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Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung

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Autor: Hans von Frisch
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Titel: Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Erster Band: Die Grundlagen der Politik, Zweites Hauptstück: Der Staat, Abschnitt 6, S. 46−65
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[46]
b) Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung.
Von
Dr. Hans v. Frisch
o. Professor der Rechte an der Universität Czernowitz.


Einleitung.

§ 1. Historischer Überblick über die Zwecktheorien.

1. Plato. Aristoteles. Cicero.
2. Augustinus. Thomas von Aquino.
3. Das Naturrecht.

§ 2. Die einzelnen Zwecktheorien.

1. Die eudaimonistisch-utilitarische Theorie.
2. Die ethische Theorie.
3. Die Rechtstheorie.
4. Relative Zwecktheorien.
5. Objektiv-partikulare Zwecktheorien.
6. Die Organtheorie.

§ 3. Kritik der wichtigsten Theorien.

§ 4. Die Zwecktheorie in der modernen Staatslehre.

Einleitung.

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Seitdem menschliches Denken sich mit dem Staat beschäftigt, wird die Frage nach dem Zweck, nach den Aufgaben desselben immer wieder gestellt. Und mit Recht, denn die Frage nach dem Zweck einer menschlichen Institution ist grundlegend, so dass ihre Erklärung ohne Beantwortung der Zweckfrage oft gar nicht vollständig sein kann. So wenig es möglich ist, jemandem verständlich zu machen, was ein Tisch oder ein Stuhl sei, wenn man nicht den Zweck dieser Dinge hinzufügt, so wenig können auch soziale Einrichtungen ohne teleologische Erklärung verstanden werden. Dazu kommt, dass Verbände nur durch ihre Zwecke gerechtfertigt werden können. Wie der stets kritische Geist des Menschen an jede einzelne staatliche Massregel, an jedes Gesetz, jedes Polizeiverbot die Frage richtet, ob sie auch berechtigt seien, so stellt er von Zeit zu Zeit diese Frage auch an den Staat selbst; eine Rechtfertigung desselben aber kann nur gelingen, wenn seine Zwecke als gerechtfertigt angesehen werden. So treffen und trafen sich immer in diesem Punkt Theorie und Praxis, Wissenschaft und Politik. Die Theoretiker, die das Wesen des Staates zu ergründen strebten, bedurften der Zweckbestimmung nicht minder als die Staatsmänner und Vertreter politischer Parteien, die einzelne Staatsakte oder politische Forderungen zu rechtfertigen hatten. Darin liegt die Bedeutung der Lehre vom Staatszweck.

Wenige Probleme aus der allgemeinen Staatslehre aber haben so zahlreiche und so mannigfaltige Lösungen gefunden wie dieses. Das hat verschiedene Gründe. Zunächst ist bei der Frage nach den Aufgaben des Staates der subjektiven Auffassung des Einzelnen der breiteste Spielraum gelassen. Nicht nur jede politische Partei und jede soziale Gruppe in der Gesellschaft setzt dem Staat andere Zwecke, sondern auch die Erwartungen, weiche die einzelnen Individuen innerhalb der Parteien und Gruppen an den Staat stellen, gehen oft weit auseinander. Dazu kommt, dass die Frage nach den Aufgaben des Staates nicht absolut zu beantworten ist, sondern dass die Verschiedenheit [47] der Völker und Länder auch Verschiedenheit in die Aufgaben bringt. Endlich bleiben sie sich auch im Wechsel der Zeiten nicht gleich, sondern ändern sich mit dem Fortschritte von Zivilisation und Kultur.

Ein Blick auf die Literatur des Themas zeigt aber ferner, dass neben der grossen Mannigfaltigkeit in der Beantwortung auch eine geradezu grenzenlose Verwirrung herrscht und diese ist zurückzuführen auf unklare Terminologie in der ganzen Lehre. Man war sich nicht bewusst, dass unter dem Zweck des Staates ganz verschiedene Dinge begriffen werden können. Es ist das unbestrittene Verdienst Jellineks, aus der seit Jahrhunderten herrschenden Unklarheit heraus den Weg zu klarer Erörterung des Problems gezeigt zu haben.[1] Das Durcheinanderwerfen dreier auf ganz verschiedene Dinge gerichteter Fragen war schuld an der Verwirrung in den Antworten. Erstens wurde gefragt nach dem „Zweck der Institution des Staates in der Ökonomie des historischen Geschehens im Hinblick auf die letzte Bestimmung der Menschheit“; zweitens kann die Frage darauf gerichtet sein, welchen Zweck ein konkreter Staat in der Geschichte gehabt habe, eine Frage, die zu gewisser Zeit in der Literatur einen breiten Raum einnahm. Diese beiden Fragen nennt Jellinek die nach dem „objektiven Zweck“ des Staates, erstere die nach dem „universalen“, letztere die nach dem „partikularen“ Staatszweck. Er weist sie beide in das Gebiet metaphysischer Spekulation, die mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln empirischer Forschung nicht zu beantworten sind. Deshalb haben die in dieser Richtung gehenden Untersuchungen, so beliebt und umfangreich sie auch zeitweise waren, niemals ernste wissenschaftliche Resultate gezeitigt. Sie können heute nur mehr historisches Interesse beanspruchen. Endlich ist noch drittens die Frage möglich, „welchen Zweck die Institution des Staates in einem gegebenen Zeitpunkt für die Eingegliederten und damit für die Gesamtheit besitze“; diese Theorien gehören der neueren, historisch denkenden Zeit an und sie allein geben uns eine der modernen Auffassung des Staates entsprechende Antwort. In ihren Grundlinien sind sie von Jellinek in einer das Problem abschliessenden Weise entwickelt worden.

Aus der Fragestellung ergibt sich schon, dass es sich hier um ein historisch-politisches Problem handelt, dass die Materie insbesondere keine juristische Behandlung zulässt.[2] Für den juristischen Staatsbegriff ist es ganz gleichgültig, welche Aufgaben dem Staate zugesprochen werden. Daher ist es auch eine Verkennung des ganzen Problems, von „natürlichen“ oder „notwendigen“ Aufgaben des Staates zu sprechen, von Aufgaben also, die ihm von Natur aus ein für allemal als seinem Wesen entsprechend zukommen müssten. Solche Theorien kann man nur für einen Idealtypus des Staates aufstellen, was ja auch oft genug geschehen ist. Diese, nach der Jellinek’schen Terminologie, „absoluten“ Theorien setzen dem Staat einen Zweck, der für alle Zeiten und jede Form des Staates derselbe bleibt. Aber sie sind ebensowenig zu realisieren wie das Staatsideal. Ihnen gegenüber stehen die Theorien von den relativ-konkreten Staatszwecken, die auf die realen staatlichen Verhältnisse zurückgehen und die stets wechselnden tatsächlichen Umstände in Betracht ziehen. –

Ein Überblick über die Literatur der Frage zeigt, dass die Lehre vom Zweck des Staates zu verschiedenen Zeiten ein beliebtes Gebiet philosophischer, politischer und staatsrechtlicher Untersuchungen war. Man pflegte das Thema aber nicht gesondert, in monographischer Darstellung zu erörtern, sondern untersuchte es im Rahmen der staatsrechtlichen, naturrechtlichen, philosophischen und anderer Systeme; in den Lehrbüchern der Politik und Staatskunst nimmt die Erörterung bisweilen einen breiten Raum ein. Als Beweis für die verschiedene Bewertung und Betrachtungsweise des Problems dient, dass sich einerseits die Behauptung findet, ohne Erkenntnis der Zwecke könne das Wesen des Staates garnicht begriffen werden, während andrerseits von einzelnen Schriftstellern der Staatszweck überhaupt geleugnet wird. Zwischen diesen beiden Extremen finden sich alle Abstufungen mehr oder minder eingehender Behandlung der Frage je nach der Bedeutung, die ihr beigelegt wird.

[48] In neuerer Zeit gelangte sie zu besonderer Blüte im Laufe des 18. Jahrhunderts; es war die eudaimonistisch-utilitarische Theorie, die Theorie des Polizeistaates, die auch praktisch von grosser Bedeutung wurde. Ihr folgte, als Reaktion zu Ende des Jahrhunderts die Rechtstheorie, die nicht minder stark die politischen Gemüter beschäftigte. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aber wird die Zweckfrage in der Literatur stark vernachlässigt; sie war, wie die allgemeine Staatslehre überhaupt, durch oberflächliche und dilettantenhafte Behandlung in Misskredit geraten; von Juristen wird sie nahezu gänzlich ignoriert, hingegen häufiger von Nationalökonomen in ihren Systemen erörtert.

Dieser Stand der Literatur enthebt mich der Aufgabe, hier ein besonderes Verzeichnis anzureihen. In den meisten Werken des 18. und 19. Jahrhunderts, die ein System der Politik, des Staatsrechts, der Rechtsphilosophie usw. enthalten, findet man auch ein Kapitel über den Staatszweck. Genannt sei hier nur die einzige Monographie, die meines Wissens über das Thema existiert:

Murhard, Der Zweck des Staates. Göttingen 1832.

Das Buch enthält die bis dahin erschienene Literatur sehr ausführlich, aber wenig übersichtlich. Im übrigen beschränke ich mich auf die Angabe der wichtigsten einschlägigen Werke im Text. –

Im folgenden wird zunächst ein geschichtlicher Überblick über die in den verschiedenen Zeitperioden entstandenen Zwecktheorien gegeben; daran schliesst sich eine Darstellung der einzelnen Theorien und eine kritische Würdigung der wichtigsten derselben; zum Schluss werden die dem modernen Staate und der neueren Forschung entsprechenden Zwecktheorien entwickelt.

§ 1. Historischer Überblick über die Zwecktheorien.

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1. Plato. Aristoteles. Cicero.

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Die Hellenen, die in ihren Staatswissenschaften über das Zeichnen von Idealstaaten eigentlich nicht hinauskamen, haben den Staaten auch ideale Zwecke gesetzt. Den grossen Philosophen, die sich mit diesen Problemen befassten, namentlich Plato und Aristoteles hat nicht nur der praktische Blick für die Bedürfnisse eines Staates vollständig gefehlt, sondern sie haben auch von Grund aus die Grenzen staatlicher Macht verkannt, ein Vorwurf, den man mit demselben Recht auch manchem führenden Geist späterer Jahrhunderte machen kann. Wären die der hellenischen Philosophie entstammenden Idealstaaten zu verwirklichen gewesen – woran ihre Konstrukteure allerdings selbst zweifelten – , so wären sie entweder polizeistaatähnliche, unter strengster Sittenordnung stehende, lediglich auf Selbsterhaltung bedachte Verbände geworden, oder aber, ihren transzendenten Zwecken entsprechend Heilsanstalten, Kirchen nach unseren heutigen Begriffen. Damit steht nicht im Widerspruch, dass sich in ihren Schriften mancher praktische Vorschlag findet, von denen einzelne mehr als zwei Jahrtausende später erst verwirklicht werden, wie z. B. das stehende Heer oder die allgemeine Schulpflicht des Platonischen Staates.

Platos Staatsideal, wie es in der Politeia gezeichnet ist, verdankt seine Gestalt den damals in Athen tatsächlich herrschenden politischen und sozialen Zuständen. Plato wollte zum Reformator seiner Vaterstadt werden, in der die Demokratie gründlich abgewirtschaftet hatte. Neben Luxus und Übermut herrschte Armut und Elend und die unmittelbare Ursache davon sieht Plato darin, dass der Staat über seine Grenzen hinausgegangen, dass er nicht Polis geblieben sei; mit dem steigenden Handel sei die Erwerbsbegierde im Lande gewachsen und damit seien die verderblichen Klassengegensätze entstanden, die sich mit den damaligen einfachen Lebensverhältnissen nicht mehr vereinbaren liessen. Politisch macht Plato für diese Zustände die demokratische Staatsform verantwortlich, die nach ihren Prinzipien keine sachverständige Leitung der Staatsgeschäfte verbürgen könne. „Wenn ein jeder berufen ist und sich für berufen hält, an den wichtigsten Entscheidungen des öffentlichen Lebens unmittelbar mitzuwirken, wenn die höchste und schwierigste aller Aufgaben, die Staatsleitung nicht durch sachkundig geschulte Männer sondern von jedem Beliebigen gelöst werden soll, den Volksgunst und Vordringlichkeit emporheben, so ist ein Hin- und Herschwanken des Staatsschiffes, dem der rechte Steuermann mangelt, unvermeidlich[3]. . . . . . [49] Dazu kommt, dass die Demokratie den Bürger gewöhnt, sich um vielerlei Dinge zu kümmern, die ihn nichts angehen: er fängt an, in alles mögliche hineinzureden und sich ein Urteil darin anzumassen. . . . . .“ So schildert Windelband[4] Plato’s Klagen über die Schäden der Demokratie. Dem so verkommenen Staatswesen tut eine gründliche Reform not und diese nimmt Plato in der Politeia vor. Er will vor allem den Egoismus der Bürger, der sich in der Demokratie ausgebildet hatte, bekämpfen und die Individuen vollständig dem Staate unterordnen und in den Dienst der Gesamtheit stellen. Darin geht er aber so weit, dass der Einzelne vollkommen diesem den Staat beherrschenden Prinzipe zum Opfer fällt.

