-Beete treiben werden. Bei recht kaltem Wetter dauert der Proceß den ganzen Tag fort, zuweilen hat der Ofen auf Viertelstunden die Oberhand und schmilzt ein Guckloch für die Kinder, aber bald bedeckt sich dieses wieder mit einem Vorhange, den die Kinder vergeblich durch Behauchen zu lüften versuchen.
Immer gefrieren die untersten Scheiben eines Fensters zuerst, und die Eisbildung an jeder einzelnen Tafel beginnt stets von ihrem untern Rande. Die Ursache dieses Aufwärtsschreitens des Frostes ist dieselbe, die früher beim Bethauen angeführt wurde.
Die ersten Eistheile bilden sich stets da, wo die Glastafel in den untersten Querstab des Rahmens eingelassen ist, wie wenn sie am Holze wurzelten. Wenn eine Scheibe oben, wo sie eine Zeit lang blank blieb, später auch zu beeisen anfängt, wurzeln die ersten Eiskeime oben an der Holz und Glasgrenze und wachsen nach abwärts den unteren entgegen. Jeder Stoff, der aus dem flüssigen in den festen Zustand übergeht, sucht sich einen festen Fußpunkt aus, wenn dies irgend möglich ist. Gefriert ein Teich zu, so fängt die Eisbildung am Rande desselben an; bleibt eine Eisscholle des Baches in der Mitte des Teiches liegen, so wird auch sie zum Fußpunkte für junge Eisstrahlen. Dampft man eine Salzlösung in einem Gefäße ab, so krystallisirt das Salz zuerst am Rande des Gefäßes. Zwei Ursachen scheinen am Fenster diese Vorliebe der Krystallursprünge für den Rand zu bewirken, zuerst die bei der Besprechung des Thauens erwähnte Adhäsion (Anziehungskraft), und dann der Umstand, daß die Ränder der Glastafel, wegen ihrer Nähe an dem warmhaltenden Holzrahmen, weniger dicht bethauen und die geringere Menge Wasser, das sich an sie gelagert, schneller zum Frostpunkte erkalten.
Daß die äußeren Scheiben des Doppelfensters weniger gefrieren, als die Scheiben eines einfachen Fensters in demselben Zimmer, erklärt sich aus dem geringeren Wassergehalte der im Doppelfenster-Raum eingeschlossenen Luft. Je weniger eine Luft wasserhaltig ist, desto stärkere Erkaltung ist nöthig, um sie zum Niederschlage zu bewegen. In der feuchten Atmosphäre Englands genügt meist das Zuströmen einer um wenige Grade kühleren Luftschicht, um Nebel und Regen zu bilden; aus der trockenen Luft Persiens oder gar der Wüste Sahara oder Gobi bringt selbst eine Erkaltung von 20 und mehr Graden keinen Niederschlag hervor. Am einfachen Fenster herrscht Insel- oder oceanisches Klima, im Doppelfenster dagegen continentales Klima, wie die Geographen diese Unterschiede benennen.
Die Ursache davon, daß hinter einem Schirme von Pappe, selbst hinter dem papiernen oder linnenen Rouleau die Fenster früher und dicker gefrieren, liegt augenscheinlich darin, daß jene schlechten Wärmeleiter die Zufuhr der Ersatzwärme vom Zimmer her abschneiden.
Ehe wir uns an die Auflösung des schwierigsten Räthsels wagen, welches der Winter in seiner Eisblumensprache aufgibt, wollen wir ein Bekenntniß unserer Schwäche ablegen, damit nicht der Räthselmann unsere Vermessenheit mit kaltem Spotte belache! Die Morphologie, (die Wissenschaft, welche die Gestalten der Naturdinge erforscht) stößt, wie jede andere Wissenschaft, die nicht blauen Dunst für Klarheit ausgibt, zuletzt auf Unerforschliches. Die letzten Ursachen, warum die verschiedenen chemischen Stoffe in verschiedenen regelmäßigen Gestalten, auftreten, warum z. B. das Kochsalz und das Gold als Würfel, der Smaragd und der Bergkrystall in sechsseitigen Säulen krystallisiren, sind ebenso unbegreiflich, als die Gründe, warum an dieser Stelle des bebrüteten Eies sich ein Herz und dort ein Auge bildet. Es gibt aber in der Natur so Vieles, was der Menschengeist erforschen kann, daß ein bescheidener Mann nicht faustisch zu grollen braucht, wenn er vor den letzten Ursachen sein Unvermögen einsieht. Ein solcher Faust gleicht in der That einem frisch gefangenen Rotkehlchen, welches immer wieder mit aller Wucht an die Fenstertafel stößt, deren Schranken es nicht sieht oder nicht erkennen will.
So wollen wir es denn als unerklärbare Thatsache annehmen, daß das Wasser in der Atmosphäre, wo es von keinem Widersacher gestört wird, in Formen krystalisirt, die im Wesentlichen denen des Bergkrystalles entsprechen. Die wunderbar schönen Schneesternchen, die man beobachtet, wenn an kalten Tagen recht einzelne Flitterchen herabfallen, zeigen diese Grundform, die wir als Norm annehmen, in mannigfachen zierlichen Variationen. Jedes läßt die Grundform durchblicken, wie die musikalische Variation ihr Thema, aber oft mit Zugaben von Zierrathen und Beiwerk. Auch der Reif, der an Brückengeländern und andern Gegenständen im Freien sich ansetzt, hat oft Gestalten mit wenig Abweichung vom Grundtypus, obgleich er häufiger unregelmäßige Säulchen, Zacken und Fiederblätter darstellt.
Das Fenstereis dagegen zeigt, soweit meine Beobachtungen reichen, nie eine Gestalt, welche dem strengen mathematischen Gesetze des Schneesternes ganz treu bliebe. Nur der Winkel, unter dem sich die Eisfiedern an ihren Stamm ansetzen, scheint als derselbe, wie er bei den regelmäßigen Eiskrystallen gilt, fest zu bleiben, da er auch bei den ersteren gewöhnlich ebenfalls sechzig Graden gleichzukommen scheint. Zuweilen sieht man wohl eine sternartige Figur an den Fenstern, aber dann trägt sie drei bis sieben Strahlen, die von ungleicher Länge sind und meist unter ungleichen Winkeln ansitzen.
Die schönsten Eisgebilde erzeugen sich an den Fenstern von Räumen, deren Luft verhältnißmäßig arm an Wasserdampf ist. So finden sich die unter 1, 2 und 3 beschriebenen Sterne, candirten Linien, Schilfstengel und Farrnwedel (Gestalten, die auch beim Reife vorkommen) gewöhnlich in unbewohnten Zimmern, in Vorsälen, Corridoren oder am äußeren Doppelfenster. Man kann an den Eisvorhängen von Außen fast so gut errathen, wie es im Innern des Zimmers hinsichtlich der Wärme und sonstigen Luftbeschaffenheit steht, als aus der Blankheit der Scheiben und der Vorhänge im Sommer sich die Tüchtigkeit der Hausfrau erkennen läßt.
