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Die Gartenlaube (1854)/Heft 28

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[321]

No. 28. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Arzt und Advokat.
(Fortsetzung.)
IV.

Louisen’s jugendliche Kraft besiegte bald die von der Krankheit zurückgelassene Schwäche, und nach zwölf Tagen schon betrat sie an der Hand des Doctors Friedland das gemeinschaftliche Wohnzimmer, in welchem sich Joseph mit seiner vierjährigen Tochter befand. Die junge Frau hatte eine reizende Toilette gemacht, und die blonden Locken, die unter einem feinen, weißen Morgenhäubchen herabquollen, beschatteten die zarten Wangen, auf denen sich der erste Purpur der Gesundheit zeigte.

„Die vom Tode zum Leben Erstandene!“ rief fröhlich der Doctor, indem er die Gattin dem Gatten zuführte. „Hier ist sie, möge sie Ihnen der Himmel noch lange erhalten!“

„Dank, Dank, Doctor!“ rief Joseph.

Und nassen Blicks schloß er die vor Freude zitternde Frau in seine Arme.

„Joseph,“ flüsterte sie zärtlich, „Du hast meinetwegen viel gelitten! Ach,“ fügte sie hinzu, und schlang ihren Arm um seineb Hals, „aber auch ich habe gelitten, wenn ich an Deinen Schmerz dachte. Wie oft bat ich den Himmel, daß er mich Dir und unserm Kinde erhalten möge – er hat mein Gebet erhört, und mir in diesem braven Freunde einen Retter gesandt. Joseph, unser Glück soll noch nicht zu Ende sein!“

Des guten Joseph’s Glück läßt sich nicht beschreiben. Er umschlang Weib und Kind, und sandte einen dankenden Blick zum Himmel.

„Wenn die Liebe so rein ist,“ dachte er, „kann der Argwohn sie nur beflecken. Für diese so frische Seele, für diese so zarte Blume kann ein Flecken nur der Tod sein!“

Zum ersten Male wieder nahmen sie zusammen das Frühstück ein, bei dem der Doctor als Gast blieb. Er schied mit der vollen Ueberzeugung, daß Louise in jeder Beziehung genesen sei.

Dieser hohe Festtag war ein Sonntag, weder die Börse noch andere Geschäfte nahmen die Thätigkeit des Kaufherrn in Anspruch, und die beiden Gatten verbrachten ihn mit einander in stillem Glücke. Der Zufall wirft in das eheliche Leben zuweilen einige vollkommen glückliche Tage, die sich weder an die Befangenheit noch an die Zukunft knüpfen. Leider sind dies nur seltene, schnell verblühende Blumen! Ein solcher ward den beiden Gatten mit allen seinen Wonnen zu Theil, und sie schwelgten in dem Genusse derselben, als ob sie geahnt hätten, daß es der letzte ihrer Liebe sei.

Julius setzte seine Besuche fort, aber er wählte Anfangs absichtlich die Zeit, von der er wußte, daß sie Louise bei ihrem Gatten verbrachte. Sie war heiter und stets dieselbe gegen den Freund ihres Gatten wie früher, aber um so gefährlicher für ihn, da sie nach der Krankheit schöner und verführerischer geworden zu sein schien. Joseph theilte die Ansicht des Arztes, daß die Kranke in wilden Fieberphantasien von Dingen geredet habe, die sie mit Furcht und Schrecken erfüllten. Die Wirklichkeit lieferte auch nicht den kleinsten Beweis von einer Schwäche oder sträflichen Verirrung. Und somit war das alte glückliche Verhältniß zwischen den beiden Gatten nicht nur wiederhergestellt, es schien selbst, als ob nach diesem Sturme ihre Liebe noch größer geworden sei.

Eines Abends befand sich Louise mit ihrer Kammerfrau allein in dem Schlafzimmer. „Meta“, sagte die junge Frau in sichtlicher Verlegenheit, „ich habe lange schon nach einem kleinen Pakete mit Briefen gesucht – es liegt mir viel daran, ich kann es nirgends finden.“

„Sprechen Sie von einem Pakete, das Briefe zu enthalten schien und mit einem hellblauen Seidenbande umschlungen war?“

„Ganz recht“, rief Louise eifrig. „Wo haben Sie es gesehen?“

„Als Sie krank waren, Madame, riefen Sie mich mitten in der Nacht an Ihr Bett; Sie zogen dieses Paket unter dem Kopfkissen hervor, und befahlen mir, es zu verbrennen. Ich führte den Befehl aus, und warf das Papier in den Ofen.“

„Dessen erinnern Sie sich genau?“

„O gewiß, Madame!“ betheuerte die alte Frau, indem sie Louise mit treuherzigen Blicken ansah. „Sie waren in jener Nacht recht krank – die Papiere haben doch wohl keinen Werth –?“

„Nein, nein! Es genügt mir, wenn ich weiß, wohin sie gekommen sind.“

„Verlassen Sie sich darauf, Madame, sie sind für immer verschwunden.“

Diese Versicherung beruhigte Louise; sie ließ sich entkleiden, und ging heiter zu Bett. Meta sah, wie sie die Hände faltete und ein Gebet flüsterte.

Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß die Kammerfrau heimlich Anweisung erhalten hatte, wie sie sich gegen ihre Herrin benehmen sollte. Diese Aussage in Betreff der Papiere war eine Erfindung des Doctor Friedland, der dadurch eine Verletzung des Zartgefühls Louise’s vermeiden wollte. Mit der Genesung sollte ein neues Leben beginnen und die Vergangenheit völlig vergessen sein. Die Angriffe des Advokaten glaubte er verhindern zu können, und zu diesem Zwecke hatte er sich der Kammerfrau versichert, von der er wußte, daß sie die Ueberbringerin der verhängnißvollen Briefe gewesen war.

[322] Nach einem Monate trat Meta zu ihm in das Zimmer.

„Herr Doctor, hier ist ein Brief, den mir Herr Morel diesen Mittag, als er unser Haus verließ, für Madame Raimund eingehändigt hat. Sie haben mir aufgetragen, daß ich alle Briefe, die von ihm kommen, Ihnen übergeben soll.“

Der Arzt nahm den Brief, und gab der Kammerfrau dafür einen Dukaten.

„Sie erfüllen eine heilige Pflicht gegen Ihre Herrin“, fügte er hinzu, „und ich hoffe, Sie werden mit mir dahin wirken, daß der Friede in Herrn Raimund’s Hause durch den Leichtsinn eines verblendeten jungen Menschen nicht gestört werde. Zu seiner Zeit werde ich Madame Raimund sagen, welche wichtigen Dienste Sie ihr geleistet haben.“

„Zählen Sie auf mich, Herr Doctor, denn ich liebe die junge Frau, als ob sie meine Tochter wäre. Ach, hätten Sie doch früher um den verderblichen Handel gewußt, es wäre vielleicht Manches anders.“

„Noch ist nichts verloren, liebe Frau, wenn Sie mir redlich beistehen.“

Meta erzählte nun ihre Unterredung in Betreff der Briefe mit Louise, dann entfernte sie sich.

„Also hat er es dennoch gewagt, die verbrecherische Hand wieder auszustrecken!“ flüsterte der Arzt vor sich hin, indem er in seinem Zimmer auf- und abging. „Er sieht das wiedergekehrte Glück seines Freundes, aber es ist ihm nicht heilig. Nachdem er den armen Raimund wieder in den Schlummer der Sorglosigkeit eingewiegt, beginnt er von Neuem seine Netze auszuspannen. Wahrlich, das ist kein Leichtsinn mehr, das ist die Taktik der Bosheit und des verworfensten Cynismus. Und dieser Mann, der Ehre, Glück und Ruhe seiner Nebenmenschen mit Füßen tritt, der sich kein Gewissen daraus macht, den Jugendfreund zu vernichten – dieser Mann ist ein Rechtsanwalt! Was haben die Bedrängten, die sich ihm blindlings anvertrauen, von ihm zu erwarten?“

In einer zornigen Aufwallung zerriß er das Siegel und öffnete den Brief.

„Louise“, schrieb Julius, „die Freundschaft zu Joseph erfordert Opfer, die ich nicht länger zu bringen vermag. Was ist Freundschaft, wenn die allgewaltige Liebe das Herz bewegt? Sie verschwindet wie ein kleiner Stern vor der hehren Sonne. Die Zeit Ihrer Krankheit habe ich in einer fürchterlichen Gemüthsstimmung verlebt, und jetzt, da Sie genesen sind, erfreuen Sie mich durch keinen freundlichen Blick, durch kein Zeichen Ihrer Gunst. Ich weiß, daß Joseph, der trockene Geschäftsmann, Ihr feuriges Herz nicht auszufüllen vermag – Sie begehen eine Ungerechtigkeit gegen Ihr junges Leben, wenn Sie unter der Tyrannei einer Spekulationsheirath noch länger leiden, und Sie leiden, ich weiß es. Mehr kann ich dem Papiere nicht anvertrauen, obgleich mich ein unbeschreibliches Gefühl dazu drängt – ich muß Sie sprechen, wenn ich meinen Verstand nicht verlieren soll. Machen Sie morgen Mittag ein Uhr einen Spaziergang nach Ihrem Landhause; Joseph ist dann auf der Börse, und daß er sicher und länger als gewöhnlich dort aufgehalten werde, habe ich bereits heute die Einleitungen getroffen. Ich habe Ihnen höchst wichtige Mittheilungen zu machen, darum kommen Sie. Schließlich noch die Versicherung, daß es von unserm gemeinschaftlichen Verhalten abhängen wird, ob die nächste Zukunft schon unser Geheimniß enthüllt oder nicht. J.“

Der Arzt verschloß den Brief.

„Wie raffinirt!“ rief er aus. „Juristische Spitzfindigkeiten, Bitten und versteckte Drohungen. Mein Herr Advokat, Sie haben mich zu einem Prozesse herausgefordert, und ich werde ihn fortführen. Wir wollen sehen, ob ihn der Arzt oder Jurist gewinnt.

V.

Der Doctor Friedland hatte noch keinen festen Entschluß darüber gefaßt, wie er seinen Gegner angreifen wollte. Um ihm aber jede Gelegenheit abzuschneiden, sich Louisen heimlich zu nähern, verbot er der jungen Frau, aus Gesundheitsrücksichten, das Haus bei dem unbeständigen Aprilwetter zu verlassen. Louise fügte sich, wie zu erwarten stand, mit großer Bereitwilligkeit. Joseph’s Vertrauen zu seiner Gattin war völlig zurückgekehrt, und oft machte er sich im Stillen Vorwürfe, daß er auch nur einen Augenblick an ihrer Treue hatte zweifeln können. Er bemühte sich, doppelt zärtlich und sorglich zu sein, um das an ihr begangene Unrecht wieder auszugleichen. Um ihr auch nicht die leiseste Kränkung zu bereiten, verschwieg er ihr sorgfältig die Begebenheiten jener unglückseligen Nacht und seinen in derselben angeregten Verdacht. In Julius Benehmen war keine Veränderung vorgegangen, und so oft er erschien, empfing ihn Joseph mit derselben Herzlichkeit, die er früher gegen ihn beobachtet hatte. Selbst an dem Tage, der der verfehlten Unterredung folgte, war er derselbe, und als Louise in das Zimmer trat, verrieth auch nicht die geringste Veränderung in seinem Tone, daß irgend etwas vorgefallen sei.

Die ersten Tage des Mai waren noch sehr kühl, und Louise, obgleich sie vollkommen genesen war, verließ noch immer ihre Wohnung nicht. Schlug Joseph einen Spaziergang vor, so lehnte sie ihn mit der Entschuldigung ab, daß der Doctor ihr das Ausgehen noch nicht gestattet habe.

„Du bist eine gewissenhafte Patientin“, sagte Raimund lächelnd.

