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Die Gartenlaube (1853)/Heft 39

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[417]

No. 39. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


 Der erste Kuß.[1]

 „– Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie
 nicht mehr an die Angst, um der Freude willen, daß
 der Mensch zur Welt geboren ist.“
 Ev. Joh. 16, 21.

O! gebt mir’s her! Gebt mir mein liebes Kind,
An seinem Anblick mir das Herz zu laben!
Ich will es sehn! O! gebt mir es geschwind! –
Welch süßes Glück, ein Kind, ein Kind zu haben! –

5
Das liebliche Gesicht! – Die runden Wangen! –

Der süße, holde, kleine, rothe Mund! –
Die Aeuglein hat der Schlummer schon umfangen!
Wie sehn sie aus? – Ihr Lieben, thut mir’s kund! –
Blau? – Nicht wahr? Blau, wie seines Vaters Augen?

10
So treu, wie seine sind, so klar und rein? –

Wie oft, wie gern werd’ ich die Blicke tauchen
In dieser lieben Aeuglein sanften Schein! –
Die hohe Stirn! die kühngeschwung’nen Braun!
Ja, ja! Das sind des Vaters theure Züge!

15
Nicht satt, nicht satt an dir kann ich mich schau’n! –

Den ersten Kuß! – Nun legt es in die Wiege!
O! bettet mir’s recht warm, recht sanft, recht gut,
Und rückt es mir recht nahe an die Seite!
Wie ist mir jetzt so wohl, so leicht zu Muth,

20
Als wär’ ich selber neugeboren heute! –

Versorgt mir ja mein Kind mit allem Fleiß! –
O! was seid ihr, ihr überstand’nen Schmerzen? –
Für solche Wonne kein zu hoher Preis!
Es ruht ein Kind, ein Kind an meinem Herzen!

25
Du holdes Wesen! Mag dich Gott behüten!

Er schließe in sein Vaterherz dich ein! –
Ich will dir eine treue Mutter sein! –
Mein Leben treibt nun tausend neue Blüthen! –
Mein lieber Mann! – Wie heiter glänzt dein Blick!

30
Gieb mir die Hand! – Ich hab’ dich nicht vergessen!

Es ist uns Beiden ja, das süße Glück,
Das uns des Himmels Gnade zugemessen.
Wie froh, wie selig, Theurer, wird es nun
Uns sein in unsers Hauses stillen Räumen! –

35
Ihr Lieben, laßt mich nun ein wenig ruhn.

Und von der Zukunft meines Kindes träumen!

  1. Probe aus einer demnächst erscheinenden Gedichtsammlung von Gustav Heubner: Mutter-Liebe und Leben.




[418]

Zu viel Blau

oder
Es heißt alles gemalt.

Früh an einem schönen Sommermorgen schritt ein alter Mann auf der Straße hin, die von Brüssel nach Namur führt. Er erwartete einen Freund, der mit der Diligence ankommen sollte, und hatte sich früher aufgemacht, als sie erwartet wurde, um ihr ein Stück Weges entgegenzugehen. Da er vollauf Zeit hatte, so betrachtete er Alles, was einiges Interesse darbot, und blieb endlich stehen, um der Arbeit eines Malers zuzusehen, der, auf einer an die Vorderseite eines Wirthshauses gelehnten Leiter stehend, emsig beschäftigt war, über der Thür ein Gemälde anzubringen, welches eine Illustration zu dem Namen des Wirthshauses lieferte. Dieses hieß nämlich: „der Sonnenaufgang.“

„Aha,“ sagte der alte Mann bei sich selbst, „da steht so ein ehrlicher Gurkenmaler, der von der Perspektive so viel versteht wie ein Karrengaul, und sich dabei einbildet, ein Rubens zu sein.

„Hui! wie er diesen Ultramarinhimmel hineinpinselt!“

Der Kritiker begann vor dem Wirthshause hin und her zu gehen und dachte, er könnte eben so gut hier auf die Diligence warten, als ihr noch weiter entgegengehen. Der Maler fuhr mittlerweile fort, immer neue Schichten von dem hellsten Blau aufzutragen, was den alten Herrn sehr zu ärgern schien.

Endlich, als der Schildmaler seinen Pinsel abermals in dem blauen Topfe füllte, konnte es der Zuschauer nicht länger aushalten und rief in heftigem Tone:

„Zu viel Blau!“

Der ehrliche Maler blickte von seinem hohen Standpunkte herab und sagte in jenem Tone erzwungener Ruhe, den ein Zorniger zuweilen annimmt:

„Der Herr sieht wohl nicht, daß ich einen Himmel male?“

„O ja, ich sehe recht wohl, daß Ihr einen Himmel zu malen versucht, aber ich sage Euch nochmals, es ist zu viel Blau darin!“

„Habt Ihr jemals einen Himmel ohne Blau gemalt gesehen, Herr Kunstliebhaber?“

„Ich bin kein Kunstliebhaber. Ich sage Euch blos im Vorbeigehen – ich mache die gelegentliche Bemerkung – daß zu viel Blau darin ist; aber macht was Ihr wollt. Immer streicht noch mehr Blau auf, wenn Ihr noch nicht genug davon aufgekleckst zu haben glaubt.“

„Aber ich sage Euch, ich will einen klaren blauen Himmel bei Sonnenaufgang darstellen.“

„Und ich sage Euch, daß kein Mensch, der seinen richtigen Verstand hat, einen Himmel bei Sonnenaufgang blau malen würde.“

„Bei der heiligen Gudula, das ist zu stark!“ rief der Maler, indem er von seiner Leiter heruntersprang und seinen Zorn nicht länger verhehlte; „ich möchte sehen, wie Ihr einen Himmel ohne Blau malen wolltet!“

„Ich mache keinen Anspruch auf große Geschicklichkeit, aber wenn ich eine Probe machen sollte, so würde ich nicht zu viel Blau anbringen.“

„Und wie würde es denn dann aussehen?“

„Naturgetreu, hoffe ich, und nicht wie Euer Himmel, der wohl für ein Kornblumenfeld oder ein Stück blaues Tuch oder sonst etwas angesehen werden kann, nur nicht für einen Himmel. Ich versichere Euch zum zehnten Male, es ist zu viel Blau darin.“

„Ich will Euch etwas sagen, alter Herr,“ rief der beleidigte Künstler, indem er seinen Lehnstock quer über die Schultern legte und ein sehr grimmiges Gesicht machte, „ich glaube, Ihr seid ein ganz guter Mann, aber man sollte Euch nicht allein herumlaufen lassen.“

„Warum nicht?“

„Warum nicht? Weil Ihr verrückt sein müßt, auf diese Weise den Kritiker spielen zu wollen. Zu viel Blau – ei seht doch! Was, ich der Schüler Ruysdael’s, der dritte Vetter von Gerard Douw’s Urenkel, ich soll nicht wissen, wie man einen Himmel colorirt? Wisset, daß mein Ruf schon längst begründet ist. Ich habe ein Rothes Roß in Mecheln gemalt, einen Grünen Bären in Namur und einen Karl den Großen in Aachen, vor welchen jeder Vorübergehende bewundernd stehen bleibt!“

„Dummes Zeug!“ rief der Kritiker, indem er dem Maler die Palette aus der Hand riß. „Ihr wäret werth, daß man Euer eigenes Bildniß mit Eselsohren als Schild eines Wirthshauses aufhinge!“

Mit diesen Worten stieg er flink und gewandt wie ein Knabe die Leiter hinauf und begann mit der flachen Hand das Meisterwerk des dritten Vetters von Gerard Douw’s Urenkel auszuwischen.

„Halt, halt, Ihr alter Prahler!“ schrie der Künstler, „Ihr ruinirt mein Schild! Es kostet fünfunddreißig Francs. Und mein Ruf – verloren! dahin auf immer!“

Er schüttelte heftig die Leiter, damit sein Tadler herabsteige. Dieser aber, ohne sich dadurch oder durch die Anwesenheit einer Menge durch den Streit herbeigelockter Dorfbewohner stören zu lassen, fuhr unbarmherzig fort, die schöne Landschaft zu vertilgen. Dann malte er, indem er sich blos der Fingerspitze und des Stiels eines Pinsels bediente, in meisterhaften Umrissen drei flämische Bauern mit Biergläsern in den Händen, der aufgehenden Sonne zutrinkend, welche über dem Horizont erschien und die Dunkelheit des grauen Morgenhimmels zerstreute. Eins der Gesichter war eine auffällige und lächerliche Karrikatur des übertroffenen Schildmalers.

Die Zuschauer waren anfangs sehr geneigt, die [419] Partei ihres Landsmannes gegen den Fremden zu ergreifen. Welches Recht hatte er, sich hier einzumischen? Diese fremden Reisenden wurden nachgerade zu unverschämt.

