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Die Aufstellung der Germania auf dem Niederwald

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Textdaten
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Titel: Die Aufstellung der Germania auf dem Niederwald
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 551–554
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[551]

Die Aufstellung der Germania auf dem Niederwald.

Es war am 28. Juli gegen zwölf Uhr Mittags, als von den Höhen des Niederwalds wiederholt Böllersalven ertönten, welche in doppelter Zahl von Bingen aus erwidert wurden und welche nicht allein in den angrenzenden Rheinorten einen lauten Jubel der Bevölkerung weckten, sondern in allen deutschen Gauen einen mächtigen Widerhall fanden. Da ging die Kunde von Mund zu Mund, auf dem Niederwald, das Antlitz gegen Frankreich gewendet, die Kaiserkrone hoch in der Rechten, stehe stolz das Sinnbild des deutschen Volkes, die gewaltige Germania.

Noch als unsere tapferen Truppen vor Paris standen, regte sich allenthalben der Gedanke, ein der unvergleichlichen Siege würdiges Denkmal zu errichten. Langsam, aber festen und sicheren Schrittes ging man später an die Ausführung der Idee. Der Niederwald war als die passendste Stätte erwählt worden, und [552] aus dem Concurrenzkampf ging siegreich der kunstvolle Entwurf des Meisters Joh. Schilling in Dresden hervor. Dann erschien der herrliche Tag, der 16. September 1877, an welchem Kaiser Wilhelm den Grundstein des Nationaldenkmals legte, und weithin tönte sein Weihespruch: „Den Gefallenen zum Andenken, den Lebenden zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung!“

Kopf der Germania vor dem Aufzug.
Nach einer Photographie von Hillsdorf in Bingen.

Eine Feier war es, von welcher Emil Rittershaus in der „Gartenlaube“ sang:

„Der Redner spricht; dem Kaiser sehn wir jetzt ihn einen Hammer reichen.
Des Kaisers Rechte weiht den Stein; er weiht ihn mit drei Hammerstreichen.
Und wie das Eisen niederfällt, da ruft bei jedem Hammerschlag
Der Donner aus Kanonenmund der Berge rollend Echo wach.
Da werden in den Dörfern rings die Glocken allzumal geschwungen.
Da tönt der Deutschen Heergesang, ‚Die Wacht am Rhein‘, von allen Zungen. –
Still, rede nicht! Der Grundstein liegt. Nun mögen frisch die Meister bau’n. –
Gott geb’, daß wir in Frieden noch auf dieses Werks Vollendung schau’n!
Daß mit der Einheit fest im Bund der Geist der Freiheit möge walten!“

Aufzug des Kopfes.
Nach einer Photographie von Hillsdorf in Bingen.

Nun rückt thatsächlich der Tag heran, an welchem das Denkmal enthüllt werden wird, und der Wunsch des Dichters und Volkes ist in Erfüllung gegangen: Es ist uns vergönnt, in Frieden dieses Werks Vollendung zu schauen. Ganz Deutschland rüstet sich zu der bevorstehenden Feier des 28. September, aber es verfolgt auch mit höchster Spannung den Fortgang der Arbeiten auf dem Niederwald, namentlich die Aufrichtung der Germania, deren classisch vollendetes Bild wir heute unseren Lesern vorführen. Sie ist nicht mehr jene mit gezückter Waffe zur Abwehr bereite Heldin, wie sie einst die Künstler darstellten, nein, ihre Linke ruht auf dem lorbeerbekränzten Schwert, und ihre Rechte hält stolz die Siegestrophäe, die im Kampf errungene Kaiserkrone des geeinten Deutschlands, empor – sie ist das stolze Symbol des siegreichen und friedlichen Volkes. Von ihren Schultern wallt der mit Edelsteinen und Reichsadlern verzierte Kaisermantel herab, und zwei mächtige Adler stützen den neben ihr stehenden Thronsessel.

