Deutsche Tintenfabrikation
Nr. 15. Deutsche Tintenfabrikation.
Die Zeit ist noch nicht so fern, wo die Tintenbereitung in Deutschland in der ureinfachsten Weise betrieben wurde. Ja, noch heute giebt es hier und dort speculative Köpfe, welche nach einem vom Großvater geerbten Recept für ihren Hausbedarf und wohl auch für die nächste Umgebung eine blaßschwarze Flüssigkeit, sogenannte Tinte fabriciren. Dem Werthe dieses Fabrikats entspricht der zu seiner Herstellung benutzte Apparat – ein in irgend einem Winkel stehendes, mehr oder weniger schadhaftes Gefäß, in welchem seiner Zeit Galläpfel, Vitriol u. dergl. m. mit Wasser angerührt wurden und dessen Inhalt eine mächtige Schimmeldecke zeigt. Solchem Behälter entstammte auch die Flüssigkeit, die vor zwanzig Jahren den Tintenbedarf des von mir besuchten königlich preußischen Gymnasiums deckte, eine graue Tinctur, die nur den einen Vorzug hatte, daß der Lehrer auf den ersten Blick ersehen konnte, ob die Schüler ihre Arbeiten mit guter Tinte zu Hause oder in aller Eile während der Pause auf der Schulbank mit „Schultinte“ angefertigt hatten. Ich werde diese von der ehrwürdigen Gemahlin unseres nunmehr selig ruhenden Castellans fabricirte Tinte mein Leben lang nicht vergessen; denn sie hat mir zu gutem Theil zu der biconcaven Brille verholfen, die jetzt meine unzertrennliche Begleiterin in des Lebens Mühsalen und Freuden bildet. Wie mir ist es wohl Hunderten und Tausenden ergangen, und man darf sicher annehmen, daß den erschreckend großen Procentsatz an Kurzsichtigen der deutschen Nation nicht allein die Ueberbürdung mit Schulaufgaben, sondern auch jene „von des Gedankens Blässe angekränkelte“, der Hausindustrie entstammende Tinte verschuldet hat.
Der Unzulänglichkeit der alten deutschen Tinten-Recepte hatten wir es auch zu verdanken, daß noch kaum vor wenigen Jahrzehnten englische und französische Tinten den Weltmarkt beherrschten und in Deutschland selbst einen sehr großen Absatz fanden. Das war kein erfreuliches Industriebild in dem Lande der Dichter und Denker, welches unter den Consumenten der schwarzen Flüssigkeit obenan steht.
Bald jedoch trat eine Wendung zum Besseren ein. Muthig und lebensfroh raffte sich die deutsche Industrie auf und suchte auch auf diesem Gebiete ihre Gegner zu verdrängen; sie wurde darin besonders unterstützt durch die hohe Entwickelung der Chemie in unserm Vaterlande – heute sind wir schon in der Lage, mit vortrefflicher deutscher Tinte über Siege der deutschen Tinte zu schreiben.
Zunächst wurde das mit seinem Handel die ganze Welt beherrschende England auf’s Haupt geschlagen. Gegenwärtig sind die englischen Tinten von den deutschen Fabrikaten weit überflügelt und von dem deutschen Boden fast gänzlich verdrängt worden; denn im Jahre 1880 wurden beispielsweise bei uns nur noch 45 Doppelcentner englischer Tinten in einem Gesammtwerth von 1260 Mark eingeführt. Dann gelang es unsern Landsleuten, auch Frankreich in die Enge zu treiben, und wenn vor zwei Jahren unsere Nachbarn jenseits der Vogesen bei uns noch 1191 Doppelcentner Tinten für 33,348 Mark absetzten, so haben sie diesen Erfolg nicht etwa einer besseren Beschaffenheit ihrer Waare, sondern lediglich der eleganten Packung und Etiquettirung derselben zu verdanken. Dabei muß der deutsche Fabrikant unter den ungünstigsten Bedingungen mit dem französischen concurriren; denn Frankreich erhebt von den deutschen Tinten den sehr hohen Zoll von 16 Franken pro 100 Kilogramm, wogegen an der deutschen Grenze für dasselbe Quantum nur 3 Mark an Zollgebühren zu entrichten sind. Dabei wuchert in deutschen Köpfen noch gar üppig das blinde Vorurtheil, daß alles, was aus Frankreich und vor Allem aus Paris kommt, besser sein müsse, als das, was in Deutschland fabricirt wird, und leider ist es Thatsache, daß, während die bedeutendsten deutschen Tintenfirmen im Auslande höchst erfolgreich mit den Franzosen concurriren, sie gerade in Deutschland selbst mit diesen Concurrenten den härtesten Kampf zu bestehen haben.