„Aus Rücksicht für Dich!“ antwortete sie, indem sie ihm zärtlich den blühenden Mund zum Kusse bot. „Und was fehlt mir in unserm großen, geräumigen Hause?“

„Die frische Luft, mein Kind!“

„Frage den Arzt, Joseph; sobald er befiehlt, gehorche ich.“

Joseph fragte schriftlich bei dem Doctor an. „Ich werde schon ordiniren!“ war die lakonische Antwort. „Später eine Badereise, und Alles ist in Ordnung.“

Der Kaufmann machte allein seine Spaziergänge. An einem der ersten warmen Maitage verließ er früher als gewöhnlich die Börse, um die Gartenarbeiten bei seinem Landhause, das eine Viertelstunde vor der Stadt lag, in Augenschein zu nehmen. Glücklich und heiter schritt er auf dem Seitenpfade dahin, der neben der belebten Chaussee sich fortwand. Er hatte Louisen den Besuch des Landhauses verschwiegen, weil er ihr durch die Anlegung eines Springbrunnens vor der Laube, ihrem Lieblingsplätzchen, eine Ueberraschung bereiten wollte. Heute wollte der Baumeister sein Werk prüfen, und der Wasserstrahl sollte sich zum ersten Male erheben, Joseph beschleunigte seine Schritte, um gegen vier Uhr, zur Zeit des Mittagsessens, wo er gewöhnlich von der Börse zurückzukehren pflegte, in seiner Wohnung wieder einzutreffen. Bald schlug er den Seitenpfad ein, der durch lebendige Hecken nach der Villa führte. Da sah er eine Droschke vor einer der Gartenthüren halten. Vielleicht zwanzig Schritte noch mochte er davon entfernt sein, als eine verschleierte Dame aus der Thür trat, dem Kutscher eilig einige Worte zurief, und eben so eilig einstieg.

Bestürzt blieb Joseph stehen. Die Thür führte zu dem Garten von Julius Morel’s Landhause, und in der Dame glaubte er seine Louise zu erkennen. Da rasselte der halb offene Wagen an ihm vorüber. Joseph’s starre Blicke richteten sich auf die Dame – das war ihr brauner Sammethut mit den weißen Federn – das war ihr dunkelblauer großer Shawl, den er selbst vor einem Jahre von Wien mitgebracht hatte – das war endlich ihre ganze Gestalt und Haltung. Indem der Wagen an ihm vorüberfuhr, bog sich die Dame wie bestürzt in die Ecke zurück. Hätte er noch Zweifel an der Identität ihrer Person gehegt, dieser letzte Umstand mußte sie beseitigen.

Die Eifersucht mit allen ihren Schrecken erwachte in dem armen Manne. Aber bald gesellte sich noch ein fürchterlicheres Gefühl hinzu, das der gekränkten Ehre, des schmählich gemißbrauchten Vertrauens. Wie eine Bildsäule stand der arme Joseph da, und starrte dem Wagen nach, der längst entschwunden war. Der Boden wankte unter seinen Füßen, und alle Gegenstände erschienen seinen Blicken wie von einem grauen Schleier bedeckt. Der feste Wille Raimund’s besiegte bald die erste Aufregung, so gewaltig sie auch war.

„Solllest du dich dennoch getäuscht haben?“ fragte er sich. „Kann nicht eine andere Frau, die zufällig mit Louise Aehnlichkeit hat und dieselben Kleider trägt, in dem Landhause einen Besuch abgestattet haben? Du hast ihr Gesicht nicht gesehen, du urtheilst nur nach den äußern Formen. Aber jene Nacht der Krankheit – ihr hartnäckiges Weigern, das Haus zu verlassen – diese Zeit, wo sie mich auf der Börse wähnt – die Eile und Schüchternheit, mit der sie aus der Hinterthür des Gartens trat, und der Schrecken endlich, der sich ihrer bei meinem Anblicke bemächtigte – ich muß klar sehen, und sollte es mein Leben kosten!“

Joseph eilte der Thür des Gartens zu. In einen Abgrund bitterer Gedanken versenkt, blieb er stehen, und betrachtete mechanisch den reizenden Garten, auf dessen Beeten ein Flor von Tulpen [323] und Aurikeln strahlte. Bald wollte er, den Einflüsterungen seines Schmerzes sich überlassend, heimlich entfliehen, um wenigstens noch alle Zweifel seiner Liebe mit sich nehmen zu können; bald wollte er Rache üben an dem Zerstörer seines Glückes, denn die Eifersucht sagte ihm, daß er betrogen sei. Das Mißtrauen blieb zuletzt das vorherrschende Gefühl, und er stürmte durch das ungeheure Feld, durch das uferlose Meer der Vermuthungen, ohne irgend einen Anhaltepunkt zu finden. Da sah er Julius, die Hände auf den Rücken gelegt, langsam zwischen Blumenbeeten hingehend. Das Erblicken des Jugendfreundes rüttelte ihn zur Wirklichkeit empor. Er konnte es nicht glauben, daß Julius, und noch weniger Louise, die Mutter seines einzigen Kindes, eines so schweren Verbrechens fähig sei. Die Geradheit und Biederkeit seines Charakters forderte ihn auf, gründlich aber vorsichtig zu sondiren, ehe er ernste Schritte in der Sache that. Mit gewaltsamer Fassung betrat er den Garten. Ehe er Julius erreichte, war sein Gesicht ruhig geworden, obgleich in seiner Brust ein unbeschreibliches Gefühl tobte. Mit dem Entschlusse, Niemandem Unrecht zu thun, aber auch selbst kein Unrecht zu erleiden, näherte er sich dem Advokaten. In einer Biegung des Weges trat er ihm entgegen. Julius fuhr wie aus tiefem Nachsinnen empor.

„Joseph!“ rief er, und es war ersichtlich, daß er seine Überraschung über die um diese Zeit seltene Ankunft des Freundes kaum zu verbergen suchte.

„Ich bin es!“ antwortete Joseph, dessen Stimme leise erbebte, obgleich er sich Mühe gab, gefaßt und ruhig zu erscheinen.

„Hast Du es über Dich gewinnen können, der Börse zeitiger als sonst den Rücken zuzuwenden?“ fragte der Advokat, indem er dem Freunde nach alter Gewohnheit die Hand reichte.

Der Kaufmann sah dem Advokaten scharf in das Gesicht.

„Glaubst Du,“ fragte er, „daß die Börse allein mein Glück in sich schließt?“

Julius lächelte mitleidig, indem er sagte: „Ich kenne Deinen Geschäftseifer, Joseph. Wenn ich in diesem Augenblicke daran dachte, wo die Kaufmannswelt Hamburgs dem Merkur opfert, so wollte ich keinen Vorwurf aussprechen, obgleich ich als Freund nur wünschen kann, daß Du denen, die Dich lieben und verehren, einige Theile Deiner Zeit mehr widmest.“

Bei diesen Worten ergriff Julius den Arm Joseph’s, und zog ihn mit sich fort.

„Mein Besuch wird nur ein kurzer sein,“ sagte Raimund, indem er den Salon des anmuthigen Landhauses betrat. „Die Börsenzeit,“ fügte er mit Beziehung hinzu, „ist bald vorüber, und meine Frau liebt es, wenn ich mich pünktlich zum Mittagsessen einstelle. Du weißt, ich bin ein guter, folgsamer Ehemann – –“

„Den Deine Louise zu schätzen weiß!“

Joseph unterdrückte eine bittere Antwort, die ihm auf den Lippen schwebte. Der Stolz untersagte ihm, auch nur einen Anflug von Eifersucht zu zeigen, obgleich ihn die wie es schien ohne Absicht hingeworfenen Worte des Advokaten verletzten.

Julius ließ Madeira kommen. Joseph trank, um heiter zu werden.

„Du hattest Damenbesuch,“ sagte er lächelnd, als er das Glas zurücksetzte.

Dem aufmerksamen Raimund konnte es nicht entgehen, daß sein Freund ein wenig verlegen ward.

„Ganz recht!“ rief der Advokat. „Eine Clientin erholte sich bei mir Raths. Die Sache war dringend, und deshalb suchte sie mich in meinem Landhause auf. Ist sie Dir begegnet?“

„In einer Verfassung, die mich ahnen läßt, daß sie mit wenig Hoffnung von Dir geschieden ist. Sie eilte an mir vorüber wie ein Kaufmann, der fürchtet die Börse zu versäumen.“

Julius leerte sein Glas mit einem Zuge.

„Wahrhaftig,“ rief er dann, „die Dame befindet sich in einem kritischen Falle. Es that mir um so mehr leid, ihr nach meinem Gutachten alle Hoffnung abzuschneiden, da mir ihre Person ein großes Interesse abgewonnen hat.“

„So ist sie schön?“

„Schön und jung, und dabei unglücklich.“

„Vortrefflich! Eine unglückliche Schöne hat viel für sich.“

„Wir Advokaten sind oft schlimm daran,“ sagte Julius, der seine völlige Unbefangenheit wieder erlangt hatte. „Das starre Recht zwingt uns zu verurtheilen, wo das Herz gern freisprechen und helfen möchte. So erging mir es in vorliegendem Falle.“

„Wahrhaftig?“

„Kein Gerichtshof der Welt wird ihr das Recht zuerkennen, nach dem sie strebt.“

„Das ist sonderbar!“

„Gewiß.“

„Recht bleibt Recht, auch unter den sonderbarsten Formen, und ich sollte glauben, daß die Gerichtshöfe es erkennen müßten.“

„Die Gerichtshöfe!“ rief Julius. „Man ruft sie oft in Sachen zu Schiedsrichtern an, die durchaus nicht vor ihr Forum gehören. Denke Dir, jene Dame ist verheirathet –“

„Verheirathet?“

„Mit einem Manne, der sie zu lieben und in ihrem Besitze glücklich zu leben glaubte. In dieser falschen Voraussetzung trat er mit ihr zum Altare. Der vertraute Umgang in der Ehe belehrte ihn, daß er sich arg getäuscht hatte. Was er für Liebe gehalten, war nur ein tiefes, inniges Mitleid gewesen, denn in jener Zeit, als er sie kennen lernte, lebte sie in einer drückenden Lage, die sie nicht verschuldet hatte. Ehe ein Vierteljahr verflossen, erkannte der Mann, wie wenig die Frau für ihn passe, und trotz seiner Anstrengungen, sich in sein selbstgeschaffenes Loos zu fügen, wollte es ihm nicht gelingen, ein erträgliches Verhältniß herbeizuführen. Der Zufall vollendete seine Pein. Der arme Mann lernte nämlich ein Mädchen kennen, das die Natur mit allen Eigenschaften beschenkt, die sein völliges Glück ausmachten. Es herrschte eine Uebereinstimmung in den Gesinnungen und Gefühlen, die, wenn sie in seiner Ehe stattgefunden, ihn zum glücklichsten Menschen gemacht haben würde. Jetzt erst lernte er die wahre Liebe kennen, sie bemächtigte sich seines Herzens, obgleich er mit einem wahren Heldenmuthe dagegen kämpfte. Seine Frau war gut und schön, sie erfüllte ihre Pflichten mit großer Hingebung, aber sie vermochte sein Herz nicht auszufüllen, das für sie nur Mitleid empfand. Er kam selbst zu der Erkenntniß, daß seine Frau nur mit Dankbarkeit, und nicht mit wahrer Liebe an ihm hing. Was sollte er nun beginnen? Der Fall war kritisch. Hier fesselte ihn die Ehe, und dorthin zog ihn die Liebe mit magischer Gewalt. Die Gattin wollte er nicht kränken, und die Geliebte konnte er nicht lassen. Da erfährt endlich die Frau die Verirrung ihres Mannes, wie sie seine Neigung nannte. Eine Zeit lang verschweigt sie ihm diese Entdeckung, und sucht ihn durch mancherlei Mittel zu fesseln; später spielt sie die Gekränkte und Großmüthige, und endlich giebt sie ihren Verdruß offen zu erkennen. Der Mann ist nachsichtig, er schildert ihr seinen Zustand, bittet sie, sich selbst zu prüfen, und schlägt vor, die für beide Theile unglückliche Ehe friedlich zu lösen. Dieser Vorschlag erweckt in der Frau ein falsches Ehrgefühl, sie glaubt sich in ihrem Rechte, wenn sie die Scheidung verweigert, und ist fest entschlossen, dem Manne die Fesseln der Ehe nicht abzunehmen. Jetzt fordert der Mann eine Entscheidung des bürgerlichen Gerichts, und die Trennung von einer Frau, mit der er nie glücklich sein könne, da sich ihre Herzen nie verstanden haben.“

„Wird das Gericht diesen Scheidungsgrund gelten lassen?“ fragte Joseph.

„Nein; aber dessen ungeachtet habe ich der Frau von längerem Widerstande abgerathen. Was hat sie gewonnen, wenn der Mann gezwungen ist, ferner mit ihr zu leben? Hier muß die Ehre, und nicht das Gericht entscheiden!“ sagte Julius, indem er ein Glas verschlang.

„Das galt mir!“ dachte Joseph mit einem unbeschreiblichen Gefühle. „Er schildert das Verhältniß eines Mannes, während er das meiner Frau meint. Ich bin der, den sie aus Mitleid geheirathet hat, und aus Dankbarkeit soll ich mich nun freiwillig von ihr trennen, damit ich ihrem Glücke nicht hinderlich bin. Der Fingerzeig ist deutlich genug, und es unterliegt keinem Zweifel, daß die Clientin meine Frau gewesen ist.“

(Fortsetzung folgt.)
[324]
Domenico Fontana.
Von Gustav Heubner,
illustrirt von G. Kühn.
I.

