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Die Belagerungsübung bei Graudenz im August 1883

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Autor: F.
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Titel: Die Belagerungsübung bei Graudenz im August 1883
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 619–622
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Belagerungsübung bei Graudenz im August 1883.

Die Manöverübungen unserer Armee werden von dem größten Theile des Volkes mit dem regsten Interesse verfolgt; hängt doch von unserer Kriegsbereitschaft die Freiheit des Landes ab und rücken doch Hunderttausende wackerer Bürger jahraus jahrein in’s Feld, um sich im kriegerischen Dienste zu üben. Trotzdem wirken die Beschreibungen der gewöhnlichen Feldübungen, der sich regelmäßig wiederholenden Kaiser- und Corpsmanöver auf die große Masse der Leser ermüdend. In unserem heutigen Artikel aber soll Allen insofern etwas Neues geboten werden, als sich die im August abgehaltene Belagerungsübung vor Graudenz auch auf einen völlig durchgeführten Minenkrieg erstreckte, wie ein solcher seit der Belagerung von Sebastopol in der Kriegsgeschichte sämmtlicher Völker unserer Erde nicht mehr vorgekommen ist.

Die auf dem rechten Ufer der Weichsel gelegene Festung Graudenz, seit Jahren das Uebungsobject der deutschen Pionniere, ist ein Werk des großen Königs Friedrich, welcher im Jahre 1776 den Bau des Platzes an Ort und Stelle persönlich anordnete und auch die ersten Entwürfe hierfür mit eigener Hand ausstellte und zeichnete. Die formidable Festigkeit des Platzes überstand, unterstützt von der bewundernswerthen Energie des Commandanten, General L’homme de Courbière, die Stürme der Jahre 1806 und 1807, und die Mauern, die Wälle tragen noch heute ihr stolzes Haupt hoch aufgerichtet in dem Bewußtsein, einst den ihnen gestellten Anforderungen in jeder Weise genügt zu haben.

Nach kaum hundert Jahren mußte jedoch die Bedeutung der Festung Graudenz den Ansprüchen moderner Kriegführung weichen, sodaß der Platz seit dem Jahre 1873 nicht mehr zu den deutschen Festungen zählt, sondern dem Verfalle überlassen nur noch als ein Uebungsobject für die Artillerie, den Sappeur und Mineur dient. Jedoch nur ein Wink unseres deutschen greisen Heldenkaisers ist erforderlich, und die von Friedrich dem Großen den todten Mauern eingehauchte Kraft wird sich von Neuem entfalten, und in Verbindung mit moderner Kriegskunst aus dem alten Graudenz einen Waffenplatz hervorzaubern, der sich den Festungen Königsberg und Thorn würdig an die Seite stellen und unsern Gegnern ein zweites Plewna werden wird.

Verrathen wir deshalb von den Festungsbauten nicht mehr, als zum Verständnisse unserer weiteren Darstellung erforderlich ist. Die uns Deutschen innewohnende militärische Phantasie dürfte wohl bei allen Lesern im Stande sein, die beigegebene Skizze soweit zu vervollständigen, um das zuvor Angedeutete zum vollen Bilde ergänzen zu können. Es sei nur noch gesagt, daß die Festung Graudenz auf einem die Weichsel um achtzig bis hundert Meter überhöhenden Plateau liegt, von dem sich eine Aussicht genießen läßt, welche der von dem Ufer des Rheins aus erblickten in keiner Weise nachsteht, und daß es sich unter der Pflege und Fürsorge der schönen Frauen der Provinz Preußen ebenso gut leben läßt, wie unter der Obhut der liebenswürdigen Anwohnerinnen unseres andern Grenzstroms im Westen, des Vater Rheins. Alldeutschlands Frauen sind in der Sorge für die Vaterlandsvertheidiger überall von dem gleichen Sinne beseelt. –