Aber die kampflustige junge Tintenindustrie Deutschlands schrak vor allen diesen Schranken nicht zurück; sie begnügte sich nicht mit den auf heimathlichem Markte errungenen Vortheilen; sie warf vielmehr ihre Producte auch auf den großen bisher ihr verschlossen gebliebenen Weltmarkt, und auch hier wußte sie festen Fuß zu fassen und in den skandinavischen Staaten, in Rußland, in Südamerika und in Ostindien deutsche Tinte zu Ehren zu bringen. Wir führten bereits im Jahre 1880 gegen 2800 Doppelcentner Tinte und Tintenpulver in einem Gesammtwerthe von etwa 90,000 Mark aus. Das ist ein vielversprechender Anfang.
Aber die Lorbeerkränze, die goldenen Medaillen und die Ehrendiplome, mit welchen die deutschen Tintenfabrikanten auf den jüngsten Weltausstellungen ausgezeichnet wurden, waren nicht so leicht zu erringen, wie man noch allgemein zu glauben geneigt ist. Nur durch eine gewaltige Summe redlicher und unermüdlicher Arbeit wurde der gute Ruf dieser deutschen Fabrikate auf dem Weltmärkte begründet; denn der moderne Tintenfabrikant muß in den schwierigsten Capiteln der Farbenchemie durchaus sattelfest sein; er muß fortwährend weiter studiren und mit der Zeit vorwärts schreiten; er muß die Forschungsresultate der gelehrten Theoretiker auf ihre Verwendbarkeit in der Praxis prüfen, um nach einer langen Reihe von Versuchen zum Ziele zu gelangen und eine haltbare, leicht flüssige und farbenschöne Tinte herzustellen.
Es ist daher wohl die Pflicht eines Volksblattes, wie die „Gartenlaube“, solcher Errungenschaften des deutschen Fleißes ehrend zu gedenken und vor den Augen seiner Leser ein Bild der modernen deutschen Tintenfabrikation zu entrollen. Nur zu rasch sind wir Menschen von heute ja mit dem Tadel bei der Hand, wenn wir irgendeinen Fehler an dem so mühevoll hergestellten Präparate entdecken, vielleicht werden wir gegen den Tintenchemiker gerechter sein, wenn wir den Umfang und das innere Getriebe seiner Arbeit überschauen.
Zu diesem Zwecke hat sich der Verfasser dieses Artikels im Auftrage der „Gartenlaube“ bei einem Tintenchemiker eingeladen, der unter den auf diesem Gebiete Vorwärtsstrebenden in erster Linie genannt werden muß und der schon vor einer Reihe von Jahren ein heute nicht nur in Deutschland, sondern auch im Auslande in seiner Art einzig dastehendes Etablissement gründete. Wohl den meisten unserer Leser ist durch eine wohlrenommirte Fabrikmarke, die auf zahllosen Tintenflaschen und -fläschchen zu finden ist, der Name Eduard Beyer’s in Chemnitz bekannt.
