Deutsche Landsleute in Italien
[704] Deutsche Landsleute in Italien. Ich hatte eben den wunderbar herrlichen Dom Siena’s zum zweiten Male durchwandert und mich an dem Bauwerk und seiner unglaublich reichen Ausschmückung im Innern so satt und müde gesehen, wie man es nach stundenlangem Betrachten von Bildern und Sculpturen immer wird. Ich sehnte mich nach frischer Luft und „etwas Grün der Bäume“. Langsam schlenderte ich der Lizza zu, dem baumbepflanzten, statuengeschmückten Spaziergange Siena’s. Die Hauptallee führte mich auf den Eingang zu der ehemaligen kleinen Festung, deren veränderte Bestimmung eine hübsche Inschrift rechts davon an einer triumphbogenartigen Wand folgendermaßen in italienischer Sprache angibt: „Diese von Cosmus von Medici im Jahre 1561 zur Sicherung der Herrschaft erbaute Burg hat Peter Leopold von Oesterreich im Jahre 1778, nachdem er die Treue der Sieneser wahrgenommen, dem öffentlichen Vergnügen bestimmt.“
Unter Betrachtungen über die fides Senensium betrat ich den inneren Raum der Citadelle, der jetzt von Baumgängen und Gartenanlagen eingenommen ist. Plötzlich fesselte ein Mann in einer Uniform, wie ich sie bis dahin in Italien noch nicht gesehen hatte, meinen Blick. „Rothe Hosen!“ dachte ich, „das muß ein Franzose sein! Aber wie kommt der hierher? Die französischen Hülfstruppen vom vorigen Jahre sind ja längst wieder zurückmarschirt. Hat man ihn etwa vergessen, wie jene unabgelöst gebliebene Schildwache in der Anekdote?“ – Ich sah mich um und erblickte zwischen dem Grün der Büsche noch mehr der rothen Hosen. In dem Augenblick gingen zwei Spaziergänger an mir vorüber, aus deren Gespräch ich die Wörter Roma und desertori auffing. – „Aha!“ dachte ich, „die sind also von jenen französischen Soldaten, in denen endlich das Bewußtsein von der schmählichen Rolle erwacht ist, die Louis Napoleon sie in Rom als Beschützer jenes mittelalterlichen Popanzes, Papstthum genannt, spielen läßt!“ Damit ging ich auf den nächsten der Rothhosen zu.
„Vous ètiez soldat francais, Monsieur?“ fragte ich.
„Entschuldigen Sie,“ war die zu meinem Erstaunen in deutscher Sprache gegebene Antwort, „aber französisch spreche ich nicht, ich bin ein Daitscher!“
„Aber, zum Teufel!“ fragte ich nicht wenig verblüfft, „was ist denn das für eine Uniform, die Sie da tragen? das ist doch eine französische!“
„Entschuldigen Sie, sie ist vom zweiten päpstlichen Fremdenregiment, Härr, mer seind von Perutsche[1] däsärtirt.“
Jetzt war mir Alles klar, und ich konnte mich nicht genug wundern, daß ich diese Erklärung des Vorhandenseins rother Hosen in Siena nicht selbst gefunden hatte. Und siehe, aus allen Alleen rings umher kamen sie heran, Einer nach dem Andern, auch Leute in dunkelblauen Hosen, und sie grüßten verlegen in allen Mundarten, die in Firmenich’s „Völkerstimmen Germaniens“ vertreten sind, und schließlich waren es ihrer sechszehn deutsche Landsleute, die mich umringten, und wir bildeten hier, so weit von Frankfurt, Erfurt, Olmütz und Coburg-Gotha, und ohne Genehmigung des verehrlichen Vorstandes des deutschen National-Vereins ein kleines einiges Deutschland.
Interessant waren die Ergebnisse meiner Forschungen über die näheren Heimathsverhältnisse dieser deutschen Brüder. Von den 16 ungetreuen Paladinen Sr. Heiligkeit waren die verhältnißmäßig meisten, nämlich vier, aus dem unglücklichsten deutschen Lande, dem die neue preußische Aera trotz ihrer schönen Worte in vollen zwei Jahren noch nicht zum alten guten Rechte von 1831 hat verhelfen können. Drei Repräsentanten zählte das andere Hessen, die übrigen kamen aus Baden, Württemberg, Baiern, Sachsen etc. Nur ein einziger Preuße war darunter, ein hübsch aussehender, nicht ganz ungebildeter Mensch aus dem Magdeburgischen, aber auch durch diesen Einzigen bewährte Preußen sein „legitimes Uebergewicht“ in Deutschland: er nahm sofort das Wort und führte die Unterhaltung mit mir ganz allein, nur hier und da durch eine Zustimmung oder Ergänzung seitens der Mittel- und Kleinstaaten unterbrochen.
