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Die Gartenlaube (1855)/Heft 38

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 38. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der gestohlene Brautschatz.
Eine Criminalgeschichte aus guter alter Zeit.
Vom Verfasser der schwarzen Mare
(Fortsetzung.)


III.

Am andern Morgen um sieben Uhr stand ein Mann von mittlerer Größe, kräftigem, gedrungenem Gliederbau, mit einem runden, rothen, sehr gutmüthigen und freundlichen und etwas weniger listigen Gesichte, gekleidet in einen braunen Ueberrock, in der Hand einen dicken Rohrstock mit einem großen silbernen Knopfe darauf, in der Thüre des Hauses, Königsstraße Nummer zwei zu Berlin. Er schien auf Jemanden zu warten, und sah sich unterdeß, wie zum Zeitvertreibe, die Leute an, die vor ihm hin- und hergingen. Die Königsstraße, besonders an ihrem Anfangspunkte bei der Kurfürstenbrücke, ist die lebhafteste Straße Berlins. Dort findet sich das größte Gedränge der Stadt zusammen, vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Auch an jenem Morgen wogten eine Menge von Menschen auf und ab, an beiden Seiten der Straße, auf den Trottoirs zu Fuße, in der Mitte zu Wagen und zu Pferde. Vor dem Manne mit dem freundlichen Gesichte schien keiner unbemerkt vorbeizugehen; viele kannte er. Manche der Vorbeigehenden kannten auch ihn; den meisten von diesen schien aber seine Bekanntschaft keine eben erfreuliche zu sein. Auf je Einen, der ihn freundlich, zuweilen dankbar grüßte, kamen Drei, die mit scheuem Hutabziehen, oder auch blos scheuem Blicke an ihm vorbeigingen, und, wenn sie vorbei waren, ihre Schritte beschleunigten, gleichsam, als ob sie fürchteten, daß ein Unglück hinter ihnen herkommen und sie einholen möchte.

Von der Kurfürstenbrücke her kam ein alter Mann in einem zerlumpten grünen Flausch, mit einem aufgedunsenen, halb grauen und halb rothen Gesichte und dem eigenthümlich verschleierten Blicke des Zuchthauses. Der Mann sah suchend und zugleich fürchtend nach allen Seiten der Straße umher. Auf einmal gewahrte er den freundlichen Mann in der Thüre des Hauses Nummer zwei. Er senkte seine Augen plötzlich ängstlich, er hielt unwillkürlich seinen Schritt an. Doch in demselben Momente faßte er sich Muth. Er richtete sich in die Höhe, um stramm, und ohne seitwärts zu blicken, an dem Hause Nummer zwei und dem gefürchteten, freundlichen Manne in der Thüre desselben vorbei zu gehen. Er befand sich auf der rechten Seite der Straße von der Kurfürstenbrücke. Er mußte also unmittelbar an jener Thür vorbei. Als er gerade vor ihr war, starr vor sich hinblickend, und, ähnlich dem Vogel Strauß, vielleicht schon meinte, der Gefahr entgangen zu sein, erhielt er auf einmal einen Schlag mit einem Rohrstock auf die Schulter. Der Schlag war nur leise, traf ihn aber doch wie mit heftiger elektrischer Gewalt. Der ganze Mann zuckte zusammen. Er blieb stehen, demüthig seine alte Mütze vom Kopfe reißend.

„Ei, Lude,“ sagte der Mann mit dem gutmüthigen Gesichte freundlich lächelnd, „haben sie Dich über Deine Zeit im Zuchthause zu Brandenburg festgehalten?“

„Nein, Herr Polizeirath.“

„Dann mußtest Du schon seit vorgestern wieder hier sein.“

„Zu Befehl, Herr Polizeirath.“

„Und Du hast Dich bei der Polizei noch nicht gemeldet? Alter Lude, das kann dir drei Monate Ochsenkopf eintragen.“

„Ich bin auf dem Wege zum Molkenmarkt, Herr Polizeirath.“

„Schön, Lude, dann will ich Dich nicht aufhalten.“

Der alte Dieb ging leicht weiter. Sein Schritt war leicht geworden, als wenn er sich von einer schweren Last befreit fühlte. Er bog in der That in die gleich in der Nähe befindliche Poststraße ein, die zum Molkenmarkt führt. Am Molkenmarkte Nummer drei hat das Polizeipräsidium der Residenz Berlin seine vielgefürchtete Residenz.

Der freundliche Polizeirath war fast ohne sich zu rühren in der Thür stehen geblieben. Er sah dem alten Diebe nach; dann wandte er sich nach dem Innern des Hauses um.

„Schmidt Vier!“ rief er in das Haus hinein.

Ein baumlanger Gensd’arm stand beinahe in dem nämlichen Augenblicke neben ihm.

„Herr Polizeirath!“

„So eben geht der Ludwig Liedke vorbei. Er wurde sichtlich verlegen, als er mich sah. Er hat also schon wieder etwas verübt.“

„Er hat sich noch nicht gemeldet, Herr Polizeirath.“

„Das war es nicht. Seine Verlegenheit war eine andere. Er hat schon wieder gestohlen. Bis gestern Abend war noch nichts zur Anzeige gekommen, was von ihm hätte ausgehen können. Er muß also heute Nacht gestohlen haben, und er ist jetzt auf dem Wege, das Gestohlene in irgend einer Weise zu Gelde zu machen. Daß das noch nicht geschehen ist, dafür spricht auch der alte grüne Flausch, den er noch trägt, und in dem er voriges Jahr abgeliefert wurde. Er hat sich noch keinen andern Rock anschaffen können. Er kam von der Kurfürstenbrücke und wollte die Königsstraße hinunter. Auf meine Veranlassung ist er zuerst zum Polizeipräsidium gegangen, sich zu melden. Gehen Sie ihm gleich nach. Machen Sie, daß Sie vor ihm bei dem Hofrath Falkenberg ankommen, bei [496] dem er sich melden muß. Sagen Sie Herrn Falkenberg, ich lasse ihn bitten, den Liedke wegen der verspäteten Meldung nicht einzustecken, ihn vielmehr schleunig abzufertigen. Dann nehmen Sie Schmidt Zwei und Drei, die Sie auf dem Polizeipräsidium antreffen werden, und lassen Sie den Menschen nicht aus den Augen. Bis neun Uhr finden Sie mich oder Nachricht von mir bei Gaspari an der Königsbrücke, bis elf unter den Linden, bis eins in der Conferenz am Molkenmarkt.“

„Sehr wohl, Herr Polizeirath,“ sagte der baumlange Gensd’arm, indem er den Weg nach dem Polizeipräsidium einschlug.

Der Polizeirath ging auf der andern Seite des Trottoirs die Königstraße langsam hinunter.

Der Polizeirath Duncker hatte natürlich mehrere Gensd’armen zu seiner Disposition. Sie gehörten zu den gewandtesten der Residenz. Unter ihnen zeichneten sich wieder besonders drei aus, die alle drei den Namen Schmidt führten, und zur Unterscheidung von einander Schmidt Zwei, Drei, Vier genannt wurden. Ein Gensd’arm Schmidt war meist anderswo beschäftigt. Von jenen drei Gensd’armen Schmidt war Schmidt Vier der Leibgensd’arm des Polizeiraths Duncker. Dieser hätte auch schwerlich einen geschickteren und zuverlässigeren Ausführer seiner Befehle finden können. In jeder Combination, in jeden Plan seines Vorgesetzten ging der Gensd’arm Schmidt Vier eben so leicht ein, als der Polizeirath sie gefaßt hatte, und er führte sie fast eben so genau und umsichtig aus, als der Polizeirath das selbst nur gekonnt hätte. Und das wollte viel sagen. Dabei war er ein durchaus treuer, dem Polizeirath, seinem speciellen Landsmanne, völlig ergebener, verschwiegener Mensch, der überhaupt nicht viele Worte machte und nicht liebte, daß sie gemacht wurden.

Der Gensd’arm hatte schnell die Befehle des Polizeiraths befolgt. Ludwig Liedke war nach der richtigen Combination des Polizeiraths in der That zum Polizeipräsidium gegangen. Er war hier vom Hofrath Falkenberg bald abgefertigt worden. Der alte, strenge, aber gutmüthige Beamte hatte die Verspätung der polizeilichen Meldung, die allerdings einen Arrest im Arbeitshause von wenigstens acht Tagen hätte nach sich ziehen müssen, unter einem unverfänglichen, wohlwollenden Scherze für dieses Mal verziehen. Ludwig Liedke verließ ohne Argwohn das Gebäude des Polizeipräsidiums, und trat auf den Molkenmarkt hinaus. Er sah sich hier vorsichtig nach allen Seiten um. Er entdeckte nur Polizeisergeanten, die sich unbefangen unterhielten, als wenn sie sich Stadtneuigkeiten erzählten. Gensd’armen waren gar nicht zu sehen. Auf ihn schien Niemand zu achten.

Auch er nahm die Miene eines unbefangenen Schlenderers an. Er ging in die stralauer Straße, über die stralauer Brücke, in die Alexanderstraße, und kam so auf einem Umwege zu dem Alexanderplatz, auf welchem, ohne die durch den Polizeirath veranlaßte Seitenbewegung, die Königsstraße ihn geraden Wegs geführt haben würde. Er überschritt auch den Alexanderplatz und bog in die große frankfurter und dann in die landsberger Straße hinein,

Ueberall hatte er sich von Zeit zu Zeit umgesehen, desto vorsichtiger und sorgfältiger, je mehr er den Schein eines blos neugierigen Wanderers angenommen hatte, der nach längerer Abwesenheit sich einmal wieder die schöne Stadt Berlin ansehen wollte. Er hatte keinen Verfolger, kein einziges verdächtiges Anzeichen eines solchen bemerkt. In der landsberger Straße war er auf einmal verschwunden.

Nur ein einziges Auge hatte mit einem halben Blicke wahrnehmen können, wie der alte Dieb glatt wie ein Aal in einen Viktualienkeller glitt. Der halbe blick des einen Auges war genügend, zur Entdeckung seines Verbrechens zu führen.

Die drei Gensd’armen Schmidt Zwei, Drei und Vier hatten den verdächtigen Verbrecher zu verfolgen gewußt, ohne daß dieser auch nur eine Ahnung davon hätte haben können; sie hatten theils die kleineren Nebenstraßen, theils die Häuser mit einem sogenannten Durchgange – von einer Straße in die andere - benutzt. Glitt der alte Spitzbube wie ein Aal, so schlichen sie wie Schatten hinter ihm her.

Schmidt Vier hatte ihn in den Keller verschwinden sehen. Mit einem feinen Pfeifen rief er gleich darauf seine beiden Kameraden und Namensvettern zu sich. Die drei Gensd’armen hatten zerstreut verfolgt. Er trat mit ihnen in ein offenes Vorhaus.

„Er ist dort rechts in den Keller gegangen,“ sagte er zu ihnen. „Ueber den Hof des Hauses kann er in die kurze Straße und auch in die große frankfurter Straße kommen. Sie, Schmidt Zwei, gehen in jene, Sie, Schmidt Drei, in diese. Ich bleibe hier. Was Sie fangen, bringen Sie hierher.“

„Wäre es nicht sicherer,“ wandte Schmidt Drei ein, „sofort den Keller zu besetzen?“

Schmidt Vier entsetzte sich beinahe, und sein Erstaunen veranlaßte ihn, mehr zu sprechen, was er vielleicht je ohne Unterbrechung gesprochen hatte.

„Was ist denn heute mit Ihnen, Schmidt Drei?“ sagte er. „Der Kerl hat gestohlen, das können Sie sich doch wohl denken. Und der Polizeirath muß meinen, daß es sich hier um einen großen Diebstahl handele, sonst würde er nicht uns alle Drei aufgeboten haben; das können Sie sich doch auch denken. und der Kerl hat erst heute Nacht gestohlen und also das Gestohlene noch nicht zu Gelde gemacht; auch das müssen Sie sich denken können. Also auch, daß er in diesem Keller den Handel machen oder wenigstens vorbereiten will. Können Sie sich denn nun nicht denken, was passiren würde, wenn wir wie dumme Polizeisergeanten in den Keller dort einfielen? Unten würden wir eben nichts finden, als den Liedke, der ruhig seinen Kümmel verzehrte und uns auslachte. Also fort, Jeder auf seinen Platz. Nur immer vorsichtig.“

Schmidt Drei erwiederte auf die ihm einleuchtenden Bemerkungen von Schmidt Vier nichts.