Oft hat man Siegesdenkmäler aus erobertem Kriegsmateriale errichtet, aber hier ist zum Gusse der Germania nicht eine einzige französische Kanone verwendet worden. Deutsches Geschütz wurde zu diesem Zwecke eingeschmolzen, und deutsches Erz ist es, welches dem Wanderer von der Kuppe des Niederwaldes entgegen winkt und ihn an die Zeit der großen nationalen Erhebung erinnert.

Selbstverständlich besteht diese riesige, gegen 750 Centner schwere Figur aus mehreren Stücken, die auf der Höhe des Niederwaldes montirt wurden. Der Guß derselben hat dreieinhalb Jahre in Anspruch genommen, und das berühmte Etablissement der Herren von Miller in München zeigte sich der schwierigen Aufgabe vollständig gewachsen. Alles glückte, und kein einziger Guß schlug fehl. In der ersten Hälfte des Monats Juni stand die Figur fertig in der Münchener Erzgießerei, die gewaltige Höhe von etwa elf Metern erreichend.

Doch nur kurze Zeit hatten die Meister die Freude gehabt, die „Jugendlich Schöne“ in ihrem väterlichen Hause zu schauen; sie mußte bald hinaus in die weite Welt, an die rebenbehängten Hügelufer des sonnigen Rheinlandes. Aber die Fahrt sollte mit ungemein vielen Schwierigkeiten verbunden sein, denn noch niemals wurden auf den deutschen Eisenbahnen so umfangreiche und gewichtige Stücke befördert. War doch die Kiste, in welcher der Rumpf der Figur verpackt wurde, allein gegen fünf Meter breit und sechs Meter hoch. Darum hielt man es von der Vorsicht geboten, zunächst auf den von München nach Rüdesheim führenden Schienenwegen Probefahrten mit einem den eben erwähnten Größenverhältnissen entsprechenden Lattengerüste zu machen. Aber da stellte sich heraus, daß die Lechbrücke zwischen Hochzell und Augsburg zu schmal war, um dem Riesenrumpf der Erzjungfrau freie Durchfahrt zu gewähren. Endlich wurde der Transport über Kaufering-Buchloe bewerkstelligt, und die Firma Holzmann u. Comp. in Frankfurt am Main brachte die Lasten auf einem Trajectschiffe glücklich auch den Rheinstrom hinab.

[553] Nun ging es von Rüdesheim bergauf, sechszehn Pferde mußten vor die Wagen gespannt werden. Das geschah am 7. Juli und am 28. desselben stand die Figur fertig aus der Höhe des Niederwaldes. Die kühnsten Hoffnungen gingen glücklich in Erfüllung, denn weit und breit ist die herrliche Figur zu sehen, und vom Rhein aus kann man das vollendete Ebenmaß der Gestalt bewundern.

Es seien uns noch einige Worte über die Größenverhältnisse der Figur erlaubt.

Ihr kleiner Finger kann gerade von zwei Händen eines Erwachsenen umspannt werden, ihr Daumennagel ist neun Zentimeter breit und elf Centimeter hoch. Durch ihr Armgelenk kann ein Mann bequem schlüpfen, und im Innern ihres Unterkörpers bis zur Brusthöhe könnten zehn Paare tanzen. Das gewaltige Schwert wiegt fünf bis sechs Centner und ist acht Meter lang. Nach seiner Fertigstellung überragte es die gewaltige Einfahrt des Münchener Gießhauses. Der untere Theil der Figur wiegt hundertsiebzig bis hundertachtzig Centner, der Oberkörper etwa hundertdreißig und der Kopf zwanzig bis vierundzwanzig Centner.

Die Bildsäule der Germania auf dem Niederwalddenkmal.
Modellirt von Professor J. Schilling.

