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Die Gartenlaube (1853)/Heft 23

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[241]

No. 23. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Der Genius von New-York.

oder
Abenteuer eines geflüchteten Kurhessen.

Auch ich war in Arcadien geboren, nämlich in Kurhessen, und dort auch Maler geworden. Aber was ist ein Maler, der nicht trifft? Ich war brodlos und wurde auch heimathlos, nachdem ich einen berühmten Mann gemalt und nicht getroffen hatte. Besonders, weil die Finger zu lang gerathen waren. – Glücklich war ich in London angekommen; aber wie hier glücklich durchkommen? Ich hatte mir die Stiefeln schief und die Sohlen abgelaufen. Niemand wollte mir Gehör, geschweige Arbeit und Brod geben. Niemand hatte Zeit, am Wenigsten dazu, Geld für Kunst auszugeben. Ich glaube auch, daß die Leute hier nur deshalb so reich sind, weil sie niemals Zeit haben, Geld auszugeben. Die Zeit reicht kaum hin, um es zu verdienen.

Gott, rief ich, was ist das für eine Welthauptstadt, wo die Leute Alles haben, nur keine Zeit! Nicht einmal gemeine, nach Stunden und Minuten gemessene Zeit, geschweige Muße. Ohne Zeit keine Muße, ohne Muße keine Musen. Ich traf manche deutsche Brüder, die mir alle riethen: habe Geld und fang’ ein Geschäft an, sonst gehst Du zu Grunde. Andere meinten’s noch redlicher und gaben mir noch bestimmtere gute Regeln: Nicht blos Geld sollt’ ich haben, auch feine Wäsche und Kleider, einen Backenbart und glanzlackirte Stiefeln, sonst komme man unter den Engländern nicht fort. Das rieth man mir, der ich schon 14 Tage lang nach Verwirklichung meines nächsten Ideals strebte, ohne es zu erreichen: neuer Sohlen unter meine kurhessischen Stiefeln.

Doch ich will mich über diese sich immer mehr ausdehnenden Zwischenräume zwischen Oberleder und Sohle nicht zu weit ausdehnen, zumal da ich dann der Vollständigkeit wegen auch die Gründe auseinander setzen müßte, warum ich den rechten Arm immer sehr knapp um die Seite hielt, was nicht meine Gewohnheit war, als ich unter dem Arme noch nicht zu erröthen brauchte. Ich dachte: Streckt sich doch Mancher, der mehr hat und ist, als ich, nach der Decke; warum soll ich nicht wenigstens den Arm nach einer Stelle, die nicht gehörig bedeckt ist, strecken? Aber, wie gesagt, ich will an diesen meinen Gebrechlichkeiten nicht zum Maler werden und über eine Zeit hinwegeilen, in der ich jedenfalls verhungert wäre, wenn nicht meine Wirthin, eine sehr arme Frau, Erbarmen und Brod für mich gehabt hätte. Ich schreibe keine Dichtung, sondern ein Stück Leben, wie sich’s eben wirklich zusammensetzte.

Ich bin angestellt. Brod! Eine Stelle! Etwas Gewisses jede Woche! Was will der Mensch mehr heut zu [242] Tage? Die Wirthin hatte auch dafür gesorgt. Konnte mich die arme Frau zum Hofmaler machen oder bei einem Lord einführen? Nein, aber doch in einen Lumpenboden mit fünf Schillingen wöchentlich. Lum – Ja, ich schreibe keine Dichtung, ich meine auch nicht etwa einen blos lumpigen, sondern einen großen, wirklichen Lumpenboden (pag-Shop) mit sechszehnverschiedenen Beamten in den Departements der leinenen und kattunenen, der wollenen und halbwollenen und der gemischten Lumpen, der verschiedenen Maculatursorten und der Knochen. Blos acht Tage arbeitete ich im Knochen-Departement, dann avancirte ich schon zum Papiere und zwar gleich zum Sortiren des feinen und gröbern. Freilich nach vier Wochen waren meine Augen schon so entzündet, daß ernstlich an einen Arzt gedacht werden mußte. Auch hier schaffte die brave, dicke Wirthin Rath und sogar ein Hospital, das deutsche Hospital weit oben in Dalstow (einem äußersten, nordöstlichen Stadttheile Londons). Der brave Doctor Heß heilte nicht nur die Augen, sondern verschaffte mir auch Eintritt in einige deutsche Familien, die mich aus Gnad’ und Barmherzigkeit Portraits malen ließen. Das schwerste, sauerste Brod, das ich je gegessen! Es klingt wieder sehr unzart, wenn ich melde, daß ich mich in den Lumpenboden zurücksehnte, aber es ist doch wahr, und vor der Wahrheit muß man immer Respect haben, in welcher Gestalt sie auch auftrete. Aber was half’s? Dort war keine Stelle vacant und so fuhr ich fort, Leute auszuspioniren, die sich portraitiren ließen. Man hatte mir die Gegenden jenseits des Towers empfohlen, wo viele deutsche Capitains und Matrosen zu finden seien. Und wirklich, dort erblühte mein Glück. Diese Art Herren haben nicht so feine Physiognomien und Ansprüche und waren leicht zu treffen und zu befriedigen. Mancher Matrose zahlte nicht nur Geld, sondern auch herzlichen Dank für die Freude, daß er nun seine Physiognomie einer alten Mutter oder einer jungen Liebsten schicken könne. So kam ich durch Praxis und Empfehlung immer weiter in den Hafen hinein, einmal auch auf ein Schiff, das auf Wind für Amerika lauerte. Dort hatte ich namentlich den Steuermann gut getroffen. Sogleich versprach mir der Capitain zehn blanke Thaler, wenn ich ihn eben so gut träfe. Ich ging an’s Werk, aber natürlich nicht als freier Künstler, sondern als eine für zehn Thaler verkaufte Seele. Und dazu der steife Grog! Und dabei das immerwährende Aufspringen und Donnern unter den Matrosen von Seiten des Capitains! Der Wind wurde günstig, ehe ich ihn nur im Umrisse günstig conterfeit hatte. Ich entschloß mich kurz, mitzufahren. Ein Bischen Seekrankheit ärgerte mich anfangs, ging aber bald vorüber. Am Tage spielten wir Karte und tranken Grog, des Nachts wurde geschlafen.

So kamen wir mit wenigern Abenteuern, als auf der kürzesten Poststation, eines Nachmittags in New-York an. Matrosen und Capitain sahen weder links noch rechts und würdigten das Gewühl am Strande keines Blicks. Alle hatten’s schon hundertmal gesehen. Auch mir fällt es nicht ein, New-York zu beschreiben. Was gibt’s denn hier zu schildern? Geschäfte, große und kleine Geschäfte, verdorbene oder verschlissene Deutsche, Louis Drucker, Linden-Müller, Irländer. – Inwendig mag manches Herz schlagen und manches edle Gefühl und manche schöne That blühen – ich habe nichts davon bemerkt. Ich portraitirte mich bald immer weiter nach Südwesten hinein, ohne daß mir dabei etwas Besonderes passirt wäre. Alles, was ich erlebte, beschränkt sich auf pecuniäre oder appetitionäre Verlegenheiten, aus denen ich mich dann immer so ziemlich mit etwas farbiger Kreide herausstrich. Nur Musikanten und Portraitmaler können so in die Welt hineinlaufen, wie ich, allenfalls noch Handwerksburschen. Andern Leuten mag ich’s nicht rathen.