Der Grund, daß sich in mehr trocknen, wenig erwärmten Räumen schönere Gestalten bilden, liegt darin, daß die spärlichen als Dampf zum Fenster gelangenden Wassertheilchen, welche durch die Kälte auf noch kleineres Volumen zusammenschrumpfen, sich gegenseitig Raum zur freien Entwickelung ihrer Form lassen. Alle Wesen bedürfen zu ihrer Entwickelung freien Spielraum; wird ihnen dieser von fremden Dingen oder von ihres Gleichen verengt, so ist meist Verkrüppelung oder Ausartung ihr Loos. Wenn in einer dunstigen Stube die Fensterscheibe, ehe es zum Gefrieren kommt, dicht mit Wassertröpfchen besetzt ist, so haben die daraus entstehenden festen Theile, zumal da sich das Wasser beim Gefrieren ausdehnt, nicht Platz und verkümmern sich gegenseitig in ihrem Gestaltungstriebe. Eine entsprechende Erscheinung gewahrt man beim Schmelzen von Schwefel oder Wismuthmetall in einem Tiegel. Beide Stoffe zeigen, wenn sie erstarren, keine deutliche Krystallisation, sondern nur schwache Andeutungen ihres Strebens nach einer solchen. Stößt man dagegen, sobald die Oberfläche des geschmolzenen Körpers erstarrt ist, ein Loch in diese feste [180] Decke und gießt den größern Theil des unter ihr befindlichen Flüssigen aus, so zeigen sich nach dem Erkalten einzelne, oft recht schön ausgebildete Krystalle.
Bedenkt man nun, daß am Fenster außer dem störenden Gedränge der gestaltungslustigen Wassertheilchen auch die Beschaffenheit des Bodens, auf dem sie erwachsen, störend einwirken kann, so begreift sich, daß selten regelmäßige Gestalten zum Vorschein kommen. Eine dünnere Stelle der Glastafel wird früher erkalten, als ihre Nachbarn und sich eigenwillig und voreilig beeisen; ein anderer Punkt der Glastafel ist etwas mehr fettig, besitzt also weniger adhärirendes Wasser und kann nicht nachkommen. Ritze, wie sie beim Abwischen der Glastafeln so leicht entstehen, bedingen die den gereiften Strohhalmen oder kurzästigen Tannen vergleichbaren Eisgebilde. Die geritzte Stelle ist dünner, erkaltet deshalb früher und füllt sich mit einem Eisstreife, aus dem, vielleicht von den seitlichen Splitterungen beginnend, Zacken herauswachsen. Daß aber die Gestaltungen des Fenstereises nicht ausschließlich von der Beschaffenheit des Glases bedingt sind, ist offenbar, da dieselbe Glastafel an demselben Tage verschiedene Gebilde zeigen kann.
Die unter 4 und 5 beschriebenen Gestalten bilden sich auf den Glasscheiben, welche sich, ehe sie zum Frostpunkte erkalteten, mit Thautropfen bedeckten, während die erstgenannten immer durch augenblickliches Erstarren des Dampfes zu entstehen scheinen. Man sieht an der nassen Scheibe von ihrem untern Rande aus feine Eislinien entstehen und in geschwungenem Verlaufe weiter rückend sich verlängern. Der zwischen ihnen befindliche tüllartige Grund erstarrt etwas später. Die eben entstandenen zarten Eislinien sind so dünn und durchsichtig, daß man sie nur bei schief auffallendem Lichte deutlich wahrnimmt. Gewöhnlich setzt sich aber bald schneeartiger Duft daran, der später oft auch die andern Stellen der Scheibe, aber dünner, bedeckt und durch seine verschiedene Dicke die Eisbilder ebenso deutlich macht, wie die dickeren Stellen der Lithophanien (durchscheinender Porzellanbilder, die man an’s Fenster hängt) die helleren hervortreten lassen.
Nicht selten sieht man an den Fenstern dampfarmer Zimmer die Eis-Productionen verschiedener Zeitabschnitte auf einer und derselben Scheibe deutlich abgegrenzt. Die unterste Zone, welche mit einem gezackten, waldsaumähnlichen Umrisse endigt, besteht aus dem verhältnißmäßig dichtesten Eisbelege; die zweite, oft von der erstern durch einen ziemlich breiten blanken Glasstreif getrennt, ist entweder aus Ruthengestrüpp oder aus zackigen Massen von Baumschlag oder Gewölk, oder aus einzelnen unregelmäßigen Sternen gebildet. Oft ist noch eine dritte Zone vorhanden, die vom oberen Rande des Glases nach unten wächst. Die später entstandenen Zonen bestehen deshalb aus dünneren Eisschichten, als die ersten, weil die Zimmerluft durch den ersten Niederschlag schon einen großen Theil ihres Wassergehaltes eingebüßt hatte, und nun die erste Schicht auch wieder mit beeist; so daß natürlich auf die zweite Lieferung weniger Material verwendet werden kann.
Die fertigen Eisfiguren werden oft theilweise umgewandelt und geben dann gewöhnlich großes Flechtenlaub, wenn der in der Nacht gebildete Eisbeleg während des Tages theilweise schmilzt und auf’s Neue erstarrt.
Aus dem bisher Erwähnten ergibt sich leicht, inwiefern die Beschaffenheit des Fenstereises vom Kältegrade der äußeren Luft und dem Feuchtigkeitsgehalte der Zimmerluft abhängt. Je weniger kalt die Atmosphäre und je trockner die Stubenluft ist, desto mehr in’s Einzelne frei gebildete Figuren, welche gewissermaßen Individuen darstellen, entstehen; je kälter dagegen die Atmosphäre und je dampfreicher die Zimmerluft ist, mit desto dichteren Vorhängen werden die Fenster verhüllt, auf denen dann nicht mehr einzelne Figuren, sondern verflossene Muster zu sehen sind. Darum sind zu Anfange und Ende des Winters die unter 1, 2 und 3 aufgeführten Formen häufiger, im Januar aber ist der Mohr und der Flechtengrund an der Tagesordnung.
Beim Abthauen, welches zum Schlusse noch kurze Erwähnung finden möge, bilden sich außen, und bei großer Kälte auch innen am Fenster Eiszapfen, deren Entstehungsweise und Form vollkommen den in vielen Höhlen vorkommenden Tropfsteingebilden entspricht, nur daß sich bei den letztern (auch Stalaktiten genannt) aus dem verdunstenden Wasser Kalk absetzt, während beim Tropfels das Wasser selbst erstarrt.
Immer thauen die obersten Scheiben zuerst auf, und an jeder einzelnen Scheibe schmilzt die obere Hälfte früher als die untere. Diese, das gerade Gegentheil zum Bethauen und Gefrieren bildende Erscheinung erklärt sich aus derselben Ursache, die dort besprochen wurde.
