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Die Erdmannshöhle

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Textdaten
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Autor: Reinhard Reitzel
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Titel: Die Erdmannshöhle
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 224–235
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
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[224]
Die Erdmannshöhle.
(Erzählung mit Zugrundlegung der Volkssage von den Erdmännlein.)

Die Maisonne schien lieblich. Im Thal entfaltete sich der Frühling mit freundlicher Milde, die Erde mit Blumen und tausendfachen Reizen ausschmückend. Ueppig strebten die Saaten empor und frisch kleideten sich die Wiesen, durch welche der Storch behaglich dahin schritt.

Es war ein Sonntag; vertraulich stunden die Leute des Dorfes Hasel vor ihren Häusern beisammen, angelockt von der Frühlingswärme, plaudernd oder mit kleinen Kindern spielend. Mädchen, Hand in Hand, hüpften über die Gasse dem grünen Walde zu, Erdbeeren und Maiblumen zu suchen. Diesen nach zogen die jungen Bursche, mit Querpfeifen versehen, im Schatten einer Linde Tänze und Märsche zu blasen, nach fröhlichem Brauch. Alle kamen jedoch bald eilfertig zurück; denn ein Trupp Reiter mit glänzenden Panzern und farbigen Federbüschen bewegte sich durch das enge Thal herauf dem Dorfe zu. Neugierig stellte sich Jung und Alt an die Straße und erwartete den schönen Zug. Die Reiter kamen, sieben an der Zahl, zogen aber ohne Halt vorüber.

„Da ist der Herr von Oeflingen,“ sagten Einige, „er [225] wird seine Braut abholen, des reichen Dietrich’s von Rötteln Tochter.“

So war es. Bernhard von Oeflingen hatte um die Hand der schönen Helena, der jüngsten Tochter des Freiherrn von Rötteln geworben, und da ihm freundliche Zusage geworden, kam er jetzt, die Geliebte heimzuführen in die wohnliche Burg seiner Väter.

Als der Zug hinter einer Anhöhe verschwunden und somit den Zuschauern aus den Augen war, saßen einige ältere Männer auf einem Baumstamm, der unter einem schattigen Kirschbaume lag, zusammen. „Der von Oeflingen ist ein wackerer Ritter,“ – sagte der Vogt, der unter ihnen war; – „mein Seel, der hält seine Leute in der Zucht! Und doch sind ihm Alle treu und ergeben. Das ist ein Regiment!“

„Vetter Vogt,“ – entgegnete ein älterer Bauer, – „solch ein Regiment solltet Ihr auch eingeführt haben in Eurer Gemeinde, es würde euch sicher Niemand darum tadeln!“

„Blitz, alter Greinert, Ihr redet frei mit mir!“ – fuhr der Vogt auf; – „Wißt Ihr doch wohl, daß ein Vogt sich nicht jede Rede gefallen lassen muß, absonderlich von Einem, der unter ihm steht.“

Der Alte erwiederte ruhig, sich gleichsam rechtfertigend: „Wohl darf es nicht ein Jeder wagen, Euch ein Wort zu sagen; aber Ihr wißt ja, Euerer Ehefrau Bruder, der Stephan, hat mir vor Kurzem so ganz ohne mein Wissen den schönen Eichbaum weggenommen, an welchem die großen Blätter gewachsen, welche ich vor den Mund nahm, wenn er sich zu ungelegener Zeit öffnen wollte. Und so ist es eigentlich nicht meine Schuld, daß Ihr mich frei reden hört.“

„Ich weiß, daß Ihr mir Anzeige gethan; die Sache will ich schon finden!“ warf der Vogt dazwischen.

„Ei Vogt, werdet nicht unwillig und ereifert Euch doch nicht!“ fuhr der Greinert fort. „Ich wollte im Grunde von meiner eigenen Sache gar nicht reden; vielmehr ist das etwas Unerhörtes, daß man die armen Erdmännlein, die von unsern Voreltern so hoch in Ehren gehalten wurden, in jetzigen Tagen nicht selten beleidigen läßt, ohne die Boshaften zu bestrafen. Die kleinen Wesen thun uns vielfältig Gutes, und des [226] Uebels, das sie uns zufügen könnten, wäre gewiß nicht wenig; Ihr allein, Vogt, könntet das anders machen durch ein gut Regiment!“

Die meisten der anwesenden Bürgersleute stimmten dem Redner vollkommen bei; der Vogt aber, ein Liedlein in das Weite summend, stellte sich, als ob er das Gerede nicht vernommen.