Die Straßen Roms durchschreitet im hellen Mondenschein,
Den Kennerblick gerichtet auf der Paläste Reih’n,
Domenico Fontana, der junge Architekt,
Als ihn aus seinen Träumen ein Hülferuf erweckt.

In’s dunkle Gäßchen eilend, woher der Angstschrei schallt,
Sieht er ein holdes Mädchen in eines Mann’s Gewalt;
Der faßt mit frechem Arme sie um den zarten Leib,
Bestürmt mit Buhlerworten das angsterfüllte Weib.

„Zurück von dieser Jungfrau!“ – Der Meister ruft’s empört,
Zieht rasch zum Schirm der Unschuld in edlem Zorn das Schwert,
Und zeichnet blut’ge Lehre dem Buben in’s Gesicht;
Mit Flüchen und mit Heulen entflieht der feige Wicht.

Die Jungfrau schmiegt sich zitternd an ihren Retter an;
Der leitet sanft und sittsam den Hügel sie hinan,
Wo im bescheidnen Häuschen, vom Rebenlaub umrankt,
Ob ihres langen Weilens die treue Mutter bangt.

Geborgen in des Hauses gemüthlich stillem Raum,
Haucht bebend ihre Lippe ein Wort des Dankes kaum;
Doch von dem Blick, der ihrem tiefdunklen Aug’ entsprüht,
Fühlt sich der junge Meister im Innersten durchglüht.

Gar freundlich lädt die Mutter ihn ein zu kurzer Rast,
Und mühet sich geschäftig um den geehrten Gast,
Und bringt aus Küch’ und Keller, was nur vermag das Haus,
Und würzt mit lieber Rede den schnell beschafften Schmaus.

Der Meister muß erzählen, wie Alles sich begab,
Und nimmer läßt die Mutter mit Dankesworten ab.
Maria ruft mit Schaudern den Auftritt sich zurück,
Und senkt vor Schaam erglühend, auf’s Mieder ihren Blick.

Domenico verwendet das Auge nicht von ihr;
Er fühlet sich so heimisch im trauten Kreise hier;
Ihm ist’s, als ob er nimmer von dannen könnte gehn;
Er möcht’ an ihrer Seile sich immer sitzen sehn.

Mit einmal ruft Maria, und wird vor Schrecken bleich:
„O lieber Herr, wie dank’ ich Euch Eures Schwertes Streich! –
„Doch – wenn er Euch erkannte – wenn Jemand Euch erblickt –
„Ich zittre, Herr! – Ihr wäret verfallen dem Edict!“

Draus spricht Fontana lächelnd: „Sei ruhig, holdes Kind!
Ich weiß, wie streng und blutig des Papstes Sprüche sind;
Doch Räubern nur und Mördern, von denen Unheil droht,
Und nicht der Unschuld Hütern verheißen sie den Tod!“ –

Kaum war das Wort gesprochen, da klopft’ es an die Thür:
„Im Namen des Gesetzes! – Einlaß begehren wir!“ –
Die Schaar der Sbirren drängt sich in’s friedliche Gemach,
Und ruft: „Ergreift den Frevler, der frech den Frieden brach!“ –

„Was that ich?“ – fragt Fontana mit würdevollem Ton. –
„Du sprachest dem Gesetze des Papstes Sixtus Hohn!
Wer in der Hauptstadt Straßen die blanke Waffe zückt,
Den trifft die Todesstrafe, – so lautet das Edict!“ –

„Die Unschuld zu beschützen vor frechem Uebermuth,
Dazu zog ich den Degen, darum vergaß ich Blut!
Ich meine, daß wohl nimmer der Papst bestrafen kann,
Was jeder Mann von Ehre an meiner Statt gethan!“ –

Doch ohne Rührung höret die Häscherschaar sein Wort,
Der Frauen jammernd Flehen, – und schleppt den Meister fort;
Der grüßt die holde Jungfrau mit stummberedtem Blick,
Und geht dann stolz entgegen dem finsteren Geschick.

[325]
II.

Im öden Kerker schmachtet Fontana kummervoll,
Des Urtheilspruches wartend, der bald ihn treffen soll.
Ob auch die starke Seele nicht vor dem Tod erbebt,
Er hätte, ach, so gerne, so gerne noch gelebt!

Wie schlägt sein Herz entgegen dem einz’gen Sonnenstrahl,
Der einmal jeden Tag sich zu ihm durch’s Gitter stahl!
Wie dürstet seine Seele nach Leben und nach Licht,
Und nach dem Lorbeer, der sich um Künstlerstirnen flicht!

Wenn schwarz auf seine Zelle sich senkt die frühe Nacht,
Da rollt vor seinem Auge in lichter Farbenpracht
Der wache Traum geschäftig viel bunte Bilder aus
Von einem großen, reichen, beglückten Lebenlauf.

Da sieht er stolze Tempel und Thürme sich erhöh’n,
Die langen Säulenreihen in hehrem Schmuck ersteh’n!
Wie wölbet sich die Kuppel so leicht und kühn empor!
Wie glänzt von Gold und Marmor das reichverzierte Thor!

Und dort im grünen Garten, aus Laub und Blumen schaut
Ein Landhaus, nett und wohnlich, nach seinem Riß gebaut;
Daraus tritt ihm entgegen, so wunderhold und mild,
Ihn freundlich zu begrüßen, ein lieblich Frauenbild.

Nach Tages Last und Mühe heißt sie willkommen ihn;
Er öffnet’ seine Arme, sie an sein Herz zu zieh’n –
Da stößt an kalten Stein sich die ausgestreckte Hand,
Und seine Arme fassen die leere Kerkerwand! –

Doch draußen um die Mauern ein holdes Mädchen schleicht,
Dem Angst und Gram und Thränen die Wangen schnell gebleicht;
Es ist, als ob ein Zauber sie bannt in diesen Kreis,
Wo sie den edlen Retter im Kerker schmachten weiß.

Sie kommt an jedem Tage, sobald der Morgen winkt,
Und wieder, wenn am Abend die Sonne niedersinkt,
Schaut nach dem Gitterfenster mit thränenfeuchtem Blick,
Und fragt den Kerkermeister besorgt um sein Geschick.

Als sie nun eines Tages ihn wiederum befragt,
Da wird mit kalten Worten die Antwort ihr gesagt:
„Das Urtheil ist gesprochen, – den Tod hat’s ihm gebracht;
Am dritten Morgen sagt er dem Leben gute Nacht.“

Da sinkt sie an der Schwelle der Kerkerpforte hin;
Doch plötzlich rafft sie wieder sich auf mit starkem Sinn:
„Drei Tage noch! – Noch schimmert ein Hoffnungsstrahl für mich!
Er rettet meine Ehre, – vielleicht sein Leben ich!“

Zu allen Cardinälen eilt sie in ihrem Schmerz,
Beschwört sie, zu erweichen des Papstes eisern Herz;
Doch ob sie auch voll Mitleid die Schöne weinen sehn,
Nicht Einer wagt’s, den strengen Gebieter anzufleh’n.

Schon bricht der dritte Morgen mit Todesschauern an,
Schon naht die letzte Stunde für den geliebten Mann; –
Da drängt sie sich zum Papste mit angstbeschwingtem Schritt,
Als er, zur Kirche gehend, aus dem Palaste tritt.

Sie wirft sich vor ihm nieder: „Du stehst an Gottes Statt, –
An Gottes, dessen Gnade und Huld kein Ende hat!
Laß Du auch Gnade walten, und gieb nicht Dem den Tod,
Der nur die Unschuld schirmte, die frecher Sinn bedroht!“ –

Doch streng und unerschüttert, mit kaltem, stolzem Blick
Weißt Sixtus ohne Schonung die Flehende zurück,
Und ruft vor allem Volke mit hartem, scharfem Wort:
„Ha! nicht umsonst warf Sixtus Montalto’s Krücken fort!“[1]

[326]

„Die Straßen Rom’s zu sichern vor Frevel, Mord und Brand,
„Und Ordnung, Ruh’ und Frieden zu schaffen rings im Land:
„Ward das Gesetz gegeben, das wilde Rauflust schreckt,
„Und streng und unerbittlich an Jedem wird’s vollstreckt!

„Wohl führ’ ich den Stab Wehe; doch sagen mag die Welt:
„Sonst war es schlimm und traurig um Gottes Stadt bestellt;
„Doch seit der fünfte Sixtus bestieg St. Peters Stuhl,
„Seitdem war Roma nicht mehr der alte Lasterpfuhl!“

Er spricht’s, und geht vorüber, und läßt auf ihren Knie’n
Im Staub die Arme liegen, der Trost und Hoffnung flieh’n.
Sie windet sich die Hände in ihrem Jammer wund,
Der Papst geht, Gott zu preisen mit salbungsvollem Mund!

Doch bald, als ob ein rascher Gedanke ihn erweckt,
Zu ihr sich kehrend, fragt er: „Der Mann ist Architekt? –
„Wohlan! – Sein Schicksal geb’ ich in seine eigne Macht;
„Er werde nach der Messe in mein Gemach gebracht!“

Verwundert steht Fontana vor Sixtus Angesicht;
Der führt ihn an das Fenster, und zeigt hinaus, und spricht:
„Siehst Du dort auf dem Platze, in dem Gestrüpp und Laub,
„Den Obelisken liegen, bedeckt mit Schutt und Staub. –

Der Riesenstein Aegyptens, dies Wunderwerk der Welt,
„Das einst im großen Circus Augustus aufgestellt,
„Das, hingestürzt zum Boden, durch der Vandalen Wuth,
„Seit mehr denn tausend Jahren tiefeingesunken ruht?

„Versuch’s, und richte wieder die Säule hoch empor,
„Daß sie den Platz mir schmücke dort vor St. Peters Thor!
„Vollbringst Du das, so will ich vom Tode Dich befrei’n,
„Und sollst mein erster Meister in Roma’s Mauern sein!“

Der Meister hört’s mit Staunen, und wiegt voll Ernst sein Haupt;
Allein nach kurzem Sinnen erwiedert er: „Wer glaubt,
„Kann Berge wohl versetzen, – warum nicht diesen Stein?
„Mit Gottes Hülfe wag’ ich’s, dem Werke mich zu weih’n!“ –

Und in dem Vatikane, von Hütern Wohl bewacht,
Sitzt er im lichten Zimmer von Morgen bis zur Nacht,
Und sinnt, und mißt, und rechnet, und zeichnet, und versucht,
Wie er bewält’gen möge der Säule schwere Wucht.

(Schluß folgt.)




Nahrungsmittel.
Eier.

Die Eier sind nebst der Milch und dem Fleische (s. Gartenlaube Nr. 12 und 21) nicht blos die nahrhaftesten, sondern bei richtiger Zubereitung auch die leichtverdaulichsten Nahrungsmittel, denn sie enthalten fast alle die Stoffe in sich, aus denen unser Blut und unser Körper zusammengesetzt ist, auch werden sie vom Magen und Darmkanale aus ziemlich schnell in das Blut übergeführt. – Am Häufigsten werden die Eier der Vögel genossen und zwar nicht nur die der gezähmten hühnerartigen Vögel (wie des Haushuhns, der Fasanen-, Puter- und Pfauenhennen), sondern auch die der Enten, Gänse, Kiebitze; die Neger, Kaffern und Hottentotten verzehren Straußeier; die Isländer, Eskimos und andere Polarvölker essen im Frühjahr die Eier von Möven, Meerschwalben und andern Wald- und Sumpfvögeln; die Neuholländer lieben die Casuareier, die südamerikanischen Indianer die des Emeu. Außer Vogeleiern dienen dem Menschen sodann auch noch die Eier von Amphibien zur Nahrung, denn es werden die der Schildkröten und des Kaiman von den Indianern des Orenoko und von den brasilianischen Völkerschaften genossen. Ja am Amazonenflusse benutzt man den Dotter der Schildkröteneier auch noch zur Bereitung von Butter. Von den Fischen liefern besonders Störe, Karpfen, Hechte, Barsche, Lachse und Forellen in ihren Eiern (Roggen) eine beliebte Speise. Die eingesalzenen Fischeier stellen den bekannten Caviar dar; der beste stammt vom Sterlett (besonders der Wolga und des Jaok), der minder gute von andern Stören, sowie von Hechten, Karpfen, Häringen. Einige Fische, wie Barben und Weißfische, haben Eier, deren Genuß nicht selten unangenehme Zufälle (wie Uebelkeit, Erbrechen, Durchfall) erregen.

