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Deutsches Frauenleben im Mittelalter (Die Gartenlaube 1879/13)

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Textdaten
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Autor: Friedrich Helbig
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Titel: Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
9. Im Dienste des Himmels. – Gottesminne, Kreuzfahrt und Wunderglauben.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 217–219
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
Eine culturhistorische Studie von Fr. Helbig.

9. Im Dienst des Himmels. – Gottesminne, Kreuzfahrt und Wunderglauben.


Pater Berthold von Regensburg rühmt den Frauen, denen er sonst nicht eben gewogen ist, nach, daß sie eher in’s Himmelreich kämen als die Männer, denn sie wären barmherzig und gingen lieber zur Kirche, zu Gebet und Ablaß und sprächen eher Gebete als die Männer. In der That entrichtete die Frau des deutschen Mittelalters täglich zweimal ihren Zoll der Kirche. Am Morgen um die neunte Stunde schritt sie an der Seite des Mannes zur Messe; am Abend folgte sie wiederum fromm dem Läuten der Vesperglocke. Die Mette war Frauenkirche; Mannesschritte führten nur selten zu ihr. Aber auch zu jener Zeit wurde für die Frau dieses Kirchengehen zuletzt so sehr Sache der Gewohnheit und Mode, daß alle Innerlichkeit dabei verloren ging. So deckte der genannte geistliche Eiferer auch wieder die Kehrseite seines eben gehörten Lobes schonungslos auf: „Sie sprechen in den Kirchen wie auf einem Jahrmarkte hin und her, was Jeglicher gesehen in fremden Landen, auf dem Meere oder der Romfahrt oder zu Sanct Jacob, und die Frauen lassen ihren Mund nie still stehen vor unnützem Gespräche.“

Gleichwohl wußte die Kirche, welch ein Schatz ihr im Frauenherzen ruhte. Sie verlieh nicht umsonst dem schöne Geschlechte die höchste Weihe in dem Cultus der Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, der Königin des Himmels. Diese wurde der Frau, der Jungfrau zugleich zum leuchtenden Muster und Vorbild, und kirchliche und weltliche Dichter werden nicht müde, den Preis ihres Ruhmes in hohen Tönen zu verkünden. „Du lichte Rose ohne Dorn, wie Sonnenglanz so klar, hochschwellend Meer der Gnade, ganzer Tugend durchlauchtiger Sonnenschein, ewig unerschöpfter Hort der Gnade“ – also singt und klingt es von ihr.

Auch für die Entbehrung irdischer Liebe bot die Kirche der Jungfrau im Kloster Ersatz. Dort wartete ihrer das „himmlische Rosenlager ihres Bräutigams Christus“, um in der Sprache der Kirche zu reden, welche die Formeln der Verehrung hier vom weltliche Minnedienste entlehnte. Der Gedanke der Bräutigamschaft Christi war ein so geläufiger, daß er sich auch plastisch kund gab. So stellt ein im Germanischen Museum aufbewahrter Altarschrein die Verlobung der heiligen Katharina von Siena mit dem Christuskinde dar. Konnte somit das erregte jungfräuliche Gemüth für das ihm in der Wirklichkeit Versagte im freien zwanglosen Reiche der Phantasie, wo sich Himmel und Erde bunt vermengten, idealen Ersatz finden, so füllte andererseits auch die der Kirche verlobte Frau die Muße ihres klösterlichen Stilllebens vielfach in realer und nützlicher Weise aus. Wir trafen sie im Laufe unserer Darstellung schon als Lehrerin der Mädchen, denen sie Unterricht in Lesen und Latein gab. So finden wir sie aber selbst auch emsig am Schreibtisch sitzen und mit geschwärzten Fingern das in Rauch getrocknete Schreibrohr, das sie vorher mit einem Messer fein zugespitzt und mit Bimsstein geglättet hat, über die pergamentene Fläche führen, um eine alte Heiligenlegende aus einem Buche zu copiren, das, um nicht gestohlen zu werden, an einer Kette verschlossen liegt. Von Zeit zu Zeit taucht sie den Rohrgriffel in ein Näpfchen mit rothem Mennig, um die schwarzen mit rothen Buchstaben abwechseln zu lassen. Entlang der große Initialbuchstaben legt sie durch Anwendung eines heißen Eisens glatte Goldblättchen, wenn sie nicht blos Goldtinctur mit dem Pinsel aufstreichen mag. Auch fügt sie in die Innenräume der großen Buchstaben die zierlichsten Miniaturgemälde, oder schneidet in die Lederfläche des Bucheinbands [218] die Figuren des heiligen Augustin und der heiligen Monica. Aber auch rein fraulicher Thätigkeit blieb sie nicht fern. Von der Anfertigung der schlichten Gewänder für sich und die Mönche des Nachbarklosters erhob sie sich bis zur Gestaltung jener kunstvollen Gewebe und Stickereien, deren wir bereits früher gedachten. Nur bewegten sich ihre Vorlagen dabei fast lediglich auf dem kirchlichen Gebiete. Sie webte und stickte Meßgewänder, Altardecken, Rücklaken für die Kirchenstühle, Kelchdecken und Processionsfahnen. Die Weberei wurde mit der Zeit in den Klöstern sogar fabrikmäßig und auf Bestellung der Laienwelt betrieben, sodaß sich nach Einführung der Zunftverfassung die Zunft der Bild- und Wappensticker in Köln gegen die Concurrenz der Nonnenklöster beschwerte.