Plato lässt den Staat entstehen aus dem Streben des Individuums nach Unterstützung durch die Mitmenschen;[5] er geht also aus von der Absicht der Menschen, einander das Leben zu erleichtern. Dieses Ziel ist aber mit der Gründung des Staates oder vielmehr der Gesellschaft bereits erreicht. Die Zwecke, die der fertige Staat verfolgt, sind viel höhere, ideale, er soll alle Menschen glücklich machen,[6] und dies ist nur möglich durch Verwirklichung der Tugend. Der Staat will also die Bürger zur Tugend erziehen. Die zahlreichen Einzelvorschläge, die Plato nun bei der näheren Ausführung seines Idealstaates macht, wie Weiber- und Kindergemeinschaft, Aufhebung des Privateigentums u. s. f. sind hier nicht näher zu besprechen. Aber das ganze irdische Leben ist im Platonischen Staat schliesslich nur Vorbereitung für das Jenseits, wo die Tugend erst belohnt wird.

Dieselbe Aufgabe wie in der Politeia setzt Plato dem Staat in den „Gesetzen“; auch hier ist die allgemeine Glückseligkeit höchstes Ziel des Staates und auch hier hat der irdische Staat nur für das Jenseits vorzubereiten. Dabei sollen die staatlichen Gesetze im einzelnen so beschaffen sein, dass sie die starre Konservierung der herrschenden Einrichtungen verbürgen und jeden Fortschritt unmöglich machen. Alles Eindringen von Neuerungen aus dem Auslande soll verhindert werden, was natürlich wiederum nur unter äusserster Beschränkung der freien Persönlichkeit möglich ist. Plato schildert hier einen agrarischen Polizeistaat schlimmster Sorte, der unter dem Drucke der denkbar strengsten Sittenpolizei steht und auf Erden keine andere Aufgabe hat, als sich selbst zu erhalten.

Den in der „Politeia“ konstruierten Staat hält Plato selbst für ein nicht zu verwirklichendes Ideal, denn in den Gesetzen sagt er von ihm, er eigne sich nur für Götter und Göttersöhne[7]; deshalb entwirft er hier den „zweitbesten“ und „drittbesten“ Staat, Entwürfe, die nach seiner Meinung auch von Menschen ausgeführt werden können.

Ähnliche ideale Aufgaben wie Plato stellt Aristoteles seinem Staat; er geht bei der Betrachtung des Staates schon vom Zweck desselben aus, wie der Einleitungssatz seiner Politik zeigt und noch verschiedene Stellen des Werkes beweisen.[8] „Die staatliche Gemeinschaft hat das sittlich-schöne Handeln zum Zweck und nicht bloss das Zusammenleben.“[9] Nach der ihm eigenen hohen Meinung vom Wesen und Wirken des Staates schreibt er ihm allein die Macht zu, den Menschen über das Tier hinauszuheben. Nur im Staate kann der Mensch diese ethische Vollkommenheit erreichen, die, im Gegensatz zu Plato, nicht erst im Jenseits, sondern schon hier auf Erden verwirklicht werden soll. Wer ausserhalb des Staates lebt, ist entweder ein Tier oder ein Gott, ohne Staat ist der Mensch überhaupt nicht denkbar.[10] Daher auch der so paradox klingende Aristotelische Satz: Der Staat war früher da als der Mensch.[11] Der eigentliche Zweck des Staates liegt in der Glückseligkeit der Staatsbürger, Glückseligkeit aber besteht in der ungehemmten Betätigung der Tugend; diese in den Bürgern hervorzubringen ist die höchste Aufgabe des Staates.

[50] Die teleologische Betrachtungsweise geht bei Aristoteles noch weiter als auf die staatliche Gemeinschaft als solche; er bringt auch die einzelnen Staatsformen unter diesen Gesichtspunkt, die er nach dem Zweck, den die Regierenden mit der Herrschaft verbinden, unterscheidet. Jene Monarchie, in der die Herrschaft zum allgemeinen Besten geführt wird, gehört zu den guten Staatsformen und heisst Königtum; jene hingegen, die der Monarch nur zu seinem eigenen Vorteil führt, ist eine schlechte Staatsform, eine Ausartung des Königtums, die Tyrannis. Ebenso ist die Herrschaft einer kleinen Zahl von Bürgern, wenn ihr Zweck das Beste des Staates und seiner Angehörigen ist, eine gute Staatsform, die Aristokratie, während ihre Ausartung, die Oligarchie, nur den Vorteil der Reichen im Auge hat. Endlich nennt Aristoteles die Regierung durch das gesamte Volk, solange sie das Gemeinwohl bezweckt, Politie, ihre Ausartung, die nur das Beste der Armen zum Ziel hat, Demokratie.[12] Das gemeinsame Unterscheidungsmerkmal ist also der Zweck, den die Herrschenden mit der Regierung zu erreichen streben. Nur die salus publica kann Aufgabe eines gesunden Staatswesens sein, wie immer es regiert werde.

Plato und Aristoteles stimmen also darin überein, dass sie ihren Staaten ideale Zwecke setzen, im einzelnen aber weichen sie, zum Teil in wesentlichen Punkten, von einander ab. Welch ausserordentlich weite und dabei unbestimmte Aufgabe sie aber dem Staate mit der Verwirklichung des Sittengesetzes stellen, darüber haben sie sich wohl kaum Rechenschaft gegeben.

Über Aristoteles kam die Staatslehre des klassischen Altertums nicht hinaus. Was andere griechische Philosophen und deren Schulen hier geleistet haben, enthält keine Weiterbildung der von den beiden hervorragenden Geistern begründeten Wissenschaft; insbesondere Aristoteles hat hier, ähnlich wie in den Naturwissenschaften durch seine für unerschütterlich geltende Autorität Jahrhunderte hindurch jeden Fortschritt gehemmt. Gerade in der Staatslehre zeigt sich diese verderbliche Wirkung sehr deutlich, denn seine Definitionen, Begriffsbestimmungen, Einteilungen usw. wurden zum Teil bis tief ins Mittelalter hinein kritiklos als nicht anzuzweifelnde Wahrheiten hingenommen.

Die Römer hinterliessen uns nur dürftige theoretische Betrachtungen über den Staat. Die einzige Staatsdefinition, die uns von ihnen erhalten ist, die Ciceros[13] enthält kein teleologisches Merkmal. Zwar finden sich bei Cicero wie auch bei anderen Schriftstellern einzelne Andeutungen über den Staatszweck, aber ohne nähere Begründung und Ausführung; salus populi suprema lex[14] galt als politisches Prinzip, mit dessen theoretischer Begründung man sich ebensowenig abgab wie mit der Bestimmung dessen, worin die salus populi bestehe; vielleicht kann man darin auch eine Bestätigung für den gesunden, politischen Sinn der Römer sehen, die wussten, dass eine Inhaltsbestimmung des Begriffes sich ins Grenzenlose verlieren müsse und keine praktische Bedeutung haben könne. Jedenfalls lässt sich aus dieser und anderen trivialen Wahrheiten weder bei Cicero noch sonst bei den Römern eine wissenschaftlich fundierte Ansicht über den Staatszweck herauslesen. Überdies standen sie zumeist allzusehr im Banne des Aristoteles, als dass sie selbständig originelle Ideen von wissenschaftlichem Wert hätten aufstellen können.

2. Augustinus. Thomas von Aquino.

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Neue Ideen kamen in die staatswissenschaftliche Literatur durch die christlichen Schriftsteller. Dem Zweckproblem hat die christliche Theologie von vornherein grossen Wert beigelegt, was ja schon im Wesen einer Lehre liegt, die dem Jenseits so hohe Bedeutung beimisst.

Augustinus, dessen Lehre von der Unterordnung des Staates unter die Kirche für das ganze Mittelalter vorbildlich wurde, scheidet streng den irdischen vom himmlischen Staat und schreibt beiden ursprünglich getrennte Zwecke zu. Die civitas terrena, aus verbrecherischen Motiven entstanden, kennt als den ihr immanenten Zweck nur die felicitas terrena, die irdische Glückseligkeit, der durch Friedensbewahrung erreicht wird. Die irdischen Staaten aber, die nur dieses Ziel verfolgen, müssen von Gott abfallen und zur civitas Diaboli werden, die niemals Frieden und [51] Glückseligkeit erreichen kann und am Ende aller Tage in die Hölle fahren wird. Davor kann der irdische Staat nur bewahrt werden, wenn er sich in den Dienst der Kirche, der civitas coelestis stellt und dieser dient. So gibt es zwei Sorten von Staaten, charakterisiert durch ihre Ziele.[15] Der Staat, der nicht zu einem latrocinium, zu einem Raubnest werden will, muss sich auf die Kirche stützen und nach ihren Vorschriften sein Handeln bestimmen; dann, sagt er, sind die christlichen Kaiser glücklich zu nennen, „si suam potestatem ad Dei cultum maxime dilatandum majestati eius famulam faciunt; si Deum timent, diligunt, colunt; si plus amant illud regnum, ubi non timent habere consortes . . . .[16]

Der bedeutendste mittelalterliche Schriftsteller auf diesem Gebiet, Thomas von Aquino, weicht mit seiner Auffassung des Staates in einzelnen wesentlichen Punkten von der älteren Doktrin ab. Er erklärt den irdischen Staat nicht, wie Augustinus, für ein Erzeugnis der Sünde, sondern sieht in ihm ein mit Naturnotwendigkeit entstandenes Gebilde,[17] veranlasst durch die humana indigentia, die gegenseitige Bedürftigkeit der Menschen; darin ist Thomas mit Aristoteles einig. Es ist die irdische Bestimmung des Menschen, gesellig zu leben, Gott hat ihn so geschaffen, er kann nicht anders.[18] Und selbst im Stande der Unschuld, wenn ihn die Menschen sich bewahrt hätten, wäre das dominium politicum, das staatliche Regiment entstanden.

Wie diese psychologische Rechtfertigung des Staates bei Thomas von Aquin offenbar auf Aristoteles beruht, so auch seine Lehre vom Zweck des konkreten Staates. Sein Zweck soll sein, die Menschen zur Glückseligkeit zu führen, die nur erreicht werden kann durch Betätigung der Tugend. In einem wichtigen Punkte aber weicht der Aquinate vom Stagiriten ab und erinnert an Plato, indem er, im Banne der christlichen Theologie stehend, den Staat als Mittel für die transzendente Bestimmung des Menschen ansieht. Er verlegt also den letzten Zweck des Staates ins Jenseits, analog dem überirdischen Endziel des Individuums, das gleichfalls im Jenseits liegt und in der Anschauung Gottes besteht.[19] Damit wird dem Staat eine religiöse Aufgabe gestellt, er wird ebenso wie der Platonische Staat zur Kirche. Im Gegensatz zu letzterem aber verliert er seine Selbständigkeit, denn nicht mehr er selbst soll sich seine Sittengesetze geben können, sondern die christliche Kirche diktiert sie ihm. In dieser Thomistischen Forderung spiegelt sich die ganze Herrschsucht der mächtig gewordenen katholischen Kirche wieder.[20] Nach Gregor VII. ist das Herrschen der weltlichen Fürsten ein todeswürdiges Verbrechen.