Was die Zusammensetzung der Eier betrifft, so ist zwar nur das Hühnerei genauer erforscht, jedoch dürfte die Mehrzahl der übrigen Eier auf ganz ähnliche Weise zusammengesetzt sein, obschon der Geschmack der verschiedenen ein verschiedener ist. Zunächst fällt bei jedem Eie die Schale und innerhalb derselben, das Weiße oder Eiweiß, sowie das Eigelb oder der Dotter in die Augen; als Nahrungsstoff kommen nur der Dotter und das Eiweiß in Betracht. – Das Weiße des Eies bestehet zum größten Theile aus Wasser (82–88%), in welchem Eiweiß (etwa 12–15%) und solche Salze, die sich auch im menschlichen Blute befinden, aufgelöst enthalten sind. Sodann findet sich darin noch eine geringe Menge von Fett, Zucker, freien Gasen und extraktiven Materien, welche für uns ohne besondern Werth sind. Nun halte man aber das gallertartige Eierweiß, wie man es aus frischen Eiern erhält, nicht etwa blos für ein durch Wasser aufgequollenes Eiweiß nebst anhängendem Fett und eingemengten löslichen Stoffen, denn es enthält auch noch unlösliche, feine Häutchen, welche erst auf Zusatz von Wasser sichtbar werden und das Eiweiß nach verschiedenen Richtungen hin durchkreuzen und einhüllen. Wie allem Eiweiße, so kömmt auch dem Eiereiweiß die Eigenschaft zu, durch Hitze fest zu werden, zu gerinnen, und in diesem Zustande weit schwerer verdaulich zu sein, als im flüssigen. – Der Dotter oder das Eigelb, welches eine sehr zähe, dicke, bald gelbrothe bald schwefelgelbe Flüssigkeit darstellt, besteht wie das Eiweiß ebenfalls zum größten Theile aus Wasser (gegen 48–85%), und in diesem ist ein Gemenge von Eiweiß und Käsestoff, das sogenannte Vitellin (etwa 17%) aufgelöst, auch befinden sich in dieser Lösung, wie in der Milch eine Unzahl von Kügelchen und Fettbläschen. Die Dotterkügelchen, welche viel (29%) flüssiges, phosphorhaltiges und phosphorfreies Fett (Eieröl), sowie gelben Farbstoff enthalten, sind ebensowohl den Milch- oder Butterkügelchen (s. Gartenlaube Nr. 12 S. 131), wie auch den Blutkörperchen zu vergleichen; ihr Fettreichthum stellt sie den Milchkügelchen, ihr Gehalt an Phosphor und eisenhaltigem Farbstoff den Blutkörperchen näher. Uebrigens trifft man im Eidotter auch noch auf die gewöhnlichen Salze thierischer Substanzen, besonders auf Kaliumverbindungen, während im Eiweiße Natriumverbindungen und Chlormetalle vorherrschen. Kurz, betrachten wir die chemische Zusammensetzung des ganzen Eies, so ergiebt sich, daß dasselbe dem Blute und der Milch fast ganz ähnlich aus Wasser, Eiweißsubstanzen, Fett, Salzen und Eisen zusammengesetzt ist und demnach ein ausgezeichnetes, sogar sehr concentrirtes Nahrungsmittel sein muß; es muß ein solches aber auch schon deshalb sein, weil das Ei als die materielle Grundlage vollständiger Organismen alle zur Neubildung erforderlichen Materien im richtigen Verhältnisse enthalten muß.

Das Verdauen der genossenen Eier ist danach sehr verschieden, ob das Eiweiß derselben (im Weißen, wie im Dotter) flüssig oder fest war. Das noch flüssige Eiweiß (roher oder weicher Eier) wird nämlich schon nach ein bis zwei Stunden vom Magen aus in’s Blut geschafft, ist demnach sehr leicht verdaulich, während dies mit dem geronnenen Eiweiße erst nach fünf bis sechs und noch mehr Stunden geschieht. Am Schnellsten findet die Verdauung flüssigen Eiweißes dann statt, wenn nur wenig auf einmal in den leeren Magen gebracht wird, denn Versuche lehrten, daß das Eiweiß von nur einem Ei schon nach Verlauf einer Stunde aufgesogen war, das von mehreren Eiern dagegen erst nach zwei bis drei Stunden. Es erleidet übrigens auch das flüssige Eiweiß innerhalb des Magens durch Einwirkung des Magensaftes eine geringe Umwandlung, indem es löslicher, weniger leicht gerinnbar und dem Bluteiweiß ähnlicher wird. Das geronnene Eiereiweiß lößt sich aber dann etwas schneller auf, sobald es in [327] recht kleinen Stückchen (also gut gekaut) in den Magen gelangt, während große Stücken fast niemals ganz aufgelöst werden. Sonach würde einem schwachen Magen nur flüssiges Eiweiß zu empfehlen sein und stets sollte hartes Eiweiß gut gekaut werden.

Das Fett des Dotters, auf welches der Magensaft gar keine Wirkung ausübt, wird im Dünndarme wie alle übrigen Fette durch die Galle und den Darmsaft, vielleicht auch noch durch den Bauchspeichel in so feine Partikelchen zertheilt, daß es einer Mandelmilch ähnlich sieht und leicht von den Saugadern aufgesogen und in das Blut geschafft werden kann. – Bei den Chinesen gelten Eier, die halb bebrütete Junge enthalten, für Leckerbissen.

Bau des gelegten, unbebrüteten Hühnereies. Jedes dieser Eier wird zunächst von zwei Schalen umgeben, von denen die äußerste auch schlechthin Schale genannt wird, hart ist und hauptsächlich aus kohlensaurem Kalke besteht. Sie läßt, trotz dem daß sie ohne Poren ist, doch Luft und Wasserdunst durch sich hindurchtreten. An ihrer innern Fläche befindet sich die zweite, weiche, häutige Schale oder die Schalenhaut; sie ist aus zwei Blättern zusammengesetzt, von denen das äußere durch kleine Wärzchen in Grübchen der harten Schale festhängt, das innere dagegen glatt und dem Eiweiß zugekehrt ist. Am stumpfen Ende (Pole) des Eies weichen diese beiden Blätter der Schalenhaut aus einander und lassen hier den sogenannten Luftraum zwischen sich, der aber erst nach dem Legen des Eies entsteht und sich beim längern Liegen und Bebrüten des Eies sehr vergrößert. Das Weiße des Eies, äußerlich vom innern Blatte der Schalenhaut umgeben und rings um das Dotter liegend, ist eine concentrirte Eiweißlösung, welche in einem zarten Maschennetze eingeschlossen ist und von den beiden Hagelschnüren durchsetzt wird. Die äußere Schicht des Eiweißes ist dünnflüssiger, die innere dagegen dickflüssiger und zäher, besonders an den Enden (Polen) des Eies, rings um die Hagelschnüre herum. Die vom Eiweiße umgebene Dotterkugel, der Dotter, das Eigelb, welches ihres Fettgehaltes wegen leichter als das Eiweiß ist, befindet sich, man mag das Ei drehen wie man will, doch stets dem nach oben gehaltenen Theile der Schale etwas näher und nicht im Mittelpunkte des Eies. Es besteht der Dotter, wie schon gesagt wurde, aus Körnchen, Kügelchen und Fettbläschen und wird von einer ganz feinen, durchsichtigen Haut, der Dotterhaut, eingeschlossen. Im Mittelpunkte des Dotters befindet sich eine Stelle (Centralhöhle) aus hellerer Dottermasse und von dieser führt ein Gang mit ebensolcher Dottermasse nach der Oberfläche des Dotters zum Keimbläschen hin, welches jetzt dicht unter der Dotterhaut liegt, früher aber im Mittelpunkte des Dotters lag und von einer hellen gefärbten Schicht des Dotters, der sogenannten Keimschicht, Keimscheibe oder Dotterscheibe, umgeben wird. Im befruchteten und ausbrütungsfähigen Eie findet sich hier dicht unter der Dotterhaut der sogenannte Hahnentritt oder die Narbe, welche als ein scheibenförmiger, weißer Fleck durchschimmert und aus dem Keimhügel und Keime besteht, welcher letztere von Hofringen (Halonen) umgeben ist und sich durch das Bebrüten zum jungen Vogel entwickelt (s. in einem spätern Aufsatze). Noch sind dann schließlich die Hagelschnüre oder Chalazen zu erwähnen, zwei spiralig gedrehte Fäden, die sich von der Dotterhaut, die eine zum stumpfen, die andere zum spitzen Ende oder Pole des Eies, durch das Eiweiß hindurch zieht. – Bald nach dem Anfange, schon in den ersten Stunden der Bebrütung, trennt sich, natürlich nur in Eiern mit Hahnentritte, der Keim vom Dotter und wird zur Keimhaut, die sich dann allmälig zum Vögelchen fortbildet.

NB. Die Verderbniß der Eier beruht auf der Fäulniß, besonders des Eiweißes, mit Hülfe des Sauerstoffs der im Luftraume des Eies befindlichen atmosphärischen Luft. Man würde deshalb Eier recht gut und sehr lange vor dieser Fäulniß bewahren können, wenn man frisch gelegte Eier, die ja noch keinen Luftraum haben, vor dem Lufteintritt dadurch schützte, daß man ihre Schale durch Bestreichen mit Fett, Gyps mit Fett, Kautschuk, Collodium u. dergl. luft- und wasserdicht machte.
(B.) 




Bilder aus Varna.
Ankunft in Varna. – Ein gut Quartier. – Der Hafen von Varna. – Besuch auf einer türkischen Fregatte. – Der Capitain des Schiffes. – Die Kajüte. – Das Innere eines türkischen Kriegsschiffes. – Wie die türkischen Matrosen diniren. – Englische Waghalsigkeit. – Befestigung Varna’s.

Da wir unsere Ankunft in Varna durch unseren vorausgeschickten Dollmetscher Stephan-Gregorio hatten vorher anzeigen lassen, so erhielten wir trotz der nächtlichen Stunde, indem die ganze Stadt, mit Ausnahme ihrer vielen Straßenhunde und der Wächter schon begraben lag, doch noch ein sehr gutes Quartier. Das gütige Geschick wollte, daß dasselbe bei einem alten, echten Türken und nicht wie leider bisher immer der Fall gewesen, bei einem Griechen im Hause war, und wir hatten wahrlich alle Ursache mit diesem Tausche zufrieden zu sein. Mit würdevollem Anstand empfing uns der alte Achmed, so hieß unser Wirth, ein sich zur Ruhe gesetzter früherer Schiffscapitain und das „Islam aleihum,“ womit er uns an der Schwelle des Hofes begrüßte, klang so herzlich, daß man schon dem Tone seiner Stimme es anmerken konnte, wie wirklich gut es gemeint sei.

Ein kleines Gartenhaus, in dem zwei leere Zimmer für die beiden englischen Offiziere und mich und einige kleine finstere Kammern für Stephan-Gregorio und den anderen Diener sich befanden, diente zu unserer Behausung und stand uns zur alleinigen Verfügung. Auf unserer ganzen Reise hatten wir kein so gutes Quartier gehabt und waren wirklich froh, daß wir hier ein solches bekommen. Zwar war das Ameublement unserer beiden Zimmer fast mehr wie einfach und bestand nur aus einigen großen, groben Wollenteppichen, die in der einen Ecke lagen und des Nachts zum Schlafen, des Tages aber zum Sitzen dienten und zwei großen, kaum vier Fuß hohen Tischen von einfach weißem Holz, nebst einigen Waschgefäßen von grobem Thon und einem Kohlenbecken, wie solche in der ganzen Türkei üblich sind. Der große Vorzug dieser Wohnung war aber ihre lobenswerthe Reinlichkeit und der gänzliche Mangel an Ungeziefer jeglicher Art, und wer je in diesen Gegenden gereist ist, weiß, was dies zu bedeuten hat. Aus unseren Fenstern, die des Nachts durch hölzerne Läden geschlossen wurden, bei Tage aber völlig offen standen, da Fensterscheiben von Glas nicht vorhanden waren, hatten wir eine schöne, freie Aussicht auf den Meerbusen, an dem Varna liegt, und da der Ort selbst, wie alle bulgarischen Festungen, im Innern schmutzig und sehr häßlich ist, so war dies keine geringe Annehmlichkeit für uns. Die Verpflegung, die wir von unserem Wirthe bekamen, bestand des Morgens in sehr gutem Kaffee, alles Uebrige kochte entweder Stephan-Gregorio mit der größten und wirklich anerkennenswerthen Geschicklichkeit, die er in allen solchen Dingen besaß, auf einem kleinen Herd oder wir nahmen unsere Mahlzeiten in einer gerade nicht sehr lobenswerthen Restauration ein, die von einem widerlich zudringlichen und geschwätzigen Griechen verwaltet wurde. An Lebensmitteln aller Art war übrigens kein Mangel und besonders Hammelfleisch, Feldhühner, Tauben, treffliche Seefische, dann Reis, Mais, Hirse, Melonen, sonstige schmackhafte Früchte und dazu guten griechischen und italienischen Wein konnte man vollauf, wenn auch freilich zu etwas theuren Preisen bekommen. Ich selbst blieb übrigens nur einige Tage in Varna, da ich von dort wieder nach der Donau ritt, um diese stromaufwärts heraufzudampfen, meine beiden englischen Gefährten aber, von denen ich mich hier trennte, indem dieselben später nach Constantinopel reisten, verweilten mehrere Wochen daselbst.