Als sie jedoch so zusahen, verstummte ihr unzufriedenes Murmeln allmälig und verwandelte sich in immer lautere Anzeichen des Beifalls, sowie die Zeichnung immer deutlicher hervortrat. Der Besitzer des Wirthshauses war der erste, welcher „Bravo!“ schrie und selbst Gerard Douw’s Vetter im neunten Gliede fühlte, wie seine Wuth in Bewunderung überging.

„O!“ rief er, „Ihr gehört zum Handwerk, ehrlicher Mann, und Ihr braucht es weiter nicht zu läugnen. Ja, ja,“ fuhr er lachend fort, indem er sich zu seinen Nachbarn wendete, „das ist ein französischer Schildmaler, der sich einen Scherz mit mir machen will. Aber ich muß offen bekennen, er versteht seine Sache.“

Der alte Mann stand im Begriff, von der Leiter herabzusteigen, als ein Herr, auf einem schönen englischen Pferde reitend, sich durch die Menge Bahn machte.

„Dieses Gemälde ist mein!“ rief er in französischer Sprache, aber mit fremdartigem Accent. „Ich gebe hundert Guineen dafür!“

„Wieder ein Verrückter!“ rief das einheimische Genie. „Der Teufel soll mich holen, wenn diese Fremden nicht alle einen Sparren zu viel haben!“

„Was meint Ihr, geehrter Herr?“ sagte der Gastwirth, den die Sache nicht wenig interessirte.

„Was ich sage – ich gebe hundert Guineen für dieses Gemälde,“ antwortete der junge Engländer, indem er vom Pferde stieg.

„Dieses Gemälde ist nicht zu verkaufen,“ sagte der Schildmaler mit so stolzer Miene, als ob es sein eigenes Werk wäre.

„Nein,“ sagte der Gastwirth, „denn es ist schon verkauft und sogar zum Theil im Voraus bezahlt. Indessen wenn der Herr einen Handel deswegen abschließen will, so hat er es mit mir zu thun.“

„Keineswegs, keineswegs,“ versetzte der flämische Schildmaler, „es gehört mir. Mein College hier hat mir aus Freundschaft ein wenig geholfen, aber das Gemälde ist mein rechtmäßiges Eigenthum und es steht mir frei, es zu verkaufen an wen ich will.“

„Welche Schändlichkeit!“ rief der Gastwirth. „Mein Sonnenaufgang ist mein Eigenthum und haftet fest an der Wand meines Hauses. Wie kann es Jemandem anders gehören? Niemand als ich hat das mindeste Recht daran.“

„Ich werde Euch vor Gericht fordern,“ rief der, welcher das Bild nicht gemalt hatte.

„Und ich werde Euch wegen Contractbruch verklagen,“ entgegnete der Gastwirth, der die Hälfte des bedungenen Preises schon bezahlt hatte.

„Geduld!“ rief eine andere energische Stimme, nämlich die des Eindringlings; „es scheint mir, als hätte ich in dieser Sache wohl auch ein Wörtchen mitzusprechen.“

„Sehr richtig, Herr College,“ antwortete der Maler. „Anstatt hier auf der Straße uns zu streiten, wollen wir lieber hineingehen und die Sache bei ein paar Flaschen Bier freundschaftlich schlichten.“

Damit waren alle Parteien einverstanden, leider aber nicht in allen übrigen Punkten, denn in der Stube ward der Streit immer hitziger und unter betäubendem Geschrei und Spektakel weitergeführt. Die Flamländer stritten für den Besitz des Gemäldes und der Engländer wiederholte sein Anerbieten, es mit Gold zu bedecken.

„Aber gesetzt, wenn ich nun nicht wollte, daß es verkauft werde?“ sagte der eigentliche Verfertiger.

„O mein bester Herr,“ sagte der Gastwirth, „Ihr werdet doch gewiß einem armen rechtschaffenen Mann, der sich nur mit Mühe und Noth durchschlägt, nicht um das bringen, was ihm hier das Glück zugeführt hat. Ich würde dadurch gerade in den Stand gesetzt, mir einen guten Vorrath von Wein und Bier in den Keller zu legen.“

„Glaubt ihm nicht, Herr College,“ rief der Maler, „er ist ein alter Geizhals. Ich bin Familienvater und da Ihr auch Maler seid, so müßt Ihr einen Kunstgenossen unterstützen und ihm den Vorzug geben. Ueberdies bin ich bereit, das Geld mit Euch zu theilen.“

„Was!“ sagte der Gastwirth, „Ihr seid ein alter Saufaus und habt nun kein Geld, um Eure Tochter auszustatten, weil Ihr Alles, was Ihr verdient, für Eure Gurgel braucht.“

„Das geht Euch nichts an; übrigens ist meine Susette mit einem rechtschaffenen jungen Tischlermeister verlobt, der, so arm sie auch ist, sie nächsten September heirathen wird.“

„Ihr habt eine Tochter auszustatten!“ rief der fremde Künstler; „das ändert die ganze Sache. Ich bin es zufrieden, daß das Gemälde verkauft und das Geld dafür dem Mädchen zur Aussteuer gegeben werde. Ich überlasse es der Großmuth unseres englischen Freundes, den Betrag festzusetzen.“

„Ich habe,“ antwortete der beste Bieter, „schon hundert Guineen für die Skizze, so wie sie ist, geboten, ich will aber gern zweihundert geben, wenn der Maler sich dazu versteht, das Gemälde am Fuße mit zwei Worten zu signiren.“

„Mit welchen Worten?“ riefen sämmtliche Streitende wie mit einer Stimme.

Der Engländer antwortete:

Louis David!

Die ganze Gesellschaft verstummte vor Erstaunen, denn Louis David galt damals mit Recht für den ersten Maler der Welt und sein Ruhm war auch bis in diese bescheidenen Kreise gedrungen. Der Schildmaler hielt den Athem an, riß die Augen auf, schlug ganz außer sich die Hände zusammen und fiel vor dem großen französischen Maler auf die Knie nieder.

„Verzeiht mir!“ rief er; „verzeiht mir meine freche Unwissenheit!“

David lachte herzlich, ergriff ihn bei der Hand und schüttelte ihm dieselbe mit dem freundlichsten Wohlwollen.

Mittlermeile hatte sich die Nachricht von dem Vorfalle verbreitet; das Wirthshaus füllte sich mit Leuten, [420] welche auf die Gesundheit ihres berühmten Gastes trinken wollten, und der gute alte Mann, der in der Mitte des Zimmers stand, stieß mit Allen freundlich an. Mitten in dieser heitern Scene schlang die Tochter des Schildmalers, die hübsche Susette, ihre Arme um den Hals ihres Wohlthäters und ihr Verlobter jagte durch die Heftigkeit, womit er die Hand des großen Künstlers schüttelte, eine ganze Wolke Sägespäne aus seiner Jacke.

In diesem Augenblick kam die Diligence an und mit ihr der erwartete Freund.




Die Perle der Antillen und der einsame Stern.

Oben ein tiefblauer Himmel, ausgespannt so weit das Auge reicht, unten das Meer mit seinen halb grünen, halb blauen Wogen, aus ihnen emporsteigend ein von üppiger Farbenpracht übergossenes Eiland – das ist Cuba, die Perle der Antillen, der letzte Edelstein, der der Krone Spanien aus dem reichen Diadem der ehemaligen Besitzungen in Amerika blieb. Unter unserm bleichen nordischen Himmel suchen wir vergeblich nach Farben, um eine der reizendsten Spannen der Erde auszumalen, eine Spanne der Erde, bei deren Schilderung selbst die üppige Phantasie der Südländer zur gemeinen Prosa wird.

Cuba ist jedoch nicht nur das reizendste Kleinod der Antillen, welche mit den Bahama-Inseln die Hauptgruppen Westindiens bilden, sondern es nimmt auch seinem Umfang nach den ersten Rang in den Inseln ein, welche geschlossen aneinander vor dem mexikanischen Meerbusen liegen. Cuba ist der Schlüssel zu Mexiko. Bei einem Flächeninhalte von circa 2200 Q.-M. dehnt es sich in einer Länge von 136 Meilen bei einer nur mittlern Breite von 15 Meilen aus. Die Küste ist reich an bequemen Ankerplätzen und Baien, während die Höhenzüge im Innern sich stellenweise bis an 8000 Fuß über die Meeresfläche erheben. Von den verschiedenen Hügelketten ergießen sich den Küsten zu zahlreiche Gewässer, von denen jedoch nur die wenigsten schiffbar sind. Mit edeln Metallen ist Cuba nicht gesegnet; seine Goldfelder liegen nicht unter, sondern über der Erde, aus welcher Taback, Zucker, Kaffee, Baumwolle, Cacao, Indigo, Reis, Mais und alle Südfrüchte in üppiger Fülle gedeihen. Die Thierwelt unterscheidet sich nicht von der europäischen. An der Grenze der Tropenzone gelegen hat Cuba schon alle Annehmlichkeiten des tropischen Klima’s, ohne dessen Beschwerden ausgesetzt zu sein. Der hügelige Charakter des Landes und die frischen Seewinde mäßigen die Hitze, gleichwohl werden die Küstengegenden mehr oder weniger von dem gelben Fieber heimgesucht, das seine Opfer hauptsächlich unter den Fremden herausliest.