„Habt Ihr auch schon gehört, wie es dem von Bärenfels ergangen?“ fragte ein Anderer, dem Gespräch einen andern Gang zu geben.

„Wir wissen’s nicht,“ – riefen Alle, – „erzähle!“

Der Bauer klopfte seine Tabackspfeife aus und berichtete:

„Der stolze Herr von Bärenfels jagte nahe an den Forsten des Oeflingers mit zwei Gesellen. Es traf sich, daß ihnen ein Erdmännlein begegnete. Der übermüthige Bärenfels ließ seine Hunde darauf los und hatte seine Freude daran, wie die Unthiere das arme Männlein jagten und ängstigten, und wie es sich jämmerlich gebehrdete und schrie. Da sprengte der edle Ritter von Oeflingen daher, welcher die grausame Jagd gehört hatte und schlug einen der Fanghunde des Bärenfels’ nieder. Die beiden Herren geriethen darüber in einen harten Streit, wobei der Bärenfels den Kürzern gezogen hat. Das Erdmännlein soll dann zu seinem Retter gesagt haben: „es wolle ihm sein Erbarmen schon vergelten.“

„Ja das wird es gewiß!“ sagten Etliche, als der Erzähler geendet hatte.

„Aber der unmenschliche Bärenfels wird seinen Lohn auch bekommen!“ sprach der alte Greinert, den Zeigefinger hebend.


Die Fenster der Burg Bärenfels glänzten von den Strahlen der Abendsonne, die nicht mehr hoch über den Vogesen stund, und den Widerschein der gemahlten Scheiben sah man von unten aus dem schmalen Thale, das frühe schon im Schatten begraben lag, während die Tannen auf den Höhen sich noch im Sonnenlicht wiegten. Das Schloß wurde von dem noch unverheiratheten Ruprecht und seiner Schwester Adelgunde bewohnt, welche Geschwister frühe schon ihre Mutter, [227] vor elf Monaten aber den Vater verloren hatten. Finster und in sich gekehrt schritt Ruprecht den Laubengang im Garten, der auf der westlichen Seite das Schloßgebäude umgab, auf und ab, indessen die Schwester ihre Lieblinge, die Aurikeln, mit Wasser begoß. Der Junge Mann sah oft auf den Pfad hinüber, der von Norden herab in die Burg führte, und blieb zuweilen stehen, als ob seinen Blicken Jemand begegnen müßte. Dann wandte er sich etwas barsch zu seiner Schwester: „Heute kommt der Steinegger, der Bruno; du wirst Sorge tragen für ein ordentliches Abendessen. Ich wünsche aber, daß du dich gegen ihn beträgst, wie es einem Schwesterlein geziemt, wenn ein Freund des Bruders das Haus besucht. Längst schon hätt’ ich es gerne gesehen, du wärest dem Freunde um etwas geneigter begegnet. Ohne Zweifel ist dir seine Werbung um deine Hand kein Geheimniß mehr, und ich bin’s zufrieden.“

Mit einem Blick, aus welchem Schmerz und Angst hervorleuchteten, schaute Adelgunde zu ihrem Bruder auf: „Fordere Alles, gib mir den Tod – nur nicht einen Gemahl, den ich nicht lieben kann. O Ruprecht, gedenke der schönen, glücklichen Tage unserer Jugend! Hat mich deine Liebe nur darum gerettet, als ich einst schwindelnd in unsres Brunnens furchtbare Tiefe zu stürzen drohte, – um mir das Schrecklichste zu bereiten: das Leben mit einem Manne zu theilen, den keine That ehrt.“

„Bruno von Steinegg ist ein adelig Blut, und hält Freundschaft mit mir!“ sagte ungeduldig und schneidend der Bruder.

Indem er sich umdrehte, ward er einen Reiter gewahr, der den Waldpfad herab auf das Schloß zu ritt. Er eilte an die Zugbrücke, und empfing mit freudigen Worten und Gebärden seinen Freund von Steinegg.

