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Deutsche Colonisation in Brasilien

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Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Deutsche Colonisation in Brasilien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 454–456
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[454]

Deutsche Colonisation in Brasilien.

Von Fr. Gerstäcker.

In den letzten Jahren ist das deutsche Publicum in Allem, was Brasilien betrifft, so verwirrt worden, daß sich wohl nur Wenige ein richtiges Bild davon entwerfen konnten. Ich selber wenigstens betrat mit einem großen Vorurtheil gegen Brasilien das Land, und zwar weniger der Berichte wegen, die Brasilien als eine Hölle schilderten, als um derer willen, die mit Hülfe von kleinen „Auswanderungsbüchern“ und „wohlgemeinter Rath für Auswanderer“ etc. das Land mit den rosigsten Farben beschrieben und eine Glorie darum flochten.

Meiner jetzigen Meinung nach, die ich mir gebildet, seitdem ich jenes Land theils selber kennen gelernt, theils an Ort und Stelle von Leuten die Jahre lang dort ansässig waren, viel und Ausführliches darüber gehört, bin ich der festen Ueberzeugung, daß Brasilien in seinen Verhältnissen wohl manches Tadelnswerthe und Gefährliche hat, im Ganzen aber dem deutschen Auswanderer auch große und gewichtige Vortheile bietet, und wenn ich selber auswandern und Ackerbau treiben wollte, so würde ich mir zum Ziel meiner Auswanderung jedenfalls Südamerika, aller Wahrscheinlichkeit nach das südliche Brasilien wählen.

Brasilien ist übrigens ein sehr weiter und unbestimmter Begriff, denn während der Norden des ungeheueren Landes seine pesthauchenden Sümpfe, seine allein tropische Vegetation und glühende [455] Hitze hat, und der Deutsche dort nie unter den Pflanzern und Sclavenhaltern als freier Arbeiter existiren kann, bietet der Süden dagegen ein prachtvolles gesundes Klima, einen reichen Boden und eine dichte Bevölkerung deutscher Landsleute, die sich mit wenigen Ausnahmen Alle wohl befinden.

Es giebt allerdings Manche, die auch auf diesen Theil des Reiches ihr Gift ausschütten und die entsetzlichsten Geschichten davon erzählen. Die Leute haben aber jedenfalls ihre eigenen und persönlichen Gründe dafür und schimpfen, weil sie eben weiter nichts zu thun haben. Es ist das Nämliche mit Nordamerika, wo der gebildete Deutsche, der kein Vermögen mit in das Land brachte und Handarbeit nicht verrichten konnte oder wollte, auch mit edler Entrüstung in die Lärmtrompete stößt und seinen Aerger über ein Land ausläßt, das ihn nicht ohne Arbeit füttern wollte. Der fleißige Arbeiter dagegen in Nordamerika wie Brasilien schreibt gar nichts; er bestellt sein Feld, macht einen Acker Land nach dem andern urbar, wird, während er seine Familie in glücklichen Verhältnissen heranwachsen sieht, reich oder doch wohlhabend, und ist mit seiner freundlich eingerichteten Plantage oder chagra, mit seinen behäbigen, sorgenfreien Verhältnissen, die beste Illustration zu einem Buch über brasilianische Auswanderung.

Er schreibt allerdings nicht, aber er erzählt, wie er auch im Anfang von Auswanderungsagenten geprellt wurde, wie man ihn da oder dorthin schickte, und wie schwer, wie furchtbar schwer er Jahre lang arbeiten mußte, um nur den ersten Grund zu seinem jetzigen Besitzthum zu legen – aber er arbeitete eben, und es ging.

Ich zeigte Einem von diesen Leuten eines Tages einen in Berlin geschriebenen Artikel, worin Brasilien etwa so geschildert wurde, als ob siedendes Pech und Schwefel noch eine Art von Behagen gegen einen Aufenthalt in Brasilien gewähren müßte. Der Mann lachte, warf das Papier unter den Tisch und sagte: „Der weiß wahrscheinlich warum er schimpft!“

Und trotzdem hat Brasilien viele Schattenseiten, die aber in Süd-Brasilien nicht etwa in Land oder Klima zu suchen sind, sondern ihren Grund anderweit haben. Die Hauptklage und zwar die gegründetste gegen Brasilien ist das von der Regierung oder vielmehr den Ständen nicht gehaltene Versprechen freier Religionsübung, denn unter freier Religionsübung muß man natürlich verstehen, daß eine Religion, die frei geübt wird, Berechtigung ihres Cultus und besonders dessen Gültigkeit vor den Gesetzen hat. Die Stände Brasiliens bestehen aber ausschließlich aus Kaffeejunkern und Pfaffen, und die Letzteren besonders fürchten, durch jedes den Protestanten eingeräumte Recht den Boden unter den eigenen Füßen zu lockern oder doch wenigstens zu gefährden.