Die Hauptstadt Cuba’s, der Sitz des Generalkapitäns und aller höhern Behörden ist Havanna, von den Spaniern San-Cristobal de la Habanna genannt, an einer Bai der Nordwestküste im blühendsten Theile der Insel gelegen, umringt von einem Kranze prachtvoller Landhäuser und Ortschaften, die zwischen Kaffeepflanzungen, feenhaften Gärten und riesigen Palmenalleen wie hingezaubert hervortauchen. Die Stadt selbst ist regelmäßig gebaut, doch sind die Straßen eng und schlecht gepflastert, auch zeichnet sich keins der öffentlichen Gebäude, selbst nicht die Kathedrale, welche seit 1796 die Ueberreste des Entdeckers von Amerika umschließt, durch besondere Pracht aus, wohingegen die Kaufläden, Kaffeehäuser und Conditoreien mit desto größerm Luxus ausgestattet sind. Bei dem Reichthum der Bevölkerung, der durch den hier getriebenen großartigen Handel, jährlich laufen ca. 2000 Schiffe ein, entstanden ist, durchdringt dieser Luxus überhaupt alle Verhältnisse und entspricht außerdem der blendend üppigen Phantasie der Havannesen. An seine jetzige Stelle wurde Havanna 1519 verlegt, nachdem es vier Jahre früher erst an der Südküste auf einem höchst ungesunden Punkte gegründet worden war. Die gegenwärtige Stelle empfahl der sichere und geräumige, von einer Bai gebildete Hafen, in welchem tausend Schiffe Platz haben und zu welchem als Eingang ein 4500 Fuß langer und 1000 bis 1200 Fuß breiter Kanal führt. Dieser Eingang wird von starken Festungswerken vertheidigt, darunter die Forts Morro mit Leuchtthurm und Cabanas jenseits und San Salvador de la Punta diesseits der Stadt (s. die Abbildung). Die Stadt zählt etwa 130,000 Einwohner, welche durchschnittlich auf einer höhern Bildungsstufe stehen, als dies sonst im spanischen Amerika der Fall ist.

Die Schicksale Cubas und seiner Hauptstadt können wir nur in aller Kürze berühren. Von Columbus am 28. October 1492 entdeckt, wurde die vollständige Eroberung der Insel nach und nach bewerkstelligt, was freilich zum großen Nachtheil der Blüthe derselben, 1560 mit der Vertilgung der letzten Eingeborenen endigte. Die glückliche Lage Havanna’s mit seinem trefflichen Hafen rettete jedoch die Insel stets vor allzugroßem Verfalle, selbst als sie im Laufe des 17. Jahrhunderts so gut wie die übrigen Besitzungen Spaniens in Amerika von den damaligen Flibustierbanden mehr als einmal mit Mord, Brand und Raub überzogen wurde. Die in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zwischen Spanien und England ausbrechenden Streitigkeiten führten die Engländer auf kurze Zeit (etwa ein Jahr) nach Havanna, lange genug jedoch, um durch Freigebung des Verkehrs, der vorher monopolisirt war, den Grund zu der künftigen Blüthe Cuba’s zu legen, da die spanische Regierung die Herstellung der alten Handelsverhältnisse nicht wieder durchzuführen vermochte. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, so 1812, 1844 und 1848, waren es hauptsächlich Negeraufstände, welche die Regierung zu bekämpfen [421] hatte und in Folge deren viele tausend Opfer unerbittlich hingerichtet wurden, ohne daß indeß der Wohlstand der Insel dadurch erschüttert wurde.

Die gemischte Bevölkerung Cuba’s (von ca. 1 Mill. Einwohner, sind 445,000 Weiße, 200,000 freie Farbige und 375,000 Sklaven) ist im Wesentlichen die Ursache, welche Spanien besorgnißerregend für die fernere Behauptung der Insel macht. Eines Theils gilt es, die Sklavenmasse, welche durch die in den englischen Colonien erfolgte Emancipation aufgeregt worden ist, niederzuhalten, andererseits den von republikanischen Ideen eingenommenen zahlreichen Creolen sowohl zu imponiren, als sie auch in Gutem zu erhalten. Auch dies macht die Lage Cuba’s schwierig, daß durch die von England durchgesetzte Abschaffung des Negerhandels, dieser zu einem heimlichen geworden ist, den die Cubaner, während die Regierung ein Auge zudrückt, noch sehr eifrig betreiben, sich jedoch dadurch schon zahlreiche Ungelegenheiten zugezogen haben. Um diesen verschiedenen ungünstigen Verhältnissen ausgleichend die Spitze zu bieten, hat das Mutterland der Colonie, aus der es übrigens eine bedeutende Revenue zieht, seit Jahren schon die aufmerksamste Sorgfalt zugewendet.

Havannah.

Diese Sorgfalt hat gleichwohl nicht vermocht, die republikanisch gesinnten Creolen zu versöhnen und deren Unabhängigkeitsgelüste finden an den Nordamerikanern einen um so bedeutendern Anhalt, als unter letztern selbst die Vereinigung Cuba’s eine sehr populäre Idee ist, bei welcher man vielleicht nur darin von einander abweicht, ob die Insel mit Waffengewalt erobert werden soll, oder ob man sie der spanischen Regierung abkaufen soll. Unter solchen Umständen konnte es natürlich seitens der Creolen an revolutionären Versuchen zum Sturze der spanischen Herrschaft nicht fehlen. Die bedeutendsten dieser Versuche machte der General Narciso Lopez (Südamerikaner von Geburt), der in den Reihen der spanischen Armee diesseits wie jenseits des Oceans eine lange Reihe von Jahren gefochten, und im Laufe der letzten Jahre die Insel mehrere Male zu insurgiren unternahm, wobei ihm seine Popularität unter dem spanischen Militär zu einem gefährlichen Gegner machte. So landete er auch am 13. August 1851, an der Spitze von etwa 500 Mann, auf der Insel, fand indeß nicht die gehoffte Unterstützung und sah sein kleines Häufchen nach mehrern unglücklichen Gefechten mit den Spaniern zersprengt. Lopez selbst wurde auf der Flucht gefangen und am 1. September in Havanna öffentlich durch die Garotta (ein zu solchen Executionen eingerichtetes eisernes Halsband) erdrosselt. Mehrere seiner Genossen, darunter einige 40 Nordamerikaner, mußten nicht weniger jämmerlich sterben.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika rief die Kunde von diesen Hinrichtungen keine geringe Erbitterung hervor, die sich auch dann noch nicht legte, als die spanische Regierung aus politischen Rücksichten [422] gegen die noch übrigen gefangenen Nordamerikaner Milde eintreten ließ, obschon die Lopez-Expedition ganz ungescheut in den westlichen Staaten der Union betrieben worden war. Versuche, das Feuer in Cuba zu schüren, wurden unausgesetzt gemacht, und führten zu zahllosen Conflicten zwischen Spaniern und Nord-Amerikanern. In der ganzen Union fanden Massenmeetings statt, bei welchen man dem Zorne gegen die spanische Herrschaft auf Cuba Luft machte und mit Rache drohte, ohne daß die nordamerikanischen Behörden bei allem gerichtlichen Einschreiten diese Demonstrationen zu hindern vermochten. Aus dieser Fluth aufgeregter Leidenschaften tauchte der Orden des einsamen Sternes auf, der den Gelüsten der Yankees auf Cuba neue Nahrung zu geben bestimmt war. In Neu-Orleans, wo von jeher der Sitz der gegen Cuba gerichteten Unternehmungen war, ging der einsame Stern auf, der übrigens im Grunde nur eine neue Form für die von Monroe (Präsident der Union von 1817–1825) aufgestellte Doktrin ist: keine Einmischung der europäischen Mächte in die innern Angelegenheiten der südamerikanischen Republiken zu dulden.

Der einsame Stern wurde von einem Dr. Wren aus Alabama gegründet und zählte bald nach seinem Entstehen allein im Süden der Union über 25,000 Mitglieder, unter denen die verschiedensten Klassen der Gesellschaft und alle mögliche politische Parteien und religiöse Sekten vertreten sind. Die Cubanen sind von der Mitgliedschaft ausgeschlossen. Das offen ausgesprochene Ziel des Bundes ist: „Die Ausdehnung und Ausbreitung des Handels, der Macht und der Institutionen der Republik über die westliche Erdhälfte und die Inseln des atlantischen und stillen Meeres.“ Der Bund des einsamen Sterns ist nach Art der Freimaurerei in Logen und Grade gegliedert, von welch letztern er drei zählt. Das Mysterium, in das sich die Leiter des Bundes dabei zum Theil hüllen, ist durch den Umstand geboten, daß die Behörden ihren Bestrebungen mehrfach hindernd in den Weg treten. Indessen fehlt es deshalb an öffentlichen Kundgebungen nicht, wie denn erst noch neulich der Todestag des Generals Lopez in Neuyork öffentlich von den Männern des einsamen Sterns mit einer Trauerfeier begangen wurde. Geldmittel und Waffenvorräthe werden im Geheimen aufgehäuft, und die Perle der Antillen dürfte zunächst als neuer Stern in das Banner der Union kommen.

