Die Auswanderungen vom Harze in früheren Jahrhunderten
[49] Die Auswanderungen von Harzbewohnern begannen schon im 17. Jahrhundert, doch beschränkten sie sich zunächst auf einzelne Bergleute, die wegen ihrer Berufstüchtigkeit in anderen bergbautreibenden Ländern begehrt wurden. So erhielt 1691 Herzog Friedrich Casimir in Livland zu Kurland und Semigallen auf[WS 1] seine Bitten vom Bergamt Zellerfeld einen Steiger, einen Markscheider, einen Rutengänger und einen Wardein, der die Münzmeisterstelle mit vertreten sollte. Nach 4 Monaten schreibt der Herzog daß der Rutengänger bereits drei Silber- und einen Kupfergang entdeckt habe, und bittet noch um einen guten Rutengänger und zwei Bergleute, die das Zimmern wohl verständen. Im folgenden Jahre ersuchte der Erzbischof von Mainz und 1695 der Graf von Hohnstein um Überlassung von Steigern und Bergleuten für ihre Silber- und Kupferbergwerke. Aber in beiden Fällen antwortete das Bergamt, man müsse erst die Erlaubnis vom Kurfürsten in Hannover bewirken, da man keine Bergleute in fremde Dienste abgeben dürfe.
Die eigentlichen Auswanderungen setzten erst im 18. Jahrhundert ein, als 1720 der ehemalige Clausthaler Kanzlist Wildhagen etwa 60 Personen vom Harze nach England in schottische Bergwerke führte. [50] Es waren Bergleute und Handwerker, die mit ihren Frauen und Kindern von Goslar aus auf drei Wagen nach Braunschweig geschafft wurden. Von hier fuhren sie zur Einschiffung nach Bremen. Jeder erhielt von Wildhagen ein Handgeld von 2 Talern. Der König Georg verfügte die Festnahme des Wildhagen, doch war dieser mit seinen Harzern schon fort. Daraufhin wurden am 5. Oktober 1720 in einem Reskript des Königs das Wegführen von Personen vom Harze verboten und mit Strafe bedroht. Manche dieser Auswanderer kehrten nach einigen Jahren zurück, und der König erlaubte, daß die Verführten ohne Strafe wieder Arbeit erhalten könnten.
In dieser Zeit soll auch eine größere Anzahl Oberharzer Bergleute, allerdings mit Genehmigung der Bergbehörde, nach der Grafschaft Cornwallis im Südwesten Englands angeworben sein, um den Betrieb der dortigen reichen Kupfer- und Zinngruben mit ihren Arbeitskräften zu unterstützen.
Im Jahre 1737 fand auf Einladung des Grafen Friedrich Anthon von Jahrlsberg eine Auswanderung nach Norwegen statt, namentlich aus St. Andreasberg, wo sich 36 gemeldet hatten. Das neu angelegte Bergwerk lag unweit der See in der Grafschaft Jahrlsberg. Mit Zustimmung der Regierung in Hannover gab das Bergamt gern die Erlaubnis dazu, „indem man sowohl hier als zum St. Andreasberge mit Bergleuten so überhäuft ist, daß man nicht imstande ist, ihnen insgesamt Verdienst zu verschaffen, mithin den hiesigen Bergwerken viel mehr zuträglich als schädlich sein wird, wenn sich Gelegenheit fände, eine gute Anzahl Bergleute los zu werden.“ Aber Pässe sollten nur erhalten die Unverheirateten und diejenigen, welche Frau und Kinder gleich mitnehmen wollten. Sie sollten nicht heimlich davon gehen, sondern erst ihren Verpflichtungen den öffentlichen Kassen gegenüber nachkommen, insbesondere das Pfarrgeld und andere Schulden bezahlen.