Endlich bin ich in einer kleinen, jungen Stadt weit innen im Lande. Ich will sie nicht nennen, denn ich habe es mit lauter wirklich lebenden Personen zu thun. In der kleinen Stadt bin ich Gehülfe bei einem Franzosen, der fabrikmäßig portraitirt. Er macht die Gesichter, ich die Haare und Kleider, ein Anderer die Rahmen u. s. w. Die Personen brauchen blos 1/2 Stunde zu sitzen. Drei Stunden nachher wird ihnen das Portrait mit Glas und Rahmen und einer quittirten Rechnung in’s Haus geschickt. Letzteres besorgt ein hübscher Junge mit einem Tressenkragen. Eines Tages kömmt ein schönes Mädchen herein. Der Fabrikherr wirft eben die Züge eines alten Herrn auf’s Papier, während eine dicke, rothlockige Mutter mit ihrem Jungen aus einer Tasche ißt und öfter fragt, ob sie bald dran kämen. Die junge, schöne Dame eröffnet, daß sie gar keine Zeit habe, und es müsse überhaupt sehr rasch gehen, sonst sei sie genöthigt, sich an einen Andern zu wenden. Wer aber läßt die Kunden in einem Geschäft gerne gehen? Der Portraitfabrikherr fragt mich, ob ich’s wagen wolle? Ei warum nicht! Die junge, schöne Dame setzt sich mir gegenüber, und daß nun der Zeitpunkt gekommen ist, wo die Liebesgeschichte anfängt, versteht sich. Sie war selbst unter den schönen Amerikanern schön, außerdem wohl kaum 17 Jahre alt. Auch ich bin nicht häßlich, so viel weiß ich als Portraitmaler, und hab’ ich nicht einen Schnürenrock und einen schönen Bart rings um und langes Haar mit etwas natürlicher Lockung? Außerdem mußte sie durch das viele gegenseitige Ansehen bald merken, daß ich mit einem nicht schlechten Herzen voll heiliger Bewunderung für dieses feine, frische, edele, schöne Gesicht war. Doch wozu so etwas schildern? Die Sache ist, daß wir uns in der ersten Stunde gegenseitig liebten und zwar sehr eifrig. Sie war viel zu offen und naiv, als daß ihr das Versteckspielen hätte gelingen sollen. Sie wohne „sechste Straße,“ die nur aus einem einzigen Hause bestehe, sagte sie, als sie sich verabschiedete. Man möge eine bestimmte Zeit festsetzen, wenn das Portrait abgeliefert werden solle, damit sie’s im Garten in Empfang nehmen könne; Vater sollt’ es nicht sehen. Die armen Amerikaner haben keine Geschichte, keine Könige, keine großen Kriegshelden, nach denen sie ihre Straßen taufen könnten, und so helfen sie sich mit magern Zahlen, um sich in ihren nüchternen geraden Straßenzeilen zurechtzufinden.

Sechste Straße – einziges Haus! Das ist ja kinderleicht zu finden, dacht’ ich und trug das Portrait natürlich selbst hin. Aber die vierte und fünfte Straße und die siebente und achte Straße bestanden auch erst aus einzelnen, zerstreuten Häusern, deren Linien in der Dämmerung sich gar arg verwirrten. Nachdem ich vergebens an mehreren einzelnen Häusern herum spionirt hatte, ob sich das liebe Gesicht zeige, kam sie mir endlich entgegen, nahm das Portrait in Empfang, fragte nach der Rechnung und öffnete ihr Taschenbuch.

„Es kostet mehr, als Sie da in dem Buche haben,“ [243] antwortete ich mit beleidigtem Künstlerstolze, „es ist nicht mit Geld zu bezahlen.“ –

Sie sah in das Taschenbuch, blickte nur einmal halb darüber hinweg auf mich und sah dann noch tiefer hinein. Also vollkommen verstanden. Ich wollte das Honorar selbst von ihren Lippen entnehmen, aber sie wendete das schöne Köpfchen so rasch, daß die braunen Locken flogen, und flüsterte, ob ich das Capital nicht noch etwas stehen lassen wolle.

„Wenn ich hoffen darf, daß mir gute Zinsen nicht vorenthalten werden!“ erwiederte ich.

„Ich denke es so gut anzulegen, daß mir auch hohe Zinsen nicht schwer fallen werden,“ kicherte sie kindlich, aber doch auch so süß und gedämpft, daß offenbare Liebe der Jungfrau aus dem Kinde sprach.

Es war eine so einfache Situation, aber nie hatte ich in meinem Leben etwas Höheres, Gewaltigeres, Schöneres gefühlt und empfunden. Wir waren uns so fremd, zwei verschiedene Erdtheile hatten uns aufwachsen lassen und doch gingen wir nun nach diesen wenigen, ersten Worten so innig bekannt und verwandt, so vertrauungsvoll neben einander, als hätten wir uns schon immer alle Tage gesehen, gesprochen und allmählig lieben lernen.

Da ich hier nicht als Romanheld florire, brauche ich mich nicht weiter zu idealisiren. Und so gesteh’ ich offen, daß ich sowohl in Kurhessen, als auch in London, als ich die schiefgetretenen Stiefeln trug, geliebt habe, ohne an Dauer und Ehe zu denken. Als ich meinen Fabrikherrn das Erlebniß in der sechsten Straße erzählte, um meine Bitte, den Betrag von meinem Honorare abzuziehen, damit zu begründen und er mich auslachte wegen meiner deutschen Gutmüthigkeit der pfiffigen Yankeetochter gegenüber, die eben nur die zwei Dollars habe sparen wollen, dachte ich auch wieder so, wie in Kurhessen. Meine Schwärmerei war dahin. Dessenungeachtet fand ich den folgenden Abend das Haus sehr gut und auch sie wieder – Aurelia. Natürlich war nun sogleich wieder aller Zweifel vorbei, solche offene, zarte, naive, schöne Weiblichkeit und kindliche Frische, um zwei Dollars zu sparen? Ich schämte mich ordentlich, dem Fabrikmaler nur einen Augenblick geglaubt zu haben.

Vorläufig ist nun aber nichts Besonderes in unserer Geschichte. Wir kamen jeden Abend im Garten zusammen, selbst wenn es regnete. Nie wurde ein Capital reichlicher verzinst, das versteht sich. Aber das Wort „Garten“ ist nicht ohne Erklärung zu verstehen. Es war kein gewöhnlicher, es war der schönste Garten, der mir je vorgekommen. Blos eine Sorte Grünes wuchs darin, welches man im gemeinen Leben Gras nennt. Wo blieben denn die Bäume? Nun was kümmerten uns Bäume? Wir wollten weder klettern, noch Häuser von Holz bauen. Früchte sind auch sehr schön im Garten, wenn man Früchte essen will; Blumen gehören auch in den Garten, wenn man Blumen sehen will; aber Aurelia und ich wollten weder Aepfel essen noch Blumen sehen; wir wollten eben blos Arm in Arm einherwandeln und uns zuweilen etwas setzen und Auge im Auge sehen und Capital und Zinsen für mein Portrait in Unordnung bringen, so daß von beiden Seiten immer genommen und zurückgegeben werden mußte, ohne daß es je stimmte, und nichts Anderes übrig blieb, als immer von vorn anzufangen. Die Sache war idyllisch bis „der Alte“ dahinter kam. Der Alte war ein Kaufmann, der Geld machte, ich ein Malergehülfe. Eines Abends überraschte er uns, sprach sehr freundlich zu mir und traute mir zu, daß ich selbst die Unmöglichkeit einer ehelichen Verbindung einsehen würde, da das Malen immer ein sehr unsicheres „Geschäft“ bleibe. Er erwarte daher bestimmt, daß ich mich nie wieder sehen lassen werde.

Natürlich kamen wir doch wieder zusammen. Mehrmals wieder ertappt, mußten wir endlich scheiden. Aurelia sollte zur Mutter gebracht werden, die in einer andern Stadt einem andern Geschäfte vorstand. Der Alte war so freundlich, mich im Hause förmlich Abschied nehmen zu lassen, denn gegen meine Person hatte er durchaus nichts.

