Die Flucht einer Verschollenen
Es war in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag, am 4. September 1870, Morgens ein Uhr. Vor dem Palaste des Gesetzgebenden Körpers zu Paris wogte eine unabsehbare Menschenmenge auf und nieder. Drinnen ward eine rasch improvisirte Sitzung gehalten, bei der indeß kein Mitglied fehlte. Ebenso waren sämmtliche Minister an ihren Plätzen und die Galerien gefüllt zum Bersten. Da erhebt sich der Präsident. Todtenstille ringsum, so daß man jeden Athemzug hört. Traurig läßt der alte Herr mit dem feinen Gesichte und dem schönen weißen Haar, Napoleon’s treues Werkzeug, der vielgenannte Schneider, den Blick über das Haus schweifen.
„Das Unglück sieht uns zu dieser ungewöhnlichen Stunde bei einander,“ beginnt er mit vibrirender Stimme. „In aller Eile habe ich Sie zusammenberufen, damit Sie über die Krisis des Augenblicks berathen.“ Nach diesen Worten sinkt er wie gebrochen in seinen Stuhl zurück.
Alle Augen richten sich auf die Ministerbank. Immer noch Grabesschweigen ringsum. Palikao steht auf, mit seinem sorgfältig rasirten steinernen Antlitz, mit dem fest geschlossenen Munde, über den sich ein kleiner Schnurrbart legt, dem eisigkalten Blicke und dem zierlich gebürsteten grauen Haare. Der „Held von Peking“ ist kein Redner, aber seine Stimme ist fest und sein Auge schaut muthig, ja mit einer gewissen Verachtung umher, während er die Katastrophe von Sedan verkündet. „Einer solchen Nachricht gegenüber,“ spricht er langsam und gelassen, „ist es dem Ministerium unmöglich, sich vor morgen in eine Diskussion einzulassen. Vor wenigen Minuten erst hat man mich aus dem Bett hier in den Sitzungssaal gerufen.“
Gambetta schleudert eine Exclamation in die Versammlung hinein, die aber kein Mensch zu verstehen scheint. Darauf fragt der Präsident die Kammer, ob sie einer Vertagung ihrer Sitzung zustimme. „Oui, oui!“ erschallt es von verschiedenen Seiten, als mit einem Male ein buschiger Kopf in die Höhe fährt und eine heisere, mißtönige Stimme dem Hause drei Anträge zur Beschlußfassung, vorlegt:
Entthronung des Kaisers,
Ernennung einer provisorischen Regierung und
Beibehaltung Trochu’s als Gouverneurs von Paris.
Nur Namen von der äußersten Linken figuriren unter dem Antrag, der mit überraschender Gleichgültigkeit aufgenommen wird. Favre fügt kein Wort weiter hinzu, ein Mitglied der Rechten aber erklärt, daß man die Absetzung des Kaisers zu beschließen nicht das Recht habe. Auch hierauf bleibt Alles merkwürdig still. Dieselbe Ruhe und Stille herrschen während der ganzen Nacht bis zum Morgen auf Straßen und Boulevards.
Als wir jedoch am Vormittage durch die Stadt schlendern, umbraust uns von allen Seiten die Marseillaise, und rundum flattern rothe Fahnen. Ein kleiner Bengel von kaum zehn Jahren hat soeben das Bronzegitter vor den Tuilerien erklettert und die Spitzen desselben mit rothen Fähnchen geschmückt. Tausende und [726] Abertausende von Menschen ergießen sich über die prachtvolle Place de la Concorde und werden nicht müde, ihr „Vive la République!“ zu brüllen. An die Schmach von Sedan denkt kein Mensch. „Er“ ist gestürzt, der Krieg nun beendigt, das der allgemeine Gedanke in Paris an jenem vierten September, welcher vom Morgen bis zur Nacht als Festtag bejubelt wird.
Inzwischen hat Gambetta in einer vom Volke überflutheten letzten Sitzung des Gesetzgebenden Körpers die Liste der provisorischen Minister, das „Comité der Nationalvertheidigung“, proclamirt, auf dem Tuilerienpalaste aber weht – es ist mittlerweile drei Uhr Nachmittags geworden – noch immer die kaiserliche Flagge. Kaiserin Eugenie hat das Schloß noch nicht verlassen. Sie hält soeben ihre letzte officielle Unterredung mit Palikao, der ihr mittheilt, daß das Ministerium mit der ganzen Versammlung vom Volke auseinander gesprengt und auf dem Stadthause die Republik proclamirt worden ist mit Trochu als Präsidenten und Oberbefehlshaber, daß er jedoch versuchen wolle, einige zuverlässige Truppen zusammenzuziehen und der Rebellion Einhalt zu thun.