Die drei Gensd’armen begaben sich auf ihre Posten. Schmidt Zwei eilte in die kurze Straße, Schmidt Drei in die große frankfurter Straße, Schmidt Vier schlich an den Häusern entlang in ein offenes Haus, das unmittelbar neben dem Keller lag, in welchem der Dieb verschwunden war.

Er hatte hier kaum zehn Minuten gewartet, als Ludwig Liedke aus dem Keller wieder herauskam. Er sah völlig unbefangen und unverdächtig aus. Er trug auch nichts bei sich, nicht das kleinste Päckchen. Die Hände in den vordern Taschen seines grünen Flausches, wollte er quer über die Straße schlendern, an deren anderer Seite sich eine Barbierstube befand.

Als er über die Straßenrinne schritt, vertrat ihm plötzlich der lange Gensd’arm den Weg. Er erschrak nicht. Er schien nicht einmal überrascht zu sein. So sicher mußte er sich jetzt fühlen. Er mußte also auch ein gutes, sicheres Geschäft abgeschlossen haben.

„Guten Morgen, Liedke,“ sagte der Gensd’arm.

„Ei, sieh da, guten Morgen, Herr Schmidt.“

„Wohin wolltest Du da?“

„Mich barbieren lassen, Herr Schmidt.“

Der Dieb machte zugleich eine Handbewegung um sein struppiges Kinn herum.

„Und Du kommst?“

„Wie Sie sehen, aus dem Keller da.“

„Und da hast Du?“

„Eenen genommen.“

„Ich kann es mir denken. Wie viel Ueberverdienst hast Du aus dem Zuchthause mitgebracht?“

„Einen Thaler vier Groschen.“

„Und wie viel Reisegeld gaben sie Dir mit?“

„Elf Silbergroschen drei Pfennige. Sie wissen ja, auf die Meile einen guten Groschen, und Brandenburg ist neun Meilen von hier.“

„Wie viel hast Du noch davon?“

„Verflucht wenig. Es ist heiß und da hat man Durst.“

„Komm mit mir in den Keller.“

„Sie wollen mich traktiren, Herr Schmidt?“

„Wir wollen sehen.“

Der Gensd’arm führte den Dieb in den Keller zurück, aus dem dieser gekommen war. Der alte Dieb schien ihm voll Verlegenheit zu folgen.

Die berliner Keller sehen meist einander ähnlich. Auch dieser war wie der in der Markgrafenstraße. Es war auch nichts Verdächtiges darin zu bemerken. Gäste waren nicht da. Der Wirth sah aus wie der ehrlichste Mann von der Welt. Das prüfende Auge des Gensd’armen zeigte, daß dieser ihn, vielleicht zugleich darum, für einen desto größeren Spitzbuben hielt.

Der Gensd’arm setzte in dem Keller sein Inquiriren nicht fort. Er stellte sich an das auf die Straße führende Fenster, und blickte durch die Scheiben auf die Straße. Um das, was in der Kellerstube vorging, schien er sich nicht zu bekümmern. Ludwig Liedke nahm dies für gewiß an. Er faßte leise und langsam in seine [497] Tasche, zog etwas mit den Fingern daraus hervor und wollte es schon dem hinter ihm stehenden Wirthe zureichen. Noch schneller hatte aber die kräftige Faust des Gensd’armen zugegriffen. Sie erfaßte einen zusammengewickelten Fünfthalerschein.

Der Dieb erschrak, aber nur leicht. Der Gensd’arm blieb ruhig, als wenn nichts vorgefallen wäre. Nur mit sehr leisem Spott sagte er:

„Du hast im Zuchthause also doch mehr verdient?“

„Das nicht, Herr Schmidt.“

„Dann hast Du den Schein wohl gefunden?“

Der Dieb hatte unzweifelhaft von dieser allerdings sehr gewöhnlichen Ausrede Gebrauch machen wollen. Er wurde, da er nicht sogleich eine andere finden konnte, zuerst verlegen und dann trotzig.

„Sie haben es genau gerathen, Herr Gensd’arm.

„Ich hätte es mir denken können. Und wo?

„Auf dem Molkenmarkte vor Nummer drei nicht. Da findet die Polizei schon Alles.“

„Wenigstens Spitzbuben genug.“

Der Trotz des Diebes sollte einer größeren Verlegenheit Platz machen. Der Gensd’arm hatte seine Beobachtungen auf der Straße fortgesetzt. Auf einmal öffnete er das Fenster und gab mit der Hand einen bezeichnenden Wink hinaus. Gleich darauf trat der Gensd’arm Schmidt Zwei mit einem Menschen in den Keller.

Dieser Begleiter des Gensd’armen war ein sehr alter, sehr kleiner und sehr magerer Mann, mit einem spitzen, vertrockneten Gesichte, langer Nase, triefenden Augen und großer Brille. Er trug einen großen verdeckten Korb unter dem Arme. Er schien schwer an dem Korbe zu tragen.

Schmidt Vier kannte den Alten, und der Alte kannte den Gensd’armen Schmidt Vier.

Das Strafrecht, das bis zu dem neuen Strafgesetzbuche vom Jahre 1851 in Preußen galt, hatte sehr strenge Vorschriften gegen Diebe, sehr laxe gegen Diebeshehler. Besonders schwere Strafen waren gegen den rückfälligen Dieb angedrohet. Wer zwei Mal wegen Diebstahls bestraft, zum dritten Male einen sogenannten „großen Diebstahl,“ zum Betrage von mehr als fünf Thalern beging, der konnte, wie der Kunstausdruck war, mit einer „approximativ lebenswierigen“ Zuchthausstrafe belegt werden. Den bloßen Diebeshehler dagegen konnte immer, wenn er auch noch so oft, sei es wegen Diebeshehlerei oder wegen Diebstahl selbst, bestraft war, nur höchstens eine Zuchthausstrafe von zwei bis drei Jahren treffen. Dieses System der Bestrafung brachte eine sehr praktische Praxis, namentlich der berliner Diebe hervor, welche die Diebstahlsgesetze nicht minder genau kannten als die Richter. Die berliner Diebe pflegen meist Diebe aus Neigung zu sein. Sie stehlen aus Diebeslust, wie der Jäger aus Jagdlust jagt. Bei manchen war nun allerdings die Diebeslust eben so groß, wie bei vielen großen Herren die noble Jagdlust, auch die Aussicht auf das „approximativ-lebenswierige Zuchthaus“ konnte sie vom Stehlen nicht zurückhalten. Andere dagegen waren desto verständigere Leute. Waren sie wegen Diebstahl schon mehrmals bestraft, so gingen sie in sich, begannen einen andern Lebenswandel und wurden – Diebeshehler. Freilich wurden sie nicht allein dies, sondern nebenbei auch noch etwas Anderes. In früherer Zeit ehrliche Leute, zuweilen gar berliner Bürger, wenn es ihnen gelungen war, die „preußische Nationalkokarte“ wieder zu erhalten. Später machten sie das Geschäft der christlichen Frömmigkeit. Gewöhnlich, was allerdings bemerkt werden muß, trat die Nothwendigkeit der Ergreifung eines solchen veränderten Lebenswandels erst im späteren Alter ein, besonders aus dem Grunde, weil zugleich die damalige Beweistheorie des preußischen Strafprozesses dafür Sorge trug, jener Strenge des Gesetzes gegen die Diebe, namentlich den schlauen und frechen Dieben gegenüber, vielfach die Spitze abzubrechen.

Der alte Mann, den der Gensd’arm Schmidt Zwei in den Keller führte, gehörte zu der Sorte der mehrfach bestraften Diebe, welche die noble Passion seines Standes zu überwinden gewußt hatten. Er war ein sehr christlich frommer Diebeshehler geworden, der an Betstunden Theil nahm und sogar einem Missionsvereine zur Bekehrung der Heiden angehörte.

„Du, Graumann?“ begrüßte ihn der Gensd’arm Schmidt Vier, in seiner kurzen Weise, theils verwundert, theils erfreut.

Der Alte seufzte tief auf, während er den Versuch machte, die triefenden Augen gen Himmel zu schlagen.

„Ja, guter Herr Schmidt,“ sagte er, langsam, bedächtig, salbungsvoll. „Man ist in dieser bösen Zeit nicht einmal mehr sicher, wenn man auch auf den Wegen der Gerechten wandelt. Ja, gerade wer auf ihnen wandelt, muß am Meisten dulden.“

„Darauf warst Du?“

„Wie immer, wenn auch oft von den Menschen verkannt und verfolgt.“

„Mit dem Korbe da?“

„Lassen Sie sich erzählen, Herr Schmidt – “

„Zeig her.“

Der Gensd’arm nahm den Korb, den der Alte trug, öffnete den Deckel und sah den Korb angefüllt mit Uniformstücken eines preußischen Lieutenants von der Linie.

„Aha!“

„Lassen Sie sich erzählen, Herr Schmidt – “

„Schweig!"

Der Gensd’arm Schmidt Vier ergriff den Alten und stellte ihn in eine Ecke des Kellers; dann stellte er den Dieb Ludwig Liedke in eine andere, und den Kellerwirth in eine dritte; alle Drei so, daß keiner den anderen sehen, also irgend ein Zeichen mit ihm wechseln konnte. Er beschloß diese Anordnung zur Vermeidung von „Collusionen“ mit der Drohung:

„Wer spricht, bekommt die flache Klinge.“

Dann sagte er zu dem Gensd’armen Schmidt Zwei. „Holen Sie rasch den Polizeirath herüber. Sie wissen, wo er ist. Nachher kommen Sie mit Schmidt Drei hierher.“

Schmidt Zwei ging.

Schmidt Vier spazierte schweigend in dem Keller umher, abwechselnd bald vor dem Einen, bald vor dem Anderen seiner drei Gefangenen stehen bleibend, die ihrerseits unbeweglich wie Bildsäulen standen. Er sah ihnen dabei in das Gesicht, als wenn er sagen wolle. „Aber was hast Du denn eigentlich gethan, daß man Dich hier so behandelt? Nicht wahr, Du bist unschuldig. Aber jene beiden Anderen da sind die Verbrecher?“ – Jeder wollte ihm in der That antworten, und unzweifelhaft im Sinne seines Fragens. Aber so wie Einer begann, die Lippen zu bewegen, hob der schweigende Gensd’arm drohend den Zeigefinger der linken Hand in die Höhe, während seine Rechte nach dem Säbel an seiner Seite faßte.

Der Gensd’arm schien durch seinen Vorgesetzten auch etwas von der Kunst des Inquirirens gelernt zu haben, obgleich der Polizeirath Duncker als Inquirent nicht so sehr durch seinen Ernst als durch seine Freundlichkeit den Verbrechern gefährlich wurde. Das schweigende Fragen des Gensd’armen und sein Verbot zu antworten, hatte zur Folge, daß in jedem der Gefangenen von Minute zu Minute mehr das natürliche Verlangen wuchs, von dem gegen ihn entstandenen Verdachte sich zu reinigen, was, wie die Sache einmal lag, nur durch Hinüberwälzung von Schuld und Verdacht auf die Anderen oder auf Dritte geschehen konnte.

Als nach kurzer Zeit der Polizeirath eintrat, hatte das Verlangen sich fast bis zur Wuth gesteigert , selbst bei dem christlich frommen Dulder auf dem Pfade der Gerechten, am Meisten bei dem alten Diebe mit dem weichen Herzen. Allen Dreien, wie sehr sie den Eintretenden fürchteten, schien eine schwere Last vom Herzen gefallen zu sein.

Das Gesicht des Polizeiraths war noch freundlicher als am Morgen um sieben Uhr.