Uebrigens warb auch die profane Frau des Mittelalters durch solche Arbeiten um die Gunst der Kirche. Das Größte in dieser Richtung leistete die Gemahlin Wilhelm’s des Eroberers, Mathilde. Sie beschenkte die Kathedrale von Bayeux mit einer Leinwandstickerei in der Länge von 211 Schuh, welche in 72 verschiedenen Scenen und mit 350 Figuren den ganzen Verlauf der Eroberung Englands durch die Normannen im Jahre 1066 zur Erscheinung brachte. Der Teppich ist noch vorhanden. Der Regel nach bewegten sich die bildlichen Vorlagen der Gewebe auf kirchlichem Gebiete. So bewahrt der Domschatz zu Bamberg eine mit Gold auf Purpur gestickte Geschichte des Erlösers, während unser deutsches Nationalmuseum einen großen 1,47 Meter langen und 2,42 Meter hohen Teppich mit der Darstellung des jüngsten Gerichts besitzt. Wir sehen da Christus auf dem Regenbogen sitzend, Schwert und Lilie im Munde, darunter Maria und Johannes den Täufer; zur Seite vier Engel mit den Werkzeugen der Passion. Zwei Engel unter seinen Füßen verkünden mit Posaunen den sich aus ihren Gräbern erhebende Seelen die Auferstehung.

Die uns erhaltene Abbildung einer Nonnenzelle – im Germanischen Museum – zeigt dieselbe als ziemlich wohnlich. Die Nonne liegt bekleidet auf dem Bette. Vor demselben befindet sich ein Schemel und eine Bank; darauf ein Krug mit Glas, ein Teller mit Brod. An der Wand hängt eine Uhr. Auf einer durchbrochenen Wandconsole steht ein kleiner Altarschrein, zu beiden Seiten zwei Heiligenfiguren. Das Gewand der Nonne bestand aus Wollenstoff, der für geringer galt als Leinwand. Da sie gleichsam ihre Jungfräulichkeit der Kirche geopfert hatte, hüllte sie, wie die verheirathete Frau, das Gesicht in das Gebände (weiße Kinn- und Kopfbinden) und barg das kurzgeschnittene Haar unter der Nonnenhaube. Statt des Gürtels trug sie einen Strick, von dem statt Scheere und Schlüsselbund der Rosenkranz herniederhing.

Im Gegensatze zu der weltlichen Minne nannte man die Werbung um die Gnade des Himmels Gottesminne, indem man auch hier wieder das Sinnliche zu dem Geistigen in Parallele setzte. Zu ihr wandte sich aber nicht blos die Frau, sondern auch der Mann, der um Frauenliebe vergebens warb oder ihrer satt und überdrüssig geworden war, vornehmlich der Sänger, der für seine Minnelieder kein gläubig Ohr mehr fand. Wie einst eine minnigliche Maid, so feierte er jetzt in überschwänglicher Wonne „siebenstündig des Tages“ den süßen Herzgesellen, den „makellosen Minnekaiser“, und die Frau aller Frauen. Von ihr, der Gottesminne, singt Walter von der Vogelweide, der in späten Tagen ganz sich ihr zugewandt:

Wer Gottes Minne will erjagen,
Der muß ein jagendes Herze tragen;
Er muß auch Heldenkräfte han
Und veste stahn.
Ringen, Streiten – die beiden,
Die muß er haben Nacht und Tag,
Nach der geweihten Minne.
Schlafend sie keiner fangen mag;
Man muß sie zwingen in den Hag,
Kräftig strack,
Mit reinem, starkem Sinne.

