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Die Gartenlaube (1856)/Heft 12

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1856
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[153]
Johann Wittenborg und seine Tochter.
Geschichtliches Bild aus dem XIV. Jahrhundert.


I.

Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts war die Hansa gestiftet. Die Ostseestädte hatten sich zuerst zu einem Handelsbündniß vereinigt. Die Seeräubern, die in diesem Meere stärker als irgendwo getrieben wurde, die Nothwendigkeit gemeinschaftlicher Handelsunternehmungen und großer Handelsniederlagen in den nördlichen und östlichen Ländern, wo der Handel bei den zum Theil noch rohen Völkern keinen Schutz genoß, und die deutschen Kaufleute sich durch eigene Kraft Recht und Sicherheit verschaffen mußten – dies Alles hatte den ersten Anstoß zu solchem Bunde gegeben. Lübeck hatte des Beistandes wegen, den es den deutschen Heidenbekehrern in Liefland, Kurland und Preußen geleistet, von den dortigen Bischöfen und Hochmeistern große Gerechtsame erlangt, und die gleichen Begünstigungen zu genießen, mußten auch die andern Handelsstädte wünschen, welche die gleichen Märkte besuchten. Ja, sie hofften auch von diesem Anschluß an das mächtige Lübeck einen Rückhalt gegen ihre eignen Landesherren zu finden, welche sich nur zu oft Eingriffe in ihre bürgerlichen Freiheiten erlaubten! Und so traten immer mehr und mehr Städte dem Bunde bei, der aus dem anfänglichen „Verband der gemeinen Seestädte“, wie er sich lange Zeit nannte, zum mächtigen Bunde der Hansa wuchs. Hauptzweck war die Begründung und Erweiterung des Handels mit dem Auslande und Erwerbung und Behauptung von Handelsvorrechten, Freiheiten und Monopolen in fremden Ländern. Dann die gemeinschaftliche Vertheidigung gegen Angriffe, welche die Bundesglieder zu Land oder Meer, auf eigenem Gebiet, oder in der Fremde, des Handels wegen erlitten. Es galt das Land von Wegelagerern und das Meer von Seeräubern zu reinigen, eben so sich von den Bedrückungen und Plackereien zu befreien, welche oft von den Landesherren über den Handel verhängt wurden. Es war ferner Zweck der Hansa, ihre Mitglieder so viel als möglich von aller auswärtigen Gerichtsbarkeit frei zu machen und ihnen das Fortbestehen ihrer politischen Verhältnisse zu sichern. Auch hatte sie das Schiedsrichteramt in den Streitigkeiten der Bundesgenossen unter einander und bei den innern Zwistigkeiten der Magistrate mit den Bürgern in den Bundesstädten.

So ward die Hansa in mannigfache Kriege verwickelt, besonders mit den skandinavischen Mächten. Seit Norwegen und Schweden 1319 unter dem König Magnus Smek vereinigt worden und auch die ihrer Fischerei wegen für die Hansa so wichtige Provinz Schonen an sich gerissen, drohten der Hansa von dieser Seite immer neue Belästigungen. Magnus Smek verweigerte sogar 1333 die Bestätigung ihrer Handelsfreiheiten. Aber der Nationalhaß zwischen den Schweden und Norwegern schwächte seine Macht durch Unruhen im eignen Lande. Unglückliche Kriege gegen die Russen und Dänen kamen hinzu, die eignen Söhne empörten sich wider ihn, der Papst schleuderte seine Bannbullen und der schwarze Tod verheerte seine Reiche, und so mußte er, um nur einige Unterstützungen von den Hansen zu erhalten, ihre Freiheiten nicht nur bestätigen, sondern sogar erweitern.

Die von Dänemark eroberten Provinzen trat er wieder an den dänischen Thron ab, den Waldemar III. bestiegen. Dieser, übermüthig durch seine Erfolge und eifersüchtig auf die Macht der Hansa, verweigerte nicht nur die Bestätigung ihrer Rechte, sondern griff auch die Insel Gothland an, auf der die Stadt Wisby eine Hauptniederlage der deutschen Kaufleute war. Der größte Theil ihrer Einwohner bestand aus Deutschen, die sogar Antheil an der Regierung der Stadt hatten.

Um diese Zeit, 1361, war es, als der Bürgermeister Johann Wittenborg von Lübeck in höchster Aufregung von dem Rathhaus seiner Wohnung zueilte. Er war ein stattlicher Herr, der die erste Würde in einer freien Reichsstadt mit stolzer Haltung auf seinen geraden Schultern trug. Seine Amtstracht war mit den reichsten Verzierungen geschmückt, und wenn seine Hand, wie jetzt, an dem Griff des funkelnden Staatsdegens ruhte, der an seiner Seite hing, so war das für Alle, welche ihm begegneten, ein Zeichen, daß er Nachrichten von äußerster Wichtigkeit erhalten, die ihn das ganze stolze Bewußtsein seiner wichtigen Stellung gaben.

Seine Tochter Katharina, eine liebreizende Jungfrau von zwanzig Jahren, die an ihrem Fenster am Stickrahmen saß, in dem sie mit Goldfäden auf himmelblauen Sammet stickte, gewahrte den Vater nicht so bald unten auf der Straße, als sie schnell aufstand und mit der Arbeit in ein Nebengemach eilte, wo sie dieselbe in einem großen Schrein verbarg. Dann kehrte sie wieder an das Fenster zurück und schaute hinaus – aber mit Verwunderung gewahrte sie, wie der Bürgermeister statt in sein Haus, in das gegenüberliegende des reichen Kauf- und Handelsherrn Bertrand ging. Sie trat in das Zimmer zurück und warf sich in einen sammetnen Sessel, an dessen hohe Eichenlehne ihr schönes Haupt zurückwerfend. Auf ihrem Antlitz wechselten Glut und Blässe und tiefe Seufzer hoben ihren Busen.

Das Haus da drüben barg zugleich die Gegenstände ihres Hasses und ihrer Liebe. Der hochangesehene Besitzer desselben, [154] Herr Bertram, warb um ihre Hand, und ihrem Vater war er ein erwünschter Eidam. Sie aber zitterte vor diesem Gedanken. Bisher gewohnt, ihrem Vater in allen Stücken blindlings, wie einst in ihrer Kindheit, zu gehorchen, hatte sie jetzt plötzlich gefühlt, daß sie auch einen Willen habe und daß es, wenn sonst in keinem andern Punkte, doch in diesem Pflicht sei, dem eigenen Gefühl zu folgen, und in dieser Stimme mehr die Stimme Gottes zu erkennen, als in der krämerhaften Berechnung eines väterlichen Wunsches. Bertram war ihr verhaßt. Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, daß er nur für den Mammon Sinn habe, daß sein ganzes Bestreben dahin ging, Schätze auf Schätze zu häufen, seine Speicher und Geldkisten zu füllen, um als der reichste Mann in Lübeck zu gelten. Er hatte deshalb auch eine große Stimme im Rath und im Bund der Hansa, bei vorkommenden Gelegenheiten legte er sich selbst den Titel eines Vicebürgermeisters bei — und wo er konnte, suchte er immer Herrn Johann Wittenborg die Amtsgeschäfte zu erleichtern — um dereinst sein Nachfolger zu werden. Er war ein angehender Vierziger und schon einmal verheirathet gewesen, auch das erste Mal hatte er nur Geld gefreit, und als seine reiche Gattin sammt dem Kind im Kindbett starb, munkelte man davon, er habe den Tod des vor ihr verstorbenen Kindes einige Tage verschwiegen, um sich als Erben desselben das ganze Vermögen der Frau zu erhalten.

Jetzt hatte er nicht ohne Absicht seit zwei Jahren sich ein neues, schönes Wohnhans dem des Bürgermeisters gerade gegenüber erbaut, und wie seine Magazine allmälig sich vergrößert hatten, dahinein seine Wohnung und sein Comptoir verlegt. Aber er ahnete nicht, wozu er dadurch Veranlassung gab.

Unter seinen Comptoiristen, die gerade in diesem Lokal beschäftigt waren, befand sich ein schöner, blondlockiger junger Mann, Erich Wieringer, der, als er nur eben nach Lübeck und zu Herrn Bertram gekommen, bei einem Mummenscherz Katharina Wittenborg getroffen, und an jenem Tage nicht von ihrer Seite gekommen war. Er hatte nicht gewußt, daß sie des herrischen Bürgermeisters Tochter und die fürnehmste Maid in Lübeck war — und auch sie kannte weder seinen Stand noch Namen. Aber sie hatten einander tief in die Augen geschaut und manches traute Wort gewechselt, und von jenem Tage an war das Schicksal Beider entschieden. Sie wußte nicht, wer er war — aber sie betete täglich zu Gott, daß er ihn ihr möge wieder zuführen, das holde Glück seiner Nähe ihr genießen lassen — denn nur an jenem Tage hatte sie gelebt und dabei gefühlt, daß sie auch ein Herz in der Brust habe. Er hatte nach ihr geforscht, und mit Schrecken erfahren: die schöne Maid sei die einzige Tochter des Bürgermeisters. Er hatte sie suchen wollen — doch nun floh er sie.

Ein Sohn armer Eltern, hatte er es nur seinen ausgezeichneten geistigen Fähigkeiten, seiner Unerschrockenheit und Körperstärke zu danken, daß er überhaupt in einem Comptoir der Hansa Aufnahme gefunden, und jetzt schon einen der höhern Grade begleitete. Aber er sah voraus, daß wenn nicht eine Gunst des Zufalls ihm hold war, konnte er sich nie über die Stellung eines Comptoiristen erheben. Als solcher konnte er niemals selbstständig werden, und das allein schon war Grund genug, jede Maid zu fliehen, die einen tiefern Eindruck auf sein Herz machte. Aber das Schicksal wollte es anders. Er war von einer kühnen Seeunternehmung und einem längern Aufenthalt in dem Comptoir zu Bergen wieder zurückgekehrt, und als einer der Umsichtigsten, der eben so viel Kühnheit als Klugheit bewiesen, fand er zunächst bei Herrn Bertram Beschäftigung. Wie ward ihm, als er nach Jahresfrist die holde Katharina dem Fenster, an dem er arbeitete, gegenüber am Fenster ihres eigenen Gemaches stehen sah; wie er sah, daß sie erbebte, erröthete, erbleichte und das Fenster öffnete, daß die ganze herrliche Gestalt sich ihm zeigte! Geblendet fast und entzückt, wagte er einen innigen Gruß und — fand die holdeste Erwiederung. Und so ein tägliches Sehen, und immer neue, zwar immer verstohlene, aber — auch immer kühnere Zeichen eines wachsenden süßen Verständnisses — wie hätte er da vermocht zu widerstehen und noch länger sich selbst zu beherrschen? Er sah bald, daß Herr Bertram zu Katharina’s Freiern gehörte und daß der Bürgermeister ihn begünstigte. Aber eben so bald hatte er auch Gelegenheit, Bertram’s niedrige Denkweise und seinen selbstsüchtigen Charakter zu durchschauen, um zu wissen, daß er, wenn schon von Katharina´s Schönheit sinnlich erregt, doch zunächst aus den eigennützigsten Motiven um sie warb, daß er diesen Demant nicht zu schätzen wußte und daß er, indem er sich den Anschein gab, ihr alle seine Huldigungen zu widmen, im Stillen es nicht verschmähte, sich mit gemeinen Dirnen zu Vergnügen. War es nun Erich’s Sehnsucht, die nur einen Vorwand suchte, sich Katharina zu nähern, war es die Aufrichtigkeit eines edlen Charakters, die reinste Jungfrau vor einem berechnenden Egoisten, einen gemeinen Wüstling zu warnen: als er sie eines Abends allein im Garten gewahrte, kletterte er im Dunkeln zu ihr über die Gartenmauer — und da er vor der Erschrockenen stand — wußte er nicht, was er ihr zu sagen gekommen. Er sank zu ihren Füßen und alle Worte, die er sprach, wurden zu einem Hymnus der Liebe. Sie hob ihn zärtlich auf, und Herz an Herz gestanden sie einander Alles, was da drinnen klopfte und glühte. Es ward ein Liebesbund vom reinsten Adel, die unentweihte Seligkeit der keuschesten Empfindungen! Was kümmerte es sie, daß er in den Augen des bürgerlichen Herkommens ihrer nicht ebenbürtig war, daß seine Stellung ihm verbot, um sie zu werben? Wußte sie doch, daß er sie liebte, daß kein anderes Bild in seinem Herzen wohnte. Und auch er vergaß sein düsteres Verhängniß vor dem Triumph, daß sie die Hand, die er nicht begehren durfte, auch keinem Andern reichen würde! Wie leicht schien ihm nun die Entsagung, da er ihres Herzens gewiß war! So sahen sie einander noch öfter — aber immer mit der äußersten Vorsicht, um ihr süßes Geheimniß zu wahren. Jetzt aber stickte sie ihm heimlich ein kunstreiches Wamms in ihrer Lieblingsfarbe und verbarg darum die Arbeit vor den Augen des Vaters.

II.