„Muß ich rapportiren?“ fragte der Gensd’arm Schmidt Vier, besorgt, daß er viel werde sprechen müssen.

„Ich weiß schon Alles.“

Der Gensd’arm wurde doppelt zufriedener. Der Polizeirath wandte sich an Liedke.

„Liedke, Liedke, wie konntest Du so unvorsichtig sein?“ sagte er.

Der Dieb wollte losplatzen.

„Ja, ja, Herr Polizeirath, da haben Sie es getroffen. Nur Unvorsichtigkeit – “

„Laß erst mich sprechen, Liedke. Du hast mich wohl nicht verstanden. Ich meinte, wie Du, ein so alter Dieb, heute Morgen so unvorsichtig sein konntest, Dich zu erschrecken, als Du mich sahest. Das bringt Dich in’s Unglück, und diesmal vielleicht auf zeitlebens in’s Zuchthaus. Es thut mir leid, denn Du bist nie ein gefährlicher Mensch gewesen. Nun, nicht wahr, armer Kerl, Du hattest mich eben nicht verstanden?“

[498] Der alte Dieb, der wirklich ein weiches Herz hatte, weinte beinahe wieder.

„Herr Polizeirath,“ rief er, gewiß bin ich kein gefährlicher Mensch, aber diesmal bin ich auch unschuldig. Glauben Sie mir.“

„Es sollte mich freuen, um Deinetwillen. Zuchthaus auf zeitlebens! Aber nachher.“

Die Gensd’armen Schmidt Zwei und Drei waren eingetreten. Der Polizeirath hatte als guter Inquirent schon seinen Plan gemacht. Es kam darauf an, die Spuren eines Verbrechens zu entdecken, von dessen Existenz er bisher noch nichts wußte. Er mußte dabei vorsichtig verfahren, um dieser Vorsicht willen aber auch die erste Ueberraschung und Stimmung der Verhafteten, von denen er allein Auskunft erlangen konnte, in richtiger Weise benutzen. Der geringste Fehler, gerade bei diesen Anfängen einer Spur, und in diesem ersten Momente, konnte die ganze Untersuchung verderben und die Entdeckung des Verbrechens oder der Thäter für alle Zeit unmöglich machen. Die Personen und die Verhältnisse waren dabei auf das Genaueste zu beachten.

Der Kellerwirth stand zwar schon seit einiger Zeit in dem Rufe, daß Diebesgesindel bei ihm verkehre. Aber der Mann war noch nie in Untersuchung gewesen, er war ferner, wie schon sein Aeußeres zeigte, ein derber, trotziger Mensch, er war endlich berliner Bürger. Von ihm war sicherlich viele und wichtige Auskunft zu erwarten.

Ludwig Liedke mußte, da der fromme triefäugige Alte nur noch das Handwerk des Hehlers trieb, der Urheber oder Miturheber des begangenen Verbrechens sein. Seine Aussage konnte daher nur auf dieses selbst und unmittelbar hinführen, deshalb auch nur in letzter Linie stehen, nachdem vorher das möglicherweise zu ermittelnde Material gegen ihn selbst gewonnen war. Ueberdies erschien es bei der Schwäche seines Charakters nicht durchaus geboten, den ersten Augenblick der Ueberraschung bei ihm zu benutzen.

So ergab sich von selbst in erster Linie das Verhör des alten Hehlers, der zudem im Besitze der Sachen getroffen war, also auf ein bloßes Leugnen sich nicht beschränken konnte.

Der Polizeirath ließ durch die Gensd’armen Schmidt Zwei und Drei Liedke und den Kellerwirth hinausführen, und draußen abgesondert bewachen. Dann schritt er zum Verhör des Hehlers. Zunächst besah er die einzelnen Uniformstücke des Korbes.

„Ei, ei, Justus Graumann, Ihr habt da am frühen Morgen schon ein hübsches Geschäft gemacht. Meist lauter neues Zeug! Was habt Ihr dafür gegeben?“

„Hören Sie mich an, Herr Polizeirath. Gott, der Gerechte, ist mein Zeuge –“

„Wie viel Ihr dafür gegeben habt?“

„Hören Sie mich nur erst an, guter Herr Polizeirath –“

„Guter Mann, seid zuerst nur so freundlich, mir den Preis zu sagen.“

„Sie sollen Alles erfahren, Alles, die lautere, reine Wahrheit.“

„Nicht wahr, fünf Thaler?“

„Nicht als Kaufpreis, verehrter Herr Polizeirath. Hören Sie mich nur an.“

„Nun, so sprecht.“

„Das lohne Ihnen der Allerbarmer. Glauben Sie mir, ich stehe hier vor Ihnen, unschuldig, wie Christus der Gekreuzigte.“

„Zur Sache, wenn Ihr so gut sein wolltet.“

„Die Sache ist sehr einfach. Der Wirth hier, Herr Funke, ein braver, redlicher Bürger der Stadt, kam heute früh zu mir und theilte mir mit, daß gestern Abends spät ein verdächtiger Mensch in seinen Keller gekommen sei, der habe um Nachtquartier gebeten. Er habe es ihm abgeschlagen, weil er nicht beherbergen dürfe. Der Mensch habe ihn darauf um zehn Silbergroschen gebeten, um sich eine Schlafstelle suchen zu können, seinen Korb geöffnet, worin sich Uniformstücke befunden, und diese als Pfand angeboten. Zugleich habe derselbe ihn gefragt, ob er ihm keinen Käufer für die Sachen verschaffen könne. Er habe auf einen Diebstahl gerathen, und da kein Polizeibeamter bei der Hand gewesen, so sei er zum Schein auf das Anerbieten eingegangen, habe dem Menschen die zehn Silbergroschen gegeben und die Sachen behalten. Er überlegte nun mit mir, wie es am Besten anzufangen sei, den Dieb nicht nur zu fangen, sondern auch zugleich zu überführen, und da kamen wir dann unter Gottes Beistande auf den Gedanken daß ich zum Scheine die Sachen abkaufen solle, um sie sogleich an das Polizeipräsidium zu bringen und dort Anzeige von dem Vorfalle zu machen.“

„Ihr seid doch die Ehrlichkeit selbst, alter Graumann,“ unterbrach der Polizeirath den Diebeshehler.

„Ich habe ein ruhiges Gewissen, guter Herr Polizeirath. Hören Sie mich weiter. Das Geschäft, wohlverstanden, das Scheingeschäft, kam zu Stande; wir hatten uns dabei auch den Namen des Diebes sagen lassen. Er hieß Ludwig Liedke, seine Papiere vom Zuchthause wiesen ihn aus. Er war gerade auf dem Wege nach dem Polizeipräsidium als ich arretirt wurde.“

„Durch die Hinterthür dieses Hauses, guter Graumann?“ sagte der freundliche Polizeirath.

„Für mich der nächste Weg.“

„Und warum holtet Ihr die Polizei nicht herbei?“

„Wir hatten unter Gottes Beistande davon gesprochen, Herr Polizeirath. Aber vorher ging es nicht an, weil ja der Dieb in der Nähe sein und aufpassen konnte, und Sie werden begreifen, daß dann Alles vorbei war, da wir seinen Namen nicht wußten.“

„Warum hatte der brave Herr Funke ihn nicht schon gestern Abend danach gefragt?“

„Er muß es doch wohl vergessen haben.“

„Nun, und nachher?“

„Nachher war der Mensch so eilig, daß keine Zeit blieb, zu dem Herrn Polizeicommissarius zu schicken. Auch war der Herr Funke allein. Sie wissen, er ist Junggesell.“

„Wo hat denn Liedke die Sachen gestohlen?“

„Das hat er nicht gesagt. Er hat gar nicht von einem Diebstahl gesprochen.“

Der Polizeirath gab dem Gensd’armen Schmidt Vier einen Wink.

„Ich kann doch jetzt nach Hause gehen, Herr Polizeirath?“ fragte der Diebeshehler treuherzig.

„und Eure fünf Thaler, guter Graumann?“

„Sie sind mir sicher genug dafür, guter Herr Polizeirath.“

„Ihr seid ein argloses Herz.“

„Mit Gottes Beistand, Herr Polizeirath.“

Schmidt Vier führte den Alten ab.

„Den Kellerwirth?“ fragte im Abgehen in seiner gewohnten Kürze der Gensd’arm , der den Plan seines Vorgesetzten errathen hatte.

Der Polizeirath nickte. Der Gensd’arm führte den Kellerwirth herein. Der Mann hatte unterdes seinen vollen Trotz gesammelt.

„Herr Polizeirath, Sie behandeln einen berliner Bürger in seinem eigenen Hause als einen Verbrecher?“

„Ich habe Ihnen,“ erwiederte der Polizeirath, ja noch kein Verbrechen vorgeworfen.“

„Aber Sie behandeln mich als einen Verbrecher.“

„Sprechen Sie die Wahrheit, und auch das hört vielleicht auf.“

„Was wollen Sie von mir wissen?“

„Was haben der Liedke und der Graumann bei Ihnen gemacht?“

„Warum haben Sie sich das nicht schon von Graumann erzählen lassen?“

„Ich möchte es auch gern von Ihnen erfahren.“

„Warum, wenn Sie es schon von ihm wissen?“

„Sie sind berliner Bürger, noch nicht in Untersuchung gewesen; ich traue Ihnen mehr.“

Die ruhige Freundlichkeit des Beamten verwirrte die Grobheit des Diebswirths. Er schwieg, sich besinnend.

„Nun,“ fuhr der Polizeirath fort, „was machten die Beiden hier?“

„Ich will es Ihnen erzählen, Herr Polizeirath. Gestern Abend spät kam der Mensch, der Liedke, hierher. Er bat um Nachtquartier. Ich kannte ihn nicht, ich darf auch nicht herbergen.“

„Sie verweigerten ihm daher das Nachtquartier.“

„So ist es. Darauf bat er mich um zehn Silbergroschen.“

„Und gab Ihnen den Korb mit den Sachen da zum Pfand.“

„So ist es.“

„Und darauf?“

„Ging ich heute Morgen früh zum Herrn Graumann, um mit ihm zu besprechen, wie wir – “

(Schluß folgt.)
[499]
Album der Poesien.
Nr. 12.

 Ein Friedhofsgesang.


Beim Todtengräber pocht es an,
„Mach auf, mach auf, du greiser Mann!

„Thu auf die Thür und nimm den Stab,
„Mußt zeigen mir ein theures Grab.“

Ein Fremder spricht’s, mit strupp’gem Bart,
Verbrannt und grau nach Kriegerart.

„„Wie heißt der Theure, der euch starb,
„„Und sich ein Pfühl bei mir erwarb?““

„Die Mutter ist es, kennt ihr nicht
„Der Marthe Sohn mehr am Gesicht?“

„„Hilf Gott, wie groß, wie braun gebrannt,
„„Hätt’ nun und nimmer euch erkannt.

„„Doch kommt und seht, hier ist der Ort,
„„Nach dem gefragt mich euer Wort.

„„Hier wohnt, verhüllt von Erd’ und Stein,
„„Nun euer todtes Mütterlein.““

Da steht der Krieger lang und schweigt,
Das Haupt hinab zur Brust geneigt.

Er steht und starrt zum theuren Grab
Mit thränenfeuchtem Blick hinab.

Dann schüttelt er sein Haupt und spricht:
„Ihr irrt, hier wohnt die Todte nicht.

Wie schlöß’ ein Raum, so eng und klein,
Die Liebe einer Mutter ein?!

 Joh. Nepom. Vogl.


[500]

Biographie eines Löwen und Offiziers in der franz. Fremdenlegion.