Die Beiden stiegen Arm in Arm die steinerne Wendeltreppe hinauf, und setzten sich oben in ein Gemach um einen großen Holztisch, während ein Diener wohlgefüllte Pokale Markgräfler vor ihnen aufpflanzte. Der Bärenfels verschloß vorsichtig die Thüre, damit die geheime Berathung, die nach allen Anzeigen gepflogen werden sollte, durch keinen Unberufenen gestört würde.

Der Abend war indessen hereingebrochen und den westlichen Horizont umsäumte mit lieblichen Gestalten das Abendroth. Adelgunde befand sich in der Küche, beschäftigt mit der Zurichtung [228] des Mahles. Mit Schauder und Grauen gedachte sie des Gastes, der heute wieder in die Burg gekommen. „Es ist kein gutes Zeichen,“ waren ihre Gedanken, „daß Dieser wieder eingesprochen. Wolle Gott nur Böses verhüten!“ – Ruprecht trat zu ihr und befahl, das Essen aufzutragen, worauf er sofort in den Burghof hinunter eilte, und sechs seiner handfestesten Leute zusammen rief. „In einer halben Stunde seyd bereit, wohlbewaffnet und im Sattel!“ war sein Befehl. „Und damit euch der Muth nicht fehle, findet ihr auf Eurer Stube zwei Flaschen für den Mann.“

Adelgunde wurde von ihrem Bruder mit ungeschwisterlicher Strenge genöthigt, bei Tische zu erscheinen.

„Laßt Euch lang’ nicht sehen, Fräulein!“ redete mit rauher Stimme der Steinegger sie an. „Erlaubt auf Eure Gesundheit zu trinken, herzliebste Braut!“ fuhr er fort, und leerte unmanierlich einen beträchtlichen Becher.

„Ich danke Euch, Herr,“ entgegnete Adelgunde mit niedergesenktem Blicke. „Doch mögt Ihr künftig Euch des Gelüstes enthalten, mich Eure Braut zu heißen.“

Mit finsterer Miene heftete der Bruder seine Augen verweisend auf die Schwester: „Ich hab’s ihn geheißen!“ fuhr er sie barsch an.

„Bruder, Bruder, also doch!“ flehte das Mädchen. „Du verhandelst das Leben deiner Schwester, ihr Glück, ihre Ruhe, um dir den guten Willen eines Menschen zu erkaufen. –“

„Hoho!“ lachte der Steinegger auf, „meine Sachen stehen nicht grün. Aber nicht wahr, hold’ Liebchen, die Zeit bringt Rosen?“

„Ja, ja, deren Dornen mir das Herz durchbohren werden!“ fügte das Fräulein seufzend bei.

Der derbe Gast bemühte sich, Adelgundens Hand zu ergreifen:

„Wenn Ihr einmal auf meinem Felsenneste thront, wird es Euch schon behaglich dünken; nur Muth gefaßt! Ihr könnt von dort in das Wiesenthal hinab lugen und hundert schöne Dinge beschauen, oder zur Kurzweil die Storcheneier auf dem Kirchthurm zu Schopfheim durch das Fernglas zählen, das mir vorige Woche, zwar unfreiwillig, ein Reisender geschenkt hat.“

[229] Vielleicht hätte der Steinegger noch lange seine rohe, verwundende Sprache fortgeführt; aber als eben die Glocke sieben Mal anschlug, stund der Bärenfelser rasch auf und ging schweigend hinaus, seinem Mitgenossen nachwinkend.

Wie von einem Gespenste verfolgt, verließ Adelgunde nun ebenfalls das Gemach, und flüchtete sich in ihre stille, einsame Kammer. Dort warf sie sich auf die Kniee und betete lange und inbrünstig. Sie hörte noch das Niederrasseln der Zugbrücke und wie sich eine Schaar Reiter entfernte. „Bewahre seine Hände vor Unthat!“ rief sie zum reinen Himmel hinauf.