Dass dieser Staatszweck absolut sei, für alle Staaten und alle Zeiten derselbe, entspricht dem theologischen Charakter dieser Staatslehre und dem katholischen Staatsideale, dem Weltstaat unter päpstlicher Herrschaft. Es soll ein Universalstaat im extremsten Sinne des Wortes sein, denn er umfasst nicht nur das Diesseits, sondern auch das Jenseits und beherrscht nicht nur die gegenwärtig lebenden, sondern auch die gewesenen und alle zukünftigen Menschen.[21] Somit geht die Thomistische Konstruktion noch weit über die katholische Auffassung der Zwei-Schwerter-Theorie, die sie übrigens gänzlich ignoriert, hinaus. Dass die diesem Idealgebilde zugesprochenen Aufgaben mit den Aufgaben eines irdischen Staates so wenig zu tun haben wie dieses Gebilde selbst mit dem Staat, ist klar, und die Geschichte hat gezeigt, wie wenig Erfolg alle Versuche auf praktische [52] Durchführung eines derartigen Staates haben. Die katholische Forderung an den Staat, die Sittlichkeit in ihrem Sinne zu verwirklichen, wird aber von der Kurie heute noch festgehalten, weil dies eben im System des Katholizismus begründet ist.

3. Das Naturrecht.

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Eine grosse Rolle spielt der Staatszweck im Naturrecht gemäss seiner ganzen Konstruktion des Staates als Resultat eines Vertrages, denn Verträge schliesst der Mensch nicht zwecklos. Der Zweck, aus dem Naturzustand herauszukommen, genügt aber für sich allein nicht, man verfolgt vielmehr mit der Vertragsabschliessung das Ziel, gewisse von vornherein bekannte und berechnete Zustände herbeizuführen. So sind mit der Gründung des Staates für die Naturrechtler auch schon die Zwecke desselben gegeben. Aber nur in der Beseitigung des Status naturalis oder des bellum omnium contra omnes stimmen die Vertreter der naturrechtlichen Theorien überein, in ihrer Konstruktion der Staaten und den diesen gestellten Aufgaben weichen sie bedeutend von einander ab, oft auf Grund ihrer politischen Anschauungen.

Anknüpfend an die Beseitigung des Naturzustandes, wie immer dieser beschaffen sei, stellen sie von Hugo Grotius an in der Regel den Frieden und die Sicherheit des Einzelnen als ersten Zweck des Staates hin. Pacem et securitam communem habe der Staat zum Zweck, sagt Pufendorff und seine Schule. An diese Theorie vom Sicherheitszweck, die übrigens nicht von den Naturrechtlern entdeckt wurde, sondern wie das Naturrecht überhaupt, schon im Altertum zu finden ist,[22] knüpft später die Lehre vom Rechtszweck an. Mit dem dürftigen Sicherheitszweck allein begnügen sich die Naturrechtler allerdings in der Regel nicht, die meisten fügen noch weitere Zwecke hinzu, wobei ihre politischen Anschauungen oder die sozialen Verhältnisse, unter denen sie lebten, bisweilen von ausschlaggebender Bedeutung waren.

So ist bei Spinoza neben Frieden und Sicherheit des Lebens die Verwirklichung der geistigen Freiheit durch die Gesellschaft Zweck des Staates.[23] Für Locke ist die Bewahrung der angeborenen Freiheit und die Erhaltung des Privateigentums Staatszweck. Seit Locke ist der Staat wiederholt als eine Schutzanstalt der menschlichen Rechte aufgefasst worden, mit der Garantierung von Sicherheit, Freiheit und Eigentum seien seine Aufgaben erschöpft. In derselben Richtung bewegen sich mit verschiedenen Modifikationen die Theorien der Physiokraten, mit Quesnay an der Spitze, unzweifelhaft von Locke beeinflusst. Dass auch hier Spuren einer eudaimonistischen Theorie wiederholt zu finden sind, liegt im Wesen dieser populären und auf den ersten Blick einleuchtenden Lehre. Um die Menschen zum Wohle und zur Glückseligkeit zu führen, muss der Staat vor allem für Sicherheit sorgen, andernfalls bestünde ein fortwährender Krieg zwischen den Menschen und somit ein unerträglicher Zustand; liberté, propriété, sûreté ist die Formel, in die die Physiokraten den Staatszweck zusammenfassen.[24]

Die Theorie vom Sicherheitszweck hat lange Zeit die Geister der verschiedenen Richtungen aller Nationen beherrscht und bis zu einem gewissen Grade geeinigt. Im einzelnen weist aber die Lehre zahlreiche Abarten auf. Nennt David Hume[25], ähnlich wie Pufendorff nur Frieden und Ordnung als Staatszweck, so Blackstone[26] neben Leben, Freiheit und Eigentum noch ein ganzes System von Neben- und Hilfsrechten, die der Staat zu schützen habe. Am krassesten aber kommt diese Schutzidee wohl bei Schlözer zum Ausdruck, der sagt: „Der Staat ist eine Erfindung: Menschen machten sie zu ihrem Wohle, wie sie Brandkassen erfanden.“[27]

Der naturrechtliche Staat, der aus den einzelnen Menschen, den sozialen Atomen, mechanisch zusammengesetzt ist, steht in schroffem Gegensatz zum antiken Staat; er war nur des Menschen wegen vorhanden und hatte keine andere Aufgabe als seinen Gliedern ein sicheres und behagliches Privatleben zu gewähren. Mit Recht hat ihn Lassalle einem Nachtwächter verglichen, der nichts zu tun hat, als aufzupassen, ob nirgends eingebrochen wird.

[53] Hat die naturrechtliche Lehre den Staatszweck zu sehr eingeengt, so dehnte ihn die eudaimonistisch-utilitarische Theorie ins Schrankenlose aus. Als Reaktion folgte auf sie eine abermals zu weit gehende Beschränkung durch die Rechtstheorie. Diese wichtigen Lehren so wie einige neue und alte, die zu neuer Blüte kamen, sind im folgenden noch näher zu untersuchen. Erst nach Überwindung der spekulativen Methode in den Staatswissenschaften, die sich stets an einen Idealstaat klammerte und die tatsächlichen Verhältnisse nicht berücksichtigte, wandte man sich den realen Verhältnissen und bestehenden Staaten zu, um nach ihren Aufgaben zu forschen.

§ 2. Die einzelnen Zwecktheorien.

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1. Die eudaimonistisch-utilitarische Theorie.

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Die eudaimonistisch-utilitarische Theorie sagt, der Staat habe den Zweck, für das allgemeine Beste seiner Glieder zu sorgen. Der Satz enthält, wie es auf den ersten Blick scheint, eine banale Selbstverständlichkeit; tatsächlich ist er allen Zeiten wohl bekannt und in allen Schulen mit grösserer oder geringerer Deutlichkeit zu finden. Die allgemeine Wohlfahrt kann als Zweck auch mit allen anderen Zwecken verbunden und alle anderen können diesem einen, höchsten Zweck untergeordnet werden. Glückseligkeit soll der Staat nach Plato und Aristoteles nicht minder bezwecken wie nach Cicero, der christlichen Lehre, nach Hobbes[28] und vielen anderen. Aber im 18. Jahrhundert findet die Lehre zum erstenmal gründliche Bearbeitung und eine Formulierung, die sie zur höchsten Blüte bringt. Der Wohlfahrtszweck wird gegenüber allen anderen Staatstätigkeiten derartig in den Vordergrund gerückt, dass ihm überhaupt das gesamte Handeln des Staates untergeordnet und alles nur im Hinblick auf diesen obersten Zweck geübt wird. Die Theorie ist im extremen Sinn expansiv, d. h. sie steigert die Macht des Staates ins Ungemessene, denn ihm allein kommt die Entscheidung darüber zu, was zum Wohle der Gesamtheit sei und was nicht. So wird die Lehre zum Evangelium für den absoluten Staat, für die absolute Monarchie sowohl wie für die Demokratie.

Ihre Formulierung im 18. Jahrhundert knüpft man in der Regel an den Namen Christian Wolff, der einer ihrer wärmsten Verteidiger ist. Er vertritt die extremste Form der Wohlfahrtstheorie, die sich durch seine sämtlichen staatswissenschaftlichen Werke hindurchzieht. Er führt den Gedanken, dass das allgemeine Wohl alle Handlungen der Staatsbehörden zu bestimmen habe, bis in die kleinsten und nebensächlichsten Angelegenheiten durch und rechtfertigt jeglichen Eingriff des Staates in das Privatleben der Untertanen. Am eingehendsten befasst er sich damit in seiner „Politik“.[29] Die Untertanen haben unbedingt zu gehorchen, denn sie sind prinzipiell beschränkt von Verstand und können insbesondere das allgemeine Beste vom eigenen Wohl nicht unterscheiden. „Und ist der Gehorsam um so viel mehr nöthig, weil die Unterthanen nicht immer in dem Stande sind, zu urtheilen, was zum gemeinen Besten gereichet, weil sie von der Beschaffenheit des gantzen gemeinen Wesens und seinem wahren Zustande nicht genügsame Erkäntnis haben. Sie urtheilen gemeiniglich bloss darnach, ob es ihnen vortheilhafft sey, was befohlen wird, oder nicht. Allein es pfleget gar offt zu geschehen, dass dem gantzen gemeinen Wesen erspriesslich ist, was einem oder dem andern von den Unterthanen nachtheilig befunden wird. Im gemeinen Wesen aber muss die gemeine Wohlfahrt der besonderen vorgezogen werden.“[30] So begründet Wolff die Omnipotenz des Staates aus seinem Zweck. Er musste auf Grund seiner Auffassung vom Staat und der Gesellschaft zu dieser Zwecktheorie kommen. „Wenn Menschen“, sagt er an einer anderen Stelle desselben Werkes[31], „mit einander eines werden, mit vereinigten Kräften ihr Bestes worinnen zu befördern; so begeben sie sich mit einander in eine Gesellschaft. Und demnach ist die Gesellschaft nichts anderes als ein Vertrag einiger Personen mit vereinigten Kräften ihr Bestes worinnen zu befördern . . . . . . Da wir nun diese Wohlfahrt durch die Gesellschaft zu erhalten gedencken ; so ist die Absicht der Gesellschaft und die Gesellschaft ein Mittel, die gemeine Wohlfahrt [54] zu befördern . . . .“ Und dieses Prinzip führt Wolff im einzelnen durch. Die Regierungsgewalt, die, wie er ausdrücklich sagt,[32] „nichts anderes ist, als patrimoniale Gewalt, besitzt die unbeschränkte Macht, nach freiem Ermessen, das allgemeine Beste zu verwirklichen“. Wie weit der Verfasser in dieser Richtung geht, mögen einige Beispiele aus seiner Politik zeigen.