Ziemlich hoch stand am andern Morgen schon die Sonne am Horizont, als wir aufwachten und unseren freundlichen Wirth, seine lange Morgenpfeife gemächlich rauchend, vor unserem Lager stehen sahen. „Was beliebt Euch meine Herren,“ lautete die Frage des guten Alten und er freute sich sehr, als wir ihm sagten, daß wir vortrefflich geschlafen hätten und mit unserem Quartier überhaupt vollkommen zufrieden wären. Unser erster Gang, nachdem wir den Kaffee getrunken, war nun zum Meere, was gar so verlockend vor unseren Augen sich ausbreitete, um ein Bad in demselben zu nehmen. Ein leichtes Boot von einem kräftigen türkischen [328] Ruderer auf wirklich sehr gewandte Weise geführt, brachte uns bald aus dem Gewühl von kleineren und größeren Schiffen, was dicht am Ufer herrschte, heraus, und etwas weiter in den Meerbusen, wo wir eine freie Stelle fanden, die sich vortrefflich zum Baden eignete. Daß übrigens das „schwarze Meer“ seinen Namen nicht ganz mit Unrecht führt, konnten wir jetzt, wo wir uns auf und in demselben befanden, besser erkennen, wie am gestrigen Abend, als wir es, von der Abendsonne vergoldet, zuerst aus der Ferne gesehen hatten. Die Farbe desselben hat etwas sehr dunkeles, geht fast in das Schwarzgraue über und weicht so sehr von den viel helleren Schattirungen ab, welche die sonstigen Meere in der Regel zeigen. Es wachsen hier nämlich am Boden des Meeres viele dunkel gefärbte Seegräser und andere Pflanzen, deren Widerschein dem Wasser diese düstere Färbung verleiht. Wie klar und leicht ist z. B. das Wasser im Meerbusen von Genua gegen das hier von Varna.

Die Rhede dieses Hafens ist übrigens in vieler Hinsicht vortrefflich und bietet durch die weit in die See sich hineinstreckenden Landzungen den Fahrzeugen einen sicheren Schutz gegen die Nord- und Westwinde, welche die Schifffahrt auf dem „schwarzen Meer“ oft so sehr gefährlich machen, daher Varna mit zu den besten Hafenplätzen desselben gezählt wird. Ganz große, tiefgehende Kriegsschiffe können nicht bis dicht an die Stadt heran, da das Wasser hier zu flach wird, für gewöhnliche Kauffartheischiffe und Korvetten und mäßige Dampfer reicht die Tiefe vollkommen aus. Dieser gute Hafen, verbunden mit den sonstigen Vorzügen seiner Lage, macht auch, daß Varna mit zu den bedeutendsten Handelsstädten der europäischen Türkei gerechnet werden kann. Zwar hat Rußland Varna 1828 möglichst zu zerstören gesucht, da es einen Rival von Odessa in demselben sah, doch erholte sich die Stadt seit jener Zeit schon ziemlich wieder. Es sind mehrere fremde Handlungshäuser hier etablirt, und österreichische, englische und griechische Handelsfahrzeuge besuchen den Hafen alljährlich in großer Anzahl. Besonders jetzt war ein wirklich reges Gewühl in demselben, denn der Ausbruch des Krieges zwischen Rußland und der Türkei stand täglich zu erwarten und so galt es denn die letzten Augenblicke zu benutzen, bevor die russische Flotte den Hafen vielleicht gänzlich sperrte. Viele der in den Tagen, die ich in Varna verweilte, einlaufenden Schiffe hatten freilich keine Waaren des friedlichen Handels, sondern Werkzeuge des Krieges am Bord. Türkische und ägyptische Kriegs- und Handelsschiffe brachten Waffen, besonders auch schwere Geschütze aus den Gießereien von Constantinopel, Bomben, Vollkugeln und Pulver, Andere hatten wieder lebendige Ladungen von Soldaten am Bord. So war denn in den engen schmutzigen Straßen der Stadt oft ein solches Gedränge von Soldaten, Lastträgern und bulgarischen Bauern mit ihren plumpen, mit Büffeln bespannten Karren, welche die Sachen von hier nach Schumla und Silistria weiter schaffen sollten, daß man oft nur mit äußerster Mühe durch das Gewühl hindurchdrängen konnte. Wirklich gar manche interessante Genrebilder aller Art konnte man hier sehen, obgleich man dieselben wieder mit vielen und oft nicht geringen Unannehmlichkeiten erkaufen mußte.

Da wir uns doch einmal im Hafen befanden, so war es mit unser erstes Geschäft nach dem Bade, eine türkische Fregatte, die auf der Rhede vor Anker lag, zu besehen. Unser kleiner Kahn, mit dem wir zum Baden gefahren waren, konnte uns Alle, die wir zur Fregatte fuhren, denn außer unserem Dollmetscher hatten noch zwei türkische Artillerieoffiziere sich uns bei dieser Fahrt angeschlossen, nicht aufnehmen und so nahmen wir denn ein größeres Boot, das mit acht Ruderern bemannt war. Es waren Inselgriechen, welche uns fuhren, hübsche, gewandte Burschen, mit klugen und lebendigen Gesichtern, die ihre langen, schmalen Ruder so geschickt und tactmäßig zu handhaben wußten, daß unser leichtes Boot wie ein Pfeil schnell durch die dunkeln Fluthen schoß. Ich bin gewiß nichts weniger als ein Verehrer der Griechen und gehe denselben gerne so weit ich nur kann aus dem Weg, aber als geschickte und kühne Seeleute habe ich dieselben stets gefunden. Von allen den zahlreichen Völkern, welche die Küsten und Inseln des Mittel- und des „schwarzen Meeres“ bewohnen, sind die Griechen wohl unbedingt mit die besten Seeleute und nach ihnen die Genuesen, die schlechtesten aber gewiß die Neapolitaner.

Obgleich die türkische Fregatte, die Truppen gebracht hatte und jetzt schon wieder nach Constantinopel zurücksegeln wollte, ziemlich weit auf der äußersten Rhede lag, brachte uns unser Boot doch in kürzerer Zeit an Bord derselben, wie dies wahrscheinlich irgend wie andere Ruderer, Engländer und Norweger ausgenommen, gethan hätten. Die Fregatte, ein Schiff von 48 Kanonen, – sie ist seitdem bei Sinope mit zerstört – sah von Außen fast eben so ordentlich und gut gehalten aus, wie ein Kriegsschiff irgend einer andern Nation, und auch die Takellage war, so weit ich es wenigstens als Laie im Seewesen beurtheilen konnte, vollkommen in Ordnung. Unser englischer Seeoffizier wollte freilich nicht Alles ganz nach seinem Geschmacke finden und sagte mir, dies Tau müßte straffer angespannt und jene Rae anders gerichtet sein, erklärte sich aber doch, in Betracht, daß es nur ein türkisches und kein englisches Schiff sei, so ziemlich mit dem Ganzen zufrieden. Eine etwas schadhafte, kleine hölzerne Treppe, die in Haken hing, wurde uns vom Verdeck heruntergeworfen, und mit großer Willfährigkeit empfing uns sogleich am Bord der Commandant des Schiffes. Es war noch ein ziemlich junger, sehr kräftig aussehender Mann, unbedingt der schönste und stattlichste Türke, den ich je gesehen habe. Ein prächtiger Bart von einem seltenen glänzenden Schwarz umschloß sein ungemein edel geformtes Gesicht mit der gebogenen Römernase und den dunkelen, feurigen Augen und wallte ihm in zierlicher Kräuselung, bei der wahrscheinlich die Kunst das Ihrige mit gethan hatte, bis auf die Mitte der Brust herab. Sein Anzug bestand aus einem dunkelblauen Oberrock von militärischem Schnitt, weiten, blauen Pantalons, rothen Maroquinstiefeln und dem nie fehlendem rothen Fez, mit einer kleinen Diamant-Agraffe, dem Zeichen seines Ranges, an demselben. An einem dünnen, rothseidenen Gurt trug er einen kleinen gekrümmten Säbel in prächtiger, mit Gold verzierter Maroquinscheide, der Griff mit blitzenden Steinen ganz besetzt. Der Capitain, der einige Zeit in Toulon gewesen war, konnte etwas Französisch radebrechen und gebrauchte, uns zu Ehren, bisweilen einzelne französische Phrasen, fiel aber bald immer wieder in das Türkische zurück, so daß Stephan-Gregorio dann als Dolmetscher aushelfen mußte. Uns in seine Kajüte zum Frühstück zu begeben, war sogleich die Einladung des Schiffsbefehlshabers und da uns das Bad und unsere Fahrt ziemlich hungrig gemacht hatten, so leisteten wir dieser gastlichen Einladung auch recht gern Folge.

Die Kajüte, die sich im Spiegel der Fregatte befand, war nach türkischem Geschmack sehr elegant eingerichtet und sah ungleich besser aus, als das Gemach des Pascha, in das wir z. B. in Rustschuk geführt waren. Ein schöner Teppich bedeckte den ganzen Fußboden, und niedere, mit rothem Wollendamast überzogene Divans liefen rings an den drei Wänden herum, während der Plafond aus weißer, mehr reich wie gerade geschmackvoll vergoldeter Holztäfelung bestand. Eine vollständige Sammlung sehr schöner und kostbar mit Gold und Steinen verzierter Waffen hing an der einen Kajütenwand und fesselte die Aufmerksamkeit der Eintretenden.

Dem Capitain schien es Freude zu machen, daß wir sogleich großes Wohlgefallen an diesen Waffen fanden, und bereitwillig nahm er die einzelnen Stücke herab und gab sie uns in die Hände, damit wir sie bequemer besehen konnten. Es waren Handschars (breite, dolchartige Messer), mehrere krumme Säbel und auch reich ausgelegte Pistolen darunter, so daß die Sammlung gewiß einen bedeutenden Werth hatte. Das Prachtstück derselben war ein alter, ziemlich schwerer krummer Säbel mit einer der berühmten schwarzen Klingen, wie sie früher in Damascus verfertigt wurden. Der Capitain hieb einen dicken eisernen Nagel, der in der Wand eingeschlagen war, ohne Weiteres damit durch, als wenn es nur ein weicher Holzstift gewesen wäre, ohne daß die treffliche Klinge auch nur die mindeste Scharte bekommen hätte. Nicht ohne ein wohlgefälliges Lächeln hörte er die aufrichtigsten Lobsprüche an, die wir sowohl seiner Geschicklichkeit wie auch der Güte des Säbels spendeten, und die Stephan-Gregorio übersetzte und sagte uns, den Säbel würde er führen, wenn es nur erst gegen die verhaßten „Moskows“ (Russen) in den Krieg ginge. Die russischen Kanonen bei Sinope haben diesen kriegerischen Wünschen ein baldiges Ende gemacht, und der muthige Capitain sammt seiner tüchtigen Fregatte und den prächtigen Waffen ruht jetzt schon lange in dem kühlen Schooß des schwarzen Meeres, denn wenigstens den Zeitungsnachrichten nach soll dieselbe mit in die Luft geflogen sein. Wer weiß, ob nicht der Capitain selbst, mit einer jener glänzenden Pistolen, den letzten Schuß in die eigene Pulverkammer that, als er sein Fahrzeug nicht mehr retten konnte, damit die von ihm so bitter gehaßten Russen nicht den Triumph haben sollten, als Sieger am [329] Bord desselben zu kommen. Der Mann sah immer schon so aus, als könne er solch einer heroischen That fähig sein.

Nächst der Waffensammlung fesselten unsere Aufmerksamkeit mehrere kleine Tische, auf denen Seekarten, ein Kompaß, ein Sechstant und andere derartige Seeinstrumente, ein großes Sprachrohr und mehrere größere und kleinere Fernröhre lagen. Alle Instrumente waren aus bekannten englischen Werkstätten, und sahen sehr gut erhalten aus.