Die Behörden der einzelnen Staaten, sowie auch die Regierung in Washington, ließen es, wie wir schon angedeutet, an gerichtlicher Verfolgung der Lopezisten und Mitglieder des einsamen Sterns nicht fehlen, eine gewisse Lauheit ließ sich dabei jedoch nicht verkennen und erklärt sich auch hinlänglich dadurch, daß eben die Vereinigung Cuba’s mit der Union eine unter allen Parteien zu populär gewordene Idee ist. Vorzugsweise wird sie freilich von den Demokraten gepflegt. Es lag nun im natürlichen Gange der Dinge, daß die Männer vom einsamen Stern, im Verfolg ihrer Pläne, und da um dieselbe Zeit herum die Neuwahl des Präsidenten der Union stattfand, ihren ganzen Einfluß geltend machten, um einen ihrer Doktrin geneigten Mann an die Spitze des Staates zu bringen. Dies gelang ihnen auch, in Verbindung mit den gesammten demokratischen Elementen des Landes, und so wurde der General Franklin Pierce zum Präsidenten der Union gewählt.

Diese Wahl kann man wohl nicht ganz mit Unrecht als eine der alten Welt gemachte Kriegserklärung bezeichnen, und namentlich war sie in Bezug auf Cuba ein deutlicher Fingerzeig. Präsident Pierce ernannte bei den Neubesetzungen der Gesandtschaftposten den Senator Soulé, einen Franzosen von Geburt, zum Gesandten in Madrid, und da Soulé, einer der Eifrigsten unter den Männern des einsamen Sterns, schon seit einem Decennium die Einverleibung Cuba’s in die Union bald mit Güte, bald mit Gewalt betrieben, so ist durch seine Ernennung allerdings der Krone Spanien der Handschuh offen vor die Füße geschleudert. Die Rücksichtslosigkeit der neuen nordamerikanischen Politik läßt sich nicht mehr verkennen.

Um vollständig gerecht zu sein, muß jedoch hervorgehoben werden, daß die gemäßigte Partei, welche vor der Erwählung des Generals Pierce das Steuer des Staates in Händen hatte, im Grunde ebenso begehrliche Absichten auf Cuba hatte, denn sie schon wies den von England in Gemeinschaft mit Frankreich vorgeschlagenen Vertrag, der Krone Spanien den Besitz Cuba’s für alle Zeiten zu garantiren, zurück. Es war dies deutlich, und wurde auch von der englischen und französischen Regierung verstanden. Die spanische Regierung selbst sieht das Unvermeidliche nach und nach hereinbrechen. Zu schwach, um den amerikanischen Gelüsten die Spitze zu bieten, und in der richtigen Voraussicht, daß die vereinigten Kräfte Europa’s vergeblich versuchen werden, der Union die schon halb verschlungene Beute vorzuenthalten, wird für sie noch das Vortheilhafteste sein, Cuba gegen die schon einmal angebotene Summe von 200 Mill. Dollars an die Union abzutreten. Die Einverleibung der Insel in die Union ist nur noch eine Frage der Zeit, und wenn sich Spanien zu lange besinnt, so wird es, ohne den angebotenen Ersatz an Geld zu haben, binnen Kurzem das Sternenbanner über der Perle der Antillen wehen sehen.




[423]

Was das Leben und die Gesundheit des Menschen erhält?

Lebens- und Nahrungsmittel.

Das Leben des Menschen besteht in einem ununterbrochenen Wechsel seiner Materie (d. i. der Stoffwechsel). Jeder, auch der kleinste Theil des menschlichen Körpers, setzt nämlich fortwährend neue Substanz an, während die alte theilweise abstirbt und entfernt wird, so daß nach einiger Zeit der Körper, obschon er äußerlich noch ganz derselbe zu sein scheint, doch ein durchaus anderer, aus jüngeren Stoffen gebildeter ist. Geht dieses immerwährende Neuerzeugtwerden, Altern und Absterben (Mausern) der Körperbestandtheile in der gehörigen Ordnung vor sich, so erfreuen wir uns der Gesundheit; ist dasselbe aber in Unordnung gerathen, dann erleiden wir eine Krankheit, und diese wird organischer Fehler genannt, sobald der richtige Stoffwechsel und durch diesen die frühere Beschaffenheit des kranken Theiles gar nicht wieder herzustellen ist. Hört dieser Wechsel nun gar im ganzen Körper vollständig auf, so tritt der Tod ein, oder der Brand (d. i. örtlicher Tod), sobald blos in einem einzelnen (dem brandigen) Theile des Körpers der Stoffwechsel aufgehoben ist. Die Quelle des Stoffwechsels, welche das Material zum Neuerzeugtwerden der Körperbestandtheile liefert, ist das Blut, der Ort, wo dieses Material aus dem Blute austritt, sind die Haargefäße (s. Gartenlaube Nr. 9, S. 92).

Zu den Bedingungen, unter denen der Stoffwechsel zu Stande kommen kann und welche deshalb zum Leben durchaus unentbehrlich (also Lebensmittel) sind, gehören: Wärme, Luft, Wasser und Nahrung. - Die Wärme ist insofern eine äußerst wichtige Lebensbedingung, als durch ihre Vermittelung, besonders bei Kindern und Greisen, alle in unserm Körper vor sich gehenden Prozesse, vorzugsweise die Ernährungsprozesse, zu Stande kommen. Deshalb bedarf aber auch der Mensch zu seinem Gedeihen nicht blos der äußern Wärme, sondern muß auch selbst noch innerhalb seines Körpers die Eigenwärme bereiten. (Ueber die Quelle der Eigenwärme s. Gartenlaube Nr. 17, S. 184; über die Wirkung der Wärme und Kälte auf den menschlichen Körper s. einen spätern Aufsatz). – Daß die atmosphärische Luft zum Leben ganz unentbehrlich ist, haben dem Leser die Aufsätze über das Athmen (s. Gartenlaube Nr. 16, S. 171 und Nr. 17, S. 184) und über den Sauerstoff der atmosphärischen Luft (s. Gartenlaube Nr. 28, S. 303) deutlich zu machen gesucht. – Vom Wasser braucht aber nur gesagt zu werden, daß fast vier Fünftel des menschlichen Körpers aus Wasser bestehen und daß derselbe fortwährend eine ziemlich große Menge Wassers verliert, um sofort einzusehen, daß der Mensch täglich eine hübsche Portion von Wasser genießen muß, um sich in seiner richtigen Zusammensetzung und gesund zu erhalten. Die meisten Menschen trinken viel zu wenig Wasser, zumal die, welche gern, viel und gut essen. (Ueber Getränke und Wasserkuren s. einen spätern Aufsatz). – Was die Nahrungsmittel betrifft, so sind, wie der Aufsatz in Nr. 22, S. 232 u. Nr. 32, S. 349 der Gartenlaube gezeigt hat, nur diejenigen pflanzlichen und thierischen Substanzen darunter zu rechnen, welche, ohne für den Menschen schädliche Substanzen beigemischt zu haben, diejenigen Materien in sich enthalten, aus denen unser Körper selbst zusammengesetzt ist. Diese Materien waren aber außer dem Wasser noch eiweißartige, fettige und fettähnliche Stoffe, Salze, Kalk und Eisen. Ein großer Theil dieser Nahrungsstoffe, vorzugsweise die fettigen und fettähnlich zusammengesetzten, dienen nicht blos zur Ernährung des Körpers, sondern auch zur Entwickelung der Eigenwärme (s. Gartenlaube Nr. 17, S. 186). Zur leichtern Beurtheilung der einander ähnlichen thierischen und pflanzlichen Nahrungsstoffe, sowie des Nahrungswerthes unserer Speisen folgt hier vorläufig, selbst auf die Gefahr hin, wegen der Wiederholung vom Leser getadelt zu werden, eine kurze Uebersicht der in den gebräuchlichen Nahrungsmitteln vorhandenen Nahrungsstoffe.

A. Blut- und Fleischbildner,

d. s. eiweißartige, stickstoffhaltige Substanzen, welche vorzugsweise das Blut, Fleisch und die Knochen, also die Grundlage des Körpers bilden.

a. Thierische Fleischbildner. b. Pflanzliche Fleischbildner.
  1. Thierisches Eiweiß (Albumin) findet sich: im Blute, im Safte des Fleisches und aller Eingeweide; im Weißen der Eier und (unter dem Namen Vitellin) zwischen Fett im Eidotter.
  2. Thierischer Faserstoff (Fibrin), kommt vor: im Blute (das Gerinnende, den Blutkuchen bildend) und im Fleische, wo die Fasern aus diesem Stoffe bestehen.
  3. Thierischer Käsestoff (Casein), in der Milch (Käse) und im Blute.
  4. Thierischer Leim oder Gallerte: in den Knorpeln, Knochen, sehnigen Theilen und Häuten.
  1. Pflanzen-Eiweiß findet sich in den Säften der Pflanzen, vorzugsweise in den Gemüsepflanzen und in den Samen der Getreidearten.
  2. Pflanzen-Faserstoff oder Kleber kommt vor: in den Samen der Getreidearten (Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais, Reis und Buchweizen).
  3. Pflanzen-Käsestoff oder Legumin: in den Hülsenfrüchten (Erbsen, Bohnen, Linsen).
  4. Pflanzenleim: stets in Verbindung mit Kleber, besonders in den Getreidesamen.