Warum das Eis des dem Ofen gerade gegenüber liegenden Fensters stets zuerst schmilzt, selbst wenn die Stubenluft in der [181] Nahe den Fensters noch eiskalt ist, ergibt sich aus der Lehre von der Wärmestrahlung, die im zweiten Capitel der Hausphysik, am warmen Ofen, besprochen werden möge. Diese Wärmestrahlen, welche die Luft durchführen, ohne sie zu wärmen, und nur an festen Körpern merklich werden, lassen sich durch einen zwischen Fenster und Ofen gestellten Schirm absperren.
Wenn der Eisbeleg der Fenster zu schmelzen anfängt, ist es leicht, einzelne Stücke desselben hin- und herzuschieben, aber schwer, ein solches Eisplättchen vom Fenster zu entfernen. Will man den Fingernagel darunter schieben, um es abzuheben, so weicht es mit der Gewandtheit eines Aalen aus, und die Kinder zerbrechen oft die durch den Frost ohnehin sprödere Fenstertafel über ihrem Bemühen, die mit Eis plattirte Fläche zu reinigen. Diese auffallend starke Adhäsion rührt daher, daß sich unter dem Eisfourniere eine Wasserschicht befindet, welche die Stelle des Leimes vertritt, indem sie die kleinen Vertiefungen des Glases ausfüllt und durch Ebenung der Glasfläche mehr Berührungspunkte zwischen Glas und Eis schafft. Aus demselben Grunde kleben zwei Glasscheiben, die an der Berührungsfläche befeuchtet sind, hartnäckig aneinander. Die Adhäsion ist nämlich zwar eine bedeutende Kraft, aber ihr Wirkungskreis erstreckt sich nur auf winzige Entfernungen; je glatter zwei Ebenen sind, desto mehr Berührungspunkte sind vorhanden, und desto mehr kann diese Kraft in Wirksamkeit treten. Darauf beruht das Spiel der Kinder, eine kleine Münze an der feuchten Fensterscheibe haften zu machen, was an dem trocknen Fenster nicht gelingt.
Damit hättest Du, lieber Leser, einen Abriß der Jahresgeschichte des Fensters. Ich besorge fast, das Lesen desselben hat Dich ermüdet und Du begehrst nach interessanteren Dingen. Betrachte Dir aber nur das hier in dürren Worten Geschilderte selbst, und nimm zumal Deine Kinder als Gehülfen der Beobachtung und Forschung; dann wirst Du finden, daß in solcher Hausphysik manche Ergötzlichkeit und Geistesübung verborgen ist. „Hoher Sinn liegt oft im kind’schen Spiel.“
Die Flößerei auf dem Rhein.
„Unter allen großen und kühnen Unternehmungen, zu denen die Gewinnlust den Menschen antreibt, kenne ich keine, die bedeutender und bewunderungswürdiger ist, als der Bau und die Behandlung einer solchen ungeheuren daher sich bewegenden Maschine, deren man sich auf dem Rheine vor allen andern Flüssen Europa's zum Holzhandel bedient.“ So heißt es in einer Reisebeschreibung, deren Verfasser drei volle Jahrzehende vor Einführung der Dampfkraft auf dem Rheine das Leben an den Ufern dieses schönen Stromes und auf seinen grünen Wellen sorgfältig beobachtete.
Seitdem hat die Physiognomie des Rheinhandels sich bedeutend geändert.
Kein Stapel nöthigt mehr den Schiffer, wider Willen seine Waare auf’s Land zu bringen und sie feil zu halten zu vorgeschriebenem Preise drei Tage lang zu Gunsten der kurkölnischen und kurmainzerischen Kaufleute, denen damals die gebratenen Tauben in den Mund flogen, ohne daß sie sich den Kopf viel zu zerbrechen brauchten, wie heute, um wohlhabend und reich zu werden. Kein Umschlagszwang hält mehr die Fahrzeuge auf der Thal- wie auf der Bergreise an, ihre Ladung andern Schiffen und anderen Schiffern zu übergeben, außer viel kostbarer Zeit noch viel Krahnen-, Wagen-, Hafen-, Lager- und derlei Gebühren, Wächter-, Besucher-, Träger- und andere Löhne und Trinkgelder für Schreiber und Tagediebe zu opfern. Keine Schiffergilde wacht heute noch, zum Verdruß der Kaufmannschaft, eifersüchtig über die alten Rechte, Gebräuche und Mißbräuche der großen und der kleinen Schifffahrt.
Denn „die Schifffahrt auf dem Rheinstrom, sowohl auf- als abwärts, soll völlig frei sein.“ So wollen es der Wiener Congreß von anno 1815 und der erste Artikel der Rheinschifffahrts-Acte von 1831.
Und so hat sich denn das jüngere Geschlecht die Freiheit genommen, gar manches anders zu machen, als es früher war.
Mit dem abgeschafften Stapel und Umschlagszwang sind Wind
1. Bettstellen der Küchenjungen und Brotschneider. 2. Küche. 3. Bäckerei. 4. Kammer des Oberkochs. 5. Waschhaus. 6. Werkstätte der Tischler, Zimmerleute und Küfer. 7. Geflügelbehälter. 8. Wohnung des Floßherrn. 9. Gang in derselben. 10. Speisezimmer. 11. Comptoir. 12. Schlafzimmer. 13. 14. Wohn- und Schlafzimmer des Floßherrn. 15. Bedientenzimmer. 16. Magazin für Lebensmittel des Floßherrn. 17. Offener Saal, öfter mit Blumen geziert. 18a. Abtritt. 18b. Biertonnen. 19. Sechs Hütten für die Ruderknechte, jede 50 Mann fassend. 20. Viehställe. 21. Schlachthaus. 22. Hütte für die sieben Mann am Kapständer. 23. Anhänge rechts und links. 24. Anker- und Taumagazin mit den Backeltönnchen, zur Bezeichnung der Plätze, wo die Anker ausgeworfen liegen. 25. Knieanhänge. – A. B. C. D. Steifstück oder Hauptstück des Floßes. E. F. T. U. V. W. X. Z. Knie des Floßes. G. Hinterste Ruderbank. H. Zufluchtsort bei einem Unglück, wenn die Kniee abgeworfen werden. J. Ruderbank auf dem ersten Knie. K. Rudermeisterbänke. L. Der Hauptständer, der wichtigste Baum auf dem Floße, der vermittelst der daran befestigten Taue zum Dirigiren und Landen dient. M. Steuerstühle. N. Steuerstuhlstiegen. O. k. Die Lappenbrücke mit den zum Landen nöthigen Tauen. P. Die Kapständer mit O, den Schillbäumen oder Schindeln in Verbindung und an R. und S. befestigt, zum Dirigiren in den Krümmungen des Rheins. – a b c d. Die Hundsmaue, nur gebraucht bei der gefährlichen Passage zu St. Goar, zur Direction der Steifstücke. e f. Streich- und Schormaste, um das Floß flott zu halten, wenn es vor Anker liegt. g. Junge Eichen zur Verbindung der Kniee mit dem Steifstück. h. Dicke Taue zur Verbindung der Knie mit dem Steifstück. i. Auf den Knieen befindliche Mauen zum Landen derselben, wenn sie abgeworfen werden müssen. l. Hütte, mit m. zwei Zimmern für die ersten Arbeiter. n. Schlafzimmer der auf das ganze Jahr gemietheten Arbeiter. o. Tisch und Bänke. p. Biertonnen für diesselben. q. Steuermannswohnung. r s. Proviantmagazin. t. Hütte mit den Schlafstellen der zu den Ankern gehörigen Mannschaft und der Ankerjungen. v. Hütte mit w., Wohnung der Wäscherin. x. Brotmagazin erster Qualität und Wohnung des Proviantmeisters. y. Magazin von Schwarzbrot, Mehl, Hülsenfrüchten, Speck, Käse u.s.w. w. z. Wohnungen der Fleischer, Unterköche, Küfer und Zimmerleute.
