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Deutsche Bilder/Nr. 9. König Enzio

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Textdaten
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Autor: Wilhelm Müller
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Titel: Deutsche Bilder/Nr. 9. König Enzio
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 665–669
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[665]

Deutsche Bilder.

Nr. 9. König Enzio.
Von Wilhelm Müller.

Vorbemerkung der Redaction. Eine der herrlichsten Heldengestalten unserer Geschichte ist des großen Kaisers Friedrich II. Sohn und Ebenbild Heinrich, sein Heinz, nach welcher Namensverkürzung ihn das Land seiner Geburt, seiner ersten und seiner letzten kriegerischen Triumphe, seines Liebens und seines langen Leidens „Enzio“ nannte. Trotz dieses fremden Namens, an den die Geschichte sich gewöhnt hat, gehört auch dieser Hohenstaufe in seinem äußeren wie in seinem innersten Wesen ganz unserem Volke an, er ist eine seiner vollendetsten Erscheinungen, ein Mensch, wie ihn des Dichters Auge – „im schönen Leib die schöne [666] Seele“ – nur freudig und stolz schauen mag, in sich Alles vereinend, was das deutsche Herz am glühendsten begeistert: Jugend und Schönheit, Liebe und Treue, Dichtergeist und Heldenmuth.

Wenn unseres gewaltigsten Kaisers Herrscherleben sich als ein welterschütterndes Drama auf Deutschlands Schicksalsbühne abrollt, so bildet in ihm des blonden Königs Enzio Heldenlauf ein rasch abschließendes Zwischenspiel, das uns um so tiefer bewegt, je mehr wir für seinen kaiserlichen Vater und dessen Riesenkämpfe, für der Hohenstaufen Glanz und Blüthe, für des Reiches Macht und Ruhm mit ihm, dem so hochbegabten und im blutigen Ernst des Lebens so früh bewährten Jüngling, zu Grunde gehen sehen. Aber wie vorübergehend auch das Aufleuchten seines erhabenen Geistes für die deutsche Geschichte erscheinen mag, immer bleibt er in Deutschlands Heldenhalle ein unvergänglicher Schmuck, und darum soll er dem deutschen Volke der Gegenwart, das in seiner Geschichte keinen Ueberfluß an herzerhebenden Fürstenbildern hat, wieder näher vor das Auge treten.

Unsere Freunde müssen uns jedoch gestatten, sie heute nicht zuerst vor den glückstrahlenden, kämpfenden und siegenden Jüngling Enzio zu führen, sondern zu dem leidenden, zu dem „gefangenen König“, der mit den Reichthümern seines Herzens und seines Geistes den öden Kerker schmückt, der Blumen aus den Kerkermauern zaubert. König Enzio’s letzter Tag der Freiheit war der 26. Mai 1249. Der offene Krieg zwischen Kaiser und Papst wüthete in Italien. Bald im Nord, bald im Süd erhob die vom heiligen Vater genährte Rebellion ihr Haupt. Eben rief die Noth seiner Getreuen den Kaiser nach Neapel. Er eilte dorthin, seinem Enzio die Heerführung gegen die empörten Städte Norditaliens vertrauend. Stadt kämpfte dort gegen Stadt, nach alter italienischer Unsitte; unter der Geißel der Eifersucht ehr- und habsüchtiger Geschlechter war dort die Vaterlandsliebe wie die Bürgertreue erstickt worden. In einem solchen Kampfe stand Bologna, das dem Papste anhing, gegen Modena, das kaiserlich gesinnt war, und zu dem Kampf beider führt uns der Verfasser des nachstehenden Artikels. Enzio’s glück- und ruhmgeschmücktes Leben bis zu dem Unglückstage an der Fossalta, mit dem sein langes Leiden, die andere Hälfte seines Lebens, beginnt, soll ein zweiter Artikel unseren Lesern vorführen.




