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Die Gartenlaube (1856)/Heft 41

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1856
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[549]
Die Rechte des Herzens.
(Fortsetzung)

„Gut, Georg; nur um eins bitte ich Dich,“ sagte Mutter Collin, indem sie ihrem Gatten das Brillenfutteral überreichte.

„Was willst Du?“

„Sei nicht zu hart mit dem armen Mädchen, und schone Herrn Adolf, wenn Du von ihm sprichst.“

„Ich weiß, was nöthig ist. Hast Du Dich getäuscht, wie ich glaube, so bleibt Alles beim Alten. Jetzt gehe und schicke mir unsere Tochter.“

Mutter Collin entfernte sich. Der alte Uhrmacher setzte die große Hornbrille mit den dunkelblauen Gläsern auf die Nase, denn mit ihrer Hülfe verstärkte er die schwache Sehkraft ein wenig, die ihm noch geblieben war, so daß er die Umrisse der Gegenstände in seiner unmittelbaren Nähe gewahren konnte. Gleich darauf erschienen Mutter und Tochter. Melanie eilte zu dem Vater, der in seinem Lehnstuhle saß, und küßte ihm, wie sie stets pflegte, wenn sie eintrat, die Stirn. Mutter Collin holte ein Packet Strickgarn aus dem Schranke, und legte einen Theil davon um die ausgebreiteten Hände Melanie’s; dann setzte sie sich ihr gegenüber und wickelte einen Knäuel. Es war dies das geeignetste Mittel, den ihr angedeuteten Zweck zu erreichen. Melanie hatte keine Ahnung von dem, was man mit ihr beabsichtigte. Vater Collin hielt sich für einen klugen Mann, und hier glaubte er, seine Klugheit im hellsten Lichte zu zeigen. Uebrigens war er von Herzen gut, wenn auch ein wenig heftig. Nachdem er wohl fünf Minuten nachdenkend die Decke angesehen, glaubte er den geeigneten Anknüpfungspunkt gefunden zu haben.

„Mutter,“ begann er, „unser stiller Miethsmann hat Dir also diesen Nachmittag seine Wohnung aufgekündigt?“

Die Alte nickte mit dem Kopfe.

„Das ist mir nicht lieb,“ fuhr der Vater fort; „er ist ein pünktlicher Zahler, und lieferte uns einen hübschen Beitrag zu unsern Ausgaben. Ich möchte wohl wissen, was für einen Grund der sonderbare Mensch dazu hat. Nun, meinetwegen mag er ziehen, wir werden schon einen andern Miethsmann bekommen.“

„Wie, Herr Mölling will ausziehen?“ fragte Melanie überrascht.

„Ja, mein Kind!“

Das junge Mädchen ließ die Hände sinken, und sah die Mutter an; aber ihre Züge verriethen nur Ueberraschung und nicht Schrecken, wie die beiden Inquisitoren erwartet hatten. Dann hob sie die Hände mit den Fäden wieder empor.

„Wie gesagt,“ begann der Uhrmacher nach einer Pause wieder, „ich habe nichts dagegen; nun werde ich auch das melancholische Geigenspiel nicht mehr hören, das mich so oft trüb gestimmt hat. Ja, wenn er lustige Weisen gespielt hätte, so wäre es eine Unterhaltung für mich gewesen! Die Nähe eines Menschen, der ein leidendes Gemüth hat, taugt nicht für einen Blinden.“

„Ach Gott, wenn wir nur nicht so arm wären!“ seufzte Melanie.

„Warum? Beklage ich mich darüber?“

„Das eben, lieber Vater, macht mir Kummer. Ich möchte Ihnen so gern ein sorgenfreies, freundliches Leben bereiten; aber meine Arbeit wird ja so schlecht bezahlt - -“

„Und mir macht es Kummer, mein liebes Kind, daß Du Dich für Deinen blinden Vater so abmühen mußt, daß Deine schönsten Jahre unter angestrengtem Arbeiten vergehen. Ach, uns hat ein trauriges Loos betroffen! Doch, fasse Muth, wie ich; der Himmel wird schon sorgen.“

Mutter Collin begriff, daß sie dem Gespräche eine andere Wendung geben mußte.

„Melanie,“ begann sie, „würdest Du Dich wohl entschließen, nach Moskau zu gehen, wenn Du dort so glücklich würdest, daß Du unsere Noth beseitigen könntest?“

„Nach Moskau?“ flüsterte das junge Mädchen bestürmt.

„Mutter, was schwatzest Du für Zeug?“ fuhr der Uhrmacher auf.

„Ich meine ja nur!“

„Um Gottes willen, Mutter, wie kommen Sie auf Moskau?“ fragte Melanie mit zitternder Stimme.

„Holla,“ dachte Vater Collin, „mir scheint, die Alte hat den rechten Fleck getroffen, ohne es zu wissen. Frau,“ sagte er laut, „es ist wahr, wie kommst Du auf Moskau?“

„Ich habe gehört, Herr Mölling wird bei einem russischen Fürsten in Moskau Kapellmeister, und erhält einen Jahresgehalt von tausend Rubeln. Der Fürst hält sich gegenwärtig in Genf auf; aber in acht Tagen will er abreisen, und seinen neuen Kapellmeister mit sich nehmen. Da habt Ihr den Grund, der ihn veranlaßt, seine Wohnung zu kündigen.“

„In acht Tagen schon reist der Fürst ab?“ stammelte das junge Mädchen.

„Unwiderruflich!“

Melanie erbleichte; ihre Hände zitterten so heftig, daß ihnen die Fäden entsanken..

„Du lieber Gott, Kind, was hast Du denn?“ rief die ängstliche Mutter. „Man möchte ja glauben, daß die Abreise des Fürsten Dein Unglück wäre!“

„Ich kenne ja den Fürsten nicht, liebe Mutter!“

„Das glaube ich Dir!“ rief Vater Collin, indem er aufstand. „Aber Du kennst den Kapellmeister, den er mit sich nehmen will.“

[550] Die Mutter schloß die zitternde Tochter in ihre Arme, küßte zärtlich die Stirn derselben, und flüsterte:

„Melanie, Du birgst ein Geheimniß vor uns, das Dir Kummer macht. Hast Du denn kein Vertrauen mehr zu Deinen alten Eltern? Theile Dich uns mit, und sei überzeugt, daß wir Alles aufbieten werden, um Dir die Ruhe wiederzugeben!“

„Meine Tochter,“ begann der Blinde mit vor Aufregung zitternder Stimme, „jetzt höre auch mich an. Wir haben seit einiger Zeit mit Bedauern die Veränderung bemerkt, die mit Dir vorgegangen ist. Du weißt, daß ich Dich zärtlich liebe, und daß ich nur Dein Glück wollen kann: darum antworte offenherzig auf meine Fragen.“

„Was wollen Sie wissen?“ flüsterte Melanie, die sich wieder erholt zu haben schien.

„Macht Dir die Abreise des deutschen Musikers Kummer?“

„Nein, nein, Vater, sie ist mir gleichgültig!“ rief die Tochter, indem sie sich an die Brust des Vaters warf.

„Aber Du weinst doch, befindest Dich in außerordentlicher Aufregung?“ fragte die Mutter.

„Du willst uns wegen Deiner Trennung nicht besorgt machen!“ rief der blinde Vater. „Wenn das ist, so sprich es nur aus, wir fordern kein Opfer von Dir, das Du nicht bringen kannst.“

Melanie erhob ihren Kopf, und sagte mit fester Stimme: „Glauben Sie mir denn nicht, Vater? Ich wünsche Herrn Mölling alles Glück der Welt; aber ich denke nicht daran, ihn zu begleiten – er ist mir völlig gleichgültig.“

Dann küßte sie den Vater und die Mutter, und verließ rasch das Zimmer.

Vater Collin sank sinnend in seinen Lehnstuhl. Mutter Collin schüttelte den Kopf und murmelte:

„Das arme Kind! Sie mag sagen, was sie will – ich bleibe dabei, sie hat den bleichen Musiker gern. Sie weiß, daß sie unsere einzige Stütze ist, und darum bekämpft sie das Gefühl in ihrer Brust.“

„Mutter,“ rief der Blinde nach einer Pause, „Mölling muß doch ein braver Mann sein, der es ehrlich mit unserer Tochter meint, da er ein so glänzendes Anerbieten abschlägt. Trotzdem aber bleibt es eine traurige Geschichte.“

Die beiden alten Leute erschöpften sich in Vermuthungen; aber alle widerstritten der Versicherung Melanie’s: er ist mir völlig gleichgültig. Sie blieben bei der Ansicht, daß die erste Liebe sich der Herzen der jungen Leute bemächtigt habe.

„Hätte der Mensch nie unsere Wohnung betreten!“ murmelte Collin vor sich hin. „Dies fehlte auch noch, um meine Sorgenlast vollständig zu machen.“

„Ich will mein Kind trösten,“ dachte Mutter Collin, die es bereute, das Mittel der Unwahrheit angewendet zu haben. „Mag er ihr nun gleichgültig sein oder nicht, sie soll die Wahrheit wissen.“

Sie schlich in das Arbeitsstübchen ihrer Tochter. Die Abenddämmerung erfüllte bereits den kleinen freundlichen Raum. Melanie saß nachdenkend am Fenster, durch das die kühle Abendluft einzog. Als sie die alte Mutter eintreten hörte, sah sie mit thränenschweren Augen empor.

„Kind,“ flüsterte die Alte, „wir haben Dir die Unwahrheit gesagt, um Dich zum Geständnisse Deines Kummers zu bewegen – und Du hast Kummer, das läßt sich nicht hinwegleugnen. So vernimm denn: Herr Adolf hat es dem Fürsten nicht nur rund abgeschlagen, ihm nach Moskau zu folgen, er denkt auch nicht daran, seine Wohnung aufzugeben.“

Melanie reichte schmerzlich bewegt der Mutter die Hand.

„Liebe Mutter,“ sagte sie lächelnd, „machen Sie sich deshalb keine Sorgen; der Entschluß unseres Miethsmanns übt auf mich keine Wirkung aus.“

„Aber warum weinst Du denn, sonderbares Mädchen?“

„Lassen Sie mir mein kleines Geheimniß, Mütterchen!“ bat sie mit einschmeichelnder Stimme.

„Nun gut; aber verlaß Dich darauf, der Fürst wird in acht Tagen ohne ihn abreisen, ich weiß es ganz genau.“

Melanie fuhr erschreckt zusammen.

„Sie wissen es genau?“ fragte sie, gewaltsam nach Fassung ringend. „Wer sagte es Ihnen?“

„Der Fürst war diesen Mittag bei dem Musiker; er selbst hat es ihm gesagt. Ich war auf dem Vorsaale beschäftigt, und hörte das ganze Gespräch.“

Wäre es nicht so finster gewesen, so hätte die Mutter sehen können, wie Melanie erbleichte, die sich abwandte und das Fenster schloß. Die Mutter ging in die Küche, um das Abendessen zu bereiten. Als eine halbe Stunde später die kleine Familie am Tische saß, erschien Melanie ruhig und gefaßt. Die peinliche Stimmung, die sich aller Personen nach den Vorgängen des Tages bemächtigt, ward durch das Spiel des stillen Miethsmannes noch erhöht, der heute seinem schönen Instrumente die wehmüthigsten Melodien entlockte.



VII.


Schon früh am nächsten Morgen sehen wir Adolf Mölling an dem Ufer des Sees, der dicht an der Stadt beginnt. Hastig geht er durch die duftende Allee der großen Lindenbäume, ohne dem prachtvollen Schauspiele des Sonnenaufgangs einen Blick zuzuwenden. Nach einer Stunde hat er ein kleines Wäldchen erreicht; er geht an dem Saume desselben hin, bis er zu einem einfachen Landhause kommt, dessen weiße Mauer lieblich durch ein Akaziengebüsch schimmert. Hinter dem Hause breitet sich ein großer Obstgarten aus. Adolf öffnet eine kleine Thür in der hohen Lindenhecke, und tritt mit einer Sicherheit in den Garten, die vermuthen läßt, daß er hier bekannt ist. Auf einem zwischen Zwergobstbäumen hinführenden Wege erreicht er bald einen kleinen Pavillon, der an einem mit hohen Schilfe umkränzten Weiher liegt. Zehn Schritte von dem Pavillon befindet sich eine kleine Geißblattlaube. Adolf betritt sie, läßt sich auf einer Bank nieder, holt ein Buch aus der Tasche, und beginnt zu lesen.

Einer jener schönen Tage war angebrochen, wie man sie nur an den Ufern des Genfer Sees erlebt. Alles war still wie in einer Kirche; das Gehölz wehrte dem frischen Morgenwinde, der über den See kam, es bewegte sich kein Blatt.

Das Buch schien die Aufmerksamkeit des Lesers nicht zu fesseln, oft sah er darüber hinweg nach dem Pavillon, der, weil er erhöht lag und offen war, sich völlig überblicken ließ. Wohl eine Viertelstunde mochte Adolf mit getheilter Aufmerksamkeit gelesen haben, als eine Magd den Pavillon betrat, den Tisch deckte und die Chocolate darauf niedersetzte. Kaum hatte sich die Magd entfernt, als eine Dame erschien. Trotzdem Adolf sie erwartet zu haben schien, zuckte er heftig zusammen; das Buch entsank seiner Hand.

Die Dame trat auf den kleinen Balkon, lehnte sich auf das Geländer, und sah sinnend auf die spiegelglatte Fläche des Weihers hinab. Sie hatte eine Stellung gewählt, die dem bangen Lauscher erlaubte, ihr Gesicht zu sehen. Die sinnende Dame war von schlanker Gestalt; sie trug einen seinen weißen Batistmantel, der sie völlig einhüllte. Den großen italienischen Strohhut mit blauem Bande hatte sie beim Eintreten auf den Tisch gelegt; ihr volles schwarzes Haar, das sich über der Stirn einfach scheitelte, fiel in zwei schweren langen Flechten über den Rücken herab. Das ovale Gesicht war trotz der Blässe, die durch das schwarze Haar und den weißen Mantel noch gehoben ward, wunderbar schön. Die großen blauen Augen mit den langen Wimpern und die regelmäßigen Züge drückten eine tiefe Melancholie, einen nagenden Seelenschmerz aus. Sollte vielleicht diese verwandte Gemüthsstimmung unsern bleichen Virtuosen so anziehen, daß er die schöne Frau mit einem Erstaunen, das man Begeisterung nennen möchte, betrachtete? War es überhaupt die ergreifende Poesie, die für den gefühlvollen Mann in der Erscheinung einer leidenden Frau liegt? Allerdings fand sich Adolf dadurch angezogen, aber mehr noch durch die wunderbare Ähnlichkeit, die diese Frau mit der treulosen Henriette hatte, mit dem Gegenstande der ersten Liebe des armen Geigers. Und wahrlich, man hätte sie dafür halten können, wenn ihr Gesicht blühender, ihre Formen üppiger und ihr Wesen lebhafter gewesen wären.

Adolf konnte seine Henriette nicht vergessen, und hier fand er ihr vollkommenes Ebenbild. In seiner Schwärmerei wollte er dem verwundeten Herzen dadurch einen lindernden Balsam verschaffen, daß er sich jetzt einer rein geistigen, bewundernden Liebe hingab. Und wahrlich, seine Phantasie war stark genug, um in der Frau mehr als die Frau zu erblicken, um glücklicher in dieser Bewunderung zu sein, als in dem wirklichen Besitze der feurigsten Liebe.

Aber wer war denn diese Frau? Durfte der Bewunderer hoffen, daß er sich ihr nähern, daß er ihre Aufmerksamkeit und [551] Gegenliebe erwecken könne? War sie noch frei, und welchen Grund hatte der Kummer, der sich unverkennbar in ihrem ganzen Wesen aussprach? Adolf trug kein Verlangen, Gewißheit über diese Punkte zu erhalten; er wollte das verkörperte Ideal anbeten, das in ihm lebte, und während dieser heiligen Stunde um so lebhafter in der Erinnerung schwelgen, die mit seinem schwärmerischen Herzen verwachsen war. Auf einer seiner einsamen Streifereien durch die Wälder hatte er die Dame gesehen, die wunderbare Aehnlichkeit erkannt, und sich ihr unvermerkt genähert. Seit vier Wochen besuchte er jeden Morgen die Geißblattlaube, und nur mit wenigen Ausnahmen hatte er das Glück gehabt, sein Ideal jeden Morgen in dem Pavillon zu sehen.