Unter den mannigfachen Enthüllungen, die mir zu Theil wurden, überraschte mich eine außerordentlich.
„Sie sind doch Katholiken?“ warf ich beiläufig, wie als ob das „Ja“ sich von selbst verstände, die Frage hin. Nicht ein Einziger von den Sechszehn war es!
„Aber mein Gott, was hat Sie dann aber bewogen, sich dem Papste zu verkaufen?“
Da waren es denn die Noth, die Werber, das Handgeld gewesen! Als Handwerksburschen sich in der Fremde umhertreibend, ohne Arbeit und ohne Geld, waren sie in das Garn der päpstlichen Agenten, die mit dem Köder von Versprechungen nicht karg gewesen waren, gerathen.
„Ja,“ sagte einer der Süddeutschen, „wenn man uns nur Wort gehalten hätte! Mir haben sie in Marseille 108 Franken Handgeld versprochen, und im Ganzen habe ich 85 Bajocch’[2] „gefaßt“. Das Uebrige haben sie mir für die Reise, die Kost und die Ausrüstung abgezogen.“
Dümmer konnte man doch diese letzten Retter der sinkenden Hierarchie nicht behandeln! Was mir von dem zum Theil höchst elenden Zustande der päpstlichen Armee, dem Mangel an brauchbaren Officieren, der lockern Disciplin, der tiefen Verstimmung vieler der Angeworbenen, dem lächerlichen Babylonismus des Commando’s – es ward in drei Sprachen, italienisch, französisch und deutsch, commandirt – kurz von der Unzuverlässigkeit der ganzen Schöpfung Lamoriciere’s erzählt wurde, das haben seitdem die Ereignisse in Umbrien und den Marken als begründet herausgestellt.
Mit schaudernder Theilnahme hörte ich auch hier aus dem Munde von Nahestehenden, von Augenzeugen, ja vielleicht Mitschuldigen, die volle Wahrheit aller der Gräuel, die man von der Einnahme Perugia’s im vorigen Jahre gemeldet hat, bestätigen. Gerade der oben erwähnte Preuße hatte in dem verruchten Jägerregiment gestanden, das den blutdürstigen Anweisungen jenes nichtswürdigen Schlächters Schmid von Uri so vollkommen Folge geleistet hat. „Nun will ich meinen Jungens auch ’mal ein Vergnügen machen!“ soll er, ähnlich wie einst Tilly vor Magdeburg, gesagt haben, als er die fürchterliche Bande über die beklagenswerthe Stadt losließ. Es ist wahr, versicherte man mir, daß Kinder gemordet und Frauen bis auf den Tod mißhandelt worden sind; es ist wahr, daß man Männer zu den Fenstern hinausgestürzt, die noch lebenden Körper mit Spiritus begossen, diesen angezündet und die brennende Masse mit cannibalischem Geheul durch die Straßen der Stadt geschleift hat!
Der Urheber dieser Scheußlichkeiten, jener auf ewig gebrandmarkte Oberst Schmid, den der Vater der Christenheit zur Belohnung für jene Unthaten zum General gemacht hat, ist seitdem der italienischen Befreiungsarmee in die Hände gefallen, aber die allzu humane Regierung Victor Emanuels hat ihn laufen lassen, statt ihm den Proceß zu machen, wie er einem Mordbrenner dieser Art gebührt hätte. So viel wir wissen, hat der über die Schweizergrenze entlassene Soldknecht seither keine andere Unannehmlichkeit erfahren, als die einer ihm in Genf gebrachten stürmischen Katzenmusik.
Was die sechszehn „lieben Landsleute“ betrifft, so schied ich von ihnen mit der Frage, ob ihre Abenteuerlust durch die gemachten Erfahrungen hinlänglich abgekühlt sei, um fortan nach dem alten, guten Spruche vom „im Lande bleiben und sich redlich nähren“ zu leben. Ein sechszehnfaches Ja war die Antwort. Ich sah die Armen noch einmal wieder, als ich nach Florenz zurückkehrte, sie wurden mit demselben Bahnzuge unter Bedeckung italienischer Carabiniers nach Livorno geschafft, um von dort über Genua, Turin und die Schweiz in die Heimath befördert zu werden.