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Deutsche Eichen

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Titel: Deutsche Eichen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 47–48
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[047] Deutsche Eichen. Die alte Eiche auf dem Hofe des Gutsbesitzers Ledebur zu Wetter, Amt Grönenberg bei Osnabrück, deren Sturz durch das Wüthen des Sturmes vom 7. December viele Zeitungen in kurzer Notiz erwähnten, ist vielleicht einer der merkwürdigsten Bäume, nicht allein Westphalens, sondern ganz Deutschlands.

Weit und gigantisch breitete die mehr als tausendjährige Riesin ihr mächtiges Geäste aus, und ihres großen Alters und der erstaunlichen Dicke wegen war sie, eine der letzten immer mehr verschwindenden Zeuginnen von Deutschlands vielbesungenen uralten Eichenwaldungen, bekannt in der ganzen Gegend. – Der westphälische Bauer liebt die alten Eichen seines Bodens; sie, von Urahnen gepflanzt und gehegt, umstehen als eine schützende Garde seine Wehr; der Großvater hörte vom Großvater, daß schon von Alters her die Bäume, wie noch heute, seinen Hof schattig umgaben, und deshalb sollen sie auch so noch Kinder und Kindeskinder sehen. Der Bauer traut sogar den wetterwendischen Vormonaten der neuen Jahreszeit nicht eher, bis seine alten Eichen sich wieder mit neuem Grün schmücken; und er sieht, daß Herbst und Winter ernstlich heranrücken, wenn der Wind die ersten braunen Blätter seiner spät welkenden Schützerinnen wirbelnd an’s Fenster und durch die Thür bis an des Heerdes gastliches Feuer jagt. So sind die Eichen seines Hofes die langjährigen Gefährten seiner Vorfahren, der Schutz seiner Wehr, seine Rathgeber im unberechenbaren Wechsel der Elemente, er hält die Bäume wie seine Kinder, so daß der echte westphälische Wehre es in früheren Jahren selten und nie ohne große Noth wagte, Hand an die Bäume seines Hofes zu legen.

Auch der Besitzer der erwähnten tausendjährigen Eiche zu Wetter würde aus diesem Grunde schwerlich Hand an den Baum gelegt haben, so oft und von so vielen Seiten ihm auch schweres Geld dafür geboten worden ist, hätten nicht der große Gang der Natur und die Wucht der Elemente den schönen Baum im besten Greisenalter dahingeworfen.

Aber nicht dieses, nicht seine außerordentliche Größe machte den Baum vor allen andern seinesgleichen ausgezeichnet und merkwürdig: – dieser Baum war die sogenannte „Wettereiche“, die Eiche der „Wetter-Freien“; eine jener uralten Volksverbände niedersächsischer Gemeinden, die aus den Tagen Wittekind’s ihre Herkunft, ihre Verfassung und Institutionen herleiten und in stetem Flor gestanden haben durch die wildbewegten Zeiten des Mittelalters bis in die letztvergangenen Jahrhunderte. – Und die Vereinigung der Wetterfreien war für Westphalen und somit wahrscheinlich für ganz Deutschland die letzte ihrer Art, denn erst zu Ende des vorigen Jahrhunderts rief das Botting zum letzten Male ihre Angehörigen unter den Zweigen dieser höchstwahrscheinlich zu diesem Zwecke auf dem Hofe zu Wetter vor Zeiten gepflanzten, jetzt tausendjährigen Riesin zusammen. Deshalb ist es auch so unwahrscheinlich nicht, daß, wie einige Zeitungen bemerkten, schon der alte Sachsenheld Wittekind diesen Baum kannte und bereits unter seinen jungen Zweigen das Recht sprach und übte inmitten der Wehren seines Landes, wie es noch nach tausend Jahren bei den Nachkommen seines wackeren Volkes gebräuchlich war.