Das Sinnen der Dame ward durch leise Schritte unterbrochen, die sich bei der Stille des Morgens auf den Stufen der Treppe vernehmen ließen. Als die Dame sich wandte, betrat ein junges Mädchen den Pavillon; es trug einen einfachen Strohhut, eine leichte, blaue Mantille, und unter dem Arme einen Karton.

„Ah, meine kleine Stickerin!“ sagte die Dame in gutem Französisch.

„Zu dienen, Madame!“ antwortete das junge Mädchen, indem es sich graziös verneigte. „Es ist mir möglich gewesen, Ihren geschätzten Auftrag bis heute auszuführen. Hier ist die Stickerei.“

Beide traten zu dem Tisch und öffneten den Karton.

Adolf war erstarrt, wie Loth’s Salzsäule. Er hörte zum ersten Male die Stimme seines Ideals, aber die wenigen Worte, die sie gesprochen, hatten genügt, um ihn eine Aehnlichkeit mit der weichen, einschmeichelnden Stimme Henriette’s, die noch immer vor seinen Ohren klang, erkennen zu lassen. Vielleicht trug seine aufgeregte Phantasie die Schuld daran, aber die Täuschung wäre vollkommen gewesen, wenn er deutsche Worte gehört hätte. Dem ersten Erstaunen gesellte sich ein zweites bei: er hatte Melanie, die Tochter Vater Collin’s erkannt. Mit angehaltenem Athem fuhr er fort zu lauschen.

„Bewunderungswürdig!“ rief entzückt die bleiche Dame. „Das ist ein Meisterstück von Kunst, Geschmack und Geduld! Die Blumen scheinen nicht gestickt, sie scheinen lebendig zu sein! Man hat mir nicht zu viel von Ihrer Kunstfertigkeit gerühmt.“

„Sie sind sehr gütig, Madame!“ antwortete die beschämte Melanie. „Ich bin glücklich, wenn es mir gelungen ist, Ihren Beifall zu erwerben.“

„Henriette! Melanie!“ flüsterte Adolf vor sich hin.

„Und nun geben Sie mir Ihre Rechnung, mein liebes Kind.“

Melanie überreichte, sich verneigend, ein Papier. Die Dame las es.

„Fünfundsechzig Francs?“ rief sie erstaunt.

„Verzeihung, Madame!“ stammelte Melanie bestürzt. Die Auslagen – eine vierzehntägige Arbeit –!“

„Nein, nein, mein liebes Kind; ich finde, daß nicht einmal die Arbeit, geschweige denn die Kunst bezahlt ist. Sie erhalten hundert Francs, und nun sprechen wir kein Wort mehr über diesen Punkt!“ fügte die Dame in einem fast befehlenden Tone hinzu.

Melanie war vor freudigem Erstaunen keines Wortes mächtig; sie ergriff die weiße Hand der Dame, die sich so gütig zeigte, und drückte einen Kuß darauf.

Die Dame begann zu frühstücken, nachdem sie die Stickerin eingeladen, ein wenig zu ruhen. Gleich darauf erschien die Magd wieder, und überreichte ihrer Herrin einen Brief, den diese sofort erbrach und las.

„Mein Gott!“ flüsterte sie bestürzt. Dann las sie die wenigen Zeilen noch einmal, und verbarg das Papier mit zitternder Hand in der Tasche ihres Mantels. Adolf bemerkte, wie sie mit dem weißen Taschentuche die feucht gewordenen Augen trocknete.

„Folgen Sie mir in das Landhaus!“ sagte sie dann zu Melanie. „Ich hätte mich gern noch einige Zeit mit Ihnen unterhalten; leider ist es mir nicht vergönnt.“

Die Frauen verschwanden aus dem Pavillon. Noch eine Viertelstunde blieb Adolf sinnend in der Laube zurück, dann verließ er auf umbüschten Wegen den Garten, schlug einen Waldpfad ein, und kam gegen Mittag in seiner Wohnung an. Melanie öffnete ihm die Thür. Er grüßte artig das junge Mädchen, und betrat sein Zimmer. Gleich darauf hörte man die klagenden Phantasien des Virtuosen; sie waren der Ausdruck seines zerrissenen Gemüths.




VIII.


Drei Tage hatte Adolf erfolglos seine Spaziergänge fortgesetzt; stundenlang war er in der Geißblattlaube gewesen – er hatte sein Ideal nicht wieder gesehen. Noch drei Tage lagen zwischen heute und dem Termine, den ihm der Fürst zur Abgabe einer bestimmten Erklärung gesetzt. Der arme Adolf befand sich in einer peinlichen Lage: sein kleines Vermögen war aufgezehrt, sein Ideal war verschwunden, wahrscheinlich in Folge des Briefes, der ihr einen so großen Schrecken bereitet, und nun mußte er sich zu einer raschen Entscheidung entschließen, wenn ihm die Gelegenheit, sein Glück zu gründen, nicht entgehen sollte. Die Aussicht, in seiner Kunst mit Erfolg thätig zu sein, stachelte den Ehrgeiz des Virtuosen, der zwar geschlummert hatte, aber nicht völlig erstickt gewesen war. An wen sollte er sich wenden, um Aufschluß über die Dame zu erhalten? Eine Annäherung in dem Landhause war unmöglich, ihm blieb nichts, als sich an Melanie zu wenden, die ohne Zweifel wenigstens den Namen der bleichen Dame kannte. Wie aber sollte er das junge Mädchen ausforschen, ohne seine wahre Absicht zu verrathen? Wie sollte er die Vermuthung beschönigen, daß gerade Melanie ihm Auskunft geben könne? Der Tag verfloß, und immer noch hatte er kein Mittel gefunden, seinen Zweck, wie er es wünschte, zu erreichen.

Gegen Abend kam ihm der Zufall zu Hülfe. Als er die Wohnung verließ, .um einen Spaziergang zu machen, trat ihm schüchtern ein Knabe auf der Treppe entgegen.

„Lieber Herr,“ sagte der neun oder zehn Jahre alte Knabe, „Sie wohnen wohl bei Herrn Collin?“

„Ja. Und warum?“

„Ich habe einen dringenden Brief an Demoiselle Melanie Collin abzugeben.“

„Von wem?“

„Meine Mutter gab ihn mir, und sagte - -“

Der Knabe stockte.

„Daß Herr und Madame Collin nichts davon erfahren sollten?“ fragte Adolf.

„Ja!“ flüsterte lächelnd der kleine Bote.

„Gib mir den Brief; ich werde ihn besorgen, ohne daß Jemand etwas davon bemerkt.“

„Sogleich?“

„In diesem Augenblicke.“

Der Knabe übergab den Brief, und verschwand in der Biegung der schmalen Treppe. Adolf betrachtete die Adresse: die feste Hand eines Mannes hatte sie in schönen Zügen geschrieben.

Schmerzlich lächelnd dachte der junge Mann:

„Es gab eine Zeit, in der ich ähnliche Briefe schrieb! Kommen diese Zeilen von einem Verehrer, so wünsche ich ihm, daß er glücklicher sein möge, als ich gewesen bin!“

Mit Hülfe seines Schlüssels öffnete er die Thür wieder, und trat auf den Vorsaal zurück, erfreut, einen Grund gefunden zu haben, sich dem jungen Mädchen heimlich zu nähern. Indem er an der Thür des Wohnzimmers vorüberging, hörte er, daß Mutter Collin ihrem blinden Manne mit lauter Stimme vorlas. Das war wiederum ein glücklicher Zufall, denn er hatte nun von dieser Seite her keine Ueberraschung zu fürchten. Behutsam schlich er zu Melanie’s Thür, und klopfte leise an. Eine weiche Stimme forderte zum Eintreten auf. Im nächsten Augenblicke stand der Musiker vor Melanie, die sich überrascht, fast erschreckt, erhob, und eine saubere Stickerei mit zitternder Hand bei Seite legte. Sie wohnte mit dem stillen Miethsmann zwei Jahre unter einem Dache, ohne mehr als einen flüchtigen Gruß von ihm gehört zu haben – was konnte ihn heute antreiben, ihr Zimmer still und geheimnißvoll zu betreten? Das liebliche Mädchen bot in der grenzenlosen Verwirrung einen reizenden Anblick. Indem sie durch eine Verneigung grüßte, hielt sie sich mit der kleinen Hand an der Lehne des Arbeitsstuhles.

„Mademoiselle, man hat mir einen Brief für Sie übergeben,“ begann Adolf.

„Für mich?“ stammelte sie. Und die Purpurröthe ihrer Wangen verwandelte sich in dunkele Glut.

„Ich übergebe ihn, wie man mir aufgetragen: unter vier Augen!“

Sie nahm den Brief mit zitternder Hand, und verbarg ihn in einem Kasten ihres kleinen Arbeitstisches.

„Ich danke Ihnen, Herr Mölling!“ flüsterte sie dann.

[552] Jetzt bemächtigte sich Adolfs eine peinliche Verlegenheit; er fühlte, daß er keinen Grund mehr hatte, länger zu bleiben. Trotzdem aber konnte er sich nicht entschließen, den Rückweg anzutreten, ohne über die dringendste und wichtigste Angelegenheit seines Lebens gesprochen zu haben. Eine zweite günst’ge Gelegenheit konnte sich ihm so bald nicht bieten.

„Der Brief ward als dringend bezeichnet,“ sagte er; „ich bitte, lesen Sie ihn - - “

Mit einer Art Aengstlichkeit schob Melanie den Kasten zu.

„Ich glaube den Inhalt zu kennen,“ antwortete sie; „eine vornehme fremde Dame gibt mir definitiven Auftrag zu einer Arbeit, die wir bereits besprochen haben. Die Heimlichkeit desselben ist mein Wunsch – ich habe meiner guten Mutter eine Überraschung zugedacht – der Ertrag der Arbeit ist zu einem Geburtstagsgeschenke bestimmt – ach Gott, welch’ ein trauriger Kontrast drängt sich mir auf!“ fuhr sie verwirrt fort. „Ich soll ein Trauerkleid sticken, und der Lohn für diese Arbeit ist zu einem Geburtstagsgeschenke bestimmt!“

„Ein Trauerkleid?“ fragte Adolf rasch.

„Die Dame ist so gut – wie bedauere ich, daß sie so unglücklich ist!“

„Die fremde Dame?“

„Sie weiß meine Arbeit zu schätzen. Ich forderte den in Genf gewöhnlichen Preis – die gute Dame zahlte mir fast das Doppelte.“

„Wer ist sie denn?“ fragte Adolf mit unsicherer Stimme.

Je länger Melanie sprach, je größer ward ihre Verlegenheit; man sah es ihr an, daß sie den angeregten Stoff benützte, um die Unterhaltung von dem Briefe abzulenken. Dem armen Adolf konnte nichts gelegener kommen; jedes Wort war für ihn von der größten Wichtigkeit.

„Ich weiß nur, daß sie die Gattin eines reichen holländischen Kaufmanns ist,“ fuhr Melanie fort, beichtend wie eine reuige Sünderin. „Den Kaufmann habe ich nie gesehen, sie lebt seit dem Frühjahre allein in einem Landhause, das unfern des Sees liegt. In dem Magazine, für das ich früher arbeitete, hat sie meine Stickereien kennen gelernt, und da sie eine große Freundin von feinen Arbeiten ist, hat sie mehrere Bestellungen bei mir gemacht. Die letzte ist ein Trauerkleid, – „Wen betrauert sie?“

„Ich weiß es nicht.“

„Ihren Mann?“ fragte Adolf, als ob er unfähig sei, richtig zu denken.

„Ich weiß es nicht!“ wiederholte Melanie mit steigender Angst. „Als ich das letzte Mal bei ihr war, erhielt sie einen Brief, der ihr die Trauerkunde brachte. „Großer Gott!“ rief sie aus, und Thränen rannen aus ihren Augen. Dann mußte ich ihr in das Landhaus folgen, wo sie mir hundert Francs auszahlte.“

„Ganz recht, Sie sind in dem Landhause gewesen.“

„Wie, Sie wissen, Herr Mölling –?“

„Sie haben es mir gesagt, Mademoiselle!“

„Ach ja!“

„Also in dem Landhause erhielten Sie Geld und den Auftrag, ein Trauerkleid zu flicken?“

„Die vornehme Dame sagte: „ich habe das Theuerste auf dieser Welt verloren, und werde eine tiefe Trauer anlegen; richten Sie danach Ihre Arbeit ein.“ Nun folgte eine kurze Besprechung. Ich entfernte mich – die arme Dame sank weinend auf einen Stuhl. Das ist Alles, was ich weiß.“

„Und jener Brief?“

Melanie’s Verwirrung hatte den höchsten Grad erreicht. Das beharrliche Fragen des jungen Mannes, dessen Zweck sie sich nicht erklären konnte oder falsch verstand, brachte sie außer Fassung.

„Der Brief gibt mir Andeutungen über die Arbeit!“ stammelte sie.

„In diesem Falle muß er doch eine Unterschrift haben. Mir liegt daran, den Namen der Dame zu erfahren.“

„Mein Gott, was kann Ihnen daran liegen!“ flüsterte die bestürzte Melanie. „Glauben Sie mir, es ist ein Geschäftsbrief –“

Sie konnte nicht weiter reden; Adolf’s unheimliche, durchbohrende Blicke raubten ihr die Kraft und den Willen dazu. Sie sank auf den Stuhl und bedeckte schluchzend ihr Gesicht mit dem Taschentuche. Adolf erschrak über diese heftige Gemüthsbewegung.

„Ich will Sie nicht kränken, Mademoiselle!“ rief er aus.

„Ach, wenn Sie wüßten, welche Gründe mich veranlassen, nach der Unterschrift des Briefes zu fragen. Ich schwöre Ihnen, daß das Glück meines Lebens davon abhängt. Mademoiselle, geben Sie mir Gewißheit!“

Melanie erinnerte sich des Verdachts, den ihre Eltern hegten; sie dachte daran, daß Adolf die Anstellung bei dem Fürsten abgeschlagen hatte – konnte sie noch zweifeln, daß er sie liebte, daß ihn die Eifersucht auf den Schreiber des Briefes stachelte?

Mitleidig sah sie ihn einige Augenblicke an.

„Sie wollen mich also der Ungewißheit nicht entreißen, die mich unglücklich macht?“ sagte er schmerzlich. „Ach, Sie wissen nicht, was ein zerrissenes Gemüth ist!“ fügte er schwärmerisch hinzu. „Leben Sie wohl!“

„Wohin wollen Sie?“ fragte Melanie, erschreckt über den seltsamen Gesichtsausdruck des Musikers.

Adolf verließ das Zimmer. Auf dem halbdunkeln Vorsaale fühlte er hastig seine Hand ergriffen.

„Zweifeln Sie nicht daran, Melanie liebt sie!“ flüsterte eine Stimme.

„Madame Collin, was sagen Sie?“

„Still, daß mein Mann nichts hört; er darf noch nicht darum wissen!“

„Um Gotteswillen, wenn Sie Recht hätten!“

„Ich täusche mich nicht. Gehen Sie, gehen Sie, es wird noch Alles gut werden!“

Die Stimme des blinden Vaters ließ sich hören.

„Gleich, lieber Mann!“ antwortete Madame Collin.

Dann schlüpfte sie in Melanie’s Stübchen. Adolf verließ die heiße Dachwohnung; er fühlte das Bedürfniß sich in der kühlen Abendluft zu erholen.

Als Mutter Collin leise eintrat, stand Melanie am Fenster und las so eifrig einen Brief, daß sie die Eintretende nicht bemerkte.

Thränen rannen über ihre rosigen Wangen.

