Die Eroberung des Brotes/Die angenehme Arbeit
DIE ANGENEHME ARBEIT.
I.
Wenn die Sozialisten behaupten, daß eine von der Herrschaft des Kapitals befreite Gesellschaft die Arbeit zu etwas Angenehmem machen und jeden ungesunden Frondienst beseitigen können wird, so lächelt man über sie von oben herab. Und dennoch steht man heute schon vor geradezu frappierenden Fortschritten in dieser Beziehung, und überall, wo diese Fortschritte gemacht worden sind, beglückwünschen sich die Unternehmer immer nur zu den Kraftersparnissen, zu denen man auf diese Weise gelangt ist.
Es ist erwiesen, daß die Werkstätte ebenso gesund und angenehm gemacht werden kann, wie ein wissenschaftliches Laboratorium. Es ist nicht weniger erwiesen, daß es nur vorteilhaft ist, wenn man es tut. In einer geräumigen und gut gelüfteten Werkstätte geht die Arbeit schneller von statten, man kann dort leicht kleine Verbesserungen anbringen, von denen jede wieder eine Ersparnis an Zeit und Handarbeit bedeutet. Und wenn der größte Teil der jetzigen Werkstätten schmutzig und ungesund ist, so rührt dies daher, daß der Arbeiter in der heutigen Organisation der Fabriken als Nichts rechnet und weil die törichte Verschwendung mit menschlichen Arbeitskräften ihr hervorstechendster Zug ist.
Indessen man findet schon hier und dort einige so trefflich eingerichtete Werkstätten, daß es ein wahres Vergnügen wäre, darin zu arbeiten, wenn – wohl verstanden – die Arbeit nicht länger als täglich 4 bis 5 Stunden währen würde und wenn Jeder die Möglichkeit hätte, sie seinen Neigungen entsprechend zu wechseln.
Wir kennen ein Etablissement – leider der Fabrikation von Mordinstrumenten gewidmet – welches in Bezug auf gesundheitliche und zweckentsprechende Einrichtung nichts zu wünschen übrig läßt. Dasselbe bedeckt einen Raum von 20 Hektaren; davon sind 15 Hektar von Gebäuden eingenommen, welche sämtlich mit Glasdächern versehen sind. Diese Glasdächer werden regelmäßig von einer Arbeiterkolonne, die nur zu diesem Zweck besteht, auf das Sorgfältigste gereinigt. Man schmiedet dort Stahlplatten von einem Gewicht bis zu zwanzig Tonnen, und wenn man nur dreißig Schritt von dem ungeheuren Hochofen, dessen Flammen eine Temperatur von weit über 1000 Grad haben, entfernt ist, so ahnt man garnichts von dessen Vorhandensein, [91] höchstens vielleicht, wenn sich einmal der große Schlund des Ofens öffnet und eine riesige Stahlmasse ausstößt. Diese Masse wird dann nur von 3 oder 4 Arbeitern gehandhabt, welche bald hier, bald da einen Hahn öffnen und sie durch kollossale Krane, die mittels hydraulischen Druckes betrieben werden, in Bewegung setzen.
Tritt man in dieses Etablissement ein, so bereitet man sich auf ein betäubendes Geräusch[WS 1] von Hammerschlägen vor und – man entdeckt, daß es hier überhaupt keine Hämmer gibt. Die ungeheuren Kanonen von hundert Tonnen und die gewaltigen Achsen der transatlantischen Dampfer werden mittels hydraulischer Pressen geschmiedet und die Tätigkeit des Arbeiters beschränkt sich darauf, einen Hahn an der Presse umzudrehen; anstatt ihn zu schmieden, preßt man heute den Stahl, wodurch man eine Metallmasse, die vollkommen homogen und ohne Brüche ist, erhält, mögen auch die zu komprimierenden Stücke von noch so großer Stärke sein.