Auf dem Meyerhofe zu Wetter lag die sogenannte „Hofrolle“ der Wetterfreien, wie das alte geschriebene Recht solcher Verbindungen genannt ward, und bis in unsere Tage pflegten sich dort alljährlich die dazu gehörigen Wehren aus den weit umher liegenden Ortschaften Buer, Melle, Riemsloh, Oldendorf, Neuenkirchen und Gesmold zu versammeln. War auch die gemeinsam wirkende Kraft ihrer Rechte längst in den herrschenden Landesgesetzen aufgegangen, in den alten ernsten Charakteren dieser westphälischen Bauern lebte doch noch die Erinnerung an ihre einstige Bedeutung und an die Zusammengehörigkeit unter sich, um dieselbe zu erhalten, wurde bei dieser Versammlung die alte Hofrolle nochmals verlesen und dann der Tag, auf echt germanische Weise, durch ein gemeinsames Mahl, zu dem nach alter Sitte ein Jeder Naturalien lieferte, gefeiert.

In die ältesten Zeiten der Sachsen hinauf reichen diese Verbindungen. Der Krieg und die stete Feindschaft mit benachbarten Stämmen rief sie in’s Leben, da solche das Zusammenhalten mehrerer Wehren zum gemeinsamen Schutz und Trutz nothwendig machten. Karl der Große löste die bestehenden Genossenschaften nicht auf, sondern er ordnete sie nur einer größeren allgemeinen Reichsverbindung, dem sogenannten Heerbanne, unter; jenem ersten Reichsheere, zu dem nur beim allgemeinen Aufgebote die Wehren sich stellen mußten.

Es gab Redehöfe (vielleicht vom niedersächsischen Ausdrucke „Rëë“ oder auch „Rete“ für fertig, bereit), auf denen der Redehöfer allezeit mit Sattel und Zaum zum Zuge in’s Feld bereit sein mußte.

Da die alten westphälischen Sachsen unter sich anfangs für Krieg und Frieden keinen gemeinsamen Oberherrn duldeten, sondern nur im Kriege Herzöge hatten, so ist es wahrscheinlich, daß auch Wittekind, der kühne Kriegsheld, kein König und Herr, sondern nur einer jener freien westphälischen Wehren war, deren Hof als Rede- oder Meyerhof an der Spitze einer solchen Verbindung stand, die nach Beendigung des Krieges wieder auf ihren freien Grundbesitz in ihre alte Gewohnheit zurückkehrten, sowie denn auch Wittekind nach Beendigung des Streites mit Karl dem Großen seine Tage in Ruhe auf seinem Hofe zu Enger in dieser Gegend beschloß.

[048] Diese alten sächsischen Verbindungen mit den ihnen zu Grunde liegenden Einrichtungen und Gesetzen sind das Urbild freier germanischer Verfassung. Einer unserer bedeutendsten deutschen Staatsmänner, Möser, verdankt seine Größe und die Mustergültigkeit seiner Meinungen größtentheils Dem, daß er mit allen seinen Ansichten und Ideen in dem Geiste dieser Einrichtungen wurzelte und wirkte. Auch die in den letzten Jahren in den hannöver'schen Landen zuerst wieder eingeführten Schwurgerichte, deren Grundzug ist, daß der Schuldige von seinen Mitbürgern und nicht von der Willkür eines Einzelnen sein Urtheil empfängt, erinnern ganz an die westphälische Gerichtsweise, wo die Wehren sich alljährlich mehreremal, oder in Folge eines Aufgebotes versammelten, um am geheiligten Orte, der Thingstätte, unter freiem Himmel das gemeinsame Recht zu handhaben.

Eine solche altsächsische Verbindung sehen wir vor uns in den Wetterfreien; sie waren frei unter sich und Niemandem unterworfen, als dem Wetter und Gott im Namen des Schutzes der heiligen Maria zu Heerse.