„Melanie!“

„Mutter!“

„Was schreibt Dir Herr Mölling?“

Das junge Mädchen verbarg hastig den Brief; dann starrte es bestürzt die Alte an.

„Was er schreibt?“

„Leugne nicht, mein armes Kind, ich weiß nun Alles! Adolf hat Deinetwegen den Antrag des Fürsten abgelehnt, und Du – –“

„Mutter, Mutter!“ rief Melanie, indem sie sich an die Brust der alten Frau warf, um ihre Thränen und die Blässe ihres Gesichts zu verbergen.

„Ich brauche nicht weiter in Dich zu dringen, mein liebes Kind. Und nun beruhige Dich, Du weißt ja, daß ich nur Dein Glück will. Auf mich kannst Du zählen, aber den Vater müssen wir behutsam vorbereiten, er ist gegen Herrn Mölling eingenommen.“

Die Mutter eilte auf wiederholtes Rufen zu dem Blinden zurück, nachdem sie die Tochter zärtlich geküßt hatte. Melanie sank weinend auf einem Stuhle nieder.

(Fortsetzung folgt.)



Ein Besuch des Ophiantrums.

Nachdem wir fast alle Sehenswürdigkeiten der leipziger Messe angeschaut und bewundert hatten, schlenderten wir eines Vormittags in Begleitung einiger einheimischer Freunde vom Bau des neuen Museums hinweg, die Grimmaische Straße entlang, gegenseitig die stumme Frage in unsern Augen lesend, was nun? – als der eine Begleiter uns unter den Arm nahm, und schnelleren

[553]

Das Ophiantrum.






Schrittes als bisher uns am Markte vorüber die Petersstraße hinauf führte. Anfangs durch das veränderte Tempo etwas außer Athem gekommen, konnten wir erst ziemlich spät die Frage an ihn richten, wohin denn die Reise gehen sollte? „Ihr habt Euch bei Eurem letzten Besuche für das Aquarium so viel interessirt,“ sagte er „und jetzt denkt Ihr nicht an das Ophiantrum? Kommt mit [554] nach der Schloßgasse in die Restauration von Kranitzky. Ihr werdet dort etwas sehen, was Tausenden noch nicht vor die Augen gekommen ist, obwohl sie es in nicht großer Entfernung, bei Leipzig z. B. im Universitätsholze, bei Grasdorf und an andern Orten der Nähe in der Natur sehen könnten.“

Neugierig folgten wir der Aufforderung, und befanden uns bald in der freundlich eingerichteten Restauration.

Die Schlangengrotte, denn das bedeutet das Wort „Ophiantrum“, die wir mit einander besuchten, ist ein wenigstens drei Ellen langes und entsprechend breites Behältniß, dessen vier mehrere Ellen hohe Seiten und dessen Decke aus einem durchsichtigen, festen Drahtgitter bestehen. Das Innere bildet drei Abtheilungen, von denen die eine zum trocknen Aufenthalt für die Schlangen dient, die andere ein Wasserbassin ist, in dem sich die Thiere nach Belieben baden können, die dritte endlich, zugleich die kleinste, wird von einem ziemlich bis an die Decke reichenden Stein gebildet, welcher als ein hoher, zackiger, mit Moos bewachsener und hier und da hohler Felsen ein prächtiger Schlupfwinkel für die Reptilien ist. [1]

Bei dem Herantreten und der nähern Besichtigung des Ophiantrums machte es zunächst keinen angenehmen Eindruck. Es lag dies jedenfalls daran, daß dasselbe für die große Menge von Schlangen noch zu wenig Raum zum Ausbreiten bot, daher es offenbar vorzuziehen ist, selbst in einem größern Behältniß, wie das oben angegebene, eine geringere Anzahl dieser Thiere zu halten.

Denn man denke sich auf einem entsetzlichen Knäuel unter und über einander etwa vierhundert Schlangen, die, nebenbei erwähnt, alle unsern hier einheimischen und nicht giftigen Ringelnattern[2] angehören, und durchschnittlich die Länge von ein und einer halben bis zwei Ellen haben. Man kann es wahrlich keinen schönen Anblick nennen, so hübsch das einzelne Thier, für sich betrachtet, auch sein mag, wenn man eine solche Masse in der Regel fast leblos daliegen sieht. Nur einzelne bringen durch ihre Bewegungen Leben hinein; denn bald hebt eine ihren Oberkörper empor, steckt die doppelt gespaltene Zunge wie zwei Fäden aus dem Maule und treibt ein diesen Thieren, wie es scheint, sehr liebsames Zungenspiel; bald windet sich eine mitten aus dem dicksten Haufen heraus, ihren Weg zwischen und unter und über eine große Menge, ihrer Gefährtinnen, von denen sich wohl eine oder die andere häutet, nehmend; bald sieht man mehrere Leiber sich regen und Bogen schlagen, ohne daß man die dazu gehörigen Köpfe entdecken kann.

Einen bei weitem schönern Anblick gewährt dagegen das Ophiantrum, wenn es weniger gefüllt ist und die Schlangen vollkommen Raum haben, sich frei zu bewegen. Ihre verschiedenen Krümmungen und Windungen sind äußerst unterhaltend und schön, namentlich wenn sie sich im Wasser befinden, das sie meist von dem einen Ende zum andern pfeilschnell durchschießen, während sie oft auch den hintern Theil im Bassin lassen und mit dem Kopf neugierig auf dein Ufer umherlugen und züngeln. Ein noch malerisch schöneres Schauspiel ist es, die Schlangen auf den Zweigen des Bäumchens sich wiegen oder in langsamen Windungen den Stamm hinauf winden zu sehen, wie es denn nicht minder reizend aussieht, die glatten, glänzenden Thierchen auf der Spitze der kleinen Felsen zu beobachten, die meist aus Tropfsteinen in den verschiedenartigsten Formen, als Höhlen, Wasserbassins etc. in dem Ophiantrum malerisch angebracht werden können, wie es unser Bild zeigt.

Durchaus verändert wird diese Scene, wenn diese scheinbar ruhige Masse mit ihren Hunderten von Köpfen zur Mahlzeit eingeladen wird. Wir wohnten einige Male diesen Fütterungen bei und wollen versuchen sie unsern Lesern zu schildern:

Die Frösche, welche den Schlangen als Speise vorgeworfen werden, sind von allen Größen; die kleinen werden eben so wenig verschmäht, als sich an recht große und ausgewachsene Burschen wenigstens die größern Schlangen wagen. Und wieder ist der interessanteste Theil einer solchen Fütterung der Kampf zwischen einem größern und stärkern Frosche und einer diesen bei irgend einem Theile des Leibes gepackt habenden und selbst in dieser Situation, wenn irgend möglich, ganz still liegenden Schlange. In der Regel kommen die kleinen zuerst daran, weniger wohl deshalb, weil sie klein und darum vielleicht leichter zu fangen und bequemer zu verzehren sind, als aus einem andern Grunde, der in einem diesen Schlangen eigenthümlichen Jagdverfahren zu suchen ist. Werden nämlich eine Anzahl Frösche, hier mitunter fünfzehn bis fünfundzwanzig Stück, in das Schlangenbehältniß hineingeworfen, so erscheint es natürlich, daß sie, die eben noch in Menschenhände gefangen waren, lebhaft umherspringen, um sich ihrer Freiheit bewußt zu werden und vor der Wiedergefangenschaft sich zu retten. Doppelt mögen sie nun zu diesem eifrigen Hüpfen und Springen veranlaßt werden, wenn sie die neue, viel größere Gefahr erkennen; denn jetzt sind sie aus dem Regen unter die Traufe gekommen, es handelt sich nicht mehr blos um Gefangenschaft, sondern um Leben und Sterben. Und doch beschleunigt gerade dieses Springen ihren Tod.

Wir haben nicht ein einziges Mal gesehen, daß eine Schlange einen sich ruhig verhaltenden Frosch angegriffen halte, vielmehr lauert sie auf eine Bewegung von seiner Seite.

Sobald er nun hüpft, fährt sie ihm wie ein Blitz nach, fängt ihn gewöhnlich in der Luft und zieht ihn zu sich herab. Gerade die kleinern Frösche springen am muntersten und lebhaftesten umher, vielleicht wegen ihrer größern Jugend und Unerfahrenheit. Und so kommt es denn, daß sie zuerst einigen hungrigen Schlangen zur Beute werden müssen. Die andern, die sich von ihrem Schrecken schneller erholt, und auch wohl mehr Erfahrung haben, kommen besser weg. Ja, es ist merkwürdig zu sehen, wie die Frösche mitten auf dem großen Knäuel ihrer Feinde sitzen, oft Kopf an Kopf mit denselben; bisweilen liegen mehrere Schlangenköpfe dicht neben einander und ihnen gegenüber, so daß sie sich mit den Nasen berühren können, läßt sich ganz gemüthlich ein Frosch nieder, als ob er mitten unter seinen besten Freunden fern von jeder Gefahr sich befinde. Und wirklich ist er sogar in dieser Position, so lange er still sitzt, keiner Gefahr ausgesetzt, will er aber wieder einmal einen Sprung versuchen, so hat ihn auch schon eine von den vielen tückisch lauernden Schlangen gepackt.

Nur ein Mal hatten wir zu beobachten Gelegenheit, wie eine Natter einen kleinen Frosch in der Seite gefaßt hatte, und ihn ohne weitere Umstände und besondere Schwierigkeiten in dieser Querlage verzehrte. Gewöhnlich aber haschen sie ihren Fraß am Kopf oder an einem Beine. Im letzteren Falle beginnt eine Art Kampf, der freilich nur von der einen Seite ein Vernichtungskampf, von der andern mehr ein Rettungs und Fluchtversuch ist. Der Frosch, der also an einem Beine von der Schlange festgehalten wird, strampelt mit den andern dreien, ja mit dem ganzen Körper so gewaltig, daß die Schlange sehr fest kneipen muß, wenn er nicht entschlüpfen soll. Dies gelingt nicht selten, wenn sie in Folge des heftigen Sträubens ihrer Beute nicht hatte dazu gelangen können, einen ihrer Zähne, welche rückwärts gebogen sind, in das Fleisch des Gefangenen einzuhauen. Dann hilft freilich auch dem stärksten Frosch all sein Widerstand nichts. Konnte er seine Feindin aber daran hindern, und hält er mit seinen Kräften aus, dann sahen wir manchen gerettet davon eilen, allerdings nur, um früher oder später doch noch seinem Schicksal in einem Schlangenrachen anheim zu fallen. Hat aber, wie gesagt, die Schlange ihn erst mit einem Zahne gefaßt, dann ist dem armen Schlucker nicht mehr zu helfen, er geht unvermeidlich seinem wahrhaft grauenvollen Tode [555] entgegen. Denn in einem sehr langsamen Zeitmaße, das um so langsamer wird, je größer der Frosch ist, wird er bei lebendigem Leibe verschluckt. Jedes andere Thier, das sich von lebenden Geschöpfen nährt, tödtet seine Beute entweder auf der Stelle, oder bringt ihm solche Wunden bei, daß der Tod alsbald erfolgt; nur die Schlange verzehrt ihren Frosch, ohne ihm zuvor jene Wohlthat angedeihen zu lassen. Namentlich ist dies der Fall, wenn sie ihn bei einem Hinterbeine gefangen hält. Das würgt sie zuerst hinein, holt dann das andere nach, wodurch der arme Gefangene widerstandslos gemacht wird, und schiebt ihn nun von seinem Hintertheile an langsam in ihren Rachen, so daß er zwar gedrückt wird, und sich strecken muß, ohne aber zerdrückt und dadurch möglicher Weise getödtet zu werden. Sein Auge bleibt offen, seine Brust hebt sich in gleichmäßigem Takte, seine Vorderbeine strecken sich ganz gerade aus, wie ein paar um Hülfe flehende Menschenarme, ja er läßt ähnlich dem Hasen hin und wieder einen kläglichen Todesschrei hören.

Diese Todesqual hatte mancher wohl eine halbe Stunde auszustehen, ehe sein Kopf innerhalb des Schlangenrachens verschwand, und bis auf den letzten Augenblick sahen wir ihn regelmäßig fortathmen. Wie bald dann der Tod der Erstickung folgt, kann man äußerlich an der Schlange nicht wahrnehmen, hoffen und wünschen wir, daß er wenigstens nicht lange mehr auf sich warten läßt. Weniger lange dauert es und ist darum jedenfalls besser für das arme Opfer, wenn es von vorn gefaßt, mit dem Kopfe zuerst hinuntergewürgt wird. In jedem Falle steht so viel fest, daß dieses Verschlingen, es mag bei den Beinen oder beim Kopfe beginnen, ein höchst widerlicher Anblick ist. Zu bewundern ist die ungeheure Dehnbarkeit der Muskeln, besonders des Kopfes, der noch dazu mit seinen Knochen, so schwach sie im Ganzen sein mögen, fester gebaut ist, als der ganze übrige Körper. Mit Grausen fast, mindestens mit sehr großem Mißbehagen, sahen wir den Rachen immer weiter an Umfang zunehmen, je stärker und dicker der Frosch wurde, und nun denke man sich einen von ziemlicher Größe, der, wenn er bei einem Hinterbeine gefangen ist, als letztes Rettungsmittel sich nach Kräften aufbläst.

Manche Schlange, die vor der Mahlzeit die Stärke eines mäßigen Daumens hatte, war am Kopfe und Halse, so lange sie den Frosch darin hielt, wenigstens zweimal dicker geworden. Während dieses ganzen Aktes und nachher während der Verdauung erst recht liegt sie still und ohne jede Bewegung, außer der Weiterdehnung des Rachens, die von Zeit zu Zeit ruckweise, um mich dieses Ausdrucks zu bedienen, dann erfolgt, wenn sie wieder ein Stückchen ihres Fraßes mehr hinunterschluckt. Wenn es möglich wäre, würde sie sich selbst beim Fangen nicht bewegen, allein da muß sie, auch bei der kleinsten Beute, den Oberleib zum wenigsten ein Mal in die Höhe heben, um zuzuschnappen, dann aber geht sie in ruhiger Lage an das Verschlingen. Manchmal muß sie sich freilich heftige Bewegungen gefallen lassen, wie ein paar Beispiele zeigen werden.

Ein Frosch war eben im Begriff einen Sprung in’s Wasser zu riskiren, als ihn eine neben dem Bassin liegende Schlange bei einem Hinterschenkel gefaßt hatte. Patsch! lagen Beide im Wasser, der Frosch mit dem ganzen Leibe, die Schlange mit Kopf und einem Stück Oberkörper. Da sie nicht die Kraft besaß, jenen in die Höhe zu heben und an das Bassinufer zu tragen, so sah sie sich genöthigt, ihn heraufzuziehen. Das kostete aber viel Mühe. Der Frosch, der sich mit dem ganzen Körper und den drei freien Beinen fest an die senkrechte Uferwand andrücken konnte, leistete verzweifelten Widerstand. Wenn sie ihn auch ein Stück zu sich heraufgezogen hatte, bald mußte sie wieder dem Frosche nach unten folgen. Der Kampf dauerte wohl zwanzig Minuten, ehe sie Herrin ihrer Beute wurde, und dies konnte sie nur dadurch bewerkstelligen, daß sie während des Ringens bereits an die Mahlzeit ging. Sie verschluckte unmerklich das erfaßte Bein und als sie nun das Hintertheil anfing in den Rachen zu schieben und dadurch dem andern Hinterbein sich näherte, da verlor der Frosch seinen Stützpunkt und wahrscheinlich auch die Kraft, denn es dauerte nicht mehr lange, so lag er oben auf dem Bassinrande so weit, als sie ihn noch nicht verschluckt hatte, widerstandslos vor ihr. Dies war übrigens der einzige Frosch, dem wir so mitgespielt gesehen haben, daß ihm das Blut an den Schenkeln herunterlief.