Zu neuerer Zeit ist allerdings ein Gesetz gegeben, das anscheinend die Gültigkeit der protestantischen Ehen regelt und feststellt, in Wirklichkeit aber wird es sich nicht bewähren und noch Ursache zu vielen Conflicten und Processen geben.

Merkwürdig leicht nehmen es dabei die Deutschen in den Colonieen, denn unser guter Bauer ist nun schon einmal von daheim gar nicht gewöhnt, auch nur je über ihn betreffende Gesetze nachzudenken. Sind die Gesetze gegeben, so müssen sie befolgt werden, und greifen sie endlich störend in sein eigenes Leben und Wirken ein, so schimpft er allerdings – aber weiter thut er nichts. Er ist ein ganz vorzüglicher Unterthan.

Die Katholiken haben allerdings gar nichts mit diesem Gesetz zu thun, denn ihre Verhältnisse sind geregelt, und die Protestanten lassen eben Alles in dem alten Schlendrian hingehen, bis sie einmal durch ein paar recht auffällige Beispiele aus ihrer Ruhe aufgeschreckt werden.

In allen solchen Colonien hält es dabei ungemein schwer, einen guten Geistlichen und besonders Schullehrer zu bekommen, denn die Leute können sich Alle, ohne ihr Leben in lauter Aerger und Noth zu verbringen, recht gut und unabhängig ihre eigene Existenz mit dem Ackerbau gründen – und wer möchte da Schulmeister sein? Die Folge davon ist, daß sich gewöhnlich nur junge Leute zu diesem Amt melden, die, mit einem gewissen Grade von Bildung, keine harte Arbeit thun, mit den Fäusten nicht zugreifen mögen und, da sie doch leben müssen, gezwungen sind, ein solches Amt auf kurze Zeit anzunehmen. Sobald sie aber eine andere, ihnen mehr zusagende Beschäftigung finden, hängen sie das mühselige Schulamt an den Nagel, und die Kinder wechseln so ununterbrochen mit ihren überdies meist sehr mittelmäßigen Lehrern.

Mit den Geistlichen findet ein ähnliches Verhältniß statt, und trotzdem, daß die Regierung selber an verschiedenen Colonien protestantische Geistliche anstellen wollte, konnte sie doch keine passenden Kräfte dazu in den Colonien finden, und so viel ich weiß, hat sie jetzt einige Geistliche selbst von Deutschland verschrieben.

Ueberhaupt kann man, wenn man gerecht sein will, nicht anders sagen, als daß die brasilianische Regierung alles in ihren Kräften Stehende gethan hat, den deutschen Colonisten in Brasilien gerecht zu werden und die Colonien zu fördern. Sie hat besonders dazu keine Geldausgaben gescheut und allen Einwanderern sogenannte Subsidiengelder oder Unterstützungen bewilligt, die ihnen ausgezahlt wurden, bis sie ihr Land selber urbar gemacht – und selbst dann wurden die Gelder kaum zurückgefordert, oder wenn ja, von den Wenigsten wieder gezahlt, obgleich sie jetzt recht gut die Mittel dazu gehabt.

Land ist fast Allen ebenfalls gratis bewilligt worden, und wenn den Einwanderern nicht Alles so zu Gute kam, wie es wohl gesollt, so war das allein der Fehler räuberischer Unterbeamteter, die sich wie die Aasgeier auf jeden Geldposten stürzen, der von irgend einer südamerikanischen Regierung zu irgend einem Zwecke bewilligt wird.

Wo die Deutschen deshalb selber mit der Regierung zu thun hatten, fanden sie auch selten oder nie Ursache zur Klage, aber wehe ihnen, wenn sie sich mit den brasilianischen Pflanzern einließen, wenn sie trotz aller Abmahnungen und Warnungen Privatcontracte mit den Kaffeejunkern und Pflanzern (sogenannte Parcerieverträge) schlossen, denn in dem Fall waren sie fast immer verloren, und viele Hundert unserer Landsleute büßen noch jetzt in fast mehr als halber Sclaverei mit ihren Familien die frühere Dummheit.

