Der tote Ton
[146] Der tote Ton.
Nach Kornel Ujejski’s Phantasie
zu Chopin’s Trauermarsch.
Ton von Glocken. Droh’n von Glocken. Wo nur? Weh.
ich falle!
Wohin wollten doch die stummen, grauen Mönche alle?–
Um mein dunkles Gitter seh ich Nachtgespenster jagen,
Ringsum glimmt die Luft von Kreuzen, und die Fackeln bluten,
und man führt mich an den Armen – ach dies weiche Fluten!
Von alleine gehen meine qualgelähmten Beine,
ach so schön geführt; ich kenne keine Straße, keine;
nur im Kopfe, nur im Herzen fühl’ich etwas wühlen.
Etwas prüft da seine Krallen, scharfe, krumme Krallen,
und die Raben klagen drüben, und die Glocken hallen.
Ach, ich höre ferne Chöre – ei so lieb, so liebe;
Und es rieselt etwas Kaltes über meine Mienen,
alle Menschen stieren her, und – Keiner naht von ihnen;
etwas muß in diesen Mienen herrschen, daß sie graut – ja!
und es rieselt etwas Kaltes über meine Haut da.
aber mich zieht eine Hand, die hält mich starr umschlossen.
Großer Gott, der Sarg, der Sarg da – kommt wol auf
mich los da?!
Da im Sarge, ja im Sarge liegt mein Daseinsloos – ja...
wo-für? wo-für? aach!
Du, der Herr der Kreaturen, Herr der Sternenwelten,
Mich zerbrachst du! Schmach!
Du ein Gott? Wo denn, sage?!
Tritt doch her hier, grinsend, prahlend, mit dem Hohn im Blicke,
Du – Scheusal der Nacht!
Bin doch größer, ich mit meinem großen Gramgeschicke,
als du Gott der Macht!
du Giftgott! –
Ja: so stöhnen hohl die Glocken ...
Jessus-Maria,
thut so drohn, der tote Ton!
Heilig in der weißen Seide
träumt sie, still und schwer,
bleich gekreuzt die Hände beide –
nein, du träumst nicht mehr!
Myrtenkranzes, nicht,
nie mehr meine Lippen zittern,
küss’ich dein Gesicht.
Hörst mich fahl Gespenst nicht schreiten
weißt nicht, daß wir dich begleiten
in die dumpfe Gruft.
Und dich in den Sarg zu legen,
dazu liebt’ich dich?
drum gebar sie dich?!
[148] Das mein Brautbett? und ich klage
und ich lebe noch?
Gott, nach solchem, solchem Tage,
Oh wie war sie süß und milde:
wie ein Liebeslied,
wie durch dämmernde Gefilde
fern ein Engel zieht.
wenn ich an ihr hing
und von ihrem Mund das reine
Sakrament empfing.
Ja, sie war mein guter Wille,
Ihrer Seele große, stille
Flamme führte mich,
führte mich – wohin? o Jammer:
oh, durch Himmelsluft
deiner kalten Gruft!
Das mein Brautbett? und ich klage
und ich lebe noch?
Gott, nach solchem, solchem Tage,
Und nun heben sie den Sarg und – woll’n sie mir wol
nehmen?!
Was, Gewalt? sie woll’n mich halten?! Hahahah, ihr Memmen!
Hahahah, ihr tollen Hunde! Laßt mich los! ich rase!
euch zu Staub, ihr mürben Spinnen! Weg da, feile Menge:
Meinem königlichen Gram ist eure Brust zu enge!
[149] Nur ein König darf mein Kleinod reißen mir vom Herzen!
Und sie weichen... Aber ich, ich großer Fürst der Schmerzen,
und nun steh ich vor dem Sarge, steh vor meinem Thron – Hoh:
wozu hockst du, Totengräber, da mit deinem Spaten?
wieviel kostet wol solch König, Bruder, zu bestatten?
Ja, begrabt mich! aber tief, tief! mir wird schlecht – wer
Schwerer als der Sand da unten drückt hier diese Welt mich...
Weg den Wedel! Kein geweihtes Wasser soll sie schänden;
ich allein, mit meinen Thränen, darf die Weihe spenden,
Ich, ihr Hoherpriester! Wehe –: aus dem Mönchtalare
Hand, – sie zieht mich in die Kniee, naht mir, – weh, ich falle,
eine Sense saust – – ich stürzte. Und sie kamen Alle,
und sie brachten mich hierher, ach! Ach, aus ein paar Funken
Glück ein Brand von Pein!
Bist du denn? Nein! nein!
Mein Herz ist,
was du bist!
Hier mein klopfend Herz dein Klöppel, du die hohle Glocke!
Gott, bat ich dich, heh?
Bin in meinen Daseinsketten doch kein Knecht am Blocke?!
Ich bin frei! ich geh!
du Giftgott,
Ja, so stöhnen hohl die Glocken...
Jessus-Maria,
thut so drohn, der tote Ton!
der Ton... der Ton...