Man macht sich auf ein furchtbares Knirschen und Zischen gefaßt und man sieht Maschinen Stahlblöcke von zehn Meter Länge durchschneiden, ohne daß sie dabei ein stärkeres Geräusch, als man beim Durchschneiden von Käse vernimmt, verursachen. Und wenn wir dem Ingenieur unsere Verwunderung darüber ausdrücken, so entgegnet er:
„Aber das ist ja eine einfache Sache der Sparsamkeit! Diese Maschine hier, welche Stahl hobelt, dient uns schon seit 42 Jahren. Sie würde uns nicht zehn Jahre gedient haben, wenn ihre Teile, schlecht aneinandergepaßt oder zu schwach, bei jedem Hobelstoß knirschten oder schrieen.
„Die Hochöfen? Aber es wäre doch nur eine unnütze Verschwendung, wenn man die Wärme entweichen ließe, anstatt sie auszunützen: warum die Gießer kochen, wenn die durch Ausstrahlung verloren gegangene Hitze den Wärmegehalt ganzer Tonnen Kohle repräsentiert?
„Die Hämmer, welche die Gebäude auf 5 Meilen in der Runde erzittern machten, waren gleichfalls eine Verschwendung. Man schmiedet besser durch den Druck als durch den Stoß und zudem ist es billiger, es bedeutet weniger Kraftverlust.
„Die Geräumigkeit des Etablissements, seine Helligkeit und Sauberkeit sind nur Fragen der Sparsamkeit. Man arbeitet besser, wenn man klar sieht und sich nicht fortwährend mit dem Ellbogen zu stoßen braucht.
„Allerdings“, fügte er hinzu, „waren wir mehr beengt, bevor wir hierher kamen. Der Grund und Boden ist in der Umgebung der großen Städte enorm teuer; die Eigentümer sind so furchtbar habgierig.“
Ebenso verhält es sich mit den Bergwerken. Ein jeder weiß durch Bücher, durch die Zeitungen oder auch durch Zolas Romane, wie ein heutiges Bergwerk aussieht. Die Mine der Zukunft wird aber eine reine Luft und eine ebenso geregelte Temperatur als das Arbeitszimmer haben und auch keine Pferde mehr besitzen, die verdammt sind, unter der Erde zu sterben. Die unterirdischen Aufzüge werden durch ein selbsttätiges Kabel zu handhaben sein, die Ventilatoren werden [92] ständig in Bewegung sein und es wird keine Explosion mehr gehen. Und ein solches Bergwerk ist kein Traum mehr; man hat es schon in England: wir haben es besucht. Auch hier ist die Schonung der Menschen nur eine einfache Frage der Sparsamkeit. Das Bergwerk, von dem wir sprechen, liefert trotz seiner ungeheuren Tiefe von 430 m bei 200 Arbeitern täglich 2000 Tonnen Steinkohle, d. h. 5 Tonnen pro Arbeiter und pro Tag, während die durchschnittliche Jahresleistung eines Arbeiters bei 2000 englischen Gruben einer Förderung von 300 Tonnen im Jahre, also etwas mehr als einer Tonne im Tage gleichkommt.
Wenn es nötig wäre, so könnten wir die Beispiele beliebig vermehren und zeigen, daß, soweit es die Organisation der notwendigen Produktion anlangt, der Traum Fouriers keineswegs eine Utopie ist.
Doch dieser Gegenstand ist so häufig in den sozialistischen Journalen behandelt worden und es hat sich darüber schon eine feste Meinung gebildet. Die Manufaktur, die Fabrik, das Bergwerk könnten ebenso gut gesund, ebenso schön sein, als die besten Laboratorien der modernen Universitäten. Und sie werden umso besser organisiert sein, je produktiver die menschliche Arbeitskraft wird.
Kann man noch daran zweifeln, daß in einer Gesellschaft von Gleichgestellten, wo Menschenarme nicht mehr gezwungen sind, sich feilzubieten, die Arbeit wirklich ein Vergnügen, eine Erholung werden wird? Die abstoßende und ungesunde Arbeit wird verschwinden, denn es ist klar, daß sie unter diesen Bedingungen der gesamten Gesellschaft nur schädlich sein kann. Sklaven können sich ihr hingeben; der freie Mensch wird sich die Bedingungen für eine angenehme und unendlich produktivere Arbeit schaffen. Die heutigen Ausnahmen werden dann die Regel sein.