Aurelia drückte mir beim Abschied ein Zettelchen in die Hand. Es stand darin, daß wir uns den folgenden Nachmittag auf dem Eisenbahnhofe treffen und „fliehen“ wollten. Natürlich stellte ich mich ein. Sie war schon da mit einer bauschigen Reisetasche. Da der Zug im Vorbeigehen blos eine Minute hielt, war Pünktlichkeit nöthig. Wir flogen daher, sowie der Zug hielt, hinaus und stießen zugleich Beide auf den „Alten.“

„Hallo, junges Völkchen!“ rief er scherzhaft, „’n Bischen ’n Ausflug machen, wie? Wohin denkt man denn? Und was hat denn da meine liebe Aurelia für einen mörderlichen Reisesack?“

„Oh, Papa!“ schluchzte sie und weinte so leidenschaftlich, daß es ein Erbarmen war.

„Na, sagen Sie mal, junger Herr, was ist denn das nun hier eigentlich?“ wandte er sich an mich, indem er seine joviale Miene ablegte.

„Nun,“ sagte ich mit desperater Courage, „nichts als dies, daß wir uns hätten davon gemacht und trauen lassen, wenn Sie nicht so unberufen dazwischen gekommen wären!“

„Hm! Hm! gibt’s da vielleicht einen bestimmten Grund für solche Eile?“ Der Alte sah mich dabei ungemein fest an.

„Allerdings,“ sagte ich.

„Was?“ schrie jetzt der Alte. „Was für ein Grund?“

„Wir lieben uns!“ antwortete ich mit fester Stimme und festem Blick in sein Auge.

„Leben Sie wohl!“ sagte er, nachdem er mich und Aurelia wechselweise prüfend angesehen, „und besuchen Sie mich, wenn Sie mir 5000 Dollars oder ein sicheres Einkommen von 2000 Dollars jährlich nachweisen können, aber nicht eher!“ Mit diesen Worten nahm er Aurelia’s große Reisetasche in den einen und sie an den andern Arm und ging sehr ruhig und fest ab.

Der Garten war und blieb leer. Sie war fort. Nun galt es, 5000 Dollars anzuschaffen. Ich wollte sie unter allen Bedingungen schaffen, oder sterben. Das stand fest bei mir. Ich lernte nun portraitiren, wie Einer und schon nach einem Vierteljahre hatte ich 100 Dollars in der Bank. Da kam ein Brief. Mein ehemaliger Herr, jetziger Freund, war gerade bei mir. Der „Alte“ schrieb mir, daß seine Tochter seit drei Wochen verstorben sei.

Ich weinte wie verzweifelt und wurde dann still.

„Woran denken Sie?“ frug der Franzose.

„An Tod!“

„Selbstmord, denke ich.“

Ich gab keine Antwort.

„Haben Sie ihr Portrait?“

[244] „Nur eine schlechte Skizze von meiner eigenen Hand, auch ein Daguerreotyp, aber kalt und duftlos.“

„Genug, Leben und Liebe copiren Sie aus Ihrem eigenen Herzen. Malen Sie Aurelia. Schaffen Sie ein Kunstwerk und dann bringen Sie sich um, wenn’s gefällig ist. Aber wir Deutschen und Franzosen sollten nicht um Kleinigkeiten sterben.“

„Kleinigkeiten?“

„Sicherlich. Wir haben eine Mission in den neuen Welten. Die Anglo-Sachsen machen Geld und haben zu nichts Anderem Geschick und Geschmack. Die Menschheit geht in ekelhafter Geldmacherei unter, wenn wir nicht schöne, große Ideen unter sie werfen. Sehen Sie in England, in Amerika, in Australien sind es überall Deutsche und Franzosen, die Kunst, Literatur, Wissenschaft säen und schaffen. Tragen Sie zu unserer Mission ein Werk bei. – Sie haben gerade jetzt die rechte Stimmung und Weihe dazu – und dann schießen Sie sich todt, wenn Sie glauben, hier fertig zu sein. Ich habe bald Geld genug, um dann auch als Künstler anfangen zu können. Das Gesicht ist wundervoll und Ihr Schmerz groß; damit können Sie etwas leisten.“

Das packte mich durch und durch. In sechs Wochen sollte eine Kunstausstellung in der nächsten großen Stadt eröffnet werden. Nach einem Monate war das Bild vollendet. Ich hatte während der Zeit Essen und Trinken vergessen, aber es war fertig. Acht Tage lang dämpfte und hob ich noch an den Farbentönen; dann thaten wir’s in einen Rahmen, den mir der Franzose creditirte, packten es ein und schickten es nach dem Eisenbahnhofe.

Mehrere Zeitungen sprachen gleich am zweiten Tage mit Enthusiasmus von der Perle der Ausstellung, dem über New-York schwebenden und bittend herniederblickenden Genius der Kunst, nur tadelten sie, daß der Genius „zu Deutsch“ aussähe. New-York sieht in der Vogelperspective erhaben aus. Die beiden Theile von Meerwasser getrennt und stets tausendfältig durch elegante Dampfer verbunden, dieses Meerleben ringsum – und das viele Morgenroth und die vielen derben, körperlichen Farbentöne dazwischen bildeten einen effectvollen Gegensatz zu dem vom Aether getragenen Genius oben, dessen Gewandung, aus lichten durchsichtigen Wolken gewoben, sich weit in den Himmel hinein immer leichter und unsichtbarer verlor. Vom Gesicht ging alles Licht aus, das sich aber vertheilte, nur das untere vom irdischen Morgenroth. So konnte man das Gesicht zugleich für eine höhere, überirdische Sonne nehmen. Doch ich will nicht weiter aus den Zeitungen abschreiben; aber ich kaufte mir alle möglichen Zeitungen und borgte mir bei dem Franzosen Geld dazu, nachdem ich ihm Alles, was irgendwie entbehrlich erschien, versetzt hatte. Ich war lauter Gluth und Aufregung. Ehrgeiz, Künstlerstolz und Sehnsucht nach dem Originale meines Bildes, das mir zugleich vermodernd aus dem Sarge entgegenstarrte, verzehrten mich. So saß ich eines Abends matt und aufgeregt in meinem Zimmer und ließ mich geduldig brennen und glühen von Bildern und Leidenschaften aller Art. Sie schwebte vor mir lächelnd in den Wolken; sie streckte todt und angstvoll bittend mir ihre Hände aus dem Grabe entgegen. Nun öffnete sie leise die Thür, und ihre geisterhafte, weiße Wange erröthete, und ihr weißes Gewand rauschte, ihr süßer Mund bewegte sich und flüsterte:

„Ottomar kennst Du mich nicht mehr?“

„O meine Aurelia, Dich nicht kennen?“

„Und Du liebst mich noch?“

„Du bist mein unsterbliches Selbst. Ich Dich nicht lieben?“

„Nun warum bewillkommst Du mich nicht? Ottomar, warum empfangen mich Deine Arme nicht?“

Von Furcht und Schrecken niedergedrückt, aber plötzlich von wahnsinniger Leidenschaft erhoben, stürzte ich mich auf das Phantom los und schloß es in meine Arme, meine süße, lebenswarme, wirkliche Aurelia. Das waren wirkliche Arme, wirkliche Küsse.

„Mein Gott! Mein Gott! Wie ist das möglich? Wie lange hab’ ich Dich als todt beweint!“

„Und ich Dich als begraben.“

Doch nun wurde unsere Unterhaltung so lebendig und Fragen und Antworten so schnell und verwickelt, daß ich’s nicht mehr aufschreiben kann.