Als der Bürgermeister in das Haus des Herrn Bertram eintrat, fand er diesen in seinem Comptoir und Erich stand vor ihm, seine Befehle zu empfangen. Mit geziertem Wesen und einer Unterwürfigkeit, die doch ziemlich hochmüthig aussah, hieß der Kaufherr den „Vater der Stadt“ willkommen. Dieser setzte sich auf den dargebotenen Sessel, wischte sich den Schweiß von der erhitzten, rothglühenden Stirn und sagte:

„Wißt Ihr die wichtige Neuigkeit noch nicht — habt Ihr noch keine Botschaft aus Wisby?“

„Vor einigen Tagen,“ antwortete Bertram, „als ein Schiff aus Gothland heimkehrte —“

Aber der Bürgermeister unterbrach ihn: „Ach was, vor einigen Tagen — wir haben eben erst auf dem Rathhaus die blutige Zeitung erhalten: König Waldemar hat Wisby überfallen, und nach einem blutigen Kampfe erobert. Ueber 1800 Bürger sind geblieben. All’ unser Eigenthum, alle Güter der Hansa, die gerade jetzt reicher als jemals dort aufgestapelt lagen, sind in die Hände der Dänen gefallen. Die Stadtmauern sind geschleift worden und all’ unsre deutschen Brüder dort, die nicht im blutigen Kampf das Leben verloren, sind von den Dänenhunden in die schmählichste Gefangenschaft geschleppt worden!“

Bertram rief erbleichend: „Wisby geschleift! -— Ich allein hatte für viele tausend Mark Güter dort lagern — und das Alles verloren!“

Seine Würde ganz vergessend, rannte er wie ein Verzweifelnder auf und nieder — er dachte nur an das, was er verloren, obgleich es im Verhältniß zu seinem Reichthum wenig genug war.

Erich aber erbleichte auch, weil er an die Schmach des deutschen Namens dachte, der recht gut vorzubeugen gewesen wäre, wenn das deutsche Reich und seine Fürsten und die mächtig gewordene Hansa nicht so lange, wenn nicht gleichmüthig, doch geduldig den frechen Uebergriffen des Dänenkönigs zugesehen hätten.

„Nun wahrlich!“ rief er „so weit mußt’ es kommen — endlich wird nun doch die Hansa genug Demüthigung und Schmach erfahren haben, um sich wider den Nachbar zu rühren!“

Der Bürgermeister warf einen drohenden Blick auf ihn — aber er fühlte sich und seine einflußreichen Genossen durch diese Worte zu sehr getroffen, als daß er sie hätte anders zurückweisen mögen, denn mit der erfahrenen Besonnenheit des weisen Alters:

„Dankt’s Eurer Jugend,“ sagte er herablassend, „wenn solches Aufbrausen Vergebung findet, — daß nicht voreilige Knaben, sondern bedächtige Väter im Rathe sitzen, ist eine wohlerprobte gute Einrichtung — was mit Bedacht beschlossen, mag dann mit Kühnheit ausgeführt werden, — Lübeck wird rüsten — wir werden [155] Bundesgenossen finden und gern, wie man mich an die Spitze des Rathes gestellt, werde ich auch an der Spitze des Heeres stehen, sobald es ausbricht.“

Dieser Entschluß kam nicht so ganz aus des Bürgermeisters Seele — aber hoffärtig und herrschsüchtig wie er war, konnte er es nicht ertragen sich einem Andern unterordnen zu müssen — und da er die Wahl eines Heerführers nicht beschränken konnte, nicht gewiß wußte, ob eine ihm unterwürfige Kreatur zu diesem wichtigen Posten berufen werden würde, sondern ihm vielleicht ein gefährlicher Nebenbuhler erwüchse, so stellte er sich, wie nur das Wort „Krieg“ ausgesprochen ward, als kühnen Feldherrn dar, und indem er der Erste war, der nach dem Schwerte griff, hoffte er auch, der Kommandostab werde ihm nicht entgehen.

Nach allen Seiten sendete man Boten und Botschaft. Lübeck hatte zuerst den Krieg beschlossen und mit ihm rüstete sich Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswalde, Anklam, Stettin und Kolberg. Die Könige von Schweden und Norwegen, Graf Heinrich von Holstein und Herzog Heinrich von Mecklenburg traten dem Bündniß bei. Dazu bewilligten die preußischen Städte einen Pfundzoll und der Krieg ward gegen Waldemar erklärt. Bald war eine ansehnliche Streitmacht beisammen — das Heer der verbündeten Fürsten befehligte der Graf von Holstein, das der Hansa, der Bürgermeister Johann Wittenborg.

Dies Alles war wohl angeregt worden durch den einen Tag von Wisby, aber Wochen und Monate vergingen, eh’ diese Bündnisse geschlossen wurden und diese Beschlüsse zur Ausführung kamen.

Diese Zwischenzeit benutzte Bertram mehr und mehr, in den Bürgermeister zu dringen, daß er ihm die Tochter verlobe, ja daß er auch die Hochzeit beschleunige, damit sie als seine Gattin einen sichern Schutz in seinem Hause finde, indeß der Vater in den Krieg ziehe. Denn Bertram zu feig, um sich an irgend einer Unternehmung zu betheiligen, bei der Gefahr war, rüstete wohl seine Schiffe aus und entbot alle seine Leute den Zug wider die Dänen mitzumachen — aber er wußte es als nothwendig darzustellen, daß er daheim in Lübeck bliebe, indeß das Amt des Bürgermeisters zu verwalten und über die Stadt zu wachen. Ja, er besaß Gewandtheit genug, es seinen Mitbürgern als ein Opfer darzustellen, wenn er in ihren Mauern bliebe und auf die Lorbeeren des Krieges verzichte. Der Bürgermeister gab seinen Bitten nur zu leicht Gehör, er theilte seine Wünsche — bei Katharinen ließ er keine Vorstellung unversucht, doch vermochte er nicht gegen die einzige Tochter tyrannisch zu verfahren und ihren Thränen zu widerstehen Er versicherte ihr, daß er nur dann ruhig in den Krieg ziehen und dem möglichen Tod in’s Auge sehen könnte, wenn er sie als Bertram’s Gattin wisse — und während sie stark gewesen gegen zornige Drohungen, wußte sie oft nicht, wie sie das väterliche Flehen zurückweisen sollte, den einzigen und letzten Wunsch, den er Angesichts eines Abschiedes, vielleicht für ewig als denjenigen ausstellte, der ihm Alles leicht machen würde: Leben wie Sterben. Nur jetzt flehte sie, Angesichts dieser trüben Zeit solle er sie mit dem Hochzeitfeste verschonen, ein Frevel sei es ihr am deutschen Namen und an deutscher Ehre, jetzt an Persönliches zu denken und gar ein fröhlich Fest zu feiern — und daß Bertram dies nur wollen könne, erniedrige ihn immer mehr in ihren Augen! Solch' ein Grund drang bei dem stolzen Bürgermeister durch: die Tochter sollte nicht seinen Patriotismus beschämen.

„Aber wenn ich bleibe, wirst Du sein Weib!“ sprach er, — und nahm ihr Weinen für Zustimmung. Nur die Bedingung erfüllte er: daß Bertram versprechen mußte, sich indeß ihr nicht zu nähern, da es für eine ehrbare Jungfrau sich nicht geziemen wolle, daß in der Abwesenheit ihres Vaters ein Mann das Haus betrete.

Mit ihrer alten Wirthschafterin Elsa wollte sie indeß ganz zurückgezogen wie eine Gefangene leben. Und um des guten Rufes seiner Braut willen, da er auf die äußere Sitte vor der Welt das Meiste hielt, willigte Bertram auch in diese harte Bedingung. Lag doch seine Wohnung gegenüber und konnte er von seinem Fenster aus die Hausthür des Bürgermeisters hüten und sorgfältig controliren, wer dadurch aus- und einging. Aber freilich bis zu der hinteren Gartenmauer reichte weder sein Blick noch sein Argwohn. Er ahnte nicht, daß am Abend, bevor die Mannschaft der Flotte sich einschiffte und diese die Anker lichtete sein Comptoirist Wieringer über diese Gartenmauer kletterte und die stolzeste keuscheste Jungfrau Lübecks, die mit edlem Zürnen der leisesten Berührung von Bertram’s Hand sich entzog, dort den armen Jüngling erwartete und zärtlich in seine Arme sank.

Der Gott der Liebe schützte die Liebenden vor Argwohn und Entdeckung!

„Es ist zum letzten Male auf lange Zeit, daß ich Dich in meinen Armen halte!“ flüsterte Erich, „und doch überwiegt der Schmerz der Trennung den Gedanken, daß ich jetzt die Möglichkeit vor mir sehe, statt ein Diener eklen Krämersinnes zu sein und zu bleiben, nun für deutsche Ehre mein Leben einsetzen darf und außer oder durch den Lorbeer der Schlacht noch einen schönern Preis mir erringen kann. Vielleicht gelingt es mir eine Heldenthat zu thun, die mir ein besseres Loos erwirbt als mir bisher gefallen, und indeß der arme Comptoirist es nicht wagen konnte um Dich zu werben, darf es ein Held der Hansa! An dem Tage, da wir die Sehreckenskunde von Wisby erhielten, war das Vaterland mein erster Gedanke — mein zweiter warst Du und daß es nun Thaten geben würde, um Dich zu verdienen, zu erkämpfen! O weihe mich zu diesem Kampf!“ und er sank begeistert vor Katharina an das Knie. —

Sie knüpfte ihm eine Schärpe um, himmelblau und gold: „Ich habe Monate daran für Dich gestickt,“ sagte sie lächelnd,„ es sollte ein Wamms werden, aber nun ist die Schärpe des Kriegers daraus geworden — möge sie Dich schützen und schirmen; Dich begeistern, wie bei der Arbeit die Liebe mich begeisterte!“ Sie strich das hellgoldne Haar aus seiner Stirn und küßte diese.

Thränen der Wonne traten in seine Augen: „Nun bin ich gefeit!“ rief er triumphirend und küßte dankend die kleinen Hände, die so emsig für ihn gearbeitet.

Dann weilten sie noch lange beisammen mit süßem Kosen, und da sie scheiden mußten, trösteten sie einander Beide mit dem heiligen Trost jeder hohen Liebe: daß ein Gefühl wie das ihre von Gott in ihre Herzen gesenkt, von ihm beschützt auch endlich zu einem herrlichen Ziel geführt werden müsse, und daß jede Prüfung und Sorge und Trennung nur dazu diene, die künftige Seligkeit zu erhöhen. Sie schwor ihm beim letzten langen Kuß sein „starkes Mädchen“ zu bleiben, wie heftig die zarte Gestalt auch dabei in seinen Armen zitterte und er schwor ihr als ein würdiger Held heimzukehren — und hatte doch eine Thräne im Auge, da er gewaltsam sich von ihr losriß.

Am andern Morgen sah Katharina auch den Vater tief bewegt scheiden — und da die Flotte absegelte, die ihr die beiden theuersten Menschen entführte, stand sie auf dem höchsten Balken ihres Hauses, sandte mit einem weißen Tuch ihnen Grüße zu und heiße Gebete für ihre glückliche Fahrt und Heimkehr zum Himmel empor.

III.

Eine stille Zeit war Katharinen vergangen. Endlich hörte man in Lübeck die Siegeskunde, daß die Hansaflotte die Inseln Oeland und Gothland wieder erobert, bald die noch freudigere, daß sie auch die dänische Flotte geschlagen und der Befehlshaber derselben, der dänische Prinz Christoph, das Leben verloren und daß die Wegnahme des Fahrzeugs, von dem aus er befehligte, der Heldenthat eines Jünglings Namens Erich Wieringer zu danken sei, der zuerst und zu rechter Zeit auf das Schiff gesprungen. Wie jauchzte Katharina über diese Kunde, daß der Geliebte so schnell sein Wort gelöst! Wie dankte sie dem Himmel dafür, wie für die Erhaltung ihres Vaters und seine siegreiche Führung!

Jetzt kreuzten die Schiffe an der dänischen Küste und wollten dort ihre Truppen landen. Bald kam die Nachricht, daß auch diese Landung siegreich bewerkstelligt. Der allgemeine Jubel in Lübeck kannte keine Grenzen! Man fühlte sich doppelt stolz über diesen Sieg der deutschen Waffen, da ja der Bürgermeister von Lübeck der Befehlshaber war. Der Name Johann Wittenborg klang aus allen Zungen und die Bürgerschaft dachte bereits darüber nach, mit welchen Ehren sie ihn bei seiner Rückkehr empfangen wollte.

Da lief eines Tages die Nachricht durch die Stadt: es wären lübeckische Kriegsschiffe in Sicht mit geknickten Masten und zerrissenen Tauen — man wußte nicht was man davon denken sollte, endlich kamen sie näher und näher und da das erste landete, vernahm man die Schreckenskunde: diese Schiffe waren [156] der Ueberrest der Hansaflotte. Indeß man an der dänischen Küste gelandet, hatten die Dänen die Flotte überfallen, zwölf Schiffe genommen und die übrigen so übel zugerichtet, daß sie so schnell als möglich den heimischen Hafen suchen mußten.

Und wie nun die erschrocknen Lübecker weiter fragten, wie das geschehen konnte? da erhob sich unter der rückkehrenden Schiffsmannschaft nur eine donnernde Stimme der Anklage und ein Name schwebte auf allen Lippen, nur einem Mann gab man die Schuld: Johann Wittenborg.

Als Angeklagten, als Gefangenen hatte man ihn an Bord – der hochgeehrt ausgezogen, erlebte die schmachvollste Heimkehr. Ihm allein gab man es Schuld, daß er, während die Truppen an Dänemarks Küste gelandet, die Bewachung der Schiffe versäumt habe und so den Ueberfall derselben leicht gemacht. Einige sprachen von offenbarem Verrath, andere nur von Unverstand und Unvorsichtigkeit – Alle aber verdammten ihn und zeugten wider ihn.