Die Burg Bärenfels hatte unter Anderem auch einen Thurm, dessen grausenvollste Gemächer tief in der Erde sich befanden. Kaum schlichen die unheimlichen Windzüge der Mitternacht durch des Schloßhofs Räume, als eine weibliche Gestalt schnell und leise aus der Hausthür trat, und sich nach der Seite bewegte, auf welcher der Thurm sein schwarzes Dach zeigte. Alle Mannschaft der befestigten Burg hatte sich bereits dem Schlafe übergeben; nur vor der Kerkerthüre, die zunächst der Zugbrücke war, schritt die Schildwache auf und ab. Ehe diese ihr: „Wer da!“ rufen konnte, flüsterte eine Stimme: „Sey ruhig, Burkhard!“ Der Wächter schien die Sprache zu kennen und die Gestalt, welche auf ihn zukam; denn er blieb stille stehen. „Adelgunde!“ rief er ganz leise, als das Mädchen nahe an ihn heran trat, „was gedenkst du hier zu thun, in der Stunde der Mitternacht?“ – Burkhard, der frühe Waise geworden, war ein naher Verwandter des Bärenfels; wiewohl arm und ohne Stammschloß, bewahrte der rechtliche Jüngling ein kostbares Kleinod: ein reines Herz. Adelgunde, mehr die Tugend liebend, als das Gold, erkannte in dem heiteren Jugendgenossen den würdigsten Freund, dem sie heimlich ihre volle Neigung geschenkt, ja, den sie aufrichtig liebte, obgleich ihr Bruder ihn zu so niederem Dienste anhielt.

„Schmachtet nicht seit etlichen Stunden eine Unglückliche da drunten, mein Freund ?“ fragte leise das Mädchen.

„Es ist so!“

„Ach Gott, so hat mein Auge mich nicht getäuscht!“ seufzte Adelgunde.

„Und was willst du thun?“

[230] „Sie retten will ich!“ lautete bestimmt die Antwort. „Aber sage mir vorerst, wer die Arme ist, oder woher die Schrecklichen sie brachten!“

„Ich kann weder das Eine noch das Andre sagen; denn die Knechte, die mit Ruprecht ausgezogen waren, schwiegen allesammt; sie wissen vielleicht selbst nicht, wen sie gefangen.“

„So hast du teilten Theil an der Schandthat?“

„Gottlob, nein!“

„Ich danke dem Himmel darum, und bin mit dir versöhnt, Burkhard! Aber nun laß mich vollbringen.“

Ohne weitere Umstände eilte Adelgunde an die Gefängnißthüre, zog einen Schlüssel hervor, und wollte sie öffnen.

Burkhard verhinderte sie. „Es kann nicht geschehen, meine Liebe! Der Gefangenen Entkommen ist mein Tod. Du bringst ein furchtbares Unglück über dich und mich!“

„Höre,“ sagte Adelgunde leise: „der wüste Steinegger nennt mich seine Braut; mein Bruder hat mich an ihn verkauft. Ich verlasse gern die Wohnung meiner Eltern, um einem traurigen Schicksal zu entgehen. Mit der Unglücklichen fliehe ich selbst, gerade nach Oeflingen hinüber. Jener Edle wird uns Schutz gewähren; bis der Tag anbricht, sind wir dort. Hast du mich je geliebt, so folge mir. Aber verhindere mich, wenn du willst, daß ich des Steineggers Gemahlin werden soll!“

Mächtig wirkten diese Worte, mit solchem Ernste gesprochen, auf Burkhard. Er ließ es geschehen. Adelgunde verschwand hinter der schweren Kerkerthüre und in tausend Aengsten erwartete Burkhard das Kommende.

Niedergesunken auf elendes Stroh lag in dem feuchten, engen Steingewölbe, das von der Blendlaterne, die Adelgunde geheim bei sich trug, nur wenig erhellt wurde, ein Frauenbild. Aengstlich erhob die Arme das bleiche Haupt und, Verzweiflung in den Blicken, richtete sie dieselben starr nach der Eingetretenen. Diese leuchtete tiefer mit der Laterne und fuhr vor Entsetzen zurück, nachdem sie der Gefangenen Antlitz gesehen.

„Ihr hier, Helena! Freundin aus glücklicher Kinderzeit!“ rief das Fräulein von Bärenfels.

„Habt Erbarmen, Adelgunde! rettet mich und führt mich zu Bernhard, dem Geliebten, erst seit drei Tagen mir Vermählten!“ [231] – Ein Thränenstrom, nicht der erste, entstürzte den Augen der Unglücklichen.

