Der unterirdische Schaz in Überlingen
Überlingen war ehedem eine freie deutsche Reichsstadt und als solche wolbewert mit Türmen, Mauern u. Gräben. Noch jezt stet mancher alte Turm als grauer Zeuge der frühern Werhaftigkeit, da u. dort sind auch noch Überreste der Schuzmauern u. die alten, die Stadt ringsumgebenden Festungsgräben, welche aus dem Molassefels gehauen sind, wurden zu hübschen Anlagen u. Spaziergängen umgewandelt u. bilden jezt eine Zierde der Stadt.
An den Mauern u. in den Gräben trifft man mitunter eingefallene Gewelbe oder auch zugemauerte Tore, welche dereinst in unterirdische Gänge fürten, deren es vile gab; denn die einzelnen Festungstürme sollen auf dise Weise mit einander wie auch mit andern wichtigen Punkten der Stadt in Verbindung gestanden sein; so ist im Graben am Bärfüßertore in der Nähe der Bestlemüle noch eine Maueröffnung, durch die man mittelst eines Ganges zur sog. „Burg“, der ehemaligen Residenz des Alamannenherzogs Gunzo, gelangen konnte. Andere heimliche Gänge sollen unter der Stadt hinziehen biß an den See hinab und da u. dort mit Häusern in Verbindung sten. So soll im Münster eine geheime Treppe beim Hl. Dreikönig-Altar in ein unterirdisches Gewelbe hinabfüren. In disen unterirdischen Gängen sind – so erzälen noch heute alte Leute – seit unvordenklichen Zeiten ungeheure Schäze aufgehäuft, welche in Kriegsjaren dahin geflüchtet wurden, u. zwar in solcher Menge, daß die ganze Stadt, wenn sie dreimal verbrannte, dreimal wider aufgebaut werden konnte. Nur wenige Mitglider des Magistrats, der sog. Geheime Rat, kannte den Ort, wo der Schaz geborgen lag; allen Andern war er unbekannt. Heutzutage sind die unterirdischen Gewelbe u. Gänge größtenteils verschüttet u. die Zugangstore zugemauert.
An der Krummbergstraße, oberhalb des Rosenobelturms, findet sich ein solch zugemauerter Torbogen, dem die Jareszal 1674 eingemeißelt ist; von hier aus zieht ein unterirdischer [54] Gang mitten unter der Stadt hin. Vor etwa 100 Jaren giengen 3 Überlinger Knaben Namens Nepomuk Hehl, Josef Kimmacher u. Student Spiegler in der Absicht, den unterirdischen Schaz zu suchen, mit brennenden Wachskerzen durch disen Torborgen, der damals noch offen war, in den Gang, schritten immer weiter vorwärts u. gelangten nach langem Wandern, als sie nach irer Schäzung etwa unter dem Münster waren, an ein großes Gewelbe, welches mit einem schweren Eisengitter verschloßen war u. vile eiserne Kisten enthielt. Um die Gegenstände beßer zu sehen, hielten sie die brennenden Kerzen durch das Gitter. Da erblickten sie einen aus Stein gemeißelten Ritter mit erhobener Waffe, wie wenn er als Wächter hier aufgestellt wäre. Erschroken bebten die Vorwizigen zurük, da erloschen ire Liechter u. Dunkelheit herschte ringsum. Die Bürschlein fürchteten sich nun ser, sie schrien um Hülfe, aber vergebens. Sie wollten umkeren, fanden jedoch den Rükweg nicht mer, verirrten sich u. tappten nun, mit den Händen an den Wänden tastend, weiter u. weiter, biß sie nach stundenlangem Irrgange einen Schimmer in der Ferne warnamen. Sie giengen der Helle nach u. erreichten den Ausgang aus irem unterirdischen Gefängnisse, welcher – wie sich zeigte – im ehemal. Garten des Kapuzinerklosters am See sich befand. Ein Kapuziner machte nemlich gerade zu diser Stunde einen Spaziergang im Klostergarten; da hörte er zu seinen Füßen ein Hilfgeschrei, als ob es aus der Erde käme, erwartungsvoll hob er eine Steinplatte auf; da krochen die 3 Knaben todesbleich, voll Spinngeweb, Staub u. Moder aus dem Boden heraus. Auf Befragen erzälten sie dem erstaunten Mönch ire Abenteuer. Einer der Knaben, der Student Spiegler, starb nach einigen Tagen infolge diser Erlebnisse, wärend die beiden andern sich von irem Schrecken bald wider erholten. Noch heute erzälen deren Nachkommen von disem Besuche in der Unterwelt Überlingens (mündlich).
UEBERLINGEN | THEODOR LACHMANN |