[182] und Segel so gut wie abgethan. An die Stelle der alten Schiffergilde ist die Geldmännergilde getreten, in deren Dienst auf dem Rheinstrom zehntausend Pferdekräfte ohne Pferde stehen, und statt des gelben Hafers jährlich viele hunderttausend Centner schwarze Steinkohlen von der Ruhr fressen.
Nun geht Alles geschwind, ohne Aufenthalt, und den Meisten doch noch lange nicht eilig genug. Nun ist Alles viel freier und leichter, nur weiß ich nicht, ob auch viel glücklicher.
Aber Eins ist gewiß: die Flößerei auf dem Rheine ist geblieben, wie sie war und was sie war. Kein Pariser Friede und kein Wiener Congreß haben daran gerüttelt. Der mächtige Dampf selber sieht sich von ihr verschmäht und von ihr beschämt.[1] Denn ein viel mächtigerer Schlepper als der Dampf dient der Flößerei, ein Schlepper, dessen Hochdruck zu Basel in der Schweiz 750 Fuß über dem Meere beginnt, und bis zur Nordsee auf einer Strecke von fast 120 deutschen Meilen wirksam ist: der uralte, ewig junge Stromfall.
Geblieben ist alles Floßgeräth und Fahrgeschirr, Tau- und Ankerwerk; geblieben sind die Nachen, die Nomadenhütten, das Nomadenvolk dieser schwimmenden Holzinseln im feuchten, grünen Strombette; geblieben sind seine Sitten und Gebräuche, seine Leiden und Freuden; geblieben das alte Commando, der alte Unterschied in Rang und Stand zwischen den zahlreichen Gliedern der Mannschaft. Selbst die Floßabgaben sind geblieben, wie unser Floßmeister behauptet, der Zoll, welchen der reiche Floßherr zahlen muß für die Benutzung des Riesenschleppers, der doch weder Hafer noch schwarze Steine frißt. Geblieben ist die Fickstange, mit welcher heute noch, wie im vorigen Jahrhundert, die Zöllner den kubischen Inhalt des gewaltigen Fahrzeuges ausklügeln, um darnach den Verzollungscentner der harten und weichen Hölzer, der Eichen und Tannen, für die herrschaftliche Casse zu berechnen.
Wenn Alles im raschen Wechsel und Wandel begriffen ist, da bleiben wir gern vor den Erscheinungen stehen, welche sich seit Jahrhunderten gleich und treu geblieben sind. Wir grüßen sie, wie alte liebe Bekannte, mit denen unsere Väter und Urgroßväter schon vertraut waren.
Eine solche alte liebe Erscheinung ist die Flößerei auf dem edlen Rheinstrome, von welcher wir unserm freundlichen Leser hier in Bild und Wort eine kurze Beschreibung geben, die seiner Aufmerksamkeit werth ist. Um ihn aber nicht zu täuschen, wollen wir vor Allem Eins nicht verschweigen.
Wenn nämlich der gute Pfarrer von Coblenz, aus dessen Reisebeschreibung vom Jahre 1790 wir den Eingang dieser Zeilen entlehnt haben, wenn er noch lebte, so würde er an der Form der heutigen Flöße etwas vermissen, das zwar in unserm Bilde beibehalten, in Wirklichkeit aber auch abgeschafft worden ist. Wir meinen die Kniee. So hießen die dem Hauptfloße vorangehenden, mit demselben leicht verbundenen kleineren Flöße, von denen weiter unten die Rede sein wird. Ohne Kniee sind die heutigen Flöße minder umfangreich, und der Leser wird nicht irre gehen, wenn er sich das ganze ihm vorgeführte Bild in seinen Einzelnheiten etwa um zwei Fünftel verjüngt, um den Maßstab zu erhalten, welcher auf die heutige Flößerei paßt. Es ist immer noch großartig und merkwürdig genug.
Zu den großen s. g. Holländerflößen, von denen hier die Rede ist, liefern der Schwarz- und Odenwald, der Spessart und Taunus, überhaupt die Waldgebirge und Holzgärten am Oberrhein und seinen Hauptnebenflüssen, am Main und Neckar und vielen Floßbächen, die sich in diese ergießen, alljährlich ihre Contingente. Um das Stammholz von den höheren Bergen herabzuschaffen, baut und unterhält man künstliche Holzrutschen, in denen man die behauenen Bäume über Schluchten und von steilen Abhängen jäh hinuntergleiten läßt, und künstliche, durch Dämme erzeugte Floßseen, in denen man die Wasser anschwellt, die Hölzer ansammelt und im Frühjahr die Dämme einreißt, so daß Wasser und Wald wild heruntertoben.
Ein Hauptfloß besteht aus vielen kleineren herbeigeschwemmten Flößen, die theils zu Mannheim, theils zu Mainz zu größeren Ganzen verbunden und zu Coblenz und Andernach vollständig ausgebaut, verproviantirt und ausgerüstet werden. Die Länge des Floßes wird nach Masten von circa 70 Fuß berechnet, und beträgt 500 bis 600 Fuß. Die Anlage des Grundes wird entweder blos mit den specifisch leichteren Tannen oder gemischt mit schwereren Eichen vorgenommen. Sie werden am hinteren Floßtheil mit s. g. Bundsparren oder Murgtannen befestigt, welche man quer über den Grund legt und durch s. g. Wittzöpfe oder gedrehte Weidenstränge mit den einzelnen, zu diesem Zweck am Ende durchlöcherten Bäumen, sowie durch eiserne Klammern und Blocknägel verbindet. An ihrem vorderen Ende werden die Bäume ebenfalls mit Wittzöpfen an einander gebunden. Ueber den fertigen Boden werden Eichen und Tannen gelagert, und die s. g. Bettingsmasten quer über die Breite des Floßes mit starken den Grund umspannenden Tauen angebracht. Hierauf legt man die s. g. Brücke am hintern Ende des Flosses an, eine aus Brettern gebildete Strecke, auf welcher die zusammengerollten Taue lagern, deren das Floß zu Leitung und Landung bedarf. Dann werden die Knechts- und Provianthütten, die Küchen und Herrenhütte aus Tannenbrettern errichtet. Endlich wurden die erwähnten Kniee, deren unsere Abbildung zwei darstellt, angelegt. Nicht selten baute man drei bis vier solcher Kniestücke, welche für das Floß, was der Schwanz für den Fisch, nur mit dem Unterschied, daß das Floß den Schwanz da sitzen hatte, wo dem Fisch der Kopf sitzt. Schließlich richtet man am vorderen wie am hinteren Theil des Floßes eine Reihe von je 20 bis 25 langen Rudern, von denen jedes zu seiner Handhabung 4 bis 5 Mann bedarf, und fügt längs den Seiten des Floßes die s. g. Anhänge hinzu, d. h. locker mit dem Floßkörper verbundene Bäume, welche zum Schutze des Hauptfloßes dienen und beim Anfahren gegen Felsen oder in ähnlichen Fällen den Stoß brechen und losgelassen werden können.