„Ich komme Euch zu retten, Helena! Wir wollen jetzt nicht länger berichten oder klagen. Der Augenblick ist kostbar. Folgt mir ungesäumt!“

Wie ein Schiffbrüchiger das rettende Brett umklammert, faßte Helena des Fräuleins Arm, an dem sie hinausgezogen wurde aus den schauderhaften Gängen des Thurmes in die freundlichen Räume der Schöpfung.

Die zwei Freudinnen näherten sich wortlos einem engen Pförtchen, zunächst dem Hauptthore. Adelgunde besaß einen heimlichen Schlüssel. Das Pförtchen wurde leise aufgethan, und schnell huschten sie Beide hinab in den Garten.

Burkhard sah sich eine Weile um – es war Alles ruhig – rasch eilte er den Fliehenden nach, zugleich von Außen das Thörlein verschließend; eine List, durch welche die Verfolger mindestens einige Zeit aufgehalten würden. Der Garten war mit einer hohen Mauer umgeben. Inwendig von der Mauer herab hing eine Strickleiter; dieselbe benutzend erreichten die Flüchtlinge das Freie. Helena wollte niederknieen und dem Himmel ihren Dank opfern; aber das Fräulein von Bärenfels ergriff ihre Hand: „Noch sind wir nicht außer Gefahr, Helena! Ein dankbarer Blick nach Oben ist das kürzeste Gebet. Laßt uns von dannen eilen!“ Sie schlugen einen wildverwachsenen Pfad ein, der sich südlich hinab bog.

Erst als sie eine ziemliche Strecke von Bärenfels entfernt waren, erlaubte sich Adelgunde, einige Fragen an Helena zu richten, ihre Gefangennehmung durch Ruprecht und den Steinegger betreffend. Aus den gegebenen Antworten erfahren wir etwa Folgendes:

Bernhard von Oeflingen, erst seit Kurzem Helenens Gemahl, zog mit seiner geliebten Gattin nach seinem Stammschloß. Unterhalb Hasel fiel plötzlich ein Haufe, gleich Räubern, über den kleinen unvorbereiteten Zug. Das bis zur Ohnmacht erschrockene Weib wurde aus den Armen Bernhards gerissen, der, von einem gewaltigen Hiebe getroffen, niederstürzte, und die Unglückliche auf einem schnellen Rosse davon geführt.

„Ach, wenn die Unholde den Geliebten getödtet hätten, [232] oder wenn er hilflos unter brennenden Schmerzen sein theures Leben verseufzen müßte!“ schloß Helena, und fing an zu weinen.

„Welche Unthat!“ rief Burkhard, indem er wie zur Rache die Faust hob. „Aber hattet ihr denn keine Knechte mit euch?“

„Wohl, zwei begleiteten uns; ihr Widerstand war jedoch fruchtlos.“ entgegnete schluchzend Helena.

„Gott tröste euch!“ ermuthigte Adelgunde; „Doch könnt’ es noch möglich seyn, daß euer Gemahl von den freigebliebenen Knechten gerettet wurde.“

„O Gott, wäre dem so!“ rief Helena aus und faltete die Hände.

Burkhard, welcher der Erste im Zuge war, blieb plötzlich stehen. „Habt ihr das Lichtlein da drinnen nicht gesehen?“ frug er seine Begleiterinnen kaum hörbar.

Helena und Adelgunde schreckten zusammen. Ein wunderlich gestaltetes Männlein stand unfern von ihnen im Dickicht, und während es ein gar helles Lichtlein in der Hand empor hielt, winkte es mit der andern freundlich den erschrockenen Wandlern zu. Sie würden aber sicherlich der Lockung nicht gefolgt seyn, wäre nicht in mäßiger Ferne hinter ihnen ein Rauschen hörbar geworden, mit menschlichen Stimmen untermischt.