So sagt er:[33] „Da man zur Nothdurfft des Leibes Speise, Tranck und Kleidung brauchet, auch ein jeder verbunden ist, bey Nahrung und Kleidung sich nach seinem Stande zu richten; so hat man nicht allein zu veranstalten, dass ein jeder alles dasjenige für einen billigen Preiss haben kan, was er zu seiner Nahrung und Kleidung brauchet, sondern auch darauf acht zu haben, dass sich niemand weder in Essen und Trincken, noch in Kleidung über seinen Stand erhebe . . . .“ An einer andern Stelle heisst es:[34] „Man soll im gemeinen Wesen die Glückseligkeit der Menschen befördern und dannenhero alles verhüten, was Misvergnügen erwecken kan. Weil nun alles, was unbequem ist, Misvergnügen bringet; hingegen, was bequem ist, wo nicht Vergnügen gewehret, doch Misvergnügen verhütet, wie ein jeder leicht bey sich selbst erfähret, so muss man auch im gemeinen Wesen für alle Bequemlichkeit sorgen sie mag Nahmen haben, wie sie will . . . .“ Ferner:[35] „Wenn die Lust der Sinnen so gebrauchet wird, dass sie keinen Verdruss nach sich ziehet, so kan sie mit zur Glückseligkeit des Menschen gerechnet werden. Und diese ist es eben, welche man eine unschuldige Lust zu nennen pfleget. Man hat demnach im gemeinen Wesen davor zu sorgen, dass man seine Sinnen zu belustigen Gelegenheit findet; aber doch auch zu verhüten, dass diese Lust nicht gemissbrauchet werde. Zu dem Ende sind Künstler nöthig, welche dergleichen Wercke verfertigen, die unsere Sinnen belustigen können, oder auch selbst sie zu belustigen geschickt sind. Man muss Örter anlegen, da man zu einer unschuldigen Lust Gelegenheit findet; auch Zeiten bestimmen, da man ohne Nachtheil anderer nöthigen Verrichtungen dergleichen gemessen kan.“ Dies wird dann vom Verfasser noch näher ausgeführt. Z. B. schlägt er vor, um das Auge zu „belustigen“, Bilder von guten Freunden aufzuhängen, weil „dadurch der Affekt der Liebe und zwar einer unschuldigen Liebe in unser Hertz gepräget“ wird. „Hingegen wenn man sich an einem nackenden Bilde belustiget . . . . . so ist es eine schädliche Lust“ und deshalb muss der Staat verbieten, „solche Bilder zu verfertigen oder im Zimmer aufzuhängen.“[36] Springbrunnen, Theater u. dergl. müssen zur weiteren „Belustigung“ der Augen vom Staat errichtet werden. Zur Belustigung der Ohren dienen unter anderm die „Poeten“, die jedoch unter besondere Aufsicht zu stellen sind, „dass sie nicht durch verliebte und unzüchtige Verse gute Sitten verderben“. In gleicher Weise hat der Staat für angenehme Reizung aller Sinnesorgane zu sorgen, immer einerseits positiv durch Erwecken angenehmer Eindrücke, andrerseits negativ durch Hintanhaltung unangenehmer und gefährlicher. Wolff empfiehlt „Anstalten für guten Geruch“[37] und macht die Parfümierung der Handschuhe und Perücken zur Staatsangelegenheit, ebenso wie die Auswahl der Speisen und Getränke, „welche nicht nur zur Nothdurfft des Lebens, sondern auch zur Vergnügung genossen werden“, wobei der Staat sein Augenmerk besonders darauf zu richten hat, „dass nicht eine Delikatesse in ausländischen Speisen gesuchet wird, die nur in der blossen Einbildung bestehet: indem dadurch ohne Noth viel Geld aus dem Lande kommet.“[38]

Die staatliche Fürsorge hat also bei Wolff keine Grenze; unter dem Deckmantel der Wohlfahrtsförderung kann der Staat jeden Eingriff in die Freiheit des Individuums vornehmen, wobei es ihm auf das Wohl oder Nichtwohl des Einzelnen gar nicht ankommt. Vieles von dem, was Wolff vorschlägt, ist heute tatsächlich zu staatlicher Tätigkeit geworden, aber der heutige Staat treibt keinen solchen Missbrauch mit dem Wohlfahrtszweck; Wolffs Wohlfahrtstheorie enthält eine völlige Vernichtung der individuellen Freiheit.

[55] Neben Wolff findet sich noch eine grosse Zahl Vertreter dieser Lehre in der zweiten Hälfte des 18. und auch noch in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts; einer der hervorragendsten ist Justi[39], der in mancher Beziehung weniger doktrinär ist als Wolff und die Grenzen staatlicher Macht richtiger beurteilt. Achenwall,[40] A. L. Schlözer,[41] Sonnenfels,[42] u. a. sind in verschiedenem Masse Anhänger der Wohlfahrtstheorie.[43]

In dieser Theorie fand der Polizeistaat des 18. Jahrhunderts eine mächtige Stütze. Wolff war der „offizielle Staatsphilosoph“ Friedrichs d. Gr., unter dessen Regierung die unumschränkte Macht des Staates in voller Blüte stand. Dem Untertanen kommen keine Rechte zu gegenüber dem Monarchen, infolgedessen gibt es auch keinen Missbrauch fürstlicher Gewalt; was der Fürst befiehlt, ist Gesetz. Aus physischen Gründen, weil er nicht alles selbst besorgen kann, bedient er sich der Beamten als Gehilfen, die, innerhalb ihrer Kompetenz, Fürsten im kleinen sind.[44] Im einzelnen finden die eudaimonistischen Lehren in zahlreichen Polizeistrafgesetzbüchern der damaligen Zeit ihre praktische Anwendung.

Aber nicht nur für die Monarchie, auch für die absolute Demokratie ist die eudaimonistische Lehre die gegebene Zwecktheorie. Die französischen Kommunisten, Baboeuf und seine Schule beriefen sich auf das allgemeine Wohl als Staatsaufgabe nicht minder als die modernen Utopisten es mit ihrer staatslosen Gesellschaft tun. In der Demokratie tritt an die Stelle des unbeschränkten Fürsten die Majorität, die unter Berufung auf den Staatszweck in genau der gleichen Weise wie ein absoluter Monarch alle individuelle Freiheit vernichten kann. Man denke an die Schreckensherrschaft des Comité du salut public unter Robespierre und die wahnsinnigen Polizeigesetze des Konvents. Alles geschah unter Berufung auf das allgemeine Wohl, das als Prinzip auch in die vom Konvent beschlossene zweite französische Verfassung aufgenommen wurde: „Le but de la société est le bonheur commun.“[45]

Die Überspannung der Wohlfahrtstheorie hat auch auf wirtschaftliche Lehren ihren Einfluss geübt. Die Vertreter des sogenannten Manchestertums verlangten, der Staat solle sich sämtlicher Eingriffe in die wirtschaftliche Tätigkeit des Individuums enthalten und sich lediglich auf die Gesetzgebungstätigkeit beschränken. Von dieser Lehre wird als erste Aufgabe des Staates die Durchführung vollständiger wirtschaftlicher Freiheit der Bürger verlangt. Unter der Führung von A. Smith, der zweifellos, ebenso wie die französischen Vertreter dieser Lehre von Locke stark beeinflusst ist,[46] überschritt jedoch diese Bewegung in England alle Grenzen. Der Staat sollte nicht nur keine sozialpolitischen Gesetze wie die über Kinderarbeit in den Fabriken u. dergl. mehr erlassen, sondern selbst die Errichtung staatlicher Schulen und der Schulzwang werden als unberechtigter Eingriff in die Privatrechtssphäre des Individuums angesehen. Ein Beweis dafür, welch grossen Einfluss diese Theorie erlangte, ist, dass die Engländer noch 1847 die Deutschen höhnten, weil sie sich die allgemeine Schulpflicht gefallen lassen.[47]

2. Die ethische Theorie.

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Sittliche Eudaimonie ist der Staatszweck bei den alten Hellenen. Da Staats- und Kultverband bei ihnen zusammenfielen, lässt sich die Entstehung dieser Lehre in der griechischen Polis nicht schwer erklären. Sie ist aber im 19. Jahrhundert in einer merkwürdigen Art erneuert worden und zwar zweimal in verschiedener Form, einmal von Hegel, dann von Stahl.

Für Hegel ist der Staat die höchste Form der objektiven Sittlichkeit. „Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee.“[48] „Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens [56] . . . . das an und für sich Vernünftige. Diese substantielle Einheit ist absoluter, unbewegter Selbstzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt, so wie dieser Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staates zu sein.“[49] Die Staaten sind nach Hegel nur Werkzeuge des Weltgeistes, die unbewusst ihre Aufgabe, den Weltgeist auf eine höhere Stufe der Entwicklung zu heben, erfüllen. Die höchste Entwicklungsstufe wird zu Zeiten von einzelnen Völkern erreicht, die aber, wenn ihre Zeit vorüber ist, ihre Rolle in der Weltgeschichte ausgespielt haben. Diese Theorie von der Sittlichkeit und zwar von der aus der Vernunft abgeleiteten Sittlichkeit ist nichts anderes als der in modernes, philosophisches Gewand gekleidete Aristotelische Gedanke, dass der Mensch nur im Staate möglich sei.

Gibt bei Hegel die Vernunft den Masstab dafür, was als sittlich anzusehen sei, so nimmt eine andere Richtung derselben Zwecktheorie die Religion als Basis für die Beurteilung des Sittlichen. Der Begriff des Sittlichen muss dann natürlich jeder beliebigen Religion entlehnt werden können. Dass die katholische Kirche im Mittelalter die Staaten dazu zwang, ihre religiösen Forderungen in die Tat umzusetzen, liegt im System des Katholizismus, wie er von Augustinus an ausgebildet wurde, begründet. Aber auch der Protestantismus hat vereinzelt Versuche in dieser Richtung unternommen. Der namhafteste theoretische Vertreter des protestantischen Gedankens ist Julius Stahl. Er stützt sich auf die Worte der heiligen Schrift als nicht anzuzweifelnde Wahrheiten und versuchte von dieser Basis aus die göttliche Institution des Staates zu beweisen. Die ganze legitime Ordnung des Staates hat nach Stahl ihre bindende Macht daher, dass das Ansehen des Staates auf Verordnung Gottes beruhe. „Von sich selbst,“ sagt er,[50] „kann kein Mensch obrigkeitliche Gewalt über andere Menschen haben, auch nicht die Sämtlichen über den Einzelnen. Noch auch können die Menschen durch Vertrag obrigkeitliche Gewalt gründen, da sie über ihr Leben und über ihre Freiheit nicht verfügen, daher nicht jemandem Gewalt einräumen können. Das ist das göttliche Recht der Obrigkeit.“ Von dieser Grundanschauung aus ist auch verständlich, wie der Verfasser dem Staate folgende Aufgaben stellen kann:[51] „Es ruht aber auch der Beruf des Staates auf dem Dienste Gottes. Es ist Gottes Gebot, für das Gemeinleben – Gerechtigkeit, Zucht, Sitte – das er handhaben, es ist Gottes Herrschaft, die er aufrichten soll. Die Obrigkeit ist nach dem Ausspruche der h. Schrift (Röm. 13) nicht bloss von Gott verordnet, sondern sie ist auch Gottes Dienerin (θεοũ διάκονος, dei minister) . . . . . Die Obrigkeit ist darum von Gott nicht bloss in dem allgemeinen Sinne, wie alle Rechte von Gott sind, sondern in ganz spezifischem Sinne, dass es das Werk Gottes ist, das sie versieht. Sie übt ihr Recht nicht bloss nach Gottes Ordnung, wie auch der Eigentümer, der Vater, sondern sie übt es für Gottes Ordnung. Es ist nicht ein blosses eigenes Recht, ein eigener Besitz, sondern eine göttliche Mission. Die Gewalt über Leben und Freiheit der Menschen und zu dem Zwecke, eine höhere sittliche Ordnung herzustellen, kann nie das bloss eigene Recht eines Menschen über den andern sein, gleichwie das Recht eines Ehegatten über den andern, des Vaters über die Kinder, sondern nur ein im Amte Gottes geübtes Recht . . . . . Es ist aber danach auch der Zweck des Staates nicht bloss eine Erfüllung sittlicher Ordnungen, sondern auch im Dienst und Gehorsam gegen die Person Gottes und die Aufrichtung eines Reiches zur Ehre Gottes, und also sollen Obrigkeit und Volk ihn betrachten.“[52]

In dieser Vermengung von Geistlichem und Weltlichem liegt dieselbe Forderung, die im Mittelalter von der katholischen Kirche an den Staat gestellt wurde, nämlich dass er ein christlicher Staat sein solle; Verwirklichung der christlichen Lehren soll sein Zweck sein. Darin liegt keine wissenschaftliche Forschung, nicht einmal eine wissenschaftliche Überzeugung, sondern nichts weiter als ein Glaubensbekenntnis, das jeglichen Beweises unfähig ist.

[57]

3. Die Rechtstheorie.

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Die Rechtstheorie kann man, wie bereits einmal kurz erwähnt, als Reaktion auf die die Staatsgewalt schrankenlos erweiternde Wohlfahrtstheorie ansehen; sie ist ein Protest gegen die Allgewalt des Staates und will dem Staatszweck enge und scharfe Grenzen ziehen. Zur Zeit des absoluten Regimes war die Teilnahme am politischen Leben im Staate auf eine verschwindend kleine Zahl von Individuen beschränkt, für welche es gegenüber dem Untertanen so gut wie keine Rechtsschranken gab; die grosse Masse der Bevölkerung war also der Willkür der Herrschenden schlechthin preisgegeben. Dies musste umso drückender empfunden werden, als unter dem Einfluss der Wohlfahrtstheorie die allumfassende Tätigkeit des Staates eine weitgehende Bevormundung des Volkes einführte und die persönlichen Angelegenheiten der Individuen in den Bereich staatlicher Fürsorge zog. So war das Postulat der Rechtstheorie, das staatliche Handeln in feste Grenzen zu bannen, durchaus berechtigt und man erwartete von seiner Erfüllung die Überwindung der bedrückenden Polizeigewalt. Die neue Formulierung der Rechtstheorie, die sich allerdings in ihren Anfängen bis ins Altertum zurückverfolgen lässt, hat also in bewusstem Gegensatz zur Wohlfahrtstheorie stattgefunden. Dies zeigt sich schon darin, dass alle Vertreter derselben die Wohlfahrtstheorie bekämpfen, sie als völlig ungeeignet darstellen und durch die Rechtstheorie abgelöst sehen wollen.