Sonach würden von unsern Nahrungsmitteln die wichtigsten Fleischbildner folgende sein: Blut, Fleisch, Eingeweide, Käse, Eiweiß, Gallerte, die Getreidesamen und die Hülsenfrüchte. Alle diese Stoffe werden (wie in Nr. 22, S. 232 bei der Verdauuung besprochen wurde) mit Hülfe des Magen- und Darmsaftes in eine dem flüssigen Eiweiß ähnliche Flüssigkeit (Peptone) umgewandelt und sodann vom Magen und Darmkanale aus durch die Saugadern in das Blut gebracht, wo sie dann durch den Sauerstoff aus der eingeathmeten Luft zur Bildung der eiweißartigen Bestandtheile des Körpers vorbereitet werden. In den thierischen Nahrungsmitteln [424] finden sich weit mehr blut- und fleischbildende Stoffe, als in den pflanzlichen, und von den letzteren sind nur die Hülsenfrüchte und die Getreidesamen von Werth.

B. Fettbildner und Heizungsstoffe (Respirationsmittel),

d. s. stickstofflose Substanzen, die entweder fettige oder wenigstens dem Fette ähnlich zusammengesetzte (kohlenwasserstoffige) sind.

a. Fettige thierische Substanzen. b. Fettige pflanzliche Substanzen.
  1. Thierisches Fett genießen wir mit dem Fleische, als Schmalz und Talg, als Butter und Eidotter; in den fettig entarteten Gänselebern, im Fisch- und Leberthrane, sowie im Marke der Knochen.
  1. Fette Oele gewinnen wir zur Nahrung vorzugsweise aus den Früchten des Olivenbaumes und aus dem Mohnsamen, als Baum- u. Mohnöl, ferner noch aus dem Rübsen, Raps und Hanf, aus dem Mandel- und Buchenkern etc.

Die genannten thierischen wie pflanzlichen fetten Substanzen erleiden im Körper eine sehr einfache Umwandlung; sie werden nämlich im Darmkanale, nicht etwa schon im Magen, mit Hülfe der Galle und des Darmsaftes (vielleicht auch des Bauchspeichels) in solch feine Kügelchen zertheilt, daß nun das flüssig gewordene und mit Wasser gemischte Fett einer Mandelmilch ganz ähnlich ist und so leicht von den Saugadern des Darmes aufgesogen und in’s Blut geführt werden kann (s. Gartenlaube Nr. 22, S. 235). Der Nutzen des Fettes ist ein sehr bedeutender, denn abgesehen davon, daß alles im Körper vorkommende Fett zum großen Theile von den genossenen fettigen Nahrungsstoffen gebildet wird, so dient dasselbe ja auch noch mit dem Eiweiße zur Grundlegung aller Gewebe (mit Hülfe der Zellenbildung), sowie zur Entwickelung der Eigenwärme, indem das Fett innerhalb des Blutes durch den Sauerstoff der eingeathmeten Luft unter Freiwerden von Wärme zu Kohlensäure und Wasser verbrannt wird. – Es ist sonach sehr falsch, wenn man fette Speisen für schädlich hält, und es erregt Lachen, wenn Aerzte Butter verbieten und Leberthran verordnen.

a. Thierische fettähnliche Substanzen. b. Pflanzliche fettähnliche Substanzen.
  1. Milchzucker findet sich nur in der Milch aufgelöst; am reichlichsten in der Pferdemilch; auch ist die Milch der Frauen reichlicher damit versehen als die der Kühe, weshalb beim Aufziehen kleiner Kinder mit Kuhmilch diese stets noch mit Milchzucker zu versetzen ist. – Beim Sauerwerden der Milch verwandelt sich dieser Zucker in Milchsäure und ein kleiner Theil derselben ist dann bei höherer Temperatur im Stande, den noch in der Milch vorhandenen unverwandelten Milchzucker in Krümelzucker umzusetzen, welcher durch die Gährung in
  2. Alcohol übergeht. Auf diese Weise, durch Zusatz saurer Kuhmilch zu Stutenmilch, bereiten sich die Tartaren, Mongolen und andere Nomadenvölker Asiens branntweinähnliche berauschende Getränke, den Kumiß und den Aracu. – Der Milchzucker wird im Körper aus den mit der Nahrung genossenem Zucker und der Stärke gebildet.
  3. Honig wird von der Honigbiene durch Verarbeitung des Blüthenstaubes geliefert und durch Umbildung im Körper dieser Insekten in Wachs umgewandelt.
  4. Milchsäure bildet sich hauptsächlich in der Milch durch längeres Stehenlassen derselben, besonders in warmer Luft, sowie durch Zusatz eines Stückchens Kälbermagens (Lab), und zwar bildet sie sich hier aus dem Milchzucker (s. oben). Außer in saurer Milch findet sich diese Säure auch noch im Safte des Fleisches und im Magensafte.
  1. Stärke: in der Kartoffel, den Samen der Getreidearten, in den Hülsenfrüchten, den Moosen (isländischem), im Sago, Arrowroot, Tapioka (s. Gartenlaube Nr. 32, S. 349).
  2. Zucker: als Rohrzucker, Trauben- oder Krümelzucker und Schwammzucker (s. Gartenlaube Nr. 32, S. 350).
  3. Pflanzengallerte oder Pectin: in dem Safte der meisten fleischigen Früchte und Wurzeln.
  4. Pflanzenschleim oder Bassorin: in der Salepwurzel, dem Leinsamen, Eibischwurzel, Quittenkernen, Caraghenflechte, im Tragant- und Kirschgummi.
  5. Gummi: im arabischen Gummi, sonst nur in geringer Menge in den Pflanzen vorhanden.
  6. Alcohol oder Spiritus: Aus dem Krümel- oder Traubenzucker mit Hülfe der Hefe (durch die weinige oder geistige Gährung) entstanden, findet sich im Weine, Branntweine, Rum (aus Zuckerrohrsaft), Arac (aus Reis), Cognac (aus Wein), Kirschwasser und Bier. – Mit Hülfe des Sauerstoffs kommt in alcoholhaltigen Flüssigkeiten die saure oder Essiggährung zu Stande und so bildet sich dann die
  7. Essigsäure: im Weinessig, Frucht- oder Getreideessig (aus Gerste, Weizen, Kartoffeln) und Branntweinessig.
  8. Milchsäure: im Sauerkraute und in den sauren Gurken.


Die aufgezählten thierischen wie pflanzlichen fettähnlichen (kohlenwasserstoffigen) Nahrungsmittel haben für den Körper einen doppelten Nutzen; sie dienen nämlich theils zur Bildung von Fett, theils durch ihre Verbrennung wie das Fett zur Entwicklung der Eigenwärme. Die Stärke wird vorher aber mit Hülfe des Mund- und Bauchspeichels in Zucker umgewandelt (s. Gartenlaube Nr. 22. S. 235). – Da die fettigen und fettähnlichen Nahrungsmittel für sich allein den Körper nicht ernähren können, sondern immer nur erst in Gemeinschaft mit den übrigen (besonders eiweißartigen) Stoffen, so muß es auch ganz falsch sein, die Kartoffeln, sowie Zucker, Sago, Salep, Arrowroot und dergl. für sich als gute Nahrungsmittel zu bezeichnen. Welchen arzneilichen Werth aber das isländische Moos, die Caraghenflechte, die Eibischwurzel und das arabische Gummi haben können, wird nun Jeder selbst beurtheilen können, welcher jetzt gelesen hat, daß diese Stoffe zu den fettähnlichen Nahrungsmitteln gehören. Die Mütter werden hoffentlich auch einsehen lernen, daß die Stoffe, mit denen sie gewöhnlich die kleinen Kinder füttern, wie Sago, Salep, Arrowroot, Zucker und dergl., nur fettmachende Nahrungsmittel sind und, wenn sie nicht mit Blutbildnern (Milch, Fleischbrühe, Ei) verbunden werden, eine falsche und zu Krankheiten (Scropheln, englische Krankheit) führende Ernährung des Kindeskörpers veranlassen.