„Der Alte“ hatte uns für einander todt gemacht, um die Tochter an seinen „Co.,“ wie so ein Theilnehmer am Geschäft in der kurzen, kaufmännischen Kunstsprache titulirt und geschrieben wird, zu verkaufen. Sie hatte aber nicht ihn, sondern ein Fieber bekommen, wovon sie noch so blaß ausgesehen hatte, bis unsere Umarmungen kamen. Nun hatte der Alte „eingewilligt,“ nur um sie gesund zu machen, dann aber gleich wieder von seinem „Co.“ angefangen und sie gequält, bis sie auf der „Ausstellung“ gewesen waren. Da hatte sie gemerkt, daß ich nicht todt sein könne, obgleich sie mir vorwarf, ich habe gar zu sehr „geschmeichelt.“ Ich unterbrach sie und meinte, nun wollten wir sogleich fliehen.

„Das ist nicht nöthig. Alterchen hat nichts mehr dagegen. Und da hinten steht er selbst. Frag’ ihn nur.“

„Sir!“ sagte der Alte, indem er vortrat, „jetzt ist’s etwas Anderes. Jetzt gebe ich natürlich meine Einwilligung, da Sie die verlangten 5000 Dollars nachweisen können.“

„Ich 5000 Dollars?“ O selbst meine 100 waren längst wieder dahin.

„Ist der Brief mit der Anweisung noch nicht da?“ fragte der Alte. „Nun die Compagnie in New-York, welche Ihr Bild kaufte, hat Credit bei mir. Und wenn Sie heute Abend in der sechsten Straße Ihren Thee trinken wollen, soll es mir sehr angenehm sein. Hoffentlich hat der Genius über New-York nichts dagegen.“

Gewiß nicht. Wir tranken den Abend Thee und kurz darauf saß ich eines Nachmittags mit meinem Genius als Hauptheld unter lauter langen, schmalschulterigen, backenbärtigen Yankees und ihren Damen. Viele bestellten bei mir Bilder. Jeder wollte einen in der Luft schwebenden Gegenstand haben, unter Anderm Einer seine Großmutter, weil sie ihm bei ihrem Tode viel mehr hinterlassen, als er erwartet hatte. Die Kunst ist noch kindlich in Amerika, ich aber bin gegenwärtig ein glücklicher Ehemann und renommirter Künstler.


[245]

Richard Cobden.

Der Charakter, die ganze geistige Richtung, insbesondere aber der scharfe und praktische Blick eines Mannes lassen sich oft aus einem einzigen Ausspruche desselben erkennen, und wenn Richard Cobden in irgend einer Rede einmal sagte:

„den Chinesen baumwollene Nachtmützen anzugewöhnen, sei für England wichtiger als alle Protokolle der Diplomaten“ –

so tritt aus dieser so wunderbar klingenden und doch so wahren Bemerkung sogleich hervor, daß sich in ihr der [246] Geist eines Mannes abspiegelt, der, frei von allen phantastischen Träumereien, nur den Eingebungen des Verstandes folgt, und der auf das innigste davon überzeugt ist, daß Handel und Industrie, die beiden großen Pulsadern der gesellschaftlichen Zustände, die thätigsten und wirksamsten Verbreiter der Civilisation sind, je weniger sie in ihrem Aufschwunge gehemmt werden. Und in der That hat Richard Cobden, der einfache Kattunfabrikant von Manchester, seit seiner funfzehnjährigen öffentlichen Thätigkeit für diese seine Ueberzeugung rastlos gewirkt, und den, von ihm verfochtenen Grundsätzen des Freihandels-Systems einen so glänzenden Sieg errungen, daß sein Name als einer der bedeutungsvollsten hervortritt in der neuesten nationalökonomischen Entwicklung des gesammten britischen Weltreichs.

Indessen begann Cobden nicht unvorbereitet seine öffentliche Laufbahn. Um sich einen tieferen Blick in die Verhältnisse der Zeit und in die Zustände verschiedener Länder zu verschaffen und sich Erfahrungen einzusammeln, unternahm er im Frühjahre 1837 eine längere Reise, die ihn besonders nach der Türkei, Aegypten und Griechenland führte. Seine Beobachtungen und Erlebnisse theilte er zu Anfange des Jahres 1841 in einer schottischen Zeitschrift mit, und machte sich dadurch als einen rein praktischen Mann und scharfen Beurtheiler bekannt. Doch schon bald nach der Rückkehr von seiner Reise hatten ihm die gedrückten Verhältnisse der Fabrikarbeiter wie überhaupt der Manufakturthätigkeit Gelegenheit geboten, öffentlich gegen die drückende Herrschaft des Monopolsystems, hauptsächlich aber der Korngesetze[1], die zu Gunsten der reichen Grundbesitzer auch bei den ergiebigsten Ernten den Preis des Brotes auf einer bestimmten Höhe erhielten, aufzutreten und sich in seiner Vaterstadt Manchester mit mehreren gleichgesinnten Freunden zu verbinden. Cobden’s erstes Auftreten gegen das Monopol und seine Vertheidiger entging zwar der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht, aber der Anfang war an sich zu unbedeutend, als daß es die stolzen Landlords hätten der Mühe werth erachten sollen, wider den gegen sie ankämpfenden Kattunfabrikanten zu Felde zu ziehen, um so mehr, da die Trennung zwischen den Ackerbautreibenden und den Fabrikdistrikten Englands noch eine viel zu schroffe war, und man unter den Ackerbauern leicht die Ansicht verbreiten konnte, daß Cobden nur auf Kosten des Landbebauers die Fabrikanten und ihre Arbeiter bereichern wollte. Gegen diese falsche Ansicht, die sich nur auf ganz verkehrte nationalökonomische Grundsätze stützen konnte, mußte entschieden angekämpft werden, und da dies weder einem Einzelnen noch einigen, wenn auch durch gleiche Meinung vereinigten Männern mit nachhaltigem Erfolge würde gelungen sein, so wurde hauptsächlich auf Cobden’s Antrieb im September 1838 zu Manchester der Verein gegen die Korngesetze (Anti-Korngesetz-Verein) gegründet, an dessen Spitze Cobden als einer der Hauptbegründer trat und bis zu dem großen Triumphe, den die Lehren dieses Vereins davon trugen, die Seele desselben blieb. Von diesem Augenblick an begann, unter der Leitung Cobden’s und seiner näheren Freunde (Wilson, Bright, Villiers, Tompson u. A.), der Kampf gegen die Korngesetze, die Hauptstütze der Aristokratie Englands, nach einem bestimmten Plane, mit einer gewissen Berechnung; und wenn sich der Verein auch vorzüglich die Vernichtung dieser drückenden Gesetze zum Hauptziele gesteckt hatte: so richtete er gleichzeitig seine Waffen auch gegen alle Handelsbeschränkungen, gegen das Monopol im Allgemeinen und pflanzte die Fahne des Freihandelssystems auf. Wie lange dieser Kampf dauern würde, war, da es die Gegner des Anti-Korngesetz-Vereins nicht an hartnäckiger Gegenwehr fehlen ließen, nicht zu berechnen; es hing Alles daran, die öffentliche Meinung für die Ansichten zu gewinnen, daß billiges Brot wie überhaupt Billigkeit der nothwendigsten Nahrungsmittel und freie Konkurrenz im Handel und Verkehr nicht einer Klasse der Gesellschaft, sondern allen Klassen gleiche Vortheile bieten, und dies konnte nur durch eine friedliche, aber zugleich auch großartige Agitation, wie sie die freien Institutionen Englands gestatten, erreicht werden.

Mit unermüdlicher Anstrengung war Cobden für den Verein thätig, und kaum hatte er durch seine Bemühungen demselben eine Anzahl einflußreicher Männer in Manchester gewonnen und in öffentlichen Versammlungen in einfacher, klarer Rede den gewaltigen Druck nachgewiesen, den die Korngesetze auf den gesammten Verkehr ausübten, so bildeten sich in kurzer Zeit, nach dem Muster des Hauptvereins in Manchester, in allen Fabrikdistrikten Zweigvereine, in deren Versammlungen ganz nach der, von Cobden vorgeschriebenen Taktik verfahren wurde.