Das untere Stück der Germania wurde, nachdem es in der Nacht des 9. Juli 11 Uhr 30 Minuten an der Geisenheimer Chaussee bei Fackelschein ausgeladen und auf einem mit zehn Pferden bespannten Wagen auf den Denkmalsplatz geschafft worden, am Montag, 16. Juli, aufgezogen. Vorher aber wurde die Tragfähigkeit des Gerüstes und der Seile durch eine Last von zweihundertfünfzig Centner Eisenbahnschienen erprobt. Das von Holzmann in Frankfurt erbaute Gerüst, hat sich als sehr praktisch bewährt, und waren die Befürchtungen des Publicums unbegründet. Die Gußtheile wurden mittelst zweier Maschinen, die je durch fünf Mann bedient wurden (also durch Händekraft), emporgewunden, und befanden sich die Maschinen nicht etwa oben auf dem Gerüste, sondern auf der Erde. Die Seile liefen über Rollen. Innerhalb dreieinhalb Stunden war der untere, schwerste Theil bis an den Ort seiner Bestimmung gelangt. Am 28. Juli, Vormittags, wurde der Kopf emporgewunden, und nun begann der kritischeste Augenblick der ganzen Arbeiten: die Befestigung des Kopfes auf den Rumpf. Diese Arbeiten mußten im Innern der Figur vollzogen werden, und das Anziehen, Abschlagen und Vernieten der zweiundvierzig Schrauben, mit denen der Kopf befestigt wurde, leitete Herr von Miller persönlich. Drei Planken waren im Oberkörper der Figur so befestigt worden, daß drei Arbeiter darauf fußen konnten. Die Leitern, die früher im Rumpfe der Figur gestanden, hatten schon vor dem Aufsetzen des Kopfes entfernt werden müssen. So befanden sich die Arbeiter in einem weiten Raum, unter ihnen gähnte ein finsterer Abgrund, aus dem fortwährend die Ausdünstungen der riesigen Cementmassen emporstiegen, mit denen der untere Theil der Figur angefüllt und so mit dem Postamente unlöslich verbunden worden war. Kein Luftzug war in dem durch einige Lampen schwach erhellten Raume, glühende Hitze ringsum. Wäre einer der Arbeiter von einer Ohnmachtsanwandlung befallen worden und hinabgestürzt, so war alle Möglichkeit dahin, seine Rettung zu bewirken, da Leitern und Stricke dem Unglücklichen nicht hätten zugängig gemacht werden können. Aber nach fünfviertelstündiger Arbeit war das Werk vollendet, die Arbeiter, die wahrhaft den Tod vor Augen gearbeitet, nahmen ihren Ausgang durch die Armöffnung, welche bald darauf durch die Hand und Krone geschlossen wurde. Kein Unfall hat sich bei Aufrichtung dieses schwierigsten Teiles des Nationaldenkmals ereignet, ein günstiger Stern hat über der ganzen Arbeit gewaltet; im vollen Vertrauen auf ihre Führer konnten die Werkleute ihre schwierige Aufgabe glücklich lösen.

„Meine Empfindungen,“ sagte Herr von Miller nach seinem Niederstieg vom Gerüste zu unserm Gewährsmanne, „kann ich Ihnen nicht ausdrücken, nicht schildern; mit einem Dankgebete verließen wir die schwindelnde Höhe, dankend dafür, daß wir das Werk ohne Unfall, so glücklich beenden durften.“

Aber als die unerschrockenen Arbeiter noch oben auf dem [554] Gerüste standen und das Gelingen des berühmten Werkes mit perlendem Rheinwein feierten, erschollen unten an den Stufen des Denkmals die Weisen der „Wacht am Rhein“, welche fünfzig Seminaristen aus Boppard unter der Leitung ihres Lehrers mit voller Begeisterung vortrugen. Dann wandte sich ein Schützengenosse mit einer Ansprache an die um das Denkmal geschaarte Menge. Da krachten wieder Böllerschüsse, und Hochrufe auf die Meister wurden laut, und so schloß die einfache, aber erhebende Feier, die dem Gedächtniß aller Teilnehmer sich unauslöschlich eingeprägt hat.

Wir aber rufen allen unsern Lesern zu: Auf Wiedersehen am 28. September auf der Höhe des Niederwalds!