C. Unorganische Nahrungsstoffe:
Wasser, Salze und Eisen.
a. Unorganische Stoffe der thierischen Nahrung. b. Unorganische Stoffe der pflanzlichen Nahrung.
Von diesen Stoffen finden sich vorzugsweise in der thierischen Nahrung: der phophorsaure Kalk, das kohlensaure und phosphorsaure Kali und Natron, sowie das Eisen. Die Pflanzennahrung enthält mit Ausnahme der phosphorsauren und kohlensauren Talkerde, im Verhältniß zur thierischen Nahrung nur wenig von den nöthigen unorganischen Stoffen. Am meisten enthalten noch die Getreidesamen und Hülsenfrüchte.

[425] Wasser und Kochsalz sind die beiden unorganischen Stoffe, welche in ziemlich großer Menge in den menschlichen Körper geschafft werden müssen, damit derselbe ordentlich ernährt und gesund erhalten werde, denn er besteht ja fast zu vier Fünfteln aus Wasser und alle festen und flüssigen Bestandtheile des Körpers enthalten Kochsalz. Dies sind nun aber gerade diejenigen Stoffe, von denen weder in den thierischen noch pflanzlichen Nahrungsmitteln die hinreichende Menge vorhanden ist, und deshalb muß man gehörig trinken und salzen. Gegen dieses Gesetz fehlen aber die meisten Menschen.

Welche Nahrungsmittel sind nun aber für den Menschen die besten? die thierischen oder die pflanzlichen? Weder die einen noch die andern können für sich allein als richtige Nahrung dienen, und zwar aus dem Grunde, weil die thierische Nahrung zu wenig fette und fettartige Bestandtheile, die pflanzliche dagegen zu wenig eiweißartige und unorganische Stoffe enthält. Eine gemischte Kost ist sonach dem Menschen am zuträglichsten. Die thierischen Nahrungsmittel sind im Allgemeinen weit leichter verdaulich als die viel unlösliche Bestandtheile enthaltenden pflanzlichen; von den ersteren sind Blut, Milch, Fleisch und Ei, von den letzteren die Samen der Getreide und die Hülsenfrüchte am nahrhaftesten. – Die Gewürze tragen nichts zum Ersatze der Gewebe, also zur Ernährung des Körpers bei, sondern dienen nur zur Verbesserung des Geschmackes der Nahrungsmittel oder zur Beförderung des Verdauungsprozesses. Sie stammen sämmtlich aus dem Pflanzenreiche und verdanken ihre Wirkung ätherischen Oelen.

Wer von den Lesern den Werth der einzelnen Nahrungsmittel, über welche spätere Aufsätze handeln werden, sowie die Wichtigkeit der verschiedenen Speisen und Getränke bei Krankheiten richtig kennen lernen will, muß diesen vorliegenden Aufsatz recht ordentlich studiren.(B.)     


Aus der Gewerbswelt.

Mitgetheilt von Friedrich Georg Wieck.

Die thüringische Gewerbeausstellung auf Schloß Friedenstein in Gotha.
I.

Der Glaspalast in London war ein stolzes Gebäude, der seine kristallene Wölbung hoch über die Gipfel der Bäume im Hydepark ausstreckte; aber es war doch kein Schloß Friedenstein, das seine Zinnen dem herrlichen Thüringer Wald entgegenstreckt! Die Aussicht im Glaspalaste war bewältigend, der große Mittelgang verlor sich in grauen Duft. Hohe Waldbäume standen im Transept. Aber was ist diese beschränkte Aussicht gegen den Blick von den Fenstern des Friedensteins auf die sich von der Höhe in’s Thal hinabziehende Stadt, auf den Park mit seinem Wald von ehrwürdigen Tannen, Buchen und Eichen, auf das blaue Gebirge, das sich in so reizenden Umrissen am nahen Horizonte erhebt.

Hier auf diesem weitschauenden Schlosse breitete im August und September dieses Jahres die Industrie Thüringens ihr Festgewand aus und von den Höhen und Thälern brachte man Beiträge ihrer Kunst und ihres Fleißes zu der Feier.

Schon längst ist der Friedenstein eine Schatzkammer von Leistungen der Wissenschaft und Kunst, seit der Zeit, als Herzog Ernst der Fromme in der Mitte des 17. Jahrhunderts ihn auf der Stelle der früheren Burg Grimmenstein erbaute; jene alte Veste, welche in Folge der Grumbach’schen Händel 1566–1567, nach der Landfriedensordnung „als eine Herberge der Landfriedensbrecher, Mörder und Straßenräuber“ geschleift wurde.

Der Friedenstein wuchs aus den Trümmern hervor. Die Künste des Friedens fanden dort von nun an eine bleibende Freistätte. Wichtige und seltene Sammlungen von Büchern, Schriften, alten Münzen, merkwürdigen Erzeugnissen des Gewerb- und Kunstfleißes entfernter Länder und früherer Zeiten, Alterthümer, Antiken, Kupferstiche und Gemälde, Naturalien sind dort aufgestellt und der Beschauung und Durchforschung gewidmet.

Gab es einen würdigern Platz für die Festfeier der Thüringischen Industrie? Eine Versammlung von fast tausend Gewerbtreibenden, welche dort ihre Leistungen in schönen Proben entfalteten, bejaht diese Frage. Das war gewiß ein schönerer Anblick, als wenn ehemals auf dem finstern Grimmenstein tausend Ritter ihre Banner entfalteten; und die melodischen Klänge der trefflichen Musikinstrumente im großen Saale wurden gewiß von den durch die Räume Lustwandelnden lieber gehört, als in jener blutigen Zeit die Kriegstrompeten von den Thürmen. Die Errungenschaften des Friedens vereinten sich auf dem Schlosse. Die alte Kunst gab der neueren die Hand, bewillkommnete sie und zog sich dann wieder in selbstbeschauliche Ruhe zurück. Sie überließ der in frischester Jugend blühenden Urenkelin die schönsten Räume, wo das beste Licht auf ihre Reize fiel.

Ehe wir aber der jungen Industrie, die sich wie eine Braut an ihrem Hochzeitstage geschmückt hatte, einige schmeichelhafte Worte sagen – wer möchte nicht gern gefallen! – wollen wir einen Blick hinauswerfen auf das Land umher, das wir theils mit leiblichem, theils mit geistigem Auge von den zahlreichen Fenstern [426] des Friedensteins aus vor uns liegen sehen. Unter uns gegen Norden liegt die rege Stadt mit ihren von der Hand eines wackern Baumeisters im edlen Style aufgeführten Gebäuden, u. a. Theater, Marstall, und namentlich jene herrlichen Sitze der beiden Banken, welche, vom ehrwürdigen E. W. Arnoldi zu dauerndem Ruhme von Gotha gestiftet, manche Thräne getrocknet, viel Unheil wieder gut gemacht haben. Diese Banken hätten ihre Jahresberichte ausstellen können, um die höchste Anerkennung zu finden. Ihr Einfluß auf die Industrie tritt zwar nicht unmittelbar hervor, aber er ist nichtsdestoweniger gedeihlich vorhanden. Weiter nach Norden schweift unser Blick nach Langensalza, dessen ursprüngliche zurückgehenden Webereizweige durch umsichtige Fabrikanten wieder neu und frisch belebt wurden, dann nach der alten Reichsstadt Mühlhausen am Fuße des Eichsfeldes, nach Bleicherode, nach Nordhausen und Sondershausen, wo man sich überall rührt, um auf absterbende Stämme neue Triebe zu pfropfen. Namentlich ist dies für das Eichsfeld zu wünschen, wo eine schlechtlohnende Hand- und Hausindustrie sich mühsam das Leben fristet; von wo aus im Verein mit Genossen des Rhön und einiger Orte des Thüringer Waldes zu Zeiten viele Männer ihre Hütten verlassen, um in mehr begünstigten Gegenden des Vaterlands Arbeit und besseren Lohn zu suchen. Gewerbsbildung und muthige Unternehmungslust müssen sich die Hände reichen zur Verbesserung der Zustände. Glücklicher ist die Aue, wo sich die goldenen Aehren in der Sonne wiegen.

Schloß Friedenstein.