„Mein Gott, sie verfolgen uns!“ jammerte Adelgunde. Immer freundlicher und emsiger winkte das Männlein; immer näher kam der Lärm. „Es mag ein guter Geist seyn,“ sagte dann entschlossen Burkhard, „wir wollen ihm folgen. Meine Mutter hat mir oft von jenen Erdmännlein erzählt, die den Menschen, welche ihnen vertrauen, kein Leides thun.“ Er schritt beherzt voran. Die Damen hingen sich fest in seine Arme und folgten ihm. Vor einem Felsen blieb das Männlein stehen, und indem es mit der Hand daran pochte, öffnete sich ein schmaler Gang, und hinein in das Innere der Steinwand, die sich sogleich wieder verschloß, traten die Drei, voraus das Männlein mit der kleinen Leuchte.

Ein Wasser, hell und munter rauschend, floß durch die Höhle. Zu beiden Seiten erhoben sich, glänzend von buntem Lichtstrahl, wunderlich gebildete Steinmassen. Burkhard und seine Begleiterinnen fühlten ein unheimliches Bangen, als sie die Höhle [233] durchschritten; aber bald ergriff ein heiliger Schauer ihre Seele. Denn jetzt traten sie über einen schmalen Steg und weit öffnete sich die Grotte zu einem großartigen Dome. Zur Seite rechts zeigte sich eine Kanzel, wie keines Menschen Hand solche bauen könnte, und links erhob sich eine Orgel mit unzählig vielen großen und kleinen Pfeifen. – Wie noch heute, wenn ein Wanderer die Höhle besucht, er die unnachahmlichen Gebilde mit Bewunderung anstaunt: so blieben jene ersten drei Besucher überrascht stehen, und wagten kaum zu athmen vor mächtiger Verwunderung. Das Erdmännlein winkte, und führte seine Begleiter etwas seitwärts, an eine Stelle, wo es trocken war. Aber wer beschreibt das Erstaunen der Drei, als ihre Blicke auf einen jungen Mann fielen, der ruhig auf einem Mooslager schlummerte! Mit einem Schrei, in welchem Schmerz und Freude zugleich sich ausdrückten, stürzte Helena zu dem Schlafenden nieder; es war Bernhard von Oeflingen. Inzwischen hatte sich der kleine Mann entfernt. Ein leiser, anmuthiger Gesang wogte harmonisch durch die Höhle. Bernhard bewegte seine Hand: – „Schöner Traum!“ lispelte er kaum hörbar; „ich sah dich, Helena, mein süßer Engel!“ Bald darauf schlug er die Augen auf. Helena, sein Engel, ruhte an seiner Brust. – Wer beschriebe die Scene solch eines Wiedersehens!

„So hat der Traum, der so lieblich mich umschwebte, sich erfüllt!“ – rief Bernhard endlich. „Helena, was ich gelitten, seit ich dich verloren hatte: – der Schmerz hält gleich die Waage mit der Wonne, dich wieder in meine Arme schließen zu können.“

Nach der Erzählung des Oeflingers hatte ihn bei dem räuberischen Ueberfall ein furchtbarer Schlag vom Steinegger zu Boden geworfen, worauf er sich jedoch bald wieder aufgerafft, habe, um dem Bärenfels nachzueilen. Aber von einer Schwäche befallen, die von dem Blutverlust aus der Kopfwunde herrühren mochte, sey er bewußtlos niedergesunken. „Ich erwachte in dieser Höhle wieder;“ – schloß er seine Erzählung „das gute Männlein, dem ich einst einen Dienst erwiesen, hat mich hierher gebracht. Es hat mich gepflegt und gewaschen mit heilendem Wasser. Ich bin nun völlig genesen.“

Helena erzählte nun auch ihre Geschichte, und erwähnte dankbar [234] ihrer Retterin Adelgunde, und ihres Begleiters, welche Beide bisher von Bernhard noch nicht bemerkt worden.

„Ich kenne des Fräuleins edles Herz, aber nimmermehr wascht der Schwester Liebe den Schimpf ab, den der Bruder mir angethan!“ sagte Bernhard.

„Gewähret uns Schutz, Ritter!“ flehte Adelgunde, „und nehmt uns auf in eurer Burg, wenn Ihr dahin gelangt seyd.“

In wenigen Minuten wußte Bernhard der Bedrängten Anliegen und errieth ihre Neigung.