Schon auf dem Bahnhofe jener sächsischen Fabrikstadt wurden wir von dem liebenswürdigen Herrn, der deutsche Tinte nach Wladiwostok in Sibirien und nach Peru, nach Tromsoe im hohen Norden und nach Melbourne im Süden Australiens verkauft, begrüßt [732] und fuhren mit ihm nach seiner Fabrik, die, am westlichen Ende der Stadt gelegen, aus einem freundlichen Waldpark hervorblickt. Wir wollen unsere Leser mit der Beschreibung der verhältnißmäßig sehr umfangreichen Haupt- und Nebengebäude derselben verschonen. Erst der Einblick in das innere Getriebe derselben – es werden von hier alljährlich viele Millionen Flaschen in alle Weltgegenden versandt – läßt uns ihre wahre Bedeutung erkennen, und nur von diesem wollen wir daher hier reden.
Sehen wir uns zunächst die Rohstoffe, aus denen hier die schwarze Flüssigkeit gebraut wird, etwas genauer an!
Der erste Rohstoff, der uns vorgeführt wird, bietet dem Laien wenig Interesse; denn er ist reines Wasser. Für den Tintenfabrikanten aber muß er wohl von besonderer Wichtigkeit sein; denn in die mächtigen Wasserreservoirs der Beyer’schen Fabrik wird dieses gewöhnliche Naß durch Pumpen theils aus den sehr ergiebigen, eigens zu diesem Zwecke gefaßten Quellen des nahe gelegenen Buchenwaldes, theils aus einem in den Felsen gebohrten tiefen Brunnen befördert, je nachdem hartes oder weiches Wasser gebraucht wird.
Auch der zweite Rohstoff ist uns von der Schulbank her zur Genüge bekannt, und unwillkürlich denken wir bei seiner Betrachtung: „Was in aller Welt sollen wir über das bekannte Ding berichten? Ein solcher Gallapfel an einem Eichenblätt wird höchstens als Initialranke für unsern ,Gartenlauben‘-Artikel geeignet sein.“ Geringschätzend möchten wir an diesem Erzeugnisse der Gallwespe vorübergehen, aber wir zögern doch; denn unser Begleiter erzählt uns von ihm höchst interessante Geschichten. Die Haufen, die da vor uns liegen, entstammen keineswegs unseren heimischen Wäldern; sie sind vielmehr von weither nach Deutschland gebracht worden, da sie an Gerbsäuregehalt unsere heimischen Galläpfel bedeutend übertreffen. Neben den für die geringeren Sorten von Tinten bestimmten, aus dem Süden Amerikas und Centralafrika importirten Galläpfelsurrogaten zeigt uns unser Begleiter die vorzüglichen asiatischen Sorten, die mosulischen, welche aus der Handelsstadt Mosul am Tigris stammen, und die bekannteren aus Aleppo, die man in langen schmalen Ballen versendet; er berichtet uns auch von Galläpfeln, die man auf den Märkten von Smyrna und Tripoli feilbietet, und von den Marmoringalläpfeln, welche apulischen Gallwespen ihren Ursprung verdanken. Mit größerem Interesse blicken wir nun auf den letzten, einen ungarischen, Galläpfelhaufen, und über Länder und Meere schweifen unsere Gedanken, von dem rastlosen Strome des Welthandels ergriffen, dessen Wogen auch an die Schwelle dieser Fabrik schlagen.
