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Der politische Rundfunk

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Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Ignaz Wrobel
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Titel: Der politische Rundfunk
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. Jahrgang 22, Nummer 20, Seite 788
Herausgeber: Siegfried Jacobsohn
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 18. Mai 1926
Verlag: Verlag der Weltbühne
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933. Athenäum Verlag, Königstein/Ts. 1978. Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Der politische Rundfunk

Nichts ist so abscheulich wie der „unpolitische“ Mensch. Er tut nämlich immer, als gäbe es ihn, und so schafft er unpolitische Generalanzeiger, unpolitische Magazine, unpolitische Filme, unpolitische Parteien. Nun gibt es selbstverständlich nichts Unpolitisches, und man kann darauf schwören, hinter diesem Getu allemal einen Hugenberg-Redakteur, einen mittlern Bürger, einen Patrioten zu finden, der entweder schwindelt oder dem seine Lebensauffassung so zur Natur geworden ist, daß er gar nicht begreift, wie grade sie einen Streitpunkt abgeben kann. So ists auch mit dem Rundfunk.

Militärmärsche und bebartete Vaterlandsvorträge und körperliche Leibesübungenertüchtigung und kölnische Befreiungsfeiern, kurz: Deutsche Volkspartei, wo sie am finstersten ist. Dazwischen sind Konzessionen an die klarer denkenden Volksgenossen immerhin bemerkenswert. Jedenfalls ist dieser schwanke Kahn auf die Dauer nicht in der Balance zu halten, immer kippt er nach rechts über, und das Ganze ist Lüge. Was wir brauchen, ist der politische Rundfunk.

Nun kann sich ja der Deutsche mit seiner universal ausgebildeten Phantasie Alles vorstellen, nur keine wahre Demokratie des Alltags, also keinen Hydepark, wo die Redner sämtlicher Farben sich heiser reden, unter gütiger Assistenz eines bobby, der freundlich lächelnd weiß: der Staat geht davon nicht unter. Im Gegenteil: hier ist das Sicherheitsventil, das keine ungesunde Ansammlung von Dampf duldet. Das sollte der Rundfunk uns sein.

Denkbar wäre, daß jede Partei, daß jede Geistesrichtung ihre Redner vorschickt, paritätisch verteilt, in anständiger Abwechslung. Wer nicht zuhören will, hängt ab. Aber die ganze Frechheit der nationalen Kreise, die ganze Schlappheit der Opposition liegt schon in diesem Faktum, daß Das, was diese Burschen „nationale Gesinnung“ nennen, als selbstverständlich vorausgesetzt wird.

Es müssen nun nicht grade Wahlreden im Rundfunk gehalten werden, und parlamentarische Bräuche wollen wir gewiß nicht abhören. Aber warum nicht Leonard Nelson und seine erbittertsten Gegner? Warum nicht einen Pazifisten und einen Militaristen – vielleicht vom Reichsarchiv einen – in öffentlicher Diskussion? Warum nicht einen Wissenschaftler wie den Professor Julius Hirsch und irgendeinen nationalen Mediziner aus München? Warum immer nur einen? Warum nicht beide?

Weil unsre Republikaner klug und taktisch sind und realpolitisch und verantwortungsbewußt. Womit sie seit acht Jahren im Mustopp sitzen.

Der patriotische Rundfunk ... das ist so, wie wenn Einer sagt: Wir erlauben die neuen Automobile, die da aufgekommen sind; aber es dürfen nur Generale und nationale Studenten darin fahren.

Das Automobil ist ein Verkehrsmittel, das Allen gehört, sodaß Keiner einen Vorsprung hat. Das Tempo wird für Alle schneller. Der Rundfunk könnte eben das sein, wenn Ihr nur wollt. Aber wir müssen wohl erst ein Rundfunkgesetz, Rundfunkgesetzausführungsbestimmungen, die Judikatur, die Literatur und vierundzwanzig Untersuchungen über die „Psychologie des Rundfunks“ haben, bis sich auch in Deutschland herumgesprochen haben wird, daß der Rundfunk neutral zu sein hat. Was er nicht ist.

Ignaz Wrobel