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Die Astronomie auf der Straße (1892/4)

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Textdaten
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Autor: Carl Julius Cranz
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Titel: Die Astronomie auf der Straße
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 115–116
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Vgl. Die Astronomie auf der Straße (1891) sowie Hefte 17, 21 (1892)
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Die Astronomie auf der Straße.

Unsere Leser haben durch die in Halbheft 10 und Halbheft 24 des vorigen Jahrgangs gegebenen Anleitungen schon einigermaßen eine feste Stellung gewonnen inmitten der verwirrenden Massen von Sternen, die von dem nächtlich dunkeln Himmelsdome zu uns herniederstrahlen. Wir wollen versuchen, weiter in die Kenntniß dieser Wunderwelt einzudringen. Ein drittes Theilkärtchen möge diejenige Gegend des gestirnten Himmels herausheben, welche durch die Sternbilder des Großen Bären, des Großen Löwen, des Raben, der Jungfrau, des Bootes und der Krone gekennzeichnet ist. Denkt man sich die Linie, welche die beiden Sterne 1 und 2 des Großen Bären verbindet und welche früher zur Auffindung des Polarsterns diente, nach der dem letzteren entgegengesetzten Seite verlängert, so weist dieselbe nach der ungefähr in Trapezform angeordneten Sterngruppe des Großen Löwen, von welcher schon früher die Sterne Regulus und Denebola hervorgehoben wurden.

Verlängert man ferner den Bogen, der die Sterne 5, 6 und 7 an der Deichsel des Großen Wagens (dem Schwanz des Großen Bären) verbindet, etwa um das Doppelte, so stößt man auf Arktur im Sternbild des Bootes. Jeder, der zum ersten Male mit Hilfe von einfachen Orientierungslinien eine oberflächliche Kenntniß des Nachthimmels sich zu erwerben sucht, wird später zugeben, daß jener Bogen von der Deichsel des Großen Wagens aus das bequemste Mittel zur Auffindung des Arktur an die Hand giebt, und der Laie wird gut daran thun, diesem Stern gleich anfangs besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, da er, als einer der glänzendsten Sterne des ganzen nördlichen Himmels, besonders in die Augen fällt. Arktur ist von röthlicher Farbe und mit starker Eigenbewegung begabt: er ist einer der Sterne, an denen zuerst Halley im Jahre 1719 die selbständige Bewegung der Fixsterne wahrnahm.

In seiner weiteren Fortsetzung leitet jener Bogen, der zu Arktur führte, nach der Spica (Kornähre) in der Jungfrau und weiterhin nach dem Sternbild des Raben, einer in Vierecksform stehenden Gruppe von vier ungefähr gleich hellen Sternen.

Unweit von Arktur, zwischen diesem und dem Löwen, erkennt man den „das Haar der Berenice“ genannten Sternnebel; schon mit bloßem Auge ist derselbe in eine Summe von vielen kleinen Sternen aufzulösen; Heis zählte deren siebzig, die aber alle unter vierter Größe sind; auch mehrere Doppelsterne befinden sich darunter. Der Name „Haar der Berenice“ stammt von Konon, einem Freund des Archimedes, der damit die Gemahlin des Ptolemäus Euergetes, Königs von Aegypten, verewigte.

Auf der andern Seite des Arktur befindet sich die treffend so genannte „Krone“ mit dem Hauptstern Gemma (Edelstein); die am deutlichsten sichtbaren Sterne der nördlichen Krone sind ziemlich genau in Form eines nach Norden offenen Halbkreises angeordnet; Heis, der wegen der Schärfe seiner Augen berühmt war, zählte in dem Sternbild ohne Fernrohr einunddreißig Sterne, alle von der dritten Größe und darunter; unter ihnen befinden sich mehrere regelmäßig veränderliche Sterne und Doppelsterne. In der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 1866 entdeckten Birmingham und Fergubar in der Krone einen neu aufflammenden Stern von mehr als zweiter Größe, fast so hell wie Gemma; aber schon in derselben Nacht nahm seine Größe rasch ab und nach neun Tagen war er bereits dem bloßen Auge unsichtbar geworden. Es zeigte sich nachträglich, daß er schon früher von Argelander als ein Stern neunter bis zehnter Größe verzeichnet worden war; gegenwärtig ist er noch mit dem Fernrohr zu beobachten und wird als der Stern T in der nördlichen Krone aufgeführt.

Wem die obige Angabe zur Auffindung des Sternbilds der Krone nicht genügt, der möge die Sterne 2 und 7 des Großen Bären in Gedanken durch eine Linie verbinden; diese geht in ihrer Verlängerung über 7 hinaus ungefähr durch die Krone.

Der erwähnte Arktur zeigt eine entschieden röthliche Färbung, weshalb er oft genug von unkundigen Laien mit dem Planeten Mars verwechselt wird. Wir benutzen diese Gelegenheit, über die Farben der Fixsterne überhaupt einige Bemerkungen anzufügen.