Nachdem wir so die Einrichtung der Kajüte besehen hatten, nahmen wir auf Einladung des Capitains, der sich selbst auch auf europäische Weise setzte, auf den Divans Platz. Mit einer kleinen silbernen Pfeife that derselbe jetzt einen hellen Pfiff, und sogleich traten zwei Neger, ganz in rothe Hosen und Jacken gekleidet, mit schon brennenden Tschibuks (Pfeifen) herein und steckten einem Jeden von uns die Spitze derselben in den Mund. Die Röhren der Pfeifen, wohl fünf bis sechs Fuß lang, waren von Weichselholz, in der Mitte mit einem rothseidenen, goldgestickten Handgriff verziert, die kleinen Köpfe ohne Deckel von rothem gebrannten Thon, die langen, breiten Spitzen von hellem glänzenden Bernstein. Als der Capitain sah, daß ich als Nichtraucher mich begnügte, nur den Dampf in die Lust zu paffen, lächelte er darüber und ließ mir durch den Dolmetscher, der sich übrigens nicht mit setzen durfte und auch keine Pfeife bekam, sagen, ich solle mich nur nicht geniren und die Pfeife weglegen, wenn ich nicht rauchen könne oder möge, was ich denn auch ohne Weiteres that.

Landungsplatz in Varna.

Nach aufgehobener Tafel, deren Schluß starker, heißer Kaffee in ganz kleinen Porzellantassen ohne Henkel, die in einer metallenen Untersatzschaale ruhten, bildete, besahen wir uns nun unter der Führung unsers gefälligen Wirthes das Innere der Fregatte genauer. So gut wie die englischen, französischen, holländischen, sardinischen, nordamerikanischen und dänischen Kriegsschiffe, die ich im Verlauf meiner Reisen gesehen hatte, gefiel mir diese Fregatte freilich nicht; mit den russischen Kriegsdampfern, die ich vor einigen Jahren in Swinemünde sah, konnte sie es aber in jeglicher Hinsicht vollkommen aufnehmen. Die Geschütze waren in guter Ordnung und von schwerem Kaliber, obgleich die neueren Erfindungen zum schnelleren Abfeuern derselben noch nicht sich dabei angebracht zeigten: auch die Enterwaffen der Mannschaft waren in brauchbarem Zustande. Die Leute selbst schliefen übrigens nicht in Hängematten, wie dies auf europäischen Kriegsschiffen der Fall ist, sondern kleine Stücke von einem groben Teppich, aus Kuhhaaren und Wolle, die bei Tage ausgerollt, des Nachts aber zwischen die Geschütze gelegt wurden, bildeten ihre Schlafstellen. Auch die Kajüten der Schiffsoffiziere und des Arztes, eines Armeniers, zeichneten sich durch übergroße Einfachheit ihres Mobiliars aus, wie denn auch die Reinlichkeit in allen Räumen lange nicht so groß war, wie dies auf nordeuropäischen Kriegsschiffen der Fall zu sein pflegt. Die Mannschaft selbst, wie uns der Capitain sagte, größtentheils aus den türkischen Besitzungen am adriatischen Meere her gebürtig, sah im Ganzen nur klein und etwas schwächlich aus, obgleich auch wieder einzelne sehr kräftige Gestalten sich darunter befanden. Auffallend waren uns die vielen jungen Bursche von sechzehn bis achtzehn Jahren, die unter den Matrosen waren, dann aber auch wieder mehrere Grauköpfe. Eine bestimmte Uniform, mit Ausnahme des rothen Fez, der oft aber schon so schmierig aussah, daß man seine Farbe kaum noch erkennen konnte, trugen die Matrosen nicht. Die Meisten hatten blaue oder braune baumwollene Hemden, die vorn an der Brust offen waren, und kurze weite Hosen von Segelleinwand an, die aber nur bis an das Knie reichten. Der übrige Theil des Fußes war bloß, und schienen die Fußsohlen förmlich mit einer dicken Hornhaut schon überwachsen zu sein. Da es gerade die Zeit der Mittagsmahlzeit war, so hatten wir Gelegenheit, die Mannschaft essen zu sehen. Um einen Kessel mit Reis hatten sich acht bis zehn Mann auf dem bloßen Verdeck, denn Tische und Bänke befanden sich im Mannschaftsraume nicht, auf den Hacken gekauert, und langten nun, Einer nach dem Andern mit der hohlen Hand in den Reis hinein, auf diese einfache Art die Portion zum Munde führend. Holzkannen mit Wasser standen auch an den Wandecken umher, aus denen dann die Matrosen, so wie sie durstig wurden, mit einem hölzernen Becher sich Wasser herausschöpften und gleich auf der Stelle austranken. Zweimal in der Woche erhalten die Leute nur ein einziges Stücklen Fleisch, sonst leben sie ausschließlich von Reis, Hirse, Bohnen und schlechtem Brot, ohne dabei die mindesten geistigen Getränke zu bekommen. Man dürfte in der That wenig Menschen finden, die so geringe Lebensbedürfnisse haben, und so wenig zu erhalten kosten, als diese türkischen Matrosen, wie denn überhaupt eine ungemeine Frugalität in allen materiellen Genüssen mit zu den vielen lobenswerthen militairischen Eigenschaften der Orientalen gehört. Die Subordination auf diesem Kriegsschiff mußte übrigens sehr strenge sein, denn so wie nur der Capitain sich in einem Verdeck sehen ließ, sprang sogleich die gesammte Mannschaft schnell von ihren Speisekesseln auf, und stellte sich reihenweise an den Kanonen hin, und erst wenn derselbe es ausdrücklich erlaubte, kauerten sie sich wieder auf ihren Plätzen nieder. Auch die Offiziere und Unteroffiziere näherten sich in einer sehr respectvollen Stellung ihrem Befehlshaber.

Sehr befriedigt von der freundlichen Aufnahme des Schiffscapitains [330] und auch im Allgemeinen von dem was wir gesehen hatten, verließen wir gegen drei Uhr Nachmittags die Fregatte wieder, um an das Land zu fahren. Ein ziemlich heftiger Wind, der dazu uns noch entgegenstand, hatte sich erhoben, und die Wellen gingen so hoch, daß unser leichtes Boot tüchtig von ihm hin und her geworfen wurde. Einer unserer Begleiter, ein türkischer Artilleriehauptmann, der noch nie auf dem Meere gewesen war, konnte diesen Kampf der Elemente nicht ertragen und wurde plötzlich in einem so hohen Grade seekrank, wie ich es selten noch von einem Menschen gesehen habe. Wirklich in völlig bewußtlosem Zustande lag der Türke zuletzt auf dem Boden unseres Bootes und wir fürchteten fast, er würde uns noch während der Fahrt sterben. So wie er aber nur erst wieder auf dem festen Boden war, erholte er sich ungemein rasch und kaum war eine halbe Stunde vergangen, so fühlte er sich schon völlig gesund. Mit fast übermenschlichen Anstrengungen mußten unsere Ruderer übrigens arbeiten, um uns endlich nach 11/2stündiger Fahrt wieder an das Land zu bringen. Sie legten sich dabei so mit der vollen Kraft ihres Körpers in die Ruder, daß ich stets glaubte, dieselben müßten zerbrechen. Ein Extratrinkgeld von einigen Piastern, was wir ihnen versprachen, erhöhte ihre gute Laune aber so, daß sie, trotz dieser harten Arbeit, sangen und lachten. Welch’ tollkühne und dabei doch kaltblütige Seeleute die Engländer aber besonders im stürmischen Wetter sind, davon konnten wir uns während dieser Fahrt auch wieder so recht überzeugen.

Eine kleine englische Kauffarthei-Brigg, die von Odessa kam, wollte in den Hafen von Varna gerade einlaufen, und da der Capitain derselben es sich in den Kopf gesetzt hatte, vor einem größeren österreichischen Barkschiff, was auch im Ansegeln war, vorbeizufahren, so ließ er trotz des schweren Wetters seine Segel nicht so weit einziehen oder doch wenigstens reffen, wie es nöthig gewesen wäre. Mit rasender Schnelligkeit, wie ich sie in der Art noch nie bei einem Segelschiff gesehen habe, kam der Engländer daher gejagt, und wir glaubten wiederholt, das Schiff müsse kentern, so ging es auf die Seite, wenn der so in Stößen stürmende Wind gerade so recht die vollen Segel faßte. Es war wirklich ein großes Beispiel von tollkühnem Leichtsinn, und selbst unser englischer Seeoffizier, so sehr er sich auf der einen Seite auch über den Muth seiner Landsleute freute, schüttelte doch auch wiederholt unwillig den Kopf und meinte, „hat der nicht besonders gute Matrosen, die trotz des Sturms zur rechten Stunde die Segel einziehen können, und paßt der Mann am Steuerruder nicht auf, als wenn er zehntausend Augen im Kopfe hätte, so muß er dort an jenem Vorgebirge scheitern.“ Aber der englische Schiffscapitain war seiner Sache gewiß, und gerade in dem rechten Augenblick drehte das Schiff scharf herum, die Segel verschwanden, als wenn sie durch, eine Maschine und nicht durch Menschenhände eingeholt wurden, und gewiß über eine halbe Stunde früher wie der Oesterreicher hatte der Engländer seinen Ankerplatz erreicht. Unser englischer Seeoffizier war über dies Manöver jetzt so erfreut, daß er mich beredete, sogleich mit ihm am Bord des Kauffahrers zu fahren, da er dem Capitain desselben seine Lobsprüche darüber sagen müsse, was denn auch geschah. Es war dies ein kleiner, rothbäckiger, munter aussehender Engländer von der Nordküste, dem es sehr zu schmeicheln schien, daß der Seeoffizier seine muthige und gewandte Führung des Schiffes so lobte (die Assecuradeure hätten wahrscheinlich andere Gesichter dazu gemacht) und der uns sogleich mit einem Glase steifen Grog bewirthete. Auch die Mannschaft, zehn oder elf Köpfe stark, bestand aus tüchtigen Matrosen, wahre Prachtexemplare der britischen Theerjacken. Der Seeoffizier gab ihnen eine Guinee, um davon die Gesundheit Ihrer Majestät der Königin Victoria zu trinken, was sie denn auch bereitwillig versprachen. Als er ihnen sagte: „Aber, Jungens, wenn es nun wirklich zum Kriege mit den Russen kommen sollte, dann müßt Ihr auch Dienste auf Ihrer Majestät Kriegsschiffen nehmen,“ antwortete Einer der Matrosen ihm lachend: „Ja, Ew. Gnaden, auf den Kriegsschiffen ist freilich nicht allzu gut dienen, denn die Katze mit den neun Schwänzen läßt sich da eben so oft wie das Grogglas sehen, kommt es aber zu einem tüchtigen Kriege, na, da muß man für Altenglands Ehre schon ein Uebriges thun und Dienste nehmen. Aber das „alte Karlchen“ müssen wir dann auch zum Admiral haben, unter dem hab’ ich schon früher gedient und das ist ein anderer Kerl wie hier der Dundas, der da immer herumlungert und mit seinen Schiffen sich nicht auf das schwarze Meer traut. Wäre Karlchen hier, der würde es anders machen. Ja, so ist es, Ew. Gnaden, das können Sie mir glauben,“ wiederholte noch einmal lachend der Matrose, und seine Kameraden stimmten ihm darin bei. Ein anderer Matrose meinte: „Ah, Ew. Gnaden, bald hätte ich Sie doch gar nicht mehr wiedergekannt. Wissen sie wohl noch, wie wir die langzöpfigen Chinesen zusammenarbeiteten, da waren Sie noch so ein Ding von einem „Midshipman“ und jetzt sind Sie so ein schmucker Herr Offizier geworden.“ Der Lieutenant erkannte jetzt auch den braungebrannten, verwetterten Matrosen wieder, der mit ihm im chinesischen Kriege auf ein und demselben Schiff gedient, und gab nun noch eine Extra-Guinee zum Trinken her, so daß wir unter einem dreimaligen lauten Hurrah der Mannschaft endlich vom Bord des Kauffahrers wieder abstießen.