„Um meinet- und der Meinigen willen,“ erwidert die Kaiserin ohne Zaudern, „soll kein Tropfen Blut vergossen werden,“ und beschließt, sofort Paris zu räumen, wenn es noch möglich ist.
Unter dieser Unterredung ist es halb vier Uhr geworden. Bereits toben aufgeregte Menschenmassen im Schloßgarten. Die alten Tuilerien gleichen einem Riesenschiffe mitten in wilder See. Durch die verödeten Säle und Gemächer hallt es wieder vom Tosen der empörten Volkswogen. Schon hört man Geschrei und Waffenrasseln auf der breiten Haupttreppe, da wird die Flagge auf der Kuppel eingezogen, vielleicht in der Hoffnung, dadurch die Aufmerksamkeit des Publicums abzulenken und glauben zu machen, daß die Kaiserin schon abgereist sei.
Allein der Zweck wird nicht erreicht. Näher und näher kommen Stimmen und Fußtritte. „Sie will entweichen!“ brüllt es draußen. „Absetzung! Es lebe die Republik! Nieder mit Badinguet! Nieder mit Frau Badinguet! Auf, hinein in’s Schloß!“
Jetzt war keine Minute mehr zu verlieren. Von Madame Le Breton, der Schwester des Generals Bourbaki, dem Fürsten Metternich, dem italienischen Gesandten Nigra und einigen Damen und Herren ihres Hofstaates begleitet, rüstet sich Eugenie zur Flucht.
Die Straße über den Hof zu erreichen, der vom Carousselplatze durch ein eisernes Gitter geschieden ist, war ein Ding der Unmöglichkeit, denn der Platz wimmelte von Menschen. Man mußte also zurück und einen andern Weg versuchen, das heißt, die Galerie des Louvre in ihrer ganzen Länge durchschneiden. Mittlerweile war das ursprüngliche Gefolge der Kaiserin auf ein winziges Häuflein zusammengeschmolzen. Es bestand nur noch aus Madame Le Breton und den beiden fremden Gesandten. Alle Anderen hatten sich zerstreut, um auf eigene Hand ihre Haut in Sicherheit zu bringen.
Glücklich kam man bis an das Thor, das sich auf den Platz St. Germain Auxerrois öffnet, gegenüber der gleichnamigen Kirche. Jenseit der Pforte liegt ein schmaler Gang mit einem stattlichen Eisengitter zu beiden Seiten, welcher auf eine Straße mündet. Doch wehe! auch diese Gasse ist voller Menschen, die ihr „Absetzung!“ und „Es lebe die Republik!“ aus vollen Lungen rufen. Die kleine Gesellschaft zögerte, ehe sie das Thor aufthat. Allein es blieb ihr nichts Anderes übrig: sie mußte vorwärts.
Hinter ihnen hörte man bereits das Toben der Menge. Kehrte man um, so fiel man ihr unrettbar in die Hände. Das Wagstück mußte unternommen werden! Vorsichtig zogen die Herren die Thür auf, lugten bang in die Straße hinaus, und die Damen gingen eiligst weiter. Sie hatten sich nur wenig unkenntlich machen können; die Schleier, welche ihre Gesichter verhüllten, waren zu dünn, denn einer der unvermeidlichen Gamins, der sie erblickte, schrie sofort los: „Die Kaiserin!“
Zum Glück achtete Niemand auf den Ausruf, und zu noch größerem Glück hielt gerade ein geschlossener Fiacre am Trottoir der Straße. Die Kaiserin und Madame Le Breton stiegen flugs hinein, nannten dem Kutscher eine fingirte Adresse und fuhren für’s Erste geborgen davon.
Gewiß, es war ein äußerst kritischer Moment. Welche entsetzlichen Scenen gefolgt sein würden, hätte man die Flüchtigen erkannt, läßt sich bei den hochgehenden Wogen der allgemeinen Aufregung und Erbitterung unschwer voraussagen.