Nachdem schon ein kleines Vorcommando in den letzten Wochen des Juli in Graudenz von Danzig her eingetroffen war, um die erforderlichen Vorarbeiten für die Durchführung der Belagerungsübung vorzunehmen, namentlich die Depots zu formiren, die Minengänge der Festung in Holz weiter auszubauen und zu vervollständigen, fanden sich am 30. und 31. Juli auch die weiteren für die Uebung bestimmten Truppen ein. Am 1. August Morgens fand – leider bei strömendem Regen – eine Parade dieser zehn Pionnier-Compagnien statt, welcher sich bereits Mittags, und zwar bis zum 8. August, alle diejenigen pionniertechnischen Arbeiten anschlossen, die einer Belagerung sowohl seitens des Angreifers wie der Verteidigung voranzugehen pflegen.

Gleichzeitig mit diesen Arbeiten, welche namentlich in der Anfertigung von Sappenkörben, Faschinen von Seiten des Belagerers, in der Armirung der Festung – Anlage von Palissiadirungen und sonstigen Hindernißmitteln, Aufstellen von Blockhäusern etc. – von Seiten des Verteidigers bestanden, wurden die ersten Stadien der Belagerung von einem Theil der hierzu commandirten Infanterie-, Artillerie- und Ingenieurofficiere theoretisch, das heißt auf eine applicatorische Weise, durchgeführt, indem die einzelnen Momente, wie z. B. Berennung und Einschließung, Anlage der Batterien, im Terrain besprochen und hierbei aufstoßende Fragen derartig schriftlich bearbeitet wurden, daß das Ergebniß der angestellten Betrachtungen in Form eines Befehls gebracht werden mußte, wie dergleichen von den einzelnen Ressorts für den Ernstfall zu geben sein würden, um den Erfolg der beabsichtigten Unternehmungen bis in das kleinste Detail zu sichern.

Es läßt sich ohne weitere Specialkenntniß der militärischen Verhältnisse schließen, daß eine derartige Uebung höchst lehrreich und von großer Bedeutung für die Ausbildung derjenigen Officiere sein muß, welche vielleicht einst berufen sein können, vor oder in einer Festung zu stehen, um diese entweder in Besitz zu nehmen oder unserem Reiche zu erhalten.

Die applicatorische Uebung schloß mit der Durchführung der engeren Einschließung des Kernwerkes des Platzes und mit dem Festsetzen des Angreifers auf dem Festungsplateau, unter gleichzeitiger Annahme aller artilleristischen Maßregeln, welche für die [620] Durchführung des Geschützkampfes auf beiden Seiten für nothwendig erachtet worden waren.

Der praktische Theil der Uebung fand dann am Abend des 10. August in der Herstellung der ersten Parallele seinen Anfang. – Das Terrain vor der Nordfront der Festung gegen das Dorf Prosken hin ist trefflich dazu geeignet, diesen schwierigen Act bei der Belagerung einer Festung zur lehrreichsten Anschauung zu bringen. Gedeckte, von der Festung her nicht zu sehende, aber wohl mit Wurffeuer zu erreichende Anmarschwege – tief eingeschnittene Schluchten – gestatten es, die für den Bau der Parallele erforderlichen Arbeiter und die Truppen zum Schutz derselben gegen Ausfälle ungesehen bis auf 1000 Meter von den Festungswerken entfernt heranzuziehen. Ebenso ließ sich der Anmarsch an die Arbeitsstelle – das heißt die Parallele – selbst völlig gedeckt ausführen. Ein häufigeres Beleuchten des Vorterrains mittelst Raketen von der Festung aus gestattete jedoch dem Vertheidiger die emsig arbeitenden Pionniere und Infanteristen zu entdecken. Ein in Folge dessen unternommener Ausfall gegen die Arbeiter scheiterte an der Wachsamkeit der die Arbeiter deckenden Infanterie, sodaß die Ausfalltruppen unverrichteter Sache in die Festung zurückkehren mußten. Am nächsten Morgen war daher die Basis für den Nahangriff auf die Festung gewonnen, und schritt man bereits am nächsten Abend zur Erbauung der zweiten Parallele. Auch dieses Unternehmen gelang, sodaß bereits am Montag Abend von dieser zweiten, gegen die Festung vorgeschobenen Position der Sturm auf die Lünetten[1] unternommen werden konnte.