Diese Parcerieverträge klangen allerdings verlockend, und mit den Lobpreisungen deutscher Auswanderungszeitungen und Agenten, die ihre Landsleute gewissenlos an’s Messer lieferten, gelang es den brasilianischen Pflanzern, eine große Anzahl Deutscher in die vorgehaltene Schlinge zu locken. Daß sie schrieen, als sie darin saßen, half ihnen eben nicht mehr viel, denn wer sich contractlich mit einem Privatmanne verbindet, kann sich wohl beklagen, wenn er betrogen wurde, aber nie den Contract rückgängig machen oder von einer Regierung verlangen, daß er rückgängig gemacht werde, den Fall natürlich ausgenommen, daß nachweisbare Betrügereien stattgefunden.

Es kann deshalb unseren deutschen Landsleuten nie genug zugerufen werden, unter keiner Bedingung, wie verlockend die Aussichten auch klingen mögen, einen überseeischen Contract, das heißt einen solchen, der für einen fremden Welttheil bindende Kraft hat, in Deutschland abzuschließen. Sie können von hier aus die dortigen Verhältnisse nicht beurtheilen. Sie wissen nicht, wie ein solcher Contract zu ihrem Schaden gedreht und gewendet werden kann, und sie müssen vor allen Dingen bedenken, daß sie, wenn übervortheilt, als deutsche Unterthanen vollkommen schutzlos in der Fremde sind. Die deutschen Consuln von aller Herren Länder, so große und so bunte Flaggen und hübsch gemalte Schilder sie auch auf ihren Häusern und über ihren Thüren haben, nützen ihnen gar nichts, denn sie können höchstens protestiren, und die Regierungen jener Länder nehmen natürlich keine Notiz davon.

Wer aber als freier Mann nach dem Süden von Brasilien auswandern will und sich als Protestant nicht an die Bevorzugung der katholischen Religion stößt, oder wer, wenn er sich dort, vielleicht in gemischter Ehe, verheirathet, noch die Vorsicht gebraucht, über das Erbschaftsrecht seiner Kinder einen festen Civilcontract aufzusetzen, der mag auch die Ueberzeugung mitnehmen, daß er dort in ein gesundes, fruchtbares Land kommt, von der Regierung selber jede vernünftige Unterstützung erwarten darf und eine Masse von Landsleuten findet, die es durch Fleiß und Ausdauer dahin gebracht haben, sich vollkommen wohl zu befinden.

Um Gotteswillen soll aber Niemand glauben, daß er in einem Lande wie Brasilien „mit sehr leichter Mühe“ sein Feld bestellen kann, weil ihm die ungemeine Fruchtbarkeit des Landes zu Hülfe kommt. Fruchtbar ist das Land allerdings, aber dafür treibt ein recht üppiger Boden auch wieder eben so üppig Unkraut, und einen brasilianischen Urwald auszuroden, ist ebenfalls keine Kleinigkeit. Nein, wer es dort zu etwas bringen will, muß arbeiten, hart arbeiten, und er darf sich außerdem nicht einbilden, daß er dort unentbehrlich sei und mit seiner Arbeitskraft dringend verlangt würde. [456] Ein armer Mann steht dort so allein in der Welt wie in Deutschland auch, aber er hat doch in Brasilien den ungeheuren Vortheil, daß er, wenn er wirklich arbeiten will, auch ein Terrain für seine Thätigkeit bekommen und sich mit der Zeit eine eigene Heimath gründen kann.

Süd-Brasilien ist deshalb, meiner Meinung nach, ein vortreffliches Land für deutsche Auswanderung, und besonders in jetziger Zeit, wo es keinem Deutschen anzurathen ist, nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika auszuwandern, halte ich es für dringend gerathen, den Strom der deutschen Auswanderung den verschiedenen Theilen Süd-Amerikas zuzuwenden. Daß nicht Alle dabei nach Brasilien gehen können, versteht sich von selbst, denn nicht alle Auswanderer verfolgen gleiche Zwecke, haben gleiche Interessen. Der Ackerbauer aber wählt am besten den südlichen Theil Brasiliens oder Chile, der Viehzüchter Uruguay und die La-Plata-Staaten der Speculant Peru oder Buenos-Ayres, wie sämmtliche Hafenstädte, auch Ecuador, das gerade in jetziger Zeit einer nicht unbedeutenden Zukunft entgegen geht. Wer aber tropischen Landbau treiben will und natürlich die Mittel hat, etwas selbstständig anzugreifen, wer Cacao, Kaffee, Vanille etc. ziehen und unter Palmen wandeln will, der mag in den Norden Brasiliens oder noch besser nach Ecuador gehen, wo er das gesunde Land wenigstens gleich zur Hand hat, und sich auch selber auf tropischem Boden noch eine von Krankheiten ungefährdete Heimath gründen kann.