Die Theorie sagt, Zweck des Staates sei es, das Recht zu verwirklichen, der Staat solle Rechtsstaat sein und sich um die Glückseligkeit des Einzelnen in keiner Weise kümmern.

Dass die Verwirklichung des Rechts eine der Staatsaufgaben sei, ist wiederholt auch von anderen Theorien anerkannt worden, aber sie wurde nie besonders hervorgehoben. Cicero nennt sie neben der salus populi und wenn die Naturrechtslehrer schon im 17. Jahrhundert die Sicherheit als Entstehungsursache und Zweck des Staates angeben, so war damit auch die Rechtssicherheit, der Rechtsschutz gemeint. So hebt, wie erwähnt, Locke den Schutz der Privatrechtssphäre besonders hervor.

Als bedeutendster Vertreter der neu formulierten, extremen Rechtstheorie gilt Kant. Er erklärt das Glückseligkeitsprinzip für verderblich und verwerflich, weil es, wie man am Polizeistaat sieht, zur Willkürherrschaft führen muss, denn der Souverän will das Volk nach seinen Begriffen glücklich machen und wird zum Despoten, das Volk aber, das sich den Anspruch auf eigene Glückseligkeit nicht nehmen lassen will, wird zum Rebellen. Er definiert den Staat als „die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“;[53] das Gesetz habe nur den Zweck, ein geordnetes Zusammenleben der Menschen zu gewährleisten.

Neben Kant treten noch zahlreiche hervorragende Schriftsteller jener Zeit energisch für den Rechtszweck zur Bekämpfung des Polizeistaates ein, unter ihnen Fichte,[54] W. v. Humboldt,[55] A. Feuerbach[56]. Letzterer sagt:[57] „Wir treten in den Staat nicht um der Glückseligkeit, sondern um der Gerechtigkeit willen. . . . . . . Denn Glückseligkeit kann nie der Zweck einer bürgerlichen Gesellschaft sein, weil sie nie diesen Zweck erreichen kann.“ Humboldt betont besonders die durch den Staat nach allen Richtungen zu gewährende Sicherheit. Erwähnt sei ferner Th. Schmalz:[58] „Die Sicherheit ihrer angebornen und erworbenen Rechte vereinigt die Menschen in bürgerliche Gesellschaft. Die Sicherheit ist der einzige Zweck dieser Gesellschaft.“ Nach Zachariae[59] sollen die Menschen trachten, dass Gerechtigkeit unter ihnen herrsche. Aretin[60] erklärt, Rechtsherrschaft und Wohlfahrt seien zwei Staatszwecke, die einander aufheben, man könne also nicht beides vom Staate verlangen. „Die Rechtsherrschaft vom Staate [58] verlangen, heisst ihn verpflichten, die Rechte jedes Einzelnen zu schützen und zu achten, die Wohlfahrt von ihm verlangen, heisst ihn auffordern, die Rechte der Einzelnen zu verletzen . . . . .“ Ahrens[61] nennt das Recht die „Fundamentalidee, welche dem Ursprung und Entfaltungsprozesse des Staats vorsteht.“[62] Ähnlich Welcker.[63]

Allen Vertretern der Rechtsidee ist gemeinsam, dass sie die fürsorgende Tätigkeit des Staates auf ein Minimum reduzieren wollen: der Rechtszweck allein soll die staatliche Tätigkeit bestimmen. Die Vertreter des Liberalismus im 19. .Jahrhundert haben diese Theorie zwar etwas abgeschwächt, lassen aber immerhin nur das Notwendigste an fürsorgender Tätigkeit des Staates zu.

In neuerer Zeit wird mit dem Worte „Rechtsstaat“ noch ein anderer Sinn verbunden; man meint damit nicht so sehr den Zweck des Staates als vielmehr dessen inneren Ausbau, namentlich die Bindung der staatlichen Verwaltungstätigkeit an Gesetze, die für alles Handeln des Staates zugleich Schranke sein sollen; nicht mehr die Zweckmässigkeit allein, sondern auch das Recht soll für die Verwaltung massgebend sein. Auch diese Formulierung des Begriffes ist nicht neu; die „Herrschaft des Gesetzes“ ist vielmehr eine Forderung, die seit Hobbes[64] und Rousseau[65] wiederholt in der Literatur gestellt worden ist; in neuerer Zeit haben sich namentlich Juristen der Frage zugewandt.[66]

4. Relative Zwecktheorien.

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Sehr mannigfaltig sind die relativen Zwecktheorien, die von Juristen und Philosophen, in neuerer Zeit auch von Nationalökonomen aufgestellt wurden; sie tragen der Zeit und dem einzelnen staatlichen Individuum Rechnung und weichen oft nur in nebensächlichen Punkten von einander ab. Hier seien einige derselben aus dem 19. Jahrhundert beispielsweise erwähnt.

Zöpfl geht bei Bestimmung des Staatszweckes aus vom Staate als dem natur- und vernunftnotwendigen Zustande, „in welchem allein das gesamte Volksleben zu einer geschichtlichen Entwicklung kommen soll und kommen kann.“[67] Die Überwindung der dieser Entwicklung entgegenstehenden Hindernisse ist ein Gemeininteresse der Menschheit, denn der Mensch als Sozialwesen kann seine Zwecke nur in völkerschaftlicher Verbindung mit anderen erreichen. Dies nicht nur durch Erhaltung eines geordneten Rechtszustandes, sondern auch durch „Bewirkung solcher Einrichtungen und Anstalten, deren Beschaffung ausserhalb der Kraft des Individuums liegt“, anzustreben, ist die Aufgabe des Staates. – Bluntschli[68] nennt als Hauptzweck des Staates das öffentliche Wohl, präzisiert diesen Begriff aber, um die Nachteile der eudaimonistischen Theorie zu vermeiden, dahin, dass er darunter die Entwicklung der Volksanlage und Vervollkommnung des Volkslebens versteht, die jedoch nicht im Widerspruch stehen dürfe mit der Bestimmung [59] der Menschheit. Damit scheint mir allerdings nicht viel gewonnen zu sein, da es eine objektive Feststellung, was Bestimmung der Menschheit sein soll, nicht gibt, der Willkür des Staates also doch wieder Tür und Tor geöffnet wäre. – Robert v. Mohl nimmt die Zweckbestimmung in seine Staatsdefinition auf. Er sagt:[69] „Der Staat ist ein dauernder, einheitlicher Organismus derjenigen Einrichtungen, welche, geleitet durch einen Gesamtwillen sowie aufrecht erhalten und durchgeführt durch eine Gesamtkraft, die Aufgabe haben, die jeweiligen erlaubten Lebenszwecke eines bestimmten und räumlich abgegrenzten Volkes, und zwar vom einzelnen bis zur Gesellschaft, zu fördern, soweit von den Betreffenden dieselben nicht mit eigenen Kräften befriedigt werden können und sie Gegenstand eines gemeinsamen Bedürfnisses sind.“ Die hier dem Staate zugeschriebenen Gemeinzwecke sollen also auf Grund der Kenntnis des einzelnen Volkes bestimmt werden. Der Begriff der „erlaubten Lebenszwecke“ ist allerdings ziemlich unbestimmt.[70] – v. Holtzendorff[71] unterscheidet einen dreifachen Staatszweck: den (nationalen) Machtzweck, den (individuellen) Freiheits- oder Rechtszweck und den (gesellschaftlichen) Kulturzweck. Der Machtzweck ist der ursprünglichste und natürlichste, der sich seit jeher überall im Volksbewusstsein behauptet hat. Unter dem Rechtszweck versteht v. Holtzendorff die „in festen Formen zu bewirkende Sicherstellung der persönlich freien Entwickelung des Menschen innerhalb der der Staatsgewalt nicht notwendig vorzubehaltenden Tätigkeitsgebiete.“ Den Kulturzweck bestimmt er als „die Bewahrung des gesellschaftlichen, vornehmlich wirtschaftlichen und konfessionellen Friedens.“

Haenel unterscheidet eine zweifache Aufgabe des Staates.[72] Zunächst den Rechtszweck; der Staat setzt sich die Aufgabe, das Recht den Kulturaufgaben des Volkes in allen seinen einzelnen Elementen anzupassen, entweder durch eigene Rechtserzeugung oder durch Feststellung der Bedingungen, unter denen das nicht staatlich erzeugte Recht von ihm anerkannt und geschützt wird. Ausserdem aber will der Staat auch an der Kulturentwicklung des Volkes als selbsttätiges Element mitwirken. Für diese Kulturentwicklung „erfüllt er überall durch seine Ordnungen, Verrichtungen und Veranstaltungen solche Bedingungen, welche nur durch eine zentralisierte Tätigkeit in planmässiger Leitung verwirklicht werden können, sei es dass ohne sie gewisse Kulturaufgaben überhaupt nicht oder doch nur unter Verschwendung zersplitterter Kräfte erreichbar sind.“ Zu allen Lebenszwecken, die der gesellschaftlichen Erarbeitung und Bearbeitung fähig und bedürftig sind, tritt der Staat in Beziehung; er bringt sie alle in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Gemeinzweck, der also in diesem Sinne universell ist.

Nach der merkwürdigen, unter dem Namen „Herrschertheorie“ bekannten Lehre v. Seydels hat der Staat den Zweck, die Gesamtinteressen der in ihm vereinigten Menschen zu verfolgen.[73] Der Satz: salus populi suprema lex ist eine natürliche (keine rechtliche) Schranke für den Herrscherwillen; der Herrscher hat also nicht individuelle Interessen sondern die der Staatsangehörigen wahrzunehmen. Auf nähere Ausführungen lässt sich der Verfasser nicht ein. – Rehm deduziert den Zweck des Staates aus seinem Wesen als einer Gemeinschaft, die bestimmte Interessen hat.[74] „Schutz und Pflege der Gesamtinteressen der Staatsgenossen ist, ganz allgemein gesprochen, der Zweck des Staates.“ Die weiteren Erörterungen über die Frage verweist Rehm aus der Staatslehre in die Politik.

Aus der neuesten juristischen Literatur über den Staatszweck sei noch Krabbe[75] hervorgehoben. Die Aufgabe des Staates ist die Realisierung des „Gemeinschaftszweckes“; unter diesem ist die Sorge für das persönliche Leben der Menschen zu verstehen. Ohne Ordnung des Rechts ist aber die Verwirklichung dieses Zweckes nicht denkbar; deshalb ist im Gemeinschaftszweck primär die Rechtsverwirklichung enthalten, die Genussverwirklichung folgt daraus nur als sekundärer Zweck.

[60] Von Nationalökonomen, welche die Frage nach dem Staatszweck berühren, sei v. Philippovich erwähnt.[76] „Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, der eigenen Macht im Innern und nach Aussen, Förderung der Kultur und Wohlfahrt“ sind die Betätigungsgebiete des Staates, und hier sind auch seine Aufgaben zu suchen. Der Verfasser weist besonders auf die enge Berührung hin, die zwischen den wirtschaftlichen Verhältnissen und allen übrigen Äusserungen des menschlichen Lebens besteht und immer bestanden hat, so dass der Staat stets auch diese Verhältnisse mittelbar oder unmittelbar beeinflusst.

5. Objektiv-partikulare Zwecktheorien.

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Als überwunden können heute die objektiv-partikularen Zwecktheorien angesehen werden. Wenn man für einen einzelnen Staat einen ihm spezifischen, von der Geschichte zugeschriebenen Zweck aufstellt, z. B. für das Römerreich Eroberung und die Ausbildung des Privatrechts[77], so greift man politische oder geschichtliche Tatsachen heraus und verwechselt dies mit Zwecken. Dasselbe ist der Fall, wenn man auch heute noch gelegentlich von der „historischen Mission“ eines Staates spricht. Derartige Spekulationen haben im Rahmen moderner Forschung keinen Raum.