Eine andere Schlange hatte einen Frosch am Hinterbeine gepackt, aber so schnell sie ihn auch aus der Luft zu sich herabzog, eben so geschwind war der Gefangene im Sträuben begriffen. Er ließ seiner grausamen Feindin durchaus keine Zeit, sich seiner so zu bemächtigen, daß er nimmer von ihr sich hätte befreien können. Nach einem fünf bis sieben Minuten langen Ringen hatte er den Preis davon getragen; seine Bewegungen waren so heftig und lebhaft gewesen, daß die Schlange weder mit dem Zahne ihn hatte fest anbeißen können, noch war es ihr möglich geworden, das gefangene Bein hinunterzuwürgen. Sie mußte ihm also seine Freiheit lassen. Leider konnte der arme Schlucker sich derselben nur so lange erfreuen, als ein Sprung dauert, denn ein zweiter lieferte ihn in den Rachen einer andern Schlange, die glücklicher als die erste ihn mit wahrem Heißhunger verschlang. Jene aber, obgleich sie ihr Opfer verloren hatte, lenkte unsre Aufmerksamkeit von Neuem auf sich. Ihr Gebühren nach dem Kampfe war so verschieden von dem anderer Schlangen in gleichem Falle, daß wir den Blick nicht von ihr wendeten. Man konnte nicht entscheiden, war es eine Art von Krampf, der ihren Rachen in Folge des festen Zupackens befallen hatte, oder war es Aerger, wenn nicht Wuth über den erlittenen Verlust, kurz, sie richtete sich mit ihrem Oberkörper sehr oft gerade in die Höhe Und sperrte das Maul entsetzlich weit auf. Dies war uns eine neue Erscheinung, der wir an andern Nattern in ruhigem und gewöhnlichem Zustände noch nicht begegnet waren, denn wenn sie auch sehr häufig ihre Zungen frei spielen lassen, so öffnen sie den Rachen dabei keineswegs. Und nur einmal hatten wir Gelegenheit, dieses Sperren zu beobachten, als eine Kreuzotter, bekanntlich eine giftige Schlange, an dem Kopfe so festgehalten worden war, daß sie trotz aller Anstrengung denselben nicht rühren konnte. Losgelassen gerieth sie in eine solche Wuth, daß sie sich hoch emporrichtete, den Rachen weit öffnete, ihr Verderben drohendes Zischen deutlich vernehmen ließ und mit den glühenden Augen den Feind suchte, der sicher seinen Angriff hätte büßen müssen, wäre ihr in dem wohl verwahrten Behältniß nicht die Möglichkeit genommen gewesen, Rache auszuüben.[3]

Eine dritte Schlange endlich hatte sich den Kopf nach unten, so daß der Oberkörper auf der Mitte des Felsens lag, um diesen herumgeschlungen. Zu bemerken ist, daß der Stein am Fuße so breit wie das ganze Behältniß ist und sich von da ein gleichschenkliches Dreieck bildend spitz nach der Decke erhebt. Dadurch wird der Raum zwischen demselben und dem Drahtgitter nach oben immer breiter; ein wenig unterhalb der Mitte ist er auf der Seite, wo die Schlange lag, etwa so breit als eine Hand. Hierher hatte sich ein verfolgter und durch das Bassin glücklich entkommener Frosch geflüchtet, und lange Zeit saß er von seinen bestandenen Strapatzen sich erholend unangefochten neben dem Kopfe seiner gefährlichen Gegnerin. Sein Unglücksstern ließ ihn den Vorsatz fassen, wieder vom Felsen herabzuspringen, und um dies nicht rückwärts mit einem Purzelbaume bewerkstelligen zu müssen, gab er seinem Körper die Richtung ein wenig seitwärts. Unbeweglich blieb die Natter liegen. Kaum aber halte er sich zum Sprunge erhoben, so schoß sie ihm pfeilschnell nach und packte ihn gerade zwischen den Hinterschenkeln. Sofort ließ das unglückliche Schlachtopfer, das jedenfalls sehr fest und derb gebissen worden war, seinen kläglichen Noth- und Todesschrei weithin vernehmen. Zugleich aber ergriff er Rettungsmaßregeln, bei denen ihn in dem Falle, daß er leichter gefaßt gewesen wäre, das Terrain wesentlich unterstützt haben würde. Er konnte sich nämlich mit den beiden rechten Beinen am Drahtgitter und mit den beiden linken am Steine festklammern, und das that er mit solchem Erfolg, daß die Schlange alle ihre Kräfte vergebens aufbot, ihn aus dieser Stellung herauszureißen, denn ihre Bewegungen während


[556] des Kampfes waren so heftig, daß sie nicht, wie andere, ihn zu sich zu ziehen trachtete, sondern mit Gewalt und sichtbarer Kraftanstrengung ihn wegzureißen versuchte.

Nach langem und vergeblichem Abmühen ließ sie endlich, der Ruhe und Erholung wohl sehr bedürfend, in ihren Gewaltmaßregeln nach, ihr Opfer trotzdem nicht weniger festhaltend. Dieses, die eingetretene Pause bemerkend, wollte sich dieselbe dadurch zu Nutze machen, daß es ein Bein nach dem andern weiter unten aufsetzte, um in dem engern Zwischenraume bei erneuertem Widerstande mehr Unterstützung zu haben. Hätte ihm die Schlange dazu Zeit gelassen, so würde es ihm wohl gelungen sein, wenn auch nicht sich zu befreien, denn das war ein Ding der Unmöglichkeit, so doch den Kampf mit weniger Anstrengung und Verlust seiner Kräfte fortzusetzen. Allein nur einige Augenblicke waren für die Natter hinreichend gewesen, um die alte Arbeit mit neuer Heftigkeit in Angriff nehmen zu können. So dauerte die gräßliche Scene mit wenigen, ganz kurzen Unterbrechungen über eine halbe Stunde. Da gingen dem Frosch sichtlich die Kräfte aus und die Schlange hatte ziemlich gewonnenes Spiel. Trotzdem behandelte sie ihn nicht als einen widerstandsunfähigen Gegner, und mit Recht, denn so lange er die beiden Hinterbeine noch frei fühlte, stemmte er sich; sie wußte aber den Rest seiner Kräfte in so fern richtig zu würdigen, als sie den eingetretenen Zeitpunkt für den richtigen hielt, an den Beginn der schwer errungenen Mahlzeit zu denken. Ohne die beiderseitige Stellung zu verändern würgte sie, den Hintern des Frosches festhaltend, erst das eine Hinterbein in den Rachen, und das ging sehr langsam von statten, und dann das andere. Nachdem dies geschehen war, trat eine Pause ein; wahrscheinlich mußte sie, um ihr Schlingen fortsetzen zu können, sich selbst erst von dem fest gepackten Hintertheil losmachen. Als dies nach geraumer Zeit in’s Werk gesetzt war und sie wieder zu schlingen anfing, überließen wir den Frosch seinem Schicksale.

Zum Schluß wollen wir noch einer komischen Anekdote Erwähnung thun. – Man hatte an zwei Fütterungstagen den Schlangen unter einer Anzahl anderer Frösche einen besonders großen vorgeworfen. Durch wohl angebrachte Sprünge, langsames, eine gewisse Ueberlegung verrathendes Davonkriechen, vielleicht auch weil er nur für wenige seiner tückischen Verfolgerinnen wegen seiner Korpulenz ein genießbarer Bissen sein mochte, war er glücklich entwischt. In Folge dessen hatte er das Interesse der Besucher und Zuschauer in hohem Grade auf sich gezogen, ja der Humor des Publikums belegte ihn mit einem besondern Namen und nannte ihn „Pietsch.“ Bei der nächsten Fütterung ward wiederum als Hauptleckerbissen der gewichtige Herr Pietsch aufgetischt. Lange machte der alte Bursche eine Menge sehr großer und gut berechneter Kreuz- und Quersprünge, vergebens schnappten lauernde Reptilien nach seinen Keulen, sie konnten seiner nicht habhaft werden. Da plötzlich ertönt’s: Pietsch ist gefangen. Und so war’s. Sein letztes Stündlein hat geschlagen, wenn er sich nicht wieder befreien kann. Aber trotz seines gewaltigen Strampelns mit Armen und Beinen wollte ihm das nicht gelingen, der tapfere Held mußte sich nach langer, verzweifelter Gegenwehr gefangen geben und endlich an sein Ende glauben.

Ob er zuvor sein Testament gemacht, ich weiß es nicht. So viel aber weiß ich, daß an diesem Tage in der Stadt vielfach, wenn Bekannte sich trafen, die Frage gehört wurde: Weißt Du’s schon? – Was denn? – Sie haben Pietschen.




Der entdeckte Schlüssel zum Herzen Afrika's.

Der Schlüssel und der Barth. – Eine Flußfahrt. – Die Nazarener sind da. – Der Staat Kororroha und seine Hauptstadt. – Die Felletah’s. – Unangenehmes Nachtquartier auf einem Baume. – Ein Dorf unterm Wasser. – Handel und Wandel. – Menschen als Tauschartikel.

Während immer noch viele Staaten und Städte Weisheit und Geld, „einnehmendes“ Wesen und Regierungskunst in Verschließungen und Verboten, Grenzjägern, Schlagbäumen, Eingangs-, Ausgangs-, Durchgangs- und unzähligen andern Steuern, Stadtthoren, Salz-, Malz-, Schmalz-, Mahl- und Schlachtsteuern suchen, bewährt und verwirklicht sich doch die wahre Weisheit und das wirkliche Wohl der Menschheit in Aufschließungen und in Beseitigung der Thore und Thoren. Und dies in einem Grade, daß die Thorschreiber und Thürschließer nicht so viel mehr verbieten und verschließen können, als anderswo durch Eröffnungen wieder gutgemacht wird. Die Menschheit wäre sonst auch schon längst an Verstopfung ausgestorben oder so vernagelt und eingeschlossen worden, daß nur noch Einige aus Mangel an Thürschließern unverriegelt und unvernagelt blieben. Die Gegenden, wo aufgeschlossen wird, sind zwar in der Regel weit, weil nur in solche weite Fernen unsere Thorschreiberdirektoren und Grenzverstopfer nicht hinreichen; aber sie kommen uns doch überall zu Gute, selbst in dem verstecktesten Winkel Deutschlands. Daß China und Japan Aus- und Eingangsthore bekommen haben, wirkt schon vortheilhaft auf die meisten Industrien aller Völker, auch Deutschlands, theils durch direkten Absatz, theils indirekt durch die zunehmende Thätigkeit und den größern Wohlstand Derer, welche dahin verkaufen. Die schwarzen Kinder Afrika’s bringen Tausenden von Arbeitern in Europa direkt Brot. Deutsche Spielwaarenfabrikanten, Gürtler, Glaser u. s. w. haben Millionen Kunden vom zehnten bis fünfzehnten Breitengrade in Afrika, nur daß diese Kunden bisher gar nicht oder sehr schwer zugänglich waren. Sie wußten keinen Weg zu uns, wir nicht zu ihnen. Das ist aber jetzt anders geworden. Wir haben jetzt einen Schlüssel bis mitten in das Herz Afrika’s, und der Schlüssel bekömmt auch einen herrlichen deutschen Barth[WS 1]. Durch ihn, einen Helden, wie ihn die ganzen Herren vor Sebastopol nicht aufweisen konnten, ist Afrika aufgeschlossen und ein großer, ebener Weg bis mitten in die Geheimnisse des Innern entdeckt worden. Damit schließt eine lange Reihe von heroischen Entdeckungs- und Forschungsreisen ab und eröffnet sich eine beinahe schrankenlose neue Welt für materiellen und geistigen Verkehr und sprudeln neue Wissenschafts- und Wohlstandsquellen auch für das lechzende Deutschland.

Der erste Abschluß der Entdeckungen und Forschungsreisen in Afrika[WS 2] erwartet uns wissenschaftlich in dem bald erscheinenden Werke Dr. Barth’s, den wir einst schon als Todten betrauern zu müssen glaubten und der deshalb, wie das Sprüchwort sagt, recht lange leben wird. Als Vorläufer und Ergänzung der Forschungen und des wissenschaftlichen Buches von Barth finden wir die jetzt erschienenen Mittheilungen des Dr. Baikie sehr interessant und wichtig, insofern sie praktische Bestätigung dessen bringen, was Dr. Barth als wissenschaftliche Folgerung seiner Forschungen aussprach, nämlich die Einheit der Flüsse Chadda und Benué. Sie sind ein ungemessen weit in’s Innere laufender einziger Nebenfluß des alten, geheimnißvollen Niger, auch Kowora oder Guora genannt, der aus dem südatlantischen Oceane durch den Golf von Guinea in unzähligen Mündungen nach verschiedenen Richtungen auf viele Hunderte geographischer Meilen in’s Innere hinein schiffbar ist und zum Theil die regsamste, thätigste, intelligenzfähigste Bevölkerung an seinen Ufern thatsächlich bespült, da Ansiedelungen und Dörfer gefunden wurden, in denen die Leute wie Biber und Amphibien wörtlich halb im Wasser leben.

Um uns eine Vorstellung von der Ausdehnung und Wichtigkeit der Forschungen in Afrika zu machen, muß daran erinnert werden, daß als bisheriges Ergebniß der Expeditionen von Hornemann (1795), Ritschi und Lyon (1818–20), Oudney Denham und Clapperton (1822–25), Clapperton und Lander (1825, 26), Lander (1830), Allen und Oldfield (1833), Dickson (1851) und von Richardson, Barth, Overweg und Vogel seit 1850 außer dem Wasserwege vom südatlantischen Oceane her auch Landwege vom mittelländischen Meere aus durch die Wüste nach dem großen Tsadseespiegel im Innern Afrika’s und die umliegenden Staaten mit dem größten Heroismus entdeckt und gebahnt wurden.

Die Dampfschiff-Expedition, welche zuletzt die englische Regierung unternehmen ließ und die Dr. Baikie schildert, hatte lediglich den Zweck, die von Barth behauptete Identität der Flüsse


[557] Chadda und Benué zu untersuchen. Die Behauptung hat sich bestätigt: das Innere Afrika’s ist offen.

Die Herren Engländer hatten die Aufgabe, eine noch ganz unbekannte Landesstrecke von etwa 70 geographischen Meilen, nämlich von dem fernsten Punkte des Chaddaflusses, den Allen und Oldfield erreicht hatten, bis zu dem von Barth entdeckten Benué (etwa vom neunten bis zum fünfzehnten Längengrade unter dem achten nördlicher Breite) zu durchbrechen. Auf solchen Reisen erlebt man merkwürdige Abenteuer und sieht Land und Leute in noch nie entdeckten, ja für unmöglich gehaltenen Formen.