Die beiden Nachbarrepubliken Bologna und Modena hegten schon längst bitteren Haß gegen einander, und während Friedrich in Neapel verweilte und Enzio mit der Belagerung Parma’s und einiger Schlösser beschäftigt war, zog Filippo Ugone, der Podesta von Bologna, ein muthiger und erfahrener Kriegsmann, mit einem starken Heere von Bolognesen und Verbündeten bis in die Nähe von Modena. Die Bewohner dieser Stadt schickten schnell zu Enzio und riefen ihn dringend zu ihrer Hülfe herbei. Schnell nahm er, was er von Truppen zusammenraffen konnte, zog in Eilmärschen nach Modena, gönnte den abgemüdeten Menschen und Pferden keine Rast und eilte, in Verbindung mit den modenesischen Truppen, noch am nämlichen Tage weiter, um die Feinde desto sicherer zu überraschen. Als er bis zu dem wilden Waldbach Fossalta kam, welcher in die Scultenna fließt, und sah, daß die Feinde auf dem rechten Ufer der Scultenna in ihrer festen Stellung sich hielten, so beschloß er, mit einem Theile seiner Mannschaft durch eine seitwärts gelegene Fuhrt unbemerkt über die Scultenna zu gehen und den Feinden in den Rücken zu fallen. Aber Filippo Ugone, von seinem Plane unterrichtet, empfing ihn mit großer Ueberzahl, so daß Enzio nach mehrstündigem Kampfe sich über den Fluß zurückziehen mußte, worauf beide Heere ihre alten Stellungen wieder einnahmen. Dieser Rückzug, wenn auch nach dem muthigsten Kampfe erst begonnen und mit der größten Ordnung ausgeführt, entmuthigte auf der einen Seite ebenso sehr, als er auf der anderen ermuthigte. Auch stieß zu den Bolognesen noch am Abend ihr tapferer Mitbürger Antonio Lambertacci mit 2000 auserlesenen Streitern und brachte den Befehl des Rathes mit, daß sie am andern Morgen, dem Tage ihres Schutzpatrons, des heiligen Augustin, am 26. Mai (1249) den Feind angreifen sollten. An diesem Tage stellte Ugone sein Heer in drei Schlachthaufen mit der Bestimmung, daß der dritte als Nachhut den Bedrängten überall zu Hülfe eilen solle. Ebenso stellte Enzio die Deutschen als besonderen Heerhaufen und den Kern der Italiener als zweiten in die Front und die Modenesen in die Reserve. Als die Bolognesen angriffen, warf sich ihnen Enzio mit seinen Deutschen, welche den gestrigen Rückzug wieder gut machen wollten, rasch entgegen, und bald tobte der Kampf auf allen Seiten. Doch war es weniger eine regelmäßige Schlacht, als eine Menge von Einzelgefechten, in denen beide Theile mit der größten Tapferkeit kämpften. Enzio, unter allen Rittern als der tapferste ausgezeichnet und durch seinen weißen, mit goldenen Adlern durchwirkten Mantel noch besonders kenntlich, suchte stets die edelsten und kühnsten Streiter auf. Man kämpfte bis gegen Abend, und noch hatte kein Theil entscheidende Vortheile errungen. Da traf Enzio auf Antonio Lambertacci, ließ sich mit ihm in einen Zweikampf ein, sein Pferd, von Antonio verwundet, stürzt, und Enzio fällt zu Boden. Rasch wollen ihn die Feinde ergreifen, aber die Deutschen werfen sich wie gereizte Löwen auf sie, theilen kräftige Hiebe aus, befreien den König, und auf’s Neue durchfliegt dieser auf einem andern Rosse die Reihen seines Heeres, um den schlimmen Eindruck, den sein Fall verursacht, durch sein persönliches Erscheinen zu verwischen. Aber es war schon zu spät. Die Modenesen hatten indessen nur mit Mühe der andrängenden Bolognesen sich erwehren können, warfen sich, auf die erste Nachricht von Enzio’s Sturz, in die Flucht und brachten dadurch das ganze Heer in Verwirrung. Enzio that, was er konnte, suchte die Fliehenden zum Stehen zu bringen, aber umsonst. Die meisten Welschen flohen unaufhaltsam, die tapfersten Deutschen lagen erschlagen, zu allem Unglück brach noch die Nacht herein, an einen geregelten Rückzug war nicht mehr zu denken, die Verfolger stürmten von allen Seiten auf die einzelnen kleinen Haufen, das Terrain war von tiefen Gräben und von Wald durchschnitten, kein Mensch kannte Weg und Steg, und Enzio, der Letzte auf dem Wahlplatze, sah sich plötzlich nebst 200 Anderen von einer ungeheueren Ueberzahl umringt und wurde gefangen. Der Jubel im Lager der Bolognesen war unbeschreiblich. Sogleich wurde Antonio Lambertacci an den Rath von Bologna geschickt, um weitere Verhaltungsbefehle einzuholen, und sämmtliche Gefangene einstweilen unter starker Bedeckung in das feste Castello Franco gebracht, das zwischen Modena und Bologna liegt.