Von den abenteuerlichen Franzosen Algeriens ist keiner besser bekannt als Monsieur Gérard, genannt der Löwen-Tödter. Seine Geschicklichkeit, sein Glück und sein Muth verdienen, daß er über Gordon Cumming, den südafrikanischen Nimrod, gestellt werde. Gérard hat unlängst seine Jagdabenteuer veröffentlicht, die in ihren Details äußerst spannend und interessant, im Ganzen aber freilich fast alle auf endliche Erlegung des Löwen oder auf ziemlich monotone Lebensrettung „bei einem einzigen Haar“ hinauslaufen. Folgendes Abenteuer ist aber, wenn nicht das effektvollste, so doch das entsprechendste, ich möchte sagen, humanste, und giebt die Biographie, statt die Erlegung eines Löwen. Jetzt, wo der Mensch von der immer reinern Wein einschenkenden Naturwissenschaft genöthigt wird, von der Höhe seiner „geistigen“ Privilegien vor den Thieren bescheiden herabzusteigen und die wegen ihrer „Geistlosigkeit“ verachteten Thiere näher zu sich heranzuziehen und würdigen zu lernen, wird man auch für das Leben und die treue Freundschaft eines „Königs der Wildniß“ die gehörige Theilnahme fühlen.

Im Februar 1846, erzählt Gérard, schickte der Commandeur von Ghelma, Monsieur de Tourville, zu mir und theilte mir mit, daß der Kabylenstamm „Beni-Bughal“ meinen Beistand gegen eine Löwin wünsche, welche unter ihren Heerden schreckliche Verwüstungen anrichte, um ihre Jungen zu mästen. Ich ritt sofort mit dem Sheik zu der Zeltenstadt des Stammes am Fuße des Jebel Mezrur-Berges. In der Abenddämmerung recognoscirte ich das Gehölz, in welchem die Löwin logirte. Sehr bald fand ich eine junge Löwin, etwa einen Monat alt; nicht größer als eine gute Katze. Ich wickelte sie in meinen Burnus und brachte sie in die Zeltenstadt, ritt dann zurück in die Nähe der Höhle, wo die Löwin ihre „Wochen“ hielt, setzte mich unter einen Korkbaum und wartete im Dickicht, nachdem ich mit meinem Dolche so viel freien Raum gehauen, daß ich meine Büchse handhaben konnte. Es ward Nacht. Mein Plan war einfach, der Löwin sofort das Gehirn auszublasen, wenn sie ihren Kopf zeige. Ich horchte gespannt durch die dicke Finsterniß. Einen Bären, der zuerst die schauerliche Stille unterbrach, erkannte ich bald an seinem schweren Tritt. Auch ein Schakal, der um die Höhle nach Leckerbissen der jungen Löwen schnüffelte, konnte mich mit seinem leichten, listigen Schritt nicht täuschen. Nach einer Weile aber glaubte ich mein Opfer deutlich zu hören, wie es durch das Dickicht rauschte, und die Knochen eines Schafes zerknackte, um es den Kindern mundrecht zu machen. Ich wartete zwei Stunden in der größten Aufregung und konnte den Arm nicht mehr halten. An den Korkbaum lehnend, wartete und wartete ich immerfort in der Hoffnung, die großen glühenden Augen der Löwin durch’s Dickicht aufleuchten zu sehen. Vergebens und abermals vergebens. Daß es immer wieder mäuschenstill ward, erhöhte nur meine Aufregung, die in der Erinnerung an frühere Abenteuer ohnehin nervös genug war. Mit furchtbarer Anstrengung suchte ich die dicke Finsterniß zu durchdringen, und die um den Verlust ihres einen Kindes rasende Löwin mit gestrecktem Halse, zurückgelegten Ohren und wuthzitterndem Körper zu entdecken, um ihrem Sprunge zuvorzukommen. Die Phantasie hatte in dem Dunkel völlige Herrschaft über mich. Obgleich es beißend kalt war, lief doch der Schweiß von meiner Stirn. Ich zitterte vor Furcht und habe keine Ursache, es zu leugnen. Doch kam mir der Einfall, auf den Baum zu klettern, eines Jägers zu unwürdig vor, so daß ich dadurch gerade mein Selbstvertrauen wieder gewann. Und was war ich wüthend auf mich, als ich endlich nicht nur das Rauschen und Rascheln wieder hörte, sondern auch das jämmerlich nach der Mutter quäkende Junge, den Bruder zu der schon gefangenen Schwester! Bald hatte ich meinen kleinen knurrenden Quälgeist in der Tasche und strauchelte drei Stunden lang durch Dick und Dünn nach dem Duar (der Zeltenstadt) suchend, oft unterbrochen durch vermeintliches Schnauben und Heulen der Löwin, die die Witterung ihrer Jungen verfolge.

Mein Erstes im Duar war, die beiden jungen Löwen – Bruder und Schwester, zu vergleichen. Ersterer war ein feiner Kerl und mindestens ein Drittel größer als letztere. Ich taufte ihn zu Ehren des Jägerschutzheiligen „Hubert,“ seine Schwester „Hubertine.“ Hubertine war sehr misanthropisch und kratzte und zischte Jeden an, der ihr zu nahe kam. Hubert dagegen guckte Tag für Tag mit einem ruhigen, aber erstaunten Blick umher, als könne er aus der Geschichte gar nicht klug werden, sei aber entschlossen, noch dahinter zu kommen. Die braunen, schlanken Araberinnen wurden nicht müde, ihn zu liebkosen und seine natürliche Liebenswürdigkeit zu belohnen. Sie banden eine Ziege und ließen ihn saugen. Erst benahm er sich sehr ungeschickt, aber als er erst gekostet, schien er sofort zu begreifen, daß dies die ihm bestimmte Amme sei. Er schloß sich kindlich an sie an und folgte ihr auf Schritt und Tritt. Wie am ersten Abend legte er sich jedesmal, wenn er müde war, auf meinen Burnus und schlief so ruhig als wäre er bei „Muttern.“ Hubertine profitirte nichts von der Klugheit und Liebenswürdigkeit ihres Zwillingsbruders: sie blieb menschenscheu, bis sie am Zahnen starb, einer Periode, die überhaupt wohl eben so viel Löwen- als Menschenkindern das Leben kostet.

Die Löwin war trotz allen Nachforschungen nicht zu finden. Endlich erfuhren wir von einem Schäfer, daß sie mit einem dritten Jungen das Gebiet verlassen habe. Diese Nachricht stellte „Ruhe und Ordnung“ im Stamme Beni-Bughal wieder her, und ich ging mit Hubert nach Ghelma zurück, wo er sofort der Liebling des ganzen Lagers ward, besonders Lehmann’s, des Trompeters, mit deutscher Sentimentalität, Bibart’s, des Grobschmidts und Rustans, des Spahis.

Es ward für ihn ein besonderes Register angelegt, worin seine Dienste und Vergehen pünktlich protokollirt wurden. Er ward in dem Charakter eines Cavalleristen, der auf Einreihung wartet, eingetragen. Ich mache aus den Protokollen blos folgende Auszüge:

April 20, 1846. Am Geburtstage Hubert’s (als er nämlich drei Monate alt war) stand die Eskadron im Hofe des Hauptquartiers, um verlesen zu werden. So wie Lehmann das Zeichen bläs’t, springt Cavallerist Hubert, in sein Zimmer eingeschlossen, an’s Fenster und brüllt! Ici! (Hier!) wird aber nicht gehört und als fehlend notirt. Der Offizier commandirt: Marsch! Lehmann trompetet und Hubert springt herunter durch’s Fenster und marschirt mit ab auf den Exercierplatz. Für diesen Diensteifer wird die Notirung: „Abwesend“ gestrichen.

Mai 15. Hubert tödtet seine Amme, die alte Ziege, und wird dafür zum „Reiter erster Klasse“ ernannt.

September 8. Hubert machte einen Ausfall auf den Marktplatz und jagte sämmtliche Araber in die Flucht. Tödtet bei dieser Gelegenheit mehrere Schafe und einen Esel, wirft einen Wächter zu Boden und ergiebt sich Niemandem als seinen Specialfreunden, Lehmann, Rustan und Bibart. In Anerkennung dieser Beweise jugendlicher Tapferkeit wird er zum Supernumerar-Offizier ernannt und ihm eine eiserne Ehrenkette um den Hals zuerkannt, an welcher er als beständige Schildwache an die Thürpfoste des Pferdestalles angelegt wird.

Januar 16, 1847. Ein Beduine schleicht um die Ställe. Hubert, ihn für einen Räuber haltend, zerreißt seine Kette und hält ihn am Boden fest, bis er den Gefangenen in einem sehr „unheilen“ Zustande an einen Offizier abliefert. Für diese That bekommt Hubert den Titel: „Farben-Sergeant“ und zwei Ketten um den Hals. Im April tödtet er ein Pferd und schlägt zwei Soldaten nieder. So steigt er zu dem Range eines wirklichen Offiziers und wird in einen Käfig gesperrt.

Armer Hubert! und ich, sein bester Freund, war commandirt, ihn in’s Gefängniß zu bringen. Die Behörden, so lange nachsichtig gegen ihn wegen seiner Liebenswürdigkeit, durften jetzt ihre Güte nicht weiter ausdehnen. Es gab blos eine Wahl zwischen Todesstrafe oder lebenslänglichem Gefängniß. Mein erster Gedanke war, ihn flüchten zu lassen. Aber an Umgang mit Menschen gewöhnt, hätte er leicht zurückkehren, einen dummen Streich machen und dann getödtet werden können. So schloß ich die eisernen Stäbe vor ihm. Während der ersten Monate seiner Strafe ließ ich ihn gewöhnlich des Nachts heraus und spielte Versteckens mit ihm. Er war dann immer so glücklich und ausgelassen zärtlich, daß er mich oft drückte, wie der feurigste Liebhaber. Aber eines Abends umarmte er mich mit solcher Gewalt, daß er mich vielleicht erwürgt haben würde, hätten mich meine Kameraden nicht aus seinen liebkosenden Armen befreit. Ich weiß, er meinte es gut, denn er zeigte weder Klauen noch Zähne, nur daß er nichts von dem Uebermaße [501] seiner Kraft gegen menschliche Glieder wußte, und dies in dem Uebermuthe seiner Zärtlichkeit nicht berechnete. Aber ich sah deshalb auch ein, daß er von jetzt an nur mit der stärksten Kette um den Hals und an den Käfig geschmiedet herausgelassen werden könnte. Seitdem ward er traurig und launisch. Ein Offizier bot mir 3000 Francs, aber ich konnte es nicht über’s Herz bringen, ihn zu verkaufen, wie bisher die Felle erlegter Löwen. Der Offizier wollte ihn dem Könige von Sardinien schenken. Dies erinnerte mich an den Prinzen von Aumale, dem ich Dankbarkeit für manche Beweise von Güte schuldig war. Ich bot ihm meinen Freund Hubert, falls er ihm eine gute Stelle im zoologischeu Garten von Algier verschaffen wolle.

Hubert verließ Ghelma im Oktober 1846 zum größten Leidwesen der Damen, gegen die er stets besonders galant und liebenswürdig gewesen, zur Verzweiflung Lehmann’s, der sich dudeldick betrank, um den Schmerz des Scheidens besser tragen zu können, und mit Bibart solchen Lärm machte, daß Beide arretirt werden mußten, um Hubert ohne Opposition und Empörung fortschaffen zu können.

In Algier fand man Hubert zu groß und majestätisch für Algier. So beschloß man, ihn in den zoologischen Garten von Paris zu bringen, und gab mir den Befehl, ihn dahin zu begleiten. Armer König der Wüste! Ja wohl warst du zu majestätisch für das unglückliche Leben, zu welchem man dich jetzt verurtheilte!