Wir setzen unsere Wanderung fort, um alsbald vor Scheiten röthlich gefärbten Holzes Halt zu machen. Das ist der dritte für die Tintenfabrikation sehr wichtige Rohstoff, das Blauholz, welches in Centralamerika heimisch ist. Man nennt es auch westindisches Blutholz, und der Baum, aus dessen Stamme es gewonnen wurde, führt in der Wissenschaft den Namen Haematoxylon campechianum. (Ein Zweig desselben schmückt das Initial dieses Artikels.) Die Zellen dieses Holzes enthalten einen Farbstoff, das Haematoxylin, welches die wunderbarsten Eigenschaften besitzt: Mit Kali und Ammoniak bildet es Lösungen, die sich an der Luft sehr schnell purpurroth, blau oder prachtvoll violett, bei längerem Stehen aber fast schwarz färben und die mit Metalloxyden (besonders mit Thonerde, Bleioxyd, Kupferoxyd, Eisenoxyd etc.) theils prachtvoll gefärbte Flüssigkeiten, theils farbige Niederschläge gäben. Dieses Farbstoffs wegen ist das Blauholz nicht nur für den Tintenchemiker von besonderem Werthe, sondern wird auch in den größten Quantitäten zum Färben der durch verschiedene Beizen getränkten Woll-, Seiden- und Baumwollstoffe [733] und des Leders benutzt. Der nicht unbedeutende Gehalt des Holzes an Gerbstoffen gab in früheren Zeiten manchem Arzte Veranlassung, es auch in Krankheiten als Heilmittel anzuwenden.
Man unterscheidet im Handel hauptsächlich vier Sorten Blauhölzer: 1) das Mexikanische oder Laguna-Campecheholz, welches das beste, das heißt das hämatoxylinreichste ist, 2) das Honduras-, 3) das Jamaika- und 4) das Domingo-Campecheholz. Der Verbrauch des Blauholzes ist ein ganz bedeutender und steigert sich trotz der Concurrenz der Anilinfarben immer noch. Leider scheint aber der Zeitpunkt nicht mehr fern zu sein, an welchem der Bedarf in Folge der großen Verwüstung der Wälder bei der gegenwärtigen Gewinnungsmethode nicht mehr wird gedeckt werden können. Die Chemie wird daher bald auf Ersatz dieses wunderbaren in dem Blauholze enthaltenen Farbstoffes bedacht sein müssen.
Ursprünglich kannte man nur das Blauholz aus der Campechebai, und der Handel mit demselben lag fast ausschließlich in englischen Händen. Die vielfachen Streitigkeiten, welche in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts beim Fällen der Bäume zwischen den Engländern und den damaligen Besitzern des Landes, den Spaniern, zu entstehen pflegten, veranlaßten D. Barham, im Jahre 1716 Samen des Campechebaumes auf Jamaika auszustreuen, wo er sich so acclimatisirte, daß bald große Länderstrecken von ihm bedeckt wurden.
Wir sehen also, die Alte und die Neue Welt geben ihre Producte zur Anfertigung unserer Tinten her; ein wunderbarer Kreislauf der Stoffe offenbart sich unserem inneren Auge: denkt wohl der amerikanische Arbeiter, der die einzelnen Scheite des Blauholzes im tropischen Urwalde auf Maulesel verladet (vergl. unsere Abbildung S. 732) auch einmal daran, daß aus diesen Scheiten vielleicht Tinte gewonnen wird, mit welcher einst die Mächtigen der Erde Kriegserklärungen oder Friedensschlüsse zeichnen werden?
Und nun die Menge anderer zur Tintenfabrikation nothwendiger chemischer Substanzen, die stattliche Zahl der verschiedenartigsten Chemikalien, deren nähere Beschreibung uns der knapp zugemessene Raum verbietet – alles das belehrt uns, daß wir es hier mit einer Großindustrie in des Wortes vollster Bedeutung zu thun haben. Staunend betrachten wir jetzt den Inhalt der kleinen Tintenflasche; wir haben kaum geahnt, daß die Atome, aus welchen er zusammengesetzt ist, so weit hergereiste Herrschaften sind.
Doch die Zeit drängt; wir müssen die Fabrik selbst in Augenschein nehmen. Dumpfe, schnarrende Töne schallen uns aus einem Gemach entgegen, an welchem wir gerade vorübergehen; wir betreten dasselbe und sehen, wie durch die Raspeln, breite mit Messern besetzte Scheiben, die eine Dampfmaschine treibt, das eisenharte Blauholz in gröbliches Pulver zerschnitten wird. Die hier gewonnene, groben Sägespänen nicht unähnliche Masse wird in besonderen Räumen mit Leimlösung begossen und unter einer bestimmten Temperatur einer mehrwöchentlichen Gährung unterworfen. Erst nachdem das Blauholz diesen Proceß durchgemacht hat, kann man demselben den Farbstoff entziehen.