Die Bevölkerung von Bologna brannte vor Begierde, den gefangenen König zu sehen, und bestürmte den Rath mit Bitten und Drohungen, den Befehl zu geben, daß man ihn sogleich in die Stadt bringen solle. Diese stolzen Republikaner konnten den Augenblick nicht erwarten, wo sie den Genuß haben sollten, eine königliche Majestät zu ihren Füßen zu sehen. Von allen verbündeten Städten kamen Gesandtschaften, um der siegreichen Schwesterrepublik Glück zu wünschen. Endlich kam die ersehnte Stunde. Bologna hatte nie einen Festtag glänzender gefeiert. Alle Kirchen, alle Staatsgebäude und Herbergen waren geschlossen; was man an öffentlichen und Privatschätzen Kostbares und Prachtvolles hatte, wurde zur Schau gestellt, alle Straßen und Häuser mit Blumen, Gemälden und Teppichen geschmückt. Alle Fenster und Dächer waren mit erwartungsvollen Zuschauern und Zuschauerinnen besetzt, die Straße dicht gefüllt von den Bürgern Bologna’s und den in Masse herbeiströmenden Nachbarn. Ein lautes Freudengeschrei sagte den entfernter Wohnenden, daß die Spitze des Zuges das Thor der Stadt betreten habe. Zuerst kamen Pfeifer und Posaunenbläser, kriegerische Weisen spielend, dann Reiter und Fußvolk mit Eichenkränzen geschmückt, hierauf wurde der erbeutete Reichsadler, mit umgekehrtem Speer, und der königliche Schatz, aus goldenen und silbernen Gefäßen bestehend, hergetragen. Nun folgte das Caroccio (Fahnenwagen) der Republik, von zwölf weißen Ochsen gezogen, welche auch geschmückt und mit Purpurteppichen behangen waren; neben der Fahne der Republik glänzte auf dem Wagen ein großes goldenes Kreuz; mehrere edle Jünglinge in glänzendem Harnisch und mit gezückten Schwertern gaben diesem städtischen Heiligthume das Geleite.

Hierauf wurden die gemeinen Gefangenen von einer Abtheilung Hellebardirer escortirt und ihre und der Gefallenen Helme und Waffen ihnen nachgetragen. Hinter diesen gingen viele deutsche und italienische Ritter und die edlen Führer Marino von Ebulo und Boso von Doaro. Diesen Beiden folgte König Enzio selbst, hoch auf seinem Streitroß sitzend, in kostbarem Kriegsgewand, mit glänzender Helmkrone geziert, welche sein bis an den Gürtel niederfallendes goldgelocktes Haupthaar zusammenhielt. Diese edle Kriegergestalt mit dem jugendlich weichen und zugleich kräftigen Antlitz, mit der würdevollen Haltung und dem stolzen Blick, mit dem tiefen Schweigen, das nur ruhige Ergebung, nur erhabene Fassung, aber keine Spur von Trauer ausdrückte, ragte wie der Held der Nibelungen aus Allen hervor und zwang ebenso sehr die [667] Männer zu Achtung und Bewunderung, als er die Frauen zu sanftem Mitleid erregte und ihre Herzen rascher schlagen machte. Der siegreiche Podesta ritt, mit einem Purpurkleid geschmückt, auf einem weißen Pferde hart hinter dem König. Eine Abtheilung Fußvolk schloß den Zug, der unter Hymnen und Siegesliedern nach der Kirche von St. Pietro sich bewegte, wo ein feierliches Tedeum angestimmt und die Gnade des Himmels für weitere Siege angefleht wurde. Dann nahm Enzio von seinen Mitgefangenen, welche heiße Thränen vergossen, zärtlichen Abschied, tröstete und ermunterte sie, theilte unter die ärmeren Geld aus und ließ sich willig in den Palast des Podesta führen, der ihm bis zur Erbauung eines eigenen, wohl befestigten und vergitterten, übrigens gut eingerichteten Hauses als Wohnung angewiesen wurde. Er war auf Alles, auch auf das Aeußerste gefaßt, schrieb einen Brief an seinen Vater und wurde durch einen alsbaldigen Besuch der Consuln überrascht, welche den Gebeugten trösteten und baten, seines berühmten Vaters weder je ganz zu vergessen, noch desselben allzusehr eingedenk zu sein.