6. Die Organtheorie.

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Endlich ist noch die Theorie zu erwähnen, die sagt, der Staat trage seinen Zweck in sich. Zu diesem Ergebnis müssen notwendig die Vertreter der Organtheorie kommen, wenn sie die naturwissenschaftliche Analogie konsequent zu Ende denken; für sie ist die Frage nach dem Zweck des Staates ebenso unsinnig wie die nach dem Zweck der Eidechse. Die Theorie behauptet damit nichts weniger als die Zwecklosigkeit des Staates. So Schelling,[78] Adam Müller[79] und viele andere.[80] Wie die Anfänge der Organtheorie überhaupt lässt sich auch die von ihr abhängige Zwecktheorie bis ins Altertum zurückverfolgen.[81]

Geleugnet wird der Staatszweck auch von einer bestimmten politisch gefärbten Literatur zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als deren Vertreter und Führer C. L. von Haller[82] gelten kann. Er sagt, die Staatsdefinitionen hätten alle den Fehler, dass sie einen erdichteten gemeinsamen Zweck der Staaten annehmen, während die Staaten als solche gar keinen gemeinschaftlichen Zweck hätten; es existiere nur eine Menge sehr verschiedenartiger Privatzwecke. Jellinek weist darauf hin,[83] dass sich unter der Hülle dieser Theorie eine konservativ-reaktionäre Ansicht verbirgt, die jede unbequeme Kritik des Bestehenden abwehren und die Verbreitung revolutionärer Ideen verhindern will. –

Bisher wurden die einzelnen Theorien erörtert, ohne dass auf ihre Fehler näher eingegangen wurde. Nun scheint mir noch, bevor ich auf die der modernen Staatsauffassung entsprechende Zwecktheorie eingehe, eine kurze Kritik der wichtigsten der besprochenen Lehren angezeigt.

§ 3. Kritik der wichtigsten Theorien.

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Die Wohlfahrtstheorie, so schön sie auf den ersten Blick erscheint, erweist sich bei näherer Prüfung als praktisch undurchführbar, weil sie dem Staate Aufgaben stellt, die er mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln nicht lösen kann. Sie stammt aus einer Zeit, in der man sich über die Grenzen der Staatsmacht noch nicht genügend Rechenschaft gab. So einfach es auch klingt: der [61] Staat soll für das Wohl seiner Mitglieder sorgen, so gross sind die Schwierigkeiten in dem Augenblick, wo man die Theorie in Praxis umzusetzen versucht. Der Begriff des Wohles ist ein rein subjektiver; jedes Individuum hat andere Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen, damit es sich wohl fühlen kann; aber diese Tätigkeit kann nicht der Staat vornehmen. Wohin es führt, wenn er sich doch berufen fühlt, solche Aufgaben zu erfüllen, zeigt in deutlicher Weise die Willkürherrschaft des Polizeistaates. Er liess nicht das Individuum entscheiden, was ihm not tue, sondern richtete ein grandioses System der Bevormundung des Volkes ein und mengte sich in alle Privatangelegenheiten des Einzelnen, wodurch die von der Staatsgewalt freie Sphäre des Individuums auf ein Minimum reduziert wurde. Unter Berufung auf das allgemeine Wohl ist nach dieser Theorie jede Massregel gerechtfertigt; sie kennt keine Beschränkung der Staatsgewalt und kann daher nicht als brauchbare Grundlage für eine praktische Politik betrachtet werden. Die oben aus Christian Wolff gebrachten Beispiele führen die Theorie selbst ad absurdum.

Ähnliche Schwierigkeiten zeigen sich bei einem Versuch, die ethische Theorie in Praxis umzusetzen. Was als sittlich anzusehen ist, kann objektiv nicht festgestellt werden. Insbesondere wenn es sich um Sittlichkeit in religiösem Sinne handelt, wird eine Feststellung des Begriffes zur Unmöglichkeit, da die verschiedenen Religionen und selbst innerhalb der christlichen die verschiedenen Konfessionen zu berücksichtigen wären.[84] Überdies verfällt die ethische Theorie in denselben Fehler wie die eudaimonistische, indem sie die möglichen Grenzen staatlicher Wirksamkeit übersieht. Kein Staat kann Sittlichkeit oder religiöses Empfinden erzeugen oder erzwingen, ebensowenig wie er es unterdrücken kann, denn dies sind menschlich-innerliche Vorgänge, auf die der Staat mit seinen äusseren Machtmitteln keinen Einfluss hat. Welche Gefahren diese Verkennung der Grenzen für Staat und Gesellschaft mit sich bringen kann, zeigt in erschreckender Deutlichkeit die Geschichte Europas. Die Greuel des dreissigjährigen Krieges, das Schreckensregiment der päpstlichen Inquisition, die grausame Vertreibung vieler Tausender von Familien aus ihrer Heimat und manches andere wäre unsern Ländern erspart geblieben, hätte den staatlichen Machthabern nicht die Einsicht in die Grenzen staatlicher Wirksamkeit gemangelt. Wo die Staatsgewalt sich berufen gefühlt hat, die von der Kirche geforderten Massregeln durchzusetzen, da war nicht nur völlige Vernichtung der geistigen Freiheit die Folge, sondern die Staaten selbst wurden unfrei, wurden Vasallen der Kirche. Der von Stahl im 19. Jahrhundert unternommene Versuch, das mittelalterliche Verhältnis von Staat und Kirche wieder herzustellen, ging darauf hinaus, den Staat von neuem in Unterordnung unter die Kirche zu bringen und eine Vermengung kirchlicher und staatlicher Aufgaben herbeizuführen.

Liegt der Hauptfehler der eudaimonostischen und der ethischen Theorie in zu grosser Ausdehnung der staatlichen Zwecke, so verfällt die Rechtstheorie in den entgegengesetzten, indem sie, in der Tendenz, die Staatszwecke möglichst zu begrenzen, diese viel zu sehr einengt. Wird in dem ersten Falle das Individuum dem Staate geopfert, so opfert die Rechtstheorie den Staat dem Individuum.[85] Es wurde bereits erwähnt, dass der Rechtszweck mit allen Theorien häufig verbunden wurde; es hat auch nie Staaten gegeben, welche die Aufgabe der Rechtssetzung und Rechtsverwirklichung nicht gekannt hätten. Aber den Staat nur als eine Rechts- und Schutzanstalt zu betrachten ist viel zu dürftig[86] und ein Blick auf die Staatengeschichte zeigt, dass solche Staaten nie existiert haben; sie könnten auch gar nicht bestehen, denn jeder Staat ist gezwungen, zur eigenen Sicherheit und zur Selbsterhaltung Tätigkeiten zu üben, die schon nicht mehr unter den Rechtszweck subsumiert werden können. Es heisst das Wesen des Staates vollständig verkennen, wenn man ihm nur den Rechtszweck zuspricht, ihn zu einer reinen, nakten Schutzanstalt, zur Schlözer’schen Brandkasse degradiert.

Hingegen ist nicht zu leugnen, dass die Rechtstheorie in der Formulierung, die ihr Ende des 18. Jahrhunderts gegeben wurde, bei der Überwindung des Polizeistaates eine grosse Rolle gespielt hat. Sie hat über das Ziel hinausgeschossen, weil sie eben eine Kampftheorie war, hat aber ihre [62] grosse praktische Bedeutung für die Entstehung der modernen Staaten. Heute wird sie als überwunden angesehen; man hat vom Staat eine bessere Meinung als sie in der Rechtstheorie zum Ausdruck kommt und niemand bestreitet mehr, dass ihm eine Fülle von Aufgaben zukommt, die weit höher stehen als blosser Rechtsschutz. Dies ist im folgenden noch näher zu untersuchen.

§ 4. Die Zwecktheorie in der modernen Staatslehre.

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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde von der staatsrechtlichen Theorie der Ausbau des modernen Staates vollzogen. Die von Grund aus geänderte Auffassung des Staates ergriff ihn in allen Beziehungen; die rechtliche Stellung der Organe wie die der Untertanen wurde eine wesentlich andere als früher und ebenso erscheinen die staatlichen Funktionen in neuem Lichte. Was die französische Revolution und die politischen Umwälzungen der folgenden Jahrzehnte in Europa erreicht hatten, wurde erst vollständig, als die Theorie die neuen Probleme geklärt hatte.

Das tiefere Eindringen in das Wesen des Staates brachte mit der Erkenntnis der staatlichen Grenzen auch eine nüchternere Beurteilung der Staatszwecke mit sich. Man kam endlich davon ab, de lege ferenda dem Staate Aufgaben zuzuweisen und utopistische Ideale zu konstruieren, sondern wandte sich dem bestehenden Staate zu.

Damit ist nicht gesagt, dass über die Staatszwecke eine Einigung erzielt worden sei; dies ist durchaus nicht der Fall, ist nicht einmal möglich. Denn die Frage nach den Aufgaben des Staates ist nicht eine Rechtsfrage, sondern ist eine Frage der Politik; bei Beantwortung derselben müssen die politischen Anschauungen des Einzelnen notwendigerweise zum Ausdruck kommen. „Liberal und konservativ, ultramontan und sozialistisch bedeuten grundsätzliche Differenzen über die Aufgaben des Staates.“[87] In diesen Fragen muss daher, schon nach dem Wesen des Problems, eine Einigung ausgeschlossen sein. Deshalb ist es ein Verkennen der ganzen Frage, wenn Murhard sagt:[88] „Die Staatsgelehrten scheinen sich noch immer nicht in ihren Ansichten vom Staatszweck ganz einigen zu können. Der Streit über diesen Gegenstand ist wenigstens noch keineswegs als völlig beendigt anzusehen.“ Das kann, solange es verschiedene politische Parteien gibt, auch nicht der Fall sein, jede Partei erklärt die ihr nicht ins Programm passenden Tätigkeiten des Staates als seinem Zweck zuwider.

Nichtsdestoweniger kann man gewisse Aufgaben von den parteipolitischen Ansichten loslösen oder sie über die Parteien stellen. Freilich sind sie nur im allgemeinen anzugeben, und in der Frage der Mittel zu ihrer Erreichung werden sich die politischen Gegensätze leicht von neuem zeigen. Wenn z. B. als unbestrittene Aufgabe des Staates seine Selbsterhaltung anzunehmen ist, so werden in der Frage, wie sie gelöst werden soll, ob durch eine starke Armee oder durch Abrüstung oder sonstwie, die verschiedenen Parteien einander widersprechen. Wenn es die moderne Staatslehre dennoch unternommen hat, objektiv an das Problem heranzutreten, so kann sie dies auf Grund der erwähnten allgemeinen Klärung und Festigung der Ansichten über den Staat. Dass aber auch bei streng wissenschaftlicher Darstellung dieser Fragen die politischen Ansichten des Autors nicht ganz zu unterdrücken sind, ergibt sich notwendigerweise aus dem politischen Charakter der Materie; in Fragen der Politik muss die subjektive Ansicht zum Vorschein kommen.

Die grosse Verwirrung in der ganzen Lehre hat, wie schon erwähnt, erst Jellinek gelöst, indem er die Untersuchung in die einzig richtige Bahn geleitet hat.

Zunächst stellt er, als Vorbedingung gedeihlicher Untersuchung, die Grenzen staatlicher Tätigkeit fest. Was durch Jahrhunderte nicht erkannt war und infolgedessen zu den schwersten staatlichen Missgriffen geführt hat, erscheint uns heute fast selbstverständlich, nämlich dass der Staat nichts erzeugen kann, was ausschliesslich der menschlichen Innerlichkeit angehört, also Sittlichkeit, Kunst, religiöse Gesinnung, etc. Aber der Staat kann auch das physische Leben nicht unmittelbar beherrschen, er kann keine Menschen erzeugen und so nicht direkt eine Bevölkerungsvermehrung herbeiführen. Dies alles ist und bleibt individuelle Tätigkeit und der Staat muss sich [63] darauf beschränken, zur Beförderung derselben, wenn er dies wünscht, günstige äussere Bedingungen zu schaffen. Die dem Staate, seinen Mitteln entsprechend, charakteristischen Tätigkeiten sind „die planmässigen, solidarischen menschlichen Lebensäusserungen.“ . . . . . . . „Diese Solidarität ist aber eine dynamische Grösse, auf allen Gebieten des menschlichen Gemeindaseins zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern verschieden ausgeprägt. Daher empfängt diese Formel ebenfalls von dem jeweiligen gesamten Kulturzustande eines Volkes ihren positiven Inhalt.“

Die Geschichte zeigt, dass die solidaren Interessen stets zugenommen haben und wir sehen, dass sie noch täglich zunehmen. Immer grösser wird das Gebiet, das der Staat in seinen Tätigkeitsbereich zieht, immer mannigfaltiger die Tätigkeit selbst. Bei näherer Betrachtung lässt sie sich zunächst in zwei Gruppen scheiden: die eine Art von Tätigkeiten wird ausschliesslich vom Staate ausgeübt, die zweite kann sowohl vom Staate wie von den Individuen vorgenommen werden.

