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Die Ermordung zweier „Reisebegleiterinnen“ im Walde

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Textdaten
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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Die Ermordung zweier „Reisebegleiterinnen“ im Walde. Der Prozeß Erbe-Buntrock.
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aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 1, S. 171–177
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Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google-USA*, Commons
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Die Ermordung zweier „Reisebegleiterinnen“ im Walde.
Der Prozeß Erbe-Buntrock.

Daß niedere Habsucht geeignet ist, jedes menschliche Empfinden zu töten und den Menschen zur Bestie werden zu lassen, dafür lieferten zwei Verbrechen, die so grausig waren, daß zu ihrer Wiedergabe sich Tinte und Feder sträuben, einen traurigen Beleg. Und hätte nicht der Spürsinn eines Hundes einen Fingerzeig gegeben, die entsetzlichen Verbrechen wären vielleicht für immer unentdeckt geblieben. Im Sommer 1890 wurden zwei junge Mädchen, die den besseren Gesellschaftskreisen angehörten, von ihren Angehörigen vermißt. Man wußte, daß sie sich infolge einer chiffrierten Zeitungsannonce als Reisebegleiterinnen gemeldet hatten, man konnte sich aber ihr Verschwinden trotz aller Bemühungen nicht enträtseln. Im November 1891 durchstreifte ein Waldwärter den in der Nähe von Magdeburg belegenen Neuhaldenslebener Wald. Plötzlich blieb der Hund des Waldwärters an einer Baumwurzel stehen. Das Tier beschnupperte mit lautem Gebell den Erdboden und war nicht von der Stelle zu bekommen. Der Waldwärter untersuchte die Stelle näher und entdeckte sehr bald einen vollständig nackten menschlichen Rumpf, dessen einzelne Teile bereits stark in Verwesung übergegangen waren. Der Hund beschnupperte laut bellend noch einige andere in der Nähe des ersten Fundes belegene Stellen. Der Waldwärter grub auch an diesen Stellen nach und entdeckte einen menschlichen Kopf sowie Arme und Beine. Der Waldwärter erstattete sofort von dem grausigen Fund Anzeige. Es wurde festgestellt, daß die gefundenen Körperteile von der dreißig Jahre alt gewesenen Wirtschafterin Emma Kasten aus Minden herrührten.

Diese junge Dame befand sich im Frühjahr 1890 bei Verwandten in Magdeburg. Eines Tages las sie eine Zeitungsannonce, in der von einer Grafenfamilie eine Reisebegleiterin bei hohem Gehalt und guter Verpflegung zu sofortigem Antritt gesucht wurde. Die Kasten schrieb sogleich unter angegebener Chiffre an die Expedition der betreffenden Zeitung. Nach wenigen Stunden wurde sie von einer Stellenvermittlerin nach einer Magdeburger Konditorei bestellt. Die Stellenvermittlerin sagte dem Mädchen: das Schloß der Grafenfamilie die eine Reisebegleiterin suche, liege am Saum des Neuhaldenslebener Waldes. Noch am Spätabend des 21. Mai begab sich die Stellenvermittlerin mit dem jungen Mädchen nach dem Neuhaldenslebener Wald, um angeblich in das gräfliche Schloß zu gelangen. Die Nichte des Fräulein Kasten hatte von ihrer Tante herzlichen Abschied genommen, seit dieser Zeit war Fräulein Kasten spurlos verschwunden. Füchse hatten zweifellos den im Walde verscharrten Leichnam, nachdem er in Fäulnis übergegangen war, gewittert und ihn bloßgelegt, denn das Fleisch der einzelnen Körperteile war abgenagt. Einige Leute erinnerten sich der angeblichen Stellenvermittlerin, die eine Zeitlang in Magdeburg ihr Wesen trieb und oftmals in Gesellschaft eines Mannes gesehen worden ist. Schon nach kurzer Zeit gelang es der Magdeburger Polizei, festzustellen, daß die Stellenvermittlerin die 1856 zu Holzminden geborene Dora Buntrock war, die sich in Osnabrück als Lehrerin der Wäschezuschneidekunst niedergelassen hatte. Die Buntrock