Der Kaiser war durch dieses Unglück seines liebsten Sohnes auf’s Tiefste erschüttert. Nicht blos sein Herz, auch seine ganze Politik hatte einen furchtbaren Schlag erhalten. Daher schrieb er sogleich an den Rath und die Gemeinde von Bologna, daß sie bei Verlust seiner Gnade den König Enzio und alle anderen Gefangenen freilassen sollten. Aber vergeblich waren alle seine Verheißungen und Drohungen; von diesem Felsen republikanischen Stolzes glitten alle Blitze der kaiserlichen Gewalt machtlos ab. Die Bolognesen erkannten recht wohl, welch kostbares Unterpfand sie in dem gefangenen König bei allen Wechselfällen des Kriegs dem Kaiser gegenüber hatten, und wieviel dieser durch den Verlust seines trefflichen Feldherrn, seines treuesten Parteigängers, seines beliebtesten Unterhändlers verloren habe. Aus Gründen der Politik, im Interesse der Freiheit Italiens wiesen sie sowohl das Anerbieten Enzio’s, für seine Befreiung einen silbernen Ring, der um ganz Bologna herumgehe, ihnen zu geben, als auch alle Unterhandlungen Friedrich’s ab und antworteten ihm auf seine Drohungen, daß nach einem alten Sprüchwort ein wilder und schäumender Eber wohl auch durch einen kleinen Hund festgehalten werde. Ihr unabänderlicher Beschluß, welcher von der ganzen Gemeinde bestätigt wurde, lautete: „König Enzio bleibt bis zu seinem Tode in der Haft der Bolognesen.“ Die übrigen Gefangenen wurden bis zu ihrer Auswechslung gegen gefangene Guelfen oder bis zu ihrer Auslösung, je nach Stand und Würde, gleichfalls in der Gefangenschaft gehalten.

Zwar suchten die Bolognesen Enzio’s Haft so leidlich als möglich zu machen. Er durfte Besuche empfangen und Gesellschaften halten und sah die berühmtesten Rechtsgelehrten der Universität, die angesehensten Jünglinge der Stadt von Zeit zu Zeit bei sich, unterhielt sich mit jenen über Staatsangelegenheiten und genoß mit diesen die Freuden eines heiteren Mahles, das durch Musik und Dichtkunst gewürzt war. Die Letztere war es besonders, die ihm viele Stunden versüßte. Er sammelte, was ihm von schönen Dichtungen und Sagen bekannt oder in Bologna zu bekommen war, griff, des Schwertes beraubt, selbst wieder zur Leier, hauchte in süßen Canzonen und Sonnetten seine Klagen ans und erweiterte so sein Gefängniß zu einer reichen, schönen Welt. Aber so viel Freiheit man ihm im Innern des Hauses ließ, so streng wurde er doch von den vorsichtigen Bolognesen bewacht. Jeden Tag mußten der Podesta und die Consuln durch persönlichen Besuch von dem Dasein des Gefangenen sich überzeugen, einer der Hauptleute des Podesta selbst die Thüren verschließen und öffnen, und die Wächter wurden nur aus den reichsten, erprobtesten Bürgern gewählt. Auch war er 14 Jahre lang mit dem beschränkten und ungebildeten Deutschordensritter, Graf Conrad von Solimburg, in einem und demselben Zimmer eingesperrt, und erst auf wiederholte Bitten und Klagen wurde ihm „der unerträgliche und alberne Geselle“, wie ihn der Rath selbst bezeichnete, abgenommen und an einen andern Ort gebracht.

