Deutsche Turnfeste
Deutsche Turnfeste.
Seit Monaten regt es sich gewaltig in den deutschen Turnvereinen. Mit erhöhtem Eifer wird geturnt, die schwersten Uebungen werden versucht, erprobt, eingeübt. Alle guten Turner werden zum fleißigen Besuch des Turnsaales angehalten, die tüchtigsten noch besonders vorgenommen und durchgebildet. Gilt es doch, auf dem bevorstehenden großen Allgemeinen deutschen Turnfest in fröhlichem Zusammenturnen in heißem, schweißtreibendem Wettkampfe die Ehre des heimathlichen Vereins zu wahren und – als höchstes Ziel – einen Siegespreis, dem Vereine zum dauernden Ruhme, zu gewinnen.
Nicht allein die Jungen, die noch mit jugendlicher Elasticität Begabten rüsten sich für das Fest, auch die Alten, welche bereits die Höhe des Lebens erreicht oder gar überschritten haben, wollen in besonderen „Altersriegen“ zeigen, daß, wenn auch manchem bereits das Haar ergraut ist, doch das Herz sich noch frisch erhalten hat, das Mark in den Knochen noch nicht vertrocknet ist, daß auch sie noch an Reck, Barren, Springpferd das Ihrige leisten.
Nicht weniger lebhaft geht es in dem Festorte zu. Zahlreiche Komités sorgen unermüdlich, daß der gewaltige Festplatz hergerichtet, würdig mit allem nöthigen Turngeräth ausgestattet werde, daß die von nah und fern eintreffenden Turner ein gutes Unterkommeu finden, daß es nicht an alledem mangele, was zum Behagen der willkommenen Gäste dienen könne.
Es ist das sechste allgemeine deutsche Turnfest, das vom 19. bis 23. Juli in Dresden, Sachsens schöner Hauptstadt, gefeiert werden soll. Es wird zugleich ein Jubelfest der seit nunmehr 25 Jahren bestehenden trefflich bewährten, einheitlichen Gestaltung des deutschen Vereinsturnens sein, es wird auch ein Ehrenfest für zwei Männer werden, welche in diesem Zeitraum, seit 1860 von der deutschen Turnerschaft stets wieder an ihre Spitze berufen, ihr beschwerliches Ehrenamt mit größter Treue, „alle Stund’ aufrecht“ zu aller Dank verwaltet haben, für den Rechtsanwalt Theodor Georgii in Eßlingen und den Dr. med. Ferdinand Götz in Lindenau bei Leipzig.
Die deutschen Turnfeste sind auf keinen Geringeren als den Turnmeister Friedrich Ludwig Jahn selbst zurückzuführen. Von dem Gedanken: „die Seele des Turnens ist das Volksleben und dieses gedeiht nur in Oeffentlichkeit, Luft und Licht“ ausgehend, machte er von Anbeginn das Turnen auch zu einer öffentlichen Angelegenheit. Schon 1814 hielt er, als Nachfeier [443] der Schlacht bei Leipzig, am 19. Oktober auf dem Turnplatz in der Hasenhaide bei Berlin ein großes Schauturnen ab. „Alle Stände waren unter den Zuschauern vertreten; aus sechs benachbarten Städten waren Abgesandte zugegen. Auf dem Platze selbst hielten sich der Kronprinz (späterer König Friedrich Wilhelm IV.) und viele Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses und andere hervorragende Persönlichkeiten auf. Rings um den Turnplatz stand das übrige Publikum in gedrängten Reihen, auch die benachbarten Bäume waren besetzt. Man schätzte die Menge auf zehntausend.“ Am 18. Oktober 1818 feierte Jahn das letzte Schauturnen in der Hasenhaide; im folgenden Jahre saß er in Haft, der Turnplatz war geschlossen!
Eine neue Zeit brach für das deutsche Turnen erst wieder an, nachdem durch die bekannte Kabinetsordre Friedrich Wilhelm’s IV. vom 6. Juni 1842 in Prenßen der Bann von dem Turnen genommen worden war. Es war dies in gewissem Sinne erlösend auch für das Turnen in den anderen deutschen Staaten, selbst in denen, in welchen dasselbe niemals verboten gewesen.