Wer dieses kriegerische Bild zu schauen Gelegenheit hatte, wird den herrlichen Eindruck niemals vergessen, welchen die Sturmcolonnen darboten, als sie in den magischen Lichtkreis traten, den die Leuchtfackeln hervorbrachten, welche von dem durch seine Vorposten alarmirten Verteidiger der Lünetten entzündet worden waren, um ein wohlgezieltes Feuer auf den heraneilenden Gegner richten zu können. Pionniere mit Sturmgeräth eröffneten den Reigen, begleitet von Schützen, welche ebenfalls ein heftiges Feuer auf die Schanzenbesatzung richteten. Sehr bald hatten die gewandten Pionniere alle die Lünetten umgebenden Hindernisse beseitigt und unschädlich gemacht. In Sturmeslauf nahten nun die Infanteriecolonnen, um sich in den Graben hinab, den Wall hinauf zu stürzen. Der Vertheidiger mußte dem jähen Anprall weichen, und die Lünetten fielen in des Angreifers Hand, welcher diese Werke nun seinerseits als einen festen Posten für sich selbst einrichtete. Am nächsten Abend wurde dann diese dritte Position nach beiden Flügeln weiter ausgedehnt, wodurch die dritte Parallele entstand, welche unsere Abbildung (S. 621) veranschaulicht.

Wir sehen auf derselben hinter der (im Vordergrunde abgebildeten) eingenommenen feindlichen Lünette und vor der Festung die Laufgräben der dritten Parallele, welche mit denen der zweiten durch die in Zickzackform laufenden „Approchen“ verbunden sind. Jeder Zickzack (Schlag) endet in eine bogenförmige Erweiterung, den sogenannten „Haken“, in welchen Infanterie oder leichtes Geschütz zur Vertheidigung der Laufgräben aufgestellt werden. Links vor der letzten Parallele ist die später erfolgte Sprengung einer Mine angedeutet.

Von dem Moment der Errichtung der dritten Parallele an sollte der bisherige unaufhaltsame Siegeslauf stocken. Die Nähe der Kernfestung forderte nunmehr ein langsames Tempo. Tage und Nächte mußte geschantzt werden, um nach und nach durch die Sappeure das Terrain überschreitbar zu machen, welches zwischen den Lünetten und dem Glacis der Festung liegt.

Frisch gewagt ist halb gewonnen! Diesem den tapferen Soldaten so häufig zu kühnen Unternehmungen drängenden Wahlspruche folgend, faßte jedoch der Angreifer in der Nacht vom 17. zum 18. August den Entschluß, sich auf überraschende Weise eine vierte Position, die vierte Parallele, am Fuß des Glacis zu erbauen.

Es gelang! Trotzdem von Neuem ein gebieterisches Halt! Wußte man doch, daß die Festung mit einem ausgedehnten Minensystem versehen war, und daß es dem Vertheidiger leicht werden würde, von hier aus durch unterirdische Sprengungen das weitere Vorschreiten der Angriffsarbeiten auf dem Glacis zu verhindern oder wenigstens in hohem Maße aufzuhalten. Jetzt galt es daher, den Kampf mit dem unterirdischen Gegner aufzunehmen, die Minengänge desselben zu zerstören und durch Sprengen von stark geladenen Trichterminen Logements[2] zu schaffen, von welchen aus nicht nur das nächste Vorterrain der Festung beherrscht werden konnte, sondern die auch dazu dienen sollten, mit neuen Angriffsminen dem unter der Erde wühlenden Feind immer mehr und mehr auf den Hals zu rücken.