Um diesen Vorgang aber kennen zu lernen, betreten wir jetzt die interessanteste Abtheilung der Beyer’schen Fabrik, die große Halle, in welcher die Extractoren und die Vacuumapparate aufgestellt sind. Links auf unserm obenstehenden Bilde erblicken wir zunächst die aus starkem geschmiedetem Kupfer hergestellten Extractionsapparate, in welchen die Galläpfel, Farbhölzer und andere Rohmaterialien durch Dämpfe unter einem hohen Atmosphärendruck ausgesogen werden. Zur rechten Seite auf unserer Abbildung sind dagegen die Vacuumapparate, große, kugelförmige, gleichfalls aus Kupfer geschmiedete Gefäße, dargestellt. In ihnen werden Lösungen solcher Farbstoffe, die bei höherer Temperatur, wie z. B. bei der [734] des kochenden Wassers, einer Zersetzung unterliegen, bei niedriger Temperatur und im luftleeren Raume bis zu dem gewünschten Grade concentrirt. Zu diesem Zwecke stehen die Vacuumapparate mit Luftpumpen in Verbindung. Durch kleine, in ihrer Wand angebrachte Glasfenster können wir uns jeden Augenblick davon überzeugen, daß ihr Inhalt, eine röthlich violette Flüssigkeit, wirklich kocht und brodelt, aber unter einem so geringen Wärmegrade, daß wir die Hand getrost an die Wand des Apparates legen können, ohne uns irgendwie zu verbrennen.
Das Princip, auf welchem die Thätigkeit dieser Apparate beruht, ist ein altbekanntes. Jeder weiß ja, daß schon die Wärme der geschlossenen Hand genügt, um Weingeist im luftleeren Raume sieden zu lassen; wir brauchen unsere Leser kaum an die mit rother Flüssigkeit gefüllten Glaskugeln, an die sogenannten „Temperamentmesser“ und „Liebesthermometer“ zu erinnern.
Die Handhabung, das Füllen und Ausleeren aller dieser Apparate ist durch die Maschinerie so leicht zu bewerkstelligen, daß wenige Menschenhände genügen, um den großen Saal in vollem Betriebe zu erhalten.
Aus allen diesen Kesseln verschiedenster Größe wird nun die gewonnene, der fertigen Tinte sehr nahe kommende Flüssigkeit in die Bottiche geleitet, die in den umfangreichen Kellereien der Fabrik (vergl. die nebenstehende Abbildung) aufgestellt sind. Der Anblick dieser Masse von Tinten, die hier gleich dem edlen Moste in dunklem Keller ihrer Klärung entgegengeht, läßt uns auf ein Weilchen vergessen, daß wir uns in der Schreibtintenfabrik befinden, und unwillkürlich an eine andere „rothe Tinte“ denken.
Von hier steigen wir auf einem Fahrstuhl wieder in höhere und lichtere Regionen. Unser Gang führt uns in das chemische Laboratorium, den geistigen Mittelpunkt der ganzen Fabrik, über dessen Bedeutung wir schon im Eingang dieses Artikels gesprochen haben. Nun geht es treppauf, treppab durch die verschiedenartigsten Räumlichkeiten, als da sind: Füllsaal, Packraum, Flaschenboden, Zusammenstellraum, Comptoir u. dergl. m. Wir ersparen uns die nähere Beschreibung dieser in jeder großen Fabrik vorhandenen Räume. Wenn der Leser seine Phantasie ein wenig anstrengen will, so wird er sich schon ein Bild des hier sich entwickelnden Treibens selbst construiren können. Er denke sich nur eine Unzahl von leeren und vollen Flaschen, die durch fleißige Hände gefüllt, etiquettirt und geordnet werden. Das giebt ein buntes Bild.