Die Kniee wurden vom Hauptfloß aus durch lange, starke Taue, die s. g. Kapständer, je nach den Wendung des Stromes, bald rechts, bald links gerichtet, und gaben dadurch dem Hauptkörper selbst die nöthige Wendung. Sie sind durch die Händearbeit der gemeinen Flößer ersetzt, welche auf den Ruf des Steuermanns bald rechts,.bald links mit ihren Rudern einschlagen, je nachdem ihnen „Hessenland“ oder „Frankreich“ zugeschrieen wird. – Die besser besoldeten Arbeiter, die Jahres- und Ankerknechte, lenken den hinteren Theil des Floßes bald durch eine ähnliche Rudervorrichtung, bald durch die Anker, welche während der Fahrt entweder auf die Ufer oder, wo der Strom Sand führt, im Fahrwasser selbst ausgeworfen, wieder gelichtet und wieder ausgeworfen werden, indessen ein Theil der Mannschaft die um den großen Bettingsmast geschlungenen Ankertaue nachschießen läßt. Damit sich dieselben während dieser Arbeit durch die Reibung nicht erhitzen, müssen sie fortwährend mit Wasser begossen werden. An solchen Tauen, die eine Länge von 150 bis 200 Klaftern und fast Armesdicke haben, führt ein Floß wohl ein Dutzend. Ein einziges Tau dieser Art hat einen Werth von 400 bis 500 Gulden. Außerdem sind 40 bis 50 andere von verschiedener Stärke und Schwere und ein Dutzend Nachen (die s. g. Postwagen) erforderlich, um Anker und Tauwerk zu regieren. In den unteren Gegenden des Rheins läßt man zur Vermeidung der Untiefen mehrere Anker durch das Floß auf dem Grunde fortziehen, was Grasen genannt wird. Die ganze Mannschaft ist 250 bis 300 Köpfe stark. Das Commando wird ihr während der Fahrt von den zu beiden Seiten am hintern Ende des Flosses errichteten Steuerstühlen, der s. g. Kanzel, durch den Steuermann, der überhaupt alle Arbeiten und Manöver leitet, bald durch Zurufen, bald durch Schwenkung des Arms gegeben.
An Proviant rechnete man früher für die Fahrt nach Holland bei einer Bemannung von 500 Köpfen 40 bis 50,000 Pfund[WS 1] Brot, 15 bis 20,000 Pfund Fleisch, 10 bis 15 Centner Butter, 8 bis 10 Centner geräuchertes Fleisch, 30 bis 40 Malter Hülsenfrüchte, 8 bis 10 Malter Salz, 500 bis 600 Ohm Bier, 3 bis 4 Stückfaß Wein und eben so viel von einer geringeren Sorte, um ihn in Nothzeiten und bei anhaltender Arbeit dem „Volke“ zu geben. Heute ist ihm der Brotkorb höher gehängt, er ist aber nach wie vor noch immer das Zeichen zum Mahle. Wenn der Koch den Korb an der Küchenstange in die Höhe hißt, hat die ersehnte Stunde geschlagen.
Den besten Beweis für die Größe der Flöße im vorigen Jahrhundert liefert der Umstand, daß die Rheinschifffahrts-Verwaltung für Mannschaft, Provision, Anker und Geräthschaften einen Abzug von 6000 Centnern, die nicht verzollt wurden, gestattete.
[183] Das Innere der Hütten ist wenig adweichend. In der Herrenhütte sind Tisch und Bänke aus Tannenholz leicht zusammengezimmert, neben dem Wohnzimmer in der Regel ein Bureau, die Casse, ein oder zwei Schlafzimmer mit guten Betten. In den Knechtshütten ist Stroh und Bettzeug gemischt, und in den Hütten der Tagelöhner eitel Stroh zum Lager hingestreut.
Jedem großen Floße voraus fährt der Wahrschauer, über dessen Nachen ein Fähnlein mit 16 schwarz-rothen Feldern weht; er wahrschaut Schiffe und schwimmende Mühlen, daß sie vor dem herabkommenden Floße auf ihrer Hut sind.
Der Floßherr kommt nur selten an Bord. Man kann sich aber wohl denken, daß ein nicht geringer Grad von kaufmännischer Bildung, daß Menschen- und Sachkenntniß dazu gehören, Hunderte von Leuten jährlich auf dem Wasser und in den Waldungen nützlich zu beschäftigen und ein Capital von vielen hunderttausend Gulden vortheilhaft umzuschlagen. Ein einziges großes Floß hat leicht einen Werth von 100 – 150,000 Gulden und darüber. Es gehen aber alljährlich viele solcher Flöße für Rechnung der Trierer, Mainzer und Mannheimer Floßherren den Rhein hinunter, hauptsächlich um in Holland, das bekanntlich holzarm ist, zum Schiffs- und Häuserbau verwendet zu werden.
Die Welt wurde kürzlich in Erstaunen gesetzt durch die genaue Schilderung der Leitung, welche einer Armee von 300,000 Mann mit einem furchtbaren Kriegsmaterial von Einem Menschen zu Theil geworden, der, entfernt vom Schauplatz des Kampfes, diese riesigen Mittel mit fester Hand und klugem Sinne zu leiten verstand. Wie viel staunenswerther wäre doch solche Thatsache, wenn es sich nicht um Werke der Zerstörung und des blutigen Kampfes, sondern um Werke des Friedens und der Arbeit handelte! Ist nicht jener Minister ein fürchterlicher Mann?
Unsere Floßherrn sind keine Kriegsminister, aber auch sie führen einen furchtbaren Kampf; ihre Flöße sind Zeugen einer grimmigen Zerstörung. Man könnte das auch beklagen. Daß der Mensch doch ewig und überall vernichten muß: dort seines Gleichen, hier Waldherrlichkeit und einsame Stille!
Wenn Euch am Bord eilender Dampfer im Anblick dieser schwimmenden, gefällten Wälder so Etwas beschleicht, dann wendet Euren Blick zu jenen grünen Rheinbergen, auf die die Sonne herablacht und der blanke Regen niederrieselt, wo Millionen Bäume emporstreben und nach ihnen aber Millionen; laßt Euch die Wanderlust darüber nicht ausgehn, sondern seid fröhlich und bewundert mit meinem guten Coblenzer Pfarrer den Menschen selbst da, wo er zerstören muß, um aufbauen zu helfen am großen Ganzen.
