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Dichtkunst 1926

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Theobald Tiger
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Titel: Dichtkunst 1926
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. Jahrgang 22, Nummer 1, Seite 33
Herausgeber: Siegfried Jacobsohn
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 5. Januar 1926
Verlag: Verlag der Weltbühne
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933. Athenäum Verlag, Königstein/Ts. 1978. Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Dichtkunst 1926 von Theobald Tiger


Was werden die Dichter heuer schreiben –?
Das wird auch in diesem Jahre so bleiben:

Wenn der Sekundaner, sanft erhitzt,
vor einem nackerten Bilderbuch sitzt,

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steigt ihm das Blut in die Gefäße,

er wackelt leise mit dem Gesäße;
hochrot der Kopf, hochrot das Ohr,
stellt er sich etwas Schönes vor:
eine züngelnde und rundbauchige Fee –

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und dann spielt er mit seiner Lieblingsidee.


So auch der Deutsche.
 Alle Knaben,
die eine Schreibmaschine haben,
verfassen heute radikal

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die Weltgeschichte noch einmal.


Der alte Fritz sagt mürrisch; „Er …!“
und plaudert mit dem Affen Voltaire;
er kann zwar nicht richtig deutsch buchstabieren,
doch das tut der Krückstock remplacieren –

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davon leben die Biographen.


Die Juden vom Film gehn mit Bismarck schlafen
und stehn mit Moltken wieder auf –
das ist so der deutsche Lebenslauf.
Arminius, der Große Kurfürst und Stein

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spielen einen schönen Bierskat zu Drein;

Blücher und Barbarossa mit Bart
kiebitzen dazu auf deutsche Art;
und inmitten dieses großen Geschreis
steht Turnvater Jahn und riecht nach Schweiß.

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Und segnend schwebt über alle Diese

die gute Königin Luise,
eine wahrhafte, echte, deutsche Frau.

Fällt einem nichts ein, schreibt er: Gneisenau.
Und auch die Operetten aus Wien

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benötigen Landes-Dynastien

(mit Renten).
 So besinnt sich weit und breit
der Deutsche auf seine Vergangenheit:
Hochrot der Kopf, hochrot das Ohr,

40
stellt er sich etwas Schönes vor

in Büchern, Theaterstücken, Journalen –
und dann spielt er mit seinem Nationalen.

Denn dieses Deutschtum mit Sonnenstich
ist eine Beschäftigung an und für sich.

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Es gibt Leute, die statt Kinder zu zeugen, schreiben.

Das wird auch im kommenden Jahre so bleiben.