Auf dem Schiffe hatte Hubert Erlaubniß zu seiner Mahlzeit (in der Regel einem zehnpfündigen Beefsteak) an der Kette aus dem Käfig herauszukommen. Sobald ich öffnete, sprang er freudig heraus, streichelte an mir herum, um seine Dankbarkeit zu beweisen, legte sich zu Tische und streckte sich dann aus in die Sonne, um friedlich zu blinzeln und zu verdauen. Er wußte bald ziemlich genau, wenn die ihm so vergönnte Stunde um war, denn er ging freiwillig in seinen Käfig zurück und ließ sich von Jedermann, besonders gern von schönen Händen, an den Ohren krauen. So vergingen die letzten Tage unseres freundschaftlichen Zusammenlebens. In Toulon trennten wir uns. Noch sah ich ihn einmal in Marseille, aber nicht mehr denselben. Er sah so trostlos und unglücklich aus. Zwar leuchtete die Freude aus seinen Augen auf, als er mich erblickte, aber zugleich starrte er mich so vorwurfsvoll fragend an: Warum hast Du mich verlassen? Wo bin ich? Wohin soll ich? Wirst Du mit mir kommen? Seine traurigen Blicke thaten mir weh. Ich entfernte mich, aber da wüthete er so fürchterlich in seinem Käfig und donnerte so Mark und Bein erschütternd, daß Alle in seiner Nähe mit blassen Gesichtern flohen. So wie ich mich wieder nahte, ward er ruhig und drückte sich an die Gitter, daß ich ihn streicheln möchte. Ich streichelte ihn so lange, bis er einschlief und ich mich langsam entfernte. Schlaf in Vergessenheit deiner Leiden, edles Thier! Schlaf ist Balsam für deine Leiden, so gut wie für unsere.

Drei Monate später kam ich nach Paris. Mein erster Besuch galt meinem Freunde Hubert im Jardin des Plantes. Ich ärgerte mich mit Staunen über die kleinen Käfige der wilden Thiere und den Gestank, den wohl Hyänen und Schakale vertragen, nicht aber Löwen, denen Reinlichkeit Leben ist. Sofort wandte ich mich an den Minister Geoffroy de Saint Hilaire, der die nöthigen Verbesserungen versprach, die aber in der Februarrevolution untergingen.

Unter diesen traurigen Eindrücken kam ich vor dem Käfig meines Freundes Hubert an. Er lag gleichgültig im Halbschlummer und blickte zuweilen nachlässig und verächtlich auf die ihn umdrängende Menge. Plötzlich schlug er mit dem Kopfe in die Höhe, die Augen funkelten, die Muskeln seines Gesichts zitterten: er hatte die Uniform „seines Regimentes“ gesehen. Doch erkannte er mich noch nicht. Unfähig, meine Bewegung noch länger zurückzuhalten, trat ich zu ihm und steckte die Hand durch das Gitter. Es war ein Anblick, der mich erschütterte und alle Anwesenden rührte. Er sah mich lange, lange fest und prüfend an, beroch meine Hand, sah mich wieder an, klarer, zärtlicher und schien nur noch auf ein Zeichen zu warten, ob ich’s auch sei. Ein Wort und es war ihm klar. „Hubert, alter Bursche!“ rief ich freudig. Mit einem furchtbaren Satze sprang er gegen die Eisenstäbe, daß sich einige bogen. Meine Freunde und das Publikum flohen im größten Entsetzen. Nobles Thier, selbst deine Freude verbreitet Schrecken. Hubert stand aufrecht und schüttelte die Eisenbarren, daß Alles umher krachte und wackelte. Er sah glorios aus, jeder Zoll der wahre Löwe, donnernd mit seinem erhobenen Krachen in Freude und Schmerz. Er leckte meine Hand mit seiner rothen Zunge so sanft und preßte die Tatzen durch die Gitter, mich zu umarmen. O, er liebkoste mich so gewaltig aus seinem starken Löwenherzen! Wie sollt’ ich wieder fortkommen? Zwanzig Mal ging ich, aber so wie er mich aus den Augen verlor, zitterte Alles umher von seinen Sprüngen und brüllenden Donnern. Zwanzig Mal kehrt’ ich um, ihm begreiflich zu machen, daß ich wieder käme. Doch nichts wollt’ ihn trösten. So mußt’ ich ihn endlich toben lassen, daß es eine halbe Stunde lang hinter mir her donnerte und krachte. Ich besuchte ihn fast jeden Tag auf mehrere Stunden, aber jedesmal traf ich ihn müder und melancholischer. Die Aufseher im Garten riethen mir, seltener zu kommen, da er sonst wahrscheinlich das Heimweh bekommen werde. So kam ich seltener, bis ich an einem schönen Maimorgen von dem Wärter mit folgenden Worten empfangen ward: „Sie brauchen nun wohl nicht mehr zu kommen, Monsieur, Hubert ist todt.“

Ich eilte hinweg mit dem Gefühle, als hätt’ ich den treuesten Freund verloren und komme oft zurück in Gedanken der Reue, daß ich ihn aus der Freiheit der Berge stahl, um ihn von Civilisation und Kerker tödten zu lassen. O, ihr Löwinnen des Atlas, nie in meinem Leben werde ich wieder eure Kinder stehlen! Besser, sie mit einem ehrlichen Jägerschusse zu tödten, mit einem Blitze in der Freiheit des Waldes unter ihrem heimatlichen Himmel, statt sie in die Gefangenschaft des Nordens zu schleppen. Das Blei des Jägers ist nobler, als das Blei der Langeweile und des ausgedehnten Schmerzes über die verzehrende Schwindsucht des Kerkers.“




Vom Baue des menschlichen Körpers.

Singen und Schlingen; Sing- und Schlingorgane.

Beim Sprechen und Singen, sowie beim Schlingen (d. i. das Verschlucken von Speisen und Getränken) treten so ziemlich dieselben Organe in Thätigkeit, und es können diese deshalb, sowie ihres unmittelbaren Zusammenhanges wegen, gegenseitig großen Einfluß auf einander ausüben. Wahrscheinlich gründen sich auf diesen Umstand auch die Redensarten: „cantores amant humores (Sänger lieben das Gläschen)“ und! „Hast Du geredet, so trinke einmal.“ Vielleicht läßt sich daraus auch die Thatsache erklären, daß bei Schmäusen gern gesungen und getoastet wird. – Krankheiten gehen nicht selten von den Schling- auf die Singorgane über und umgekehrt. Wie beschwerlich aber und launeraubend dieselben sind, werden gewiß viele unserer Leser erfahren haben. Ja, es giebt nicht Wenige, die sich bei Halsbeschwerden ganz unnützerweise mit der Furcht vor Hals- oder Kehlkopfsschwindsucht ihr und ihrer Angehörigen Leben verbittern. Leider trägt man freilich heutzutage nicht die gehörige Sorge für den Sing- und Schlingapparat, und daher kommt es denn auch, daß man diese Apparate bei Vielen nicht gern sieht und hört.

Oeffnet man den Mund und blickt durch die Oeffnung zwischen den Lippen und den Zahnreihen in die Mundhöhle hinein (s. d. Fig.), so zeigt sich zunächst hinter den Zähnen des Unterkiefers (b) die aus Fleisch (oder Muskelsubstanz) gebildete Zunge (k) und als Dach der Mundhöhle, hinter der obern Zahnreihe (a), der knöcherne oder harte Gaumen (c), welcher zugleich auch den Boden der Nasenhöhle bildet. Wird nun die Zunge niedergedrückt, so erscheint ganz hinten in der Mundhöhle eine halbrunde Oeffnung (h), welche Rachenenge heißt und in den Theil des Schlundkopfes führt, welchen man Rachen nennt und der nach unten in die Speiseröhre übergeht. Nach oben wird die Rachenenge vom Gaumensegel oder weichen Gaumen, in welchen sich der harte Gaumen fortsetzt und Muskelfasern Bewegungen veranlassen können, begränzt; in seiner Mitte hängt das Zäpfchen(d) [502] herab, während sich zu beiden Seiten zwei häutige bogenförmige Falten, der vordere und hintere Gaumenbogen (e und f) herabziehen. Zwischen diesen beiden, mit Muskelfasern versehen Bögen ragt, auf der rechten wie auf der linken Seite, eine Mandel (g) hervor, ein rundliches, in vielen kleinen Säckchen dicken Schleim absonderndes Organ. Wird der unter dem Zäpfchen liegende hinterste Theil der Zunge, die sogen. Zungenwurzel, stark niedergedrückt, so läßt sich der obere Rand des Kehldeckels (i) erblicken, der schon hinter der Mundhöhle im Rachen, über dem Eingange des Kehlkopfs (der Stimmritze) liegt und diesen durch Ueberdeckung verschließen kann. Auf dieses Weise wird nämlich das Eindringen fremder Körper in den Stimm- und Athmungsapparat, in den Kehlkopf und in die Luftröhre oder sogen. falsche Kehle, verhindert.

a) Obere Zahnreihe. b) Untere Zahnreihe. c) Gaumen. d) Zäpfchen. e) Vorderer und
f) hinterer Gaumenbogen. g) Mandel. h) Rachenenge. i) Kehldeckel. k) Zunge.

Das Schlingen, d. i. die Beförderung des Genossenen aus der Mundhöhle in den Magen, geschieht auf folgende Weise: die von den Zähnen gehörig zerkaute und mit Speichel durchfeuchtete Speise (der Bissen) wird von allen Seiten auf den Rücken der Zunge geschoben, welche dieselbe durch Aushöhlung ihres Rückens und Hebung der Spitze gegen den harten Gaumen abrundet und dann, durch allmäliges Andrücken ihrer Rückenfläche von der Spitze aus nach rückwärts an den harten Gaumen, nach der Rachenenge befördert. Hier wird hinter der stark erhobenen Zungenwurzel durch den weichen Gaumen und die Gaumenbögen eine Art Tasche oder Schlund-Vorhof für den Bissen gebildet, welcher mit schlüpfrigem Schleime überzogen ist und sich verengern kann, so daß der Bissen hinterwärts in den Rachen gedrängt wird. Diese Taschenbildung kommt dadurch zu Stande, daß die hintern Gaumenbögen von beiden Seiten sich vorhangartig nach der Mitte zu vorschieben und der zwischen ihnen freibleibende Spalt durch das Zäpfchen des schräg nach hinten geneigten weichen Gaumens geschlossen wird, während die beiden vordern Gaumenbögen gleichzeitig vollständig zurücktreten, so daß nun die Mandeln frei hervorragen und mit ihrem Schleime den Bissen überziehen können. Aus dieser Tasche wird nun der Bissen dadurch hinterwärts in den Schlundkopf (oder Rachen) befördert, daß sich die Zungenwurzel stark erhebt und zurückzieht, wobei die hintern Gaumenbögen aus einander weichen und das Gaumensegel sich horizontal nach hinten erhebt, um dem Bissen das Abweichen nach oben und so das Eindringen in die Nasenhöhle (deren hintere Oeffnungen dicht über dem weichen Gaumen befindlich sind) zu verwehren. Beim Hinabgleiten des Bissens in den Schlund rutscht derselbe über den Kehldeckel hinweg, indem dieser durch das Zurückziehen der Zunge und das Heben des ganzen Kehlkopfs auf den Eingang desselben gedrückt wird, so daß also keine Speisetheilchen in die falsche Kehle gelangen können. Der Eingang des Kehlkopfs, die Stimmritze, scheint sich aber unter dem niedergeklappten Kehldeckel auch vollkommen zu schließen, da man bei zerstörtem Kehldeckel kein Eindringen von Speisen oder Getränken in die Luftröhre beobachtet hat. Nur beim gleichzeitigen Schlingen und Athemholen passirt dies wohl zuweilen; auch können fremde Körper aus der Mundhöhle durch starkes Einathmen in die Luftröhre gezogen werden. Deshalb ist das Spielen mit festen Körpern im Munde (Zahnstochern, Kernen u. dlg.) ja zu lassen, da es recht leicht gefährlich werden und sogar den Tod nach sich ziehen kann. – Ist der Bissen auf die angegebene Weise durch die Zunge und durch die Zusammenziehungen des Schlundkopfes in den Anfangstheil der Speiseröhre gelangt, so beginnt hier nun die für uns unbewußte und unwillkürliche, regelmäßig von oben nach unten successiv fortschreitende (peristaltische oder wurzelförmige) Zusammenziehung der fleischigen Speiseröhre, welche den Bissen nach und nach in den Magen schafft. Dies geschieht so, daß die Längenfleischfasern der Speiseröhre bei ihrer Verkürzung die zunächst unter dem Bissen befindliche Parthie der Speisröhre über den Bissen hinwegstreifen, während die Zusammenziehung der Ringfasern dicht hinter dem Bissen ihn vor sich herschiebt. Je härter, trockner und größer der Bissen ist, desto schwerer und langsamer geht sein Hinabschaffen durch die Speiseröhre in den Magen vor sich und desto leichter bleibt er stecken, bis wir durch Getränk sein Fortkommen erleichtern. – Auf dieselbe Weise, wie Festes verschluckt wird, geht auch das Schlingen von Getränken und des in der Mundhöhle sich ansammelnden Speichels (das sogen. Leerschlucken) vor sich.