Teleologisch betrachtet lassen sich drei Gruppen staatlicher Tätigkeit unterscheiden, von denen zwei heute exklusiv staatlich sind, die dritte, die wichtigste auch von den Individuen mitbesorgt wird. Die ersten Spuren dieser Unterscheidung in drei Gruppen finden sich, soviel ich sehe, bereits bei Murhard,[89] deutlicher bei v. Holtzendorff,[90] durch Jellinek wird der Gedanke in klarer, systematischer Weise zum Abschluss gebracht.[91] Über die beiden ersten Tätigkeiten als Staatszwecke ist man sich heute im Prinzip einig; es genügt daher, sie hier kurz zu erwähnen; über die dritte Aufgabe aber kann man sehr verschiedener Ansicht sein.

I. Zunächst hat der Staat den Zweck, sein Gebiet und seine Einwohner zu schützen, eine Funktion, die der Staat immer geübt hat; früher war diese Tätigkeit nicht exklusiv staatlich, das zeigen die Privatkriege und Fehden des Mittelalters. Heute hat nur der Staat das Recht und die Pflicht, sein Volk und Gebiet gegen Angriffe von aussen zu schützen und alle im Interesse der Landessicherheit erforderlichen Massnahmen zu treffen.

II. Ähnlich wie mit dem Sicherheitszweck verhält es sich mit dem Rechtszweck; die bewusste Fortbildung des Rechts ist die zweite heute exklusiv staatliche Tätigkeit. Auch sie war in älterer Zeit nicht ausschliesslich staatlich, sondern auch die verschiedenen Verbände, die Sippen, Stände usw. gaben Gesetze und die Selbsthilfe war ein vom Staat geduldetes Rechtsinstitut. Heute kann nur der Staat Gesetze geben und Recht verwirklichen. Es war ein langwieriger historischer Prozess, in dem der Staat sich das ausschliessliche Recht zur Fortbildung und Aufrechterhaltung der Rechtsordnung angeeignet hat.

III. Zu diesen beiden, für jeden, auch den minder zivilisierten Staat erforderlichen Aufgaben treten noch andere, namentlich für den modernen Staat hochwichtige Zwecke hinzu, die man unter der Bezeichnung Kulturförderung zusammenfassen kann. Das moderne, das Prädikat „Kulturstaat“ in Anspruch nehmende Gemeinwesen kann sich nicht auf die beiden erstgenannten Aufgaben beschränken; es wäre ein trauriges Zeichen für das Menschengeschlecht, wenn es sich nur zum Macht- und Rechtsschutz zu der straffen Organisation im Staate zusammenschliessen würde; damit können die Aufgaben halb- und unzivilisierter Staaten erschöpft sein, aber der moderne Staat wäre damit nicht gerechtfertigt. Es fragt sich nun, worin diese staatliche Aufgabe besteht und wie weit der Staat in dieser Tätigkeit gehen darf, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, die Freiheitssphäre des Individuums zu weit einzuschränken.[92]

[64] In dem weiten und unbestimmten Begriff der Kulturförderung scheint mir ein doppeltes zu liegen. Man muss einen engeren Begriff der Kultur annehmen und ihm den der Zivilisation gegenüberstellen. Gerade für die Feststellung der Staatszwecke ist diese Scheidung notwendig, denn zivilisatorisch kann der Staat direkt wirken, während er für die Kultur im engeren Sinn nur indirekt tätig werden kann.

Dass Kultur und Zivilisation nicht identisch sind, ergibt sich bei näherer Betrachtung von selbst, wenn die Worte auch im gemeinen Sprachgebrauch oft promiscue gebraucht werden.[93] Den Unterschied zwischen ihnen möchte ich nun in folgendem sehen.[94] Zivilisatorische Tätigkeit hat die Vervollkommnung und Beherrschung der Aussenwelt zum Gegenstand, also zivilisiert ist ein Staat, der moderne Verkehrsmittel hat, Institute und Anstalten, die den Anforderungen der Zeit entsprechen, der nach einem geordneten Rechts- und Finanzsystem verwaltet wird, den nationalen und internationalen Forderungen in bezug auf Handel und Industrie nachkommt, usf. Anders der Inhalt des Kulturbegriffes, der nicht leicht zu fassen ist. Namentlich die Aufzählung jener Qualifikationen, die einem Kulturmenschen oder Kulturvolk eigen sein müssen, um als solches zu gelten, wäre nicht leicht vollständig zu geben. Nur allgemein wird man behaupten können, dass zum Begriff der Kultur ein gewisses Mass allgemeiner und ethischer Bildung gehört; im übrigen wird man bei der Feststellung des Begriffes besser negativ vorgehen. Man wird einem Volk den Charakter der Kulturnation absprechen, wenn es in Literatur, Kunst, Wissenschaft nichts leistet, wenn es gewisse Sitten und Gebräuche hat, die uns roh und barbarisch erscheinen, wie etwa grausame Strafen, und endlich werden zahlreiche soziale Erscheinungen uns für den Kulturgrad eines Volkes massgebend sein wie z. B. mangelndes Rechtsgefühl, Korruption der Beamten, grosse Zahl von Analphabeten, die Stellung und Behandlung der Frau in der Gesellschaft, und vieles andere. Je nachdem nun, ob sich bei einem Volke mehr oder weniger die Merkmale vorfinden, die wir als Elemente des Kulturbegriffes erkennen, werden wir in ihm eine Nation auf mehr oder minder hoher Kulturstufe sehen. Die Grenze ist natürlich nicht scharf zu ziehen, denn es handelt sich um Erscheinungen des Lebens, wo alle Grenzen fliessen; nur das Recht sucht nach scharfen Grenzen.

Der moderne Staat nun hat sowohl zivilisatorische wie kulturelle Aufgaben; für die letzteren, die höchsten, die es gibt, ist eine gewisse Höhe der Zivilisation erforderlich, sie ist die Vorbedingung für jede Kultur.

Die zivilisatorische Tätigkeit der modernen Staaten ist ungeheuer gross. Die Staaten wetteifern miteinander, immer die neuesten Erfindungen und Entdeckungen, die im Interesse der Allgemeinheit verwendbar sind, zu verwerten. Dabei handelt es sich für den Staat darum, jene Tätigkeiten zu besorgen, die durch solidarisches Vorgehen zweckmässiger erfüllt werden als durch individuelle Tätigkeit. Briefe befördern, Eisenbahnen anlegen, Versicherungsanstalten errichten, Schulen und Spitäler bauen, Seuchen vom Lande abhalten kann der Staat mit seinen starken [65] Mitteln, namentlich seinen enormen Geldquellen besser und sicherer als eine Privatperson oder eine kleinere Organisation. Je leichter der Zweck durch einen grossen und starken Verband erfüllt, und je sicherer das fragliche Interesse befriedigt wird, desto grösser ist der Anspruch des Staates darauf, diese Tätigkeit vorzunehmen, und desto berechtigter ist umgekehrt die Forderung des Individuums an den Staat, dass dieser der Aufgabe sich unterziehe.

Diese zivilisatorische Tätigkeit des Staates ist heute eine ausserordentlich mannigfaltige; er unterstützt durch zahllose Gesetze das Individuum im Kampf ums Dasein; Land- und Forstwirtschaft, Handel und Gewerbe, Industrie und Verkehr wären ohne staatliche Hilfe wohl nie zu der Blüte gekommen, die sie im letzten Jahrhundert erreicht haben. Dazu kommt die sozialpolitische Gesetzgebung, an der sich zeigt, wie sehr die Sorge für die Allgemeinheit den heutigen Staat in Anspruch nimmt. Die moderne Fürsorgegesetzgebung, die sich mit dem Untertanen von der Wiege bis zum Grabe befasst und dabei – eine Erscheinung der neueren Zeit – einen Zug von Sentimentalität aufweist, hat neben den vielen guten Wirkungen auch so manche Schattenseite; man könnte den modernen Staat in dieser Beziehung dem Staate der Spartaner gegenüberstellen, der auf die Heranbildung eines kräftigen Geschlechts so grosses Gewicht gelegt hat.

Zu diesen zivilisatorischen Aufgaben des Staates gehört es auch, dann, wenn gewisse Zwecke von einer grösseren Anzahl Staaten leichter als vom Einzelstaat erfüllt werden können, die dazu erforderlichen internationalen Verbindungen anzustreben; die Solidarinteressen der Völker sollen an den Landesgrenzen keine Schranke mehr finden. Diese von den modernen Staaten zur Befriedigung derartiger Interessen geschlossenen grossen Zweckverbände nehmen jährlich an Zahl und Umfang zu und üben eine segensreiche Wirkung; man denke an den Weltpostverein, an die Konventionen zum Schutze gewerblichen und geistigen Eigentums und an alle die Verträge zur gemeinsamen Abwehr der verschiedensten Gefahren für Menschen, Tiere und Pflanzen. Diese sogenannte internationale Verwaltung löst Aufgaben für die Menschheit, wie der Einzelstaat es für sein Volk besorgt.

Aber das alles ist Zivilisation und nicht Kultur in der höchsten Bedeutung des Wortes. Kultur kann der Staat nicht schaffen, er kann nur indirekt durch seine zivilisatorische Tätigkeit dafür sorgen, dass die äusseren Bedingungen für die Bildung und Fortentwicklung der Kultur so günstig als möglich seien. Dabei kann er in zwei Richtungen die ihm zu Gebote stehenden Mittel zur Anwendung bringen: positiv, durch Förderung jener Tätigkeiten, die Vorbedingung für die Entwicklung der Kultur sind, also durch Errichtung von Schulen, Unterstützung von Kunst und Wissenschaft, u. dergl. und negativ dadurch, dass er Störungen und Gefahren der Kulturentwicklung fern hält.

Da Träger der Kultur nur die Individuen sein können, muss der Staat an deren Entwicklung ein vitales Interesse haben, denn aus ihnen besteht er und durch sie ist er bedingt, wie jedes Ganze durch seine Glieder. Nicht die Quantität der Untertanen allein, sondern vornehmlich ihre Qualität macht heute einen Staat stark und konkurrenzfähig im Wettstreit der Nationen. Je höher ein Individuum geistig steht, desto leichter und sicherer wird es sich in den Dienst der Gesamtheit stellen und die eigenen, egoistischen Interessen von denen des Gemeinwesens trennen können, so dass es im ureigenen Interesse des Staates liegt, seine Bürger in diesem Sinne heranzubilden. Jeder einzelne aus dem grossen Beamtenheer, das der moderne Staat aufweist, kann die Macht, die er in Händen hat, missbrauchen; kein Gesetz, keine Strafandrohung kann vor Missbrauch der Macht so wirksam schützen wie das Bildung, Kultur imstande sind.

Wie der Staat im einzelnen zur Erreichung dieses höchsten und schwierigsten Zweckes vorzugehen hat, ist hier nicht zu untersuchen, es würde viel zu weit führen, auch spielt hier die subjektive Meinung des Einzelnen die grösste Rolle.

Nur auf den Zusammenhang dieser neuesten und letzten Aufgabe des Staates mit seiner ursprünglichsten, der Selbsterhaltung sei zum Schluss noch kurz hingewiesen. Es ist eine in der Geschichte oft beobachtete Tatsache, dass minder kultivierte Nationen von höher stehenden im internationalen Wettstreit überflügelt werden; es ist sogar öfter vorgekommen, dass ganze Völkerschaften von den kulturell höher stehenden Nachbarn verdrängt und aufgesaugt wurden, wie z. B. die Burgunder durch die Römer. So erfüllt der Staat seine erste Pflicht, sich selbst zu schützen, durch seine Armeen nicht weniger sicher als durch Kultur.