Wir stellen uns nun an ein anderes Fenster und schauen nach Eisenach und Umgegend, der Wiege unserer deutschen Kammgarnmaschinenspinnerei. Christian Weiß in Langensalza führte dieselbe ein. Dort blickt Ruhla aus seinem Bergkessel heraus mit Cigarrenspitzen und Pfeifenköpfen, womit es die Raucher erfreut; aber zugleich zieht es die Augen der Künstler auf sich durch die reizenden Köpfe seiner Jungfrauen mit ihren feurigen Augen und schwarzen Flechten, um welche turbanartig ein Tuch gewunden ist, als wären die Trägerinnen die Ur-Urenkelinnen jener schönen Orientalin, welche den Grafen Ernst von Gleichen aus der Gefangenschaft der Ungläubigen in sein Schloß ohnweit Gotha begleitete, dessen Ruinen mit zwei andern Ueberresten alter Burgen auf hohem Bergkegel vereint die drei Gleichen genannt werden. Dort auf dem Schlosse Gleichen stand noch vor wenig Jahren die große breite Bettsponde des Grafen. Ob sie aber so schön geschnitzt war wie das berühmte Bett im Londoner Glaspalast, das der Kaiser von Oestreich der Königin Victoria schenkte, wissen wir nicht. Vom Grafen Gleichen, seinem merkwürdigen Abenteuer und häuslichem Leben steht eine hübsche Geschichte in Musäus’ Volksmärchen. Aber wir schließen das Schloßfenster nach West, öffnen es nach Ost und schauen mitten hinein in die blaugrüne Bergwand des Thüringer Waldes, durch den man einen Tunnel von 6000 Fuß Länge brechen will, um vom Bahnhof von Gotha aus das Werrathal unweit Schmalkalden zu erreichen. Dort sehen wir das reizende Reinhardsbrunn, das wurst- und spielzeugreiche Waltershausen. Wir hören im Geiste die unermüdlichen Hämmer der Eisenwaarenarbeiter in Brotterode, Schmalkalden, Mehlis und das Schnauben der Glas- und Porzellanöfen in Tambach und Dietharz, in Ohrdruf und Elgersburg, in weiterer Ferne das Schlagen der Weberschiffchen in den Barchentstühlen von Suhl, untermischt mit Probeschüssen aus den dortigen vortrefflichen Gewehren, herausfordernd [427] beantwortet von denen in Zella und Schmalkalden. Wir blicken tief in das Coburger Land hinein, dessen rege Gewerbsthätigkeit wir nur spärlich auf der Ausstellung vertreten sahen, und weiter nach Sonnenberg und Gräfenthal, von deren Kinder beglückenden Spielwaaren und Glasbläsereien gar Nichts auf dem Friedenstein zu sehen war. Deswegen schlagen wir auch das Fenster zu, nachdem wir noch einen Blick auf das reizende, baumumkränzte Arnstadt, auf das an Gewerbsblüthen reiche Remda, auf Saalfeld geworfen haben. Nun öffnen wir den Flügel nach Osten nach dem bewehrten Erfurt, wo trotzdem die friedliche Gewerbthätigkeit manche herrliche Frucht treibt neben der allervortrefflichsten Brunnenkresse. Mit Wehmuth aber gedenken wir des Aufhörens eines bedeutenden Fabrikgeschäfts dort, das der ganzen Gegend zur Ehre und zum Vortheil gereichte. Weimar, Jena, Blankenhain pflegen mit Glück keimende und bereits schon längere Zeit sprossende Gewerbszweige. Die überall beliebten Schals und Jübchen von Apolda waren zu stolz, um sich auf dem Friedenstein zu zeigen. Aber Gera, Altenburg, Schmölln waren stolz, daß sie ihre ausgezeichneten Waaren zeigen konnten. Wer hatte nicht von den Thibets in Gera und Schmölln, von den Altenburger Garnen und sonstigen vorzüglichen Gewerbsartikeln gehört? Noch einen Blick werfen wir, bei Leipzig vorbei, auf Halle, wo neben der Gelehrsamkeit auch in manchen Fächern der Kunstfleiß wohnt. Endlich bleibt das Auge, zurückkehrend, auf Sömmerda ruhen, dort wo die Betriebsamkeit und das Talent eines Mannes die Welt mit seinem Werk, der Zündnadelflinte, erfüllte. Möge sie allen Feinden Deutschlands ein Schrecken sein! Als wir diesen herzlichen Wunsch dachten, fühlten wir einen leisen Schlag auf die Schulter. „Wollen Sie nicht die Güte haben, das Fenster zuzumachen? es zieht den Damen,“ flüsterte eine freundliche Stimme. Noch einen Blick rings umher! Auf der Leipziger Messe sehen wir uns wieder! Das Fenster flog zu.




Blätter und Blüthen.

Das Heimweh. Das Prutz’sche Museum brachte vor Kurzem einen interessanten Artikel von Clemens über jenes eigenthümliche Leiden: das Heimweh, das in unserer materiellen Zeit immer seltener und seltener wird. Es ist ein schöner herzlicher Zug am Menschen, daß er nur da sich recht wohl zu befinden pflegt, wo er geboren ist. Und merkwürdig, je ärmlicher das Land, je einfacher die Sitten, je härter die Entbehrungen, die ihm Natur und Verhältnisse auferlegen, desto inniger und unauflöslicher sind die Bande, welche den Menschen an den vaterländischen Boden fesseln. Von allen andern Gemüthskrankheiten unterscheidet sich auch das Heimweh durch die an’s Wunderbare gränzende Schnelligkeit der Genesung, sobald eine nahe Rückkehr in’s Vaterland in Aussicht gestellt ist.

Ich hatte einst ein Dienstmädchen aus dem ärmsten Theile des Erzgebirges. Mit Thränen im Auge erzählte sie oft, wie sie in der Heimath trotz angestrengter Arbeit mit ihren Geschwistern gehungert und ohne warme Kleidung und Holz den Winter durchfroren habe. Sie war glücklich, diesem Elend entrissen zu sein und sehr dankbar dafür. Nach einem Jahre aber ward das sonst so lustige Mädchen stiller und stiller; sie fing an zu kränkeln und eines Tages trat sie ins Zimmer und weinte und bat, ich möge ihr nicht böse sein, aber sie könne es nicht mehr aushalten im schönen Leipzig, sie müsse fort „in’s Gebirg“ – nach der Heimath. Und als ich ihr vorstellte, wie sie da oben nur mehr Arbeit und Noth und Elend erwarte, nickte sie nur bejahend mit dem Kopf und sah still zur Erde. „Ich weiß es – ich weiß es,“ sagte sie dann. Sie werden mich undankbar schelten, aber es drückt mir das Herz ab, wenn ich nicht „derheime“ komme.“ So gab ich ihr denn die Erlaubniß, nach vier Wochen abzureisen. Von Stund’ ab kehrte ihre alte Heiterkeit zurück, sie blühte sichtbar wieder auf und unter Thränen und Lachen nahm sie endlich Abschied, um zurück nach ihrem Dörfchen zu gehen, wo sie vielleicht jetzt schon im Elend verkommen ist.

So war es auch mit einem Kameraden im Regiment, der auf dem armen poesielosen Eichsfeld zu Hause war. Der Sohn eines Fabrikarbeiters, der mit all’ seinen Kindern kaum die wenigen Kartoffeln erschwingen konnte, die der Hausstand brauchte, war er in Noth und Elend aufgewachsen und hatte erst als Soldat das Glück einer warmen Kleidung und eines gesättigten Magens kennen gelernt. Sein sonst so bleiches Antlitz war einem gesunden Vollmondsgesichte gewichen. Als „proprer“ Soldat ward ihm vom Regiment das Anerbieten gemacht, die Unteroffizierstresse anzunehmen, wodurch seine Zukunft für immer gesichert war. Er lehnte Alles ab, „und wenn er verhungern solle,“ sagte er, „er müsse zurück nach seinem Dorfe, zu den Andern.“ Auf dem Marsche und beim Exerciren erzählte er mir oft von den Schönheiten seiner Heimath, deren traurigen Zustand ich nur zu gut kannte. Als ihm später nach zwei Jahren Dienstzeit der damals übliche Urlaub verweigert ward, fiel er sichtlich zusammen, sein sonst so musterhaftes Aeußere unterlag täglich mehr dem Tadel des Hauptmanns, sein Gang ward schleppend und träge, bis ihn endlich das Fieber auf das Lazarethbett warf, auf dem er stets nur von seinem Dörfchen phantasirte. Dort brachte ihm eines Tages der Regimentsarzt die Nachricht, der längst erwartete Urlaub sei eingetroffen und in acht Tagen könne er sein Bündel schnüren. War das ein Jubel! Drei Tage später war der Kranke schon aus dem Bette und nach acht Tagen wanderte der kerngesunde Bursche lachend und singend zum Festungsthore hinaus, dem heimathlichen Dorfe zu, der Noth und dem Elend entgegen.