Da das ganze Buch von Dr. Baikie noch nicht durch Übersetzung zugänglich ist, geben wir einige dieser Merkwürdigkeiten zum Besten. Als die Reisenden auf ihrem kleinen aber starken Dampfschiffe den Punkt des Chadda, wo ihre Aufgabe eigentlich begann, erreicht hatten, war der Muth des von der Regierung nepotisch angestellten Kommandeurs Mr. Taylor schon zu Ende, so daß Dr. Baikie das Kommando übernahm und vorwärts in die unbekannte Welt, wo noch kein Schiff, geschweige ein Dampfer, noch kein Weißer gesehen worden war, dampfen ließ. Zwar sah man lange keine Städte und Dörfer an den Ufern, aber die Natur zeigte dafür ein desto üppigeres, lachenderes Gesicht. Der Fluß, im Durchschnitt von der Breite einer englischen Meile, glänzte nobel und spiegelblank zwischen üppigen Blumen und Bäumen, Hügeln und Thälern. Eine Heerde von mehr als hundert Elephanten machte eine Wasserparthie durch einen Nebenfluß und an seichten Ufern grunzten und walzten sich ungeheure Flußpferde und sperrten die Mäuler so weit auf, daß sich ein erwachsener Mann gerade zwischen Ober- und Unterlippe hätte stellen können. Endlich entdeckte man auch Wohnungen und Menschen dazu, sogar eine Stadt und zwar gleich eine ummauerte. Die Ufer bedeckten sich dicht mit schwarzen Menschen. Sie stierten mit starrem Schrecken auf das Dampfschiff und die weißen Leute darauf. Als diese landeten, stoben die Schwarzen alle auseinander bis auf einen einzigen Mann, den der Schreck und das Starren gefesselt zu haben schienen, so daß er kein Glied rühren konnte, nicht einmal seine weit aufgesperrten Augenlider. Als die Engländer zu ihm traten, ihm freundlich die Hand boten und Freundschaft bewiesen, thaute er plötzlich auf, ließ seinen Speer fallen und schrie tanzend und wahnsinnig springend vor Freude: „Weiße Menschen! Weiße Menschen! Die Nazarener sind da! Weiße Menschen gut, weiße Menschen reich, weiße Menschen Könige! Weiße Menschen! Weiße Menschen!“ Nun drängten sich auch die andern Leute aus der Stadt wieder heran, stimmten in das Jubelgeschrei ein und tanzten und wälzten sich auf der Erde vor unbändiger Freude. Endlich ward den Weißen beigebracht, daß der König sie erwarte. Dieser stand unter einer mächtigen, majestätischen Krone, nämlich der eines Baumes, und empfing sie mit gen Himmel erhobenem Blicke, dankend, daß weiße Menschen gekommen seien.[4]

Dr. Baikie besuchte die Residenz dieses Königs und andere Städte desselben Volks, größtentheils muhamedanischen Glaubens, und fand in ihnen hübsche Brennpunkte von Civilisation, mit anmuthigen Küchengärten in abgetheilten Beeten vor den Thoren, den ersten Spuren von Bebauung der Erde, die sie bis dahin entdeckt hatten. Die Wände und Dächer der Hütten waren anmuthig mit Kürbissen, Melonen und andern gurkenartigen Kletterpflanzen bezogen und in den Gärten reiften und blühten andere Pflanzen, „Ochro’s“ und graziöse „Papaws.“ Auf einem Marktplatze ward lebhafter Tauschhandel getrieben, Bier gegen Korn- und andere Getreidegarben. Einige Bewohner hatten Pferde von der feinsten arabischen Race und in der besten Pflege, blos Ritterpferde, wie sie von den Schildern und Waffen in den Ställen schlossen. Die Schilder, von Elephantenhaut gemacht und oval, waren so groß, daß sie Roß und Reiter zu decken im Stande waren. Die meisten Bewohner gingen in freier, willkürlicher, stets sehr spärlich bedeckender Nationaltracht aus selbstgefertigten Stoffen, einige in Ziegenfellen, andere blos mit grünen Blättern die ärgsten Blößen deckend.

Der Staat heißt Kororroha und die Hauptstadt, in welche sie zuerst kamen, Wukari. Er ist unabhängig, wie mehr oder weniger alle die kleinen Stammkönigreiche, die sich an dem großen Flusse hinziehen. Weiter im Norden und am Flusse aufwärts dehnen sich die Staaten eines der gebildetsten und verbreitetsten Völker, der Fellatahs mit dem Hauptstaate Fumbina oder Adamaua um den später südlich laufenden Benuéfluß herum. Die meisten Könige regieren von Kürbis- und Gurkenhütten aus und geben Audienz unter dem Schatten majestätischer Baumkronen, so daß sie selbst keine brauchen. Industrie und Kultur des Volkes geht bis jetzt nicht weiter, als um die einfachen, unerzogenen Bedürfnisse unter einer heißen Sonne und auf einem üppigen Boden zu befriedigen. Die Hauptbeschäftigung und die Haupternte der Leute dort besteht in jährlich mehreren Excursionen, um sich Sklaven und Sklavinnen einzufangen, sich einfangen zu lassen oder dagegen zu wehren. Die herrschenden Felletahs (auch Pulo’s oder Fulo’s genannt) vergessen manchmal von ihren Exkursionen zurückzukehren und die Gefangenen fortzuschleppen, so daß sie sich gleich in Feindesland niederlassen, Freundschaft schließen und in einander überheirathen.

Die Fellatahs sind Muhamedaner und von einer viel nobleren, schöneren (berberischen) Race, als die Neger in andem Staaten. Ihr Profil ist scharf, die Stirne hoch und breit, das Gesicht fein oval, die Nase von griechischer Geradheit oder gar adlerisch, und in den blauen Augen schwimmt und blitzt ungemeine Lebhaftigkeit. Nur die vollen Lippen erinnern an äthiopische Dicke. Sie zeigen viel Mutterwitz und Courage und sind im Handel und Wandel sehr pfiffig und thätig, im alltäglichen Leben mild und freundlich und im Ganzen wie artige und unartige Kinder. Dr. Baikie machte ganz allein Reisen unter ihnen. Eines Tages kehrte er von einer entlegenen Stadt allein, barfuß durch einen Sumpf knetend, zurück, um noch vor Nacht das Schiff zu erreichen. Als er aber acht englische Meilen zurückgeknetet hatte, verlor er trotz seines Taschenkompasses alle Orientirung, und durch Erklettern mehrerer Bäume, um sich von Oben her wieder zurechtzufinden, wurde er nur noch confuser und obendrein müde. Als er nun gar durch mannhohes Gras und dickes Gestrüpp arbeiten sollte, überraschte ihn die Nacht, so daß er sich entschließen mußte, diese in Confusion und Wildniß allein zuzubringen. Zu diesem Zwecke kletterte er auf einen Baum, um darin seine Schlafstelle aufzuschlagen, was gar nicht so übel sein würde, wenn man sich nur erst daran gewöhnt hätte. Auf Borneo gibt’s ja eine ganze Menschenart, die blos auf Bäumen lebt, in deren Kronen ihre Hütten flechtet und wie Eichhörnchen von Baum zu Baum springt.

Lassen wir Dr. Baikie seine Schlafstelle und Nachtherberge selbst schildern.

„Ich wählte einen Baum mit einem sich verdoppelnden Stamme oben, warf meine Schuhe über die Schultern und kletterte hinauf. Mit dem Rücken lehnte ich mich gegen den einen, mit denn Füßen gegen den andern Stamm. So dacht’ ich, etwa fünfzehn Fuß vom Boden, die Nacht in verhältnißmäßiger Sicherheit zu überleben. Die Nacht war glücklicher Weise nicht sehr dunkel, so daß ich wenigstens die Finsterniß und glänzende Sterne über mir sehen konnte. Später zog ein Gewitter auf, dessen Blitze mir oft die weite Umgegend in flammender Beleuchtung zeigten, freilich nur, um sie immer gleich in desto grausigere Nacht zu hüllen. Um den Insekten, die mich gierig umschwärmten, meine Füße nicht ganz preiszugeben, zog ich Schuhe und Strümpfe an, und nachdem ich meinem Körper durch Stricke an den Zweigen, durch welche ich meine Arme steckte, Haltung verschafft hatte, versuchte ich zu schlafen. Ungefähr um acht Uhr vernahm ich deutlich menschliche Stimmen in der Ferne; aber vergebenn sucht’ ich sie durch Schreien heranzulocken; doch merkt’ ich mir die Richtung, um etwa am Morgen deren Hütten zu entdecken. Nun wickelte ich mich, so gut es ging, ein, um den Insekten so wenig als möglich Haut zu bieten, und machte mir’s so bequem als möglich. Dies muß auch gelungen sein, denn ich schlief wenigstens vier Stunden. Ich wachte steif und noch mitten in der Finsterniß auf, und da ich nicht wieder einschlafen konnte, steckte ich mir die eine Hälfte meiner letzten Cigarre an, um die andere zum Frühstück zu verzehren. (Eine sehr luftige Kost: halbe Cigarre zum Abendbrot und die andere Hälfte statt Kaffee und „Eingebrocktem“.) Ich rauchte sparsam, aber desto luxuriöser war die Musik, welche Frösche, Heimchen und andere Eingeborne dazu machten. Die Mosquito’s brummten zu Tausenden um mich herum einen blutdürstigen Baß dazu. Auch einige Vögel, die über mir, eine Treppe höher, logirten, wurden manchmal laut. Wahrscheinlich waren sie nicht an das Rauchen gewöhnt. In der größten Ermüdung über meinen


  1. Wer zu seiner Unterhaltung oder noch besser, zur Beobachtung und Belehrung ein Ophiantrum anlegen will, kann es ohne große Mühe. Besonders auf dem Lande oder in einem Garten lassen sich dergleichen Grotten sehr gut anlegen. Es genügt ein überdecktes, enggeflochtenes Eisengitter in Form einen länglichen Zeltes oder Miniatur-Glaspalastes, wie unsere Abbildung darstellt, in dessen innern Raum im kleinen Maaßstab Bäume, Felsen malerisch gruppirt angebracht sind, so groß, daß die Schlangen Platz zu freien Bewegungen finden, ohne daß sie, wie in dem Kranitzky’schen Ophiantrum, im Knäuel übereinander liegen. Die schönen Windungen der Schlangen geben ein reizendes Schauspiel ab, das man Stunden lang beobachten kann. Des Monats einmal gibt man den Schlangen Frösche zur Speise, im Winter verfallen sie, wenn sie einigermaßen in gelinder Temperatur gehalten werden, in Erstarrung, brauchen also während dieser Zeit gar keine Pflege. Wer kein Bassin zum Baden und Schwimmen anbringen kann, mag nur von Zeit zu Zeit ein Gefäß mit frischem Wasser hinsetzen, damit sie saufen können.
  2. Man unterscheidet diese durchaus unschädlichen Ringelnattern von den giftigen Kreuzottern dadurch, daß jene hinter dem Kopfe an beiden Seiten gelbe oder weißlichgelbe, halbmondförmige Flecke haben, welche hinten mit einem schwarzen Rande umgeben sind; diese nicht hell gefleckt sind, sondern vom Kopfe an dunkle Striche über den ganzen Rücken bis zum Schwänze hin haben, welche nach Art des Blitzes von einer Seite des Körpers nach der andern zackig hinlaufen und an deren Ende jedesmal ein kleiner schwarzer Punkt sich befindet.
  3. Ueber die diesen Thieren inwohnende Tücke und Bosheit, jedenfalls wegen der geraubten Freiheit, machte uns der freundliche Wirth folgende Mittheilungen. Die Kreuzottern seien in der Gefangenschaft nicht durchzubringen, weil sie lieber aus Hunger sterben, als daß sie die ihnen gebotene Nahrung annehmen. Zwei alte Mäuse mit ihrer zahlreichen Nachkommenschaft seien, in den Schlangenkasten gesetzt, zwar von ihnen ganz leicht gebissen worden, worauf sofort der Tod erfolgt wäre, aber keine von den Schlangen habe Miene gemacht, auch nur eins der getödteten Thiere zu verschlingen. Sie seien später selbst gestorben und andere, die er sich habe bringen lassen, hätten bis jetzt eben so wenig Nahrung zu sich genommen und wollten wahrscheinlich auch dem Hungertode erliegen.
  4. Es soll dort eine Sage herrschen, daß einst weiße Menschen als Erlöser erscheinen würden.

[558] Schlaf konnte ich nicht wieder einschlafen und studirte deshalb aus Langeweile Astronomie. Als ich die Venus entdeckte, den schönen Morgenstern, hoffte ich mit der peinlichsten Hoffnung auf die steigende Sonne.

„Inzwischen statteten verschiedene Bewohner dieser Gegend dem ungewöhnlichen Gaste ihren Besuch ab, schrecklich große, katzenäugige Eulen mit Hyänengeheul und sonstigen unfreundlichen Mißtönen, Leoparden und andere Thierchen von der Sorte, die’s nehmen, wo sie’s kriegen können. Sie zogen sich mit aufdämmerndem Morgenroth in ihre Privatgemächer zurück, ohne mich entdeckt zu haben, da ich jedenfalls über ihrem „Winde“ saß. Aber die geflügelten Räuber setzten ihre unermüdliche, summende Aufmerksamkeit gegen mein Blut auch im Morgenrothe fort, so daß ich endlich nach einer eilfstündigen Sitzung herabstieg und dankbar gegen meinen Wirth, nicht ohne neue Kraft im freundlichen Tageslichte mich wieder zurecht fand.“ – Freilich, so leicht ging das nicht. Er mußte sich nicht selten, nach dem Genusse seines erwähnten Frühstücks, der Cigarrenneige, durch ganze Tunnels des üppigsten Grases hindurcharbeiten oder sich gar erst solche Tunnels biegen, brechen und bahnen. Ein solcher Tunnel, durch welchen er kriechen mußte, war eine halbe englische Meile lang, und lediglich durch das häufigere Hin- und Herkriechen der Eingebornen unter den dichten Gras- und Schilfhäuptern hin entstanden. Mit Hilfe Eingeborner, die er richtig in der Gegend fand, von wo er in der Nacht menschliche Stimmen vernommen, erreichte er sein Schiff wieder, und die Expedition ging weiter stromaufwärts unter immer wilder und unfreundlicher werdende Stämme, manchmal an Hippopotamen vorbei, die sich am seichten Ufer im Schlamm und Sand wälzten und lustig, aber schrecklich schwerfällig umher planschend, die unerhörte Neuigkeit eines Dampfschiffes mit schrecklich komischem Kopfnicken und noch schrecklicherem Maulaufsperren anglotzten. Die Eingebornen essen das Fleisch derselben (eins ist so viel, wie 5–6 Ochsen) mit Appetit, und machen aus deren Zähnen alle möglichen Geräthe und Schmucksachen. Auch handeln sie damit, da sie feiner und fester sind, als Elfenbein. Wenn hier die Civilisation einbricht, werden manchem Flußpferde die kostbaren Zähne ausgezogen werden. Ein gewöhnlicher Backzahn ist ziemlich so groß, wie das Ende eines Ochsenhüftknochens.

Einmal landeten die Engländer am Ufer eines neuen kleinen Königreichs, bewohnt von einer Berber- und Negermischrace, die ihnen sehr verdächtige Aufmerksamkeit schenkte, und sie nicht wieder fortlassen wollte. Nur durch List und Festigkeit im Verein gelang es ihnen, der verdächtigen Zudringlichkeit zu entkommen.

„Ein andermal,“ erzählt Dr. Baikie selber, „liefen wir in eine Bucht des Flusses ein, und fuhren auf ein Dorf zu, das zu merkwürdig war, als daß ich es nicht schildern sollte. Wir rannten mit dem Schnabel unseres Bootes zu unserm größten Erstaunen plötzlich auf eine Hütte mitten im Wasser und sahen nun, daß das ganze Dorf mit der untern Hälfte unter Wasser stand. Das Merkwürdigste war aber, nun die Hütten im Wasser lebendig werden zu sehen. Die schwarze Bevölkerung stellte sich im Wasser vor die Thüren ihrer Hütten, Kinder bis über die Taille im Elemente der Fische, und starrten uns mit aller Macht an. Wie die Hütten dieser Amphibienmenschen gebaut gewesen sein mögen, weiß ich nicht; wie Menschen in diesen Biberbauten leben können, kann ich mir noch weniger erklären. Ich sah nur ganz deutlich, daß einige Leute untertauchten, um durch die wassererfüllten Eingangslöcher heraus zu kommen. Der Platz schien nicht etwa momentan überschwemmt, sondern von vorn herein in’s Wasser gebaut zu sein. Es waren Biber in Menschengestalt. Unser Staunen über diese amphibische Wohnungweise war gewiß eben so groß, als das der Leute über die Weißen und ihr Boot. Auf Ceylon leben bestialische Menschen in Felsenhöhlen, wie Bären und Löwen, auf Borneo gibt es Baumbewohner, in China leben ganze Dörfer und Städte auf schwimmenden Holzflößen; die Tuariks und Shanbahs leben obdachlos in der Wüste und decken sich mit dem blauen Himmel zu, und der Eskimo gräbt und kratzt sich seine Hütte in knirschenden Schnee hinein. Von allen diesen sonderbaren Logis hatten wir gehört, aber noch nie an die Möglichkeit geglaubt, daß Menschen wie Biber, Flußpferde und Krokodile sich auf überwässertem Schlamme absichtlich häuslich niederlassen. Und diese nie gefabelte Möglichkeit lag nun plötzlich in seltsamster Wirklichkeit vor uns!“

Die Engländer entdeckten hinter diesem menschlichen Biberdorfe etwas insulirtes trocknes Land um einen großen Baum herum, landeten und machten einige wissenschaftliche Beobachtungen. Währenddem sammelten sich die Bewohner, wurden immer dreister, schickten ihre Kinder und Weiber weg und zeigten Waffen. Offenbar war’s ihnm darum zu thun, unser Boot zu plündern. Ein alter, trockner Herr, ihr König, kauerte auf einem über das Wasser emporragenden Baumzweig, und sah zu, wie seine Unterthanen mit Gier auf ein rothes Hemde Jagd machten, das etwas aus einem Sacke auf dem Boote hervorlugte.