Ebenso wird es auch mit der häuslichen Arbeit stehen, welche die heutige Gesellschaft auf das Leidens- und Schmerzenskind der Menschheit – auf die Frau abwälzt.
II.
Eine durch die Revolution regenerierte Gesellschaft wird auch die Knechtschaft am Herde beseitigen – diese letzte Form der Knechtschaft, die zäheste vielleicht, weil sie auch die älteste ist. Schwerlich wird sie aber in einer Form beseitigt werden, wie sie von den Anhängern der Phalansterie erträumt wurde, noch so, wie es sich die autoritären Kommunisten so häufig denken.
Auf die große Mehrzahl muß die Phalansterie einfach abstoßend wirken. Der Mensch, und mag er noch so wenig gesellig sein, zeigt sicherlich das Bedürfnis, sich mit seinesgleichen zu gemeinschaftlicher Arbeit zusammenzufinden, zu einer Arbeit, die um so anziehender sein wird, als man sich bei ihr als ein Teil eines großen Ganzen fühlt. Doch es gilt nicht das Gleiche auch für die Mußestunden, für jene, die [93] der Ruhe und dem Innenleben gewidmet sind. Die Phalansterie und selbst die Familisterie tragen dem keine Rechnung; oder sie suchen diesem durch künstliche Gruppierungen zu genügen.
Die Phalansterie, welche in Wirklichkeit nur ein großes Hotel ist, mag dem einen oder vielleicht gar allen einmal in bestimmten Lebensperioden zusagen, aber die große Mehrzahl wird es zu einem bestimmten Zeitpunkt stets vorziehen, in der Familie zu leben (in der Familie der Zukunft, wohlverstanden). Sie wird die isolierte Wohnung vorziehen und die Normannen und Angelsachsen werden sogar ihr isoliertes Häuschen mit 4, 6 oder 8 Zimmern haben wollen, in welchem dann eine Familie oder eine Anzahl Freunde für sich leben können.
Die Phalansterie hat zuweilen ihre Daseinsberechtigung: doch sie würde mit dem Augenblick verhaßt werden, wo sie die allgemeine Regel werden sollte. Die Abwechslung zwischen Isolierung und in Gesellschaft verbrachten Stunden ist für die menschliche Natur das Entsprechendste. Darum ist auch die Unmöglichkeit, sich isolieren zu können, eine der größten Qualen. Das gleiche gilt für die Isolierung; auch sie wird zur Tortur, wenn sie nicht in Stunden des Zusammenseins mit anderen ihre Abwechslung findet.
Was die Erwägungen der Sparsamkeit anbetrifft, die man bisweilen zugunsten der Phalansterie geltend macht, so ist dies die Sparsamkeit des Krämers. Die wirkliche Sparsamkeit, die einzig vernünftige[WS 2], besteht darin, das Leben für Alle angenehm zu machen, weil der mit seinem Leben zufriedene Mensch unendlich viel mehr produziert als der, welcher seine Umgebung verflucht.
Andere Sozialisten verwerfen die Phalansterie. Aber wenn man sie fragt, in welcher Weise sich die häusliche Arbeit organisieren ließe, so antworten sie: „Jeder wird ‚seine Arbeit‘ tun. Meine Frau macht gern ihre Arbeit im Hause: die Bourgeoisfrauen werden es dann ebenfalls tun.“ Und wenn man mit einem Bourgeois, der ein wenig mit dem Sozialismus kokettiert, spricht, so wird er lachend zu seiner Gattin sagen: „Nicht wahr, meine Teure, in einer sozialistischen Gesellschaft wirst du gern der Magd entbehren? Nicht wahr, Du wirst dann ebenso in der Wirtschaft schaffen, wie die Frau unseres wackeren Freundes Paul oder die Frau von Jean, dem Tischler, den Du ja kennst?“ Worauf die Frau mit einem sauersüßen Lächeln erwidert: „O ja, mein Lieber“; aber bei sich denkt sie: Gott sei Dank, daß es noch nicht soweit ist.