Die Bedingungen auf dem Norwegischen Bergwerke waren sehr günstig. Die Harzer sollten alle bergmännischen Freiheiten genießen. vor anderen befördert und mit guter Arbeit bedacht werden. Je nach ihrer Geschicklichkeit wollte man sie zu Puchsteigern, Unter- und Obersteigern und Geschworenen aufrücken lassen. Aus der Knappschaft sicherte man ihnen Krankengeld, Pension und Gnadengeld für die Witwe zu. Wer sich häuslich niederlassen wollte, erhielt Land zur Aussaat und konnte sich ein paar Kühe halten. Aber trotz dieser Annehmlichkeiten scheinen die meisten wieder zurückgekehrt zu sein, wie aus einer späteren Bemerkung des Andreasberger Rats hervorgeht.
Nach mehrfachen Bekundungen haben auch bei dem berühmten Silberbergbau von Kongsberg in Norwegen, der im Jahre 1624 in Aufnahme kam, Harzer Bergleute mitgewirkt, die König Christian IV. kommen ließ. „Von dieser Verpflanzung stammt noch manche ursprüngliche deutsche Familie zu Kongsberg ab, deren Ursprung am Namen zu erkennen ist; ihr hat man die Aufnahme so vieler deutscher Kunstausdrücke, Grubenbenennungen und bergmännische Gebräuche zuzuschreiben, bei deren Wahrnehmung man zu Kongsberg so oft nach dem Harze versekt zu sein glaubt. Selbst das Häckel des deutschen Bergmanns ist mit nach Kongsberg gewandert und heißt hier Hackel.“ Die Grubennamen Gottes Hilfe und Haus Sachsen, sowie die Fachausdrücke Stollen, Fahrkunst u. a. haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Auch erhielten die Bergleute Magazinkorn zu einem festgesetzten Preise. Im Jahre 1685 wurde Heinrich Schlangbusch von den hannoverschen Bergwerken auf dem Harze in Kongsberg als Berghauptmann angestellt.
Im Jahre 1751 kam eine Einladung zur Besiedeluig der englischen Kolonie Neu-Schottland in Nordamerika, wo den Auswanderern viele Freiheiten und Privilegien versprochen wurden. Jeder sollte 50 Morgen Land haben, auf 10 Jahr frei von allen Abgaben, außerdem auf ein Jahr freien Unterhalt mit den nötigen Lebensmitteln usw. Vermittler war der Kaufmann John Dieck in Rotterdam und Agent der frühere Schuhmacher Hammer aus Clausthal. Die Reisekosten betrugen 8 Pistolen, die in Neu-Schottland abverdient werden mußten.
Das Bergamt bewilligte als Beisteuer zur Reise nach Rotterdam für jeden Familienvater 8 Talar, für jeden Burschen 5 Taler und für jeden Puchknaben 3 Taler. Es fanden sich etwa 50–60 Personen, die zunächst nach Hameln reisten, um von dort mit dem Schiffe nach Rotterdam zu gelangen. Da sich aber in Hameln niemand ihrer zum Weitertransport annahm, und der dortige Bürgermeister anfragte, was mit ihnen werden solle, ließ sie der Berghauptmann durch den Geschworenen Stelzner Zurückholen. Nur 10—12 sollen nach Rotterdam und von hier nach Neu-Holland gekommen sein. Einer von ihnen war der Bergmann Pichelmeyer, der nach seiner Rückkehr von Neu-Schottland 1753 ein betrübendes Bild von der Kolonie entwarf, aus der er mit andern geflohen war.
Trotzdem wurde fortwährend für die Auswanderung nach Neu-Schottland geworben, namentlich von Hammer, der sich dort in Hallifax häuslich niedergelassen hatte. Im Herbst 1752 kam er nach Clausthal zurück, und bald hatten sich bei ihm wieder 60 Personen angemeldet, doch ist nicht ersichtlich, ob sie nach Neu-Schottland oder Pennsylvanien ausgewandert sind.
Günstiger als in Neu-Schottland waren die Ansiedelungen in den Provinzen Pennsylvanien, New-York und Süd-Carolina, und dorthin haben in der [51] Mitte des 18. Jahrhunderts mehrfache Auswanderungen stattgefunden. Süd-Carolina war 1752 das Reiseziel von 126 Harzern, die von 6 Beamten in 7 Tagen von Clausthal bis Hamburg gebracht wurden. Die Kosten dafür einschließlich der Schuldenbezahlung übernahmen die öffentlichen Kassen. Denjenigen, die sich hier miteinander verlobt hatten, wurden Trauscheine ausgestellt, aber erst in Hamburg dem Kapitän ausgehändigt. Ein Prediger kam mit aufs Schiff, doch sollte die Kopulation erst vorgenommen werden, wenn das Schiff die Elbe einen Teil hinunter war.
