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Die Begrüßung Kaiser Friedrichs in Leipzig

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Textdaten
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Autor: Dietrich Theden
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Titel: Die Begrüßung Kaiser Friedrichs in Leipzig.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 192–194
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Begrüßung Kaiser Friedrichs in Leipzig.


Gen Berlin! Schon am Morgen des elften März war es in allen Kreisen Leipzigs bekannt: der Kaiser kommt durch unsere Stadt und das preußische Staatsministerium wird ihn am Bahnhof begrüßen. Die erste Begegnung zwischen Kaiser Friedrich und seinem Ministerium, in Leipzig, unweit der preußischen Landesgrenze – es mußte ein feierlicher, hochbedeutungsvoller Akt werden, dem als Augenzeugen beizuwohnen Tausende den Wunsch hegten. Tausende – und für wenige hundert bot der Bahnhof Platz! So war es erklärlich, daß eine starke Schutzmannschaft aufgeboten werden mußte, den ungeheuren Andrang des Publikums abzuhalten. Von jeder besonderen Vorbereitung für einen feierlichen Empfang war abgesehen worden, da es frühzeitig schon bekannt wurde, daß der Kaiser den Wagen aller Voraussicht nach nicht verlassen würde, wie es sich später auch bestätigte. Nur der Wartesaal erster Klasse war für den Empfang der Minister hergerichtet und für den übrigen Verkehr abgesperrt.

Kurz vor sechs Uhr Nachmittags trafen die hohen Gäste aus Berlin ein, an ihrer Spitze Fürst Bismarck. Sie begaben sich in den reservirten Wartesaal und mußten dort etwa eine Stunde auf die Ankunft des kaiserlichen Hofzuges warten. Eine lebhaftere Bewegung unter den auf dem Perron Harrenden verrieth dann das Nahen des Zuges, und bald fuhr er langsam in den Bahnhof ein. Wie gebannt hingen aller Blicke an den leicht kenntlichen Salonwagen, alle hofften, noch ehe der Zug halten würde, die Gestalt des kaiserlichen Herrn für einen Moment zu erblicken, und in aller Augen war die bange Frage zu lesen: wie sieht er aus? welche Veränderung hat die schwere, unheilvolle Krankheit in dem Aeußern des geliebten Monarchen bewirkt? Jetzt ward die Gestalt Seiner Majestät deutlich sichtbar. Der Kaiser saß unweit eines der Fenster an einem kleinen Tische, ein wenig vornüber geneigt, wie in die Lektüre eines Buches vertieft. Und eine freudige Bewegung flog durch die lautlos harrende Menge; denn was das Auge da sah, das war keineswegs so trostlos, wie es die trüben Berichte der Zeitungen hatten befürchten lassen. Der Kaiser hatte sich, während der Zug langsam vorüberfuhr, um auf das erste Geleise übergeführt zu werden, erhoben und ging im Wagen auf und ab. Der rothe Kragen des Interimsrockes leuchtete durch

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Kaiser Friedrich und der Reichskanzler in Leipzig.
Originalzeichnung von O. Gerlach.

[194] das Fenster; man erkannte das Eiserne Kreuz auf seiner Brust, man sah den vollen Bart, das ungelichtete Haupthaar und bemerkte – welche freudige Ueberraschung! – die straffe aufrechte Haltung des Monarchen.

Wenige Minuten vergingen. Dann kam der Zug im ersten Geleise, unmittelbar am Perron, zurück, und was das Auge vorhin flüchtig erschaut, das erkannte es jetzt in aller Deutlichkeit: das Aussehen des Kaisers war ein über Erwarten gutes, kaum merklich verändert die allen Deutschen so wohlbekannten und vertrauten Züge seines Gesichtes. Die ungebrochene straffe Haltung erinnerte noch immer an die frühere Heldengestalt, und äußere Spuren des tückischen Leidens ließen sich kaum wahrnehmen; höchstens vermochte das schärfere Auge zu erkennen, daß der rothe Uniformkragen etwas lockerer saß.