Die Gefahren und Nöthen der Kaiserin sollten indeß noch lange nicht vorüber sein. Während die beiden Damen den Boulevard Haußmann hinabfuhren, frug Eugenie ihre Begleiterin, ob sie Geld bei sich habe. Sie selbst hatte in der Eile ihre Börse vergessen. Madame Le Breton zog ihr Portemonnaie aus der Tasche und entdeckte zu ihrem Schrecken, daß es nur – drei Franken enthielt. Was nun beginnen? Man hatte ja kaum genug, die Droschke zu bezahlen! Um jedwede Gefahr eines Streites zu vermeiden, beschloß man, den Wagen lieber alsbald wieder zu verlassen und sich zu Fuß nach der Wohnung des Dr. Evans, eines hochfashionablen und mit Recht berühmten amerikanischen Zahnarztes, zu begeben.
Gleich allen anderen Consultanten mußte die Kaiserin mit ihrer Gesellschafterin warten, bis die Reihe, gerufen zu werden, an sie kam. Dies währte eine geraume Zeit. Madame Le Breton trat zuerst in das Zimmer des Arztes, schloß die Thür hinter sich ab und bat Evans um Gottes willen, durch keinen Laut seine Ueberraschung zu verrathen, während sie ihm die Kaiserin präsentirte und erzählte, daß diese unter seinem Dache Schutz und Zuflucht zu suchen gekommen sei, so lange bis ihre Flucht in größerer Sicherheit bewerkstelligt werden könne.
Dr. Evans gehörte zu den Menschen, die ausschließlich ihrem Berufe leben und sich aller Politik fern halten. Er wußte so auch noch nichts von der plötzlichen Wendung der Dinge in Frankreich. Sein Erstaunen läßt sich daher nicht beschreiben. Daß die Kaiserin Grund haben sollte, für ihre persönliche Sicherheit zu fürchten, wollte ihm durchaus nicht einleuchten. Nichts desto weniger aber bat er die Damen, zu verweilen, setzte seinen Hut auf und ging auf die Straße hinab, um sich mit eigenen Augen und Ohren von der Sachlage zu überzeugen. Schon nach wenigen Minuten kehrte er zurück. Jetzt wußte er, daß die Kaiserin das Schloß keine Secunde zu früh verlassen hatte.
Er benahm sich durchaus ritterlich, die Gefahren, denen er sich selber aussetzte, nicht im Mindesten in Anschlag bringend. Unverweilt nahm er, mit Hintansetzung aller anderen Geschäfte, selbst das Werk der Flucht in die Hand und ersuchte die Damen, so lange seine Gäste zu sein, bis er Mittel und Wege gefunden hätte, sie ungefährdet aus Paris zu spediren.
Eine besonders günstige Fügung des Schicksals war es, daß er im Laufe der nächsten Tage zufällig zwei Damen erwartete, die seiner Dienerschaft noch unbekannt waren. Diese Damen mußten jetzt die Kaiserin und ihre Begleiterin vorstellen. Die Frau des Arztes befand sich auf dem Lande, ihr Zimmer wurde der Kaiserin als Patientin eingeräumt.
Sobald es sich thun ließ, fuhr Evans aus, angeblich, um seine gewöhnlichen Krankenbesuche abzustatten, in Wahrheit, um den Paß durch die Barrièren vorzubereiten. Er fuhr nach der Brücke von Neuilly. Man hielt ihn an und frug nach Namen und Zweck der Fahrt. Einer der Nationalgarden erkannte ihn jedoch und sagte seinen Cameraden, man könne ihn ohne weitere Fragen und ohne Paß passiren lassen. „Sehen Sie mich genau an,“ sprach der Doctor darauf. „Ich werde diese Barrière noch öfters zu passiren haben; damit Sie mich dann erkennen und ohne Weiterungen durchlassen.“
Unbehelligt gelangte er wieder nach Hause. Sein Plan war bereits entworfen. Er theilte den Damen mit, daß die genannte Barrière ohne Gefahr passirt werden könne und daß die Kaiserin sich gefallen lassen möge, auf kurze Zeit eine etwas unerfreuliche Rolle zu spielen, nämlich als eine Geisteskranke zu gelten, die er in einer hinter Neuilly gelegenen Maison de santé unterzubringen habe. Madame Le Breton solle ihre Hüterin und Pflegerin vorstellen. Selbstverständlich hatte man gegen den Vorschlag nichts einzuwenden. Was würde in diesem Momente die stolze Eugenie nicht gethan und gelitten haben, um sich vor der Wuth des Volkes zu retten, auf das sie noch vor wenigen Tagen als Halbgöttin herabgeblickt hatte!
Die Fahrt ward angetreten, die Barrière ohne Unfall erreicht.