Es bildeten sich Turnvereine und wurden auch, besonders in Schwaben, Turnfeste gefeiert, es ward 1846 in Dresden der erste sächsische Turntag abgehalten. Der eigentliche Aufschwung des Vereinsturnlebens aber ist für alle Zeiten mit dem ersten „allgemeinen deutschen Turn- und Jugendfeste“ verknüpft, das, besonders durch Theodor Georgii zu Eßlingen und Karl Kallenberg zu Stuttgart angeregt, von etwa 1000 Turnern vom 16. bis 19. Juni 1860 in Koburg gefeiert wurde.
Die unter Georgii’s Vorsitze abgehaltene Turnerversammlung führte zu keinem besonderen Resultate, in verständiger Weise widerstand man aber dem Antrage auf Gründung eines deutschen Turnerbundes. Von der Politik hielt man seit 1860 das deutsche Turnen fern – sehr zu seinem Segen und fröhlichen Gedeihen!
Das fünfzigjährige Jubelfest der Begründung des Turnens durch Jahn (1811) führte die Turner im folgenden Jahre nach Berlin. Es wurde hier vom 10. bis 12. August ein Fest gefeiert, von dem der Berichterstatter der „National-Zeitung“ (Lothar Bucher) äußerte: „Wir haben in den Hauptstädten Europas viele Feste gesehen, nie ein ähnliches; nie haben wir von einem ähnlichen in diesen Zeiten gehört oder gelesen; nie, wir schreiben die Worte mit Bedacht, nie ist ein solches Fest gefeiert worden, seit Griechenland unterging. Nie seitdem sind diese materiellen Hilfsmittel und diese günstigen Momente vereinigt gewesen. Es war das Fest einer großen Stadt, das Fest der Bürgerschaft, die ihre Behörde entsandt, der Regierung, die durch den Minister des Innern vertreten war, der Einwohnerschaft, die, ein lebendiger Rahmen, das Ganze umgab; das Fest einer Bevölkerung, die sich selbst zu regieren, selbst Ordnung zu halten weiß, ein Fest froher, guter, strebender, sinniger Menschen, ein Fest körperlicher und geistiger Vervollkommnung, ein Fest der Humanität; ein Fest der Verbrüderung von mannigfach gearteten Stämmen, ein Fest des deutschen Volkes; ein Fest, das in demselben Augenblicke rings um die Erde gefeiert ward, wo Deutsche bei einander wohnen.“
So gewaltig war der Eindruck dieses Festes auf alle Theilnehmenden. Allerdings erhielt dasselbe eine besondere Weihe durch die feierliche Grundsteinlegung für ein Denkmal Jahn’s in der Hasenhaide. Das Turnen auf dem Festturnplatze zu Moabit leitete der vor zwei Jahren verstorbene, allen seinen Schülern, zu denen auch ich mich mit Stolz rechne, unvergeßliche H. O. Kluge. In Berlin tagten die Turner unter Dr. Eduard Angerstein’s Vorsitz. Wieder wurde der Antrag auf Gründung eines deutschen Turnerbundes abgelehnt; dagegen wählte man als Vertreter der deutschen Turnerschaft fünf Männer (Theodor Georgii, Dr. Götz, Dr. Eduard Angerstein, Dr. J. C. Lion aus Bremerhaven – jetzigen Direktor des städtischen Schulturnens in Leipzig – und Dr. Konrad Friedländer aus Elbing – jetzt Realschuldirektor zu Hamburg) mit dem Auftrage, sich auf 15 zu ergänzen.
Einen ungeahnten Aufschwung nahm nun das Vereinsturnen in jener Zeit. Die 224 Turnvereine des Jahres 1860 waren 1861 auf 506 gestiegen. 1862 gab es bereits 1279 Vereine mit 134507 Angehörigen in dem Alter über 14 Jahre, und die Zahl derselben ist so bis zum Jahre 1884 im Verbande der 1868 gegründeten „Deutschen Turnerschaft“ auf 2655 Vereine mit 243677 Angehörigen gestiegen!
Das Gedenkjahr der Schlacht bei Leipzig führte vom 2. bis 5. August 1863 die Turner zum dritten allgemeinen deutschen Turnfeste nach Leipzig. Ueber 20000 Theilnehmer zählte dieses Fest, wohl das gewaltigste, das in neuerer Zeit in Deutschland gefeiert worden ist. Unter Dr. J. C. Lion’s Leitung führten etwa 7000 Turner Freiübungen aus!