Man hatte beliebt, den Minenkrieg gleichzeitig in zwei Angriffsverfahren, auf dem rechten Flügel mit Schlachtminen, auf dem rechten Flügel in förmlicher Weise, durchzuführen. Für letzteren Zweck wurde vor die vierte Parallele wiederum eine neue Position, das Minenlogement, vorgeschoben, um von hier aus Minengänge vorzutreiben, die, wenn weit genug, das heißt bis auf etwa fünfzehn bis zwanzig Meter, vorgearbeitet, mit Trichterminen geladen werden sollten. Das Logement kam bereits in der nächsten Nacht zu Stande; Tags daraus ausgebaut, erhielt dasselbe fünf fallende Gallerien, welche mit aller Macht vorgetrieben wurden.

Zum Zweck des Angriffs mittelst Schlachtminen gingen in der Nacht vom 20. zum 21. August die Sappeure vor die vierte Parallele vor, hoben daselbst ein Logement aus, in welchem bald darauf die Mineure einige Schächte ansetzten und schnell in die Tiefe hinabtrieben, die, in Summa mit achtzig Centner Pulver geladen, am nächsten Morgen gemeinsam gezündet wurden. Leider war der Himmel dem zu erwartenden großartigen Schauspiel der Explosion dieser mächtigen Ladung nicht günstig. Ein dichter Nebel verschleierte das Angriffsfeld. Die Spannung der Zuschauer erhielt hierdurch eine unheimliche, noch größere Steigerung. Um zehn Uhr Vormittags ertönte das Signal zum Zünden. Ein mächtiger Knall durchzitterte die Luft, die Erde erbebte, und mit furchtbarem, geisterhaftem Gepolter stürzten die in den Aether geschleuderten, dem Auge völlig unsichtbaren Erdschollen zur Mutter Erde zurück. Wir eilten alsbald an die Sprengstelle; ein sieben Meter tiefer, vierzig bis fünfzig Meter langer und etwa zwanzig Meter breiter Schlund gähnte die Beschauer in seiner großartigen Nacktheit an. Ein imposantes Bild der Zerstörung, ein schlagender Beweis für die Gewalt der aus den achtzig Centnern Pulver entwickelten Gase. Schnell waren Truppen zur Stelle, um diesen der Festungsbesatzung abgerungenen Minengraben zur Verteidigung einzurichten und zu besetzen.

So leicht und glücklich wie der Schachtminenangriff sollte dagegen der förmliche Minenangriff auf dem linken Flügel nicht verlaufen. Das Vortreiben der Angriffsgallerien konnte nur langsam gefördert werden, der schwere Lettenboden ließ sich nur mühsam durchbrechen. Außerdem wartete hier auch ein aufmerksamer Gegner und nur zu bald sollte der Angreifer verspüren, was ihm die kleinen Quetschladungen des Vertheidigers für Schaden zuzufügen im Stande waren.

Als endlich nach mehreren Tagen und Nächten und nach mühevoller anstrengender Arbeit zwei Pulverkammern zum Laden fertig gestellt worden waren, zündete der Vertheidiger hiergegen Quetschminen an, welche die Kammern arg beschädigten und das Fertigstellen der Trichterminen wieder auf längere Zeit hinausschoben. Jedoch die Gefechtspause benutzend, welche der Vertheidiger wegen der in seinen Gallerien befindlichen Pulvergase, die erst wieder vor weiterer Arbeit durch Ventilatoren entfernt werden mußten, zu halten gezwungen war, gelang es dem Angriffsmineur dennoch, in der nächsten Nacht die beabsichtigten zwei Trichterminen zu vollenden und am Morgen des 24. August zur Zündung zu bringen. Auch dieses Mal schleuderten wieder einige achtzig Centner Pulver die Erde gegen den Himmel; eine brodelnde Dampfwolke wälzte sich über die Festung hin, und ehe dieselbe sich noch aufgelöst, waren die Trichter schon von dem Angreifer besetzt, welcher sofort neue Gallerien auf der Sohle der sieben Meter tiefen kraterartigen Gebilde, deren obere Breite einige zwanzig Meter Durchmesser zeigte, ansetzte.