Immer noch denkt der Mann daran, auf die Frau als Magd oder Gattin, die Arbeiten der Häuslichkeit abwälzen zu können.
Aber auch die Frau fordert – endlich! – ihren Teil an der Emanzipation der Menschheit. Sie will nicht mehr das Lasttier des Hauses sein. Es ist schon genug, daß sie soviele Jahre ihres Lebens der Erziehung ihrer Kinder widmen muß. Sie will nicht mehr die Flickerin und die Scheuerfrau der Wirtschaft sein. Und die Amerikanerinnen, welche die Vorhut in diesem Werke der Gerechtigkeit bilden, wissen auch schon, ihren Forderungen durch die Tat Nachdruck zu verleihen; es herrscht[WS 3] allgemeine Klage in den Vereinigten Staaten über [94] Mangel an Frauen, die sich noch zu häuslichen Arbeiten hergeben. „Die gnädige Frau“ zieht die Kunst, die Politik, die Literatur, den Spielsalon vor; die Arbeiterin macht es ebenso – und so findet man eben keine Mägde mehr. Sie sind selten in den Vereinigten Staaten, die Mädchen und Frauen, welche sich entschließen, sich der Sklaverei der Schürze zu widmen.
Die Lösung ergibt sich durch das Leben selbst und in sehr einfacher Weise. Es ist die Maschine, die drei Viertel der häuslichen Arbeiten auf sich nimmt.
Ihr bürstet euch die Schuhe und ihr wisset wohl, wie lächerlich diese Arbeit ist. Zwanzig oder dreißig Mal mit einer Bürste über einen Schuh fahren – was kann es Stupideres geben? Indes, solange ein Zehntel der europäischen Bevölkerung sich gegen eine schlechte Schlafstelle und eine ungenügende Nahrung verkaufen muß, wird man auch diesen abstumpfenden Dienst verrichten; und solange wird auch die Frau die Sklavin des Hauses bleiben.
Die Barbiere haben schon Maschinen, um die Haare glatt zu bürsten und zu kräuseln. Wäre es nicht sehr einfach, das gleiche Prinzip auch für die Schuhe anzuwenden? – Und dieses ist auch geschehen. – Heute steht schon die Stiefelwichsmaschine bei den großen amerikanischen und europäischen Hotels in allgemeinem Gebrauch. Auch außerhalb des Hotels findet sie schon Anwendung. In den großen Schulen Englands, deren einzelne Abteilungen allein 50 bis 200 Pensionäre zählen, läßt man die Schuhe nicht mehr durch Bediente reinigen. Man hält es für einfacher, sich ein spezielles Etablissement zu engagieren, welches diesen Dienst verrichtet; man erspart dadurch einen Schwarm von Dienerinnen, die sich ausschließlich dieser stumpfsinnigen Beschäftigung hätten widmen müssen. Das Etablissement holt abends die Schuhe und bringt sie am Morgen, mit der Maschine gebürstet, wieder zurück.
Das Waschen des Geschirrs? Wo findet sich eine Hausfrau, die nicht ein heilloses Grauen vor dieser langweiligen und zugleich schmutzigen Arbeit hätte, die man so häufig noch mit der Hand verrichtet, einzig weil die Arbeit der häuslichen Sklavin nicht rechnet?
In Amerika hat man einen Ausweg gefunden. Es gibt daselbst schon eine Anzahl von Städten, in welchen warmes Wasser ebenso wie bei uns kaltes Wasser in das Haus geliefert wird. Unter diesen Bedingungen war das Problem ein sehr einfaches, und eine Frau, Madame Cockrane, hat die gewünschte Maschine erfunden. Dieselbe wäscht, wischt und trocknet zwanzig Dutzend Teller oder Schüsseln in weniger als drei Minuten. Eine Fabrik in Illinois fertigt diese Maschinen an und verkauft sie zu einem für mittlere Haushaltungen zugänglichen Preis. Und was die kleinen Wirtschaften anbetrifft, so werden sie ihr Geschirr ebenso wie ihre Schuhe einem Etablissement [95] zur Reinigung übergeben. Es ist sogar wahrscheinlich, daß die beiden Funktionen, Schuhbürsten und Waschen – von dem gleichen Unternehmen ausgeübt sein werden.