Die Jungfer Ruhstein, die ebenfalls mit ausgewandert war, kam 1754 nach Clausthal zurück und bezeugte, daß keiner der damals abgereisten Leute nach Süd-Carolina gekommen sei. Wegen Brotmangel wären sie alle in Philadelphia ausgestiegen und hätten dort gute Arbeit gefunden; allen ginge es gut, was auch durch die mitgebrachten Briefe bestätigt wurde.
Wie schon angedeutet, sah die Bergbehörde in dieser Zeit die Auswanderung gern, denn es waren hier Bergleute überflüssig, und der Bergbau konnte sie nicht alle ernähren. Deshalb wurden auch die Reisekosten bewilligt und die Schulden bezahlt. Im Jahre 1753 werden 107 und im folgenden Jahre 12 Personen genannt, die vom Harz nach Pennsylvanien bzw. Süd-Carolina auswanden wollten und 1756 war Kapitän Parisch selbst hier, um 60–70 Personen nach Philadelphia anzuwerben.
Von großem Interesse ist ferner die Auswanderung der Harzer nach den preußischen Kolonien bei Writzen an der Oder, wo Friedrich der Große nach dem 2. Schlesischen Kriege das Bruch entwässern ließ und über 1.200 deutsche Familien in 43 neu angelegten Dörfern ansiedelte. Im Jahre 1755/56 zogen von St. Andreasberg 47 Personen, meist ledige Burschen und Mädchen, nach Neukietz bei Writzen, weil sie in der Heimat keine Arbeit bekommen und ihr Brot nicht verdienen konnten. Eine andere Ursache war, daß die jungen Leute nicht wie sie wünschten, sich verheiraten durften. Den Heiratskonsenz erhielten sie erst, wenn sie nachweisen konnten, daß sie wöchentlich 2 Taler verdienten. Dagegen wurden sie, wenn sie sich anwerben ließen und mit ihrem Mädchen nach Magdeburg kamen, sofort ohne Umstände kopuliert.
In Neukietz wurde einem jeden Ehepaare ein Haus nebst einigen Morgen Land zu Acker, Wiesen und Gärten, die sie aber erst urbar machen mußten, unentgeltlich überwiesen. Sie erhielten Wirtschaftskapitalien zu einem geringen Zinsfuß vorgestreckt und waren auf 15 Jahre steuer- und wehrfrei. Die Männer verdienten im Sommer bei einem an der Oder zu bauenden Damme und im Winter mit Rohrichneiden auf der Oder einen guten Lohn, während die Frauen mit Spitzen-Knüppeln (Klöppeln) die Einnahmen des Mannes vermehrten.
Die Berghauptmannschaft verfügte, daß die etwa Zurückgekehrten unter keinen Umständen wieder zur Arbeit angenommen werden sollten. Dies wurde in allen Zechenhäusern, Wirtshäusern und im Rathause öffentich angeschlagen.
In den Jahren 1754–1758 gingen über 20 Harzer Bergleute nach Spanien in die Quecksilber-Bergwerke in Almaden, einige auch nach Rouen in der Normandie und noch andere nach Stade, Hameln und Münster, während viele Kriegsdienste annahmen. Dann folgten Abgaben von Bergleuten 1762 nach Hildesheim und Wolfenbüttel und 1768 nach Silberberg in Schlesien. Im Jahre 1800 wollte das Oberbergamt zu Breslau wieder 50 Häuer für Oberschlesien und 40 Förderleute für Niederschlesien haben, doch stellten sich nur 35 Harzer ein, die in Kupferberg, Waldenburg und Tarnowitz Arbeit fanden. Manche kehrten in den folgenden Jahren wieder in die Heimat zurück. Wegen Arbeitsmangel im Bergbau wurden im Juli 1817 zu Festungsbauten nach Minden 100 Mann und nach Erfurt 200 Mann abgegeben, die aber nach 7–10 Tagen sämtlich zurückkehrten, weil der Verdienst dort geringer gewesen, als sie ihn zum Lebensunterhalt bedurften. Sie wurden nun zu Chausseebauten in verschiedenen Teilen des hannoverschen Landes beordert, was hier nur kurz erwähnt werden soll. Fast alle kehrten schließlich nach dem Harze zurück.