Krankheiten der beim Schlingen betheiligten Organe, – also: der Zunge, des Gaumens und der Gaumenbögen, des Zäpfchens und der Mandeln, des Schlund- und Kehlkopfs, der Speiseröhre, – deuten sich hauptsächlich dadurch an, daß das Schlingen beschwerlich und wohl auch schmerzhaft wird. Auch ist dabei bisweilen das Athmen und Sprechen behindert, so wie sich in manchen Fällen auch noch das Gehörorgan, das Gesicht und der Hals betheiligt. In der Regel ist der Geruch aus dem Munde unangenehm, die Zunge belegt, die Schleim- und Speichelabsonderung verändert. Es versteht sich natürlich von selbst, daß bei allen Schlingbeschwerden von Seiten des Arztes der Schlingapparat stets genau untersucht werden muß. – Am häufigsten unterliegen die hintern Theile der Mundhöhle, die rings um die Rachenenge liegenden Organe (der weiche Gaumen, das Zäpfchen, die Gaumenbögen und Mandeln, der katarrhalischen Entzündung[WS 1] (Bräune), was im gewöhnlichen Leben meistens als böser Hals bezeichnet wird (s. unten). – Die Ursachen der Krankheiten des Schlingapparates, zu denen das kindliche und jugendliche Alter vorzugsweise geneigt ist, sind entweder rein örtliche und nicht selten äußerliche Schädlichkeiten (Erkältungen, Speisen, Medicamente, reizende Stoffe, Dämpfe und Gase u. s. w.), oder zu starke Anstrengungen der Schlingorgane und Erkrankungen benachbarter Theile (besonders der Nasenhöhle und des Kehlkopfes), oder auch Allgemein-(Blut-)Krankheiten, wie Scorbut, Syphilis, Metallvergiftungen, Ausschläge. – Die Behandlung aller dieser Krankheiten muß zunächst im Abhalten und Wegschaffen von Schädlichkeiten bestehen, weshalb vor allen Dingen eine milde (schleimige), warme und flüssige Kost anzurathen ist und kalte, feste und reizende Stoffe (wie Gewürze, Tabak, scharfe Säuren, kalte, unreine Luft) zu vermeiden sind. Sodann ist der Schlingapparat gehörig rein zu halten, was man in der Regel ganz fälschlicher Weise durch Gurgeln erzielen will, aber durch Ausspülen und Einspritzungen erreicht werden muß. Das Gurgeln ist deshalb nämlich als nachtheilig nicht zu empfehlen, weil bei demselben die kranken Theile in eine stark zitternde Bewegung versetzt und so aus der Ruhe gebracht werden, die aber gerade ein Haupterforderniß zur Heilung ist. Um die Einspritzungen (mit warmem Wasser) gehörig weit hinter in die Mundhöhle machen zu können, muß die Zunge herabgedrückt werden. Bei den allermeisten Krankheiten des Schlingapparates ist das Bestreichen der kranken Stelle mit Höllenstein (was gar nicht wehthut) von ausgezeichnet günstigem Erfolge. Uebrigens heilen fast alle Entzündungen im Schlingapparate bei dem oben angegebenen diätetischen Verhalten gewöhnlich in wenigen Tagen ganz von selbst und ohne Medicin, weshalb die Homöopathen auch glauben, daß ihre Chamille oder Belladonna u. s. w. geholfen habe. – Besprechen wir jetzt noch den sogen. bösen Hals etwas genauer.

Die Gaumen-, Zäpfchen- und Mandelbräune, gewöhnlich böser Hals genannt, ist eine entweder mildere oder heftige, bisweilen mit Fieber verbundene Entzündung (meistens Katarrh) der Organe an der Rachenenge, welche sich nicht selten auf die Ohrtrompete und Stimmritze ausdehnt und dann neben Schlingbeschwerden (die in Folge von Schwellung der entzündeten Organe und Verengerung der Rachenenge zu Stande kommen) auch noch Ohrenbrausen oder Schwerhörigkeit und Heiserkeit erzeugt. Gewöhnlich bedarf diese in einigen Tagen von selbst verschwindende Entzündung keiner besondern Behandlung, nur der Ruhe und Erwärmung der kranken Theile. Sollten jedoch die entzündeten Mandeln [503] sehr stark schwellen, wodurch das Athmen und Sprechen behindert wird, dann bildet sich gewöhnlich ein Eiterherd in denselben, und es ist dienlich, warme Umschläge um den Hals zu machen, so wie die Dämpfe kochenden Wassers in die Mundhöhle einzuziehen; bisweilen muß die Eiterhöhle auch zeitig eröffnet werden. – Bleibt nach solchen Bräunen Anschwellung der betheiligten Organe (besonders der Mandeln und des Zäpfchens) zurück, dann thut das Bestreichen derselben mit Höllenstein die besten Dienste, auch das Einspritzen und Bepinseln mit zusammenziehenden Mitteln (mit kalter Salbeiabkochung, Alaun- oder Zinkvitriollösung etc.) ist vortheilhaft. In hartnäckigen Fällen führt das theilweise Wegschneiden der stark geschwollenen Mandeln oder des Zäpfchens, was übrigens ganz ungefährlich und fast schmerzlos ist, am schnellsten zum Ziele und hat schon manchmal das Athmen, das Sprechen und Singen, sowie auch das Hören verbessert. Vergrößerte Mandeln geben nämlich der Stimme etwas Hohles, Rauhes und Gedämpftes, gerade als ob ein fremder Körper im Munde läge, und veranlassen tönendes (schnarchendes Athmen), durch die Nase und mit geöffnetem Munde (besonders im Schlafe). Auch können sie durch Hinaufdrängen des weichen Gaumens die Ohrtrompetenmündung verlegen und dadurch Schwerhörigkeit erzeugen. (Ueber das Singen und die Singorgane mit ihren Krankheiten später.)

(Bock.) 




Wie er- und behält man den Ocean auf dem Tische,

oder das Marine-Aquarium.

Die schusterleuchtkugelartigen Zimmerdecorationen mit ein Paar traurigen, sich langweilenden Goldfischchen entsprechen dem Geschmacke und dem Bedürfnisse der naturwissenschaftlichen Gegenwart nicht mehr als Hausfreunde. Die Gartenlaube bekam dafür erfreuliche Beweise in die Hände, da ihre Hinweisung auf das „Marine-Aquarium“ oder den Ocean auf dem Tische[1] überall, in allen Gegenden Deutschlands und Rußlands, das größte Interesse erregte und in unzähligen Briefen um nähere Auskunft und Anweisung gebeten ward. Wir wollen diese hiermit so genau und praktisch als möglich geben und bemerken nur noch, daß die Redaktion dieses Blattes eben Anstalten trifft, „die enthüllten Wunder der Meerestiefe“ ganz ausführlich und speciell in Wort, Bild und Farbe allgemein zugänglich zu machen.

Das Marine-Aquarium, welches uns die seltsamsten und in Gestalt, Form, Formenwechsel, Farbenspiel, Lebensweise u. s. w., wunderbarsten Geschöpfe, Pflanzenthiere, Thierpflanzen, Mollusken, Crustaceen, Feenschlösser mit unterseeischen Gärten, Parken und Wäldern in einem Oceane auf den Tisch zaubern soll, kann nach Räumlichkeit, Mitteln und dem Geschmacke des Einzelnen die verschiedensten Formen annehmen, so daß eine bestimmte Regel nicht gegeben werden kann. Um aber die Phantasie und der Lust für diese neue, wissenschaftliche, stets lebendige Zimmerdecoration gleich von vorn herein zu Hülfe zu kommen, fügen wir in Abbildung ein ästhetisches Muster-Aquarium mit Springbrunnen bei, wie es für den Professor Gosse in Edinburgh, den Schöpfer derselben, ausgeführt ward.

Das Marine-Aquarium muß ein kleiner Ocean zwischen Glaswänden sein, dem Lichte der Sonne und dem Auge von allen Seiten zugänglich. An einem Fenster mit Receß kann man es so einrichten lassen, daß es die ganze Breite desselben einnimmt. Dies hat einen prächtigen Effekt auf’s ganze Zimmer, wovon sich der Verfasser dieser Mittheilung in englischen „drawing rooms“ selbst oft genug überzeugte. In solchen Fällen müssen natürlich die Glasscheiben mit gutem, nicht schädlich wirkenden Material, am Besten Gutta-Percha, zusammengekittet werden. Zieht man die cylindirsche Form vor, kann das Ganze aus einem einzigen Glaskörper bestehen, doch giebt es hier eine Grenze in Bezug auf Größe, da sie über zwölf Zoll im Durchmesser schwer zu blasen sind und beim Gebrauch auch noch sehr leicht zerbrechen. Auch die Höhe hängt vom Geschmacke ab, dem man hier gleich von vorn herein, wie bei Vasen u. s. w., eine bedeutende Stimme zuerkennen sollte. Vasenartige Formen selbst würden für kleinere Privat-Oceane viel für sich haben. Giebt man den Wänden eine geradlinige, z. B. achteckige Construction, vermeidet man zugleich die Entstellungen der innern Pflanzen und Thiere, wie sie durch Lichtreflex an gebogenen Wänden und Kugelformen entstehen. Will man die Kugelform dennoch beibehalten, sorge man dafür, daß die Tiefe des Miniatur-Meeres sehr gering sei, damit von von Oben, dem einzigen richtigen Beobachtungspunkte, immer bis auf den Grund sehen kann.

Da unsere kleinen Oceane sich nicht nur mitten im Lande, sondern auch im Staube der Zimmer befinden und gedeihen sollen, müssen sie von oben gut geschützt werden, also z. B. mit feinem Musselin, oder besser, mit einer Glasplatte, doch so, daß noch Luft entweichen kann. Dabei wäre letztere jeden Tag ein paar Mal je für ein paar Secunden zu lüften, um einen vollständigen Luftwechsel darunter zu veranlassen.

Thiere, und besonders Pflanzen in dem kleinen Kunstoceane bedürfen des vollen Lichtes, weshalb das Aquarium in der sonnigsten und lichtesten Stelle des Zimmers stehen muß, so daß die Sonnenstrahlen ungeschwächt hineinwirken können. Es ist ein gar anmuthiges Schauspiel, zu beobachten, wie sich unter dem Einflusse der verklärenden Sonnenstrahlen Tausende von kleinen Luftdiamanten an den Steinen und Pflanzen bilden und wie sie in einem ununterbrochenen Perlenregen von Unten nach Oben eilen, so lange sie sich der Sonne freuen. Diese kleinen Diamanten bestehen aus reinem Oxygen (Sauerstoff). Da dieses die „Lebensluft“ für Thiere bildet (und auch unsern Zimmern und Lungen zu Gute kommt), wird man die Wichtigkeit dieses Perlenregens sofort einsehen. Nur im Sommer bei großer Hitze ist namentlich das kleinere Aquarium mit wenig Wasser gegen das directe Brennen der Sonne durch Musselin oder geöltes Papier oder Milchglas zu schützen. Wird das Wasser bis zur Lauheit erwärmt, sterben die Thiere.