Die Messer zu reinigen, sich beim Waschen die Haut zu zerschinden und durch das Wringen der Wäsche sich krumme Finger zuzuziehen, die Stuben zu kehren oder die Teppiche zu klopfen – mit der unvermeidlichen Folge, daß sich überall Staub ansetzt, den man wieder erst mit großer Mühe beseitigen muß, alles dies ist heute noch die Aufgabe der Frau, weil sie einmal unsere Sklavin ist; aber alles dieses ist auch im Schwinden begriffen, alle diese Funktionen lassen sich unendlich besser von einer Maschine versehen; und diese Maschinen aller Art werden ihren Einzug in die Haushaltungen halten, sobald es durch Anwendung des Prinzips der Kraftverteilung, auch auf die Haushaltungen ausgedehnt, möglich wird, erstere ohne Aufwand an Muskelkraft in Bewegung zu setzen.
Alle diese Maschinen kosten sehr wenig und wenn wir sie heute noch sehr teuer bezahlen, so rührt das daher, daß sie noch nicht in allgemeinem Gebrauche sind und namentlich weil auf ihnen eine ungeheure Steuer liegt, welche jene Herren, die auf den Grund und Boden, die Rohstoffe, die Fabrikation, den Verkauf, das Patent usw. spekulieret haben und sich dafür den unsinnigen Luxus erlauben, einstecken.
Doch die kleine Maschine in der Haushaltung ist nicht das letzte Wort in der Befreiung der häuslichen Arbeit. Die Haushaltung wird andererseits aus ihrer gegenwärtigen Isolierung herausgehen; sie wird sich mit anderen Haushaltungen assoziieren, um in Gemeinschaft und leicht das auszuführen, was heute unter großer Kraftverschwendung in jeder getrennt geschieht.
In der Tat, die Zukunft besteht nicht nur darin, für jede Wirtschaft eine Maschine zum Bürsten der Schuhe und andere zum Waschen der Teller, eine dritte zum Reinigen der Wäsche u. s. f. zu haben. Die Zukunft wird auch eine gemeinschaftliche Heizanlage bringen, welche die Wärme in jedes Zimmer eines jeden Quartiers entsendet und das Anzünden eines Feuers ersparen wird. Dieses ist heute schon in einzelnen amerikanischen Städten der Fall. Ein großer Herd entsendet in alle Häuser, in alle Zimmer warmes Wasser. Dieses Wasser zirkuliert in Röhren, und um die Temperatur zu regulieren, braucht man nur einen Hahn zu drehen. Und wenn man außerdem wünscht, ein flammendes Feuer in dem und dem Zimmer zu haben, so hat man für diesen Zweck speziell eingerichtete Gasleitungen, die man nur anzuzünden braucht, – das Heizgas wird aus einem Zentralreservoir zu diesem Zweck in die Wohnung geleitet. Jener ganze Dienst, der im Reinigen des Kamins und der Unterhaltung des Feuers besteht – die Frau weiß, wieviel Zeit er erfordert – ist gleichfalls im Verschwinden begriffen.
[96] Die Kerze, die Lampe und selbst das Gas haben ihre Zeit gehabt. Es gibt ganze Städte, in denen es genügt, auf einen Knopf zu drücken, um sofort eine strahlende Helligkeit hervorzuzaubern; und genau genommen, ist es auch wieder nur eine einfache Sache der Sparsamkeit und des Wissens, sich den Luxus der elektrischen Lampe zu verschaffen.