Vom Jahre 1820 ab begann wieder die überseeischen Auswanderungen, denen sich in der Folge recht viele angeschlossen haben. Das Reiseziel war zuerst Mexiko mit seinen reichen Silbergruben, die von englischen Unternehmern ausgebeutet wurden, dann aber vorwiegend Brasilien, welches sich wegen seines gesunden Klimas und seiner wohlfeilen Lebensmittelpreise ganz besonders zu Bergwerks-Unternehmungen für Ausländer eignete.
Nach Mexiko erfolgte 1826 von Hamburg aus die Abreise der Berg-, Poch- und Hüttenleute, die 1825 auf dem Harze angeworben waren; die Überfahrt nach Vera Crux dauerte 53 Tage. Auch 1827 gingen viele dorthin und stellten sich in die Dienste der Berg- und Hüttenwerke der Mexikanischen Bergwerks-Gesellschaft in St. Ana-Hütte in der Sierra von Daxaca. Einige von ihnen nahmen in Mexiko höhere Beamten-Stellungen ein, wie der Oberberghauptmann von Uslar, der General-Direktor E. Harkot[WS 2] und der Oberhütten-Direktor K. Bönig, ein Sohn des Bergphysikus Dr. Bönig in Zellerfeld.
In diesen Jahren wanderten auch zahlreiche Berg- und Hüttenleute, zum Teil mit ihren Familien, nach Brasilien aus, wo neue Bergwerke unter englischen Gesellschaften entstanden waren. Sie wurden in den Bergwerksbetrieb der Provinz Minas Geraes eingeführt [52] und in der Stadt San Joze angesiedelt. Ihnen folgten im Herbst 1830 weitere 23 Harzer Bergleute, die von der allgemeinen Bergwerksgesellschaft zu London angeworben waren. Einige hatten ihre Frauen mitgenommen und einer seine ganze Familie. Unter den Harzern, die im folgenden Jahre dorthin übersiedelten, befand sich der Einfahrer Wilhelm Hartleben, der von einer englischen Gesellschaft als Bergwerks-Direktor in Brasilien angeworben war.
Die seit dem Jahre 1827 namentlich aus Spanien und England auf den Markt geworfenen gewaltigen Bleimengen verursachten ein solches Sinken der Bleipreise, daß der Harz nicht mehr konkurieren konnte und deshalb eine Verminderung des Personals vorsehen mußte. Dagegen trat in jenen Jahren eine solche Vermehrung der Bevölkerung ein, daß der Harzhaushalt sie nicht alle beschäftigen konnte. Unter diesen Umständen war der Berg-Behörde die Auswanderung nicht unwillkommen, und sie erteilte deshalb die erbetene Erlaubnis gern. Die von der englischen Gesellschaft angenommenen Auswanderer mußten Zeugnisse über ihre Geschicklichkeit und ihr Betragen beibringen und sich auf wenigstens 5 Jahre verpflichten. Die Reisekosten übernahm die Gesellschaft. Junge Leute, die ihrer Kriegsdienstpflicht noch nicht genügt hatten, wurden nur dann angenommen, wenn sie sich ganz besonders auszeichneten; die Gesellschaft verschaffte ihnen in diesem Falle einen Stellvertreter.