Als der Zug hielt, schritt alsbald Fürst Bismarck über den Perron, um sich zur Begrüßung in den Wagen zu begeben. Das umstehende Publikum verharrte lautlos; als aber der Fürst in den Wagen trat und Kaiser Friedrich ihm raschen und elastischen Schrittes mit offenen Armen entgegeneilte und den greisen Kanzler wiederholt umarmte und küßte, da brach ein lauter stürmischer Jubel der Menge sich Bahn.

Es war ein Bild, so eigenartig und packend, daß wohl keiner der Augenzeugen es je vergessen wird. Auf dem Perron standen die Zuschauer dichtgedrängt, die Hüte schwenkend und mit Tüchern wehend. Das Innere des kaiserlichen Salonwagens war hell erleuchtet, so daß die Außenwände desselben für die lichtglänzenden Fenster einen scharf kontrastirenden dunkeln Rahmen gaben. Jede Bewegung der im Wagen Befindlichen konnte auf das Genaueste beobachtet werden, und das Publikum folgte denselben mit der gespanntesten Aufmerksamkeit.

Die Kaiserin stand unweit ihres hohen Gemahls und auch sie begrüßte den Reichskanzler, der ihr ehrerbietig die Hand küßte, auf das herzlichste. Und dann sah man die Beiden im Wagen stehen und mit einander verkehren, den Kaiser, der die Unterhaltung mit lebhaften Bewegungen begleitete, und seinen großen Reichskanzler, und wohl kein Auge blieb trocken, das ihn, den eisernen Kanzler, von der Schwere des Augenblicks auf das tiefste erschüttert, mit schmerzdurchbebtem Gesichte und thränendem Auge vor seinem kaiserlichen Herrn stehen sah, der auch seinerseits tief bewegt war.

Als der Kaiser auch die übrigen Herren des Staatsministeriums begrüßt, trat er an das Fenster und grüßte das Publikum, durch wiederholte Verneigung für die ihm dargebrachten Ovationen dankend. Die Hochrufe wiederholten sich laut und freudig und gaben Zeugniß davon, daß die Liebe des Volkes, welche sich der einstige Kronprinz Fritz in so hohem Maße erworben, voll auch auf den nunmehrigen Kaiser Friedrich übergegangen sei.

Deutlich konnte man noch sehen, wie Fürst Bismarck, ein großes Kouvert in der Hand, dem Kaiser verschiedene Papiere überreichte, wie dieser sie in Empfang nahm und prüfend hineinsah – dann wurden die bis dahin unverhüllten Fenster bis kurz vor Abfahrt des Zuges durch Vorhänge geschlossen. Gegen hundert Unterschriften soll der Monarch auf dem Wege von Leipzig bis Berlin vollzogen haben; gesprochen hat er dagegen weder in Leipzig noch auf dem späteren Wege. Der ganze Verkehr wird von Seiten des Monarchen schriftlich geführt, und zwar bedient er sich kleiner weißer Zettel, welche nach ihrer Benutzung regelmäßig vernichtet werden.

Ueber eine halbe Stunde dauerte der Aufenthalt des Kaisers in Leipzig, der, ehe der Zug nach Berlin weiter fuhr, noch einmal grüßend an das Fenster trat, dessen Vorhang er selbst zurückgezogen; und noch einmal wurde er jubelnd und mit neu erwachter Hoffnung auf seine vielleicht doch noch mögliche und vom ganzen deutschen Volke so sehr gewünschte Gesundung willkommen geheißen in der geliebten Heimath, die er und die ihn so lange schmerzlich vermißt hat. Dann ertönte das Signal zur Abfahrt; Kaiser Friedrich fuhr der Reichshauptstadt zu und mit ihm in demselben Wagen der Reichskanzler, des Reiches und des Kaisers erster und treuester Diener. Dietrich Theden.