In einem chinesischen Theater. Wir haben bereits früher behauptet, die Chinesen seien eine sachgebildete und die älteste Cultur-Nation. Daß sie deshalb auch Theater haben, versteht sich von selbst. Das Theaterwesen blüht dort in einer Breite und Volksthümlichkeit, wovon wir hier mit unsern stehenden Stadt- und Hoftheatern keine Ahnung haben. Theatergesellschaften von Profession und Liebhaber durchziehen das Land, stecken einige Pfähle in die Erde, nageln Bretter dran, behängen sie kostbar mit grell- und hellgefärbten Zeugen, und das Theater im Freien, mit stets freiem Entrée für die Armen, ist fertig. Ein französischer Marine-Officier, der ein solches Theater bei Canton besuchte, schildert es in folgender Weise.
„An dem Ende einer Straße bemerken wir einen ungeheuren Hof mit Pfählen und Brettern und dichtgedrängten Volksmassen, begrenzt von dem weiten Hafen und den Schiffen Cantons im Hintergrunde, hinter der Bühne. Wir sahen gleich, daß es nicht möglich sei, durch das dichtgedrängte Parterre (den Hof) einzudringen. Mein Begleiter war des Chinesischen so mächtig, daß er die Bewohner eines anliegenden Hauses überredete, uns für eine Kleinigkeit einzulassen. Von diesem Hause erreichten wir eine der Logenreihen, die in schwankenden Brettern an eingerammten Pfählen hingen, einige Bänke und einen hübschen Ueberblick.
„Das Theater war so eingerichtet. Eine länglich runde Einzäunung, umgeben von Logen und diese mit Gallerien bedeckt, nahm die zahlenden Zuschauer auf. Die Bühne, eine Reihe von Brettern, auf Stangen gebunden, so daß darunter noch freier Raum in den Hafen hinunter blieb, war mit hellgefärbtem Tuche bedeckt. Sie füllte einen Winke! des viereckigen Platzes und dehnte sich an der einen Seite bis nach dem Wasser aus. Hinten bildete ein Bretterverschlag von einem Hause zum andern den Abschluß. Nur ein einziges Thor in dem Bretterverschlage diente dem umsonst zugelaufenen Parterre-Publicum als Ein- und Ausgang. Als wir unsere Sitze erreicht hatten, war gerade Pause, die von einem Jongleur und seltsam rauschender Musik ausgefüllt ward. Ersterer kletterte eine Leiter so hinauf, daß er sich wie ein Strick zwischen den Sprossen hindurchflocht. Er sprang rückwärts über Stühle, kratzte sich mit den Zehen hinter den Ohren oder küßte seine Fußsohlen unten im Stehen u. s. w. Dies hatte nicht viel Reiz für mich. Deshalb erwiderte ich die ungeheuere Aufmerksamkeit, die uns einzigen Europäern unter den gelben, schlitzäugigen Tausenden geschenkt ward, durch emsiges Studium dieser Scene vor der Bühne. Als Franzose bemerkte ich natürlich unter diesen gravitätischen, zahllosen chinesischen Häuptern, mit konischen Hüten oder Lederkappen bedeckt, einige wunderschöne Exemplare des weiblichen Geschlechts mit glänzend aufgethürmtem Haarputz, Blumen und goldenen Nadeln, die gar reizend gegen den schwarzen Glanz ihrer Flechten und Touren abstachen. Vornehme Damen besuchen keine öffentlichen Plätze, aber diese erschienen mir, wenn nicht vornehm und kostbar, doch sehr nett und sorgfältig gekleidet. Ihre Füßchen waren die kleinsten von der Welt, aber nicht verschnürt und verkrüppelt, wie bei den vornehmen Damen. Dabei glänzten ihre kleinen, an beiden Seiten der Nase gleichsam herunterhängenden Schlitzaugen so schelmisch, daß ich in Gefahr kam, mich in alle zu verlieben. Besonders anziehend erschienen mir drei junge Mädchen in der einen Ecke. Deren Beschützer oder Liebhaber schienen dies zu merken und zeigten daher nicht undeutliche Besorgniß, daß wir uns ihnen nähern würden. Sie selbst schienen Gefallen an unserer Aufmerksamkeit zu finden und knusperten ihre Früchte und Zuckersachen, die ihnen die Beschützer von umherwandelnden Hökern erstanden, mit ganz anmuthiger Koketterie. So knusperten auch viele ehrwürdige Männer. Andere rauchten aus ihren kleinen Metallpfeifen mit ganz kleinen Köpfchen, in welchen nur drei ordentliche Züge Tabak Platz finden, so daß der dabei stehende Bediente immer wieder zu stopfen und anzubrennen hat.
„Das Theater-Publicum interessirte uns sehr, besonders aber das Parterre. Man denke sich einige Tausend gelbe Chinesen, größentheils nackend bis an die Taille, (um die Kleider nicht zu zerscheuern) ihre langen, schwarzen Zöpfe um den Hals gewickelt, um sie im Gedränge zu schonen, ein dichtes Meer geschorner Köpfe mit dem schwarzen Zopfflecken, sich drängend und quetschend und wogend – ein einziger ungeheuerer Block von Menschen, alle von derselben Farbe und Form und Physiognomie, wie ein durch Multiplicationsgläser unendlich vermehrter und wiederholter Kopf, jetzt ruhig, jetzt aufkreischend in Gelächter oder Entrüstung, jetzt still stehend, dann wogend und schiebend wie ein lebendiges Ungeheuer, vorwärts, rückwärts, wieder vorwärts, so daß die ganz vorn am Bühnengerüste Festgeklammerten losgequetscht und in das Wasser hinunter geschoben werden oder unter der Bühne stehen bleiben und vergebens versuchen mußten, durch die Bretter über sich zu sehen! Ach und diese unzähligen Massen von Plattnasen und lachenden Schlitzaugen, die bei jedem besonderen Vorfalle oder merkwürdigen Ereignisse auf der Bühne auf uns gerichtet waren, zu sehen, was wir dazu für Gesichter machen würden!
„Und was machte das Spiel für’n Eindruck auf uns? Nicht der Rede werth, denn ich verstand wenig oder gar nichts davon, so daß ich mich nur an die Mienen der Mimen und deren Kostüme halten konnte. Diese waren mir allerdings seltsam genug. Nachdem der Jongleur den Zwischenact ausgefüllt hatte, schritten drei kostbar gekleidete Personen in langen Roben und schrecklich buntgestreiften Gesichtern hervor. Der eine trägt zwei Federn in Hörnerform auf dem Hute. Er setzt sich an einen Tisch, während sich die Bühne mit Staatsministern, Gelehrten, Mandarinen. Richtern u. s. w. füllt, die sich in zwei Reihen aufstellen. Die reichen, kostbaren, mit Gold und Silber besternten Roben, die schweren Flügel an Kopfbedeckungen, diese Flaggen und Wimpeln, die um die meisten Personen herumflattern, und besonders die schwarzen, weißen, rothen und gelben Streifen in den Gesichtern erinnerten mich an alte chinesische Gemälde. Ich erfuhr dann auch, daß diese Costüme und Gesichtsmalereien ganz getreue Copie uralter chinesischer Trachten und Sitten des Hofes seien. Die streifige Schmiere in den Gesichtern verrieth je nach Fülle und Reihenfolge der Farben die verschiedenen Hof- und Beamtenwürden, so daß man es tatsächlich Jedem an der Nase ansehen konnte, ob er wirklicher oder unwirklicher Geheimerath und dergleichen war.