Hätte die alte Eiche reden können, was würde sie uns erzählen? –

Durch ihren gewaltigen Wipfel war der Sturm der Jahrhunderte dahin gebraust, mit allen Wechseln der bewegten Zeiten, sie, ein Urbild deutscher Kraft, war immer größer und herrlicher emporgewachsen. Sie hatte die Tage Wittekind’s gesehen, die eisernen Zeiten des Mittelalters, die Zeiten der Kreuzzüge, die Zeiten der Herrlichkeit des deutschen Reiches; der verheerende Sturm des dreißigjährigen Krieges zog über die Gauen Deutschlands dahin, wiederum kam ein großer Frankenkaiser Deutschland auf kurze Zeit zu unterjochen: ruhig blickte der alte Baumriese auf das Getümmel der Zeiten, gleichsam als hätte ihn der Wechsel aller Jahrhunderte, der des Jahrtausends, das bereits durch seine Zweige wehte, nur gelehrt, daß unter allen Stürmen immer Eines bestehen blieb, das ist die Freiheit unter deutschen Eichen. Völker kamen und gingen, aber immer wandelte unter seinen Zweigen ein und aus ein wackeres Geschlecht freier westphälischer Wehren.

Jetzt liegt auch er, als einer der letzten seines Alters auf westphälischem Boden, von der Hand der Alles vernichtenden Zeit dahingeworfen. Niedergerissen vom Sturm, fand der schöne, volle vierzig Fuß im Umfang haltende Baum, gesund wie er von der Wurzel bis zum äußersten Zweige noch war, ein ehrenvolles natürliches Ende und theilte nicht das schnöde Schicksal vieler seiner Altersgenossen, die der Habgier der Menschen, der Axt erlagen. – Grönenberg ist schon der uralte Gauname des noch jetzt so genannten Amtes; einst grön oder hochdeutsch grün von den Eichenwaldungen seiner Fluren. Wo sind sie geblieben, die schönen Bäume, die Eichen, die stets der heimathliche Stolz der Deutschen waren, wo sind die Eichen Westphalens geblieben? – Die letzten hundert, und insbesondere die letzten zwanzig Jahre haben der Menschen Hände so bedauernswerth darunter gewirthschaftet, daß kaum noch ein ordentliches Fleckchen Eichenwald zu finden ist, daß eine tausendjährige Eiche kaum noch existirt. Und doch zerstört man mit ihnen etwas Unersetzliches! Das schönste Denkmal der Baukunst kann des Menschen Hand wieder ersetzen, aber wer vermag sie uns wiederzugeben, die alten prächtigen Eichen? Niemand! – nur der Lauf langer, ferner Jahrhunderte kann unseren Nachkommen den Schmuck herrlicher Eichenwaldungen wieder verschaffen, wenn die jetzigen Geschlechter endlich von der fortdauernden Zerstörung nachlassen und auf ihr künftiges Bestehen jetzt schon Bedacht nehmen.

Mit der erwähnten Wettereiche waren es fünf Eichen im ungefähren Alter von tausend Jahren, die allein im Amte Grönenberg im Laufe der letzten fünfzehn Jahre fielen, die Wettereiche durch den Sturm, die andern vier durch Menschenhand. Davon stand die schönste zu Niedernkempen bei Sondermühlen (wo der Dichter Stolberg lebte). Bis dahin von der königlichen Domainen- und Forstverwaltung stets respectvoll geschont, wurde sie umgehauen und der hannover'schen Regierung, die bekanntlich des Geldes gar nicht bedurfte, flossen daraus ein paar lumpige hundert Thaler zu, weil neue, dienstfertigere Forstbeamte sich durch eine auf’s Aeußerste getriebene Ausnutzung der dem Lande gehörigen Domainen und Forsten bei der Regierung beliebt zu machen suchten. Die sogenannte Königseiche, bei Oesede in dieser Gegend, wurde umgehauen, weil der Forstcomplex, auf deren äußerster Zunge sie, weithin sichtbar, stand, auf der Karte zu einer regelrechten geometrischen Figur abgekantet werden sollte. – Uns fällt es dabei ein, daß der berühmte englische Eisenbahnbauingenieur Stephens eine seiner Bahnlinien eine große Curve beschreiben ließ, nur um eine schöne alte Eiche „Old England’s“ zu schonen, und das Parlament zollte dieser seiner Pietät die gebührende Anerkennung.