Das schlimmste Zeugniß war die vernichtete Flotte. Gegenüber diesem Anblick, dieser Schmach ergrimmte ganz Lübeck und es fand eine jener Umwandlungen der Volksgunst Statt, die zu allen Zeiten und bei allen Völkern zu dem wüthendsten Fanatismus ausarten. Gerade weil man früher den Bürgermeister Wittenborg so hoch geehrt, weil man noch vor Kurzem so stolz auf ihn gewesen und seines Lobes sich nimmer hatte genug thun können, gerade darum verurtheilte man ihn nun so hart und so überschwänglich; wie man ihn erst gehuldigt, schmähte man ihn nun. Laut forderte man: daß er zur Rechenschaft gezogen, gefangen gehalten, bestraft, enthauptet werde – ja, um ihn der Volkswuth zu entziehen, konnte man nicht genug eilen ihn von dem Schiff auf das Rathhaus und dort in sicheren Gewahrsam zu bringen.

Katharina hatte nicht so bald diese Schreckensbotschaft erfahren, als sie an das Fenster trat und wartete, wenn sie Bertram, der ohne Zweifel auf dem Rathhaus war, werde von da zurückkehren sehen. Aber oft trat sie wieder zurück und mußte sich festhalten nicht umzusinken, wenn sie von Vorübergehenden zürnende Blicke wider das Haus gerichtet sah, Flüche und Verwünschungen ausstoßen hörte. Sie konnte daraus schließen, was ihr Vater selbst von einer solchen Stimmung zu erwarten habe. Endlich kam Bertram und kaum war sie ihn ansichtig geworden, so verließ sie ihr Haus und betrat kurz nach ihm das seinige. Es war der schwerste Gang ihres Lebens – aber er war der einzige Mann, von dem sie Rath und Beistand für ihren Vater hoffen, vorerst wenigstens von ihm hören konnte, da er ihn gewiß gesehen – und was thäte eine Tochter nicht für ihren Vater? –

(Schluß folgt.)




Die Azteken, der Buschmann und die Corana.

Die früheste Geschichte Central-Amerika´s erzählt von einer furchtbaren Wildniß, reich an tropischem Luxus, eine mehr als arkadische Region, unter dem Namen Analmac; dies war die Heimath eines schattigen Volksstammes, die Olmeks genannt. Diesen folgten die Tolteks, die ohne Zweifel die Griechen Amerika´s waren, oder noch mehr, in ihren Monumenten den phönizischen Ahnen der Athenienser glichen, da die Pyramide von Cholula aller Wahrscheinlichkeit aus derselben Zeit herrührt, wie die von Cheops.

Die Corana. Der Buschmann.

„Das Reich der Azteken“, sagt ein amerikanischer Autor (von denen die drei Staaten: Mexico, Tezuco und Tlacopan unter dem Gesammtnamen Anahuac besessen wurden) dauerte ungefähr 200 Jahre, als es von den Spaniern unter Cortez erobert wurde. Es ist dasselbe Gebiet, welches die Tolteks besaßen, ein Stamm, der geheimnißvoll verschwand, eine große Anzahl von Monumenten zurücklassend, die sie als ein merkwürdiges und mächtiges Volk beschrieb, das nie, nach den Historikern, seine Altäre mit Menschenblut befleckte, noch seine Feste durch den noch schrecklichern Gebrauch des Cannibalismus entwürdigte, wie es der Fall mit seinen aztekischen Nachfolgern war.

Diese Tolteks, die so geheimnißvoll und unerklärlich verschwanden, waren in aller Wahrscheinlichkeit die Stifter jener großen Städte, deren feste, steinerne Gebäude und Riesenwerke der Baukunst an Schönheit und Pracht, selbst in ihren Namen, den mächtigsten Trümmern, die in dem Wüstensande Egyptens zerstreut liegen, gleichkommen; aber woher diese Tolteks kamen, oder wohin sie verschwunden sind, muß für immer ein unerforschliches Geheimniß bleiben; Alles, was wir wissen, ist, daß ein merkwürdiger Stamm einst seine Heimath in dem großen Thale von Mexico, weit in der Kultur vorgerückt, inne hatte. Aber seine Sitten, seine Geschichte zu erfahren, wäre ein vergebliches Mühen.

Im Jahre 1325 stiegen die Azteken in das Thal von Mexico hinab. Durch eine kreisförmige Mauer von Bergen umschlossen, lag das siebzig Meilen große paradiesische Thal, bespiegelt von sieben Silberseen mit Einschluß der frischen Fluth am Chalco, des süßen Wassers und des Miniatur-Salzmeeres von Tezcuco. Innerhalb des letzteren Sees, auf den Inseln von Accocolco, deren sumpfartiger Charakter erforderte, daß man Steine vom Festlande bringe, errichteten sie ihre ersten rohen Hütten und legten zwischen das Schilfrohr den ersten Grund eines Reiches, welches in einem Bestand von 300 Jahren zu einer Größe stieg, die unvergleichlich ist. Von diesem winzigen Meere erhob das Venedig des Westens seine tausend Tempel und Paläste aus dem blauen Busen der Gewässer.

Im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts erstreckte sich ihre Herrschaft vom atlantischen bis zum stillen Ocean, von der Gegend der barbarischen Olmcos im Norden bis zu den fernsten Grenzen von Guatemala im Süden. Ihre Sprache wurde von sieben Stämmen in dem großen Thale und seinen Umgebungen geredet. Dies waren die Zochimilka’s, Topaneka’s, Celhua’s, Tlahuika´s, Mexicaner und Tlaskalaner. Der letztere Stamm warf ihre Herrschaft ab, und die andern sechs Stämme, durch wiederholte Niederlagen zurückgetrieben, hatten sich einige Meilen von der Stadt Tenochtitlon oder Mexico als unabhängige Republik erklärt, wo sie Jahre lang die Nebenbuhler und endlich die Ursache des endlichen Umsturzes und Falles der aztekischen Macht waren.

[157] „Mit der Eroberung Mexico’s erlosch die Macht der Azteken vollständig; ihr letzter großer Häuptling starb mit unerschütterlicher Standhaftigkeit auf der Tortur, indem er die glühenden Kohlen feurige Blumen nannte, ein Zug, würdig der schönsten Zeit Roms und Griechenlands.“

Ein Azteke (Ganze Figur.)

Soweit unser amerikanischer Gewährsmann über das beinahe mythenhafte Volk der Azteken.

Professor Owen, einer der ersten jetzt lebenden Anatomiker, sagt in einem seiner Briefe an Herrn Morris, den Beschützer der kleinen Fremdlinge, welche jetzt Europa durchwandern und bereits unter den ersten Gelehrten die heftigsten Debatten über ihren Ursprung und ihre Raçe, unter dem Publikum aber die einstimmigste Sensation hervorgerufen haben, Folgendes:

„Der auffallende Unterschied, welchen diese merkwürdigen Kinder im Vergleiche zu den in Europa gebornen mit analogen Stufen der Zahnbildung, in ihrer dünnen und winzigen Natur und vorzüglich in ihrem unverhältnißmäßig kleinen Schädel darbieten, macht sie für die Physiologen und Naturforscher zum Gegenstande ganz besonderen Interesses; während ihr lebendiges Empfindungsvermögen, ihre leicht erregte Neugier, der milde und intelligente Ausdruck ihrer tiefdunkeln Augen, ihr olivenfarbiger Teint und die Eigenthümlichkeit vieler ihrer Stellungen ihnen den Charakter einer ganz außerordentlichen Merkwürdigkeit verleihen.“

Knabe, 20 Jahre. Mädchen, 14 Jahre.

Owen stimmt völlig mit den gelehrten Physiognomen zu Charleston und Südcarolina darin überein, daß diese Kinder durchaus keine Merkzeichen darbieten, welche sie mehr als andere menschliche Wesen der Thierwelt näher stellen. Dr. Latham (vom königlichen Collegium der Wundärzte zu London) ist der Meinung, daß es in jenen Weltgegenden noch andere Individuen gebe, die diesen mehr oder weniger ähnlich seien, – daß es solche schon durch mehrere Generationen gegeben habe – daß er an der Bezeichnung: „Azteken“ keinen Anstand nehme, – und daß er glaube, daß sie aus einer Gegend herstammen, in welcher eine gewisse Summe politischer Unabhängigkeit und alterthümlichen Heidenthums sich behauptet habe.

Mögen nun diese geheimnißvollen Fremdlinge zu den letzten Sprossen jenes verschollenen untergegangenen Stammes der Azteken gehören oder nicht, mögen sie Vollblut-Indianer[WS 1], oder nach Dr. Andrée’s Behauptung gemischter Raçe sein, und von einem Indianer und einer Mulattin abstammen, das höchste Interesse des Beschauers werden sie immerhin erwecken, mögen sie diesen oder einen andern Namen führen.

Bei einer Höhe von 30–34 Zoll beträgt der Umfang des Gehirns 13 Zoll und 3–4 Linien. Sie gehören demnach zur Gattung der Mikrocephalen, d. h. Kleinköpfe. Ihre Gestalt ist eben so schlank wie fein gegliedert, die Brust gewölbt und breit, der Hals überlang, der Rücken gebogen. Der erste Eindruck, den sie mit ihren Physiognomien auf den Beschauer machen, erinnert an jene Menschen mit den vorgestreckten, neugierigen Vogelgesichtern, wie wir sie so oft auf den Denkmälern der alten [158] Indier und Egypter gesehen haben. Sie scheinen ihren Führer, der mit ihnen englisch spricht, vollkommen zu verstehen, wenngleich ihre Ausdrucksweise nur in unartikulirten und kurz herausgestoßenen Tönen besteht. Ihre Bewegungen sind rasch und heftig, ebenso ihre Gesten; sie nehmen nichts, sie reißen alles aus der Hand. Der Gesichtsausdruck des Mädchens ist klüger und angenehmer, als der des Knaben, dessen Blick etwas Klotzendes hat und dessen Augen übernatürlich groß sind, wie die Stirn auffallend zurückfliegend und eingedrückt. Beider Haar ist tief schwarz und vom schönsten natürlichen Glanze, die Ohrmuscheln sind feiner und ausgeprägter construirt, als die der kaukasischen Raçe.

Ein unparteiischer Sachverständiger, der übrigens die sogen. Azteken für ganz interessant und sehenswerth erklärt, ist der Meinung: daß dieselben junge „Blödsinnige“ in Folge ihres kleinen Schädels (Mikrocephalie) sind, die möglicherweise selbst künstlich dazu gemacht sein könnten, indem der Schädel gleich nach der Geburt an seinem Wachsthume gehindert wurde. Ob sie einem besondern Menschenstamm angehören oder Bastarde wilder oder zahmer Race sind, läßt sich, da man sie für abnorme Menschen halten muß, nicht bestimmen.

Der Buschmann und die Corana, beinahe nicht minder interessante Erscheinungen haben ein flaches, eingedrücktes Profil und einen sanften Ausdruck. Ihre Farbe, ist nicht so dunkel und kräftig, wie die der Azteken – mehr schmutzig-gelb, als olivenfarbig. Das Merkwürdigste an ihnen ist ihr Haupthaar, das nur theilweise den Schädel bedeckt und, der feinsten Wolle ähnelnd, sich in kleinen spiralförmigen Zöpfchen zeigt. Ihr Wuchs ist edel und ihre Bewegungen eben so ungezwungen wie graziös; kein erlernter, sondern natürlicher Anstand.

Obwohl noch Kinder, kann man sich bei ihrem Anblick kaum vorstellen, daß sie jenem wilden, räuberischen Stamme angehören, der die nördlichsten Gegenden des Caps der guten Hoffnung bewohnt; der, allerdings erst durch die grausamste Behandlung veranlaßt, in fortwährendem Kampfe mit den niederländischen Colonisten lebt. Die Buschmänner berauben auf nächtlichen Streifzügen die Meierhöfe, tödten ihre Feinde, flüchten wieder in die tiefsten, unzugänglichsten Wälder, bedienen sich vergifteter Pfeile, erlegen den Tiger, den Schakal, das Nashorn. Alle Thiere, von der Antilope bis zur Eidechse, vom Strauße bis zur Heuschrecke, ja selbst gebrannte Lederstücke dienen ihnen zur Nahrung. Sie sind listig, blutgierig, rachsüchtig, dulden alle Entbehrungen und besitzen ungewöhnliche Körperkräfte. So führen sie ein ungebändigtes Leben und sind nicht zu bewegen sich den civilisirten Hottentotten in den bebauten Gegenden anzuschließen. Ihr Kleid ist ein Schaffell, das als Mantel dient; um die Hüften schmiegt sich ein lederner Gürtel, manchmal mit Glasperlen geziert, an den Füßen tragen sie Sandalen von Rindshaut. Am Arme hängt ein Beutel mit Tabak und ein Rohr von Bein, das als Pfeife dient. Ihre Weiber theilen alle Gefahren, und werden oft grausam von ihnen behandelt. Unser junger Buschmann und die Corana scheinen Nichts mehr von der Wildheit ihrer Väter zu besitzen – Gefangenschaft, so mild auch diese hier sein mag und die Trennung vom Vaterlande haben wohl ein für allemal den Keim der Wildheit in ihnen erstickt; wir sehen zwar noch Kinder einer fremden Zone vor uns, aber ihr Wesen ist gebändigt, sanft und gutmüthig.