wurde sofort verhaftet. Sie leugnete anfänglich mit großer Entschiedenheit. Als man ihr aber nachwies, daß sie die Kleider der Ermordeten trage, gab sie schließlich zu, die Mörderin zu sein. Sie habe aber nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit dem 1855 geborenen Agenten Fritz Erbe gehandelt. Aus Briefen, die bei der Buntrock gefunden wurden, ging im übrigen die Täterschaft des Erbe mit voller Sicherheit hervor. Aus den Briefen war auch zu ersehen, daß Erbe sich im Evangelischen Vereinshause in Bielefeld aufhielt. Noch an demselben Abend reiste Kriminalkommissar Schmidt, Magdeburg, von Osnabrück nach Bielefeld und nahm Erbe fest. Dieser, ein ehemaliger Glaser, war verheiratet, aber seit einigen Jahren von seiner Frau geschieden. Er lebte schon seit längerer Zeit mit der Buntrock in wilder Ehe. Diesem Zusammenleben war auch ein Kind entsprossen. Erbe weigerte sich aber, das Kind als das seinige anzuerkennen; er behauptete, ein anderer Liebhaber der Buntrock, namens Karl Behrens, sei der Vater des Kindes. Dieser werde sich wohl auch an der Mordtat beteiligt haben, er sei vollständig unschuldig.

Ein zweiter Mord im Walde.

Als der Mord im Neuhaldenslebener Walde bekannt wurde, machte Hotelier Klages in Hameln der Polizei wiederholt die Anzeige, daß seine siebzehnjährige Tochter Dora im August 1890 von einer angeblichen Stellenvermittlerin in Hannover unter fast genau denselben Versprechungen verschleppt worden und seit dieser Zeit spurlos verschwunden sei. Die Buntrock, ins Verhör genommen, gestand, auch die Klages, in Gemeinschaft mit Erbe, im Walde bei Eschede ermordet und beraubt zu haben. Auf eine Zeitungsannonce in Hannover: „Eine Grafenfamilie sucht eine Reisebegleiterin“, hatten sich vier junge Damen gemeldet. Von diesen habe sie der Klages den Vorzug gegeben, da diese am elegantesten gekleidet war. Die Klages fuhr zunächst noch einmal nach Hameln, um von ihren Eltern Abschied zu nehmen. (Sie nahm für immer Abschied.) Als die Klages nach Hannover zurückgekehrt war, sei sie (die Buntrock) mit dem Mädchen nach Eschede gefahren. Erbe fuhr in demselben Zuge, aber nicht in demselben Coupé. In Eschede angelangt, habe sie sich mit dem jungen Mädchen in ein Gasthaus begeben, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Bald darauf sei auch Erbe in das Gasthaus gekommen. Er habe aber an einem anderen Tische Platz genommen und getan, als würde er sie nicht kennen. Nach etwa 20 Minuten habe sie mit dem jungen Mädchen den Weg nach dem Grafenschloß, das, wie sie vorgab, am Saum des Waldes belegen sei, angetreten. Sie hatten sich aber im Walde verirrt. Da habe sie zu dem jungen Mädchen gesagt, sie wollen sich ein bißchen ausruhen. Inzwischen werde wohl jemand kommen, der ihnen den Weg zeigen werde. Sehr bald darauf sei Erbe gekommen. „Dieser fremde Herr“ zeigte bereitwilligst den Weg zum Schloß und führte die Damen durch eine Schlucht. Plötzlich habe sie (Buntrock) der Klages einen Knebel in den Mund gesteckt. Da das Mädchen sich heftig sträubte, hielt Erbe ihr die Hände fest. Alsdann warf Erbe das Mädchen zu Boden. Er hatte sich vorher dem Mädchen als Arzt ausgegeben und ihm den Hals untersucht; er wollte wissen, wo die Schlagader sich befinde. Erbe habe das Mädchen zunächst vergewaltigt und ihm alsdann, während er auf ihr kniete, mit einem großen, scharfen Messer den Hals abgeschnitten. Erbe habe darauf mit einem Spaten, den er stets mit sich führte, ein Loch gegraben. Währenddessen habe sie (Buntrock) die Ermordete entkleidet und ihr die Finger- und Ohrringe abgenommen. Da die Ringe zu fest an den Fingern saßen, habe sie der Ermordeten die Finger abgeschnitten. Alsdann habe sie, in Gemeinschaft mit Erbe, die Leiche zerstückelt und stückweise im Walde verscharrt. In ganz ähnlicher Weise haben sie die Kasten im Neuhaldenslebener Walde ermordet.