Aus unscheinbaren Anfängen war der Verein bis zum Jahre 1841 schon zu solcher Bedeutung gelangt, daß er während der um die Mitte dieses Jahres eintretenden Parlaments-Auflösung, der sofort eine neue Wahl folgte, eine in vieler Beziehung wichtige Rolle spielte. Cobden, längst in ganz England gekannt, auch von vielen seiner Gegner gefürchtet, trat bei der Neuwahl in Stockport als Bewerber um einen Sitz im Unterhause auf und wurde mit überwiegender Mehrheit gewählt. Die Zahl der Korngesetzgegner so wie der Kämpfer gegen das Monopolsystem war im Unterhause bis jetzt nur klein gewesen, durch die Wahl von 1841 wurde sie ansehnlich verstärkt, und daß Cobden selbst, der Hauptführer der Freihandelspartei nun auch parlamentarisch für die Wahrheit seiner Ansichten kämpfen konnte, erhöhte die Wichtigkeit seiner Person wie die Sache des Vereins außerordentlich. Aber Cobden und seine Freunde mußten auch jetzt ihre Anstrengungen verdoppeln, denn mit dem 1. September 1841 trat Sir Robert Peel, der Führer der torystischen Partei, an die Spitze der Regierung, und wenn auch von diesem klugen und vorsichtigen Staatsmanne zu erwarten stand, daß er sich bei allen das Zoll- und Finanzwesen betreffenden Fragen nur durch die Forderungen der öffentlichen Meinung leiten lassen würde: so war doch gerade von ihm keine freiwillige Annahme der Grundsätze zu erwarten, deren Verwirklichung Cobden zur Aufgabe seines Lebens gemacht hatte. Ein energischer Charakter indessen läßt sich durch Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellen, nicht von der Verfolgung eines einmal aufgesteckten Zieles abschrecken. Gerade von dem Augenblicke an, wo Sir Robert Peel die [247] Leitung der Geschäfte übernahm, arbeitete Cobden mit der ganzen Kraft seines thätigen Geistes daran, den Anti-Korngesetz-Verein zu einer Macht zu erheben. Versammlungen über Versammlungen wurden gehalten, zahllose Schriften über das Schädliche der Korngesetze und die segensreichen Folgen der Vernichtung derselben im ganzen Lande verbreitet, Lehrer der Volkswirthschaft angestellt und gleichsam als Sendboten ausgeschickt, um überall, auch in den kleinsten Orten, Vorlesungen zu halten und die Wohlthaten des Freihandelssystems dem Volke anschaulich zu machen. Alle diese Schritte und Maßregeln überwachte Cobden mit scharfem Blicke, und der erste Lohn seiner Anstrengungen war der, daß der Premierminister Sir Robert Peel, als er am 9. Februar 1842 im Unterhause seine Zoll- und Finanzgesetze vorlegte, nicht nur an den alten Korngesetzen durch wesentliche Abänderungen des früheren Zollsatzes rüttelte, sondern auch eine so bedeutende Reduktion des allgemeinen Zolltarifs vornahm, daß dadurch den von Cobden und seinen Freunden vertretenen Prinzipien wenigstens der Anfang einer Bahn gebrochen würde.

Die Art und Weise, wie Robert Peel seine Zollreformen eingeleitet, ließ mit Gewißheit voraussehen, daß er zu umfassenderen Zollverbesserungen geneigt sei und nur die hierzu passende Zeit abwarte. Cobden hielt es demnach für unumgänglich nöthig, daß der Anti-Korngesetz-Verein nach allen Seiten hin seine Anstrengungen verdoppele, vornehmlich aber darauf hinwirke, die Bevölkerung der Ackerbau-Distrikte, die Pächter, für die Lehren des Vereins zu gewinnen und dahin zu überzeugen, daß das wohlfeile Brot, was der Fabrikarbeiter verzehre, auch ihnen Vortheil bringe, daß also die Aufhebung der Korngesetze auch ihre Lage wesentlich verbessern werde. So schwierig diese Aufgabe war, weil gerade in den Ackerbaudistrikten der Einfluß der Grundherren überwiegend war, so wurde sie doch zum größten Theile gelöst, und bis zum Jahre 1845 war der Anti-Korngesetz-Verein zu einer solchen Macht angewachsen, und das Volk im Allgemeinen für die, von Cobden und seinen Freunden gepredigten Grundsätze in so hohem Grade gewonnen, daß die Verfechter des Monopols, die reiche Geldaristokratie, der nächsten Zukunft mit Zittern und Zagen entgegensahen. Die Organe der Vollblut-Tories erschöpften sich in Schmähungen gegen den „Demagogen und Aufwiegler“ Richard Cobden, und doch war seit dem siebenjährigen Kampfe, den der Anti-Korngesetz-Verein führte, noch kein Tropfen Blut vergossen, nirgend Ruhe und Ordnung gestört, niemals ein bestehendes Gesetz verletzt worden. Bald sollten die Tories es erleben, daß der ihnen verhaßte Cobden vollständig und für immer den Sieg über sie davon tragen werde.

Eine seltsame Naturerscheinung kam den Bestrebungen Cobden’s und seiner Freunde zu Hülfe. Im Herbste des Jahres 1845 brachte die, bis dahin unbekannte Kartoffelkrankheit wie einen Theil des Kontinents, so auch England, namentlich Irland, dessen Bewohner auf die Kartoffel als ihr Hauptnahrungsmittel angewiesen sind, in nicht geringe Noth. Alle Nachrichten, die Robert Peel über den Ausfall der Kartoffelernte in Irland anstellen ließ, bestätigten die schreckliche Aussicht, daß, wenn nicht ungesäumt Hülfe geschafft werde, das furchtbarste Elend über die unglückliche Insel hereinbrechen müsse.

Die Kartoffelseuche brachte eine momentane Ministerkrisis hervor, weil sich die Räthe der Krone über freie Getreideeinfuhr nicht einigen konnten. Endlich siegte doch Robert Peel’s Ansicht, und gestützt auf die öffentliche Meinung und die wirklich Achtung gebietende Macht des Anti-Korngesetz-Vereins, der gerade in dieser Zeit, auf Antrieb Cobden’s, die beispiellosesten Anstrengungen gemacht hatte, trat der Premierminister am 27. Januar 1846 in einer mehrstündigen Rede mit seinen neuen Zollgesetzen auf, erklärte das Bestehen der Korngesetze für rein unmöglich und bekannte sich offen zu den Grundsätzen einer freisinnigen Handelspolitik.

Das war der Augenblick, wo Cobden den größten Triumph feierte. Zwölf Nächte hindurch wurde im Unterhause mit furchtbarer Erbitterung gestritten, aber leider lag der Mann, auf den jetzt die Augen von ganz England gerichtet waren, Richard Cobden, in Folge der großen Anstrengungen krank darnieder und nur bis gegen Ende des parlamentarischen Kampfes erholte er sich so weit, daß er der Schlußdebatte beiwohnen und als einer der letzten Redner das Wort für seine Lehre ergreifen konnte. Mit überwiegender Majorität wurden Peel’s Vorschläge angenommen, und ihre Annahme wurde im ganzen Lande als der glänzendste Sieg Cobden’s und des von ihm geleiteten Vereins gefeiert, und ihm, der dem Interesse der großen Sache einen bedeutenden Theil seines Vermögens geopfert, auch sein eigenes Geschäft vernachlässigt hatte, eine Nationalbelohnung bewilligt, reich genug, um ihn als ganz unabhängigen Mann hinzustellen.