„Pst! pst!“ machte der Doctor, indem er auf die Kaiserin wies; „hier fehlt es,“ setzte er hinzu, den Finger an seine Stirn legend; „bitte, meine Herren, regen Sie die Kranke durch Fragen nicht auf!“ Die Garden hatten Evans erkannt; sie grüßten ihn höflich und wünschten ihm und seinem Schützlinge glückliche Reise.
[727] Die erste Gefahr war überstanden. Auch nach St. Germain und Manut kam man ohne Aufenthalt. Hier kehrte man in einem Gasthofe ein. „Ich habe eine Dame bei mir,“ sagte Evans dem Hôtelier, „die ich nach einer Privatirrenanstalt bringen muß; bitte, sorgen Sie für ein Zimmer, das möglichst abgelegen ist und Läden vor den Fenstern hat.“
Sein Wunsch wurde gern erfüllt, und mit einem Gefühle wahrhafter Erleichterung nahmen die Kaiserin und ihre Gesellschafterin von dem also geschützten Gemache Besitz, während Evans mit dem ihn begleitenden Freunde ausging, um die nöthigen Vorkehrungen für die Weiterreise zu treffen. Seinen eigenen Wagen, den er bis hierher mitgenommen hatte, sandte er jetzt nach Paris zurück, um dafür ein Miethgefährt mit einem sorgsam ausgewählten Kutscher zu engagiren, der ihn nach einem gewissen Schlosse bringen sollte, welches, wie er sagte, einer der kranken Dame verwandten Familie gehöre.
Es ward nun weiter verabredet, die Kaiserin solle sich stellen, als widersetze sie sich der Weiterreise nach dem Schlosse, und unterwegs eine solche Aufregung und Widerspenstigkeit simuliren, daß man die gewählte Straße zu passender Zeit – den Moment würde der Doctor schon bestimmen – mit einer andern zu vertauschen genöthigt wäre. Gesagt, gethan. Kaum war man eine halbe Stunde unterwegs, so fing die Kaiserin einen heftigen Streit mit dem Arzte an, und der Zank zwischen der Geisteskranken und ihren Begleitern nahm schließlich so außerordentliche Dimensionen an, daß Evans dem Kutscher zurief, er möge halten, und die Patientin zu bewegen suchte, auszusteigen und eine Strecke zu Fuße zu gehen.
„Das thue ich nicht!“ brauste die Kaiserin auf und begann ein derartiges Geschrei zu erheben, daß die Pferde stutzten und der Kutscher erklärte, er könne nicht weiter fahren, wenn dem Lärm kein Ende gemacht würde. Von Neuem suchte Evans die Tobende zu beschwichtigen, doch vergeblich.
„Ich mag nicht nach dem Schlosse! Ich gehe nicht dahin!“ perorirte Eugenie, so daß dem Arzte nichts Anderes übrig blieb, als Kehrt machen und nach der nächsten Poststation fahren zu lassen, von wo man den Wagen zurückschickte.
Im Gasthof wurden ganz die nämlichen Vorsichtsmaßregeln ergriffen wie im vorhergehenden. Man miethete eine andere Kutsche, und nun erst schlug die Gesellschaft den Weg nach ihrem eigentlichen Ziele ein, nach Déauville, wo Frau Evans die Seebäder gebrauchte.
Auf jeder Station nahm man einen neuen Wagen und einen neuen Kutscher und sandte die alten zurück. Zweimal entging man nur durch ein Wunder den spionirenden Nationalgarden, allein Eugenie war glücklicher auf ihrer Flucht, als achtzig Jahre früher Marie Antoinette mit den Ihrigen. Sie wurde nirgends erkannt, und nach zwei endlosen Tagen voller Angst und Beschwerde langte man todmüde und in Aussicht auf noch manche zu überwindende Schwierigkeit, doch bis dahin wohlbehalten in Déauville bei Madame Evans an, wo die Damen sich einige Tage Ruhe gönnen durften, die, wie sich denken läßt, ihnen sehr noth that. Währenddem erkundigte sich ihr getreuer Paladin nach den vorhandenen Schiffsgelegenheiten, deren man sich etwa zur Fahrt über den Canal bedienen könnte.