Gegen heilkünstelnde Laien.
Herr Arthur Lutze in Cöthen und Frau Graf in Schleiz.

Geheimmittel, populär-medizinische Schriften über gewisse Krankheiten und heilkünstelnde Laien bilden ein Kleeblatt, welches heutzutage zur Schande des Menschenverstandes, üppig wuchert und von Kranken leider nur zu gern gesucht wird. Daß Kranke bei der Behandlung mit Geheimmitteln und von Kurir-Laien, sowie bei Beobachtung der in populär-medicinischen Schriften gegebenen Verordnungen nicht selten gesund werden, ist durchaus kein Grund, jenes Kleeblatt nicht zu verdammen, denn jene Kranken sind nicht durch, sondern trotz dieser Behandlung wieder zur Gesundheit gelangt und konnten dabei recht leicht unverbesserlichen Schaden an ihrer Gesundheit nehmen. Man wolle doch niemals vergessen, daß unser Organismus von Natur so eingerichtet ist, daß Veränderungen in der Ernährung und Beschaffenheit der festen oder flüssigen Körperbestandtheile (d. s. die Krankheiten) solche Processe nach sich ziehen, durch welche jene Veränderungen entweder vollkommen, bald später bald langsamer gehoben werden (d.s. die Naturheilungsprocesse), oder welche wohl auch bleibende, mehr oder weniger beschwerliche Entartungen, ja selbst Absterben des erkrankten Theiles oder des ganzen Körpers veranlassen. Stets sind es die Naturheilungsprocesse, welche Kranken, die irgend eine Charlatanerie gegen ihr Leiden anwendeten, zur Gesundheit verhalfen, niemals jene Charlatanerien.

Fragt man, was mögen wohl Leidende, die mündlich oder schriftlich einen mit oder ohne Erlaubniß kurirenden Laien (wie: einen Magnetiseur, eine junge Somnambüle oder eine alte Bauersfrau, einen Schäfer oder Hufschmied, einen Abdecker und dergl. Leute) um ärztlichen Rath angingen, vorher ehe sie dies thaten, gedacht haben? – wenn sie nämlich wirklich denken – so kann man zur Ehre ihres Verstandes nur antworten: „Nichts!“ Denn hätte nur Einer von ihnen vernünftig gedacht und hätte sich nicht gedankenlos vom Strome abergläubischer Patienten fortreißen lassen, so hätte er doch sicherlich zuerst folgende Fragen an seinen Verstand gestellt und beantwortet: wie kommen wohl solche unwissenschaftliche Heilkünstler und gerade diese zum richtigen Erkennen der Krankheit (nicht selten ohne den Kranken gesehen und untersucht zu haben), welche dich heimsucht? Wie und warum sind sie wohl in den Besitz von Heilmitteln und Kräften gelangt, die sogar der Wissenschaft unbekannt und unzugänglich geblieben sein sollen? Wie ist es nur möglich, daß ein oder einige wenige Heilmittel, deren sich gewöhnlich die Kurir-Laien bedienen und die längst bekannt, sogar als unwirksam erkannt sind, so viele und verschiedenartige Krankheiten zu heben im Stande sind? Ohne alle Ueberlegung, und dies ist eben eine Gewissenlosigkeit, geben die meisten Kranken ihren Körper Charlatanen preis, ja lassen sich sogar lange Zeit von diesen an der Nase herumführen, ohne die Versprechungen und Verordnungen derselben satt zu bekommen, während sie ihrem Arzte doch nach kurzer Zeit schon mißtrauen. Und worauf beruht denn das große Vertrauen, was Charlatanen geschenkt wird? Theils aus der anscheinend glücklichen Behandlung von einigen Leidenden, die aber auch von selbst gesund geworden wären, theils auf erdichteten und erkauften Zeugnissen und Danksagungen Geheilter, welche in die Welt hinausposaunt werden, während die vielen mißglückten Kuren deshalb unbekannt bleiben, weil nichtgeheilte Kranke sich ihrer Charlatankur schämen und darüber schweigen.

Es ist übrigens ein sehr trauriges Zeichen unserer Zeit, daß in der Heilkunst Wundersucht, Aberglaube und Charlatanerie immer mehr zunehmen und ihr blödsinniges Haupt immer kecker erheben, denn es lehrt die Geschichte, daß wenn dies geschah, auch die wahre Bildung den Krebsgang ging. Um so trauriger ist diese Erscheinung aber, wenn medicinischer Aberglaube und Charlatanerie von Hochgestellten begünstigt, ja sogar sanctionirt werden. Denn abgesehen davon, daß dadurch bestehenden Gesetzen entgegen die Aerzte, welche doch viel Zeit und Geld auf die Erlernung ihrer Wissenschaft und auf die Erwerbung der Erlaubniß zum Practiciren verwenden mußten, benachtheiligt werden, so wird auch der Verdummung Thür und Thor geöffnet, sowie mancher arme Kranke unnützer Weise um sein Geld, wenn nicht gar um seine Gesundheit gebracht. So habe ich es auch immer für einen großen Widerspruch angesehen, wenn man auf der einen Seite große Summen Geldes auf die Errichtung und Unterhaltung medicinischer Lehranstalten verwendet, sowie Doctor- und Staatsexamina streng wissenschaftlich einrichtet, während man auf der andern Seite Aerzte duldet, die einer Heilmethode anhängen, welche ganz unwissenschaftlich und von Jedermann ohne alle Vorkenntnisse sehr bald zu erlernen, alle jenen kostspieligen Einrichtungen überflüssig macht, da jene Heilkunst ja nur im Aussuchen von Heilmitteln [159] gegen einige (subjective und functionelle) Krankheitserscheinungen besteht, wozu medicinische Kenntnisse nicht gebraucht werden. Eine solche Heilmethode ist nun aber die Homöopathie, welche sicherlich längst als unwissenschaftlich und gefährlich verboten worden wäre, wenn die Wissenschaft (nicht etwa die Aerzte und Laien) über sie zu Gericht hätte sitzen dürfen und wenn sich dieselbe nicht der Protection einflußreicher Laien zu erfreuen hätte. Entweder – oder! Entweder man gebe allgemeine Kurirfreiheit oder dulde nur solche Heilkünstler, welche auf der Höhe der Wissenschaft stehen. – Beleuchten wir jetzt einige von den absonderlich heilmächtigen Laien, die eben in der Mode sind. Unter ihnen steht oben an

Herr Arthur Lutze,

ein geborner Berliner mit hervorragendem Organ des Religionssinnes (wie der Biograph Lutze´s, Herr Ebeling, berichtet) und mit der Erlaubniß in Cöthen, auch ohne die gesetzlichen Staatsprüfungen gemacht zu haben, practiciren zu dürfen (trotz der öfteren Vorstellungen der benachtheiligten dasigen Aerzte), übrigens ehemaliger Postsecretär und homöopathischer Heilkünstler (durch Privatstudium im Hering’schen Hausarzte) mit dem Motto: „wie glücklich wären die armen Leidenden, wenn jeder formell geprüfte und approbirte Arzt nur halb so viel heilen könnte, wie ich“; sonst auch noch Dichter, sowie Besitzer eines in Jena gekauften Doctordiploms und Inhaber einer Heilkraft (eine Gottesgabe nennt sie Herr Lutze), welche man, wie er selbst sagt, nicht durch Studiren erlernen und nicht mit der Vernunft begreifen kann.- Diese Gabe beruht auf dem Glauben und Willen und ist der Lebensmagnetismus. Wenn Herr Arthur Lutze den festen Willen hat (dies sind seine eigenen Worte), seinem leidenden Bruder (Schwester?) zu helfen, so mag er (nämlich Herr Arthur) thun was er will d. h. die Hand auflegen oder mit derselben einen Strich machen, oder sie nur ausstrecken, oder hauchen, oder nur ein Wort sprechen – und der Schmerz wird schweigen und das Leiden ein Ende nehmen. Wenn er nicht hilft (was übrigens sehr oft vorkommt), so ist er (nämlich Herr Lutze) schwach im Glauben oder im Willen gewesen, oder er hat empfunden, daß er in diesem Falle nicht helfen durfte, was kräftig magnetische Menschen deutlich wahrnehmen, als würde es ihnen auf unsichtbarem Wege zugeflüstert. – Zu den Erscheinungen der lebensmagnetischen Kraft des Herrn Lutze gehört auch, daß sich dieselbe auf Wasser, Zuckerpulver, homöopathische Streukügelchen u. s. w. übertragen läßt und daher kommt es denn, daß die von Lutze’s Hand durch mindestens 50 Schüttelschläge bereiteten, decillionfach verdünnten homöopathischen Arzneimittel in den von Herrn Lutze verkauften Hausapotheken (mit 135 Mitteln für 2 und mit 60 Mitteln für 1 Louisdor, mit 80 Mitteln für 7 Thaler und 40 Mitteln für 21/2 Thaler) weit wirksamer als die der andern Homöopathen sein sollen. Die Wirksamkeit ist hier so erhöht, daß wo andere Homöopathen 3, 4 und mehr Körnchen nehmen, Herr Lutze aus seiner Apotheke nie mehr als eins auf einmal nimmt und bei chronischen Uebeln (wie Blindheit, Taubheit, Lähmung, Rückgraths- und Knochenverkrümmungen etc.) nie vor 2, oft erst nach 4 und 5 Monaten ein zweites Korn zu geben braucht (nach dem Gesetze „des Nachwirkenlassens“). Darum lerne auch Jeder, der durch Herrn Lutze gesund werden will, vor allen Dingen Geduld; so predigt derselbe Herr Lutze, welcher, – trotzdem daß nach ihm „die Arznei nur den Anstoß zur Heilung gibt, die Naturkraft aber die Heilung vollendet“ – angeblich die ältesten Uebel durch einmaliges Anhauchen oder durch ein einziges Streukügelchen sofort hob. Daß Herrn Lutze´s Hausapotheken nach ihrem Preise eine so verschiedene Anzahl von Arzneimitteln enthalten und nicht alle Apotheken dieselben Mittel nur in verschiedener Quantität, ist sehr auffällig, denn entweder kann man mit den billigen Apotheken nicht alle Krankheitszustände kuriren oder in den theuren Apotheken sind überflüssige Mittel.

Halten wir nun eine Blumenlese in Herrn Arthur Lutze’s Schriften, welche sehr zahlreich und bei Herrn Lutze selbst zu kaufen sind, übrigens so ziemlich alle ganz dieselben paar Merkwürdigkeiten und Geschichten von Wunderkuren enthalten. – Am interessantesten erschien mir, daß einige der Lutze´schen homöopathischen Mittel vorzugsweise auf die rechte, andere auf die linke Körperhälfte wirken, und daß Herr Lutze „Denjenigen, welche ihren Kindern durch das Pockeneinimpfen nicht schädliche Stoffe (Skrofeln, Flechten, Schärfen aller Art) einimpfen lassen wollen“, den Rath ertheilt, dem Kinde das in seiner Hausapotheke vorräthige „Variolin“ (welches nicht blos das Impfen ersetzt, sondern auch den Verlauf der Pockenkrankheit überraschend schnell und günstig macht) innerlich zu geben, obschon er selbst ganz zu derselben Zeit, wo er diesen Rath ertheilt, in der Anhalt-Cöthenschen Zeitung (November 1851) durch eine großgedruckte Anzeige Arme zur unentgeltlichen Schutzpockenimpfung zu sich einladet. Warum will wohl Herr Lutze Armen, die seine Hausapotheke mit dem Variolin nicht kaufen können, Schärfen aller Art einimpfen? – Bewunderungswürdig war die Wirkung des Arthur-Lutze´schen Lebensmagnetisinus in folgenden Fällen: Einem 41jährigen Webermeister, welcher noch nie im Stande gewesen war, die Farben zu unterscheiden, hauchte Herr Lutze in beide Augen und sogleich konnte der erstaunte Mann die Farbenpracht der vor dem Hause blühenden Georginen erkennen, sowie Roth, Blau und Grün unterscheiden. – Eine 28jährige Frau mit großer Schwäche, die sich vor 4 Jahren dermaßen verhoben hatte, daß sie nur völlig zusammen gekrümmt gehen und liegen konnte, machte Herr Dr. Lutze durch wenige Striche mit seiner Hand über Rücken und Brust nach wenigen Minuten nicht blos ganz gerade, sondern auch kräftig. – Einen Mann, der sich auf der Straße eben den Fuß verrenkt hatte und nicht gehen konnte, heilte Herr Dr. Lutze durch bloßen Zuruf. – Ein Geistlicher, der an Taubheit litt, wurde bei 40 Meilen Entfernung in der Stunde, hörend, als Herr Dr. Lutze die Kraft seines Willens dahin sandte. – Nicht weniger heilkräftig und erstaunenswerth sind die Wirkungen der Lutze´schen magnetisirten homöopathischen Hochpotenzen (der 30fachen d. i. decillionfachen Verdünnungen) über die sich die meisten andern Homöopathen, aber ganz mit Unrecht lustig machen. Durch sie heilte Lutze frische und alte, von allopathischen Aerzten nicht zu heilende oder früher „allopathisch-verschmierte“ Uebel in weit kürzerer Zeit, als irgend ein anderer homöopathischer Heilkünstler, und man braucht sich deshalb nicht darüber aufzuhalten, wenn sich Herr Lutze mit Herrn Dr. Hahnemann, dem Entdecker des Alkali Pneum und Wiederauferwerker der von Descartes vor etwa 250 Jahren entdeckten Homöopathie[1] vergleicht und schreibt: „weil wir Beide (nämlich Herr Lutze und Herr Hahnemann) eine neue Heilmethode, respective entdeckt, vervollkommt und mit Erfolg ausgeübt haben, über welche Aerzte alter Schule als Nicht-Sachverständige nicht urtheilen, geschweige denn richten können, u. s. f.“