Damals, 1863, gingen die Wogen der Begeisterung für das Turnen wohl am höchsten. In den folgenden Jahren, besonders im Kriegsjahre 1866, blieb der Rückschlag nicht aus. Das 1866 für Nürnberg geplante vierte Turnfest gelangte nicht zur Ausführung.
Im Jahre 1870, beim Ausbruche des französischen Krieges, fanden sich die deutschen Turner zusammen in der allgemeinen Begeisterung für den Kampf gegen den Erbfeind des deutschen Volkes. Leider sind die statistischen Erhebungen über die Betheiligung der Vereinsturner an dem Kriege nicht ganz vollständig. Von 74595 Tnrnern aus 1038 Vereinen waren 14715 einberufen; 11060 standen im Felde, von denen 589 das eiserne Kreuz erhielten, 1159 verwundet wurden, 793 im Kampfe fielen oder in Folge von Verwundung oder an Krankheit starben. Außerdem waren 1010 Mann als freiwillige Krankenpfleger hinausgezogen und erwarben sich Lob und Anerkennung wegen ihrer unermüdlichen und aufopfernden Bemühungen um die Verwundeten und Erkrankten. –
Erst im Jahre 1872, vom 3. bis 6. August, wurde wieder ein Turnfest, das vierte allgemeine deutsche, zu Bonn abgehalten, That auch das ungünstige Wetter diesem Feste großen Abbruch, so gänzlich „ins Wasser gefallen“ war es doch nicht. Es ist vielmehr dieses Fest nach meinem Dafürhalten das bedeutsamste das bis dahin gefeiert worden war, und wohl hätte man Jahn und Arndt gönnen mögen, dasselbe noch erlebt zu haben. Was beide Männer so heiß erstrebt, wofür sie gekämpft und gelitten, – das war jetzt erfüllt! Jahn war es in den zwanziger Jahren als Verbrechen angerechnet worden, daß er die „höchst gefährliche Lehre von der Einheit Deutschlands aufgebracht“ habe; er war Derjenige, welcher bereits 1809 den Ausspruch that: „Deutschland, wenn es einig mit sich, als deutsches Gemeinwesen, seine ungeheuren, nie gebrauchten Kräfte entwickelt, kann einst der Begründer des ewigen Friedens in Europa, der Schutzengel der Menschheit sein.“
Im Jahre 1813, unter dem unmittelbaren Eindrucke des Riesenkampfes, verlangte er eine einheitliche Verfassung des gesammten Deutschlands und rief aus: „Wer die lang Getrennten einte, Sei als König uns gegrüßt.“ 1815 schrieb er in das Stammbuch der Wartburg: „Deutschland braucht einen Krieg auf eigene Faust, um sich in seinem Vermögen zu fühlen. Es braucht eine Fehde mit dem Franzosenthum, um sich in ganzer Fülle seiner Volksthümlichkeit zu entfalten. Diese Zeit wird nicht ausbleiben; denn ehe nicht ein Land die Wehen kriegt, kann kein Volk geboren werden.“
Immer wieder kam Jahn auf diesen Gedanken zurück. 1828 schrieb er: „Deutschlands Wehrkraft ist sehr groß, wenn alle seine Marken sammt und sonders in einer Landwehr begriffen sind und alle zugleich immerdar ihren Zuzug zum Heerbanner stellen. Deutschland hat noch in keinem Kriege seine Riesenkräfte entwickelt. Eine Kleinigkeit ist genug gewesen, bei rechtem Gebrauche unser Land zu schirmen. Ländergierige Nachbarn, zwingherrliche Störenfriede haben zu unserem Glücke von Zeit zu Zeit den faulen Friedenspfühl entrückt. Sicher und gewiß werden wir, durch des Auslandes erneuerte Fehden gestärkt und gereinigt, in weiser Bundesverfassung einen Hort gewinnen, dann die Mittlerschaft allmählich erwerben, uns durch innigen Verein die leibliche, sittliche und geistige Wehrschaft bewahren.“
1833 verspricht Jahn den Nachbarn „jenseit des Wasgaues und der Argonnen“ treu-freundliche Nachbarschaft. „Sollte aber der Geist der Eroberung und die Sucht zur Ueberziehung wieder aufleben, die Franzosen das linke Rheinufer begehren, so sei unser Feldgeschrei: Deutsch-Lothringen und Elsaß!“