Kurz, man stellt sich schon die Frage (immer wieder in Amerika), ob man nicht durch Bildung von Gesellschaften die gesamte Haushaltungsarbeit beseitigen könne. Man könnte z. B. es erreichen, wenn man für jeden Häuserkomplex einen Haushaltungsdienst ins Leben riefe. Ein Wagen würde kommen, um die Körbe abzuholen, welche mit Schuhzeug, das zu bürsten, mit Geschirr, welches zu reinigen, mit Wäsche, die zu waschen ist, mit allerhand Kleinigkeiten, die zu flicken sind (falls es noch der Mühe lohnt), mit Teppichen, die zu klopfen usw., gefüllt sind; – und am nächsten Morgen würde alles in bester Ordnung zurückgebracht werden, was man diesem Dienste anvertraut hätte. Einige Stunden später würden dann auf eurem Tische, und zwar von dem gleichen Dienste euer warmer Kaffee und gut abgekochte Eier erscheinen.
In der Tat, zwischen Mittags 12 und ½3 Uhr gibt es sicherlich 20 Millionen Amerikaner und ebensoviel Engländer, welche alle einen Rinder- oder Hammelbraten, gekochtes Schweinefleisch, gekochte Kartoffeln und das Gemüse der betreffenden Jahreszeit essen. Und es sind, niedrig gerechnet, 8 Millionen Feuer, die während 2 oder 3 Stunden brennen, um dieses Fleisch zu braten und dieses Gemüse zu kochen; 8 Millionen Frauen, die ihre Zeit damit verschwenden, dieses Mahl zuzubereiten, welches vielleicht in nicht mehr als 10 Gerichten besteht.
„Fünfzig Feuer“, schrieb eines Tages eine Amerikanerin, „da, wo ein einziges genügte!“ Esset an eurem Tisch, in der Familie, mit euren Kindern, wenn ihr wollt, aber ich bitte euch, warum sollen 50 Frauen ihre Vormittage vergeuden, um einige Tassen Kaffee zu machen und dieses einfache Frühstück zu bereiten! Warum 50 Feuer, wenn 2 Personen und ein einziges Feuer genügen würden, um alle diese Fleischportionen und alle diese Gemüse zuzubereiten? Wählet euch euren Rinder- oder Hammelbraten aus, wenn ihr Feinschmecker seid. Würzet eure Gemüse nach eurem Geschmack, wenn ihr diese oder jene Sauce vorzieht! Aber begnügt euch mit einer Küche, die ihr geräumig anlegen möget und mit einem Herde, auf dessen Anlage ihr allen Luxus und alle Sorgfalt verwenden möget.
Warum ist die Arbeit der Frau stets für nichts gerechnet worden, warum sind in jeder Familie die Mutter und häufig noch 3 oder 4 Dienerinnen gezwungen, ihre ganze Zeit den Geschäften der Küche zu widmen? Weil diejenigen, welche die Befreiung des Menschengeschlechtes wollen, die Frau in ihrem Emanzipationstraum nicht begriffen haben und es mit ihrer hohen männlichen Würde für unvereinbar halten, an die Geschäfte der Küche zu denken; sie ziehen es vor, sie auf die Schultern des großen Leidens- und Schmerzenskindes – der Frau abzuwälzen.
Die Frau zu emanzipieren heißt nicht, ihr die Pforten der Universität, des Advokatenstandes und des Parlaments öffnen. Dies letztere [97] sagt weiter nichts, als daß die befreite Frau ihre häuslichen Arbeiten nun einer anderen zur Last legen kann. Die Frau emanzipieren heißt, sie von der abstumpfenden Arbeit der Küche und des Waschhauses befreien; das heißt, eine Organisation schaffen, die ihr erlaubt, ihre Kinder zu nähren und zu erziehen, wie es ihr gut scheint, vor allem aber ihr genug Muße läßt, um an dem sozialen Leben teilzunehmen.
Dieses wird Wirklichkeit werden und fängt schon an, Wirklichkeit zu werden. Seien wir uns aber bewußt, daß eine Revolution, die sich an den schönen Worten „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“ berauschen und zu gleicher Zeit die Knechtschaft des Herdes aufrecht erhalten wird, keine Revolution sein wird. Die Hälfte der Menschheit, duldend unter der Sklaverei des Kochherdes, würde sonst noch gegen die andere Hälfte zu revoltieren haben.