Von der Seeseite her kann man übrigens die feste Lage von Varna theilweise besser wie nah vom Lande aus erkennen. Die Ufer sind fast durchgängig so steil und felsig, daß eine Landung außer unter den Kanonen der Festung ganz unmöglich ist, und besonders das südlich vom Hafen liegende Vorgebirge bildet eine steile, jäh in das Meer abfallende Felsenwand. Von der Landseite aus tragen die vorhin erwähnten Sümpfe und Niederungen sehr viel zur Befestigung der Lage bei und müssen die Belagerungsarbeiten des Feindes ungemein erschweren. Die Russen haben 1828, als sie die Festung endlich einnahmen, dieselbe auf jede mögliche Weise zerstört. Nicht allein, daß sie alle Festungswerke völlig vernichteten, sondern sie sollen auch möglichst viel größere Privathäuser zerstört haben. Mit der gewöhnlichen apathischen Sorglosigkeit, welche die Türken so sehr besitzen, sobald sie nicht zu Anstrengungen förmlich gezwungen werden, haben diese die Befestigung von Varna, obgleich dasselbe nebst Schumla den Schlüssel zu Constantinopel bildet, lange Jahre sehr vernachlässigt und erst seit 1850, wo der Krieg gegen Rußland immer wahrscheinlicher wurde, einige Sorgfalt auf ihre Wiederherstellung und Verbesserung verwandt. Jetzt grade, noch so vor Thorschluß, arbeiten mehrere Tausend Arbeiter an den Werken, und da geschickte fremde Ingenieur-Offiziere die Leitung der Befestigungsarbeiten hatten, und die natürliche Lage ungemeine Vortheile darbot, so sind Werke entstanden, deren Einnahme den Russen wahrlich nicht leicht sein dürfte. Sollte es wirklich im Verlauf des Krieges einem russischen Armeecorps gelingen, bis gegen Varna vorzudringen, und dies dürfte nicht zu den Unmöglichkeiten gehören, so wird es gewiß noch viele, viele Opfer kosten, bevor die Einnahme wirklich geschehen ist. Noch jetzt sieht man in der Umgebung derselben ebenso als wie bei Schumla lange Reihen hoher, üppig begraster Hügel, unter denen die Tausende von russischen Soldaten ruhen, die im Kriege von 1828–29 hier als Opfer fielen, und sollte es wieder zur Belagerung dieser beiden Festungen kommen, so dürfte die Zahl derselben noch gar sehr vermehrt werden. Entweder über Varna oder über Schumla, was übrigens noch ungleich besser befestigt ist, muß die russische Armee aber marschiren, wenn sie wirklich den kühnen Gedanken haben sollte, sich Constantinopels zu bemächtigen, andere Wege dahin führen nicht über den Balkan. Welche unermeßlichen Opfer von Menschen, Pferden und Kriegsmaterial aller Art den Russen die Feldzüge von 1828 bis 29 gekostet haben, davon erzählten uns wiederhohlt Einwohner dieser Gegenden, die Augenzeugen gewesen sind. Damals aber war den Russen die Verbindung mit ihrer Kriegsflotte frei, und von Odessa und Sebastopol konnten zur See Vorräthe aller Art leicht herbeigeschafft werden, während in dem jetzigen Kriege die englisch-französische Flotte dies völlig unmöglich macht. Gerade hierin besteht mit der Hauptnutzen, welchen diese Flotte im „schwarzen Meere“ leistet, denn ein wirklich erfolgreiches Bombardement von Sebastopol dürfte wohl zu den Unmöglichkeiten gehören.

(Schluß folgt.)
[331]
Haben die Dampfmaschinen dem Handarbeiter geschadet?

Franz Arago, einer der berühmtesten Naturforscher aller Zeiten und Länder, der zugleich auch einer der kühnsten und edelsten Volksfreunde war[2], hat jene hochwichtige Frage einer genauen Prüfung unterzogen und thatsächlich dargethan, daß die Dampfmaschinen dem Handarbeiter nicht allein durchaus nicht geschadet, sondern sogar noch genützt haben; daß sie das mächtigste, unmittelbarste und wirksamste Mittel waren, um die Arbeiter grausamen Leiden zu entziehen und sie zur Theilnahme an einer Fülle von Gütern zu berufen, welche sonst das ausschließliche Eigenthum des Reichthums hätten bleiben müssen. Einige der schlagendsten Thatsachen für diese seine Behauptung, entnehmen wir einer umfassenden Entwickelung derselben, aus seiner Gedächtnißrede auf den Einführer der Dampfmaschinen, James Watt; dieselbe befindet sich im ersten Bande der durch A. von Humboldt eingeführten sämmtlichen Schriften Arago’s, die in deutscher Originalausgabe bei Otto Wigand in Leipzig erscheinen und auf die wir ebenso alle Freunde der Naturwissenschaft, wie alle Gesinnungsgenossen aufmerksam machen.

Millionen von Arbeitern, – so beweist Arago – führen heutzutage an der Oberfläche und in den Eingeweiden der Erde unermeßliche Arbeiten aus, auf die man gänzlich verzichten müßte, wenn gewisse Maschinen aufgegeben würden. So z. B. erfordert das Wegschaffen des Wassers, welches in den Stollen der Gruben blos in Cornwell (England) hervorquillt, täglich die Kraft von 50,000 Pferden oder von 300,000 Menschen. Der Lohn für so viel Menschen würde natürlich den ganzen Gewinn der Ausbeute verzehren. Die Arbeit würde also unterbleiben, und Tausende, die jetzt dadurch beschäftigt werden, würden es nicht sein; abgesehen von dem Verluste, den das allgemeine Kapital durch das Liegenbleiben jener Reichthümer hätte; abgesehen von dem Verluste, den andere Arbeiter dadurch erleiden müßten, daß sie jene Reichthümer nicht verarbeiten könnten. Ein anderes Beispiel: Die Bedienung eines einzigen Kupferbergwerks in Cornwell erfordert eine Dampfmaschine, die mehr als 300 beständig angeschirrte Pferde leistet und verwirklicht alle 24 Stunden die Arbeit von tausend Pferden. Es bedarf nun wohl keiner Widerlegung, daß es kein Mittel giebt, mehr als 300 Pferde oder 2–3000 Menschen gleichzeitig und zweckmäßig an der engen Mündung eines Schachtes arbeiten zu lassen. Jene Maschine verbannen, hieße also auch hier wieder: die große Anzahl von Arbeitern, deren Beschäftigung sie möglich macht, in Unthätigkeil versetzen und das Kupfer und Zinn was sie heraufholt, ewig begraben halten. – Von den Arbeiten, die eine so gewaltige Kraftanstrengung erfordern, zur Prüfung verschiedener Industrieerzeugnisse übergehend: wo ist da z. B. die geschickte Spinnerin, die aus einem einzigen Pfunde roher Baumwolle, einen 53 französische Meilen langen Pfaden ziehen könnte, wie dies die berühmte Mule-Jenny Maschine vermag? Und wenn wir nun auch Alles bedenken, was gegen die Mousseline, Spitzen und Tülle, zu deren Verfertigung jene Fäden gebraucht werden, angegeben wurde: so muß man sich dafür an die Käufer, aber nicht an die armen Proletarier halten, deren Existenz auch wohl in großer Gefahr wären, wenn sie ihre Kräfte verbrauchten, um für die Damen statt des vornehmen Tülls grobe Wollenzeuge zu verfertigen. Die Berechnung der Anwendung der Maschinen statt lebender Wesen, ist seit einigen Jahren zu oft wiederholt worden, als daß man nicht schon jetzt die allgemeinen Ergebnisse, mitten unter einigen zufälligen Unregelmäßigkeiten, erkennen könnte. Diese Ergebnisse sind folgende:

Durch die Ersparniß an Tagelohn gestatten die Maschinen eine wohlfeilere Fabrication; die Wirkung der größeren Wohlfeilheit ist eine Vermehrung der Nachfrage; diese Vermehrung ist so groß, daß, trotz des unbegreiflichsten Herabgehens der Preise, der Verkaufswerth der ganzen producirten Waarenmasse jedes Jahr den Werth übertrifft, den dieselbe vor der Vervollkommnung der Dampfmaschine hatte; die Anzahl der Arbeiter, welche jeder Erwerbszweig beschäftigt, wächst mit der Einführung der Mittel einer schnelleren Fabrikation. Einen Beweis dafür aus einem andern Bereiche: man hat berechnet, daß in London vor Erfindung der Buchdruckerkunst, die ebenfalls als ein Teufelswerk verschrieen wurde, weil sie ein Paar hundert Abschreibern den Erwerb schmälerte, der Buchhandel nur zweihundert Menschen beschäftigte: heute zählt man sie nach Zwanzigtausenden. Die Baumwollenindustrie bietet noch größere Resultate: nach Erfindung der Arkwright’schen Walze, die die Finger der Spinnerinnen ersetzte, erhob sich die jährliche Produktion der Baumwollenmanufacturen Englands von fünfzig auf neunhundert Millionen Francs. In der einzigen Grafschaft Lancaster, liefert man jetzt jährlich für die Kattunwebereien eine Quantität Garn, welche Millionen geschickter Spinnerinnen nicht anfertigen könnten. Und obgleich in der Spinnerei Arkwright’s und Watt’s die mechanischen Hülfsmittel bis zum äußersten Grade der Vollendung getrieben sind, so sind doch jetzt 11/2 Millionen Arbeiter da beschäftigt, wo man vor jener Erfindung nur 50,000 zählte. – Im Jahre 1583 trugen in England nur Personen von hohem Range und großen Vermögen die theuern Strümpfe: seit William Lee’s Strumpfmaschine, ist unter Tausend kaum Einer, dem der außerordentlich billige Preis nicht gestattet, sich Strümpfe zu kaufen und eine unermeßliche Anzahl von Arbeitern in allen Ländern der Welt ist mit diesem Fabrikationszweige beschäftigt.

In Stockport hat die Verwendung des Dampfes statt der Kraft der Arme bei der Weberei, nicht verhindert, daß die Anzahl der Arbeiter in sehr wenigen Jahren um ein Drittel gewachsen ist.

Wir müssen auch stets das nicht zu stillende Verlangen nach Wohlbehagen bedenken, welches die Natur dem Menschen eingepflanzt hat; daß die Befriedigung einen Bedürfnisses auf der Stelle ein anderes Bedürfniß hervorruft; daß unser Begehren überall sich vermehrt, sobald die Gegenstände wohlfeiler werden, die es befriedigen können, und zwar in einer Weise, daß die schöpferische Kraft der mächtigsten Maschinen dahinter zurückbleibt.

Blicken wir nur allein auf die Kupfer- und Stahlstiche: der allergrößte Theil des Publikums entbehrte sie freiwillig, als sie theuer waren; ihr Preis verminderte sich – und Jedermann sucht sie. Sie sind ein unentbehrlicher Schmuck der besseren Bücher geworden; sie verleihen auch den mittelmäßigen eine Aussicht auf Absatz.

Man hatte den Untergang der Graveure mitleidsvoll angekündigt und nie sind sie zahlreicher, nie beschäftigter gewesen als jetzt.

Sagt man, daß die Maschinen das Anwachsen und die Verbreitung der Armuth nicht verhindert haben, so muß man das zugeben.

Wer wollte die Maschinen für ein Universalmittel ausgeben? Hat man jemals behauptet, daß sie das unerhörte Vorrecht hätten, Irrthümer und Leidenschaften fern zu halten, die Rathgeber der Fürsten auf die Wege der Mäßigung, Weisheit und Menschlichkeit zu lenken? Die Maschinen haben das Anwachsen der Armensteuer nicht erzeugt, haben es nicht erzeugen können; ja sie haben es gemildert; hier ein schlagender Beweis dafür: In der Grafschaft Lancaster, zu Manchester, Preston, Bolton, Warington, Liverpool, sind die Maschinen am Schnellsten, am Allgemeinsten eingeführt worden. Vertheilen wir nun den ganzen jährlichen Betrag der Armensteuer dort auf die Gesammtbevölkerung, so finden wir einen beinahe dreimal kleinern Betrag als durchschnittlich für alle anderen Grafschaften.

Niemals ist der Grundsatz bestritten worden, daß die Bevölkerung bei allgemeinem Wohlstande wächst und rasch sich vermindert in Zeiten des Elends. Nun hat sich die Bevölkerung des maschinenreichen Englands in den letzten dreißig Jahren durchschnittlich um 50 Prozent vermehrt und die sehr industriellen Städte Nottingham und Birmingham boten eine noch um 25 und 40 Prozent beträchtlichere Vermehrung dar. Manchester und Glasgow endlich, die im ganzen britischen Reiche in Bezug auf die Anzahl, Größe und Wichtigkeit der angewandten Maschinen die erste Stelle einnehmen, sahen in dem Zeitraume von dreißig Jahren ihre Bevölkerung um 150 und 160 Prozent sich vermehren.