Von der enormen Wirkung der Lutze’schen Hochpotenzen mögen folgende Fälle Zeugniß ablegen: Einen 44jährigen Strumpfwirkermeister, welcher seit 14 Jahren an Knochenfraß des linken Beines so litt, daß dieses Bein 11/2 Zoll kürzer als das rechte geworden war und Patient stark hinkte, machte Lutze im Wege der Correspondenz (durch Schwefel und China X) in wenig Wochen vollständig gesund und beide Beine gleich lang, nachdem sich dieselben auffallend gereckt und gestreckt hatten. – Einem 4tägigen Kinde mit heftigen Krämpfen und Blutbrechen drückte Lutze ein Streukügelchen mit China zwischen die Lippen und sogleich hörten die Krämpfe auf und kamen nie wieder. – Ein sehr schmerzhafter seit 1 Stunde eingeklemmter Bruch bei einem 76jährigen Mann, der seinen Geist aufzugeben drohte, ging nach 35 Minuten dadurch zurück, daß Lutze einige Körnchen in ein Glas Wasser that und alle halbe Stunden einen Theelöffel voll davon nehmen ließ. –– Eine Frau, welche 17 Jahre den Wein- und Lachkrampf und seit 7 Jahren das Zittern aller Glieder hatte, wurde durch Riechen an die homöopathische Arznei vollständig geheilt, nachdem der Krampf die ersten 3 Tage nochmals sehr stark aufgetreten war. – Wie epileptische Krämpfe nach der ersten homöopathischen Gabe wegblieben; Krebsgeschwüre in wenig Wochen zuheilten; seit Jahren Taube (selbst Taubstumme) und Blinde in kurzer Zeit ihre Sinne wieder ganz gut gebrauchen konnten; wie ausgerenkte Hüften, hohe Schultern, Rückgrathskrümmungen und krumme Beine, Wassersuchten, Lähmungen nach Schlagfluß, Geschwülste u. s. w. [160] durch eine oder einige Gaben von Lutze’schen Hochpotenzen wie weggeblasen wurden, mag Jeder selbst in Lutze’s Schriften nachlesen. Auch wird man hier ganz naiv und ernsthaft erzählt finden, wie unarzneiliche Zuckerpulver Wunder verrichteten, allerdings nachdem viele Monate vorher ein Korn Sulphur X oder ein anderes Nichts mit Milchzucker gereicht worden war. – Nur die beiden im Leipziger Hospitale behandelten und von Herrn Arthur Lutze sattsam ausposaunten Fälle, wo Kranke, denen die Amputation ihres Fußes wegen eines Knochenleidens vorgeschlagen worden war, während (aber nicht in Folge) der Lutze’schen Behandlung allmälig gesundeten, mögen noch kurz beleuchtet werden. Wie früher (Gartenlaube 1855 Nr. 46) erwähnt wurde, werden gewisse Knochenleiden, auch wenn sie in den allermeisten Fällen durch Abzehrung und Eitervergiftung des Blutes zum Tode führen, doch bisweilen von der Natur geheilt. Da nun aber früher auf derartig Geheilte eine große Menge solcher Gestorbener kamen, bei denen man die Naturheilung erzielen wollte, da ferner durch die Amputation den meisten Kranken das Leben erhalten wurde, so ist es doch wahrlich die Pflicht jedes gewissenhaften und wissenschaftlich gebildeten Arztes bei derartigen Knochenleiden dem Patienten die Amputation vorzuschlagen; läßt sich dann Patient nicht amputiren und wird später doch noch und zwar unter der Hand irgend eines Heilkünstlers gesund (nämlich durch den Naturheilungsproceß), so wird darüber in der Regel ein großes Geschrei erhoben, welches in der That nur die Unwissenheit der Schreier, nicht aber die Heilmacht des Heilkünstlers bekundet. Und so verhält es sich überhaupt mit jeder andern scheinbaren Heilung durch einen kurirenden Laien.

Schließlich wollen wir noch berichten, daß die Königliche Polizei-Direktion in Potsdam in einem Berichte an den Magistrat zu Cöthen (vom 18. Aug. 1846) und an die herzogl. Anhalt. Medicinal-Commission (vom 8. Juli 1850) über Herrn Arthur Lutze schrieb: „daß wo derselbe in einzelnen Fällen sich der Heilung bedeutender Uebel öffentlich gerühmt habe und in seinen Schriften noch rühme, das Gegentheil davon bekannt worden sei.“ Aus dem Gesagten und fast wörtlich aus den Lutze’schen Werken entnommenen mögen sich die Leser nun selbst ihr Urtheil über Herrn Arthur Lutze bilden. — An Herrn Lutze reiht sich

Frau Graf in Schleiz,

oder um sogleich mit wenig Worten auch die geniale Heilmethode dieser Heilkünstlerin anzudeuten „die Frau Purgirheilkünstlerin Graf“; denn fast in jedem Recepte, von denen der Verfasser einen Haufen vor sich liegen hat, finden sich neben Sassaparille und Sassafraß abführende Stoffe (besonders Rhabarber, Sennesblätter und Manna). Diese Heilkünstlerin, eine wohlhäbige Müllerin aus Weberstädt gebürtig und von den preußischen Behörden ihrer Wunderkurirerei wegen nicht geduldet, scheint wie Herr Lutze ein mit übernatürlichen Kräften begabtes Wesen zu sein, denn wie sie schon durch das bloße Betrachten des übersendeten Urins der Patienten, die sie weder zu sehen noch zu untersuchen braucht, das Alter, Geschlecht, körperliche und geistige Verhalten derselben erräth, so erräth sie als Clairvointe die jedem Kranken dienlichen Heilmittel, welche nicht wie bei Herrn Lutze in homöopathischen Nichtsen, sondern bald in stark laxirenden Abkochungen von ganz gemeinen Kräutern und Wurzeln (die man jetzt von einem wirklichen Schleizer Doctor, der Assistentenstelle bei Frau Graf vertritt, auch in’s Lateinische übersetzt erhalten kann), bald in Bädern von Schafgarbe, Heusaamen u. dergl. bestehen. Die ganz einseitigen Vorschriften dazu stammen ohne Zweifel aus einem alten Receptbuche oder Rathgeber bei Krankheiten von Pferden und Rindvieh. Zum Beweise möge folgendes Recept dienen, welches Frau Graf einer zarten, brustkranken Frau in folgender Weise verschrieb: „1 Flasche alten Rheinwein, 1 Loth Carachen, 1 Loth Myrrhen, 1 Loth Sassaparille, 1 Loth Sassafraß, 1 Loth geschnittenes Süßholz, ½ Loth Rhabarber, ½ Loth Bittersüß, ½ Loth getrockneten Waldmeister (oder ein Händchen frischen dergl.), ½ Loth Tausendgüldenkraut, 1 Loth Stahlpulver und 1 Quentchen Safran. Vorstehende Species werden in dem Weine 24 Stunden lang, nicht zu warm ziehen gelassen und dann abgegossen, um davon stündlich einen Löffel zu nehmen. Dazu wird Morgens und Abends 1 Tasse Holzthee getrunken, wovon man 1 Loth in einem Nösel Wasser bis zu 2 Tassen einkocht.“ Derselben Patientin sendete Frau Graf, nach Besichtigung des Urins und gegen Entnahme von 1 Thlr. 15 Ngr., per Post folgendes Recept: „Sennesblätter, Rhabarber, Manna, Sassafraß jedes 1 Loth mit 3 Nösel bis zu 2 und ½ eingekocht; stündlich 1 Eßlöffel.“

Wir könnten spaßhafte und belehrende Geschichten aus dem Heilkünstlerleben der Frau Graf eine Menge erzählen, aber die Feder sträubt sich dagegen, denn es stimmt uns zu traurig und ärgerlich, wenn wir sogar gebildete Patienten, die sonst wirklich tüchtigen Menschenverstand zu besitzen schienen, zu einer ungebildeten Frau wallfahrten sehen, deren ganze Heilkunst blos im Abführen- und Badenlassen besteht und welche alle Uebel ganz über denselben Leisten und aus einem Topfe behandelt, höchstens mit diesem oder jenem Kraute wechselnd. — Darüber, daß die verehlichte Graf aus Weberstädt bei Langensalza, trotz der Protestationen der Aerzte und der Wissenschaft auf Lebenszeit die Concession erhalten hat, im ganzen reußischen Lande Kranke zu behandeln und einen Handel zu treiben mit selbstbereiteten Geheimmitteln (Choleratropfen, Flußtropfen, Augentinctur), kurz Rechte auszuüben, die keinem geprüften Arzte zustehen, darüber behalten wir unsere Gedanken für uns. Aber für eine gewissenlose und gefährliche Person erklärt, trotz dieser Concession, der Unterzeichnete die Frau Graf doch, und zwar hauptsächlich in Bezug auf ihre Behandlung der Augenleiden, die vorzugsweise im Einblasen von Alaunpulver in das Auge besteht. Mehrere mir bekannte Augenkranke, die durch eine Operation später wieder sehend hätten werden können, sind durch diese Behandlung der im reußischen Lande privilegirten Frau Graf unheilbar

erblindet.
Bock.




Kriegsbilder aus der Krim.
Nach den Tagebüchern eines Offiziers der chasseurs d’Afrique, mitgetheilt von Julius von Wickede.
(Schluß.)

Die beste Gelegenheit zu einem kleinen Handgemenge schien uns jetzt geboten zu sein, und das war es auch, was wir suchten, um die so schön begonnene Nacht auch würdig zu beschließen.

Mit heftigem Anprall stießen gerade in der Mitte zwischen dem Malakoffthurm und unserer Batterie die russischen und französischen Truppen zusammen. Geschossen wurde von beiden Parteien weiter gar nicht, nur das Bayonnet und der Gewehrkolben waren die einzigen Waffen, deren sich die Soldaten bedienten. Fast um das Doppelte so stark mochte die russische Kolonne sein wie die unsrige, und von allen Seiten drängten diese Soldaten in ihren langen grauen Mänteln, die unförmlichen aber sonst nicht unpraktischen Pickelhauben auf den Köpfen, heran.

Was machte aber diese Ueberzahl der Feinde auch aus, denn wenn es ihrer noch um das Doppelte so viele gewesen wären, sie hätten doch bald in ihre Werke zurückweichen müssen. Mit unbeschreiblicher Wuth stürmten unsere Soldaten vor, und stets da, wo diese unbehülflichen russischen Haufen am Dicksten standen, hinein.

„Nehmt nur die Offiziere auf’s Korn, tödtet nur die Offiziere,“ riefen unsere Commandanten und das Bayonnet fand gar bald Arbeit genug. Kaum einige Minuten hatte es gedauert und noch waren wir Nacheilenden nicht ganz bis zum Platz des Handgemenges vorgedrungen, da auf einmal löste sich der russische Haufen auf, und eben so schnell wie sie gekommen waren, liefen die meisten wieder ihren Werken zu. Unsere Zuaven und Tirailleurs wollten in ihrer Siegesfreude schon den fliehenden Feinden nachstürzen, als einige russische Geschütze heftig mit Kartätschen an zu feuern fingen, die in dieser Nähe ihre volle Wirkung hatten; zwar trafen dieselben mit ihren Schüssen eben so gut ihre eigenen Leute wie die unsrigen, das aber kümmerte die russischen Befehlshaber weiter nicht, wenn sie nur ihren Zweck erreichten, nämlich der weiteren Verfolgung von Seiten unserer Soldaten, Einhalt [161] zu thun. Ein russischer General fragt bei derartigen Scenen nicht so viel nach der Erhaltung des Lebens seiner Leute, ob da einige hundert mehr oder weniger derselben fallen, kann ihn nicht beirren. Gefangene Russen haben uns selbst erzählt, bei ihnen hätten die Pferde viel mehr Werth wie die Menschen, und es sei dem Obersten ungleich lieber, wenn seine Kavalleristen als wenn deren Pferde verwundet oder getödtet würden. Das ist übrigens in Frankreich, England und Deutschland nicht viel anders.