Am gewaltigsten trat die durch die Kirche beeinflußte Macht über die Frau hervor in den Kreuzzügen. Die Ritter zogen zumeist nicht gern und freien Antriebs in’s gelobte Land, und die Kirche suchte vielfach vergebens sie dafür zu begeistern. Da wandte sie sich an die Frau, und mit der siegenden Macht des Herzens trieb diese den zögernden Gatten oder Geliebten unter das Banner des Kreuzes. In schwacher unbewehrter Stunde hatte er ihr das Gelübde geleistet, und nun mußte er nach Hartmann von Aue’s eigenem Geständnisse „in die ungewisse Ferne ziehn, den Schwur und Gelübde mochte er nicht brechen“. Andere trieb wohl auch die Wehmuth des Herzens über versagte Gunst dahin, wie den Minnesänger Friedrich von Hausen. Er meinte, durch seine That die Sprödigkeit der Geliebten zu brechen, „der Treue damit zu ihrem Lohne zu verhelfen – und sah sich bitter getäuscht.“ Niemand durfte es ihm da wohl verdenken, wenn er nun haßte, die er eh’ geminnt. Mancher meinte wohl auch, er werde auf dem fremden fernen Boden die Liebe, die ihm mit so viel Leid gelohnt, vergessen. In anderer Weise empfand es aber auch die daheimbleibende Frau schmerzlich, wenn der Mann dem Drange der Zeit und des Gewissens nachgab und dem Zuge der Kreuzfahrer sich anschloß. „Wie willst Du,“ läßt ihre Seelenangst sie fragen, „zweierlei vereinen, über das Meer fahren und auch hier sein? Du lösest Dich von meinem Herzen, wie willst Du Dir das Deine bewahren?“ Und diese fragende Angst war in vielen Fällen keine blos geträumte. Es war nicht blos die Nebenbuhlerschaft gluthsinnlicher Orientalinnen, welche die Bleibende zu fürchten hatte, auch in dem eigenen des Herrenschutzes ledigen Hause drohten ihr oft schwere Anfechtungen, und wenn ihre Treue sich auch standhaft erwies, umgarnte sie neidzüngige Verleumdung. Falsche Zungen standen gedungen wider sie auf und fanden Gehör bei dem heimkehrenden Gatten, der ihre Treue nun mit Verstoßung lohnte, bis Jahre herben schuldlosen Leides der Wahrheit zum letzten Siege verhalfen. Wenn sie aber auch nicht in solche Fahrniß gerieth, dann kamen doch immer über die einsam in der Heimath Gebliebene Stunde bitteren Wehs, „wenn sie stille denkt an seine Noth, und stumm sich fragt: Lebt mein Herzlieb oder ist er todt?“ „O, möge der um ihn sorgen,“ tröstet sie dann wohl ihr gläubig Gemüth, „für den sein süßes Leben dieser Welt entsagt hat.“ Alle heimkehrenden Pilger und Mannen forscht sie ängstlich aus nach dem Entfernten. Sie erzählen ihr, wie der Armselige in heidnischer Gefangenschaft schmachte und vergebens auf Lösegeld warte. Da nimmt sie den bewahrten Schatz aus der Truhe, borgt sich das Kleid eines fahrenden Spielmanns, und mit beklommenem Herzen an den Thoren der Burgen heitere Weisen zur Laute singend, zieht sie den weiten Weg gen Osten. Sehnsucht und Liebe machen sie muthig und stark und geben ihr das Geleite, bis sie den Geliebten findet und dem Herzen neu erwirbt. Oft auch kommt zu ihr die Märe von des Gatten Tode, und da Jahre schon dahin gegangen, ohne daß sie Kunde und Wissenschaft von dem Geschiedenen erhielt, leiht sie zuletzt willig das Ohr erneuter Werbung. Da mischt sich am Hochzeitstage der Todtgeglaubte unerkannt unter die Hochzeitsgäste; sie erkennt ihn beim Willkommtrunk an dem Trauring, den er heimlich in den Pokal fallen ließ, und in letzter Stunde noch wehrt er von ihrem Haupte die schon beschlossene Sünde.