  1. Allgemeine Staatslehre (2. Aufl. 1905) S. 223 ff.
  2. Vergl. die treffenden Bemerkungen bei Anschütz, Deutsches Staatsrecht, in v, Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswissenschaft (6. Aufl.) II. S. 473.
  3. Welche hohe Meinung Plato von der Leitung eines Staates hat, geht unter anderm auch aus dem Dialog „Der Staatsmann“ hervor.
  4. Platon, S. 150 f.
  5. Politeia II. 11.
  6. Politeia IV. 1.
  7. Gesetze, V. 10.
  8. Vergl. Politik I. 2; III. 6; III. 9.
  9. Politik, III. 9. – Vergl. Siebeck, Aristoteles. S. 111. Zeller, Die Philosophie der Griechen. II. 2. (3. Aufl.) S. 672 ff.
  10. Ähnlich in neuerer Zeit Dahlmann, Die Politik I. S. 3: „ . . . . man kann nicht Volk ohne Staat sein.“
  11. Politik I. 2.
  12. Politik, III. 7.
  13. De rep I. 25.
  14. Cicero, De legibus III. cap. 3. § 8: „militaie summum jus habento, nemini parento; ollis populi suprema loi esto.“ Ähnlich; Ad Attikumm VIII. 11. § 1.
  15. De civitate Dei. XV. c. 2.
  16. De civ. Dei. V. c. 24. – Vergl. über die verschiedenen Auffassungen der beiden Staaten des Augustinus neuestens Scholz, Glaube und Unglaube in der Weltgeschichte. (Leipzig, 1911) S. 70, 83 ff.
  17. Summa theologiae I. I. qu. 96. art. 4: „.... homo naturaliter est animal sociale.“
  18. De regimine principum ad regem Cypri I. 1: „Naturale autem est homini, ut sit animal sociale et politicum, in multitudine vivens, magis etiam quam omnia alia animalia: quod quidem naturalis necessitas declarat. Aliis enim animalibus natura praeparavit cibum, tegumenta pilorum, defensionem: ut dentes, cornua, ungues vel saltem velocitatem ad fugam. Homo autem institutus est nullo horum sibi a natura praeparato, sed loco omnium ei data est ratio..... Est igitur homini naturale, quod in societate multorum vivat.“
  19. De reg. princ. I. 14. – Vergl. Vilmain, Die Staatslehre des Thomas von Aquino im Lichte moderner politisch-juristischer Staatsauffassung. (Leipzig 1910) S. 44 f. Froschhammer, Die Philosophie des Thomas von Aquino. S. 484 ff. J. J. Baumann, Die Staatslehre des h. Thomas von Aquino.
  20. Vergl. Friedberg, Die Grenzen zwischen Staat und Kirche I. S. 35 ff.
  21. Vilmain, a. a. O. S. 141. – Über ähnliche Ausführungen an anderen Stellen bei Thomas vergl. Baumann, a. a. O. S. 107 ff.
  22. So z. B. sehr klar bei Epikur. Vergl. Zeller, a. a. O. III. 1. S. 455 f.
  23. Abhandlung vom Staate V. Kap. § 2.
  24. Vergl. Güntzberg, Die Gesellschafts- und Staatslehre der Physiokraten. S. 75 f.
  25. Original Contract. Essays and treatises 11. No. 12.
  26. Commentaries. I. 1. Buch 1 Kap.
  27. Allgemeines Staatsrecht und Staatsverfassungslehre (Göttingen 1793) S. 3.
  28. De cive. XIII. 2, 3, 6.
  29. Vernünfftige Gedancken von dem gesellschafftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen. (1725).
  30. A. a. O. § 433. Vergl. ferner § 218.
  31. §§ 2 ff.
  32. § 266, 435.
  33. § 384.
  34. § 383.
  35. § 389.
  36. § 390.
  37. § 392.
  38. § 393.
  39. Grundsätze der Policeywissenschaft. (3. Aufl. 1782).
  40. Die Staatsklugheit nach ihren ersten Grundsätzen entworfen. (1761).
  41. Allgemeines Staatsrecht und Staatsverfassungslehre. (1793).
  42. Handbuch der inneren Staatsverwaltung. (1798).
  43. Weitere Vertreter der Wohlfahrtstheorie bei Murhard, a. a. O. S. 168 ff.
  44. Vergl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht. I. S. 38 ff.
  45. Verfassung vom 24. Juni 1793, Art. 1.
  46. Vergl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 240 Anm. 1.
  47. Treitschke, Politik, I. S. 80.
  48. Grundlinien der Philosophie des Rechts. § 257.
  49. Ebenda § 258.
  50. Die Philosophie des Rechts. (1856) II. 2. S. 176.
  51. Ebenda, S. 179 f.
  52. Vergl. ferner von Stahl: Der christliche Staat, (2. Aufl. 1858) z. B. S. 29: „Dies ist das Wesen des christlichen Staates. Er ist die Ordnung des öffentlichen Zustandes, wie ein christliches Volk sie als Anforderung erkennt und wie sie aus dem Geiste eines christlichen Volkes hervorgeht ...... Das Christentum ist ihm Norm und Grundlage und ist ihm Zweck.“
  53. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. § 45.
  54. Grundlage des Naturrechts nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre. (1796). I. Teil, III. Hauptstück 3. Kap. § 16.
  55. Ideen zu einem Versuche, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen.
  56. Anti-Hobbes, oder über die Grenzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherrn. (1797).
  57. Anti-Hobbes. S. 74.
  58. Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers. (1798) S. 114 f.
  59. Vierzig Bücher vom Staate. I. (1820) S. 212 vergl. ferner S. 230 ff.
  60. Staasrecht der konstitutionellen Monarchie II. 1. (1827) S. 178 f.
  61. Das Naturrecht. (2. Aufl. 1846) S. 118.
  62. Vergl. ferner Eötvös, Der Einfluss der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat. II. S. 97 ff., der Sicherheit als Staatszweck angibt, darunter aber sehr Verschiedenes versteht. – Weitere Literatur über den Rechtsweck bei Zachariae, Deutsches Staats- und Bundesrecht I. (1853) S. 39.
  63. Art. „Staatsverfassung“ in v. Rotteck u. Welcker’s Staatslexikon. XII. (1848) S. 366.
  64. De cive, XIII. 15: „Libertas civium non in eo sita est, ut legibus civitatis exempti sint, vel ut ii qui civitatis summam potestatem habent, non possint leges ferre quascunque volent. Sed quoniam omnes motus et actiones civum legibus nunquam circumscriptae sunt, neque circumscribi propter varietatam possunt, necesse est, ut infinita pene sint, quae neque jubentur, neque probibentur; sed facere vel non facere suo quisque arbitrio potest . . . . .“ Ferner: Leviathan II. 21 (A. R. Waller Cambridge, 1904) S. 155: „As for other Lyberties, they depend on the Silence of the Law. In cases where the soveraign has prescribed no rule, there the Subject hath the Liberty to do, or forbeare, according to his own discretion.“
  65. Contrat social II. 6. Insbesondere: „J’appe le donc république tout Etat, régi par des lois, sous quelque forme d’administration que ce puisse être: car alors seulement l’intérêt public gouverne, et la chose publique est quelque chose. Tout gouvernement légitime et républicain . . . .“
  66. Vergl. z. B. Bähr, Der Rechtsstaat (1864) v. Holtzendorff, Politik, S. 213 f. Gneist, Der Rechtsstaat. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 242 f. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches II. S. 172 f. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I. S. 53 ff. u. a.
  67. Grundsätze des allgemeinen und deutschen Staatsrechts. (4. Aufl.) 1855. I. S. 42.
  68. Allgemeine Staatslehre (5. Aufl.) 1875 S. 358 ff. Etwas abweichend davon bei Bluntschli und Brater, Deutsches Staatswörterbuch IX. (1865) S. 624 (Art. „Staat“).
  69. Enzyklopädie der Staatswissenschaften. (2. Aufl.) 1872 S. 71.
  70. Vergl. auch v. Mohl, Die Polizeiwissenschaft. I. S. 3 ff.
  71. Prinzipien der Politik. (2. Aufl.) 1879. S. 232 ff.
  72. Deutsches Staatsrecht. I. S. 109 ff.
  73. Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre. S. 8.
  74. Allgemeine Staatslehre, im Handbuch des öffentlichen Rechts. Einleitungsband II. S. 199.
  75. Die Lehre der Rechtssouveränität. Groningen 1906. S. 207 ff.
  76. Allgemeine Volkswirtschaftslehre. Handbuch des öffentlichen Rechts. Einleitungsband III. S. 67 f.
  77. Vollgraff, Die Systeme der praktischen Politik II. (1828) S. 221. Vergl. Montesquieu, L’esprit des lois, XI. 5.
  78. Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1803) X. Vorlesung am Schluss).
  79. Elemente der Staatskunst (1809) I. S. 66 ff. Müller definiert den Staat als „die Totalität der menschlichen Angelegenheiten, ihre Verbindung zu einem lebendigen Ganzen“ und sagt von ihm, „er dient allen gedenkbaren Zwecken, weil er sich selbst dient.“
  80. Weitere Literatur bei Murhard, a. a. O. S. 312 ff. – Unklar: Escher: Handbuch der praktischen Politik I. S. 37 ff.
  81. Vergl. Murhard, a. a. O. S. 306 ff.
  82. Restauration der Staatswissenschaften I. 17. Kap. S. 470.
  83. Allgemeine Staatslehre, S. 234.
  84. Vergl. die Widerlegung der Theorie bei Hinschius, Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche in Marquardaens Handbuch I. 1. S. 240 ff.
  85. Jellinek, Allgemeine Staatslehre S. 241.
  86. Richtige Bemerkungen gegen den extremen Rechtsstaat schon bei Murhard, a. a. O. S. 142.
  87. Jellinek, a. a. O. S. 230.
  88. A. a. O. S. 58.
  89. A. a. O. S. 367 ff.
  90. A. a. O. S. 232 ff.
  91. A. a. O. S. 248 ff.
  92. Der dreifache Staatszweck findet sich auch in verschiedenen Verfassungstexten, namentlich motivieren Staaten, wenn sie sich zu einem Bundesstaat zusammenschliessen, diesen Akt durch Angabe eines bestimmten Zweckes. So sagt die Verfassung der nordamerikanischen Union in der Einleitung: „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, in der Absicht, eine vollkommene Union zu bilden, Recht und Gerechtigkeit einzusetzen, Ruhe im Innern zu befestigen, für gemeinsame Verteidigung Fürsorge zu treffen, allgemeine Wohlfahrt zu fördern und den Segen der Freiheit uns und unseren Nachkommen zu sichern, verordnen und errichten hiermit diese Konstitution für die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Die deutsche Reichsverfassung beginnt: „Seine Majestät der König von Preussen im Namen des Norddeutschen Bundes, Seine Majestät der König von Bayern, .... usw. schliessen einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes sowie zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes.“ Die Bundesverfassung der Schweiz sagt in Art. 2: „Der Bund hat zum Zweck: Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes gegen aussen, Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern, Schutz der Freiheit und der Rechte der Eidgenossen und Beförderung ihrer gemeinsamen Wohlfahrt.“
    Auch einzelstaatliche Verfassungen heben bisweilen den Staatszweck hervor. Die meisten Worte darüber macht wohl die französische Verfassung vom 4. November 1848, die im Namen des französischen Volkes proklamiert: „La France s’est constituée en Republique. En adoptant cette forme definitive de gouvernement, elle s’est proposé pour but de marcher plus librement dans la soie du progrès et de la civilisation, d’assurer une répartition de plus en plus equitable des charges et des avantages de la société, d’augmenter l’aisanse de chacun par la réduction graduée des dépenses publiques et des impôts, et de faire parvenir tous les citoyens, sans nouvelle commotion, par l’action successive et constante des institutions et des lois, à un degré toujours plus élevé de moralité, de lumieres et de bien-être.“
  93. Die französische Sprache kennt den Ausdruck „culture“ in der übertragenen Bedeutung nicht, sie verwendet für beide Begriffe das Wort „civilisation“.
  94. Vergl. darüber meine näheren Ausführungen in der Zeitschrift für Politik, I. S. 234 ff.