Nur Folgendes möchten wir besonders hervorheben: Der große Absatz der Beyer’schen Tinte wurde, abgesehen von der Güte der Waare selbst, durch die gute Packung und die geschmackvolle Ausstattung des Fabrikates errungen, zwei Umstände, die leider auch in anderen Industriezweigen in Deutschland nicht genügend beachtet werden und deren unverantwortliche Vernachlässigung so manchen guten deutschen Handelsartikel auf dem Weltmarkte zu Grunde gehen ließ.
Ehe wir diese Musteranstalt verlassen, müssen wir noch ihrer Geschichte gedenken, und wir geben zu diesem Zwecke dem Schöpfer und Leiter derselben das Wort:
„Als ich am 1. November 1856 die käuflich erworbene Löwenapotheke in Chemnitz übernahm,“ schrieb Herr Eduard Beyer vor zwei Jahren gelegentlich seines fünfundzwanzigjährigen Geschäftsjubiläums, „da verband ich gleichzeitig mit meiner Thätigkeit als Apotheker die Darstellung einer Tinte, welche zu dem in den fünfziger Jahren zu allgemeiner Anwendung gelangten Copirverfahren unerläßlich nöthig war, die aber bis dahin meist für schweres Geld von England und Frankreich bezogen werden mußte. Die Frucht vieler Vergleichs- und Verbesserungsversuche war eine Tinte, die in angenehm röthlicher Farbe aus der Feder floß, bald in Schwarzblau überging und eine dunkel veilchenblaue Copie lieferte, während die Originalschrift in ein tiefes Schwarzblau überging. Sie führte den so überaus gerechtfertigten und trotzdem mannigfach belächelten Namen ‚Chemnitzer veilchenblauschwarze Copirtinte‘ und mit ihrem Vertrieb wurde die hochangesehene Papier- und Schreibwaarenhandlung von Robert Winckler, die älteste in Chemnitz, betraut. Schnell erwarb sich die Tinte einen guten Ruf, welcher rasch die Grenzen von Chemnitz überschritt. Bald reichten die ersten, höchst primitiven Fabrikationsmittel, nur bestehend in einem großen Waschkessel und einigen Fässern, nicht mehr aus, und die Gründung einer besonderen Fabrik war schon im Anfang der sechsziger Jahre ein unabweisbares Bedürfniß. Im Jahre 1863 wurde in einem stattlichen, mit Dampfbetrieb und anderen reichen Hülfsmitteln ausgestatteten Gebäude die Fabrikation fortgesetzt und unaufhörlich erweitert. War im Jahre 1856 mit einer Tintensorte und einem Kunden begonnen worden, so wurde im Laufe der Jahre die Fabrikation von circa achtzig verschiedenen Sorten Thatsache; bei vielen tausend Kunden fanden dieselben freundliche Aufnahme und raschen Vertrieb, und heute giebt ein in jeder Hinsicht stattlicher Katalog beredtes Zeugniß von den erreichten Erfolgen, und seine Nummern finden, in den mannigfachsten Packungen, etiquettirt in fast allen Sprachen der Culturvölker, in ganz unglaublichen Mengen ihren Weg in alle Theile unseres Erdenrundes.“
Mit diesen Worten des bewährten Vorkämpfers der deutschen Tintenindustrie beschließen wir die Schilderung dieser Fabrik. Wir hoffen fest, daß sowohl er selbst wie auch andere deutsche Tintenfabrikanten in ihren Anstrengungen nicht erlahmen und ihr hohes Ziel, die endgültige Eroberung des Weltmarktes, zu Nutz und Frommen Deutschlands erreichen werden. An unsere Landsleute im Auslande möchten wir aber am Schluß die Bitte richten, auch ihrerseits für die deutsche Tinte einzutreten und nach Kräften dem deutschen Fleiße und der vorzüglichen deutschen Waare in fernen Ländern die Wege zu ebnen.