Der verliebte Reisende (Eichendorff)
[59]
Der verliebte Reisende
1
Da fahr ich still im Wagen,
Du bist so weit von mir,
Wohin er mich mag tragen,
Ich bleibe doch bei dir.
[60]
Und schöne Täler tief,
Und Lerchen hoch in Lüften,
Als ob dein' Stimme rief.
Die Sonne lustig scheinet
Ich bin so froh verweinet
Und singe still in mir.
Vom Berge geht's hinunter,
Das Posthorn schallt im Grund,
Grüß dich aus Herzensgrund.
2
Ich geh durch die dunklen Gassen
Und wandre von Haus zu Haus,
Ich kann mich noch immer nicht fassen,
Da gehen viel Männer und Frauen,
Die alle so lustig sehn,
Die fahren und lachen und bauen,
Daß mir die Sinne vergehn.
Seh über die Dächer fliehn,
Sonnenschein draußen schweifen,
Wolken am Himmel ziehn:
Da treten mitten im Scherze
Denn die mich so lieben von Herzen
Sind alle so weit von hier.
3
Lied, mit Tränen halb geschrieben,
Dorthin über Berg und Kluft,
Schwing dich durch die blaue Luft!
Ist sie rot und lustig, sage:
Ich sei krank von Herzensgrund;
Ja, dann sag: ich sei gesund!
Ist vorbei ihr treues Lieben,
Nun, so end auch Lust und Not,
Und zu allen, die mich lieben,
4
Ach Liebchen, dich ließ ich zurücke,
Mein liebes, herziges Kind,
Da lauern viel Menschen voll Tücke,
Die sind dir so feindlich gesinnt.
Auf Erden das schöne Fest,
Ach, könnte das Lieben aufhören,
So mögen sie nehmen den Rest.
Und alle die grünen Orte,
Die sind nun wohl anders geworden,
Da ist's nun so still und kalt.
Da sind nun am kalten Himmel
Viel tausend Sterne gestellt,
Weit übers beschneite Feld.
Mein' Seele ist so beklommen,
Die Gassen sind leer und tot,
Da hab ich die Laute genommen
Ach, wär ich im stillen Hafen!
Kalte Winde am Fenster gehn,
[62] Schlaf ruhig, mein Liebchen, schlafe,
Treu' Liebe wird ewig bestehn!
5
Der Himmel blau,
Wir saßen beide
Auf glänzender Au.
Sind's Nachtigallen
Lerchen, die schallen
Aus warmer Luft?
Ich hör die Lieder,
Fern, ohne dich,
Doch nicht für mich.
6
Wolken, wälderwärts gegangen,
Wolken, fliegend übers Haus,
Könnt ich an euch fest mich hangen,
Tag'lang durch die Wälder schweif ich,
Voll Gedanken sitz ich still,
In die Saiten flüchtig greif ich,
Wieder dann auf einmal still.
Fallen ein mir, wo ich steh,
Lustig muß ich schreiben, dichten,
Ist mir selber gleich so weh.
Manches Lied, das ich geschrieben
Da die Welt vom treuen Lieben
Schön mir überglänzet war;
[63] Find ich's wieder jetzt voll Bangen:
Wer ich wunderbar gerührt,
Was mich zu dem Lied verführt.
Diese Wolken ziehen weiter,
Alle Vögel sind erweckt,
Und die Gegend glänzet heiter,
Regen flüchtig abwärts gehen,
Scheint die Sonne zwischendrein,
Und dein Haus, dein Garten stehen
Überm Wald im stillen Schein.
Wo so lang dein Liebster sei –
Und mich tötet noch im Herzen
Dieser Schmerzen Zauberei.