War die Frau die Hauptträgerin des kirchlichen Lebens, so war sie nicht minder auch die Wahrerin der Legende und des Aberglaubens und seiner oft von Gemüth und Poesie geadelten Gebräuche. Schweigend schöpft sie in der heiligen Osternacht das fließende Wasser in den Krug, um ihre Schönheit vor Vergänglichkeit zu wahren, läßt in geheimnißvoller Johannisnacht, in welcher alle Geister in’s Wachen kommen, die zwischen Erde und Himmel schlafen, die sehnsuchtgetragene Frage nach der Person ihres künftigen Gatten und der Zeit laut werden, wo er ihr den Brautkranz in’s blonde Haar flicht, sieht im Dunkel des Winterabends die wirthliche Frau Holle an’s Fenster klopfen und drohend den Finger heben wider die lässige Spinnerin, deren Rocken nah vor Weihnacht noch nicht abgesponnen ist, und ihre Augen schauen allein vor allen anderen, wie in der heiligen Weihnacht die Bäume um eine Stunde lang Blüthen tragen. Allen Heiligen des Kalenders läßt sie ihr Feiertagsrecht widerfahren und vertieft sich theilnehmend in ihr Leben und ihr Schicksal. In das gläubige Herz des Kindes aber versenkt sie die holde Wunderwelt des Märchens und der Sage.

Freilich die Kraft der Weissagung, die ihrer Seele einst in den Zeiten Odin’s und der Freya innewohnte, ist ihr jetzt verloren gegangen, aber einen Schatz hat sie aus jener alten düstern Zeit noch gerettet: das ist die Kenntniß heilbringender Kräuter und wundenschließender Salben. Sie weiß das Blut zu stillen, das Fieber zu kühlen und den vom Frost Erkälteten durch heißen Theriak gesund zu machen.

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10. In Schmerz und Trauer. – Letzte Rast.

„Mit dem Tode des Mannes erlischt die Sonne der Frau. Wer durch die Liebe gelebt, soll freudig durch die Liebe sterben.“ Also gebot eine alte düstere Satzung der Frau, dem Gatten in den Tod zu folgen, und die Sage weiß von Frauen zu erzählen, die diesen Brauch ehrten. Ebenso wehrten sich auch Gesetz und Sitte lange Zeit gegen die Aufgabe des Wittwenthums der Frau, gegen die Erneuerung der Liebe in zweiter Ehe, denn tief eingewurzelt in der Brust des Germanen war das Gefühl der Treue. Nur um den Gewinn der Rache wider die Mörder ihres ersten Gemahls folgte Chriemhild dem neuen Werber. Die Anschauungen der Zeit wurden indeß milder; das weltliche Verbot schwieg; nur die Kirche wollte lange solcher Nachsicht sich nicht beugen; dreißig Tage – so gebot die Sitte – sollte die Wittwe allein im Hause trauern und in dieser Zeit kein fremdes Gesicht schauen. Dann durfte sie ihre Gespielinnen und Nachbarinnen empfangen und nach zwölfmaligem Wechsel des Mondes dem Freier wieder die Thür öffnen.

Tief erschütternd sind die Ausbrüche des Schmerzes der verwaisten Frau beim Tode des Mannes wiedergegeben in den Gesängen der Dichter. Als der im Kampfe schwer verwundete Erec einem Todten gleich vom Rosse fällt, wirft sich Frau Enite über ihn, küßt ihn, schlägt heftig die Brust, küßt ihn wieder und schreit laut auf vor Weh. „Auf riß sie manche schöne Flechte; an ihrem Leibe sie sich rächte nach aller Frauen Art.“ Dann fleht sie in heißem inbrünstigem Gebete zum Himmel, daß er den Gemahl rette:

„Trenne, Herr, uns nicht
Weil über mich sonst bricht
Von dir rechtwidrige Gewalt!
Ist dein Erbarmen mannigfalt,
So hilf auch mir zum Tode hier,
Damit sich also scheide
Nicht unser Körper auf zwei Wegen.“

