Die Edda (Simrock 1876)/Ältere Edda/Hamdismâl
Als Alfe trauerten um des Tages Anbruch.
Zur Morgenstunde erwachen den Menschen
Die Sorgen alle, die Herzen beschweren.
Lange Zeit verlief seitdem,
Daß Gudrun trieb, die Tochter Giukis,
Die jungen Söhne Swanhilden zu rächen:
Die der stolze Jörmunrek von Gäulen zerstampfen ließ
Auf offnem Wege, weißen und schwarzen,
Grauen, gangzahmen gotischen Rossen.
Ihr allein seid übrig von all meiner Sippe.
Ich auch bin einsam wie die Espe des Waldes:
Meine Freunde fielen wie der Föhre die Zweige,
Aller Lust bin ich ledig wie des Laubs ein Baum,
Wenn ihm ein Sommersturm die Zweige beschädigte.
Da hast du träger traun Högnis That gelobt,
Als sie den Sigurd vom Schlaf erweckten:
Du saßest im Bette und die Schächer lachten.
Das künstliche Stickwerk, von des Kühnen Blut.
Sigurd erstarb; du saßest bei dem Todten
Dem Lachen gram, so lohnte dir Gunnar.
Und Eitil dazu; aber am Meisten
Schmerzt' es dich selber. So sollte doch
Ein Jeder gebrauchen des durchbohrenden Schwertes
Andern zu schaden, sich selber nicht.
Nicht will ich Worte wechseln mit der Mutter;
Doch Eins gebricht an euern Reden:
Was verlangst du, Gudrun, das du vor Leid nicht sagst?
Und spornst zu Streit die Spätgebornen.
Du wirst dich, Gudrun, um uns auch grämen,
Wenn wir fern im Gefecht von den Rossen fielen. —
Die thauigen Thäler durchtrabten die Jünglinge
Auf hunnischen Mähren den Mord zu rächen.
Der kühn auf dem Rücken des Rosses spielte.
„Was hilft es, dem Blöden die Bahnen zu weisen?“
Sie schalten den edeln unehlich geboren.
„Was würdest du fuchsiger Zwerg uns frommen?“
„So will ich Beistand euch beiden leisten
Wie eine Hand der andern hilft,
Wie Fuß dem Fuß den Freunden helfen.“
Mag eine Hand der Andern helfen?“
Mit dem harten Eisen Hel zu erfreun.
Sie schwächten die Stärke sich selbst um ein Drittel,
Da ihr junger Bruder zu Boden stürzte.
Kleideten, die Kämpen, sich in kampflich Gewand.
Sie fuhren weiter unheimliche Wege,
Sahn der Schwester Stiefsohn versehrt am Baum,
Am windkalten Wolfsbaum westlich der Burg,
Als rief’ er den Raben: da war übel rasten.
Sie hörten der Hengste Hufschall nicht
Bis der sorgende Wächter das Horn erschallen ließ.
Unter Helmen würden Helden erschaut:
„Gebt weislichen Rath, die Gewaltigen nahn:
Starken Männern zum Schaden zerstampft ward die Maid.“
Nicht wollt er sein Streitgewand: er stritt mit dem Wein.
Das Schwarzhaupt schüttelt’ er, sah nach dem weißen Schild
Und kehrte keck den Kelch in der Hand:
Hamdir und Sörli in meiner Halle.
Ich bände sie beide mit Bogensehnen,
An den Galgen hängt’ ich Giukis gute Kinder.“
Der Waltende warnte seine Verwandten:
„Dürfen diese so Dreistes wagen,
Zwei Männer allein zehn hundert Goten
Binden und bändigen in der hohen Burg?“
Und Männer ins Blut aus Menschenbrüsten.
„Ersehnst du, Jörmunrek, unser Erscheinen,[WS 1]
Der Vollbrüder beide in deiner Burg?
Nun siehst du die Füße, siehst deine Hände,
Jörmunrek, liegen und lodern in Glut.“
Den die Brünne barg, wie ein Bär hob er sich:
„Schleudert Steine, wenn Geschoße nicht haften
Noch scharfe Schwerter, auf die Söhne Jonakurs.“
„Übel thatest du, Bruder, den Mund zu öffnen:
Oft aus dem Munde kommt übler Rath.“
Viel mangelt dem Mann, dem Mutterwitz fehlt.
Unser tapfrer Bruder, den wir herwärts tödteten,
Den raschen Recken; üble Disen reizten mich:
Den wir heilig sollten halten, den haben wir gefällt.
Uns selbst grimm zu sein wie der Nornen Grauhunde,
Die gefräßig sich fristen im öden Forst.
Von uns gefällten, wie Adler auf Zweigen.
Hohen Ruhm erstritten wir, wir sterben heut oder morgen:
Den Abend sieht Niemand wider der Nornen Spruch.
Hinter dem Hause fand Hamdir den Tod.
Anmerkungen (Wikisource)
Siehe auch Anmerkungen des Übersetzers zu diesem Lied.
- ↑ Vorlage: Escheinen,