Das war drei- oder viermal mehr als in Ackerbau treibenden Grafschaften und den Städten ohne Fabriken. Es ist nicht zu [332] leugnen, daß bei erster Einführung von Maschinen, in dem Augenblick wo sie die Handarbeiten zu ersetzen beginnen, gewisse Klassen von Arbeitern unter dieser Veränderung leiden. Ihr ehrenwerther, ihr mühsamer Erwerb ist fast plötzlich vernichtet. Selbst Diejenigen, welche in dem alten Verfahren am Geschicktesten waren, besitzen oft nicht die Eigenschaften, welche das neue Verfahren erfordert. Es ist selten, daß sie auf der Stelle dazu gelangen, sich wieder in andere Arten von Arbeiten hineinzufinden. Soll man daraus nun auch nicht folgern, daß die Welt stehen bleiben müsse, so soll doch die Welt nicht taub sein für die traurigen Ursachen des Fortschritts.

Die Staatsgewalt verfehlt selten, neue Erfindungen, auf welche sie immer ihr Auge gerichtet hatte, mit Steuern zu belegen; die ersten derselben sollten nun dazu dienen, um besondere Werkstätten zu eröffnen, wo plötzlich brotlos gewordene Arbeiter während einiger Zeit eine ihren Kräften und ihrer Einsicht angemessene Beschäftigung finden. Dieses Verfahren ist bisweilen mit Erfolg eingeschlagen worden; es bliebe also übrig, selbiges allgemeiner einzuführen. Die Menschlichkeit macht es zur Pflicht, eine gesunde Staatsweisheit räth es an; nöthigenfalls könnten auch schreckliche Ereignisse, deren Andenken die Geschichte aufbewahrt hat, dies Verfahren von Seiten der Vorsicht empfehlen.

Gemachten Einwürfen, daß die Fortschritte der Mechanik die arbeitende Klasse in gänzliche Unthätigkeit versetzen, sind ganz entgegengesetzte Schwierigkeiten gefolgt. Indem die Maschinen in den Fabriken alle schwere Arbeit beseitigen, gestatten dieselben, dort Kinder beiderlei Geschlechts in großer Anzahl zu beschäftigen. Habsüchtige Fabrikanten und Aeltern mißbrauchen oft diesen Umstand. Die Arbeitszeit überschreitet oft das vernünftige Maß. Gegen eine tägliche Lockspeise von acht bis zehn Centimes, giebt man Seelen, denen einige Stunden Unterricht viel genützt hätten, einer ewigen Verdummung preis; man verurtheilt zu schmerzlicher Verkrüppelung Organe, zu deren Entwickelung die freie Luft und die wohlthätige Wirkung der Sonnenstrahlen nothwendig gewesen wären.



Blätter und Blüthen.

Circassisches Lebens- und Sittenbild. Sobald wir in Bardan (dem Kaukasushafen am schwarzen Meere, von wo die schönen Circassierinnen nach Constantinopel exportirt werden, wie die Georgerinnen von Trebisond) an’s Land stiegen, sahen wir uns von einer großen Menge Circassier umgeben, die uns durch Wälder und Gesträuche und an Teichen hin in ein lang gestrecktes Gefilde führten, wo hölzerne Hütten sich erhoben – die Niederlassungen der Leute. (Wir übersetzen dies aus dem Briefe eines englischen Offiziers.) Sie waren sehr hübsch, groß, schön und zuthunlich und unterstützten uns auf jede Weise, als wir steile Hügel und Waldberge weiter landwärts bestiegen. Unterwegs trafen wir zwei junge circassische Damen, ziemlich vollmondig, aber von der weißesten Farbe und gefällig im Ausdruck. Einer unserer Führer rief ihnen zu, sie möchten ihre Gesichter bedecken. Doch waren sie zu aufgeklärt, diesem Befehle zu gehorchen, so daß sie uns mit derselben Neugier anstaunen konnten, wie wir sie. Die herrlichen Panoramen von Waldungen mit Dörfern dazwischen und schneebedeckten Gebirgen dahinter, will ich nicht beschreiben. Als wir nach dem Meere herab zurückkletterten, begegneten wir einem nobel aussehenden alten Manne zu Pferde mit zwei wunderschönen Mädchen. Als er uns zuerst erblickte, zog er sein Schwert, doch da er uns unbewaffnet sah, nahm er wieder eine friedliche Position an und war ganz glücklich, als er hörte, daß wir Engländer seien. Dann kamen seine beiden Töchter und gaben Jedem von uns sehr reizend und treuherzig die Hand. Die eine war etwa zwölf, die andere vierzehn Jahre alt, die letztere von unbeschreiblicher Schönheit. Blaue Augen, weiße Haut, blondes Haar (Baron von Haxthausen weist in seinem Werke über den Kaukasus nicht nur deutsche Gestalten, sondern auch ganz altdeutsche Sitten und Gebräuche im Kaukasus nach, aus welchem Deutschland auch ursprünglich hervorging). Der alte Vater erzählte uns, daß seine beiden Töchter höchst glücklich sein würden, wenn wir 20,000 Piaster für sie gäben (etwa 1400 Thaler für Beide). Diese Circasserinnen sehnen sich im Allgemeinen eben so sehr nach Constantinopel oder sonst wohin an einen Herrn verkauft zu werden, wie ein deutsches Mädchen unter die Haube. Die schöne Blauäugige bewies dies ohne Weiteres durch ihren bittenden Blick, sie sehnte sich, an den Mann zu kommen. Zu Hause gehen sie in groben Kleidern in der Wildniß umher, werden aber meist in allen möglichen schönen Künsten, besonders in Musik, unterrichtet und mit Erzählungen von den goldenen Dächern, Gemächern und Kleidern Constantinopels erzogen. (Große Sittenstrenge soll dagegen unter den Kaukasiern der Landseite herrschen). Zwei Schiffe, die eben abgingen und denen Weiber und Mädchen aus Büschen hervor nachsahen, enthielten jedes 200 Stück frische Waare für Constantinopel, wie mir ein französischer Offizier erzählte. Die in dem einen Schiffe sollen mehr als 130,000 Thaler gekostet haben. Welch eine Quelle der Demoralisation für Aeltern schöner Töchter ist diese türkische Vielweiberei um’s ganze schwarze Meer herum. Andere Aeltern müssen sich abquälen und thun’s mit Vergnügen, um ihre Töchter mit „Mitgift“ auszustatten; hier erzieht man sie, um sie als Waare zu verkaufen und Geld aus ihnen zu lösen. – Ein Buch mit Ansichten Constantinopels entzückte alle unsere circassischen Gäste und ein Colt’scher Revolver, mit dem ich sechs Mal hinter einander schoß rief ein unendliches Gerufe: „Marschalloh! Marschalloh!“ und jauchzendes Gelächter hervor. Als der alte Vater der beiden Schönheiten ein Bild der „griechischen Sklavin“ erblickte, hielt er die Hand vor die Augen, wie die zarteste armenische Zierpuppe, derselbe alte Held, der seine Töchter gern verkaufen wollte. Die Circassier sind Aristokraten der Wildniß, so groß und schön sehen sie aus, so klein und zierlich sind Hände und Füße. In ihren gelben Kleidern und seidenen Ueberwürfen mit pistolengespickten Gurts sehen sie besser aus, als der geputzteste Zampa auf dem Theater.




Das Entenfangen mit Kürbissen. Das Entenfangen mit Kürbissen ist hier und da schon in Jagdkalendern und Zeitungen gewissermaßen als Scherz oder amerikanische Aufschneiderei beschrieben und behandelt worden, und doch besteht es und zwar sogar in verschiedenen Welttheilen, bei ganz verschiedenen Völkerstämmen und Nationen. Besonders wird es auf Java, und zwar hauptsächlich auf dem wirklichen Djara, der Osthälfte der Insel betrieben, wo in den offenen, von der See gefüllten Lagunen die Eingebornen gar nicht in Schußnähe an das scheue Geflügel hinankommen könnten.

Das Wasser muß aber zu dieser Jagd eine gewisse Tiefe haben, daß sie nämlich nicht zu schwimmen brauchen, sondern gehen können und die in der Nähe eines solchen natürlichen Teiches wohnenden Insulaner lassen nun, wenn sie merken, daß sich die Einen anfangen dorthin zu ziehen, eine Anzahl von Calebassen auf demselben wochenlang herumtreiben, ehe sie ihre Jagd beginnen. Die Thiere müssen sich erst förmlich an dieselben gewöhnen. Ist das geschehen, was gar nicht so lange dauert, so gleiten sie aus einem, ebenfalls schon dafür zubereiteten Versteck von Büschen in das Wasser, nehmen eine dieser Calebassen, in die kleine Löcher zum Durchsehen geschnitten sind, über den Kopf, und bewegen sich nun langsam und vorsichtig, etwa mit derselben Schnelle als eine von der Strömung oder dem Luftzug fortgeführte Calebasse der Stelle zu, wo sie eine Anzahl zusammen herumschwimmen sehen. Zwischen diesen treiben sie durch und fassen dann mit plötzlichem Griff die nächste bei den Füßen, ziehen sie unter Wasser, und stecken sie in einen, an ihrem Gürtel befestigten Sack; der nachfolgt die zweite, dritte und vierte und so weiter, so lange sie nur im Stande sind den ausersehenen Vogel auch fest zu packen und unter Wasser zu ziehen – die umherschwimmenden achten nicht darauf, oder kommen sogar noch eher zu der Stelle hin. Nur wenn der Fänger fehl greift, und die einmal berührte Ente wieder entkommt, ist die Jagd für den Tag vorbei, denn diese fliegt auf und die anderen folgen rasch dem Warnungsschrei.

Auf ganz ähnliche Art fängt auch der australische Wilde die Enten, nur daß er keine Calebassen hat. Auf dem Murray, dem Hauptstrom des Landes, halten sich das ganze Jahr hindurch zahlreiche Ketten von Enten, und in der That jedem anderen Wassergeflügel auf, und der nackte Wilde jener sonst ziemlich wildarmen Strecken weiß ihnen auf sehr geschickte Art beizukommen. Er geht bis an den Hals, oberhalb der Stelle, wo die Enten eingefallen sind, in’s Wasser, und deckt seinen Kopf so mit darum gebundenen Schilfbüscheln, daß er auf dem Wasser einem Busch irgendwo losgerissenen Schilfes gleicht, und treibt dann langsam mit der Strömung den Enten zu, die zu gewissen Tageszeiten entweder dicht am Ufer, oder auf im Strom liegenden Holz ruhig sitzen. In der Hand trägt er aber einen langen dünnen Stock, sehr häufig den zu diesem Zweck vorgerichteten Speer, an dessen unterm Ende eine dünne Schlinge befestigt ist. Ueber den Enten hält er, und weiß nun mit großer Fertigkeit die Schlinge gegen die Wasservögel hinzubringen, indem er fortwährend der Bewegung, die etwa die Strömung auf treibendes Schilf oder auf einen niederschwimmenden Stock ausüben könnte, treu bleibt. Jede Ente der er also im Stande ist, die Schlinge umzulegen, zieht er blitzschnell unter das Wasser, tödtet sie dort rasch, befestigt sie an einem, zu dem Zweck umgeschnürten Stück Bast, und fährt so lange damit fort, bis er ebenfalls einmal fehlgreift und dann die Enten, scheu gemacht, davon fliegen, wonach er sich etwas weiter im Strom niedertreiben läßt, bis er auf eine andere Kette kömmt.

Der Indianer ist, wie das Wild selber, scheu und listig, und beide ringen mit einander um ihre Existenz.

Fried. Gerstäcker.

  1. Sixtus V., einer der bedeutendsten Päpste, besonders als Regent und Staatsmann, hieß mit seinem Familiennamen Felix Peretti. Er erbob sich durch sein Genie vom Hirtenknaben, der Schweine hütete, bis zum Oberhirten der katholischen Kirche. Als Cardinal nannte er sich nach seinem Geburtsorte, Montalto, brachte es dadurch, daß er sich hinfällig und gebrechlich stellte, dahin, von seinen Collegen, welche nach einem beliebten Grundsatze gern schwache und ihrem Einflusse zugängliche Männer wählten, mit der dreifachen Krone bekleidet zu werden. Nach seiner Ernennung warf er aber noch in der Wahlkapelle die Krücken weg, richtete sich zum Staunen aller mit Kraft und Würde empor, und regierte mit kraftvoller Energie, ein Schrecken für das rauflustige und räuberische Gesindel, an dem das verwilderte Rom reich war. Er starb am 24. August 1590.
  2. Wir können hier nicht unterlassen, auf die bedeutungsvolle Thatsache hinzuweisen, daß die meisten Pfleger der wichtigsten, nützlichsten und freiesten aller Wissenschaften: der Naturwissenschaft, Fortschrittsmänner waren, die es immer mehr wurden, je weiter und tiefer ihre Wissenschaft sich ausbildete.