Im Hafen ankerten zwei Privatyachten. Evans ging zunächst an Bord der größeren, ihr Eigenthümer war indeß abwesend. Die zweite hieß die Gazelle und gehörte einem englischen Baronet, dem General Sir John Burgoyne. Der Doctor trug demselben sein Anliegen vor und bat inständig, der Kaiserin und deren Gesellschafterin Passage geben zu wollen. Allein Burgoyne weigerte sich zuerst auf das Bestimmteste, seinerseits in irgend einer Weise etwas mit der Sache zu thun haben zu wollen, um sich nicht etwa nachher politischen Erörterungen auszusetzen. Evans aber ließ sich so leichten Kaufs nicht abweisen. Auf das Beweglichste stellte er dem alten Soldaten die angstvolle Lage der Flüchtigen vor und beschwor ihn, das Ganze nicht als politische That, sondern lediglich als einen Act der Menschenfreundlichkeit auffassen zu wollen, auf die ja auch die Kaiserin wohl einen Anspruch machen dürfe. Endlich willigte Sir John ein; nur die Bedingung stellte er, daß die Damen erst unmittelbar vor der Abfahrt des Schiffes an Bord kommen sollten, damit jeder gefährliche Aufenthalt vermieden würde, welcher unfehlbar eintreten müßte, wenn sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf die plötzlich erscheinenden beiden Passagiere lenkte.
Wohl lagen die Gefahren zu Lande jetzt hinter unseren Flüchtlingen; die Gefahren zur See aber standen noch bevor. Ein furchtbarer Sturm erhob sich, der entsetzlichste und verheerendste, den der Canal seit langer Zeit gesehen hatte. Es war dasselbe Unwetter, in welchem das neue schöne Schiff, „der Captain“, mit seinem Befehlshaber und aller seiner Mannschaft zu Grunde ging – eine Katastrophe, die das Herz Englands mit größerer Trauer erfüllte, als wenn eine Schlacht verloren worden wäre, und durch Wochen ein stereotypes Klagelied in allen britischen Blättern veranlaßte. Und merkwürdiges Zusammentreffen! Der Capitain des unglücklichen Schiffes war der Sohn des ehrwürdigen alten Generals, in dessen Yacht Eugenie nach England herüber segelte!
Die kleine „Gazelle“ hielt sich wacker, allein die Gefahr war grausig. Die Damen wurden wild umhergeworfen in ihren engen Kojen und mußten bis an’s Ende der Reise darin aushalten. Um Mitternacht schien alle Hoffnung auf Rettung geschwunden zu sein; schon machte sich Alles auf den demnächstigen Untergang gefaßt. Wäre Eugenie durch die heftige Seekrankheit nicht momentan ihres Denkens und Empfindens beraubt gewesen, – welche Betrachtungen würden ihre Seele bewegt haben!
Der Sturm aber, dem der mächtige „Captain“ erlag – er verschonte die winzige „Gazelle“. Ihre Rettung streifte an das Wunderbare; wenigstens ist selten ein Fahrzeug aus ähnlichen Gefahren gleich unversehrt hervorgegangen. Donnerstags am 8. September Nachmittags gegen drei Uhr lief man glücklich im Hafen von Ryde auf der Insel Wight ein.
Noch am selben Tage wandte sich die Gesellschaft nach Brighton. Hier erfuhr Evans, daß Prinz Louis sich in Hastings befand, und dahin reiste Eugenie auf der Stelle ab. Mehrere Tage lang hatten Mutter und Kind nichts von einander gewußt. Wer, der ein menschliches Herz in der Brust trägt, müßte sich nicht im Innersten seiner Seele ergriffen fühlen bei der Vergegenwärtigung eines solchen Wiedersehens nach Begebnissen, die nicht nur allen Glanz und Stolz der Beiden in Stücken gebrochen und hinweggefegt, die auch das ganze Kaiserreich zertrümmert hatten!
Der unermüdliche Evans war es auch, welcher das Asyl ausfindig machte, in dem bis vor Kurzem Exkaiser und Exkaiserin (letztere ist bekanntlich vor Kurzem nach Spanien gereist) das Leben der Verschollenen gemeinsam führten; er miethete für die Entthronten das schöne Camden House in Chiselhurst und kehrte nicht eher nach Frankreich zurück, als bis er seinen Schützling dort glücklich geborgen wußte. –
Ob Eugenie ihren aufopferungsvollen Ritter kaiserlich gelohnt hat, darüber erzählt der Amerikaner, dessen jetzt in New-York erschienenen „Erinnerungen“ wir diese Mittheilungen entnehmen, nichts. Vielleicht hat sie ihren Retter mit einer – Photographie beglückt, die den erhabenen Moment darstellt, in welchem Lulu auf dem Schlachtfelde bei Saarbrücken die Feuertaufe empfängt?