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Die Folgen des Attentats

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Titel: Die Folgen des Attentats
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 369–370
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Der Mordversuch gegen den deutschen Kaiser Wilhelm I. am 2. Juni 1878, in: Volksblatt. Eine Wochenzeitschrift mit Bildern. Jahrgang 1878, Nr. 23
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[369] Die Folgen des Attentats. Zwischen dem Momente, wo wir unter dem Eindrucke eines erschreckenden Ereignisses diese Zeilen schreiben, und dem Tage, an welchem diese Nummer aus der Presse in die Hände des Publicums gelangen kann, liegen ein paar voraussichtlich höchst bedeutsame Wochen, in denen überdies von sämmtlichen Blättern unserer liberalen Tagespresse Alles in erschöpfendster Weise gesagt sein wird, was über die für uns Alle so unerwartet hereingebrochene Prüfung sich äußern läßt. Dann aber wird es um solche Bekundungen gerechten Zornes und Schmerzes schon deshalb nicht mehr zu thun sein, da es alsdann ganz zweifellos feststehen wird, daß der eigentliche Kern und die überwiegende Mehrzahl der Nation eine unerhörte Beschimpfung unserer Volksehre in dem ruchlosen Angriffe auf das Leben des geliebten Monarchen sieht, vor dem wir in dankbarer Ehrfurcht unsere Häupter neigen, da er der heldenmüthige Retter und Wahrer unserer nationalen Existenz, der glorreiche Begründer deutscher Einheit, der Schöpfer volksthümlicher Institutionen und bisher stets ein Herrscher voll liebreicher Güte und herzbezwingender Milde gewesen ist, der das hingebende Vertrauen des Volkes mit herzlichem Vertrauen erwidert hat.

Gewiß, es müssen recht fühllose und verkommene Seelen sein, die nicht einzustimmen vermögen in die weithin so hell aufjubelnde, so warm und imposant aus allen Schichten des Volkes ausstrahlende Freude aber die Errettung des greisen Heldenkaisers aus der Mörderhand eines verwahrlosten Buben. Der harte Drang der Zeit aber wird uns nicht Muße lassen zu langer Hingebung an diese wohltuenden Gefühle. Dicht hinter den Tagen des Schreckens und der Freude werden Tage voll heißer Arbeit und eingreifender Entscheidungen kommen, und aus der Saat des Frevels werden uns gewaltige Aufgaben und schwere, wenn auch nothwendige und heilsame Kämpfe erwachsen. Schon tauchen aus dem Brausen der Meinungen unheimliche Anzeichen verhängnißreicher Wendungen auf, und mit bitterem Erstaunen sieht man, wie die immer lauernde Gier unserer Reactionsparteien, der geistlichen und der weltlichen, ihren Einfluß auf die erregten Stimmungen der Regierungskreise benutzen will, um die gesetzestreue und patriotische Nation durch noch weitere Beschränkung ihrer ohnedies bescheiden zugemessenen Rechte und Freiheiten für die Missetat eines vertierten Bösewichts zu bestrafen. Käme es in Folge des Attentates auf den Kaiser zu einem solchen Attentate auf das Volk, so würde es für die deutschen Bürger nur eine Parole geben: Lasset euch nicht von lyrischen Empfindungen und unklaren Gefühlen beherrschen, sondern stehet fest und einig der hereinbrechenden Gefahr gegenüber, die euch zu Boden treten wird, wenn ihr sie nicht mit scharfem Blicke und starker Entschlossenheit abzuwehren wisset! Brauchen wir erst zu sagen, daß solch eine Heimsuchung unseres Vaterlandes, solch ein erneuerter Kampf um die ersten Bedingungen eines freien Staatslebens auch die „Gartenlaube“ treu und rüstig bei ihren alten Fahnen finden wird?

Es wäre genug des Ernstes, wenn wir nur durch diese eine von den Rückschrittsleuten veranlaßte Befürchtung zu gemeinsamer Wachsamkeit herausgefordert würden. Aus der Betrachtung der verübten Schandtat ergiebt sich jedoch noch ein weiterer Punkt, der noch viel ernster und [370] wichtiger ist als dieser. Nach allen bereits hinreichend erfolgten Aufklärungen über das Attentat wird Niemand mehr bezweifeln können, daß es in seiner ganzen Schnödigkeit als Ausfluß und Symptom eines tiefen sittlichen Schadens zu bezeichnen ist, der seit lange schon unseren Gesellschaftsorganismus durchwühlt, unsere Volksseele in der allerbedenklichsten Weise angefressen und vergiftet hat. Warnende Stimmen dagegen sind allerdings in beträchtlicher Anzahl laut geworden, aber sie waren nicht im Stande, im deutschen Bürgerthum eine Regung wirklicher Thatkraft zu erzeugen. Mehr oder weniger gleichgültig und in träger Schläfrigkeit hat es vielmehr dem stürmischen Umsichgreifen einer neuen Bewegung zugesehen, die nicht blos alle Grundlagen seiner materiellen Existenz bedroht und schon erheblich geschädigt, sondern auch den Bestand unserer idealen Güter, das hohe Erbe der Väter, die Liebe zu fortschreitender Gesittung, die Achtung vor der Bildung und das Streben nach derselben durch systematische Untergrabung sehr wesentlich geschwächt und verringert hat.

Alle Zukunftshoffnungen der Völker sind auf das Fortschreiten der Culturmacht, auf die allmähliche und immer mehr sich erweiternde geistige und sittliche Hebung der noch ungebildeten Classen gerichtet. Wird der Weg zu diesem Ziele absichtlich verlegt und verschüttet, die Welt der Bildung an jedem erziehenden Einfluß auf die unter ihr liegenden Sphären gehindert, so muß ein Ueberwuchern der Rohheit, ein Versinken in Barbarei und Bestialität die Folge sein. Nicht um eine gewaltsame Unterdrückung von Ansichten und Ueberzeugungen handelt es sich, und nicht um die Niedertretung von Bestrebungen, durch welche die Arbeiter ihr oft hartes Loos zu verbessern hoffen, sondern um plan- und professionsmäßig betriebene Verhetzungen und Verführungen der großen unreifen Massen, in denen fort und fort die schlimmsten und wildesten Leidenschaften des Hasses und Neides, der Wuth und Rache bis zu einem Grade entzündet und entfesselt werden, daß ihnen zuletzt das Laster als ihr gutes Recht, das Verbrechen als ihre Pflicht erscheint.

Wie weit dieses Treiben bereits in unserer Mitte und unter unseren Augen gediehen ist, das wissen wir Alle. Das deutsche Bürgerthum ist in allen seinen Schichten stark durch seine Zahl und durch die überwiegenden Mächte seiner Intelligenz, sobald es einig ist. Wird es den unzureichenden und täppischen Gewaltmitteln einer ihm feindlichen Reaction überlassen, was es selber durch eine einmüthige und energische Gegenarbeit viel gründlicher zu vollführen vermag? Das ist die große vaterländische Lebensfrage, welche für uns mit dringendster Gewalt aus dem Attentat sich ergiebt. An der Lösung derselben wird fortan auch die „Gartenlaube“, von ihrem Standpunkte aus, sich zu betheiligen bestrebt sein.