Der wichtigste Punkt in praktischer Beziehung, namentlich für deutsche Gegenden, die durch das beste Fernrohr kein Meeresufer entdecken können, sind die Kosten erster Anschaffung. Was die Preise für Gefäße betrifft, so stellten sie sich in England für die größten von ornamentaler Form, 24 Zoll lang, 18 breit und 18 tief, auf 3 Pfund 10 Schillinge (24 Thaler) für’s Stück, für kleinere (15, 12, 12) auf 7 Thaler. Hat man mehr wissenschaftliche, als dekorative Zwecke vor Augen, kann man natürlich mit Silbergroschen eben so viel ausrichten, wie für decorative mit fleckenlosem Spiegelglas mit Thalern. Aber wie bringt man nun das wirkliche Leben der Meerestiefe hinein? Zunächst hat man für Gegend, für entsprechende, unterseeische Landschaft zu sorgen und kann hier in Wirklichkeit ein malerischeres Talent entwickeln als der Pinsel nur zum Schein. Man kann mit wirklichen kleinen Felsenstückchen, Korallen u. s. w. aus dem Meere componiren; wo dies aber nicht leicht geht, hat man mit Roman- oder Portland-Cement, der unter dem Wasser zu Felsen sich härtet, einen um so freiern Spielraum für keramisches Formentalent. Mit diesem Cemente kann man nach Herzenslust Klippen und Klüfte, Höhlen und Hütten für die künftigen Bewohner zurechtkneten. Stücke verzweigter Korallen, Höhlen, Steinfragmente, Klippen, überhängende Felsen sind theils nothwendig für das Gedeihen von Pflanzen und Thieren, theils wünschenswerth als Verschönerungen, zumal wenn hernach die Natur das Ihrige thut und die kleine unterseeische Kunstnatur mit ihren Seepflanzenguirlanden und hängenden Gärten malerisch in Form und Farbe übertapezirt. Korallenzweige lassen sich auch wie Bäume in den noch weichen Cement pflanzen, so daß sie hernach auf dem erhärteten Felsen wie maritime Bäume stehen und Thieren und Pflanzen Anknüpfungspunkte gewähren.

Wohl zu beachten ist, daß der zu verwendende Cement vorher ganz gehörig ausgelaugt werden muß, um ihn unschädlich zu machen. Zu diesem Zwecke muß er mindestens einen Monat lang und häufig durch neues zu ersetzendes Wasser gehalten werden. So lange sich das Wasser trübt und auf der Oberfläche Schaum absetzt, ist er untauglich. Durch Vernachlässigung dieser Vorsicht wurden schon oft alle hernach angesiedelten Thierchen getödtet.

Da viele Seethierchen, wie Kaninchen, Ratten und Mäuse, [504] unter dem Boden nach Schätzen zu graben lieben, muß man ihnen dazu Gelegenheit geben, und den Boden 1–3 Zoll dick mit grobem See- oder Flußsand bedecken, nachdem man ihn sorgfältig gereinigt und das Wasser ausgetrocknet hat. Man kann kleine, vorher sorgfältig gewaschene Steine hinzufügen. Manche Thiere brauchen besondern Schutz und Schlupfwinkel, deshalb muß man danach bauen und zusammensetzen. Sandstein, Granit, Kalkstein, Conglomerate, alle Arten von Baumaterialien sind gut, vorausgesetzt, daß sie keine schädlichen Substanzen an das Wasser absetzen. Um sicher zu gehen, werden deshalb Baumaterialien aus dem Meere selbst allen andern vorzuziehen sein; wo nicht, ist Waschung und Auslaugung im Wasser, hernach in wirklichem oder künstlichem Seewasser durchaus nothwendig. Dabei muß man auf etwas Wildheit und Rauhheit sehen. Je mehr Poren, Löcher, Höhlen und Winkel, desto besser. Nur hier keine geschmacklose Glätte und Politur angebracht. Ueber die Zubereitung künstlichen Seewassers haben wir schon das Nöthige mitgetheilt. Städte, die mit dem Meere und Hafenstädten in naher oder wohlfeiler Verbindung stehen, können sich leicht natürliches Seewasser verschaffen. Für größere Quantitäten sind Fässer (neue, ausgelaugte oder wenigstens solche, die keine Spirituosen, Chemikalien, Säuren u. s. w. enthalten haben) am Besten, doch hüte man sich vor eichenen, welche trotz aller Auslaugung immer noch etwas Gallus-Säure entwickeln. Für kleiner Quantitäten bieten sich Steinkruken, doch vergesse man auch hier nicht, gut ausgelaugte Pfropfen oder sonstige Schließung zu gebrauchen. Gutes Seewasser leidet nicht durch eine lange Reise auf der Eisenbahn oder sonst über Land.

Der Ocean auf dem Tische.

Aber nun das Leben, wie bekommt man das Leben in die Marine-Aquarium hinein? Felsen, Höhlen, Hütten, Klüfte, Meeresboden, Meerwasser – alles ist da, aber die Pflanzen, oder die [505] Thiere! An der Spitze alles guten Rathes steht auch hier: Selber ist der Mann! Man krebse sich die nöthige Zahl von Colonisten selber aus dem Meere heraus. Freilich wer in Leipzig oder gar in Böhmen wohnt und von dort aus in verschiedene Meerestiefen hinunter spazieren soll, um die seltsamsten, kleinsten, verstecktesten Wunder des Oceans herauszufischen, der wird sich lange besinnen, ehe er zur Sache kommt. Man muß also andere Mittel und Wege, Leute, die dies für uns thun, ausfindig machen. Diese werden sich mit der Zeit wohl finden. So lange die Sache neu ist, hat man freilich wenig Auswahl, und was England, die Geburtsstätte der Marine-Aquarien betrifft, weiß ich vorläufig Niemanden, der den Deutschen dienen könnte, als mich selbst[2], und zwar auch nur, in sofern ich auf einen vom Professor Gosse empfohlenen Herrn rechne, der sich erboten hat, die nöthigen Thiere und Pflanzen für mäßige Preise zu besorgen. Diese sind nun aber auch noch das Wenigste, in sofern sie eben nicht an Ort und Stelle geschafft würden. Wie transportirt man sie? Viele lassen sich allerdings in blos feuchter Verpackung versenden, einige empfindliche aber können nur in ihrem Elemente reisen. Also muß man für den Ocean Eisenbahnbillets lösen und ihn mit seinen sonderbaren Bewohnern über Land reisen lassen. Für Reisen der Art kann man zunächst nur im Allgemeinen rathen, daß die Passagiere, die gar nicht an Landreisen gewöhnt sind und eben so leicht landkrank werden, wie wir auf ihrem Elemente seekrank, so schnell als möglich spedirt und bei der Ankunft sogleich in Empfang genommen werden, wie große Herren. Werden sie unterwegs lange aufgehalten, sind Bäder in frischem Seewasser und Licht nöthig. Und obgleich sie im Wasser leben, wie wir in der Luft, dürfen sie doch nicht naß werden, d. h. von solchem Wasser, wie es bei uns auf dem Lande regnet. Doch schützt man sie leicht auch in offenen Gefäßen unter dem Regen vor dem Regen, wenn man unmittelbar über der Oberfläche des Meerespiegels der Gefäße Oeffnungen anbringt, durch welche das leichtere Regenwasser abfließt, ohne in das schwerere vom Oceane einzudringen.

Lebende Seepflanzen lassen sich ohne Wasser schicken. Man verpackt sie in geeignete Botanisirkapseln, die man durch Korbgeflechte beschützt. Unten legt man gemeines Seegewächs (Fucus serratus) frisch und noch ganz naß, auf dieses Bett mit den nöthigen Stückchen Fels (der aber gegen Verschiebung und Schüttelung geschützt werden muß) die zu versendenden Exemplare, auf diese wieder frische Seegrasfüllung mit genauer Ausfütterung der Zwischenräume, bis der große Raum so gefüllt ist, daß nach Schließung Alles sicher und ziemlich fest liegt. So verpackte Seegewächse kommen stets über Hunderte von Meilen wohlbehalten an, selbst die ungemein zarten Delesseriae. Von den Thieren lassen sich die Mollusken, viele Echinodermata, einige Arten von Crustaceen und alle Actiniae auf dieselbe Weise wohlfeiler und bequemer senden als in Wasser. Eine handvoll Seegewächs, noch ganz naß von Seewasser mit dem betreffenden Exemplar von Thier in einen Korb oder Krug gesteckt und mit einem durchlöcherten Kork oder sonst einer Schließung zugemacht (doch nicht ganz gefüllt mit Seegewächsen, damit kein Druck entsteht) ist hier die ganze Kunst.

Fische freilich, viele Crustaceen, die meisten Anneliden, alle Medusen und die zarteren Species von Zoophyten müssen in Seewasser versendet werden. Weithalsige Krüge von Steingut mit wasserdicht zugeschraubten Knöpfen, von denen mehrere in einen Flechtkorb gepackt werden können, Zinkeimer, durch Lattenkasten geschützt, mit fein durchlöchertem, angeschrobenen Deckel, Zinkkannen von Quadratform, mit durchlöcherten Deckeln, in eine offene Kiste eingefüttert – alle diese Methoden des Versendens in Seewasser wurden mit Glück angewendet. Mit ein Bischen Einsicht und Nachdenken lassen sich vielleicht noch bessere Methoden ausfindig machen, z. B. Glaskugeln, die so in einem Kasten hängen, daß sie die offene Seite stets nach oben richten, wie man den Kasten auch drehe und wende. Austerschaalen oder Steine aus dem Meere, die sehr oft dicht von Zoophyten und Anneliden bewohnt sind, lassen sich in einem gewöhnlichen Netze, das man in der Mitte des Gefäßdeckels befestigt, sehr gut befördern. Bei aller Beflügelung des jetzigen Verkehrs versteht es sich doch von selbst, daß man den allerschnellsten Weg wählen und, wo es möglich, unmittelbare Beförderung per express ausmachen muß. Sofort nach Ankunft müssen die erschöpften Ankömmlinge in offene, mit frischem Seewasser halb gefüllte Gefäße gebracht und ihnen Zeit gelassen werden, sich zu erholen und nachzudenken, was aus ihnen geworden und wo das große Meer wohl geblieben sein könne. Man untersucht dabei jeden einzelnen angekommenen Fremden, ob er krank, gesund, todt oder lebendig sei. Die Todten mag man anständig begraben, Kranke werden in der Regel wieder gesund durch ein Luftbad des Wassers, wie wir Landesbewohner ja auch oft wieder durch ein Seebad zu Kräften kommen.

Man badet das Seewaoer in Luft durch eine Spritze, d. h. man macht Seesturm im Kleinen, bis derselbe Zweck, welcher dem Meere durch den Wind, der die Wogen thurmhoch und thaltief durcheinander, meilenweit über die Gestade und in himmelanspritzendem Schaum nun gegen die Felsen peitscht, erfüllt wird. Diese Lüftung und Ventilation des Meerwassers im Aquarium ist eine Hauptbedingung des Gedeihens der pflanzlichen, thierpflanzlichen, pflanzenthierlichen und thierischenl Bewohner. Deshalb ist es gut, dauernde Ventilation anzubringen. Die einfachste Methode ist ein Tropfglas, d. h. ein Glas mit einer Oeffnung unten, die man durch einen Schwamm so schließt, daß das Wasser stets tropfenweise hindurchsickern und so stets mit der atmosphärischen Luft in möglichst viel Berührung kommen kann. Man hängt das Glas über dem Aquarium auf und füllt es von Zeit zu Zeit immer wieder daraus. Je höher es hängt, desto besser, weil dann jeder Tropfen sich eine hübsche Bewegung in frischer Luft machen muß, ehe ihn sein Instinkt wieder geradewegs in das mütterliche Element zurückführt. Noch praktischer und eine unverwüstliche, stets lebendig spielende, glänzende und zuweilen regenbogenspielende Schönheit ist der im Aquarium durch Felsen in die Höhe sprudelnde kleine Springbrunnen, wie wir ihn in unserm abgebildeten Muster-Aquarium angebracht sehen. Diese Schönheit scheint dem Laien für Privatzimmer vielleicht schwer oder wegen des Teppichs u. s. w. unthunlich. Doch nichts leichter und reinlicher. Man bringt irgendwo über dem Aquarium, vielleicht in dem Zimmer oben darüber, ein Reservoir an, leitet durch dieses in einem Gutta-Percha-Schlauche (dieser ist der beste und wohlfeilste, metallene rosten) das Wasser aus dem Reservoir zwischen der Wand unterm Boden hin in die durch’s Aquarium laufende Röhre (die man durch Felsen u. s. w. hübsch verstecken kann, so daß sich Hinz und Kunz halb zu Tode wundern müssen) – und die Fontaine ist fertig, fein wie ein silberner Seidenfaden, mit welchem man auch durch Anschraubung anderer Oeffnungen, Spalten und Ritzchen die verschiedensten kleinen Wasserkünste abwechseln lassen kann.