Die Zahl der Sterne, welche außer den weißen mehr oder weniger bestimmt in Farben wie blau, roth, gelb, grün erscheinen, ist nicht unbeträchtlich; allein an rothen einfachen Sternen werden gegenwärtig mehr als sechshundert gezählt. Manche scheinen regelmäßig sich wiederholenden Veränderungen ihrer Farbe unterworfen zu sein, wieder andere dauernden Aenderungen.

Die Alten erwähnen nur weiße und rothe Sterne; roth nennen sie z. B. Arktur, Aldebaran, Pollux, Alpha im Orion und merkwürdigerweise auch Sirius, der doch heutzutage unzweifelhaft glänzend weiß erscheint. Als Gewährsmann hierfür wird meist Ptolemäus angeführt, der von Sirius als einem Stern spricht, welcher „noch röther als Mars“ sei; Schjellerup behauptet, daß diese Angabe des Ptolemäus über die Farbe [116] des Sirius von späteren Bearbeitern des Almagest ihm unterschoben worden sei; allein da auch andere alte Schriftsteller wie Cicero, Horaz und Seneca den Stern als roth aufführen, so scheint es sich in der That beim Sirius um ein Beispiel fur eine in geschichtlicher Zeit erfolgte Farbenänderung zu handeln.

Eine besondere Beachtung wurde von Seiten der Astronomen den farbigen Doppelsternen geschenkt; die beiden Sterne eines Doppelsterns sind nämlich meist von sehr ungleicher Helligkeit und von ungleicher Farbe; in der Mehrzahl der Fälle ist der größere röthlich oder gelblich, der kleinere grünlich oder bläulich. Arago giebt eine Zusammenstellung einer großen Anzahl von solchen Sternenpaaren, die meist unter sich verschiedene Farben aufweisen; er vermuthet, daß bei manchen Paaren die blaue oder grüne Färbung des kleineren Sterns nichts Wirkliches, sondern das Ergebniß einer optischen Täuschung, eine bloße Gegensatzwirkung sei, welche darauf beruhe, daß ein schwaches weißes Licht bei Annäherung eines starken rothen Lichts grün erscheine und in Blau übergehe, wenn das benachbarte helle Licht gelblich sei. Durch einen einfachen Versuch will er die Fälle, wo bloße Täuschung vorliegt, von denen, wo jene Färbung eine thatsächliche ist, von einander trennen: er verdeckt durch einen Faden oder eine Blende im Innern des Fernrohrs den Hauptstern des Paars; verliert dann, sagt er, bei der Bedeckung des größeren Sterns der kleinere seine Farbe und erscheint weiß, so war die grüne oder blaue Färbung, in der er sich zeigte, wenn beide Sterne gleichzeitig sichtbar waren, nichts als eine Täuschung, andernfalls ist die Färbung als eine wirkliche anzunehmen.

Eine Erklärung für die Farbenänderungen an Sternen hat Zöllner versucht, und diese Erklärungsweise ist zusammen mit derjenigen einer Reihe von anderen merkwürdigen astrophysikalischen Erscheinungen in einer umfassenden Hypothese enthalten, welche Zöllner für die allmähliche Entwicklung der Weltkörper überhaupt aufgestellt hat und welche wir hier in aller Kürze wiederholen. Er nimmt auf Grund von spektralanalytischen Untersuchungen fünf Entwicklungsphasen an, die jeder Weltkörper zu durchlaufen habe: erstens die Periode des glühend-gasförmigen Zustands (Sternnebel), zweitens die Periode des glühend-flüssigen Zustands (Fixsterne ohne wahrnehmbare Helligkeitsänderungen), drittens eine Zeit der Rothgluth und der Schlackenbildung, wobei sich eine Kruste auf dem Weltkörper, eine nichtleuchtende kältere Oberfläche zu entwickeln beginnt (Erklärung der Sonnenflecken), viertens eine Periode der Eruptionen, während welcher durch den Druck der inneren heißen Massen die erkaltete Oberfläche gewaltsam gesprengt wird (allmähliches Verschwinden von Fixsternen als Folge der Krustenbildung, bezw. plötzliches Aufleuchten eines scheinbar neuen Sterns als Folge von Ausbrüchen), fünftens eine Periode der vollendeten Erkaltung.

Wir geben diese Hypothese vorläufig ohne weitere kritische Betrachtungen wieder. Langanhaltende Beobachtungen, besonders mit Hilfe der Spektralanalyse und der Photographie, werden vielleicht in der Zukunft die astronomische Wissenschaft auch einer alle Erscheinungen umfassenden Erklärung für die Farbenverschiedenheiten der Fixsterne näher bringen. Dr. C. Cranz.