Außer diesem allgemeinen Ueberblick der brasilianischen Verhältnisse möchte ich dem Leser aber auch noch mit kurzen Worten ein paar Einzelheiten mittheilen, die ihm, wenn er, Lust hat nach dorthin auszuwandern, von Nutzen sein können. Die brasilianische Regierung begünstigt deutsche Einwanderung, hat aber bis jetzt den Fehler gemacht, um deutsche Auswanderer anzuziehen, deutschen Agenten ein gewisses Kopfgeld zu bewilligen, eine Maßregel, deren schlechte Folgen nicht auf sich warten ließen. Diesen Herren lag natürlich nur daran, die größtmöglichste Anzahl von Köpfen abzusenden, und Alte, Schwache, Kranke, jede Art von Gesindel zählte gleich. Von diesem Geschäftsbetrieb scheint man aber jetzt in Brasilien absehen zu wollen. Der Auswanderer bekommt nicht mehr freie Passage, die er drüben abzuarbeiten hat, sondern wenn er aus freien Stücken hinüber kommt und seine Absicht erklärt, sich auf brasilianischem Boden niederzulassen, so schenkt ihm die Regierung eine sogenannte Colonie, d. h. ein wildes Stück Land, das früher seine 160,000 Quadrat-Brazos umfaßte, während jetzt gewöhnlich nur 100,000 Quadrat-Brazos gegeben werden. Im Urwald erhält dabei der Ansiedler gewöhnlich 100 Brazos breite Front. Ein brasilianischer Brazo (Armspanne) oder Klafter ist aber größer als eine deutsche Klafter oder selbst ein englischer Fathom und wird etwa 7 Fuß 2 Zoll rheinisch betragen. 100,000 solche Quadrat-Brazos bilden deshalb schon ein ganz hübsches Stück Feld und sind jedenfalls für eine Einwandererfamilie genügend, den ersten Beginn darauf zu machen und in der neuen Heimath festen Fuß zu fassen.

Hier wird besonders der nutzbare Maniok (Manihot utilissima, auch bittere Yucca oder Cassavastrauch genannt) gebaut, dessen Mehl, neben einer delicaten und sehr nahrhaften schwarzen Bohne, das Hauptnahrungsmittel der Brasilianer bildet. Das Maniokmehl wird bekanntlich aus den Wurzeln, deren jeder Strauch 3–8 von 1–2 Fuß Länge und 3 Zoll Durchmesser hat, dadurch bereitet, daß man die Wurzeln durch Zerreißen, Auspressen, mehrmaliges Waschen mit Wasser von einem scharfen und giftigen Milchsaft befreit, der in ihnen enthalten ist, worauf man den ausgepreßten Satz trocknet. Sonst baut man noch hauptsächlich Mais und Kartoffeln, in den südlichen Provinzen Weizen und in den nördlicher gelegenen Kaffee. In diesen gedeiht auch das Zuckerrohr vortrefflich, was zwischen den deutschen Colonien von Rio Grande noch nicht so recht fort will, da es dann und wann ein Frost zerstört. Ueberhaupt darf man sich die Provinz Rio Grande ja nicht etwa zu tropisch denken, wenn auch eine kleine Art von Palmen überall gedeiht. Dieselben Palmen habe ich aber auch in Uruguay getroffen, wo der Boden mit Reif und stehende Lachen mit fingerdickem Eis bedeckt waren.

Der neue Colonist hat aber besonders darauf zu sehen, daß er nicht zu weit in das Land hineingeschickt wird, um etwa eine neue Colonie mit gründen zu helfen, die weder eine Wasserstraße, noch sonstige Verbindungswege hat. Ihm bleibt in den ersten Jahren wenig Zeit, an den Straßenbau zu denken, da er sein eigenes Land zu Feld und sein Feld zur Saat herrichten muß. Das Beste ist deshalb, er sucht in die Nähe eines wenigstens mit Booten schiffbaren Flusses zu kommen oder sich doch an einer fahrbaren Straße auzusiedeln. Er hat an diesen immer noch mit genügenden Schwierigkeiten zu kämpfen, seine Producte in der Regenzeit zu Markt zu bringen.