„Die an dem Tische sitzende Majestät schien eine Untersuchung über einen seiner Beamten zu führen und ihn dann anzuklagen. Der Angeklagte, schwarz gekleidet, also ein Gelehrter, verließ sofort seinen Platz, warf sich vor der Majestät auf den Boden und murmelte und heulte steinerweichend, aber nicht um seinen Kopf, den er heulend wiederholt gegen die Bretter stieß. Der Kaiser und Richter aber blieb gegen diese ernstlichen Versuche des Gelehrten, sich den Kopf zu zerbrechen, ein ganzer Richter und unbeugsam. Feierlich und steinern fällte er seinen Strafspruch, zu welchem die Umstehenden wiederholt einen scharfen, kurzen Schrei des Uebereinstimmens ausstießen. Nachdem das Urtheil gefällt war, stürzte sich kreischend und jammernd ein Weib (von einem Jungen gespielt, da Frauen, wie ich hörte, die Bühne nicht betreten) herein und dem Kaiser zu Füßen, aber vergebens sucht sie, ehe der Act endet, die harten Richter zu erweichen. Jedenfalls ist’s ihr in den folgenden gelungen. Ich wartete diese nicht ab, da mich die Pflicht auf mein Schiff zurückrief.
„Das Stück gefiel dem Publicum über die Maßen. Der Beifall war häufig, stürmisch und allgemein und überkreischte sehr oft die dazwischen einfallende gräßlichste aller Musiken auf metallenen Trommeln, Tam-Tams, Gongs und wie die schrecklichen Ohrmarterinstrumente sonst heißen.
„Was aber meine sonst nicht eben schwachen Nerven am meisten angriff, war die Mimik der teufelisch bemalten Schauspieler. Zu ihren kreischenden, [184] zischenden, mißtönigen Ausrufen und Declamationen traten die Augen brennend und stier aus dem Kopfe heraus, schauderhafter Anblick, schief wie sie waren und aus den grell gestreiften Gesichtern! So fern, wie sie uns waren, bemerkt’ ich doch deutlich, wie ihnen die Adern an Stirn und Hals dabei anquollen und fieberisch herausklopften. Jedenfalls spielten sie mit wirklichem, feurig gefühltem Pathos und nicht mit anstudirter Kunst, nach unsern Begriffen zwar roh und übertrieben, aber entschieden so, wie es das Publicum für schön und ausdrucksvoll hielt.“
Diese wandernden Theater sind ungemein häufig und populär. Man kann sie natürlich eben so wenig zum Maßstabe der chinesischen Schauspielkunst und der Cultur machen, wie wir die deutsche Dramatik nach dem Thespiskarren kleiner Provinzialstädte und wandernder Truppen beurtheilen. Was wir hier schilderten, war eben nichts mehr und nichts weniger, als ein Stück wirklichen chinesischen Volkslebens.
Ein neuer unterseeischer Vulcan wird vom Capitän Newell vom Wallfischfänger „Alice Frazier“ im San Francisco Herald also beschrieben: „Als ich am 25. Juli 1856 in Begleitung mehrerer Schiffe durch die Meerenge von Onnimach, einer der ale-utischen Inseln, fuhr, bemerkte ich eine heftige vulcanische Thätigkeit, indem mehrere Berggipfel der benachbarten Inseln bedeutende Massen schwarzen, dicken Rauches auswarfen.
Im Begriff, mit mehreren anderen Wallfischfängern die Ostspitze der Insel zu umsegeln, geriethen wir fast gleichzeitig an den Fuß des Vulcans, und hatten hier Gelegenheit, die furchtbare Erscheinung genauer zu beobachten, und das lange und dumpfe Getöse des Erdbebens deutlicher wahrzunehmen, das wir schon vorher an mehreren auf einander folgenden Stößen bemerkt hatten, zumal als jetzt der Wind plötzlich in seiner Heftigkeit nachließ, und eine Windstille eintrat, während welcher wir ganz der Gefahr des Ausbruchs ausgesetzt waren. Die Eruption ward bald schwächer, bald stärker, nach einigen Stunden aber so heftig, und das Tosen der Elemente so furchtbar, daß für uns wenig Hoffnung blieb, fortsegeln zu können. Bei völliger Windstille schoß ein schwarzer, dicker Rauch in gerader Richtung empor, ohne nur um eine Linie von seiner Bahn abzuweichen. Die ausgeschleuderte Masse vertheilte sich hierauf allmählich in kalte, graue Wolken, deren Aschenmassen schneeflockenartig herabfielen, aus der Ferne aber den Anschein eines Strichregens hatten. Es mochte 12 Uhr sein, als wir durch einen leichten Wind der nahen Gefahr entrissen wurden; wir spannten alle Segel auf und flohen. Derselbe Wind trieb aber auch die große Aschenmasse auf die Meeresfläche, und es entstand eine so vollständige Finsterniß, daß wir gar kein Land mehr sehen konnten. Später erfuhren wir, daß sich diese Dunkelheit über 100 engl. Meilen weit erstreckt haben soll. Gleich einem Schneeorkane fiel nun die Aschenmasse auf uns und hüllte Alles vom Deck bis zum Mastkorbe in einen grauen Staubmantel, so daß alle Jene, welche diesem Unwetter ausgesetzt waren, fast erblindeten, ja, da der Aschenregen von Minute zu Minute immer dicker ward, wir Alle in Gefahr geriethen zu ersticken. Zum Glück nahm der Wind zu, wir segelten westwärts, und verließen die Unglücksstelle, welche uns mit dem Schicksale des Plinius bedrohte. Als es endlich um uns wieder hell ward, hatten wir viele Mühe, uns von der Asche zu reinigen. Letztere glich der Steinkohlenasche.
Aber der erhabenste Augenblick des Schauspiels war noch nicht vorüber. Als der Wind sich verstärkte und die Wogen höher giengen, kamen vier andere Schiffe herbei. Eben, als sie sich dem Nordrande des Berges näherten und mit Staunen das Aufwallen über ihren Häuptern betrachteten, vernahmen sie ein langes, dumpfes Rollen unter sich, ein Getöse, welches sich kurz darauf in dem Hervortreten eines außerordentlich großen und furchtbaren Vulcans, inmitten der versammelten Schiffe, kund gab. Die Wogen kochten wild und regellos im Tumult empor, schossen darauf als glänzende Wassersäule auf und stürzten zuletzt in sich selbst zusammen. Nur langsam beruhigte sich dieser Aufruhr. Doch plötzlich sah man aus dem geöffneten Boden unter einem furchtbaren, Alles erschütternden Donner einen Flammenstrom mit Rauch gen Himmel auffahren, gleich als wollten die Feuer des Erdinnern hier ihren Ausgang nehmen. Nun spie der Vulcan Lava und Bimstein, oft in Stücken wie große Kugeln, aus und überschüttete damit alle Schiffe mehr oder weniger, versetzte aber auch die Mannschaft in die größte Todesangst. In die Luft geschleudert zu werden, oder in die Tiefe des Meeres zu versinken, Beides drohte gleich sehr. Doch auch dieser Ausbruch ging schnell vorüber, fast so unvermuthet, wie er eingetreten war. Die Wogen stürzten in weiten, dem Malstrome zu vergleichenden Wirbeln, in den geöffneten Schlund. Die Schiffe entflohen und überließen den Vulcan seinem wechselnden Zustande von auf einander folgenden Ausbrüchen und ruhigen Pausen, begleitet von unterirdischen Donnern, deren Zwischenpausen die verschiedenen Phasen seiner Entwicklung verkündigten.