Die Gerichtsverhandlung. Ende Juni 1892 hatten sich Erbe und Buntrock vor dem Magdeburger Schwurgericht zu verantworten. Erbe bestritt mit größter Entschiedenheit, von den Mordtaten etwas zu wissen. Die Buntrock, die jedenfalls mit ihrem anderen Liebhaber, einem Manne namens Carl Behrens, die Morde begangen, bezichtige ihn, weil sie sich an ihm rächen wolle. In der Verhandlung erschien ein junges Mädchen, Fräulein Gerecht (Wirtstochter aus Eschede) als Zeugin. Diese bekundete: Sie erinnere sich ganz genau, daß die Buntrock eines Vormittags im August 1890 mit einem jungen, bildhübschen Mädchen in der Gastwirtschaft ihres Vaters eingekehrt sei. Kurz darauf sei ein Mann in die Gaststube getreten und habe an einem andern Tische Platz genommen. Die Buntrock und das junge Mädchen haben Kaffee, der Mann, in dem sie mit voller Bestimmtheit den Erbe wiedererkenne, ein Glas Bier getrunken. Erbe sei etwa zehn Minuten später als die Buntrock und das junge Mädchen aus dem Gasthause weggegangen. Sie (Zeugin) habe dem Erbe lange Zeit nachgeschaut, dabei sei ihr der eigentümliche Gang des Mannes aufgefallen. Auf Auffordern des Vorsitzenden, Landgerichtsdirektors Polte, ahmt die Zeugin den Gang nach. Alsdann befahl der Vorsitzende dem Erbe, einige Male im Gerichtssaal auf und ab zu gehen. „Das ist der Mann, jeder Zweifel ist ausgeschlossen,“ versetzte das Mädchen. — Vors.: Was veranlaßte Sie, sich den Mann so genau anzusehen und seinen Gang zu beobachten? Zeugin: Der Mann und auch die Buntrock machten auf mich einen unheimlichen Eindruck. Mir schien es, als gehörten Erbe und Buntrock zusammen und ich konnte den Gedanken nicht los werden, daß diese beiden das nette junge Mädchen im Walde ermorden und berauben wollten. (Große allgemeine Bewegung.) — Die Buntrock bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Die Kasten sei groß und stark gewesen, sie habe sich furchtbar gewehrt. Da konnte Erbe nicht lange nach der Schlagader suchen, sondern mußte schnell dem Mädchen den Hals abschneiden. Vors.: War denn die Kasten, nachdem ihr der Hals durchschnítten war, sofort tot? Buntrock: Nein, sie zappelte noch etwa zehn Minuten. — Vors.: Schrie sie denn nicht? Buntrock: Sie konnte ja nicht schreien, wir hatten ihr zunächst einen Knebel in den Mund gepreßt und sie alsdann zur Erde geworfen. – Vors.: Was taten Sie, als Erbe der Kasten den Hals durchschnitt? Buntrock: Ich habe der Ermordeten den Kopf festgehalten, sie suchte sich zu wehren. — Vors.: Sie müssen doch dabei beide stark mit Blut bespritzt gewesen sein? Buntrock: Jawohl. — Vors.: Das war im Mai 1890 und im August 1890 haben Sie in genau derselben Weise die siebzehnjährige Dora Klages im Escheder Walde geschlachtet? Buntrock: Jawohl. — Vors.: Sie hatten sich das Mädchenschlachten geradezu als Handwerk auserkoren, denn lhr Verdienst ist es nicht, daß Sie nicht noch mehrere Mädchen ermordet haben? In Dortmund haben zwei Mädchen es abgelehnt, mit Ihnen durch den Wald zu gehen, weil Sie ihnen zu aufdringlich schienen. Ein