„Mein kleiner Hund aber wollte sich die Eingriffe auf unser Eigenthum nicht gefallen lassen. Er kläffte plötzlich tapfer aus seinem Verstecke im Boote auf, so daß die Dulti-Helden („Dulti“ nannte sich das Volk), die nie eine so bellende Kreatur gesehen hatten, sich plötzlich erschreckt zurückzogen, und großen Rath hielten. Sie fragten mich dabei durch Zeichen, ob das Wunderthier wohl beißen könnte, was ich sehr deutlich pantomimisch bejahte. Wir drückten und schleppten unser Boot in hohes Schilfgras hinein und hofften, trocknes Land zu finden; aber das Wasser erwies sich immer noch eine Klafter tief. Als es unmöglich schien, weiter in dieses Wassergewächsdickicht einzudringen, wollten wir zurückkehren, fanden aber, daß die Dulti mit ihren kleinen Kanoe’s Anstalten trafen, uns den Rückzug abzuschneiden. Doch wir drangen muthig auf sie zu, aber stießen, als wir wieder das offene Wasser erreichten, auf einen ganzen Ameisenhaufen kleiner Kanoe’s, wahrscheinlich die ganze Kriegsflotte des Dulti-Königreichs. Wir trafen einige Vorbereitungen zur Abwehr mit geladenen Revolvers, bewiesen aber den uns dicht folgenden Wassermenschen während unseres Rückzuges die größte Höflichkeit und winkten ihnen, uns zu folgen. Dies thaten sie auch, bis wir plötzlich den offenen Fluß erreichten. In diesen wagten sie sich mit ihren kleinen Nußschaalen und rechtwinkelig geschaufelten Rudern nicht, so daß wir uns plötzlich aus aller tragikomischen Gefahr befreit sahen.“

Dieses Abenteuer begegnete den Engländern ziemlich am äußersten Punkte ihrer Fahrt. Als sie sich überzeugt hatten, daß der von ihnen verfolgte Chaddafluß als Benué, den Barth entdeckt hatte, fortlaufe, kehrten sie zurück. Auf diesem Wege hatten sie Gelegenheit, einen Markt in der Hauptstadt eines Uferkönigreichs, die sie vorher ganz verödet gefunden (in Folge einer befürchteten Invasion der Fellatahs), in Augenschein zu nehmen. Es war schon gegen Abend, aber das Geschäft blühte noch im lebhaftesten Handel, Austausch von Bier, Salz, Palmöl, Korn, eingemachten und getrockneten Yamwurzeln, getrockneten Fischen, pulverisirten Blättern von Baobabgras, Kleidungsstücken, Brei einer orchideenartigen Pflanze als Nahrungsmittel, Kalk, Camholz, Farbestoffen, Sheabutter u. s. w. Auch bemerkte man Färbereien, einen tüchtig zuhauenden Schmied und andere Spuren von Industrie und Handwerk. Eine alte Dame, der sie einen Besuch machten, zeigte ihnen mit Stolz ein Stückchen Spiegelglas als kostbarste Seltenheit der Nation. Man sieht, was die Europäer mit ihren Ueberflüssen von Spiegeln und Luxussachen hier für brillante Geschäfte machen können unter Völkern, die schon so viel Kultur und Industrie in der Anlage besitzen und die größte Freude am Handeln und Tauschen haben, wie bei uns die Kinder. Die Engländer werden solche Winke auch am ersten verstehen, und bald Hunderte von Meilen lang an den Ufern des majestätischen Flusses bis in’s Innere Afrika’s hinein schachern, und die Schwarzen gehörig über den Löffel barbieren.

Das schadet auch nichts, und wenn diese kleinen Majestäten auch ihr halbes Königreich für ein paar Silbergroschenspiegel verkaufen. So mild, freundlich, lernbegierig und intelligenzfähig sich die Herren Schwarzen auch im Allgemeinen erwiesen, treiben sie doch eine skandalöse Wirthschaft. Sie beschäftigen sich wesentlich mit weiter nichts, als mit Wegfangen von Sklaven und Gefangenwerden, blos weil bisher der Anreiz zu lohnenderen und nützlicheren Beschäftigungen fehlte. Bringt man ihnen aber hübsche Tauschartikel gegen ihre Produkte, namentlich das friedliche Palmenöl, werden sie sofort wie bereits andere schwarze Könige und Unterthanen einsehen, daß man die Leute besser benutzen kann, als sie zu verkaufen und als Sklaven umherzutreiben. Mit Handel und Wandel, Austausch und weißem Verkehr kommt die Kultur, die friedliche Beschäftigung und die Humanität, mögen die Engländer ihren neuen Markt noch so sehr übervortheilen. Uebrigens sind, wie gesagt, die Schwarzen auch nicht auf den Kopf gefallen.

[559] So viel“ aus Dr. Baikie’s über die eine lange Reihe heroischer Reisen und Forschungen abschließende Dampfschiffexpedition. Der Bericht könnte reicher, interessanter und belehrender sein. Wir finden z. B. nichts Gescheidtes über die Thier- und Pflanzenwelt, obgleich dies von hoher Wichtigkeit ist.

Aber das Innere von Afrika ist aufgeschlossen. Haben wir erst den deutschen Barth an dem Schlüssel zum Herzen Afrika’s, können wir uns rühmen, einen Helden zu besitzen, der mehr Festungsschlüssel geerntet und mehr Festungen eingenommen, als alle vereinigten Trojaner vor Sebastopol oder Karlchens vor Kronstadt.




Kreuzigung.

Wenn dich die Welt an’s Kreuz geschlagen,
Wenn sie dich geißelt und verhöhnt,
Mußt ihren Spott du lautlos tragen,
Ob auch dein Herz im Busen stöhnt.

Nach innen fließe deine Thräne,
Nach außen hemme ihre Bahn,
Daß keiner der Verfolger wähne,
Er habe wehe dir gethan.

Ein Schmuck sei dir die Marterkrone,
Und sticht dich blutig auch ihr Dorn,
Mit Lächeln jede Schmähung lohne:
Verachtung sei dein schwerster Zorn.

Alb. Traeger.




Der Sicherheitsausschuß in Californien.

Eine der merkwürdigsten Revolutionen, die jemals geschehen sind, hat so eben siegreich ihren Lauf vollendet. Sie war ein höchst gefährliches Experiment, ein furchtbares Beispiel in einem civilisirten Lande, in welchem allein das Gesetz herrschen soll, aber nach den vorliegenden Beweisen eine Nothwendigkeit, eine Anwendung des ersten Naturgesetzes, der Selbsterhaltung. Es war ein Fall, den Schiller im „Tell“ schildert:

„Der alte Urständ der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht.“

Das Volk von Californien nämlich, und namentlich der Hauptstadt San Francisco, entzog die Gewalt den Behörden, die sie mißbrauchten, trat zusammen um sich selbst zu schützen und nahm die Vollziehung der Gesetze in die eigne Hand. So war die Revolution in San Francisco nicht Pöbelherrschaft und Anarchie, sondern der energische Versuch der Besten im Volke gegen die Gesetzlosigkeiten der bestehenden Gewalten, eine Anwendung des Lynchgesetzes im Großen gegen die Verbrecher und die mit denselben verbündeten Behörden, ein Auftreten von „Regulatoren“ in Masse, wie man es so oft in verschiedenen neu sich bildenden Staaten in Amerika, auch in Californien schon einmal gesehen hat, als bald nach Entdeckung des Goldes daselbst der Auswurf aller Länder dahin strömte.

In den letzten fünf oder sechs Jahren hatten sich in dem Goldlande, besonders in San Francisco, wiederum eine Menge Gesindel, Diebe, Mörder, Spieler oder desperater Menschen gesammelt. Während die Ehrlichen dem Gewinne eifrig nachgingen und sich in schimpflicher Gleichgültigkeit weder um die staatlichen noch um die städtischen Angelegenheiten kümmerten, waren die Schurken um so rühriger, bis es ihnen gelang, sich selbst und ihre Helfershelfer in die einflußreichsten Aemter, ja selbst in Richterstellen zu bringen. Daß von Recht und Gerechtigkeit da nicht die Rede sein konnte, wird wohl Jeder glauben. Mordthaten geschahen öffentlich mit der größten Frechheit und die Mörder fanden – Schutz bei den Richtern, ihren Genossen. Es lag eine drückende Schwüle über San Francisco, denn Niemand war, bei der in Wirklichkeit bestehenden Spitzbuben- und Mörderherrschaft seines Lebens und Eigenthums sicher. Am muthigsten und entschiedensten gegen solche Zustände sprach sich James King aus, der in San Francisco eine Zeitung herausgab, ein Ehrenmann im weitesten Sinne des Wortes und deshalb bei allen Ehrenhaften hochangesehen. Auch gegen einen gewissen Casey, der in New-York wegen Verbrechen bestraft, in San Francisco aber durch seine Genossen in ein Amt gebracht worden war, äußerte er sich entschieden, und Casey schoß ihn bei hellem Tage mit der größten Kaltblütigkeit auf der Straße nieder.

Diese Blutthat zerriß endlich die Geduld des Volkes. Casey hatte sich dem Gericht, seinen Freunden, übergeben, die ihn zu seiner – Sicherheit in das Gefängniß brachten. Das Volk aber wußte, daß ihm kein Haar gekrümmt werden würde, es stand deshalb auf wie ein Mann. So könne und dürfe es nicht langer gehen, hieß es allgemein. Es traten mehrere angesehene Männer, – darunter viel deutsche – zusammen, um die Leitung des Aufstandes gegen die Behörden zu übernehmen, eine Art provisorische Regierung, genannt der Sicherheitsausschuß. Alle ihnen Gleichgesinnten griffen zu den Waffen und stellten sich dem Ausschuß zur Verfügung. Als Alles bereit, als King so feierlich wie noch Niemand in San Francisco begraben war, zogen ein paar Tausend Bewaffnete vor das Gefängniß, um Casey und einen andern Mörder mit Gewalt hervorzuholen und vor den Sicherheitsausschuß zu führen, der in einem großen Gebäude permanent versammelt blieb.

Zuerst erschienen zweitausend Mann, sämmtlich mit Büchsen bewaffnet. Ihnen folgten fünfhundert Andere, deren Jeder einen Revolver in der Hand hielt. Tausende von Neugierigen füllten den Platz vor dem Gefängnißgebäude und die anstoßenden Straßen; aber sie verhielten sich ruhig, denn sie wußten, es solle eine große That der Volksjustiz erfolgen. Man hörte nichts als den Tactschritt der Bewaffneten „und nie hat San Francisco einen feierlichern Aufzug gesehen.“ Gegen das Thor des Gefängnisses wurde eine Kanone gerichtet, um dasselbe einzuschießen, wenn man sich weigerte es zu öffnen. Man weigerte sich indeß nicht; die Abgeordneten des Ausschusses konnten ungehindert hindurchschreiten und nach wenigen Augenblicken kamen sie mit Casey zurück, der todtenbleich war, denn er ahnte sein Schicksal. Man setzte ihn in einen Wagen, den Bewaffnete zu Pferd begleiteten, und brachte ihn vor den Sicherheitsausschuß. Nach einer Stunde holte man aus dem Gefängnisse eben so vorsichtig einen andern Mörder, Cora, ab.

Dreihundert Bürger, die sich alle drei Stunden ablösten, hatten die Wache an dem Gebäude, in welchem der Sicherheitsausschuß seine Sitzungen hielt, und zwei Kanonen waren so aufgestellt, daß sie die nächsten Straßen bestreichen konnten. Ein Sherif, der im Namen der Gerichtsbehörde die Wiederauslieferung der beiden Gefangenen verlangen sollte, konnte nicht einmal zu dem Ausschuß gelangen. Die Stadt erwartete den Spruch in äußerster Spannung, aber das Exempel sollte in besonders feierlicher Weise statuirt werden: am Tage des Begräbnisses des Gemordeten, nachdem der Sicherheitsausschuß beide Mörder verhört, wurden sie, eine Stunde nach der feierlichen Beisetzung des Erschossenen, vor den Fenstern des Sitzungslokales aufgehangen.

[560] Das war der Anfang der Thätigkeit des Ausschusses, die seitdem ununterbrochen fortgedauert hat zur Reinigung des Landes. Er ließ viele Verbrecher verhaften und fortbringen nach Australien, nach den Sandwichinseln; andere erhielten die Weisung sich selbst zu entfernen, wenn sie nicht mit Gewalt fortgebracht sein wollten. Ein Mitglied des höchsten Gerichtshofes, Terry, stach Einen von dem Sicherheitsausschusse, als derselbe einen Schurken, den Freund des Richters, verhaften wollte, nieder. Dann verbarricadirte er sich mit mehreren Anhängern in einem öffentlichen Gebäude und man mußte Gewalt anwenden, um ihn zur Haft zu bringen.

King’s Ermordung.

Der Gouverneur des Staates sah das Gebahren des Ausschusses als Revolution an, erklärte die Mitglieder desselben für Rebellen und forderte das Volk auf, sich zu bewaffnen und sich ihm zur Verfügung zu stellen, damit er „die Herrschaft des Gesetzes“ wieder herstelle. Nur wenige Hunderte entsprachen seiner Aufforderung. Auch der Commandeur des im Hafen von Francisco liegenden amerikanischen Geschwaders weigerte sich, ihn zu unterstützen. Die Streitkräfte des Ausschusses wuchsen dagegen von Tage zu Tage, so, daß derselbe endlich über 6000 Bewaffnete mit dreißig Kanonen zu verfügen hatte.

Den klarsten Einblick in die Verhältnisse gibt die Ansprache des Ausschusses „an das Volk“, aus der wir das Wesentlichste nach der deutschen Ausgabe mittheilen, da, so viel uns bekannt, das Aktenstück in Deutschland noch nicht gedruckt worden ist:

„Das Volk ist im Vertrauen auf sein angeerbtes Recht und seine Macht aufgestanden. Seit Jahren hat dasselbe geduldig geharrt und sich bestrebt, auf einem friedlichen Wege und im Einklänge mit den Formen des Gesetzes die Bosheit, welche unsere Stadt zu einem Spotte gemacht hatte, abzuwenden. Betrügerei und Gewalt haben jede Anstrengung vergeblich gemacht, und die Gesetze, zu denen das Volk um Schutz aufblickte, waren in der Anwendung null und nichtig, so daß sie den Bösen ein Schild waren, und als ein gewaltiges Werkzeug gebraucht wurden, um Tyrannei und Mißgeschick über uns zu bringen.

„Organisirte Banden gesetzloser Menschen aller politischen Parteien oder solcher, welche ein eigenes Glaubensbekenntniß corrupter und verkäuflicher Motive halber ausstellten, haben unter sich die Aemter vertheilt und an den Höchstbietenden verkauft, auch sich mit geeigneten Werkzeugen, Inspektoren und Richtern, die ihrem Wink folgten, umgeben.