Nachdem sich Cobden wieder erholt, trat er eine große Reise durch die Kontinentalstaaten Europa’s an und ward überall mit Achtung und Bewunderung aufgenommen. Auf der Bahn, die er gebrochen, sind die englischen Staatsmänner bis jetzt rüstig vorwärts gegangen; seit 1849 haben die Korngesetze faktisch aufgehört und mit jedem Jahre haben die Grundsätze des Freihandelssystems sich weiter ausgedehnt, da die überwiegenden Vortheile desselben so sehr in die Augen springen, daß selbst die eingefleischtesten Anhänger des Monopols es nicht mehr wagen, offen für dasselbe aufzutreten. Das letzte Tory-Ministerium, an dessen Spitze Graf Derby stand, machte zwar während seines kurzen Bestehens die verzweifeltsten Anstrengungen, die Korngesetze in sehr mäßiger Weise wieder herzustellen; aber die Drohung Richard Cobden’s, daß dann auch der Anti-Korngesetz-Verein sofort wieder in’s Leben treten werde, benahm den Monopolrittern alle Luft und sie selbst gaben ihr Vorhaben auf. Bei dem Zurücktritte des Derby’schen Ministeriums glaubte man allgemein, daß Richard Cobden Mitglied des neuen Cabinets werden würde; dies ist aber nicht geschehen; jedoch steht mit Gewißheit zu erwarten, daß der Besieger der Korngesetze, der immer noch unermüdliche Agitator für vollständige und uneingeschränkte Annahme des Freihandelsytems vielleicht schon in der nächsten Zukunft eine einflußreiche Rolle als Staatsmann spielen werde.

Cobden wird jetzt ungefähr fünfzig Jahre alt sein und dürfte bei seiner thätigen und mäßigen Lebensweise ein hohes Alter erreichen, so daß es ihm wahrscheinlich noch beschieden ist, in seinem Vaterlande allgemein den [248] Wohlstand verbreitet zu sehen, der, wie er fast in jeder seiner Reden vorausgesagt, der Anerkennung und Ausführung seiner Grundsätze folgen werde und müsse. Richard Cobden gehört nicht zu den glänzenden Rednern, an denen England so reich ist; er spricht einfach und doch eindringlich, was ihm aber an oratorischem Schmucke abgebt, wird durch jene edle Freimüthigkeit ersetzt, die aus seinen Worten überall hervortritt und ihnen eine solche Kraft giebt, daß sie ihren Eindruck auf den Zuhörer selten verfehlen. Er ist ein praktischer, nüchterner und hochherziger Mann, der sich zu der hohen Mission berufen fühlt, für das Wohl der Menschheit zu wirken.




Spanische Reisebriefe.

Von
E. A. Roßmäßler.
IV.
Abschied von Barcelona und Küstenfahrt bis Alicante.


Am Bord des Mercurio im Grao von Valencia den 30. März. 

Nachdem ich zwei volle Wochen ziemlich unthätig in Cataloniens Hauptstadt zugebracht hatte, vergeblich auf besseres Wetter wartend und an ein von hier nach Alicante abgehendes Dampfboot der Gesellschaft „Navegaciony Industria“ durch Vertrag von Marseille an gebunden, veranlaßte mich zum Abschied mein verehrter Freund v. Gülich zu einem Ausfluge nach dem Tividavo, dem höchsten Punkte der Hügelkette, welche Barcelona nordöstlich umgiebt. Niemand, der nach einem kurzen Aufenthalt in dem schönen Barcelona dessen nächste Umgebung kennen gelernt hat, darf versäumen, vom Tividavo aus einen umfassenden Abschiedsblick auf eine der reizendsten Landschaften zu werfen, deren das schöne Spanien so viele besitzt.

Eine Tartane brachte uns bis zum Flecken San Gervasio, der schon ziemlich hoch gelegen ist. Von da aus erreichten wir in kaum einer Stunde den Gipfel des sanft ansteigenden Tividavo und gegen meine Erwartung fand ich auf dieser unbedeutenden Höhe, gewiß noch nicht 1000 Fuß über dem Meere, ein vollkommenes Rundgemälde von großer Ausdehnung. Vor mir, nach Süden zu, breitete sich die auch jetzt schon lachende Ebene aus, an deren Saume Barcelona am Meere liegt; ich sage: jetzt schon lachend, denn obgleich außer Oel- und Algarobabäumen des Baumlaubes noch entbehrend, war doch die Ebene mit üppigen Wintersaatfeldern bedeckt, aus denen zahllose kleine Ortschaften und Landhäuser hervorblickten. Hinter mir im Norden das ernste Gegenteil: eine düstere hundertgestaltige Berglandschaft, deren Ferne sich allmählig in graue Nebelwolken verbarg und mir auch den Anblick des Monserrat entzog, der sonst von hier in majestätischer Gestalt sichtbar ist. Doch mir ist gerade eine Beleuchtung, wie ich sie fand, viel erwünschter, als wenn die Sonne von einem wolkenlosen Himmel ihr Licht gleichmäßig über Alles ergossen hätte. Die Schatten der von einem ziemlich scharfen Luftzuge über den Himmel getriebenen Wolken zogen wie graue Gespenster über die ungeheure Ebene zwischen mir und dem Meere oder krochen wie Schlangen über die Unebenheiten der Berglandschaft hinter mir. In einer großen Landschaft, von bedeutender Höhe aus gesehen, ersetzen die Wolkenschatten die nicht mehr erkennbaren Gestalten der Thiere und Menschen, bringen in sie Leben und Abwechselung. Alles Einerlei wird langweilig: Glück wie Sonnenschein.

In San Gervasio wartete unsere Tartane und brachte uns schnell wieder nach Barcelona zurück. Wenn der Barcelonese eine Kutsche, – d. h. einen unseren Kutschen fast gleichen Wagen[2] – ein halbes Glück, una media fortuna, nennt, so möchte man im Gegensatz davon eine Tartane für ein ganzes Unglück zu halten geneigt sein, wenn man namentlich eine solche von einem feurigen Pferde durch die Löcher des Barcelonesischen Straßenpflasters gezogen und darin die hoch emporhüpfenden Insassen sieht. Es ist aber nicht ganz so schlimm wie es aussieht, wenngleich immer noch ziemlich schlimm. Eine Tartane ruht auf der Axe von zwei Rädern und hat einen von Wachstuch niedrig überwölbten länglichen Kasten, so daß sie einem Pulverkarren ziemlich ähnlich sehen würde, wäre sie nicht stets bunt und mit allerlei Zierratben angemalt. Die beiden Längsbänke der Tartanen ruhen auf starken Druckfedern, die einer vollständigen Bemannung einen leidlich angenehmen Sitz gewähren, einzelne Insassen aber wie einen Federball behandeln, wie es uns beiden erging.

Ich kann nicht von Barcelona in meinen Berichten scheiden, ohne noch ganz besonders dankend eines Mannes zu gedenken, der in mir deutsche Nation und Wissenschaft ehren zu müssen schien, welche beide er, für Spanier sehr ausnahmsweise, genau kannte. Es ist der Professor, oder wie es in Spanien heißt, Catedratico der griechischen Sprache an der hiesigen Universität, Don Antonio Bergnes de las Casas. Er hatte vor mehren Jahren in Verbindung mit noch einigen spanischen Gelehrten unter dem Namen „Germania“ eine Auswahl deutscher Werke zu übersetzen begonnen; allein die Herausgabe war, nachdem erst wenige Lieferungen erschienen waren, an den Machinationen des Klerus gescheitert.

Am Morgen des ersten Osterfesttages lichtete der Mercurio die Anker, um mich an dem herrlichen Panorama der Ostküste Spaniens hinzufahren. Das Wetter war anfangs hell und die bunte Abwechselung der vorübergleitenden Berge, unter denen lange Zeit der Monserrat die Hauptrolle spielte, gewährte mir eine angenehme Unterhaltung.