Nach dem großen Brande vom 15. September 1844, der in Clausthal ganze Straßenzüge in Asche legte, wurde die Auswanderungslust wieder besonders rege. Der Zug ging 1845/46 nach Texas in Nord-Amerika, vorwiegend aber nach Süd-Australien, wo die Engländer in Adelaide eine neue Kolonie gegründet hatten. Die dortigen Verhältnisse wurden in den Briefen von Harzern, die nach Süd-Awstralien ausgewandert waren, sehr günstig geschildert, so daß die Abwanderungen nach jenen verlockenden Gefilden einen größeren Umfang annahmen. Dabei müssen wohl manche der Auswanderer sich ihren heimatlichen Verpflichtungen entzogen und ohne Abschied das Weite gesucht haben, worüber Beschwerden bei der Berghauptmannschaft einliefen. Dieselbe verfügte deshalb am 10. Juli 1846 zur Verhütung der dadurch entstehenden Nachteile, daß ein jeder, der auszuwandern beabsichtigte, dies 4 Wochen vor seiner Abreise in der Gemeinde seines Wohnortes öffentlich bekannt zu machen habe, und daß die Pässe zur Reise seitens der betreffenden Obrigkeiten des hiesigen Verwaltungsbezirks nur dann auszustellen seien, wenn eine solche Bescheinigung vorliege.
Nach Süd-Australien wanderten bis 1848 etwa 150 Harzer aus, und auch nach Amerika waren bis dahin die freiwilligen, nicht weiter begünstigten Auswanderungen herrschaftlicher Arbeiter nicht unbedeutend gewesen; aber sie standen offenbar mit der Zunahme der Bevölkerung in keinem genügenden Verhältnisse. In Ermangelung eines Führers hatten viele Auswanderer ihr Ziel verfehlt und waren untergegangen oder bald heimgekehrt. Die Verhältnelie im Harzer Bergbau hatten sich inzwischen so ungünstig gestaltet, daß man sich um die Ernährung der Bevölkerung in großer Sorge befand. Bergarbeiter, welche auf ihrer Hände Arbeit angewiesen waren, verdienten hier kaum so viel, daß sie sich und ihre Familien ernähren konnten, und die Auswanderrungswilligen waren zum Teil so mittellos, daß selbst Beihülfen sie nicht in den Stand setzen konnten, ihren Wunsch zu erfüllen.
Die Bergbehörde nahm deshalb auf Anregung des Oberbergrats von Grote und mit Zustimmung des Finanz-Ministeriums in Hannover 1848 die Leitung der Auswanderungen selbst in die Hand und hielt nach verschiedenen Gutachten und Verhandlungen Süd-Australien für die geeignetste Kolonie zur Ansiedelung der Harzer. Das Finanz-Ministerium bewilligte die dafür aufzuwendenden Kosten und setzte sich mit den Konsul Meyer in Port Adelaide, damals in Bremen, in Verbindung, damit die Expeditionen richtig geleitet und die Auswanderer in Süd-Australien sicher untergebracht wurden. Außer den Reise- und Überfahrtskosten wurden auch die Schulden und Ausrüstungskosten aus öffentlichen Kassen bezahlt, und bei der Ankunft in Adelaide erhielt jeder ein Handgeld von 5 bis 10 Taler. Die Beihilfen sollten nicht nur den herrschaftlichen Arbeitern, sondern auch den übrigen Bewohnern des Harzes auf ihr Ansuchen bewilligt werden. Dagegen mußten sie ausdrücklich auf jeden ferneren Anspruch auf Beschäftigung bei dem Harzhaushalte Verzicht leisten.
Und nun begann eine Massenauswanderung, die vom Harze mindestens 2.000 Personen nach überseeischen Ländern geführt hat. Von 1848 bis 1854 wurden allein nach Süd-Australien 12 Expeditionen mit über 1.100 Personen geleitet, die einen Kostenaufwand von rund 72.000 Taler verursacht haben. Die ersten Expeditionen gingen von Bremen und die übrigen von Hamburg aus. Die Überfahrt dauerte durchschnittlich 120 Tage und kostete für jede Person über 12 Jahr 66¾ Taler, von 1853 ab aber 120 Taler. Für Kinder wurde die Hälfte gerechnet, und Säuglinge waren ganz frei. Während der Reise erhielten die Passagiere volle Beköstigung und in Krankheitsfällen freie Medizin. Mit Matratzen, Decken, Löffel, Messer, Gabeln und blechernen Kochgeschirren mußten sie sich auf eigene Kosten versehen, doch wurden ihnen diese Sachen auch für 3 Taler aM Bord geliefert. Auf dem Schiffe hatte jeder 20 Kubikfuß Bagage frei.