anderes Mädchen ist der Ermordung entgangen, weil die Großmutter es nicht rechtzeitig geweckt hatte. Wenn noch mehrere Mädchen Ihre Vermittelung in Anspruch genommen hätten, dann würden Sie wohl noch mehrere Morde begangen haben? Buntrock: Das kann ich nicht sagen. — Vors.: Hat sich die Klages auch gewehrt? Buntrock: Jawohl, die Klages war aber bedeutend schwächer als die Kasten, wir konnten sie daher schneller überwältigen. — Vors.: Hat sie denn nicht geschrien? Buntrock: Sie versuchte es, obwohl ihr auch ein Knebel in den Mund gepreßt war, ich deckte aber, als sie zu schreien begann, meinen Mantel über ihr Gesicht. Vors.: Starb die Klages schnell? Buntrock: Die Klages hat noch sehr lange gezappelt, wir schnitten ihr deshalb die Beine ab. (Ausrufe des Entsetzens im Zuhörerraum.) Vors.: Der Kasten haben Sie, außer ihren Kleidern, goldene Uhr, Kette, die Ringe, die sie an den Fingern trug und 60 Mark bares Geld geraubt? Buntrock: Jawohl. - Vors.: Hatte die Klages auch Geld bei sich? Buntrock: Nicht einen Pfennig. — Vors.: Das war Ihnen vorher bekannt? - Buntrock: Ich fragte sie in Eschede, ob sie Geld habe, da antwortete sie: nicht einen Pfennig. — Vors.: Das Reisegeld von Hannover nach Eschede und den Kaffee in Eschede haben Sie für das Mädchen bezahlt? Buntrock: Jawohl. — Vors.: Sie wußten, daß die Klages kein Geld bei sich hatte, und trotzdem ermordeten Sie sie? Buntrock: Die Klages hatte aber sehr schöne Sachen. — Vors.: Der bloßen Sachen wegen haben Sie das Mädchen wie ein Stück Vieh geschlachtet? Buntrock: Sie hatte ein sehr hübsches Kleid. — Vors.: Ihre Wirtin in Osnabrück hat erzählt: Sie haben des Nachts häufig geweint? Buntrock: Das geschah wegen des vielen Totmachens. — Heftig weinend betrat Hotelier Klages aus Hameln als Zeuge den Gerichtssaal. Er bekundete mit tränenerstickter Stimme: Die Dora sei sein Liebling gewesen. Als sie von Hannover nach Hameln kam, um noch einmal Abschied zu nehmen, sei er nicht zu Hause gewesen, er habe mithin sein Kind nicht mehr sehen können. Seitdem seine herzensgute Dora verschwunden sei, habe er keine glückliche Stunde mehr. — Auch der Bruder der Buntrock, ein wohlhabender Tischlermeister, der eine große Möbelhandlung in Holzminden hatte, erschien als Leumundszeuge. Als die Buntrock des Bruders ansichtig wurde, fiel sie in einen heftigen Weinkrampf. Der Bruder der verruchten Mörderin weinte ebenfalls bitterlich. Auf Erbe machte all dies nicht den geringsten Eindruck. Er leugnete beharrlich, an den Mordtaten beteiligt zu sein, er sei der bestimmten Ansicht, daß der frühere Liebhaber der Buntrock, Carl Behrens, der vor einigen Monaten nach Amerika gegangen, der Mörder sei; der von Erbe angetretene Alibibeweis mißlang aber vollständig. Nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme blieb auch nicht der leiseste Zweifel, daß Erbe der Mittäter war, es konnte auch niemand bekunden, daß die Buntrock jemals einen anderen Liebhaber gehabt habe. Die Angeklagten wurden beide zum Tode verurteilt und hingerichtet.