So wie die russischen Kanonen mit Kartätschen zu feuern anfingen, ließ der unsere Truppen befehligende Oberst sogleich das Signal zum Rückzug geben. Unser Zweck, den russischen Ausfall zu hintertreiben, war ja hinreichend erfüllt und ob nun unsere verfolgenden Soldaten einige Dutzend Russen mehr getödtet oder gefangen genommen hätten, war am Ende ziemlich gleichgültig. Ungefähr so ein zwanzig Russen mochten wohl todt oder schwer verwundet, daß sie nicht aufstehen konnten, auf dem Kampfplatz liegen und eben so viele auch in die Gefangenschaft unserer Soldaten gefallen sein. Unser Verlust an Todten und Verwundeten betrug neun Mann, darunter vier Zuaven. Unter letzteren war ein mir von Algerien her persönlich bekannter Korporal, zwar ein Erzwindbeutel durch und durch, der im Frieden eigentlich nur in einer Strafkompagnie zu bändigen war, im Felde aber einer der brauchbarsten und gewandtesten Soldaten, den ich je gesehen habe. Zweimal war derselbe schon in einer Strafkompagnie gewesen, dreimal zum Gemeinen degradirt worden, aber immer hatte er sich wieder durch seine glänzende Tapferkeit und große Geistesgegenwart im Kampfe glücklich heraufgearbeitet. Zuletzt war er wieder bei Inkerman zum Korporal ernannt worden. Hier bei diesem Gefecht hatte derselbe sich einen russischen Stabsoffizier zum Gegenstand seines Angriffes auserwählt, wie er dies stets zu thun pflegte. Gleich einer Tigerkatze soll er auf den russischen Offizier losgesprungen sein, den Degenhieb desselben mit dem linken Arm, um den er seinen Gürtel zum Schutz gewickelt, parirt und nun ein breites türkisches Dolchmesser dem Russen in die Brust gestoßen haben. In demselben Augenblick hat aber ein russischer Soldat, der muthig seinen Obersten vertheidigen wollte, dem Zuaven-Korporal das Bayonnet mit solcher Gewalt gerade in den Mund hineingestoßen, daß die Spitze desselben weit zur andern Seite des Kopfes herausgedrungen ist. Auf der Leiche des getödteten Obersten, gleich wie ein Tiger auf seiner Beute liegend, hat man den Zuaven-Korporal gefunden, das Bayonnet noch im Kopfe steckend, aber trotz dieser furchtbaren Wunde immer noch lebend. Als ein Soldat ihm dasselbe herauszog, was ziemliche Kraftanstrengung gekostet hat, ist der Verwundete, der doch nicht mehr zu retten war, gestorben.

Wir waren bereits auf dem Rückmarsch nach unserer Batterie begriffen, als die Russen, die jetzt bei dem schon völlig angebrochenen Tag bequem auf uns zielen konnten, wieder mit Vollkugeln aus ihren schwereren Geschützen zu feuern anfingen. Vielen Schaden richteten sie zwar damit nicht an, denn unsere Soldaten lösten schnell ihre geschlossenen Glieder auf, und eilten zerstreut hinter ihre Verschanzungen zurück, um so für die feindlichen Kugeln keinen Zielpunkt abzugeben; das Unglück wollte aber doch, daß ich zuletzt noch etwas abbekam, und dadurch für meinen Vorwitz ein Gefecht mitzumachen, zu dem ich nicht befehligt war, eine tüchtige Strafe erhielt. Eine russische Vollkugel traf einen Felsblock, der ihr im Wege lag, mit solcher Gewalt, daß eine große Ecke davon absprang und mich gerade an dem linken Fuß oberhalb des Kniees verletzte. Eine tüchtige Quetschung erhielt ich auf dieser Stelle und die Gewalt des Steines war doch noch so groß, daß ich davon zur Erde geworfen wurde.

Sowie mich mein Alphons, der zuletzt am Ende seiner Zuaven sich befand, fallen sah, sprang er sogleich herbei, und auch die englischen Offiziere waren sofort bei der Hand, um mir mit aufzuhelfen. Mein Fuß schmerzte aber so gewaltig, daß es mir unmöglich war ihn zu gebrauchen, und so mußten mich denn zwei Zuaven aufladen und auf ihren Armen nach einem geschützten Platz hinter unserer Batterie, wo ein Arzt sich befand, hintragen. Bei der näheren Untersuchung der Wunde fand sich denn, daß zwar die Haut ganz weggerissen und das Fleisch arg gequetscht, sonst aber weiter kein Knochen verletzt war, so daß die ganze Geschichte in ungefähr acht Tagen wieder geheilt sein konnte.

So wie mein Herzensfreund hörte, daß weiter keine Gefahr aus dieser Verletzung für mich entstände, fing er, der bisher die eifrigste Sorgfalt und wärmste Theilnahme mir bewiesen hatte, seinen Ton plötzlich zu ändern an und hielt mir eine Strafpredigt so eindringend, wie nur ein alter Korporal einem Rekruten gegenüber sich benehmen kann:

„Da hast Du nun Deine Strafe für Deinen Vorwitz; warum bleibt Ihr nicht bei Eurem Punschkessel sitzen und treibt Euch dafür hier draußen vor den Trancheen herum, wo Ihr nicht hingehört und doch nichts nützen könnt. Bei den Engländern kann man solchen Vorwitz noch entschuldigen, denn denen ist es etwas Neues zu sehen, wie wir Zuaven angreifen, aber bei Dir, der nun schon seit zehn Jahren in Algerien mit uns zusammengefochten und nun auch bereits die ganze Belagerung von Sebastopol mitgemacht hat, kann so etwas nicht mehr der Fall sein, und ein aberwitziger Rekrut, der seine Nase überall mit hineinstecken muß, bist Du wahrlich doch auch nicht mehr, sondern hast schon Pulverdampf genug in Deinem Leben gerochen; aber Ihr Chasseurs d’Afrique seid nun einmal so, überall wollt Ihr mit dabei sein, und denkt, es könne gar kein ordentliches Gefecht ohne Eure Hülfe mehr geschehen und selbst wenn es gegen die Wälle des Malakoff ginge.“

So brummte und schalt Alphons, der überdies in hohem Grade verdrießlich darüber war, daß dies Gefecht am heutigen Morgen gar so kurz sich gestaltet hatte, fort und fort, und ich mußte mir leider dabei selbst sagen, daß er nicht so ganz Unrecht damit habe. Ich hatte nicht den mindesten Vortheil für die ziemlich bedeutenden Schmerzen, die ich in den ersten Tagen nach meiner Verwundung ausstehen mußte, sondern erhielt noch von unserm Colonel, als er die Ursache derselben erfuhr, einen starken Verweis, der damit schloß, daß wenn ich nicht schon meines Fußes wegen Zeltarrest hätte, er mir solchen zur Strafe geben würde. Und dabei liegt unsere Eskadron jetzt auf Vorposten und hat Gelegenheit sich mit den Kosaken und russischen Husaren herumzuschlagen, während ich hier allein mit einem halben Dutzend kranker Leute zurückbleiben muß, und aus Langeweile einen Bogen Papier nach dem andern in meinem Tagebuche vollschreibe. Es ist das wahrhaftig ein trauriges Vergnügen.

Mein einziger Trost ist nur, daß die Anderen auf ihren Vorposten auch sich wahrscheinlich nicht allzuoft mit den Russen messen werden, und also ich in der Hinsicht nicht viel versäume. Seit die Russen bei der Tractir-Brücke so derbe Schläge bekommen haben, wollen sie draußen im freien Felde nicht mehr recht Stich halten und wenn sie auch Sebastopol selbst mit dem hartnäckigsten Muthe vertheidigen und sich, wie es braven Soldaten geziemt, daselbst tapfer schlagen, im freien Felde haben sie gewaltige Scheu vor uns und weichen bei jeder Gelegenheit zurück. Bei der Tractir-Brücke ging es aber tüchtig zu und die Russen mußten wieder viel leiden; Schade nur, daß der General Pelissier, der hier ungleich vorsichtiger sich zeigt, wie dies sonst in Algerien bei ihm der Fall war, uns Kavalleristen nicht erlaubte, die fliehenden Feinde, die sich wirklich in größter Unordnung zurückzogen, weiter zu verfolgen, wir hätten gewiß noch viele Beute machen, und besonders auch russische Geschütze erobern können. Zwei geborene Polen, die einige Tage später aus dem russischen Lager zu uns desertirten, erzählten, daß die Unordnung in demselben nach der verlorenen Schlacht ungemein groß gewesen sei. Alle Korps wären untereinander gemischt gewesen und Niemand hätte gewußt, wer denn eigentlich zu befehlen habe. Das ist wahr, hat man den Russen erst einmal ihre Offiziere, die meist brave und ausgezeichnete Leute sind, und ihren Soldaten kühn voran in das Feuer gehen, wie es die Pflicht jedes tüchtigen Offiziers ist, weggeschossen, so wissen die Leute selbst sich gar nicht zu helfen, und stehen in dichten Massen umher und lassen sich ruhig niederschießen, als wenn dies nur so sein müßte. Ganze Kompagnieen, denen unsere Tirailleurs vorher ihre Offiziere weggeschossen hatten, sind auf diese Weise bei der Traktir-Brücke von unserer Artillerie zusammenkartätscht worden und die Leichen lagen in so dichten Haufen hoch aufgespeichert, daß wir mit unseren Pferden gar nicht darüber hinweg sehen konnten.

Tüchtig haben sich übrigens an diesem Tage auch die sardinischen Truppen geschlagen und sich die Achtung unserer ganzen Armee erworben. Besonders ihre Bersaglieris sind gewandte Leute [162] und wissen ihre Feinde so auf’s Korn zu nehmen, daß unsere Chasseurs es auch nicht besser machen könnten.

Wir Alle hatten unsere Freude daran, daß an diesem Tage den Sardiniern ebenfalls Gelegenheit ward, sich auszuzeichnen, denn dieselben hatten hier schon viel Ungemach mit ertragen müssen, ohne daß sie bisher, außer einigen kleinen Vorpostengefechten, noch recht mit den Russen zusammen gerathen waren. An dem Tage suchten sie aber das Versäumte nachzuholen und ihre Büchsenkugeln und die wohlgezielten Kartätschenschüsse ihrer Artillerie haben manchem Russen aus diesem Leben geholfen. Jetzt haben die Sardinier wieder Ruhe, da sie zum Beobachtungskorps gegen das jenseits der Tschernaja stehende russische Korps gehören, und an den eigentlichen Dienst in den Laufgräben vor Sebastopol keinen Antheil nehmen. Wir Chasseurs d’Afrique kommen auf unseren weiten Rekognoscirungspatrouillen häufig mit diesen sardinischen Feldwachen zusammen, und es herrscht dann stets auf beiden Seiten das beste Einvernehmen. Weiß der Teufel wie es zugeht, aber im Ganzen vertragen wir Franzosen uns besser mit den Sardiniern, als mit den Engländern, mit Ausnahme der ostindischen Husaren und Lanciers. Diese Engländer sind gar so einförmig und langweilig und es ist keine rechte Lebendigkeit in ihnen, wie bei uns Franzosen. Ihre Soldaten wollen immer und immer Rum trinken und wir Offiziere der Chasseurs d’Afrique haben wahrlich aufzupassen, daß unsere eigenen Leute am Ende nicht auch noch zu diesem Laster sich neigen, da wir häufig mit diesen Engländern zusammen auf Vorposten sind. Wie zeigen sich da diese Sardinier in der Mäßigkeit aus, die trinken nicht so viel Wein, wie die Engländer Rum und haben dabei den ganzen Tag doch ihre frohe und heitere Laune und können oft stundenlang bei den Bivouakfeuern ihre Lieder in so schönen, vollen, reinen Chören singen, daß es wahrhaftig ein Vergnügen ist, ihnen zuzuhören. Nun, Zeit genug haben sie jetzt auch dazu, denn wenn wir Chasseurs auf Patrouillen sind, so passen wir gewiß so auf, daß die Russen keine heimlichen Ueberfälle machen können, und sich immer in weiter Entfernung halten und nur froh sein müssen, wenn wir ihnen nichts thun und sie in Ruhe und Frieden lassen.

Wir hatten früher immer so viel von den Kosaken gehört, und schon in Algier hatte man uns oft gewarnt, vor denselben auf unserer Hut zu sein, und ja recht aufzupassen, um uns nicht heimlicher Weise von ihnen überfallen zu lassen, da sie sehr gewandt und schlau wären. Bei Gott, ich muß gestehen, daß wir von allen diesen Eigenschaften bei den Kosaken, die uns hier gegenüberstehen, noch sehr wenig gespürt haben, und die Kabylen in Algerien weit gewandtere und daher auch gefährlichere Feinde sind wie jene. Zu einem regulären Reitergefecht waren dieselben noch nie recht zu bringen, und die einzige russische Kavallerie, die so weit Stand hielt, daß man einige Säbelhiebe mit ihr wechseln konnte, waren reguläre Husaren und Uhlanen, die Kosaken kehrten in der Regel sogleich um, wenn wir nur gegen sie anritten. Und mit ihrer Schlauheit im Vorpostendienst ist es hier auch nicht weit her, und eine Feldwache, die sich von diesen Kosaken heimlicher Weise überfallen ließe, muß gewaltig ungeschickt oder nachlässig sein, und ihr Kommandant verdiente, daß man ihn vor ein Kriegsgericht stellte und ihm zur Strafe eine Kugel durch den Kopf jagte. Selbst gegen die Engländer, die ihren Vorpostendienst doch gewiß so ungeschickt wie nur möglich versehen, haben diese Kosaken noch nicht viel ausrichten können, und auch türkische Offiziere von der Kavallerie, die der Iskender-Bei kommandirt, haben uns erzählt, daß sie dieselben an der Donau bei jeder Gelegenheit in die Flucht geschlagen hätten. Am Kaukasus, da soll der Kaiser von Rußland noch Kosaken besitzen, die etwas taugen, von allen aber, die uns hier in der Krim gegenüberstehen, kann man dies wahrhaftig nicht sagen.