Uebrigens verstattet die brasilianische Regierung aber selbst jetzt noch den neuen Ansiedlern sogenannte Subsidien-Gelder, die ihm zinsfrei gegeben werden, aber natürlich mit der Bedingung, sie in einer bestimmten Reihe von Jahren (gewöhnlich fünf) zurückzuzahlen. Er kann auch Ackergeräth und Lebensmittel für den ersten Beginn bekommen, und ich weiß wirklich kein anderes Land der Welt, wo besonders der deutsche Colonist von irgend einer Regierung (seine eigene natürlich gar nicht ausgenommen) so begünstigt wäre, wie in Brasilien.

Daß es auch in Brasilien Leute giebt, die ihn zu betrügen suchen und auch wirklich betrügen, da der deutsche Einwanderer meist immer wie ein Kind – so kindlich und unpraktisch – ist, versteht sich von selbst, und wo geschieht das nicht? Er mag deshalb die Augen aufhalten und sich ein wenig in Acht nehmen. Jedenfalls wird er mit der Zeit und durch Erfahrung klug und lernt sicherlich in jedem fremden Welttheile in einem Jahre mehr, als daheim in zehn.

So eben kommt mir wieder ein Aufsatz zu Gesicht, der aus der alten Quelle, aus Berlin, fließt und Brasilien begeifert. Er beruft sich auf zwei Documente, das eine einen Protest von vierzig Deutschen betreffend, die nicht in die Nationalgarde treten wollen, das andere eine Weigerung des Oberkirchenraths, Geistliche nach Brasilien zu senden. Das Gesetz der Nationalgarde in Brasilien ist folgendes: Kein Deutscher braucht in Brasilien in die Nationalgarde zu treten, wenn er sich nicht naturalisiren läßt und dadurch brasilianischer Bürger wird. Als solcher hat er dann natürlich auch allen Pflichten eines brasilianischen Bürgers zu genügen. Niemand wird aber gezwungen, sich naturalisiren zu lassen, denn ich habe eine Masse alter Colonisten gesprochen, die schon 30 Jahr in Brasilien leben, ohne naturalisirt zu sein. Ihre Kinder aber, von denen auch schon viele wieder starke Familien haben, werden, wie sich das von selbst versteht, als Brasilianer betrachtet und können sich also auch nicht dem Dienst der Nationalgarde entziehen.

Was das andere Schreiben betrifft, so bestätigt es weiter nichts, als die Unwissenheit des Berliner Oberkirchenraths über brasilianische Verhältnisse. Die Deutschen in Brasilien haben der dortigen Regierung fortwährend in den Ohren gelegen und um protestantische Geistliche gebeten, die von der Regierung selber angestellt werden. Die Regierung ging darauf ein und verlangte nur passende Leute vorgeschlagen zu bekommen – aber es gab keine, und eine Zahl eben nicht passender Subjecte verrichtete nicht selten die heiligen Handlungen in den Colonien. Die Regierung wußte sich endlich nicht anders zu helfen, als daß sie nach Berlin an das Oberconsistorium oder sonst wohin schrieb und um würdige protestantische Geistliche bat. Jetzt ist das auch wieder nicht recht, und weil sich der Oberkirchenrath weigert, einige der Herren hinüber zu schicken, hat Brasilien wieder Ungeheuerliches begangen.

Es ist nicht mehr als recht, die Fehler eines Landes aufzudecken, besonders wo es sich um Auswanderung handelt und das Glück oder Unglück von Tausenden davon abhängt. Es ist aber ein trauriges Geschäft, wie es jener Berliner Herr betreibt, nur aus verletzter Eitelkeit oder sonstigen Privatgründen ein Land unausgesetzt zu schmähen, in dem Tausende unserer Landsleute eine glückliche Heimath gefunden haben und noch finden. – Er sollte nur hören, wie die Deutschen in Brasilien selber über ihn urtheilen.

Was die Parcerieverträge betrifft, so verweise ich darüber auf meinen anderen Artikel in diesem Blatte: „Wohlgemeinte Warnung für Auswanderer[WS 1].“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wohlgemeinter Rath für Auswanderer