[249] Aber bald trieb auch der Regen unter das Verdeck, der erst gegen Mittag aufhörte. Von da an blieb das Wetter klar und verstattete mir, das Schauspiel eines glühenden Sonnenunterganges hinter der prachtvoll gelegenen Stadt Castellon de la Plana. Kaum aber war die Sonne verschwunden, als ein heftiger Südwestwind eintrat, der sich bald zu einem ganz unzweideutigen Aequinoctialsturm steigerte. Vorhin trieb mich das Wasser von oben unter Deck, nun that es das Wasser von unten, denn so manche Woge versuchte mit Erfolg einen kühnen Sprung über unser Schifflein. Da der Sturm aber unserem Course gerade entgegen blies, so gab er der Bewegung des Bootes, dessen Maschine gegen ihn ankämpfte, eine gewisse, feste und stetige Haltung. Aber alle Augenblicke erbebte es bis in die innersten Theile, wenn eine Welle von vorn dagegen anprallte. Ich hatte Gelegenheit, meinen Gleichmuth zu erproben, denn aus der scharfen Aufmerksamkeit des Capitäns konnte ich abnehmen, daß die Lage des Schiffes keine ganz behagliche sei. Es behielt aber die Freude und das Staunen über die Großartigkeit der Erscheinung in mir die Oberhand über die Zaghaftigkeit. Ich stellte mich neben den Steuermann, einigermaßen vor den Wellen geschützt, so daß ich das ganze Verdeck vor mir hatte, und ließ meine trunkenen Blicke hinausschweifen über das bewegte Meer. Wir hatten in Barcelona eine bedeutende Anzahl Soldaten mit an Bord bekommen. Die Aermsten lagen jetzt großentheils ohne Schutz vor Wind und Wellen auf dem Verdecke umher, theils dichtzusammenhockend, um einer von des anderen Wärme zu profitiren, theils unter allerhand zerlöcherten Hüllen, welche ihnen die mitleidigen Matrosen geliehen haben mochten. Der Capitän war in seine Koje gegangen, er schien also keine Gefahr mehr zu befürchten. Ich war mit dem Steuermann, außer den Soldaten, die mehr als Leichen auf einem Schlachtfelde zu liegen schienen, das einzige lebende Wesen auf dem Verdeck. Der Himmel war vollkommen klar und ohne Wolken und der fast noch volle Mond beleuchtete mir hell das imposante Schauspiel, in dessen Anblick ich nicht müde werden konnte. Obgleich das vor mir liegende Verdeck bald abwärts bald aufwärts, bald rechts bald links geneigt erschien und ich mit ausgespreizten Beinen mich fest an der Brustwehr festhalten mußte, so bemerkte ich doch zu meiner Freude, ja mit einem gewissen Stolze, daß ich durch das furchtbare Schwanken des Schiffes nicht im mindesten belästigt wurde und ich darf glauben, einer von den Wenigen zu sein, welche die Seekrankheit verschont. Ich ging endlich in meine Koje und machte mir mit meinem Pelze mein behagliches Lager noch behaglicher, und schlief trotz der fortwährenden Stöße bald ruhig ein. Ich legte mir die Frage vor, ob man in einem Hause, welches, wenn auch ohne Gefahr einzustürzen, immer schwanke und an dessen Thor in kurzen Zwischenräumen mit Balken- und Mauerbrechern gepocht werde, wohl würde schlafen können? Als ich erwachte, war aller Sturm vorüber und das Schiff nur noch in einer wiegenden Bewegung. Von der Sonne erleuchtet, wechselte ohne Unterlaß die durchaus berggesäumte Küste in bunter Mannichfaltigkeit ihrer Formen. Aber auch hier Alles noch kahl und laublos. Tortosa mit der Ebro-Mündung waren wir in der Nacht passirt. Von den folgenden Küsten-Orten nenne ich nur noch Murviedro, das alte Saguntum, das mir alle meine spanischen Reisegenossen mit einem gewissen nationellen Stolze wiesen. Man lebt auch hier von der Vergangenheit! Ob man an eine Zukunft denkt, möchte ich bezweifeln.

Um 12 Uhr des zweiten Ostertages kamen wir am Grao vor Valencia an und jetzt, indem ich dieses schreibe, liegt mit mir der Mercurio schon seit 24 Stunden hier vor Anker, die er auch erst in 6 Stunden lichten wird, um in der Nacht die Fahrt bis Alicante zu machen. Anfangs hieß es, daß wir nach wenigen Stunden weiter fahren würden, bis daraus nach und nach ein und ein halber Tag wurde. So lange liege ich vor dem „Garten von Spanien“, ohne ihn betreten zu haben. So weit ich ihn vom Bord aus beurtheilen kann, ist aber auch in ihm der Lenz noch nicht eingezogen und so tröste ich mich. In einigen Wochen werde ich ihn von Murcia aus um so blühender antreffen.

Mein Aufenthalt auf dem Schiff ist auch nicht ohne Unterhaltung. Das Meer liegt ruhig wie ein Landsee vor mir da und am Horizonte schimmert eine Heerde weißer Vögel – die Fischerbarken, welche, meist zu zweien, seit dem Morgen mit Fischen beschäftigt sind. Kein Lüftchen regt sich und die Sonne wärmt mich daher, nach so viel ausgestandener catalonischer Kälte, echt valencianisch durch, ohne jedoch lästig zu werden. Ich bin unumschränkter Herr der 1. Kajüte, denn zufällig waren alle meine Reisegefährten in Valencia an ihrem Ziele, und so hatte ich mich denn an der langen Tafel, nachdem ich allein mit dem Kapitän gefrühstückt habe, häuslich mit Leipziger Schreibzeug zu diesem Briefe nach Leipzig niedergelassen.




Blätter und Blüthen.

Hexen in Nordamerika. Nachdem der Glaube an Hexen in Europa längst verschwunden, scheint er jetzt in dem sonst so aufgeklärten Nordamerika, wo indessen das Uebersinnliche und Mystische noch eine ziemliche Rolle spielt, wieder auftauchen zu wollen. Von einem Hexenfall dieser Art wird aus dem Staate Pennsilvanien gemeldet. Eine Frau, die zu der unter dem Namen „die christliche Kirche“ bekannten Sekte gehörte, setzte eine ihr zugestoßene Krankheit auf Kosten der Behexung, wobei der Verdacht der Hexerei auf eine andere Angehörige derselben Sekte fiel. Die Hexenprobe wurde hierauf von der Gemeinde in der Weise beschlossen, daß die Verdächtige über einen Besenstiel hinschreiten mußte. Da diese Probe jedoch Vielen nicht ausreichend genug schien, so wurde die angebliche Hexe noch gegen die Bibel abgewogen, und dabei im Voraus angenommen, daß, wenn sie leichter als die Bibel befunden würde, dies der Beweis der Schuld sein sollte. Die Angeschuldigte wog jedoch natürlich schwerer und wurde daher für unschuldig erklärt. Wenn diese amerikanischen Hexenproben auch weit entfernt sind von der Grausamkeit, mit welcher früher in Europa gegen die vermeintlichen Hexen vorgeschritten wurde, so werfen sie immerhin ein bezeichnendes Licht auf das Treiben der religiösen Sekten in den Vereinigten Staaten, die auf dem dortigen [250] freien Boden wuchernd emporschießen und des Sonderbaren schon so Manches hervorgebracht haben.


Soldaten-Bibliotheken in England. Solche, vor etwa zwölf Jahren, auf den freiwilligen Beitritt der Soldaten hin, in den Kasernen gegründeten Bibliotheken giebt es gegenwärtig ungefähr 150 mit 117,000 Bänden und 16,000 zahlenden Mitgliedern. Der Jahresbeitrag eines Soldaten beträgt einen Schilling. Da diese Bibliotheken nur wirklich werthvolle und nützliche Bücher enthalten, so haben sich in neuerer Zeit selbst die Officiere an denselben betheiligt, und zahlen dafür einen etwas größern Beitrag, ohne deshalb als Leser größere Rechte wie die übrige Mannschaft zu haben. Auch die seit sieben Jahren bestehenden Kasernen-Schulen werden von den Soldaten zahlreich besucht, obwohl die höhern Officiere dem Besuche jener Schulen mancherlei Hindernisse in den Weg legen. Von beiden Einrichtungen, den Bibliotheken und Schulen, läßt sich ein wohlthätiger Einfluß auf das Verhalten der Soldaten nicht verkennen, und sind in den letzten Zeiten weit weniger Strafen vorgekommen als früher.


