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Deutsche Aerzte im Oriente

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Textdaten
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Titel: Deutsche Aerzte im Oriente
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 400
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bedeutung von deutschen Ärzten an verschiedenen Höfen und in gesellschaftlich hohen Posten
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[400] Deutsche Aerzte im Oriente. Von den Männern der Wissenschaft waren es zuerst die deutschen Aerzte, die gleichsam als Missionäre der abendländischen Cultur ein segensreiches Wirken im Oriente entfalteten. Dem deutschen Arzte Dr. Czihak aus Aschaffenburg verdankt die Moldau nicht nur die Regelung des ganzen Sanitätswesens, die Einführung dahin einschlagender Institute und andere wohlthätige allgemein nützliche Anstalten, er war es auch, der zuerst die Aerzte im Lande zu einem Vereine sammelte, um medicinische Zeitschriften zu lesen, er gründete die erste naturforschende Gesellschaft, gab selbst das erste naturwissenschaftliche Werk in der Landessprache heraus und wirkte überhaupt nach allen Seiten weckend und fördernd. Was Czihak in Jassy, war Dr. Mayer aus Wien in Bukarest: ein Mann von vielseitig wohlthätigem Einfluß. Niemand ist das Innerste der Familien so zugänglich wie dem Arzte; an ihn wenden sich nicht nur die körperlich, sondern auch die an der Seele Leidenden. Er wird bald und ohne es zu wollen der Vertraute der Familien. Der Bojar, der ebenso mit seinen politischen Feinden und Freunden, wie mit dem in vielfachen Beziehungen zu ihm stehenden ausländischen Geschäfts- und Gewerbsmann zu kämpfen hat, zieht seinen erfahrenen und ehrenhaft erprobten Arzt zu Rathe, und läßt sich gerne von ihm bescheiden, von ihm, der oft vermittelnd für ihn eintreten muß. Ebenso wendet sich an ihn die Dame des Hauses mit ihren Angelegenheiten, der Sohn, die Tochter, ja auch des Hauses Beamte. Er wird auf diese Weise zum Rathgeber, Vermittler, Schiedsrichter, ja gewissermaßen zum Regulator der Familie, und da er in der ganzen Stadt beständig herumkommt, die intimen Verhältnisse der Familien und deren Beziehungen zu einander genau kennt, so kann er so manches Uebel verhüten, gar vieles Gute stiften, freilich auch viel Böses anrichten. So behauptet er auf diese Weise in socialer, moralischer und politischer Beziehung oft den tiefeingreifendsten Einfluß. In dieser Beziehung insbesondere hat sich Dr. Mayer die dankbarste Anerkennung erworben, er ist der gute Genius der deutschen Colonie geworden und mit den Bukarester Primatenhäusern förmlich so verwachsen, daß sie ohne ihn gar nicht mehr bestehen können.

Ein anderer allgemein verehrter deutscher Arzt, ist Dr. Steege in Jassy. Er war unter Cusa und dem jetzt regierenden Fürsten Carl Hohenzollern rumänischer Finanzminister und ist mit wichtigen diplomatischen Missionen ins Ausland und noch in diesem Jahre an den Wiener kaiserlichen Hof betraut worden. Diesen und andern würdigen Männern folgten leider aber auch solche, die vom Abendlande gleichsam über Bord geworfen, mit keinem anderen Berufe, als dem, ihr eigen Wohl zu fördern, hieher kamen, und die im Gegensatze zu jenen Ehrenmännern das Abendland hier nur in Mißcredit brachten.

Ein jetzt ebenso renommirter als reich gewordener deutscher Arzt kam seiner Zeit als armer ungekannter Chirurg nach Jassy. Der Zufall wollte, daß die Tochter des dazumal regierenden Fürsten eine unvorgesehen schnelle, aber sehr schwere Geburt hatte, und daß kein Arzt im Augenblicke da war. Er wurde als der einzige Anwesende gerufen. Die Sache war in der That sehr gefährlich, aber unser Mann war kühn und glücklich: die Fürstin genas. Das Aufsehen war groß, noch größer ist der Ruf des Arztes geworden, den die Dankbarkeit der fürstlichen Familie ihm verschafft. Er wurde Hof- und Leibarzt des regierenden Fürsten und seiner zahlreichen Familie, alle Magnatenhäuser rissen sich förmlich um ihn, er gelangte in Kurzem zu großen Reichthümern und mit diesen auch zum ärztlichen Diplom, das er früher nicht hatte. Als er so auf des Glückes Höhe stand, trat der Versucher zu ihm in Gestalt der Gegenpartei des Regenten und sprach: „Wir haben zu Dir Vertrauen, entsprichst Du ihm, werden wir Dir Schätze die Fülle geben.“

„Sprechen Sie ungescheut, ich bin der Ihrige für alle Fälle,“ entgegnet darauf der Schätzegierige voll Erwartung.