„Bis hierher und nicht weiter“, galt nunmehr das Losungswort des Vertheidigers. Alle Versuche, die neuen Gallerien aus den Trichtern weiter vorzutreiben, scheiterten an der Energie des Festungsmineurs.

Aber welch ein beschwerlicher Dienst, welche Aufopferung der Officiere und Mannschaften gehörten dazu, dem Losungswort nicht untreu zu werden!

Acht Meter und mehr unter der Oberfläche der Erde, bis zu

[621]

Uebungen im Minenkriege vor Graudenz im August 1883.
Nach einer Skizze unseres Militär-Berichterstatters.

[622] 140 Meter Länge unter dem Glacis vorgreifend, liegen die Galerien des Vertheidigers, vielfach verzweigt und jede directe Verbindung mit der Außenwelt verbietend. Hier an der Spitze der den Katakomben gleichenden Minengänge sitzen die Pionniere bei dürftig leuchtenden Sicherheitslampen und lauschen auf die Arbeiten des Angreifers, um aus den erhörten Geräuschen und deren Richtung die Absichten des unsichtbaren Gegners zu ergründen und denselben entgegenzutreten. Welch ein aufregender, ermüdender, die geistigen und körperlichen Kräfte völlig in Anspruch nehmender Dienst!

Wie schrecklich aber ist der Ernstfall, wenn der Tod durch eine feindliche Sprengung, durch das hierdurch herbeigeführte Zusammenbrechen der Minengänge, durch das Gift der Pulvergase in jeder Minute droht! Am fürchterlichsten aber ist ein lebend Begrabenwerden, wenn hinter dem Mineur durch einen Schuß des Gegners die Gallerie zusammenstürzt. Das „Wieder vor“ geht dann nur durch die Leichen der Cameraden.

Beharrlichkeit führt aber endlich zum heiß ersehnten Ziel. Von den verschiedensten Punkten aus ist festgestellt worden, daß der Angreifer dem Vertheidigungssystem bis auf einige Meter nahe gekommen ist. Schleunig wird eine Ladung von vier bis sechs Centner Pulver in die Gallerie gebracht und hinter derselben eine lange Verdämmung angelegt, das heißt Klobenholz und Rasen dahinter gepackt, um zu verhüten, daß sich die Wirkung des Sprengstoffes auch auf die eigenen Minengänge äußere. Acht Stunden harter Arbeit, zu welcher vierzig und mehr Pionniere erforderlich gewesen, haben endlich den Minenquetschofen fertig stellen lassen.

Die Zündung und deren Wirkung belohnt die aufgewandte Mühe reichlich. Die Erde in den Trichtern hebt sich in die Höhe, aufsteigender Qualm, vielleicht ein leiser Knall lassen erkennen, daß die Arbeiten des Angriffsmineurs zerstört worden sind. Das Spiel wiederholt sich noch öfter, und der Vertheidiger schwelgt in dem Gefühl, seinem Feind dauernden Schaden zufügen zu können.

Endlich findet aber auch dieses Treiben seine Grenzen. Das Minensystem der Festung füllt sich schließlich voller Pulverdampf, und der Aufenthalt in den Minengängen ist nur noch mit Lebensgefahr verknüpft. Was hilft es aber, der zähe Widerstand soll und darf nicht erlahmen. Vorwärts, heißt es, niemals zurück! Stundenlanges, durch mächtiges Gebläse erzeugtes Ventiliren hat endlich die Luft so weit gereinigt, daß es möglich wird, die Gallerien wieder zu betreten. Aus Vorsicht werden jedoch zuerst einzelne mit einem Athmungsapparat – wie solche in der Hygiene-Ausstellung zu sehen sind – ausgerüstete Leute in die Gänge des Minensystems geschickt, welche ein Thier, vielleicht ein Täubchen, mit hineinnehmen und dies einige Zeit darin stehen lasten. Wird das Thier später noch lebend herausgebracht, so ist die Luft auch für den Menschen rein und unschädlich, andernfalls muß noch weiter ventilirt werden.