Unter den Jünglingen, welche ihn häufig besuchten und seine Einsamkeit erheiterten, fühlte sich besonders einer auf’s Lebhafteste zu ihm hingezogen, Pietro Asinelli, aus einer vornehmen Familie, ein Mensch von glücklichen Talenten und trefflichem Gemüth, ausgezeichnet durch seine Beredsamkeit und seine Vertrautheit mit den Schätzen der deutschen und italienischen Literatur, dazu voll heiteren italienischen Frohsinns und sinnigen deutschen Ernstes. Ein solcher Charakter war für Enzio wie gemacht. Es entwickelte sich zwischen Beiden die vertrauteste Freundschaft, Asinelli war fast der tägliche Gast des Königs und trug zur Aufheiterung seiner oft gedrückten Stimmung sehr viel bei. Hierzu kam noch ein anderer Umstand. Eines Abends brachte Asinelli einen nicht gar großen, feingekleideten Jüngling von ausnehmender Schönheit zu Enzio und bat ihn um die Erlaubniß, einen jungen Rechtsgelehrten ihm vorstellen zu dürfen. Dem König fiel dieser weiche Ausdruck des kindlich-jugendlichen Gesichtes, dieser feine Mund, diese rosigen Wangen auf, und zweiflerisch lächelnd sah er bald Asinelli, bald den neuen Gast an. „Unser junger Rechtsgelehrter,“ fuhr Asinelli fort, „ist ein leidenschaftlicher Bolognese und wünscht, um Eure Gefangenschaft vollständig zu machen, den Rechtsbeweis vor Euch zu führen, daß man nicht blos Euren Leib, sondern auch Euer Herz in Beschlag nehmen dürfe.“ Während der fremde Jüngling allerliebst erröthete und lächelnd Asinelli anzublicken schien, in Wahrheit aber Enzio anblickte, zog Letzterer rasch ein Papier hervor, das ihm Asinelli den vorhergehenden Tag in einem Blumenstrauß versteckt, als von einer Unbekannten kommend, überbracht hatte. Auf demselben standen mit zierlicher Frauenhand geschrieben die vier Worte: che ben ti voglio (Dir will ich wohl). Dieses Papier hielt er Asinelli hin, welcher lächelnd zunickte, und die süßen Worte wiederholend ergriff er die Hand der verkleideten Jungfrau und küßte sie. Es war Lucia Viadagola, die schönste unter allen Töchtern Bologna’s, aus einer armen, aber angesehenen Familie. Als sie bei dem Einzug Enzio’s unter dem mit Blumen verzierten Fenster lag, fiel sein Blick auf sie, und dieser Blick drang ihr bis in die tiefste Seele. Je größer der Abstand zwischen dem König von Sardinien und der armen Lucia war, je mehr sie in ihrer Freiheit die Gefangenschaft des Königs beklagte und beweinte, je schwieriger die Wege waren, um denjenigen, der so ganz ihre Seele erfüllte, auch nur zu sehen, geschweige zu sprechen, zu besitzen: desto heftiger, desto verzehrender brannte die Liebesgluth in ihrem Herzen. Von dem Gedanken, daß sie des Königs Lage durch ihre Liebe mildern könne, über alle Bedenklichkeiten weggetragen, vertraute sie sich Asinelli an, der dann das Weitere vermittelte. Enzio fühlte sich glücklich in dem Besitz der ebenso geistreichen als schönen Lucia und vermählte sich mit ihr. Sie erhielt die Erlaubniß, sein Loos mit ihm zu theilen, und im Jahr 1251 gebar sie ihm einen Knaben, welchem Enzio den lieblichen Namen Bentivoglio gab. Es ist merkwürdig, daß ein Nachkomme dieses Knaben als Fürst Bentivoglio, wie wenn er die lange Gefangenschaft seines königlichen Ahnen hätte rächen wollen, die republikanische Staatsform Bologna’s zertrümmerte und sich zum Herrn der Stadt aufwarf.