Der eigentliche Vorfechter Deutschlands war für Jahn schon 1809 Preußen und das Geschlecht der Hohenzollern. „Das wohlgerüstete Schiff des geeinten Deutschlands aber,“ meinte Jahn, „muß einen Steurer haben, der, vertraut mit der Fahrt, alle Klippen, Riffe, Bänke und Strudel kennt, jeglicher Gefahr zu begegnen weiß und alle Mittel zur Abwendung nützt.“
Die Hoffnung auf Deutschlands Einigung führte Jahn 1848 in die deutsche National-Versammlung nach Frankfurt. Seine letzte Schrift, die „Schwanenrede“, geschrieben 1848, endet mit den bekannten Worten: „Deutschlands Einheit war der Traum [444] meines erwachenden Lebens, das Morgenroth meiner Jugend, der Sonnenschein der Manneskraft und ist jetzt der Abendstern, der mir zur ewigen Ruhe winkt.“
Diese Liebe zum deutschen Vaterlande, diese Sehnsucht nach seiner Einigung, nach Kaiser und Reich hinterließ Jahn als theures Vermächtniß seinen Turnern. Und zum ersten Mal war es ihnen zu Bonn vergönnt, ein deutsches Turnfest im geeinten Deutschland zu feiern! Als der Vorsitzende des Bonner Festausschusses, Dr. Bleibtreu, seine Begrüßungsrede in der Beethoven-Halle mit den Worten schloß: „Darum, Brüder von nah und fern, vereinigen wir uns in dem Rufe: ‚der deutsche Kaiser, Kaiser Wilhelm, er lebe hoch, hoch, hoch!‘“ da durchbrauste schmetternder Jubel den gewaltigen Raum. Immer wieder aufs Neue erschallte das Hoch. Und alle Anwesenden stimmten in vollster Begeisterung mit ein. Es war eine Huldigung des gesammten deutschen Volkes, aller deutschen Stämme, hier in den blühendsten, kräftigsten Jünglingen vertreten, nicht bloß des engeren deutschen Vaterlandes, sondern des gesammten Deutschthums, der deutschen Oesterreicher, der Schweizer, der im Auslande, in Amerika lebenden Deutschen – eine Huldigung, wie sie sonst in der Ausdehnung nie und nirgends dem deutschen Kaiser dargebracht werden kann. –
Eine nicht geringe Zahl der Festgenossen begab sich von Bonn nach Berlin, um der Enthüllung des Jahn-Denkmals, am 10. und 11. August, beizuwohnen.
Da die großen deutschen Turnfeste alle fünf Jahre gefeiert werden sollten, so hatte man das Jahr 1878 – zugleich das hundertjährige Geburtsjahr Jahn’s – als nächstes Festjahr und für das Fest die Stadt Breslau bestimmt. Es kam wegen der Zeitverhältnisse nicht zu Stande. Um so besuchter war dann aber das fünfte allgemeine deutsche Turnfest zu Frankfurt am Main vom 25. bis 28. Juli 1880. Gegen 10000 Turner waren erschienen und fanden Aufnahme in der gastlichen Stadt, die sich zu Ehren des Festes bis in die kleinsten Straßen hinein in den reichsten Fahnenschmuck gehüllt hatte.
Anfangs, so erschien es mir wenigstens, hielt sich der vornehmere und reichere Theil der Einwohnerschaft etwas zurück. Alle hatten zwar in Ausschmückung der Häuser und der Gewährung der Mittel voll ihre Schuldigkeit gethan, manche aber waren vielleicht der Meinung, es seien die fremden Turner, wenn auch nicht alle, doch zu allermeist den weniger gebildeten Ständen angehörig, und man glaubte, in keine näheren Beziehungen zu denselben gelangen zu können. Der imposante Festzug, die vortreffliche Ordnung in demselben, die vielen Vereinsmitglieder, welche, aus höheren Lebensstellungen, in derselben Tracht, äußerlich durch Nichts unterschieden, in Reih und Glied mit marschirten, belehrten die Frankfurter sehr bald eines Besseren, und man konnte mit Genugthuung beobachten, wie sie wärmer und herzlicher wurden und die anfängliche Neugierde im Verlaufe des Festes der lebendigsten Theilnahme, auch für den turnerischen Theil, wich. Die von dem Turninspektor Danneberg geleiteten Freiübungen, das Turnen der Musterriegen, besonders die volksthümlichen Wettübungen verfolgten sie mit einer fast leidenschaftlichen Theilnahme.