Vom Herzeleiden der Gemahlin Gemuret’s wird im „Parcival“ erzählt, daß, als sie den jähen Tod des jungen Gatten, von dem sie ein Kind unter dem Herzen trug, erfuhr, sie ganzer achtzehn Wochen lang in Ohnmacht mit dem Tode rang. Dann durch Hülfe eines weisen Mannes zum Leben zurückgebracht, erhebt sie laute Wehklage: „Wo ist,“ ruft sie, „wohin kam mein Trauter? Soll ich nun alle Freude missen? Ich bin ihm Mutter jetzt und Weib, und leide so zwiefachen Kummer.“ Sie betet innigst zu Gott, daß er die Frucht ihrer Liebe rette, und läßt sich des Gatten blutgetränktes, im Kampfe ganz zerschlissenes Hemd bringen; nur mühsam kann man ihrem Beginnen wehren, es selbst anzulegen, um es beständig vor Augen zu haben.

Auch Chriemhilde sank, als sie den Gatten erschlagen vor ihrer Kammerthür liegen sah, lautlos und ohnmächtig zu Boden, dann schrie sie laut auf, daß rings das Gemach erscholl und ihr das Blut vor Herzensjammer aus dem Munde brach. Und als der Todte auf der Bahre im Münster liegt, will sie nicht zugeben, daß man ihn begrabe. Drei Tage und drei Nächte, heischt sie, soll er noch über der Gruft stehen. So lange will sie bei ihm bleiben und seinen Anblick genießen.

War die Ehe kinderlos, so mußte altdeutschem Rechte zufolge die Frau nach dem Tode des Mannes aus dessen Geschlechte und dem Gute scheiden. Sie kehrte wieder in das eigene Geschlecht zurück. Um sich von der Verpflichtung zur Uebernahme der in und vor der Ehe gewirkten Schulden des Mannes zu lösen, sollte sie nach Vorschrift der alten Weisthümer Schlüssel, Gürtel oder Mantel auf das Grab legen, um damit symbolisch anzudeuten, daß sie von des Mannes Gemeinschaft und Verantwortung scheide. War ihre Ehe eine gesegnete gewesen, so blieb sie in des Mannes Geschlechte, genoß dessen Schutz und stand unter dessen Herrschaft.

Und wenn die Frau selbst nun den Weg antrat zur letzten Rast, so war es in alten Zeiten nur ein roh aus einem Baumstamm gezimmerter Sarg, in den ihre irdischen Gebeine sich senkten. Mit der Zeit wurde auch diese letzte Wohnung kostbarer und kunstvoller. Wer nur irgend durch Wohlhabenheit und Geburt hervorragte, hatte für sich und sein Geschlecht ein umschlossenes Plätzchen in der Krypte eines Klosters oder unter den Steinfließen einer Kirche erworben. Rührend schön war der Brauch, daß die, so im Leben Freud und Leid mit einander getragen, nun auch im Tode an gemeinsamer Stätte ruhten. Zahlreiche Inschriften, geschmückt mit den Bildnissen beider Gatten, geben uns Zeugniß von dieser im Steine noch lange fortlebenden Liebe.


So stehen wir denn am Schluß unserer Schilderungen. Wir bekennen, daß wir darin vielfach nur die Lichtseiten des mittelalterlichen Lebens hervorgehoben haben und an den Schatten, deren keine Periode der geschichtlichen Entwickelung entbehrt, hie und da schweigend vorüber gegangen sind. Aber das möge uns nicht als eine kritiklose Parteinahme für eine längst überwundene Geschichtsperiode gedeutet werden! Nichts liegt uns ferner als eine unfruchtbare Propaganda für das Mittelalter und seine Zustände. Schon unser Glaube an den stetigen Fortschritt der Menschheit zum Guten und Besseren beschützt uns vor dem Wunsche, der Gegenwart das ganze Gepräge des Mittelalters wieder aufgedrückt zu sehen. Und doch möchten wir an der Frau der Gegenwart gern wieder das preisen können, was ihre Ahnin so besonders auszeichnete – Schlichtheit und Natürlichkeit, treue Hingabe an das Haus und seine Pflichten, strenge Grenzeinhaltung des Weiblichen!