So verflossen dem Gefangenen nach und nach 20 volle Jahre, und so ruhig sich der Faden seines Lebens abrollte, so furchtbar, so vernichtend waren die Schläge, unter denen während dieser Zeit sein ganzes Geschlecht endete. Es spielte sich jene große Schicksalstragödie ab, in welcher von dem mit aller Kraft des Willens und des Geistes ausgerüsteten Kaiserhause in kaum zwei Decennien alle männlichen Glieder bis auf den letzten Sprößling vernichtet wurden. Der Kaiser war schon ein Jahr nach Enzio’s Gefangennehmung an einer Krankheit, wohl noch mehr vor Kummer über den allgemeinen Verrath gestorben; sein nächster Erbe, König Konrad von Deutschland, sah sich in der Heimath verrathen, kam nach Italien, eroberte das sicilische Königreich und starb dort 1254; der nächste Bruder, der durch Geist und Tapferkeit Enzio am nächsten ähnliche Manfred, behauptete darauf die sicilische Krone fest gegen alle Ansprüche, Bannflüche und Heere der Päpste, verlor aber gegen den französischen Prinzen Karl von Anjou, welchem der thörichte Papst jene Krone antrug, in der Schlacht bei Benevent 1260 Thron und Leben; Konrad’s Sohn, der 15jährige Konradin, nicht zufrieden mit seinem Herzogthum Schwaben, erfüllt von dem hohen Geist seiner Ahnen, wollte gleichfalls sein rechtmäßiges Erbe in Unteritalien erobern, war bei Scurcola zugleich Sieger und Besiegter, wurde auf der Flucht gefangen, an Karl ausgeliefert und auf dessen Befehl im Anblick des Golfs von Neapel 1268 enthauptet. So war Enzio noch der Letzte seines Stammes. Schon als der Jubelruf des Volkes in Bologna, das bei dem Einzug Karl’s diesem entgegenjauchzte, durch die Fenster seines Palastes drang, glaubte er voll Ingrimm seinen Arm erheben zu müssen. Als aber diesem französischen Eindringling anfangs Alles gelang und Enzio den Tod all der Seinigen vernahm, da erwachte die Erinnerung an die alle Heldenzeit stärker als je, und er, der noch Lebende, hielt sich für berufen, den völligen Untergang von seinem Hause abzuwenden, [668] als Rächer seines Geschlechts gegen Karl von Anjou aufzutreten und nicht nur in Italien, sondern auch in dem zerrütteten Deutschland die Fahne der Hohenstaufen hoch zu halten. Dieser Gedanke, zu dessen Ausführung vor allen seine Freiheit gehörte, ließ ihn nicht mehr schlafen, und er fand erst einige Ruhe, als er Asinelli seinen Kummer, seine Sehnsucht und seine Plane mitgetheilt hatte. Dieser war sogleich bereit, ihm behülflich zu sein, wenn sich ein passendes Rettungsmittel zeige. Beide Freunde sprachen nur noch von ihren Planen, und Enzio verhieß seinem treuen Pylades für den Fall des Gelingens Ruhm und Glück in Fülle. Es war freilich äußerst schwer, die so fest verschlossenen Thore zu öffnen oder die aufgestellten Wächter zu täuschen. Nur durch eine sehr schlaue List konnte man die Erreichung dieses Zieles hoffen. Endlich glaubte Asinelli das Richtige gefunden zu haben, besprach sich mit Enzio und zog auch den edlen Rainerio Gonfalonieri aus Piacenza, welcher in Bologna die Rechte studirte und zu dem poetischen Cirkel Enzio’s gehörte, in’s Geheimniß. Lucia und ihrem indessen herangewachsenen Sohn verheimlichten sie den ganzen Plan, damit sie, falls er mißlinge, nicht gleichfalls in’s Verderben hineingezogen würden. Der Tag der Ausführung wurde festgesetzt.

König Enzio und Lucia Viadagola im Kerker.

