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Die Besatzung des Mont Saint-Michel

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Textdaten
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Titel: Die Besatzung des Mont Saint-Michel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 160–161, 164
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[160–161]

Die Besatzung des Mont Saint-Michel.
Nach einem Gemälde von A. A. Lesrel.

[164] Die Besatzung des Mont Saint–Michel. (Zu dem Bilde S. 160 und 161.) Der Mont Saint–Michel, auf dem die von dem französischen Maler Lesrel dargestellte Soldatenscene spielt, ist nicht nur das beliebteste Ziel aller Reisenden, welche die Normandie und die Bretagne besuchen, er hat auch in der französischen Geschichte als uneinnehmbare Festung eine große Rolle gespielt. Der Berg des heiligen Michael, dessen Bild die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1887 S. 673 brachte, ist nichts anderes als ein ungeheurer Granitblock, der sich in der Bucht gleichen Namens erhebt. Bei der Flut, die hier besonders stark ist, stellt er eine Insel dar, bei der Ebbe ist er von einer weiten Sandfläche umgeben. Erst vor etwa zehn Jahren hat man den Berg durch einen Damm mit dem Festlande verbunden, der auch bei der höchsten Flut den Wagen- und Fußgängerverkehr ermöglicht. Schon im frühesten Mittelalter wurde der Mont Saint–Michel zu einem berühmten Wallfahrtsort und so entstand daselbst eine Abtei, deren Prachtbauten das Felseneiland zu einem Wunder der Architektur gestalteten. Eine Kirche wurde auf der höchsten Spitze des Berges errichtet und daneben ein großes Klostergebäude, das seiner kühnen Bauart wegen von jeher den Namen La Merveille (das Wunder) getragen hat. Im Bilde Lesrels sehen wir links den durch zwei vorspringende Erkertürme befestigten Treppenaufgang der Abtei und rechts durch die offene Halle hindurch die zierlichen Spitzbogen des Kreuzgangs.

Die feste Lage und die Nähe der Grenze zwischen der Bretagne und der Normandie verliehen dem Mont Saint–Michel in früheren Zeiten eine große strategische Bedeutung. Die Abtei war daher befestigt und für kriegerische Zwecke ausgerüstet. In Kriegszeiten hatte sie starke Besatzung. Die Bretagner beneideten die Normannen um den Besitz des Bergs. Später bestürmten ihn die Engländer mehrmals ohne Erfolg und zur Zeit der Religionskriege machten die Hugenotten ebenso vergebliche Versuche, sich dieses festen Punktes zu bemächtigen.

Diese entlegene Zeit der französischen Religionskriege wählte der Maler Lesrel als geschichtlichen Hintergrund, auf dem er, frei der Eingebung seiner Phantasie folgend, ein fesselndes Bild des damaligen Soldatenlebens schuf. Ein Schüler Gérômes, hat Lesrel von diesem Meister die Genauigkeit der Zeichnung und des historischen Kostüms bis in alle Einzelheiten übernommen, und diese Vorzüge seines Pinsels kommen auch auf dem Bilde „Die Besatzung des Mont Saint–Michel“ zur vollen Geltung. Die Situation, in die uns der Künstler versetzt, ist nicht schwer zu erkennen. Offenbar hält die Besatzung, da der Feind nicht in der Nähe ist, ein lustiges Zechgelage ab und die militärische Kapelle, in der selbst ein Guitarre spielender Mohr sich vorfindet und die durch freiwillige Geiger und Flötenbläser verstärkt ist, spielt lustige Weisen auf, während andere der Tapferen sich mit Würfelspiel die Zeit vertreiben. Der Wein, den die schmucke Marketenderin kredenzt, fließt reichlich und läßt die fröhlichen Geister gar ausgelassen werden. Inmitten dieser Zechenden erscheint plötzlich ein Bote, der dem Kommandanten ein wichtiges Schriftstück übergiebt. Was für Nachrichten bringt der Fremde? Die Linke auf dem Degenknauf, den breitkrempigen Hut mit der lang herabwallenden Feder in der Rechten, steht er abseits hinter dem Kommandanten und seine Haltung paßt nicht in die fröhliche Schar. Und siehe da, auch die Züge des Kommandanten werden ernster, während er die Botschaft für sich liest. Sein Antlitz verfinstert sich; die lustige Besatzung merkt noch nichts von dem Ernst, der nunmehr ihren Führer durchdringt. Bald aber wird der Kommandoruf erschallen, die Trommel kriegerische Wirbel schlagen; bald wird der Stabstrompeter die achtlos hingeworfene Drommete aufheben, um schneidige Fanfaren zu schmettern. Da wird der eine den Fiedelbogen mit dem blanken Säbel, der andere die Flöte mit der Hakenbüchse vertauschen und die Würfler werden im Kriegsspiel ihr Glück versuchen; denn der Feind ist im Auzug und eine Schande ohnegleichen wäre es, wenn er die noch jungfräuliche Feste des Saint-Michel überrumpeln und einnehmen sollte.