In Süd-Australien fanden die Harzer alle eine freundliche Aufnahme und gute Beschäftigung, namentlich [53] in den Kupferbergwerken, und heute noch finden wir dort in verschiedenen Montangebieten (Burra-Burra, Koolgardie-Distrikt) Harzer Bergmanns-Kolonien, deren Vorfahren einst gezwungen waren, die deutsche Heimat zu verlassen.
Viele andere Harzer wandten sich aber auch jetzt wieder dem Westen zu, um in Amerika ihr Glück zu versuchen. Sie verteilen sich auf die verschiedensten Länder, von denen die Vereinigten Staaten, insbesondore New-York, Baltimore, Phiadalphia, New-Orleans und Texas, Kalifornien, Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Bolivia, Peru und Chile bevorzugt wurden. Kalifornien lockte die Auswanderer besonders seit 1848 an, als das Goldfieber dort ausgebrochen war. Nach Peru wurde im Herbst 1851 eine eigene Expedition veranstaltet, während die übrigen Weststaaten Süd-Amerikas eine weniger umfangreiche Anziehungskraft ausübten. Von den zahlreichen deutschen Kolonien, die in Brasilien gegründet wurden, ist Blumenau in der Provinz Santa Katharina die bedeutendste geworden. Großes Interesse hat für uns auch die von dem Hamburger Kolonisationsverein gegründete Kolonie Dona Franziska in derselben Provinz, weil ein bedeutender Teil unserer Harzer Landsleute von 1854 ab dorthin übersiedelte.
Einen unglücklichen Verlauf nahm die Auswanderung nach Ramsbeck in Westfalen im Herbst 1854, wo eine private Gesellschaft Kohlenbergbau begonnen hatte. Trotz der Warnung des Berghauptmanns, der auf die wenig gesicherten Zustände in Ramsbeck aufmerksam machte, ließen sich etwa 300 Bergleute verleiten, der Bergbehörde ihre Arbeit trotzig vor die Füße zu werfen und nach vielem Lärm und Unfug vor dem Amthause, der Wohnung des Berghauptmanns, den Oberharz zu verlassen. Aber der Aktienschwindel in Ramsbeck nahm ein rasches Ende, und die Harzer kamen noch in demselben Jahre fast alle verarmt in ihre Heimat zurück. In den Knappschafts-Verband wurden sie nicht wieder aufgenommen, und ihre Benefizien (Herrenkorn usw.) waren alle verlustig gegangen. Einige Verheiratete wurden hier als Tagelöhner beschäftigt, andere suchten sich anderweit Arbeit, und der Rest ging nach Saarbrücken in den Kohlenbergbau. Erst durch einen Gnadenakt des Königs Georg im Jahre 1863 gelangten sie wieder zu ihren früheren Vorteilen.
Nach dem Jahre 1854 haben zu allen Zeiten Auswanderungen vom Harze stattgefunden, doch erreichten sie niemals die Zahl der vorhergehenden Jahre. Bevorzugt wurden hauptsächlich die Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo zahlreiche Harzer sich niedergelassen haben, die zum Teil mit der Heimat noch in Verbindung stehen.
Zum Schluß seien noch folgende Verse aus einer Reihe von Abschiedsliedern eines Bergmanns Rodert in Lautenthal mitgeteilt, an denen wir so recht die innere Gesinnung der Auswanderer erkennen:
Wir treten jetzt die Reise
Nach Süd-Australien an.
Sei bei uns, Herr, und zeige,
Ja mache selbst die Bahn.
Sei bei uns auf dem Meere
Mit Deiner Vaterhand,
Dann kommen wir ganz sicher
Nach Süd-Australiens Land.
Deutsche Freunde, weinet nicht!
Ich denke dort noch froh zu leben.
Wißt, mein Fleiß hier half mir nicht,
Mußte unzufrieden leben.