„Aber, lieber Himmel, was muß das kosten?“ höre ich irgend einen Gevatter oder eine Muhme, Tante oder Stiefmutter des deutschen Michel ausrufen. Vielleicht kostet’s etwas, sehr wahrscheinlich, aber immer noch lange nicht so viel, als das schlechte Bier, der verdummende Spiritus, oder der theure Wein, oder die Putzsucht, oder die Faulheit dieser Ausrufer. Wer erst den Geist dieses lebendigen Seewassers zu Hause zu genießen weiß, spart die Kosten der ganzen Geschichte in höchstens ein paar Monaten und von da lebt er reineweg von den Zinsen dieses ersparten Kapitals.

Doch fort in unserer Vorlesung. Hat man die angekommenen Gäste gehörig erquickt und die todten von den lebenden geschieden, bringt man sie fein säuberlich in ihrer kleinen, neuen Kolonie an. Das Wasser ist ein oder zwei Tage etwas trübe, wird aber dann klar und krystallhell; die Pflanzen fangen an, ihre Blumen, Blätter und Fächer, die Thierpflanzen ihre farbigen, befranzten Sonnen- und Regenschirme und allerlei ganz erfreulich wunderbare Fangruthen, Fühlhörner und Federbüsche zu entfalten und damit in den herrlichsten prismatischen Farbenspielen zu renommiren, wie mexikanische Prinzen. Einige, die sich in selbstgebauten wunderbaren Burgen und Schlössern verriegelt hielten, kommen mit ihren „Stopfern“ hervor und legen sich zum Fenster hinaus, um sich die neue Welt erst ordentlich zu besehen. Finden sie, daß keine Gefahr vorhanden ist, holen sie ihr Handwerkszeug und ihre Raubinstrumente heraus, und fangen das Geschäft der Ritter an, nämlich Raub. Andere besehen sich die Vegetabilien, kosten und essen. Noch Andere, die mehr zum Vergnügen leben, treiben allerlei Allotria. Doch davon ein andermal mehr. Alle überleben die neue Ansiedlung nicht. Während der ersten Woche giebt’s mehr Begräbnißfeierlichkeiten, als Lebensfreuden. Unendlich viele mikroskopische Thierchen in Seegewächsen, an Muscheln und Steinen versteckt, sterben und verderben das Wasser, was man an neuer Trübung und Milchigkeit desselben erkennt. So wie man das bemerkt, ist das Wasser vermittelst eines Hebers sorgfältig in andere Gefäße [506] abzuziehen, in welchen man auch Thiere und Pflanzen einstweilen unterbringt, bis man das Aquariumgefäß gehörig ausgerieben und ausgespült hat. Jetzt filtrirt man das Wasser durch eine vermittelst eines Schwammes am untern Ende leicht geschlossene Glasröhre und setzt auch Thiere und Pflanzen wieder hinein. Steine, Muscheln u. s. w., die durch eine Lupe verdächtig aussehen, behalte man einstweilen in besondern Gesäßen, bis man über deren Stand in’s Klare gekommen.

Auch wenn die erste Krisis (während der ersten 10 Tage) vorüber ist, kommen, wie im Menschenleben, gelegentliche Todesfälle vor. Deshalb muß man das ganze Aquarium etwa alle acht Tage einer Specialhaussuchung unterwerfen, und Todtes und sonst Ungehöriges mit einem kleinen, rechtwinkelig gebogenen und an einen dünnen Stab befestigten Zinnlöffel entfernen (Silber und Gold ist hierbei nicht verboten). Ein Paar andere dünne Stäbchen, einige am Ende spatenartig zugeschnitten, können gelegentlich dazu benutzt werden, um diesen oder jenen Bewohner zu exmittiren, ausziehen oder blos wo anders hin spazieren zu lassen. Kleine Netzchen (Musselin, lose zwischen Ringe befestigt und diese an einem Stäbchen) sind die besten Instrumente, dies oder jenes Exemplar zu fangen, herauszufischen und speziell zu untersuchen oder zu versetzen. Regel dabei muß freilich sein: Quäle nie ein Thier zum Scherz! Anfassen sollte man nie eins.

Im Verlaufe der Zeit verdunstet bloßes Wasser des Seewassers, das man daher durch gelegentliche Hinzufügung reinen, frischen Wassers (nicht Seewassers) in seiner Quantität erhalten muß. Destillirtes Wasser ist dazu natürlich das beste, doch geht auch Flußwasser. Genau genommen, hat man nicht sowohl dieselbe Menge, als dieselbe Dichtigkeit des Seewassers zu erhalten, doch reicht ein Zeichen just da, wo das Wasser an der Wand des Aquariums aufhört, hin, um immer so viel Flußwasser hinzuzufügen, daß der Stand im Aquarium nicht unter dieses Zeichen sinke. „Reinlichkeit ist das Nächste nach Gottseligkeit,“ sagt der Engländer. Den kleinen Ocean, weil er eigentlich ein Gefängniß ist, muß man besonders sorgfältig rein halten. Als Straßenkehrer stellt man einige Schnecken – die in England täglich millionenweise gegessenen periwinkles – an, welche mit der Zunge, in Ermangelung eines Besens, die innern Wände fleißig von dem grünen, vegetabilischen Ansatz befreien, doch nicht immer ganz regelmäßig, so daß man gut thut, etwa monatlich einmal, alle innern Wände mit einem feinen Scheuerlappen (an ein Stäbchen gebunden) gehörig abzufegen. Doch muß man dabei die Ansiedelungen der einzelnen Bewohner möglichst schonen, und den etwa an die Wände angesetzten Laich ganz unberührt lassen, damit die Kolonisten nicht um ihre Vaterfreuden gebracht werden.

Bekommen die Felsen und Steine ein frühlingartiges Ansehen, darf man nicht an den Scheuerlappen denken, sondern muß ein Loblied auf den marinirten Lenz singen. Die kleinen Sprößchen der grünen Algen wuchern rasch über den Boden und die Felsen hin, und kleiden sie in den zartesten Sammetrock des Frühlings, aus welchen bald Millionen Sauerstoffdiamanten steigen, allen Thieren zur Gesundheit und Freude. Sobald dieser grüne Hauch ein wolliges, dauniges Ansehen bekommt, sind wir über den Berg und können sagen: unser Ocean auf dem Tische ist eine Wahrheit, eine lebensversicherte Thatsache. Sprossen und Zweige zacken und züngeln sich empor und erreichen ihre natürlichen Dimensionen. Alles, was man dann zu thun hat, beschränkt sich auf Zurückweisung zu großer Ausbreitung und Entfaltung, so daß man hier und da jäten, abbrechen und reduciren mag.

Ja, aber alle Bewohner des großen Oceans kann man doch nicht in dem kleinen ansiedeln, keine Walfische, Haifische, Seehunde u. s. w. Nein. Für verschiedene Zwecke muß man verschiedene Thierchen wählen und diese natürlich blos unter den Wundern, also mit Ausschluß von Oderkrebsen, Bleien und Plötzen. Für wissenschaftliche Zwecke sieht man weniger auf die unmittelbare Schönheit, für Privatdecorationen wird diese oben anzustellen sein. Hier giebt’s noch ein unendliches Feld der Wahl und Modifikation. Für Männer vom Fach erwähnen wir hier nur, daß sich für unsere Oceane auf dem Tische folgende kleine Meerwunder am Besten eignen und darin am Besten gedeihen: die verschiedenen Arten des Gasterosteus und einige Klippenfische; unter den Mollusken Aplysia, periwinkles, Chitonen, die Sandgräber der Bivalven, besonders Venus, Pullastra u. s. w., von Crustaceen Eurynome, Portunus puber, Carcinus Moenas, Ebalia Corystes, Pagurus, Porcellana platycheles, Crangones, Palaemones; von Anneliden: Pectinaria, Sabella, serpulae, Pontobdella muricata; von Zoophyten alle Actiniadae und viele Madreporae. Schwerer zu erhalten sind von den Fischen Cottus (Seescorpion), der fünfzehndornige Gasterosteus, Saug- und Pfeifenfische; von den Mollusken die nacktkiemigen, die Naticae, Cyprea, Purpura, Cynthiae und Ascidiae, von Crustaceen die Pisae, Portuni, kleine Hummern, Athanas nitescens, Hyppolytes, Pandalus, Gammarus, Idotia; von Anneliden Terebella, Aphrodite aculeata und die Planariae; von Echinodermen Cribella, Palmipes, Asterina, Asterias, Echinus und Cucumaria; schwerer zu erhalten, aber alle sehr interessant und doch auch erwiesener Maßen Monate lang in dem Weltmeergefängniß lebensfähig. Wegen der barbarischen Gelehrsamkeit hier bitte ich übrigens den Leser und ganz besonders die Leserin dringend um Entschuldigung. Uebrigens bin ich gar nicht so gelehrt, wie diese schrecklichen Namen vielleicht verrathen, sondern nur ein Laie in allen Oceanen.

Aber freuen sollt’ es mich, etwas zur Einbürgerung des Oceans auf dem Tische in Deutschland beitragen zu können, da wir doch nun einmal die deutsche Flotte verkauft haben und nicht auf dem großen Weltmeere umherstolziren können. Mit Genehmigung meines lieben Freundes Keil erlaube ich mir zunächst allen Interessenten vorzuschlagen, der Redaktion dieses Blattes anzuzeigen, daß sie kleine Meeresschätze für Marine-Aquarien wünschen. Daraus läßt sich dann ersehen, ob es sich der Mühe lohnt, Anstalt zur Einführung dieser Schätze zu treffen, und sich mit den noch spärlichen Bezugsquellen in England in Verbindung zu setzen. Im günstigen Falle werden dann Verbindungen angeknüpft, Kosten berechnet, Bürgschaften für sichere Einführung gewonnen und die Interessenten gebeten, die Beträge, die sie etwa dran wenden wollen, bei der Redaktion dieses Blattes zu deponiren. Wäre ich ein Geld machendes Genie, würde ich diesen Vorschlag nicht machen, denn er ist zum Vortheil der Interessenten, nicht zu meinem. Aber da ich einmal nicht durch große kaufmännische Gewinne reich werden kann, denke ich mir wenigstens als Handlanger für eine der schönsten wissenschaftlichen Neuerungen und Häuslichkeits-Dekorationen eine Viertelelle Unsterblichkeit zu erwerben.


Zur Beachtung!

Mit Nr. 39 schließt das 3. Quartal unserer Zeitschrift und beginnt mit Nr. 40 das 4. Quartal. Wir bitten die Bestellungen auf dieses 4. Quartal sofort nach Empfang der heutigen Nummer aufzugeben, damit die regelmäßige Zusendung nicht unterbrochen wird.

Mit Bezugnahme auf die in Nr. 36 mitgetheilte Calculation der Gartenlaube sehen wir uns heute zu der Mittheilung genöthigt, daß vom 1. Oktober ab der Quartalpreis von 121/2 Ngr.

auf 15 Ngr. oder 1 fl. Conv.-Mze.

erhöht wird. Diejenigen Abonnenten, welche die Gartenlaube semesterweise beziehen, haben mithin auf das 4. Quartal noch 21/2 Ngr. oder 15 Xr. Münze nachzuzahlen.

Die Gartenlaube erscheint ganz in derselben Weise fort wie bisher, nur dürfen wir – bei nunmehr vermehrten Kräften – unsern Lesern auch eine noch glänzendere illustrative Ausstattung und durchgängig gediegene Textbeiträge versprechen. Daß wir nie mehr versprechen, als wir halten können, glauben wir bewiesen zu haben.

Leipzig, den 20. September 1855.
Die Verlagshandlung. 

  1. Vergl. Nr. 4 und 28 der Gartenlaube.
  2. Dessen Adresse auf Verlangen die Redaktion gern mittheilen wird.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Endzündung