Haben nun auch die Arbeiten in den Gallerien wieder aufgenommen werden können, so kommen dennoch sehr häufig Erkrankungsfälle bei den Mannschaften vor, welche sich als sogenannte Minenkrankheit äußern, das heißt als eine Krankheit, welche sich als Blutvergiftung durch Einathmen von mit Pulverdampf geschwängerter Luft bezeichnen läßt. – Selbst die kräftigsten Körper erliegen diesem heimtückischen Feinde. Ein plötzliches Erlahmen aller Lebensgeister, welches mit Krampferscheinungen wechselt, Athemnoth sind die Kennzeichen der Minenkrankheit. Wehe dem Mineur, der, erkrankt, nicht schnell genug aus der Gallerie entfernt werden kann; in derartigen Fällen hat der Tod schon öfter sein Opfer zu finden gewußt. Ueberall Gefahren mit sich führend, kommt daher ein Friedensminenkrieg von allen militärischen Kriegsspielen der Wirklichkeit am nächsten.

Dies Alles kann uns nicht zurückschrecken. Uebung muß den Meister machen. Die Friedensübungen sind die Vorbereitungen für den Krieg; je ernster und nachdrücklicher dieselben gehandhabt werden, desto mehr werden sie in ihren Folgen nutzbringend für den Ernstfall werden. – Die Vorsehung verhüte, daß jemals vor einer deutschen Festung ein Minenkrieg geführt werden muß; sollte es dennoch einmal dazu kommen, so werden sich auch die Mineure finden, die diesen Krieg bis auf das Messer durchzufechten verstehen werden.

Dies Wort ist für den Kampf unter der Erde keine leere Phrase; kann es doch nur zu leicht vorkommen, daß eine feindliche Gallerie auf einen der Minengänge der Festung trifft, und daß sich dann die Mineure Aug’ in Aug’ gegenüberstehen, um mit dem Dolch, dem Revolver in der Hand den Weg in die Festung zu erzwingen oder, wie Löwen, den eigenen Bau zu vertheidigen.

Trotzdem es nun auch während der Graudenzer Belagerungsübung viele minenkranke Mineure unter der Festungsbesatzung gab, hielten die in ihrem Fache wohl ausgebildeten Pionniere dennoch lange Zeit Stand. Zwölf Mal und öfter wurden die Angriffstrichter eingeworfen, und die daselbst vorgetriebenen Gallerien zerstört, ehe es dem Angreifer gelang, einen weiteren, den dritten, Trichter zu sprengen, und acht Tage mußten vergehen, ehe der Belagerer zum Sprengen seiner zweiten Trichterreihe schreiten konnte.

Während dieser Zeit war aber auch der Sappeur nicht unthätig gewesen. Derselbe hatte nicht nur seine Laufgräben aus dem Schlachtminenlogement vorzutreiben verstanden, sondern dieselben auch längs der Glaciskante anzulegen gewußt. Von hier aus wurde denn schließlich der Grabenniedergang hergestellt und am Sonnabend den 1. September Mittags die Contre-Escarpe[3] mittelst Schießwolle eingeworfen.

So war der Weg in die Festung geöffnet, welchen der Angreifer am Morgen des 8. September dazu benutzte, die Wälle im Sturm zu nehmen und sich aus denselben festzusetzen.

Mit diesem Gewaltact endete die Belagerungsübung. Möge der freundliche Leser aus der kurzen Schilderung derselben ein Bild gewonnen haben, wie sich der Dienst der Pionniere vor und in einer belagerten Festung gestaltet.

F.

  1. Offene, vorgeschobene Festungswerke.
  2. Leichte Verbauungen und Deckungen von kleinerem Umfang für Infanterie oder Geschütze.
  3. Ecarpe heißt die von dem Feinde gesehene Wand des Festungsgrabens, Contre-Escarpe die ihr gegenüberliegende Grabenwand.