Auf einem Bauerhofe im Amte Grönenberg stand halb in der Wand des Bauernhauses, dessen schwarzes Strohdach sich unter den riesigen Zweigen zutraulich zu verkriechen schien, ein anderer dieser alten Eichenriesen. – Auf einer Kirmeß ließ sich der angetrunkene Bauer verleiten, den schönen Baum für einen Spottpreis an einige Wucherer zu verkaufen; und da nun der kleine Colonus nicht im Stande war, ein entsprechendes Reuekaufgeld zu entrichten, so mußte der alte Schützer des Hauses, beklagt mit vielen Thränen des Bauern, seiner Frau, Kinder und anderer Hausgenossen, der Axt zum Opfer fallen.

Wir erzählen diese einzelnen Fälle ausführlich, da sie uns ein deutliches Bild im Einzelnen geben, welche Ursachen es sind, die so verderblich auf die Existenz unserer schönen Eichenbestände wirkten; – und charakterisirte sich in dem Sturze dieser unserer Eichen nicht auf eine merkwürdige Weise die Ursache der bisherigen politischen Zerfahrenheit im ganzen deutschen Lande? –

Was der Zahn der Zeit des Guten nicht zerstörte, ist ein Opfer der selbstsüchtigen Interessen kleinstaatlicher Verwaltungen, ein Opfer der Pedanterie und im Volke ein Opfer der einstigen materiellen Zurückgekommenheit des Bauern- und Mittelstandes geworden!

Auf der alten Landstraße von Hannover nach Osnabrück, bei dem Dorfe Oster-Cappeln, stand jene uralte Eiche, welche uns zum Niederschreiben des Vorstehenden veranlaßte. Zeit und Stürme hatten ihr bereits seit langen Jahren die letzten Aeste geraubt, aber noch immer ragte, als eine Merkwürdigkeit für den Vorüberwandernden, der kolossale Rumpf empor. Am Fuße ihres Stammes hatte jener englische König Georg, als er zum ersten Male seine angeerbten hannoverschen Lande besuchte, mit seinem Gefolge geruht und der letzte kleine Zweig war im Jahre 1849 zum letzten Male grün gewesen. Der Baum war vielleicht von gleichem Alter mit der einst großen Dynastie der Welfen. Man spricht im gewöhnlichen Leben von Wundern des Zufalls, und ein solches Wunder oder ein solcher Zufall war es, als gerade in den Kriegsmonaten des für das hannoversche Königshaus so verhängnißvollen Jahres 1866 der alte Baum, ohne jegliche äußere Erschütterung, an einem ruhigen Sommernachmittage, wo in fernen deutschen Gauen der Donner des deutschen Krieges die Thäler erzittern machte, krachend, quer über die Chaussee, zur Erde fiel. Die altersgraue Riesin, als hätte sie eine Ahnung von der heranbrechenden neuen deutschen Zeit, neigte ihr müdes tausendjähriges Haupt und lebte nicht mehr. – Das Landvolk schrie den Sturz des Baumes als ein böses Omen für das hannoversche Königshaus aus; freilich ließ letzteres durch die königliche Landdrostei zu Osnabrück den ehrwürdigen Baum wieder aufrichten, das Stammende wurde plattgesägt, untermauert, und mit einem Kostenaufwande von hundertfünfundsiebzig Thalern stand der Stumpf, mit großen eisernen Ketten an seine Nachbarn geklammert, wieder da; aber es war aus mit dem grauen morschen Riesen, – im vorigen Sommer ist er abgebrannt!

Was läßt sich von solchen Zufälligkeiten sagen? – jedenfalls berühren sie oft wunderbar des Menschen Gefühle. – Ist es nicht gleich merkwürdig, daß auf den blutgetränkten Gefilden Langensalza’s der letzte deutsche Welfenkönig Krone und Reich verlor, wo vor fast achthundert Jahren sein großer Vorfahr Welf der Erste in der blutigen Schlacht gegen die Sachsen sich den Besitz Baierns und die Größe seines Geschlechts sicherte? –

Möge Preußen, das in die Geschichte Deutschlands energisch eingreift, dafür sorgen, daß unsere schönen Wälder vor dem ihnen drohenden Schicksale allmählicher Vernichtung nicht nur behütet werden, sondern daß dermaleinst unsere deutschen Eichen noch herrlicher und größer stehen als in unseren Tagen.