Auch die Pferde dieser Kosaken halten nicht so viel aus, wie ich anfänglich geglaubt hatte, und die Hengste, die wir Chasseurs d’Afrique aus Algier mit herüber brachten, sind nicht allein schneller, sondern auch ausdauernder. Sonst haben die Russen gute Pferde und besonders ihre Artillerie ist weit besser bespannt, wie die unsrige. Ein sehr schönes russisches Pferd kaufte ich einem Zuaven, der es an der Tschernaja erbeutet hatte, für 200 Franks ab. Es ist ein Hengst von der tartarischen Race, ganz weiß mit braunen Flecken, gerade wie ein Tiger gezeichnet. Derselbe hat nur damals einen Schuß am Halse bekommen, so daß er noch nicht zu gebrauchen ist, sonst wäre mir es wohl auch nicht geglückt, ihn so wohlfeil zu erhandeln. Gute Pferde sind hier ungemein theuer, und besonders die englischen Offiziere, denen im letzten Winter ihre meisten Pferde gefallen sind, da diese das Klima nicht vertragen konnten, kaufen alle nur irgendwie brauchbaren auf, und bezahlen gern die höchsten Preise dafür, wenn sie solche nur bekommen können. Für meinen braunen Marokkaner, den ich seit sechs Jahren in allen Gefechten reite, sind mir von einem englischen Oberst schon 4000 Franks geboten worden; ich würde das Thier aber nicht hergeben und wenn er mir auch den doppelten Preis dafür böte. Diese Engländer müssen sich nicht einbilden, daß sie für ihr Geld Alles bekommen können, sogar die Kampagnepferde der französischen Offiziere.

Doch jetzt wird es mit meiner Schreiberei vorläufig wohl ein Ende haben, denn eine Ordonnanz sagt mir soeben, daß unsere Escadron in einer halben Stunde schon von den Vorposten zurückkommen werde. Dann ist keine Ruhe mehr in meinem Zelte, und der lustige K., der mit mir zusammen wohnt, treibt den ganzen lieben Tag so viele Possen, daß man keinen Augenblick in Ruhe bleiben kann, und an Schreiben dann gar nicht zu denken ist. Die Ordonnanz sagte mir, daß die Unsrigen ein kleines Vorpostengefecht mit russischen Husaren gehabt und einige Pferde dabei erbeutet hätten, ohne selbst einen Verlust zu erleiden. Nur einem Chasseur sei die Mütze von einer russischen Büchsenkugel vom Kopfe gerissen worden. Das hat man, während meine Chasseurs sich draußen herumschlagen, muß ich hier zurückbleiben. Es ist wahrlich um aus der Haut zu fahren. Doch jetzt will ich versuchen, mich auf das Pferd heben zu lassen, um der Escadron langsam im Schritte entgegenzureiten. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, meine alten Blaujacken wieder zu sehen, von denen ich mich im Leben nie mehr trennen mag.

Mein nächster Brief wird hoffentlich aus Sebastopol selbst geschrieben sein, denn es muß doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir das verdammte Nest am Ende nicht erstürmen sollten. In diesem Augenblick fängt wieder eine gewaltige Kanonade an. Ja, der Pelissier, der versteht’s und heizt den Feinden brav ein, das hat er stets schon in Algerien uns bewiesen.



Ein Besuch im Python- und Schlangenhause
des zoologischen Gartens im Regentspark zu London.

Unter den Schätzen des zoologischen Gartens im Regentspark zu London – bekanntlich des reichsten in der Welt – sind die Reptilien-, Python- und Schlangenhäuser gewiß zu den interessantesten zu rechnen. Ich hatte sie oft besucht, ohne ihnen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da die Schlangen entweder wie todt auf ihren Bäumen oder auf den Steinen unten zusammengewickelt oder gar unter ihren rothen Decken versteckt lagen. Aber neulich kam ich endlich einmal zur rechten, interessanten d. h. ihrer Fütterungszeit, die blos alle Wochen einmal geboten wird. Freilich wollen auch dann Manche noch nichts zu sich nehmen, andere fasten sogar freiwillig mehrere Wochen lang. Noch unglaublicher klang es, als mir eine furchtbare Python-Schlange gezeigt ward, die zwei Jahre und zwei Monate keinen einzigen Bissen zu sich genommen hatte. Die meisten aber nahmen diesmal vor meinen Augen ihre gebotenen Mahlzeiten zu sich, die ökonomisch gereicht werden, so daß eine achttägige Zeit zur Wiederherstellung des Appetits hinreicht. Es war 3 Uhr Nachmittags, als ihr Tafeldecker und Speisewirth mit seinem Korbe eintrat. Die flatternden Opfer darin erregten sofort die Aufmerksamkeit aller Bewohner, die hinter großen, dicken Spiegelscheiben hervor in aller ihrer Gräßlichkeit und – Grazie Appetit verriethen. Der Schlangenspeisewirth geht durch eine Hinterthür in jede einzelne Höhle der [163] großen Schlangen auf der rechten Seite - die er als völlig gefahrlos kennt, deckt die in ihre wollenen Tücher verhüllten Bewohner auf und läßt ein Kaninchen auf die Steine fallen. Dies krabbelt und hops’t neugierig, unschuldig und gemüthlich umher, um seine neue Wohnung zu inspiciren. Offenbar zufrieden damit, setzt es sich auf die Hinterbeine und fängt an, sich das Gesicht zu waschen, denn die neue Wohnung sieht gar zu reinlich und blank aus. Die Schlange öffnet hinter ihm ihre glühenden, malitiösen Augen, hebt den Kopf etwas, legt ihn dann wieder auf die Steine und zieht sich langsam und geräuschlos über dieselben hin, wobei sich ihre Verschlingungen allmälig lösen und strecken, wie durch eine unsichtbare Gewalt von außen, etwa eben so, wie eine ungesehene Hand allmälig ein verwickeltes Stück Tau gerade zieht. Sie glotzt und glüht ein paar Secunden auf ihr ahnungsloses Opfer und hat es, schneller, als man sehen kann, mit dem grausamen Schlunde gepackt und mit der Schnelligkeit einer geschwungenen Peitsche umwickelt. Es kreischt und quiekt zwei- oder dreimal jämmerlich, bis die Knochen knacken und das Thierchen unter den Pressungen seines Mörders zu einer unförmlichen Masse zusammengedrückt ist. Die Schlange liegt wohl 10 Minuten still, wickelt sich dann und ihre Beute auf, streckt sich und ergreift sie zuerst bei den Ohren, schnappt dann mit dem kneipzangenartigen Rachen zu und windet und murmt sie langsam hinunter, was ganz so aussieht, als zöge man einen ganzen, zusammengeschrumpften Strumpf mühsam über den Fuß, oder vielmehr, als zwänge man den Fuß in den Strumpf hinein, denn die Schlange zieht eigentlich ihren elastischen, schuppigen, fleckigen Schlauch langsam über den verschlungenen Klumpen hin. Hierauf wickelt sie sich zusammen und läßt der Verdauung ihren Lauf, was während der acht Tage bis zum nächsten Mahle in der Regel ihre einzige Beschäftigung bildet.

Die Boa Constrictor und die Felsen-Schlange verschlingen ihre Opfer allemal mit dem Kopfe zuerst. Außer Tauben und Kaninchen bekommen sie selten Leckerbissen im zoologischen Garten. Die flatternden Tauben wissen sie sehr geschickt mit dem Schweife zu peitschen, so daß sie, so weit ich’s sah, jedesmal mit dem ersten Schlage herunterfielen. Während die Schlangen hier von kleinem Geflügel leben, schmausen nicht weit davon in natürlicher Wiedervergeltung Störche und andere hochbeinige Sumpfvögel kleine Schlangen.

Auf der andern Seite des Schlangen-Museums werden die giftigen Arten gehalten, denen man mit größerer Vorsicht ihre Mahlzeit bereitet. Eine enge Oeffnung von oben, kaum groß genug, um ein kleines Schwein hindurchzuzwängen, dient zunächst zum Hindurchstecken einer Eisenstange mit einem Haken, womit der Wärter die Decke von einer Cobra abriß. Sofort sprang diese auf mit weitgeschwollenem Hute, stellte sich in eine S-gleiche Position und sprang dann seitwärts auf das herabgelassene junge Schwein. Sie wiederholte diese Seitensprünge wieder und immer wieder, ohne ihr Opfer zu treffen. Dann traf sie es zuweilen, aber ohne ihm Schaden zu thun, so daß das erschreckte Thierchen nur schneller und schneller auf den knirschenden und kollernden Steinen umhergetrieben ward. Endlich aber gelang es ihr, es in die Seite zu stechen. Unmittelbar darauf stellten sich Convulsionen ein, unter welchen das Thier binnen wenig Secunden starb.

Wir bemerken hier, daß der gewöhnliche Glaube, die Schlangen schössen ihr Gift aus der Zunge, falsch ist. Das Gift steckt in Drüsen an der Wurzel der Fänge auf beiden Seiten. Durch Drückung und Dehnung der mächtigen Muskeln, welche dem Kopfe eine breite und platte Gestalt geben, wird es in seine Röhren gezwängt, welche an den Seiten der Fänge hinlaufen, und herausgespritzt.

Die Cobra im zoologischen Garten mit ihrer gleißenden schwarzgelben Haut, ihren schwarzen heimtückischen Augen, ihren glatten und graziösen Windungen, erschien mir als eine treffende Personification Indiens. Als wir sie dicht vor uns in ihren Sprüngen und Drehungen beobachteten, nur durch eine fast unsichtbare Spiegelscheibe gegen ihren Biß und ihre Umarmung geschützt, überlief uns schier Todesfurcht in gräßlichster Gestalt. Nichtsdestoweniger hat man nichts zu fürchten. Die 120 Pfund schwere Python-Schlange in der nächsten Abtheilung schoß sofort nach ihrer Ankunft in ihrem Hause mit der großen Spiegelscheibenwand mit der vollsten Wuth gegen einen Zuschauer davor. Aber sie prallte so ohnmächtig von dieser unsichtbaren Wand zurück, daß sie mit geschwollenem Kopfe wie todt lag und viele Monate lang nichts verschlingen konnte. Seitdem zeigt sie, wie auch die andern Schlangen, die ähnliche Erfahrungen machten, den größten Respect vor dieser unsichtbaren Wand. Diese Cobra ist übrigens noch dieselbe, welche vor einigen Jahren ihren Wärter tödtete. In einem angetrunkenen Zustande und gegen die schärfsten Befehle nahm er die Schlange, die sich gegen ihn so harmlos gezeigt, aus ihrem Hause: steckte ihren Kopf zwischen Vorhemdchen und Weste und ließ sie Windungen um sich herummachen. Sie gleitete mit dem Kopfe heraufwärts bis an sein Gesicht und betrachtete ihn augenscheinlich mit dem besten Humor. Jetzt aber drückte er ihren Schweif, damit sie einige andere Windungen mache. Dies nahm sie übel. Sie schlug und stach ihn zwischen die Augen. Nach einigen Minuten sank er bewußtlos zusammen und starb nach drei Stunden.

Neben den Schlangenhäusern in dieser Abtheilung machen sich noch einige seltsame häusliche Einrichtungen ausländischer Frösche und Eidechsenarten bemerklich. Ich weiß nicht mehr, wie sie alle zoologisch heißen und erinnere mich blos des Eindrucks, den mehrere der letzteren auf mich machten. Wie alte verdrehte und verdorrte Wurzelknollen von Bäumen kauerten einige in den unnatürlichsten Verrenkungen, ohne daß sie Stunden lang nur die geringste Bewegung machten. Allen Zurufen, Winken, Drohungen setzen sie ein festgefrornes Starren entgegen. Ich dachte, die Natur sei in diesen Gebilden noch nicht von den Reminiscenzen an organische Wurzelgebilde der Vegetation, der Pflanzen losgekommen und diese Eidechsen möchten just an der Vorstellung leiden, daß sie nichts seien, als ein Stück Baumwurzel. Auch als man ihnen Insekten vor die Nase warf, mußten sie sich erst langsam ihres höheren Ranges besinnen. Diese Besinnung kam langsam, aber dann auch mit einem Blitze. Als sie erst wußten, daß ihnen das Futter nicht aus der Erde und aus der Luft zuwachse, wie den Pflanzen, schossen sie mit komischen eifrigen Sprüngen hinter den fliegenden Käfern her und sperrten dazu das Maul so weit auf, als wollten sie ein Rhinozeros verschlingen.

Hinter diesem Hause giebt es ein besonderes Schlangenhaut-Museum, eine Sammlung aller abgelegten Hautkleidungsstücke der Schlangen, die in noch vollständigem Zusammenhange, wie sie den Körper, den Kopf, die Augenballen ihrer ehemaligen Träger bedeckten, der Reihe nach von den Wänden herabhängen.

Das Python-Haus auf der andern Seite des Museums enthält blos zwei Schlangen, aber die Riesen und größten Scheusale des ganzen Geschlechts Die Abenteuer der einen – Python reticulatus – sind interessant. In Taschenformat und als kleiner Wurm wurde sie mit einem Zwillingsbruder von amerikanischen Matrosen aus Ceylon nach Brasilien gebracht, und beide mehrere Jahre hindurch in Amerika für Geld gezeigt. In Callao kaufte sie ein englischer Kapitain für eine hohe Summe und bot sie der zoologischen Gesellschaft im Regentspark für 600 Pfund Sterling an. Von ihrem hohen Werthe überzeugt, hatte er sie für die Seereise mit dreißig Pfund versichert. Die zoologische Gesellschaft wies dies Anerbieten zurück, bis der Kapitain so weit in seinem Urtheile herabgedrückt worden war, daß er sich endlich dazu verstand, sie für vierzig Pfund zu lassen. Die eine dieser Zwillinge ist seitdem gestorben, die andere aber hält sich tapfer und zeigt, wenn sie sich herabläßt, Bewegungen zu machen, eben so gewaltige Länge und Kraft, als Gelenkigkeit und Grazie. Die andere Bewohnerin dieses Museums ist eine scheußlich-gefleckte Boa Constrictor, der wir bereits früher einen Besuch in ihrer Heimath abstatteten. Die beneidenswerthe Kunst der Schlangen, Jahre lang zu fasten, wird von ihrem Talente, zu fressen, noch übertroffen. Wir hörten von einer Schlange, die ihre eigene wollene Bettdecke verschlang und daran starb. Eine Python-Schlange, welche Jahre lang mit einem Stammesgenossen freundschaftlich gelebt hatte, fand der Wärter eines Morgens allein mit einer Cigarre im Rachen, denn so sah der noch hervorragende Schwanz ihrer Freundin aus. Sie hatte dieselbe bis auf diesen Theil hinuntergewürgt Da die Verschlungene eben so groß war als die Verschlingende, hatte sie nicht Platz. Das größte Wunder war, daß nach einiger Zeit die hervorragende „Cigarre“ immer größer ward und nach sechs Stunden die ganze Schlange wieder lebendig zum Vorschein kam, nur mit der Bißwunde, womit sie zuerst ergriffen worden war.