Ein ehrlicher Küfer, Namens Filippo, welcher dem König zu seinen Banketen schon manches Faß Wein geliefert und das geleerte auf seinen Schultern wieder zurückgetragen hatte, kam, durch glänzende Versprechungen gewonnen, gegen Abend in den Palast, und während die etwas sorgloser gewordenen Zimmerwachen in Folge des gar zu köstlichen Weins verhindert waren, ihrer Pflicht obzuliegen, nahm er ein im Vorsaal stehendes leeres Faß und trug es auf seinen kräftigen Schultern zum Palast hinaus. Schon war er glücklich durch alle Wachen und Thore gekommen, schon sah man in der Ferne Rainerio mit den zur Flucht bereitstehenden Pferden, als ein des Weges herkommender Soldat zufällig seinen Blick auf das Faß warf und eine goldene Locke aus demselben hervorhängen sah. „Was ist das? Solche Locken hat nur König Enzio! König Enzio!“ rief er, „König Enzio!“ Die Wachen eilten herbei, Filippo wurde festgenommen, das Faß, welches von Asinelli nicht ganz vorsichtig zugemacht worden war, geöffnet und, wie man vermuthete, Enzio darin gefunden. Filippo und der gleichfalls ergriffene Rainerio wurden öffentlich hingerichtet, Asinelli entkam durch die Schnelligkeit seines Pferdes den Verfolgern, wurde aber unter Verlust seines Vermögens auf immer verbannt, der unglückliche König sofort in die engste und strengste Verwahrung gebracht und Niemand mehr zu ihm gelassen, auch nicht Lucia und ihr Sohn, welche übrigens, da keine Schuld auf sie fiel, unangefochten blieben. Wie streng man ihn hielt, kann man daraus sehen, daß er einmal den Wächtern, welche ihm nichts zu essen geben wollten, den Vorschlag machte, darum zu würfeln. Er gewann und bekam durch einen Scherz wenigstens die nöthige Nahrung. Aber seine Kraft war gebrochen; er fühlte bald, daß er nicht mehr lange zu leben habe. Da ließ er einen Notar kommen, dictirte ihm seinen letzten Willen, vermachte in seinem Testament die so viele Länder umfassenden Ansprüche der Hohenstaufen seinem Vetter, Alphons von Castilien, und seinem Neffen, Friedrich von Thüringen, welcher ein Sohn seiner Schwester Margaretha war, ersuchte sie, für seine Töchter zu sorgen, verzieh den Bolognesen alle Schuld, dankte ihnen, daß sie seine Aerzte besoldet hatten, und bat sie, ihn nicht an ungeweihter Stelle, sondern in einer Kirche begraben zu lassen. Bald darauf starb er, am 15. März 1272, am Namenstag seiner geliebten Lucia. Er war 46 Jahre alt und hat fast 23 Jahre in der Gefangenschaft zugebracht. Außer seinem geliebten Bentivoglio hinterließ er drei Töchter. Die eine derselben, Helena, aus seiner Ehe mit Adelasia, hatte einen Grafen von Donotarico geheirathet und mehrere Söhne geboren; von den beiden andern, Maddalena und Costanza, ist ihr Ursprung so dunkel als ihr Schicksal.

Die Bolognesen, welche ihn in der letzten Zeit so unköniglich behandelt hatten, bestatteten ihn auf königliche Weise. Sie ließen ihn einbalsamiren, in Scharlach kleiden, sein Haupt mit einem aus Gold, Silber und Edelsteinen verfertigten Diadem schmücken und ihm ein Scepter in die Hand geben. Auf einer mit Sammt und Scharlach überzogenen Erhöhung stand

[669]

König Enzio’s verhinderter Fluchtversuch.

der offene Sarg und wurde in feierlichem Zuge,[1] an welchem zum zweiten Mal die ganze Bevölkerung Bologna’s Theil nahm, in die Kirche von St. Dominico gebracht. Eine zwei Fuß hohe gekrönte Bildsäule von Marmor und eine Inschrift bezeichnen noch jetzt in Bologna die Grabstätte des letzten Hohenstaufen.



  1. WS: fehlendes Komma ergänzt.