„Sie haben Raufbolde und Wegelagerer in Gold genommen, die Wahllisten durch Gewalt zu zerstören, und friedliche Bürger abzuhalten, in einer gesetzlichen Weise der Anzahl der abgegebenen Stimmen bei unseren Wahlen sich zu versichern. Sie haben sich betrügerisch eingerichteter Stimmkasten, mit falschen Seiten und Boden, so beschaffen, daß dadurch gefälschte Stimmzettel, welche vorher darin versteckt waren, mit den rechten Stimmen gemischt werden konnten, bedient. Fälscher von anderen Städten und Ländern und unbestrafte Verbrecher, ebenso schlimm als diese, haben die öffentlichen Gelder und das Staatseigenthum controlirt, und erbeuteten so in Schnelligkeit Schätze, ohne je mit Hand oder Kopf eine ehrliche Tagesarbeit verrichtet zu haben. Dadurch ist das schöne Erbe unserer Stadt verschwendet worden, unsere Straßen und Werfte sind Ruinen, und eine ungeheure Schuldenlast wird die nachkommende Generation mit Kummer und Armuth beladen. Das Institut der Jury ist zu einem Spiele geworden und die Aussprüche derselben zu einem Schilde für Hunderte von Mördern, deren blutige Hände diese Tyrannei zusammengefügt, und die mit dem Bowiemesser und der Pistole nicht nur die freie Stimme einer indignirten Presse sondern auch den entrüsteten Aufschrei der niedergetretenen Bürger zum Schweigen gebracht haben.

„Verkörpert in den Principien republikanischer Regierungen sind die Wahrheiten, daß die Majorität regieren soll, und wenn

[561]

Casey’s Abführung aus dem Gefängniß.

[562] bestechliche Beamte, die durch Betrug die Zügel der Autorität an sich reißen, absichtlich die Ausführung der Gesetze verhindern und die Strafe von den notorischen Schuldigen abwenden, fällt die Gewalt, welche sie usurpirt, an das Volk zurück, dem sie entwunden. Diese Wahrheiten begreifend, und überzeugt, daß derselbe den Willen der großen Majorität der Bürger dieses Landes ausführt, hat der Sicherheits-Ausschuß unter dem feierlichen Ausdruck der Verantwortlichkeit, welche auf ihm ruht, gewissenhaft und ohne Vorurtheile die Beweise abgewogen, und darnach den Tod Einiger und die Verbannung Anderer dekretirt, welche durch ihre Verbrechen und ihre Schandthaten unser Land mit Schande bedeckt haben. Für die, welche verbannt worden sind, wurde diese milde Strafe gewählt, nicht weil dieselben den Tod nicht verdient hätten, sondern damit jeder Irrthum, wenn je welcher vorhanden, mit Sicherheit auf Seiten der Gnade für die Verbrecher sein möchte. Es sind andere, kaum weniger Schuldige vorhanden, gegen welche dieselbe Strafe dekretirt worden ist, aber es ist denselben weitere Zeit gestellt worden, um ihre endliche Abreise zu ordnen, wobei die Hoffnung nicht täusche, daß die Erlaubniß, freiwillig sich zu entfernen, bei ihnen Reue veranlasse, und des reuigen Bekenntnisses halber ist ihnen gestattet worden, in einer gegebenen Zeit die Art und Weise und die Zeit ihrer Abreise selbst zu bestimmen.

„Wir haben keine Freunde zu belohnen, keine Feinde zu bestrafen, keine Privatabsichten zu vollführen, unser einziges Ziel ist das öffentliche Wohl, die Reinigung unserer Gemeinde von diesen Charakterlosen, deren Handlungen fortwährend Böses gestiftet haben, und die uns endlich zu den Anstrengungen, die wir jetzt machen, gezwungen haben.

„Der Ausschuß glaubt, daß das Volk ihn betraut hat, nach einem gerechten Verfahren die Räuber und Meuchelmörder aus der Gemeinde auszutreiben, welche so lange dem Frieden und der guten Ordnung der Gesellschaft Hohn gesprochen, welche die Stimmkasten verletzt, das Gesetz niedergetreten, und Gerechtigkeit unmöglich gemacht haben.

„Ueber diese Pflichten hinaus wünschen wir nicht mit den Einzelnheiten der Verwaltung der Regierung in Berührung zu kommen. Wir haben keine Anstrengung gescheut, und werden keine Anstrengung unversucht lassen, Blutvergießen oder den Bürgerkrieg zu vermeiden; aber unerschreckt durch feindliche Drohungen, werden wir fortfahren, friedlich – wenn wir können, mit Gewalt – wenn wir müssen, dieses Werk der Reform, für welches wir unser Leben, unser Gut und Blut mit unserer heiligen Ehre verpfändet haben, fortzusetzen.

„Unsere Arbeit ist hart gewesen, unsere Ueberlegung war bedächtig, unsere Beschlüsse fest und unsere Motive rein, und während wir die Nothwendigkeit, welche uns zum Handeln rief, bedauern, wünschen wir, daß diese Nothwendigkeit nicht länger fortexistiren möge; wenn unsere Arbeit gethan sein wird, wenn die Gemeinde von den Uebeln befreit sein wird, die sie so lange ertragen, wenn wir für unsere Bürger hinreichenden Schutz für ihre Rechte erlangt haben werden, – dann wird der Ausschuß, mit einem Gefühle großer Genugthuung, seine Gewalt in die Hände des Volkes, von dem er sie erhalten, wieder niederlegen.“ –

Das hat er nach den neuesten Nachrichten auch gethan und so den Bürgerkrieg abgewendet, der drohte, da der Präsident der Vr. Staaten die Macht derselben aufbieten wollte, den Ausschuß zu unterdrücken. Er würde aber auch den Kampf und somit den Bürgerkrieg nicht gescheut haben, wenn nicht seine Aufgabe eben gelöset und das Land von den Verbrechern gesäubert wäre.

Freiwillig, durch keine Gewalt gezwungen, ist er abgetreten und zwar mit den höchsten Ehren. Seine Anhänger, in letzter Zeit beinahe 10,000 Mann an der Zahl, mit vielen Geschützen, ein großer Theil beritten und zum Kavalleriedienst equipirt, zogen in Reih und Glied, mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel durch die Straßen, und gaben so dem Ausschuß ein bezeichnendes Geleit bei der Rückkehr in’s Privatleben. Nach den neuesten Nachrichten aber wurde gleich darauf der Präsident des Ausschusses, William Coleman, wegen Hochverraths verhaftet. Mutmaßlich wird diese Verhaftung neue Verwickelungen herbeiführen und dürfen wir also in nächster Zeit interessanten Nachrichten von dort entgegensehen.






Wie man Maler wird.

Könnte man in das Leben mancher ausgezeichneten Menschen blicken, die Umstände kennen, welche sie in die ihnen zusagende Bahn leiteten, ja, man könnte sagen, warfen, ihr angebornes Talent zur Geltung brachten, wir würden bewundernswürdigen Führungen begegnen. Der berühmte Landschaftsmaler, nachmalige Gallerieinspektor Weitsch zu Braunschweig ist dafür ein Beleg. Er war armer Eltern Kind. Das auffallende Talent des Knaben zu bildlicher Darstellung blieb unbemerkt, unerkannt und er gerieth in eine verfehlte Lebensbahn; er wurde Soldat unter den braunschweigischen Truppen und brachte es bis zum Unteroffizier. Da sah’s weiter hinauf trübe aus, weil Junker in der Regel die Stellen einnahmen. – Niemand kannte und erkannte auch jetzt noch das in ihm schlummernde Talent, bis ein besonderes Ereigniß ihm eine nicht geahnete Bahn brach. Und was war das nächste Motiv? Das privilegirte Faulenzerthum des Soldatenstandes! – Die braunschweigischen Truppen hatten in einer der aller langweiligsten Gegenden Hollands ein Observationslager bezogen. Die Bezeichnung des Charakters der Gegend will etwas sagen in einem Lande, dessen Landschaften auch den allerphlegmatischsten Reisenden durch ihr ewiges Einerlei von Wiesen, Kanälen, Windmühlen und eintönigen Landhäusern in Verzweiflung bringen können, nur keinen Holländer. – Die Truppen mußten eine lange Zeit täglich mit Sack und Pack zum Aufbruche sich bereit halten, aber der Tag kam nicht. Die Leute wußten nicht, womit sie die Zeit todtschlagen sollten und der Unmuth riß überall ein. Kindische Possen, Kartespielen und selbst Schlimmeres unterhielt sie.

Weitsch war ein durchaus braver Mensch. Er mochte das liederliche Treiben nicht und sann auf einen bessern Zeitvertreib. Da kam er auf den Gedanken, schmale Streifen Rasen in einem nahen, feuchten Wiesengrunde auszustechen und damit an der dem Lager zugewendeten Seite eines kleinen, niedrigen Hügels das braunschweigische Wappen darzustellen und zwar in kolossaler Größe. Gedacht, gethan! Freilich war das kein Werk, das in einem Tage fertig werden konnte, vielmehr gehörten Wochen dazu. Weitsch ließ sich nicht irre machen; er fertigte sich eine Zeichnung und verwandte unausgesetzt Zeit und Mühe darauf, bis es zum Erstaunen seiner Kameraden vollendet war. So stellte sich denn in ungeheuern Umrissen das Wappenschild endlich dar, vollkommen unverkennbar und richtig. Die Ausfüllung der einzelnen Felder brachte er mit verschiedenartigem Sande zu Wege. Von Ferne gesehen, hatte es etwas Auffallendes und Frappantes. Die Soldaten bewunderten das Kunstwerk; die Offiziere hatten ihre Freude daran und ließen ihm durch öfteres Begießen Dauer und Frische erhalten.

Gerade um diese Zeit erschien der Prinz der Niederlande, um Heerschau über die Observationstruppen zu halten. Als er in die Nähe des Lagers kam, fiel natürlich sein Blick auf das ungeheure Wappen. Es fesselte seine Aufmerksamkeit in hohem Grade und sein Kennerblick erkannte selbst in diesen Umrissen ein ungewöhnliches Talent. Sogleich fragte er, wer es gemacht habe?

Man nannte ihm den Korporal Weitsch. Der Prinz ließ Weitsch rufen, redete freundlich mit ihm, belobte das schöne Werk nach Verdienst und schenkte Weitsch zwei Louisd’or.

Niemand war glücklicher, als Weitsch. Er war arm; die zwei Louisd’or freueten ihn sehr, denn er hatte so viel Geld niemals sein genannt; aber mehr als das freuete ihn das Lob des Prinzen, seine Freude an seiner Arbeit. Das schlummernde Talent war geweckt. Es ließ sich nicht mehr einschläfern. Es ließ ihm Tag und Nacht keine Ruhe, wie er sich eine künstlerisch schaffende Thätigkeit gewinnen könne. Er zeichnete für sich alle Tage und wo er irgend ein Bild sehen konnte, da stand er Stunden lang davor und betrachtete es, ohne Sinn für irgend etwas Anderes zu haben. In dieser Zeit nagender, gährender Unruhe kehrten die Truppen in ihre liebe Heimath zurück und die unendliche Langeweile Hollands lag hinter ihnen.

Freilich – auch in der Heimath wollten sich für’s Erste keine [563] neuen Wege aufthun. Ein höchst sonderbares Ereigniß sollte auch hier ihm bahnbrechend werden. Eines Tages ließ ihn sein Hauptmann zu sich rufen, ein hochadeliger Herr, dessen Bildung aber unter dem Gefrierpunkte stand.

„Weitsch,“ redete er ihn an, „Du könntest mir einen großen Dienst leisten.“ –

„Mit Freuden, gnädiger Herr Hauptmann,“ entgegnete Weitsch, „wenn es nur in meinen Kräften steht.“

„Freilich,“ sagte darauf der Hauptmann. „Ich kenne Dich ja von Holland her als so einen Hexenmeister und Tausendkünstler. Sieh, ich will Dir’s offen sagen, wie es steht. Da ist mir eine alte Tante gestorben, die mir das Teufelszeug, aber nur das nicht hinterließ, was ich brauche, nämlich Geld. Unter dem Nachlaß der alten, gnädigen Hexe sind auch zwei schöne Gemälde. Sie sollen gut und viel Geld werth sein; gefallen mir aber auch. Nun möchte ich sie gerne behalten, aber auch hebräisch lernen lassen – Du verstehst mich? – das geht aber nicht zugleich. Da dachte ich, Du könntest sie mir wohl nachmalen, kopiren. Da behielt ich die hübschen Bilder und – hätte auch das schöne Geld. Nicht wahr, fein ausgedacht? – Heh! Und Du bist der Kerl dazu!“

Weitsch betrachtete die herrlichen Bilder. Es waren zwei ausgezeichnet schöne, höchst werthvolle Landschaften; dann sieht er den Hauptmann an, der in seiner kolossalen Dummheit und Geldgier vor ihm steht. Wer – was er denkt, muß er ihm verschweigen, denn es ist sein Hauptmann und er – Korporal! Endlich sagt er zu dem Hauptmann, der alle Zeichen der Ungeduld bei dem langen Schweigen des Korporals gibt: „der Herr Hauptmann machen einen gnädigen Spaß mit mir! Ich bin ja kein Maler. Ein wenig Zeichnen, das ist Alles, was ich kann; aber einen Pinsel habe ich nie in der Hand gehabt und mit Oelfarben weiß ich vollends nicht umzugehen. Wie sollte ich es vollends fertig bringen, solche herrliche Bilder nachzumalen?“

„Pah!“ ruft lachend der Hauptmann. „Das ist Einem, der das Braunschweiger Wappen mit Graslappen und Sand gemacht hat, daß es einem Prinzen gefiel, eine pure Lapperei! Probir’s nur. Ich sage Dir, es geht, wenn Du anders nur willst!“ – Der Hauptmann legte einen etwas starken Ton auf das letzte Wort und machte dazu ein Gesicht, daß Weitsch schnell begriff, hier sei der Widerstand sehr gefährlich für seine Zukunft und darum geradezu am Ende.

Der Wahrheit zur Steuer darf indessen auch nicht verschwiegen werden, daß es Weitsch war, der sofort einsah, daß er an einem Wendepunkte seiner Lebensbahn angelangt sei, und daß die Vorsehung ihm eben durch diese Bilder die Thüre zu einem Dasein aufthun wolle, das seinen innersten Wünschen und Hoffnungen entspreche. Er nimmt also die Bilder, trägt sie heim, kauft Pinsel und Farben und hebt frischen Muthes an zu malen.

Weitsch hatte übrigens etwas von vornherein mit Albrecht Dürer und – vielen andern Männern gemein, nämlich – eine böse Frau! – Mit Ingrimm sah sie die Ausgaben für das Malergeräthe, die Leinwand, Rahmen und die Farben; mit noch größerem die angestrengte Thätigkeit ihres Mannes, der von nun an für nichts Anderes mehr Sinn hatte, als für seine Bilder und sein Malen. Anfänglich brummte sie heimlich und bewies mit Mienen und Geberden ihren Unwillen; als das nichts half, lieh sie ihrem Unmuthe Worte. „Am Ende,“ rief sie, „versäumst Du noch Deinen Dienst über dem Gekleckse da und wirst abgesetzt! Das fehlt gerade noch! Hast ohnehin für Weib und Kinder keinen Sinn und keine Gedanken mehr und starrst die alten Kleckse da an, als wärst Du schon halb konfuß im Kopfe. Ich wollte der Hauptmann und seine Narrengedanken wären, wo der Pfeffer wächst! Kaffee, Brot für das Geld, das Du für solches dummes Zeug vergeudest!“

So geht das in tausend Variationen alle Tage fort. Weitsch, freundlich und sanft, gibt gute Worte; aber das ist Oel in’s Feuer. Er setzt ihr ruhig und klar Alles auseinander und läßt die Hoffnung durchblicken, daß er auf diesem Wege schweres Geld verdienen könne; aber das verfängt nicht. Sie bleibt in ihrer einmal angeschlagenen Tonart und dem armen Weitsch bleibt nichts übrig, als – sein Atelier in einer Bodenkammer aufzuschlagen, die er abschließt.

Er studirt nun seine Vorbilder, indem er sie nachzubilden sucht, durch und durch und – entdeckt in dem Einen der Bilder offenbar einen Fehler. Ein Baum ist falsch schattirt. Er stutzt. Er denkt nach. Es ist indessen sicher. Um sich aber vollends zu überzeugen, geht er hinaus in’s Freie, setzt sich hin und studirt die Wirkung des Lichts und des Schattens in der Natur.

Hier kommt er in’s Klare und zur Ueberzeugung der vollen Richtigkeit seiner Beobachtung. Nun eilt er heim und in seiner Kopie wird der Fehler sogleich verbessert.