Einige Pythons in Indien werden gegen 40 Fuß lang und [164] verschlingen wilde Schweine, ohne sie erst zu tranchiren. Die Ular-Serva auf den Sundainseln tödtet gern Menschen durch Umarmungen, ohne sie zu fressen. In Whidah, Königreich Dahomey mit dem scheußlichen König, der mit seiner Weiberarmee sein Volk dadurch besteuert, daß er es als Sklaven verkauft, giebt es mehr als 60 Fuß lange Pythons, die Schafe und Ziegen ganz verschlingen. An der Goldküste Afrika´s hat man schon ganze erwachsene Männer (natürlich in allen Knochen zermalmt und zerdrückt) aus Schlangen herausgeschnitten. Bei Calcutta wurde einmal ein Matrose aus den Umarmungen einer Schlange befreit, die 62 Fuß maß. Dergleichen Abenteuer mit Schlangen ließen sich aus Reiseberichten über heiße, wilde, menschenarme Gegenden in’s Unendliche vermehren. Die Schlangen sind gewissermaßen die geschwungenen Ruthen, womit die Natur den Menschen und seine Civilisation von Gegenden zurückschreckt, die ihm schädlich und tödtlich sind. Wenigstens verschwinden allmälig die gefährlichen und giftigen Arten derselben da, wo Menschen sich anbauen und bilden, hauptsächlich freilich, weil der Mensch zunächst alles Mögliche thut, sie zu vertilgen. Früher beherrschten sie, à 100 bis 150 Fuß lang, ganze Landestheile und vergifteten (durch ihre bloße Ausdünstung schon, wodurch jede Schlange zunächst vor sich warnt) und fraßen Alles Leben umher. Plinius erzählt von einer solchen Schlange, welche einen großen Theil der Armee des Regulus beim Uebergange über den Fluß Bragada in Afrika um- und verschlungen habe, endlich erlegt und nach Rom gebracht worden sei. – Ihre Haut, die er selbst gesehen, habe eine Länge von 120 Fuß gehabt.

Um noch ein Wort über diese grausame Schöpfungslaune der Natur zu sagen, zeichnen sich die Schlangen durch innere und äußere Construktion vor allen andern Naturgebilden aus. Der ungeheure weite Rachen mit dem kleinen Kopfe und Halse ist die größte Merkwürdigkeit. Sie sind das Nadelöhr, durch welches ein Kameel gefädelt wird. Die Kinnladen öffnen und schließen sich nicht, wie bei andern Thieren, durch aneinander gebundene Knochen, sondern durch ungemein elastische Muskeln, die sich wie Gummi ausdehnen. Aehnlich sind die Hals- und Körpermuskeln, durch welche Körper gezwängt werden, die bis sechsmal dicker, als die Schlange selbst. Einige Schlangen haben krumme, hohle Zähne, andere blos Fänge. Zähne und Fänge sind beweglich und können gelegt und aufgerichtet werden. Die Augen sind ungemein klein und durchweg boshaft und giftig im Ausdruck. Löcher zum Hören sind vorhanden, aber kein Organ des Riechens bemerkbar. Die langen, gegabelten Zungen, bei Vipern oft ein Drittel so lang, als der ganze Körper, mit ihrem ewigen scheußlichen Spiel, sind auch eigenthümlich genug. Sie sind Aale, aber haben keine Schwimmhäute, Eidechsen mit ihrem Panzer, aber ohne Füße, Würmer mit ihrem Gekrieche und Gewinde, haben aber Lungen; und ohne Füße, Schwimmhäute, ohne alle Seitenwaffen doch in ihrem bloßen Körper die mächtigste Waffe, denen selbst der König der Wüste, der Löwe, unter dem donnerndsten Gebrüll erliegen muß.




Blätter und Blüthen.

Madame Neumann. Selten hat wohl eine Künstlerin eines so ungetheilten Beifalls sich zu erfreuen gehabt, als Madame Neumann in Berlin im Jahre 1822. Selbst Herren, aus denen das Alter jeden Funken von Begeisterung längst verwischt zu haben schien, wurden von ihrem Anblick entzündet und schlugen ihr entgegen; ja merkwürdig genug hatte sich gerade aus dieser Klasse der Alten ein engerer Kreis von Verehrern gebildet, der sie überall, im Parkett, beim Ein- und Aussteigen am Schauspielhause, oder wo sich die Künstlerin öffentlich zeigte, umgab, dessen unermüdete Bestrebungen auch recht bald vom Publiko durch den Ehrennamen der „heiligen Schaar“ oder der „alten Garde“ belohnt wurden. Dies hatte aber die natürliche Folge, daß die Jüngeren, die nicht gern vor der Zeit zu der „alten Garde“ gerechnet sein wollten, sich in weiterer Entfernung hielten, als es wohl sonst geschehen wäre, und nur Einer, der zu zu schwach zum Widerstande, den Zauberkreis durchbrechend sich der „alten Garde“ anschloß, wurde, seiner großen Jugend von 40 Jahren wegen, ausnahmsweise der Voltigeur genannt. Alles dies gab Veranlassung zu einem Bilde, welches in Berlin reißenden Abgang fand. Es stellte in der Mitte eine schöne Frau vor, um sie her eine Truppe treffend portraitirter Herren. Unter dem Bilde stand: La vieille Garde meurt; mais Elle ne se rend pas! (Die alte Garde stirbt; aber sie ergiebt sich nicht!)




Natureinwanderung nach England. Riesenbäume. Der Auswanderung in neue ferne, fremde Theile der Erde entspricht eine unsere alte Welt bedeutend verschönernde Einwanderung und Acclimatisirung von tropischen und Urwaldsschönheiten. Die Civilisation und Noth derselben verbreitet sich über die ganze Erde, die Natur der Ferne nimmt deren Stelle in der alten Welt ein. Wir meinen die Einführung und Pflege von Pflanzen und Bäumen in Paris, Gärten, Blumenbeete und Gewächshäuser, die besonders in England zu einem förmlichen Kultus, zu einer Kunst und Wissenschaft geworden ist, zu einer noblen Passion. Unter den botanischen Entdeckern und Sammlern zeichnet sich besonders David Douglas aus, dem man schon in der „pinus Douglasi“ einem wunderschönen, immergrünen Baume aus dem westlichen Nordamerika, der in allen Zierplantagen Englands bekannt ist und wächst, ein lebendiges, unverwelkliches Denkmal setzte. Andere Botaniker brachten die Naturschätze des Himalaya und der südlichen Halbkugel, noch Andere entdeckten neue Schätze in den Urwäldern Amerika’s, und bürgerten sie in den prächtigen Gewächspalästen und Parks der englischen Aristokratie ein. Der Enthusiasmus für Zapfentragende concurrirt bereits glücklich mit der Poultromanie, der Leidenschaft für fremdes Federvieh, und erweist sich schöner und nützlicher, als die historisch-gewordene Tulpenmanie holländischer Kaufmannsfürsten.

Unter den botanischen Entdeckungen des Herrn Douglas macht besonders der Riese und König aller Bäume in Californien großes Aufsehen. Man hat ihn „Wellington-Baum“ genannt, da man damals in England noch der Meinung war, Wellington sei der größte Mann des Menschengeschlechts gewesen. Ein junges Exemplar dieses Baumes ist von Mr. Lobb nach England gebracht und in dem Parke des Herrn Veitsch, eines deutschen Kaufmanns in Manchester, angepflanzt worden. Mr. Lobb schildert ihn als den wahren Goliath aller Bäume und den Monarchen californischer Wälder. Er wächst auf einsamen Abhängen des Sierra-Nevada-Gebirges in den Gegenden der Quellen des Stanislaus- und San Antonioflusses. 38° nördlicher Breite, 120° 10’ westlicher Länge auf Höhen von 5000 Fuß über dem Meeresspiegel. Auf einer englischen Quadratmeile fand er gegen 100 derselben, von 250 bis 320 Fuß hoch und an 10 bis 20 Fuß im Durchmesser. In Wachsthum und Gestalt erinnern sie an die immergrüne Taxodkum sempervirens. Sie stehen theils einsam, theils in Paaren, theils in Gruppen von 3 bis 4. Mr. Lobb ließ einen dieser Wellington-Bäume fällen. Er zeigte sich 300 Fuß lang, 5 Fuß vom Grunde mit der Rinde 29 Fuß 2 Zoll im Durchmesser, 100 Fuß vom Grunde 14 Fuß im Diameter. Die bräunliche Rinde ist 12 bis 15 Zoll dick. Die Zweige runden sich und hängen wie an der Cypresse, mit hellgrünen, scharf zugespitzten Blättern. Er trägt tannenzapfenartige Früchte 21/2 Zoll lang und im dicksten Theile 2 Zoll im Durchmesser. Der gefällte Baum war durch und durch gesund und, nach den Ringen im Holze geschätzt, mindestens 3000 Jahre alt. Das Holz ist leicht, weich und röthlich wie beim Rothholz (Taxodium). Von der Rinde dieses Ungeheuers wurde in San Franzisco ein Haus von 21 Fuß Höhe erbaut. Der Hauptraum darin enthält ein Fortepiano und Sitze für 40 Personen. Einmal waren 140 Kinder zu gleicher Zeit darin.

Professor Lindley in London hielt einen besondern Vortrag über dieses Riesenwunder Californiens, worin er ausrief: „Welch ein Baum! Von welcher Erscheinung, von welchem Alter! Er war schon da und wuchs, als Simson die Philister schlug; er schüttelte schon seine Krone, als Paris mit der schönen Helena durchging, als Aeneas seinen Vater Anchises aus den Trümmern Troja’s davontrug! “

Bis zu welcher Stärke es Bäume bringen können, davon giebt Dr. Lindley in „Gardeners Chronicle“ einige Beispiele: „Ein solcher Wellington-Baum maß im Stamme mehr als 30 Fuß Durchmesser. Die Zeit hatte ihn endlich ausgehöhlt und umgeworfen, so daß einmal ein Reiter in dessen Inneres hineinritt, und nachdem er eine Strecke zurückgelegt, noch gut umlenken konnte, um aus dem hohlen Baume wieder heraus zu reiten. “

In dem amerikanischen Journale: „Hovey’s Magazine of Horticulture“, meldet ein Correspondent aus San José: „Sie sollten nur den Lebensbaum sehen, der jetzt in San Franzisco für Geld gezeigt wird. Als ich in das Innere des Baumstammes kam, tanzten 20 Paare darin, mit einer Menge Personen, die auf Stühlen darin herum saßen, ohne sich beengt zu fühlen.“

Die Zahl der Pflanzen, Blumen und Bäume als neuer englischer Naturbürger ist schon sehr groß und nimmt mit jedem Jahre zu, Dank sei es der nobeln Passion für Erhöhung der Schönheiten des Gartens und Parkes, für Botanik überhaupt und dann auch praktisch für Bereicherung der Nutz- und Bauhölzer. In dieser Sphäre ist England dem Continente bei Weitem voraus. Die Liebe für Naturschönheit, für grüne Lungen in Städten (Squares) schützt das Dampfschlott überwucherte England kräftig gegen diese Verwüstung der Civilisation. Die Bäume sind in England noch heilig und stehen in reicher Fülle, zum Theil im höchsten, noch grünen Alter unter speciellem Schutze des Parlaments, ohne dessen specielle Genehmigung keiner umgehauen werden darf.


Aus der Fremde“ Nr. 12 enthält:

Die Pelzjäger in Oregon. – Der Mammuthbaumwald in Californien. Mit Abbildung. – Spielwettwuth in Mexico.Aus allen Reichen: Die amerikanischen Nähmaschinen. – Ein amerikanischer Arzt. – Die Chinesen in Californien. – Allerlei Neues aus Amerika.


  1. In der den Werken des französischen Schriftstellers de Saint Evremont vorstehenden Lebensbeschreibung desselben von des Maizeaux, Ausgabe vom Jahre 1753 S. 60., erzählt Letzterer, daß der französische Philosoph Descartes, gestorben 1650, gelehrt habe „man solle bei Krankheiten Mittel anwenden, die ähnliche Krankheiten zu erzeugen vermöchten (les semblables se guérissent par les semblabes).“ Descartes starb auch gewissermaßen als Märtyrer dieser seiner Ansicht, indem er bei seinem Aufenthalt in Schweden ein heftiges Fieber, von welchem er befallen war, mit Branntwein kuriren wollte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Volblut