Das Männlein trippelte herzu, und winkte bedeutsam. Das Licht in seiner Hand verschwand; aber herein in die Finsterniß drang durch eine ziemliche Oeffnung das freundliche Tageslicht und mit unbeschreiblicher Empfindung begrüßten die unterirdischen Wandrer den lichten Tag. „Habe Dank, guter Geist, der du die Höhle bewohnst, für deine Güte! Treulich hast du dein Wort gehalten, als du zu mir gesprochen: „Ich will dein Erbarmen vergelten.“ Empfange in dem aufrichtigsten Dank meines Herzens den schönsten Lohn, den mein Vertrauen zu geben vermag!“ So rief Bernhard von Oeflingen mit bewegter Stimme in die Höhle zurück, und trat dann in das Freie, mit ihm die Uebrigen.

Es war heller Tag. Da und dort arbeiteten die Leute auf ihren Feldern, und sahen neugierig dem Zuge nach. Der Ritter durfte hoffen, ungefährdet seine Burg zu erreichen, die nur etwa eine Stunde entfernt lag. Schon winkte ihnen das sichere Schloß entgegen, als ein Gewappneter auf den Zug hersprengte. Adelgunde erkannte in ihm einen Diener ihres Bruders.

„Ich bringe traurige Nachricht, Fräulein!“ rief der Kommende; „Euer Bruder und der Steinegger sind verunglückt. Auf dem nächtlichen Zuge, den sie Euch zu Ehren gestern um Mitternacht unternommen, hat ein Felsstück, das hoch herab stürzte, den Steinegger zerschmettert, und Euern Bruder, meinen Herrn, gar übel zugerichtet. Letzterer läßt Euch bitten, seinen letzten Wunsch zu gewähren und ungesäumt heim zu kommen.“ Adelgunde hörte die letzten Worte nicht mehr; ohnmächtig fiel sie in Burkhards Arme.

„Das hat der kleine Mann gethan!“ rief Bernhard. „Er hat sich und uns schrecklich gerächt.“

[235] Nur langsam erholte sich Adelgunde von ihrer Ohnmacht. „Laßt mich zu ihm eilen, denn ich bin Schuld an seinem Tode!“ rief sie; „aber der Himmel ist mein Zeuge, nicht mit Vorbedacht!“ Und zu Burkhard gewendet: „Du darfst mich nicht begleiten, dein Anblick würde den unglücklichen Bruder noch mehr reizen.“

Bernhard ließ sein vertrautestes Pferd vorführen; darauf entfernte sich das Fräulein, von einem Diener gefolgt.

Furchtbar verstümmelt, mit fast unerträglichen Schmerzen, lag Ruprecht von Bärenfels auf seinem Bette. Ueber ihn neigte sich schluchzend und jammernd die Schwester. Er schlug die Augen auf, und sprach mit zitternder Stimme: „Kommst du, mir zu vergeben, Adelgunde? Bete für meine arme Seele. Der Arm des Höchsten hat mich strafend erreicht!“

„Du sollst nicht sterben, Bruder!“ rief Adelgunde, heftiger weinend, und Stirn und Mund des Unglücklichen küssend.

„Schwester, noch sind zwei Knechte des Oeflingers gefangen, – in dem geheimen Verließ unter dem Kellergewölbe – befreie sie!“

Adelgunde schauderte. Zugleich trat Burkhard ein. „Wie konnte ich zurück bleiben?“ sprach er, „Pflicht und Gewissen rufen mich hierher.“

„Ich will dir vergeben,“ sagte mit schwacher Stimme Ruprecht, als er Burkhard reden hörte. „Du bist unser Vetter, – sey du meiner verlassenen Schwester – –“ die Sprache verstummte, sein Leben erlosch.

Der treuen Schwester Thränen flossen reichlich und inbrünstige Gebete begleiteten die geschiedene Seele hinauf, wo Gottes ewig erbarmende Liebe wohnt.

Burkhard nahm den Namen Bärenfels an, und lebte in glücklicher Ehe mit Adelgunde.

Die beiden benachbarten Ritterfamilien hielten unzertrennliche Freundschaft. Ein Befehl, den der Oeflinger an seine Untergebenen ergehen ließ, lautete: Niemand darf, bei schwerer Strafe an Leib und Geld, einem Erdmännlein künftig etwas zu Leide thun.

Steinen bei Lörrach. Reinhard Reitzel.