Die Liebe zur Kunst wächst mit jedem Momente. Er erkennt, daß seine Kopie nicht schlecht ist. Er fragt sich, ob er denn nicht Aehnliches frei schaffen könne, und glaubt, die Frage sich bejahen zu dürfen. Sein Genie überwindet alle Hindernisse.

Er führt seinen Pinsel, ohne nur einigen Unterricht empfangen zu haben, mit Geschick und Leichtigkeit. Nach geraumer Zeit ist endlich seine Aufgabe gelöst – aber auch sein Lebensberuf entschieden.

Als er dem kunstfreundlichen Hauptmann die Originale nebst den beiden Kopieen bringt, schlägt dieser die Hände über dem Kopfe zusammen vor Erstaunen. Er begreift es kaum. Endlich wird er zweifelhaft und ruft aus: „Weitsch, Du führst mich am Narrenseile, das hast Du mein’ Lebetage nicht selbst gemacht! Du hast’s bei einem geschickten Maler machen lassen! Gesteh’s nur!“ Weitsch ist entzückt durch diesen Unglauben, der ein Triumph seiner Kunst ist, wie er ihn größer nicht zu hoffen gewagt. Zwar noch lange beharrte der Herr Hauptmann bei seinem Zweifel, aber es gelang doch Weitsch, ihn endlich zu überzeugen.

Nun aber erschallt des Hauptmanns Posaune in allen vornehmen Zirkeln Braunschweigs, in denen zwar viele die Kunstbildung des Herrn Hauptmanns theilen, aber auch urtheilsfähige Leute sind. Alles strömt hin, die Bilder zu sehen. Er hat sich hohe Bewunderer, Gönner und Freunde erworben, und bis zu seinem edeln, kunstliebenden Landesherrn dringt sein Ruf. Er läßt sich die Bilder bringen und staunt. Weitsch muß vor ihm erscheinen – und er entsagt dem Soldatenstande und widmet sich, von allen Seiten ermuntert und gefördert, der Kunst, die ihm eine ehrenvolle Stellung, hohe Achtung und Liebe erwirbt. Als er von seinem Landesherrn zum Gallerieinspektor mit ansehnlichem Gehalt ernannt worden war, und diese ehrenvolle Stellung seiner Frau mittheilte, da stehen ihr Thränen in den Augen; sie fällt ihrem Manne um den Hals, und bittet ihm ihre Schuld ab, die sie ohnehin schon lange bereuet hatte.




Blätter und Blüthen.




Eine Begebenheit aus dem Leben den Fürstbischofs von Dalberg. Zu den reinsten Freuden des edeln Mannen und Priestern, dessen Name in der Ueberschrift genannt ist, gehörte es, wohlzuthun, wo und wie er es nur vermochte. Seine Wohlthätigkeit war um so reicher und umfassender, je weniger er selbst bedurfte, sie wurde aber auch von allen Seiten und in einem Maße in Anspruch genommen, daß oft das reichere Maß seiner Liebe und Barmherzigkeit überschritt und es kamen Fälle in seinem Leben vor, wo er, mit einer Thräne im Auge, bekennen mußte, er sei so arm wie die, welche Hülfe bei ihm suchten, und das war eine volle, runde, reine Wahrheit. Eine Scene dieser Art, eine Begebenheit sollen die nachfolgenden Zeilen erzählen.

Einst wendete sich eine Familienmutter an Dalberg um eine Beihülfe. Die Familie war eine angesehene, einst sehr bemittelte, aber die Zeitverhältnisse und ihre Ungunst, Verluste bedeutender Art und andere Unglücksfälle hatten sie in ihrem Vermögen so weit zurückgebracht, daß sie fremder Hülfe bedurfte. An wen konnte sie sich vertrauensvoller, der Verschwiegenheit sicherer wenden, als an den edeln Dalberg, dessen Wohlthätigkeit bekannt war? Es war nicht eigentlich ein Almosen, welches die Frau wollte. Die Familie bedurfte einen Kapitals von siebenhundert Gulden, um der Schmach einer Klage und der Pfändung zu entgehen. Sie hielt an den letzten Fetzen einen ihr entrissenen Ansehens in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie trat voll Hoffnung bei ihm ein und sprach vertrauensvoll ihre Bitte aus.

Dalberg blickte sie wehmüthig an. „Wie gerne,“ sagte er, „wollte und würde ich helfen, wenn ich könnte. Aber jetzt ist es beim besten Willen unmöglich. In sechs Wochen wird wieder Geld in meine Hände kommen, dann rechnen Sie auf mich!“

Die bitter getäuschte Frau erbleichte – nicht aus Schrecken allein: [564] es war ihr unglaublich, daß der Fürstbischof mittellos sein sollte. Sie gab dem Zweifel an Dalberg’s gutem Willen Raum und – hielt es für eine jener Ausreden, hinter die leider so oft im Leben sich das Nichtwollen verschanzt. Dieses Gefühl konnte sie nicht ganz unterdrücken und sagte etwas scharf betont: „Kann einem so hohen Fürsten es je an Mitteln fehlen, in der drückenden Noth einer schuldlos gebeugten Familie zu helfen?“

Gelassen, ruhig, aber schmerzlich berührt durch den durchleuchtenden Zweifel an seinem Herzen und Willen, nahm Dalberg die Frau an der Hand und führte sie zu seinem Pulte. Er schloß schweigend seine Kasse auf und sagte sanft: „Kommen Sie, wir theilen Alles, was ich habe!“ Er nahm daher Alles heraus, was die Kasse enthielt und – es waren – siebenundvierzig Gulden! – Er theilte die Summe und sagte, indem ein schmerzliches Lächeln um seinen Mund schwebte: „Nehmen Sie die Hälfte, die andre mag meine Bedürfnisse decken. Sie sind geringe, und ich bescheide mich gerne, um Ihnen wenigstens Etwas geben zu können!“ Mit tiefer Scham und inniger Rührung ergriff die Frau seine Hand, bat ihm ihr Mißtrauen ab und kniete vor ihm nieder, indem sie um seinen Segen bat, den er ihr gern ertheilte. Sie nahm die Hälfte nicht, und ging weinend weg. Als die sechs Wochen, von denen Dalberg gesprochen, um waren, sandte er der Familie die siebenhundert Gulden mit innerer Genugthuung, obwohl er kaum eine solche Summe zu entbehren hatte.





Eine deutsche Erzieherin in London schreibt uns: „In der Zeit, seit ich Erzieherin bin, habe ich oft Vergleiche zwischen der englischen und deutschen Erziehung angestellt und manches Mangelhafte an unserer deutschen ist mir in’s Auge gefallen, das, wie ich fest überzeugt bin, von den Müttern oder Gouvernanten sehr leicht verbessert werden könnte.

„Ein aufmerksamer Beobachter in einem englischen Töchterpensionat bemerkt gar bald, daß die geistige Ausbildung weit weniger in Betracht kommt, als die körperliche, und daß, während die letztere mit größter Sorgfalt behandelt, jene nur, so zu sagen, oberflächlich betrieben wird. Wenn eine junge Engländerin französisch und deutsch conversiren kann, etwas singt und spielt, vielleicht auch zeichnet, so sind die Eltern mit der Schule zufrieden, und halten ihre Tochter für gut erzogen, – zumal wenn sie schlank und schön gewachsen ist. Denn das letzte ist der Stolz einer englischen Mutter, und in der Hinsicht werden keine Kosten und Mühen gescheut, um die Gesundheit und Schönheit ihrer Kinder zu befestigen.

„Deshalb auch findet man in der Pension die beinahe militärische Ordnung, die Pünktlichkeit der Mahlzeiten, das frühe Aufstehen und Zubettegehen, die langen Spaziergänge (die die Mädchen oft wider Willen machen müssen), die calisthenischen Uebungen, die Tanzstunden, das Baden und vor allem, die große Reinlichkeit und Sorgfalt auf ihren Körper. Dies Allen ist höchst zuträglich für die Gesundheit und das Erhöhen der Schönheit, und trägt gewiß viel dazu bei, daß man in England, selbst unter der niedern Klasse fast selten häßliche, sondern meist nur blühende und frische Frauenzimmer sieht, die oft wahrhaft edle Gesichtszüge und den schönsten, feinsten Teint besitzen. Leider darf man bei den meisten nicht viel Geist suchen.

„Denn was den Unterricht betrifft, so geht man damit meist nur mechanisch zu Werke. Geschichte, Geographie u. s. w. werden aus einem Katechismus gelernt, und sobald die Fragen beantwortet, darf man annehmen (mit wenigen Ausnahmen), daß sie bald wieder vergessen werden. Der eigene Verstand, das Nachdenken und Selbstauffinden der Thatsachen ist es, was man versäumt auszubilden, und daher die fortwährende Stümperei im spätern Leben.

„In Deutschland erzieht man anders. Da berücksichtigt man nur die Ausbildung den Geistes und verwendet wenig Aufmerksamkeit auf die Entwickelung des Körpers. Wie ist es aber möglich, daß die erstere ohne die letztere bestehen kann? Wie kann man von einer Pflanze erwarten, deren Wachsthum man vernachlässigt, daß die Blume zur höchsten Vollendung gelange? Ist es anders mit dem zarten, aufkeimenden und im Wachsthum begriffenen Mädchen?

„Ich weiß aus eigner, trauriger Erfahrung, wie wenig in unsern Töchterschulen auf die Gesundheit, die Haltung und das Sitzen der Eleven gehalten wild. Lernen ist ihr einziger Zweck; um die Gesundheit des Körpern bekümmern die Lehrerinnen und die Lehrer sich weiter nicht. Würde man von den Engländern in dieser Hinsicht ein Beispiel nehmen, und die Mädchen zum Turnen, Schwimmen, Marschiren und allen möglichen Körperbewegungen anhalten, wo könnte man sich eine bessere Erziehungsweise wünschen, als die deutsche uns gewährt?“







Die Marianne. Dieser merkwürdige, man darf wohl sagen furchtbare Name taucht seit einigen Wochen mit größerer Intensität als bisher in den Zeitungen aus. Maria und Anna, die heiligen Frauen, genossen von jeher in Südfrankreich einer ganz besondern volksthümlichen Verehrung. Bei Prozessionen wurden ihre Wachsbilder vorangetragen; zuweilen auch wurden sie durch festlich gekleidete Mädchen vorgestellt. Im Jahre 1793 sah man dafür neue Allegorien im Festzuge einherschreiten; die Vernunft und die Freiheit erschienen in der Gestalt von schönen, in antiker Weise drapirten Frauenzimmern. Aufgereihte Volksschaaren im Süden stimmten damals in ihrer tonreichen Mundart den Gesang an: „l'haven le Marianno!“ d. h. nun haben wir endlich die wirkliche Maria und Anna. Nach der Schreckenszeit erhielt sich das Wort, aber es wurde zu einer symbolischen Geheimformel, das bald die Guillotine, bald mit dem Ausdruck unbestimmter Hoffnung die Volksherrschaft bezeichnete. Als nach der Februar-Revolution die socialistischen Parteien die Nothwendigkeit einsahen, mit Beseitigung ihrer Unterschiede sich der sogenannten blauen Republik entgegenzustellen, vereinigten sie sich anfangs unter Ledru-Rollin in dem vielverzweigten Bund Solidarité. Aber von Süden aus wurde bald der noch immer lebendige Name Marianne an die Stelle gesetzt, und bald war er der herrschende. Französische Flüchtlinge in England behaupten, die Marianne habe im Jahre 1851 eine Million Mitglieder gehabt; von diesen ging in den südlichen Landschaften die Erhebung gegen den Staatsstreich aus. Durch den blutigen Kampf, später durch die Transportation verloren sie ihre Leiter; doch wühlt Marianne noch immer mit ungemeinem Erfolg. Sie wirkt nicht für irgend einen Mann; sie erkennt kein geistiges Oberhaupt an; sie will künftig überhaupt keine Regierenden, sondern nur Beamte des Volks (clercs de la nation) dulden. Ihr leitender Ausschuß besteht aus wenigen, wie es heißt, nur aus drei Mitgliedern; der Bund aber umfaßt bereits wieder über 60,000 Personen, und die Gesellschaften La Militante und andere scheinen nur seine Zweigvereine zu sein. Die Marianne besitzt die Eigenschaften, durch welche von jeher Verbindungen mächtig wurden: einen bestimmten Zweck, Muth, Gehorsam und Verschwiegenheit.





Amerikanisch. Vor einiger Zeit erließ ein newyorker Wirth eine Einladung zu religiösen Uebungen, wobei natürlich das Zechen die Hauptsache war. Vor Gericht befragt, ob er das Verbot nicht kenne, Bier, Schnaps und Wein zu verkaufen, bejahte er dies, setzte aber dann dem Richter unter Beistimmung des Publikums weiter auseinander, daß die Eingeladenen Mitglieder einer bestimmten Religionssekte seien, zu deren Kultus hauptsächlich das Bier trinken gehöre. – Ein zweiter Wirth, der ebenfalls wegen Bierverkaufs vor Gericht stand, erklärte auf das Bestimmteste, das Bier habe keine berauschende Wirkung und gehöre also nicht unter die Kategorie der verbotenen Getränke. Als der Richter den Wahrheitsbeweis dieser sonderbaren Behauptung forderte, ließ der Angeklagte einen seiner Freunde, einen gebornen Münchner holen und dieser lieferte schlagend den Beweis, indem er binnen sehr kurzer Zeit vierundzwanzig Seidel hinunter rollen ließ, ohne auch nur im geringsten zu schwanken oder aufgeregt zu werden. Der Wirth wird freigesprochen.





Kunst und Literatur. Der alte Wolfg. Menzel scheint trotz der verunglückten Versuche der letzten Zeit sich wieder Geltung zu verschaffen, noch keine Ruhe finden zu wollen. Das Gebiet der Geschichte und Literatur, auf dem er einst glänzte, verlassend, hat er sich neuerdings der strömenden Richtung der Zeit angeschlossen und „macht“ in Naturwissenschaften. Ein dreibändigen, dickleibigen Werk aus seiner Feder unter dem Titel: „Die Naturkunde im christlichen Geiste aufgefaßt“’ wurde soeben von Stuttgart aus in alle Welt versandt. Wir fürchten sehr, der Herr Verleger wird nächste Ostermesse mit Schrecken und mit Grauen die Wahrheit der Schiller’schen Worte erkennen:

„Und sieh, es fehlt kein theures Haupt.“

Dagegen haben wir auf dem Gebiete der Kunst-Romane nächstens eine interessante Erscheinung zu erwarten. Von Brachvogel, dem Verfasser den mit vielem Beifall auf vielen deutschen Bühnen aufgeführten Trauerspiels „Narciß“, ist in Berlin ein dreibändiger Roman: Friedemann Bach unter der Presse, in dem die interessantesten Charaktere des vorigen Jahrhunderts, wie Sebastian Bach, Graun, Emanuel Bach, August der Starke, Minister Brühl, Naumann, Friedrich II., Philosoph Wolf, Doles etc. vorgeführt werden. Das Buch wird mithin ein geschichtliches und musikalisches Interesse zugleich haben. – Allen unsern Lesern, welche das schöne Thüringen und namentlich Eisenach besuchten, können wir den so eben in Langensalza bei Klinghammer erschienenen großen Stahlstich: „Eisenach und die Wartburg“ als einen sehr gelungenen und gut ausgeführten Zimmerschmuck empfehlen. Die große Ansicht von Eisenach ist umgeben von kleineren Abbildungen, von denen wir nur den Wartburghof, das Lutherzimmer, das Annathal, das Bahnhofsgebäude, Wilhelmsthal etc. anführen. Aufnahme und Stich rühren von dem bekannten Kupferstecher Elsner her. – In Weimar ist vor einigen Tagen der Rath Kräuter, der langjährige Secretair Goethe’s, gestorben. Wie wir hören, hat derselbe interessante Mittheilungen über Goethe und Weimars Glanzperiode hinterlassen.






Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der Afrikaforscher Heinrich Barth
  2. Vorlage: n Afrika