Eine wahre Geschichte. In einem Theile des Antillenmeeres liegt eine Gruppe kleiner Inseln, die wegen ihres üppigen und reizenden Ansehens vielfach von Vorübersegelnden besucht werden. Auf einer der schönsten trug sich vor einigen Jahren eine Geschichte zu, die selbst die rohen Matrosen nicht ohne Rührung erzählen: Ein deutscher Student (aus W.) verliebte sich einst vor circa 12 Jahren in ein deutsches Mädchen, da aber wahre Liebe nie einen sanften Lauf hat, so waren Vater und Mutter und Verwandte beider Theile gegen die Verbindung von zwei schlichten Seelen, die einander auf’s Innigste liebten. Die Liebendem beschlossen daher, alle Bande der Natur oder der Freundschaft, die sie an das alte Vaterland fesselten, zu zerreißen und in einem wilden entlegenen Theile der Erde eine neue gemeinsame Heimath zu suchen. Sie hatten von diesem Archipelagus unbewohnter Feeninseln gehört und segelten daher, nachdem sie all’ ihre Habe in Geld verwandelt hatten, nach der Boca S. Juan, von wo er in einer Piragua mit seiner Gattin und einem ansehnlichen Gepäck nach den Inseln fuhr. Da der Deutsche die Piragua für einige Monate gemiethet hatte, so waren die Bootsleute ihm behilflich, auf der Insel, die er auserwählt und in Besitz genommen, die ersten nöthigen Hütten zu bauen. Hierauf gab der Ansiedler dem Steuermanne des Fahrzeugs den Auftrag, ihm einen Majordomo und Arbeitsleute zu senden, und das junge Paar blieb sich selber überlassen.

Die Dienstleute langten an und der Aufseher oder Majordomo war ein starker kräftiger Mestize, der ein sehr gutes Zeugniß mitbrachte, welches er aber, wie sich in der Folge herausstellte, keineswegs verdiente.

Der Deutsche machte seine Insel urbar, pflanzte Zuckerrohr und schickte bald so viel Rohzucker und Federvieh entweder nach der Mündung des S. Juan oder nach Granada, daß er nicht nur alle Kosten decken, sondern auch noch etwas erübrigen konnte. Er machte sogar auch noch eine kleine Nachbarinsel urbar und baute ein einrudriges Boot zur Verbindung zwischen den zwei Eilanden. Er war eben damit beschäftigt, die zweite kleine Insel mit Zuckerrohr zu bepflanzen und beaufsichtigte seine damit beschäftigten Leute, als sich auf der größern ein furchtbares Ereigniß zutrug, das alle seine Pläne zerstörte.

Der Majordomo war von der Schönheit der deutschen Inselbewohnerin bezaubert worden und hatte ihr dies mehrere Wochen vor dem traurigen Vorfall mit deutlichen Worten gestanden. Sie selber hatte thöriger Weise ihrem Gatten nichts davon gesagt, weil sie befürchtete, er möchte sich mit einem Manne, der ihm bedeutend überlegen war, in einen Streit einlassen; am Abend vor dem verhängnißvollen Tage erklärte sie jedoch ihrem Gatten, daß sie nicht länger an einem Orte leben könnte, wo ihr fortwährend beleidigende Zumuthungen gemacht würden. Er versprach, den nächsten Tag alles zu ordnen und den Majordomo nach dem Festlande zu schicken.

Am nächsten Morgen fuhr der Deutsche mit seinen Arbeitern nach der kleinen Insel und ließ unklug genug auf der größeren außer seiner Gattin niemand zurück als den Majordomo. Nach einer zwei- oder dreistündigen Arbeit wurden die Arbeiter durch den Anblick einer auf der Hauptinsel aufsteigenden Rauchsäule erschreckt. Sie eilten nach dem Boote und ruderten schnell hinüber, aber wer beschreibt das Entsetzen des Gatten und der Indianer, als sie bei ihrer Ankunft an der Hazienda das Haus in Flammen fanden, während die junge unglückliche Deutsche mit durchschnittenem Halse und allen Merkmalen schamloser Mißhandlung in der Hausflur lag.

Der Majordomo hatte sich nach Verübung dieser scheußlichen Gewaltthat in sein eigenes Boot geflüchtet und war nach dem südlichen Ufer des Sees gefahren, wo er in dem dichten Walde eine sichere Zuflucht zu finden geglaubt hatte, er wurde jedoch drei Tage später erschossen, aber nicht in Folge irgend einer Bemühung des unglücklichen Deutschen, der von dem unerwarteten furchtbaren Schlage gänzlich betäubt und überwältigt war. Es vergingen Monate, ehe er wieder seine Geschäfte besorgen konnte und dann begab er sich nach Deutschland. Darauf kehrte er nach seinem Eiland zurück, um es nicht wieder zu verlassen

Das arme junge Weib! – Sie schläft in Frieden! Ihr Grab ist von einigen prächtigen Bäumen beschattet und mancher schöne Strauch ziert den kleinen Raum, wo sie, frei von allen Leiden, die vielleicht noch ihr Loos gewesen wären, im Schooß der Erde liegt.


Branntweinverbrauch in Neu-York. Der bekannte nordamerikanische Spekulant Barnum hat der Gesellschaft der Mäßigkeitsfreunde in Neu-York einen ganz eigenthümlichen Vorschlag gemacht. Er macht sich nämlich anheischig, die sämmtlichen Abgaben der Stadt Neu-York im Betrag von 4 Millionen Dollars zu bezahlen, jedem Kinde unentgeltlichen und guten Schulunterricht zukommen zu lassen, jede Familie mit einer Bibliothek im Werth von 100 Pf. Sterling zu versehen, desgleichen mit drei Fässern Mehl, ferner jedem erwachsenen Frauenzimmer ein seidenes Kleid, und jeder Mannsperson einen neuen Anzug zu liefern und endlich Allen und Jedem ein Freibillet zum Besuch des Museums zur Verfügung in stellen. Für das Alles verlangt Barnum von der Gesellschaft der Mäßigkeitsfreunde, daß sie ihm eine Summe verabfolgen läßt, welche die Jahreseinnahme der in Neu-York bestehenden 7000 Branntweinläden gleich ist, und schlägt dabei vor, daß der Branntweinverkauf während eines Jahres in Neu-York gänzlich verboten bleibt. Da die Tageseinnahme eines Branntweinladens durchschnittlich zu 10 Dollars angeschlagen wird, so hätten die Mäßigkeitsfreunde dem Spekulanten eine Summe von 25,550,000 Dollars zu zahlen, was sie wohl bleiben lassen werden. Barnum würde bei Annahme seines Vorschlags ein ganz hübsches Geschäft machen.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Schnellpressendruck von Giesecke & Devrient in Leipzig.

  1. Die Korngesetze besteuern eingeführtes Korn im Verhältniß zu dem Preise, den das im Lande gewonnene Korn auf dem Markte hat. Steht der englische Marktpreis hoch, so ist der Einfuhrzoll niedrig, im umgekehrten Falle wird der Einfuhrzoll erhöht, so daß eine Konkurrenz des fremden Korns mit dem einheimischen gar nicht möglich ist.
  2. Den er auch cocha nennt. Das ch wird stets wie tzsch sehr scharf ausgesprochen.