„Wohlan,“ sagt man ihm, „es handelt sich um die Entfernung des Regenten. Du sollst ein schriftliches Zeugniß ausstellen, daß der Regent an unheilbarer Melancholie leidet und zur Regierung untauglich ist. Einer unserer Partei, und zwar ein Schwiegersohn des Fürsten, wird dann die Regierung übernehmen, und so bleibst Du immer fürstlicher Hof- und Leibarzt und erhältst namhafte Beneficien und Summen, nur mußt Du sorgen, daß dieses Zeugniß auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich habe – verstehst Du wohl? – denn seine Partei muß ihn thatsächlich für unheilbar halten und sich davon überzeugen können.“

Kurze Zeit darauf erkrankte der Fürst in der That an einer Art Delirium – das Zeugniß wurde in aller Form ausgestellt – die Partei des Fürsten gerieth darüber, nämlich über die Krankheit, denn vom Zeugnisse durfte sie ja nichts wissen, in nicht geringe Bestürzung, – da kommen die Russen in’s Land. Die Partei des Regenten athmet freier, der Arzt aber wird bedenklich, er wagt seine Behandlungsweise nicht fortzusetzen, – und so schwankten die Dinge auf der Wagschale des Geschickes, – als eines Tages der Regent seinen Leibarzt überraschte, indem er ihm dessen ausgestelltes Zeugniß über seine Regierungsunfähigkeit vor die Augen hielt. Die Intrigue ist durchschaut und an den Petersburger Hof, der sich bekanntlich zur Zeit als Protector mit den inneren Angelegenheiten der Fürstenthümer zu befassen das Recht hatte, darüber berichtet worden, wornach der russische Beamte in Jassy den Auftrag erhielt, den Regenten über alle gegen ihn gerichtete Intriguen aufzuklären. Der auf den Tod erschrockene Arzt fiel dem Fürsten zu Füßen. Der großmüthige menschenfreundliche Ghika ließ ihn aufstehen. „Gehen Sie, und bemühen Sie sich nicht mehr zu mir.“ Das war Alles, und dabei ließ es der Fürst bewenden. Der Arzt aber versah sich mit Dolch, Säbel und Pistolen, versorgte seine Schätze und war gefaßt alle Augenblicke von Gensd’armen ergriffen und über die Grenze gebracht zu werden. Nur bewaffnet und in Begleitung besuchte er seine Patienten, und unter diesen waren ja auch die Familie des Fürsten, seine Schwiegersöhne, ja auch seine Söhne. Der arme reiche Mann kam indeß mit dieser Angst davon. Jetzt ist die Sache vergessen und die ganze Welt huldigt wieder seiner Kunst und seinem Gelde. –

Wie ganz anders handelte beinahe gleichzeitig ein anderer deutscher Arzt, der Dr. Spitzer in Constantinopel! Als in den fünfziger Jahren eine weitverzweigte und sehr bedrohliche Verschwörung der Alttürkenpartei, in welche selbst Mitglieder des kaiserlichen Hauses verflochten gewesen sind, in Constantinopel im Anzuge war, brachten die Wiener Zeitungen als Correspondenznachrichten von dorther die alarmirende Kunde, daß der Padi Schah vergiftet und seine reformatorische Regierung in einer Nacht gestürzt worden sei. Zum Glück bestätigte sich diese Nachricht nicht, aber nach Zusammenstellung der in diesen Nachrichten enthaltenen Specialitäten mit den späteren aus den Untersuchungen erhaltenen Daten konnte man inne werden, wie fest diese Verschwörung stand und wie sicher sie des Erfolges war, da man keinen Anstand nahm, sie als eine vollbrachte Thatsache der Welt anzuzeigen, bevor sie überhaupt zum Ausbruche gekommen. Sie wurde nicht ausgeführt. Sie scheiterte, und sie scheiterte an der Biederkeit unseres deutschen Landsmannes, des kaiserlich türkischen Leibarztes Dr. Spitzer aus Wien. Neben anderen bedeutenden Beneficien wurden ihm drei Millionen angeboten, damit er den Padi Schah vergifte, – damit er das Vertrauen in der Menschheit morde. Nur wer die Verhältnisse in Constantinopel kennt, wird die Lage, in der sich Dr. Spitzer befand, gehörig zu würdigen wissen. Ob er die That vollbringe oder nicht, es war gleich gefährlich. Dr. Spitzer war aber nicht einen Augenblick über die zu ergreifende Partei unschlüssig: er rettete den Sultan und mit ihm die künftige Civilisation des Orients. Abdul Medschid ließ seinem Retter die diesem von den Verschworenen gemachten Versprechungen realisiren, sorgte aber mit väterlicher Hast ihn nach Wien zu schicken, da er selbst seiner kaiserlichen Machtvollkommenheit nicht zutraute, ihn in Constantinopel vor geheimer Rache erfolgreich schützen zu können. In Wien bekam Dr. Spitzer als Gesandtschaftsrath die Leitung der dortigen türkischen Ambassade, welchen Posten er auch annahm, nachdem er alles Uebrige entschieden zurückgewiesen hatte.

Ich habe diesen Herrn in Wien gekannt, er lebte dort im Schooß seiner Familie. Von kleiner schmächtiger Statur, einfach in seiner ganzen Erscheinung hatte er beim ersten Anblick kein besonders einnehmendes Wesen, aber in seinem Antlitz lag der Ausdruck einer unerschütterlichen Ruhe, eines tiefinnersten Friedens, und sein seelenvolles Auge leuchtete zuweilen in einem ganz eigenthümlich wohlthuenden Lichte. Er sprach leise und er sprach wenig, aber wenn er sprach, hatte die Bewegung seiner Lippen etwas sehr Anmuthendes und Gewinnendes, und man mußte ihm gut sein, hätte man ihn auch nicht näher gekannt. Er war die Seele der Leiter der türkischen Gesandtschaft, obwohl er nicht als deren Repräsentant figurirte. Die liberale Partei in Wien, mit der er verkehrte, hielt große Stücke auf ihn. In diesem Manne vorzüglich wird die Nachwelt den deutschen Einfluß im Oriente segnen!