Auch hier galt beim Bankett in der Festhalle der erste Trinkspruch selbstverständlich dem Kaiser. Ein nach Gastein gesandtes Begrüßungstelegramm wurde von Kaiser Wilhelm mit folgenden Worten erwidert:
„Oberbürgermeister Miquel, Frankfurt a. M. Wilhelm.“
Leider schloß das sonst so schön verlaufene Fest mit einem schweren Unglücksfall, in Folge einer Explosion von Feuerwerkskörpern. –
Abermals sind fünf Jahre vergangen, und es steht das sechste allgemeine deutsche Turnfest zu Dresden bevor.
Die Frage nach der inneren Berechtigung und Bedeutung solcher Feste braucht man kaum mehr zu beantworten. Die kürzeste und schlagendste Anwort enthält die Kaiserliche Depesche.
Jahn äußert in seinem „Deutschen Volksthum“ 1810: „Festlichkeiten, Feierlichkeiten und Gebräuche sind als unzertrennliche Gefährten des gesellschaftlichen Seins auf der Erde verbreitet, so weit Menschen verkehren. Sie schließen sich den wichtigsten Handlungen an, gesellen sich zur Freude und Trauer, ja durchschlingen das ganze Leben. Sie sind ein Bedürfniß des Menschen, der das Geistige an einem vermittelnden Sinnbilde reiner erkennt, das Uebersinnliche in einer sinnlichen Vergegenwärtigung sich tiefer ins Herz prägt. Festlichkeit ist Erheben über das gemeine Leben, Herauskommen aus der Alltäglichkeit, Entfesselung des Geistes von leiblichen Unterdrückungen, Abspannung des Körpers von der Frohnarbeit, Befreiung des Herzens von Daseinssorgen, Versuch, die Daseinsbürden abzulasten: überhaupt ein Erholungsleben, wo der Mensch doch einmal der Gegenwart froh wird, ohne ängstliches Horchen und Zählen der Uhr, die ohne Rast zum Nothwerk abruft. Frei steht der Mensch dann als ein Wesen, das auf Freude ein öffentliches unveräußerliches Recht hat. – Volksfeste müssen das gesellschaftliche Leben veredeln, höhere Genüsse geben, als zu denen der Mensch sonst gewöhnlich seine Zuflucht nimmt, weil er nicht bessere kennt. – Der Gegenstand der Volksfeste muß volksthümlich sein. Nicht jeder Staat kann nach Belieben Volksfeste anordnen, ohne sich lächerlich zu machen. Wo Volksfeste gefeiert werden sollen, muß schon vorher ein Volk sein.“ –
Wie Jahn sich die Gestaltung der Turnfeste denkt, deutet er in seiner „Deutschen Turnkunst“ 1816 an. „Wenn die gesammte (deutsche) Jugend erst eingeturnt ist, so wandern die Turnfertigsten aus dem kleineren Ort in den größeren, von dort am folgenden großen Turntage die Preiserringer zur Gaustadt, und so an jedem kommenden Feste immer weiter zur Mark- und Landesstadt, bis sich endlich die besten Turner des ganzen Volkes am großen Hauptfest in der Hauptstadt treffen.“
So haben sich unsere Turnfeste nun nicht entwickelt, und wir brauchen es wahrlich nicht zu beklagen. Ich bin auch überzeugt, Jahn müßte, wenn es ihm vergönnt wäre, eins unserer jetzigen Turnfeste zu erschauen, seine helle Freude daran haben! Selbst der kampfgewohnte Grieche aus alter Zeit würde es nicht verschmähen, in den Wettspielen unserer Tage um den Siegerpreis zu ringen wie einst zu Olympia um die höchsten Ehren.