Musicirende Fische. Wer eine neue Art von Musikanten kennen lernen will, noch dazu solche, von deren Ton- und Stimmlosigkeit man bisher die festeste Ueberzeugung hatte, der mache einen kleinen Abstecher nach Ostindien. Dort hört man in der Nähe von Salsette und der Insel Siuri bei Sonnenuntergang wirklich musikalische Töne, von denen man auf den ersten Augenblick glaubt, daß sie von einer entfernten durch den Wind herübergetragenen Musik herrühren. Allein ein aufmerksames Ohr wird nur auf kurze Zeit in dem Wahne bleiben, es seien die aushaltenden Töne einer wohlklingenden Glocke oder die letzten Accorde auf einer Aeolsharfe. Denn von allen Seiten läßt sich der langgezogene Ton gleichmäßig, wenn auch gleichsam durch große Entfernung gedämpft, vernehmen; deutlicher, wenn man das Ohr auf den Boden des Schiffs oder an die Oberfläche des Meeres legt. Doch sieht man auf dieser weit und breit nichts, was die Veranlassung zu jenen Tönen sein könnte; es müssen also wohl die Musikanten, da sie sich nicht über dem Wasser befinden, unter demselben stecken. Und so ist es. Die Bewohner jener Inseln bezeichnen einen an Größe und Gestalt unserm Barsch ähnlichen Fisch als den Urheber der angenehmen Musik. Dieser soll sich in ungeheurer Menge in jenem Theil des Meeres aufhalten, vielleicht deshalb, weil dasselbe dort schlammig und seicht ist, daher auch von Schiffen und größeren Meerfischen, namentlich Wasserpiraten, nicht beunruhigt wird. Gelingt es die lebendig gefangenen Exemplare dieser Fischart zu erhalten, so dürfen wir bei sorgfältiger Beobachtung vielleicht merkwürdigen Aufschlüssen entgegen sehen. Wer aber die Möglichkeit solcher Fischleistungen überhaupt bezweifelt, der sehe sich nur in der Natur um: wie vielen lebenden Wesen, selbst unter den Menschen wohl nicht wenigen, ist den größten Theil des Jahres hindurch die Stimme versagt oder scheint mindestens versagt zu sein, bis mit dem neuen Frühling die neue Liebe auch neues Leben hervorruft. Sollte nicht die Macht der Liebe den selbst im größten Schmerze stummen Fisch beredt machen können, und wenn auch nicht alle, so doch die eine oder andere Art?
Literarisches. „Wenn eine Riesenhand die ganze Alpenkette entwurzelte und in die Tiefe des Oceans versenkte, so wurde sie spurlos im Abgrunde verschwinden und die Oberfläche der Gewässer kaum merklich erhöhen. Ja ein ganzer Welttheil wie Asien oder Amerika, erscheint uns klein, wenn wir ihn mit der Unermeßlichkeit des Meeres vergleichen, welches an Größe alle Continente und Inseln fast dreimal übertrifft.“ – Mit diesen Worten leitet der bekannte Badearzt in Ostende, Dr. Hartwig, sein kürzlich erschienenes Werk: „Das Leben des Meeres“ (Frankfurt a. M., 1857.) ein. Er liebt das Meer, „wie nur der Schweizer seine Alpen lieben kann,“ und in der That sein Buch legt ein ehrendes Zeugniß seiner Liebe zu dem oceanischen Leben und Weben ab. Es !iegt darin eine wirklich glückliche Vereinigung von wissenschaftlichem Ernst und poetischer Auffassung wie Darstellung und man wird bei der Lectüre unvermerkt von Seite zu Seite geführt unter den genußreichsten Stunden. Die erste Abtheilung gibt die physikalische Geographie des Meeres und spricht über seine Ausdehnung, Tiefe, Küsten, Farbe, Eis, Salzgehalt, Wellen, Ebbe, Fluth, Strudel und Strömungen, Winde etc. Der zweite Theil spricht über die Bewohner des Meeres von Wallfischen und Seebären bis zu den Infusorien herab, von der Pflanzenwelt und den unterseeischen Landschaften etc.
Die dritte Abtheilung liefert die Geschichte aller Entdeckungsreisen zur See von den Phöniciern bis auf unsere Zeit. Gewiß wird der rastlos grübelnde Forschergeist der Menschen in diesem unermeßlichen Wasserreiche tausende von Entdeckungen später noch machen, aber das bisher schon Erworbene mühsam der ewig kreisenden Fluth Abgerungene verdient schon zum weitesten Gemeingut zu werden. Das Hartwig’sche Buch bietet ihm auf 26 Bogen Gelegenheit zu dieser Umschau in der unendlichen Wassermenge, und wir können diese Gelegenheit als eine gute nur empfehlen. – Viel Heiterkeit erregt in naturwissenschaftlichen Kreisen die Schilderung der Naturforscherversammlung in Wien in Westermann’s Monatshefte. Wie konnte das sonst mit Geschick redigirte Journal einen Artikel aufnehmen, der nur um der Eitelkeit eines bekannten schriftstellernden Mediciners willen geschrieben ist, der von der Wissenschaft vollständig negirt wird. - Auerbach’s neueste Dorfgeschichte: „Barfüßele,“ von der Anfangs viel Lärm geschlagen wurde, wird von der Kritik durchgängig als ein durchaus verfehltes Product bezeichnet, das zwar, wie sich bei einem solchen Autor von selbst verstehe, einzelne Schönheiten habe, als Ganzes aber matt und unnatürlich sei. Selbst seine literarischen Freunde müssen das Buch als eine nicht sehr gelungene Leistung bezeichnen. – Glaßbrenner’s Zeitschrift: Ernst Heiter scheint trotz des Verbotes in Preußen einen guten Erfolg zu haben, wenigstens kündigt der Redacteur das Fortschreiten des Blattes in ganz witziger und heiterer Weise an.
Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal und ersuchen wir die geehrten Abonnenten ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.
- ↑ Die Dampfschiffe dürfen, wenn sie einem Floße begegnen, nur mit halber Kraft fahren, damit der Wellenschlag ihrer Räder dem Floße keinen Schaden bringt.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Punfd