Ja, ’s ist wohl ein eigen Ding um die Heimath! Es war an einem der schönen Augusttage dieses Jahres, als ich von Kehl aus über den sogenannten freien deutschen Rhein nach Straßburg wanderte. Ein Kehler Bürger, ein kräftig-hochgewachsener Fünfziger, dem schon einige weiße Haare verräterisch die Stirn umspielten, begleitete mich. Mit dem ersten Schritte auf der Brücke blieb er stehen. „Herr,“ sagte er und nahm meine Hand, „wenn ich jetzt über den Rhein gehe, wird mir’s immer recht wehmüthig um’s Herz. Es war in ganz Deutschland eine traurige Zeit im Jahre 1849, aber hier war’s am traurigsten. Und sehen Sie dort die paar hundert Schritte weiter, dort am andern Ende der Brücke auf der französischen Seite, da war’s erst recht traurig! Dort standen Tag für Tag die armen Flüchtlinge, oft sechzig und achtzig an der Zahl, und schauten herüber nach deutscher Erde. Das war keine brühweiche Sentimentalität, die meisten dieser Leute hatten ihren starken Muth auf dem Schlachtfelde bewiesen, aber hier brach ihnen das Herz zusammen. Da drüben das Elend, die fremde Sprache, die fremden Leute, keine milde, freundliche Hand, die über die wilde Stirn, über das trotzige Herz gestrichen hätte, wie das wohl jeder Mensch einmal haben muß, wenn er nicht untergehen soll, keine Freude drüben – keine, und das schöne Vaterland so nahe – Herr, das muß den Menschen wohl packen und wenn er noch so fest wäre. Jeden Abend sind sie aus Straßburg herausgekommen [428] und haben sich drüben am Ufer hingesetzt und herüber nach den deutschen Feldern geschaut, wo trotz Verfolgung und Hohn ihr ganzes Herz geblieben war. Später haben’s uns die Douaniers im französischen Zollhause wohl erzählt. Wenn am badischen Ufer ein deutsches Lied erklungen ist: „Wenn i komm, wenn i komm, wenn i wieder komm,“ da ist selbst dem Stärksten das Herz weich geworden, und still und bekümmert, die hervorquellende Thräne verbergend, ist er wieder hin nach der fremden Stadt gezogen, immer die Worte wiederholend: Wenn i komm, wenn i wieder komm. Aber es ist keiner wieder gekommen – keiner, und Manchem dadrüben ist das Herz gebrochen.“

Ja die Heimath – die liebe Heimath!


Zur Literatur. Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß das Volk die jetzt erscheinenden wohlfeilen Volksausgaben deutscher Dichter und Novellisten so fleißig benutzt, daß der Absatz nicht mehr nach Hunderten, sondern nach Tausenden gemessen werden muß. So ist die seit einigen Monaten erscheinende Volksausgabe der Hauff’schen Werke bereits in Vierzigtausend Exemplaren verbreitet und ein neuer Abdruck von 20,000 Exemplaren unter der Presse. Die mit Hauff zugleich erscheinende Volksausgabe des Democritos zählt bereits über 30,000 Abnehmer und täglich laufen noch Nachbestellungen ein. Auch die neue Ausgabe der Stolle’schen Werke erfreut sich einer weiten Verbreitung. Durch solche Bibliotheken der besten deutschen Autoren wird Geschmack und Literaturkenntniß auf überraschend schnelle Weise gefördert.


Für Auswanderer.. Wenn in’s Werk gesetzt wird, was uns ein gewisser Brown in seiner Schrift als ausführbar schildert, so werden Auswanderer nach Amerika in nächster Zeit binnen 48 Stunden von Hamburg nach New-York fahren. Nach Brown’s Behauptung läßt sich nämlich ein Schiff bauen, das binnen der angegebenen Zeit Amerika erreichen kann. Er gründet seine Behauptung im Wesentlichen auf folgenden Lehrsatz: „Um eine viel größere als die bisher erreichte Geschwindigkeit zu gewinnen, kommt es darauf an, die Schiffe so zu bauen, daß sie nicht in Folge des Eintauchens, sondern in Folge der Bewegung über dem Wasser erhalten werden, das heißt flach, nach vorn zu ein wenig aufsteigend. Wenn ein solches Fahrzeug mit großer Geschwindigkeit fortgerissen wird, so wird es fast ganz über die Oberfläche des Wassers emporsteigen, nach demselben Princip, nach dem ein flacher Stein, unter einem spitzen Winkel auf das Wasser geworfen, ein sogenanntes Butterbrot, abprallt. Einen gewissen Widerstand wird die Bewegung natürlich finden, nach dem Hintertheile des Schiffes zu; aber man kann leicht verhüten, daß er mit der Beschleunigung der Bewegung zunimmt, wie bei der jetzt üblichen Bauart, indem man den Neigungswinkel des Schiffbodens spitzer macht. Angenommen z. B. ein Schiff von 100 Tonnen mit 30 Meilen Geschwindigkeit in der Stunde und mit einer Schiefe des Bodens von 1 Fuß auf 100 erleide einen Widerstand von 1 Tonne, so würde es bei 60 Meilen Geschwindigkeit auch nur eine Tonne Widerstand erleiden, wenn der Boden in dem Verhältnis von 1 zu 400 geneigt ist. Ein gewöhnliches Dampfschiff erleidet bei doppelter Geschwindigkeit den vierfachen Widerstand, und es giebt kein Mittel, diesen Widerstand zu überwinden, als eine entsprechende Vermehrung der Maschinenkraft, also auch des Kohlenvorraths. Ein flaches Schiff wird sich um so höher aus dem Wasser erheben, je schneller es bewegt wird. Die nothwendige Vergrößerung der Maschinen ist also gar kein Hinderniß. Ein so construirtes Schiff würde auf dem Wasser fliegen wie der Vogel in der Luft.“


Das Spiel in Baden-Baden. Das großherzoglich badische Ministerium hat alle Hazardspiele[WS 1], „insofern nicht hinsichtlich einzelner solcher Spiele eine Ausnahme ausdrücklich gestattet ist,“ mit einer Strafe von 100 Fl. oder vier Wochen Gefängniß belegt. Das Pharao- und Roulettspiel in Baden-Baden wird indeß durch diese Verordnung nicht betroffen. Wer also trotz des Verbots seiner Leidenschaft fröhnen will, braucht nur eine kleine Strecke per Dampf zu durchfliegen, und er kann, was ihm zehn Minuten davon in demselben Lande vier Wochen Gefängniß kosten würde, hier ohne Furcht treiben. Wunderbare Welt!

Wer war in Baden-Baden und schwärmt nicht für dieses reizende Stückchen Erde! Deutschland hat wenige solcher Thäler. Und doch wie viel Jammer und Unglück, wie viel Flüche lasten auf diesem Paradiese! Es sind noch nicht drei Wochen, als ich in dem berühmten Conversationssaale am Pharaotische stand. Glänzend geschmückte Damen und rothbebänderte Herren, französisch parlirend, durchwogten den großen Saal, an dessen einem Ende der stark frequentirte Rouletttisch steht. Im zweiten kleineren Saal wird nur Pharao[WS 2] gespielt. Müßig zuschauend hatte ich mich einem jungen Mann gegenüber postirt, dessen hohes Spiel die Aufmerksamkeit Aller auf sich zog. Er war blutjung, vielleicht zweiundzwanzig Jahre alt, seine Züge waren von seltener Schönheit und so mädchenhaft weich, daß man eine emancipirte Dame hätte vermuthen können, wenn nicht das kleine Schnurrbärtchen alle Zweifel gehoben hätte. Daß er ein Deutscher war, bewiesen einzelne Fragen, die er dem Bankier hinwarf. Er spielte mit „vielem Anstand,“ wie ein alter französischer Edelmann neben mir bemerkte. Keine Miene zuckte, wenn der Gruppier seine Rollen mit 50 Napoleonsd’or einstrich, seine Finger bewegten sich kaum, wenn der Krückstock ihm Hunderte von Goldstücken als Gewinn zuschob. Aber mit jedem neuen Spiele ward sein Goldhaufen kleiner und sein Antlitz blässer. Zuletzt war er gespensterhaft bleich. Dazu aber immer dieselbe erkünstelte Ruhe, dieselbe Nonchalence, dasselbe kecke Wagen! Nur die Ader auf der kleinen weißen Hand, womit er die Nadel aufstach, war hoch aufgeschwollen, ein leises Zittern lief dann und wann durch den Arm, sonst keine Bewegung, keine Aufregung.

Zuletzt war auch die letzte Rolle Gold verspielt. Schon wollte sich der Unglückliche erheben, als er rasch noch einmal die Taschen durchsuchte. Zum ersten Male flog ein Lächeln der Befriedigung über seine Züge – er hatte noch eine Rolle mit 50 Napoleonsd’or gefunden. Er setzte sich wieder und brach die Rolle in zwei gleiche Hälften. Gleichgültig schob er dann die eine Hälfte auf eine Nummer. Sie gewann. Er ließ den Betrag stehen und warf dann mit verächtlichem Lächeln auf den Lippen auch die zweite Hälfte der Rolle auf dieselbe Nummer. Alles ward still am Tische. Gleichgültig hob der Bankier die Karten ab, von den Lippen der Damen, die den Tisch umstanden, flog ein mitleidiges Ach – der Krückstock zog auch das Letzte ein. In Zeit von drei Stunden hatte der junge blasse Mann 30,000 Francs verloren.

Mit leichtem Lächeln stand er auf, grüßte den Bankier verbindlich und verließ den Saal. Aller Blicke folgten ihm. „Das ist der dritte unglückliche Abend,“ sagte mein Nebenmann achselzuckend – „er ist ruinirt!“ – Ruinirt – ruinirt, das wird hier so gleichgültig ausgesprochen, als ob es sich um eine Partie Billard, nicht um die Zerstörung eines ganzen langen Lebens handelte. Und für diese Ruiniranstalten giebt es keine Verbote! E. K.     


Zur Beachtung.

Mit dieser Nummer schließt das 3. Quartal und ersuche ich die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das 4. Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.
Ernst Keil 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Glücksspiele
  2. siehe w:Pharo