Zum Inhalt springen

Der neueste Gegner des Papsthums

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der neueste Gegner des Papsthums
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 715–718
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[715]
Der neueste Gegner des Papstthums.

Der Brief des Paters Hyacinthe an seinen Ordensgeneral hat in allen Ländern unseres Welttheils das lebhafteste Aufsehen erregt. Dieser Brief ist ein Ereigniß von um so größerer Tragweite, als sich der frühere Carmelitermönch in frischem kräftigem Mannesalter befindet und, wie man annehmen darf, entschlossen ist, den Kampf, den er so muthig begonnen, eben so muthig fortzusetzen. Die Gartenlaube, als freisinniges Organ der Zeit, wird nicht unterlassen können das Portrait und die Lebensskizze des muthigen Mannes zu bringen, auch wenn sie, wie das bei ihrer großen Auflage begreiflich, damit allen übrigen illustrirten Zeitungen nachhinkt.

Pater Hyacinthe, oder wie er mit seinem Familiennamen heißt: Charles Loyson, 1827 in Orleans geboren, besuchte mit seinem ältern Bruder das College in Pau, wo er sehr eifrig den classischen Studien oblag. Er machte sich damals durch einen sehr lebhaften Sinn für die Poesie bemerkbar und unterließ es nicht, in den Erholungsstunden den Musen zu opfern, aber nur im Stillen und zu seinem eigenen Vergnügen. Er hat seine poetischen Versuche niemals der Oeffentlichkeit übergeben. Es muß dies hier deshalb bemerkt werden, weil seine Widersacher ihn als schlechten Poeten lächerlich zu machen suchen. Man hat ihn theils absichtlich, theils unabsichtlich mit einem seiner Vettern verwechselt, dessen Musenkinder allerdings nicht sehr gerathen sind.

Pater Hyacinthe.

Charles Loyson hatte kaum das achtzehnte Jahr zurückgelegt, als er in’s Seminarium St. Sulpice zu Paris trat. Hier wurde sein Gefühl der Unabhängigkeit gar oft durch die Regeln des blinden Gehorsams stark verletzt. Er unterwarf sich denselben freilich, aber nicht ohne innern und äußern Kampf, und es kam nicht selten zwischen ihm und seinen Vorgesetzten zu inneren Conflicten. Sein Fleiß, die Reinheit seines Charakters und die Strenge, mit der er diese Reinheit überwachte, rangen jedoch seinen Obern volle Anerkennung ab, und nachdem er vier Jahre im genannten Seminare zugebracht, erhielt er die priesterliche Weihe und wurde bald darauf zum Professor der Philosophie am Seminar zu Avignon, dann zum Professor der Theologie am großen Seminar zu Nantes und endlich zum Vicarius im Sprengel St. Sulpice zu Paris ermannt. Als solcher that er sich bereits durch seine Beredsamkeit hervor. Indessen blieb er nicht lange in dieser Stellung. Er trat in den Orden der Dominicaner. Die bitteren Enttäuschungen, die er in diesem Orden erlebte, trieben ihn 1862 nach Lyon, wo er in’s Carmeliterkloster trat. Der junge Carmelitermönch erwarb sich in dieser großen Stadt schnell den Ruf eines Kanzelredners von hoher Bedeutung, man drängte sich so sehr nach den Kirchen, wo sein gewaltiges Wort erklang, daß ihn der Bischof von Perigueux einlud, in der berühmten Kathedrale dieser Stadt während des Advents eine Reihe von Predigten zu halten. Der [716] Erfolg blieb hinter den großen Erwartungen nicht zurück. Im Jahre 1864 kam er nach Paris. Hier bestieg er zuerst die Kanzel in der Madeleine, und schon nach der ersten Predigt war er der Held des Tages. Er predigte dann fünf Jahre während des Advents in der Notre-Dame-Kirche, und diese war dann immer so überfüllt, daß viele Hunderte, die sich von allen Enden und Ecken der Riesenstadt herbeigedrängt, keinen Zulaß finden konnten.

Wenn ihm nun diese Predigten, auf die wir bald zurückkommen werden, neben unzähligen Bewunderern auch viele heftige Widersacher zuzogen, so wurden dieselben auf’s Unversöhnlichste erbittert, als der Pater im vorigen Winter in einer Versammlung der Friedensliga und in Anwesenheit eines protestantischen Geistlichen und des Oberrabbiners von Paris ausrief, die mosaische, katholische und protestantische Religion seien Himmelsschwestern von ganz gleichem Range. Die finsteren Eiferer, die nicht genug bedauern können, daß die Scheiterhaufen für immer erloschen und daß die Inquisition für immer verschwunden, die finsteren Eiferer schrieen Ach und Zeter und beschuldigten den muthigen Pater der Gottlosigkeit. Dieser konnte und wollte keinen Schritt zurückweichen, und ein völliger Bruch war vorauszusehen. Der Bruch erfolgte denn auch bald durch seinen vom zwanzigsten September datirten Absagebrief. Die erste Abschrift desselben wurde dem „Temps“ zur Verbreitung eingesendet; zwei andere Abschriften gingen sodann nach Rom ab.

Am zwanzigsten September dieses Jahres hat Pater Hyacinthe mit der Ordenstracht seinen Mönchsnamen abgelegt. Er heißt jetzt wieder Charles Loyson. In diesem Augenblicke befindet er sich in den Vereinigten Staaten; aber noch vor Ende dieses Jahres wird er sich in Rom einfinden, nicht um dort zerknirscht Pater peccavi zu seufzen, sondern seine Ansichten unerschrocken zu verfechten. Er wird diesmal freiwillig nach Rom gehen. Voriges Jahr ist er vom Papste nach der ewigen Stadt citirt worden, um sich gegen die Anklagen zu vertheidigen, welche die ultramontane Partei gegen ihn erhoben. Bevor er sich indessen vor Pius dem Neunten stellte, wohnte er in seiner Ordenstracht den Verhandlungen des italienischen Parlamentes bei, was den Haß seiner Feinde womöglich noch vermehrte. Vergessen wir auch nicht zu erwägen, daß Abbé Loyson, sobald er das traurige Schicksal der Nonne Ubryk vernahm, seine Schwester, die sich ebenfalls im Kloster der Carmeliterinnen befand, aus demselben befreite.

Der große Ruf, dessen sich Abbé Loyson als Kanzelredner erfreut, ist durchaus gerechtfertigt. Das Wort fließt ihm leicht und voll von den Lippen. Seine Stimme ist eben so stark als wohlklingend, und er weiß durch die Kraft der Ueberzeugung seine Zuhörer zu begeistern. Mehrere sonst nicht leicht erregbare Personen haben uns versichert, daß sie durch seine Rede vor den Mitgliedern der Friedensliga im Hery’schen Saale wahrhaft hingerissen worden seien, und daß sie niemals den Eindruck vergessen werden, den diese Rede auf sie hervorgebracht.

Abbé Loyson hat vor Kurzem seinen zweiundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Er ist also ein Mann, der kaum das Schwabenalter zurückgelegt. Seine äußere Erscheinung verräth keine ungewöhnliche Begabung. Er ist stämmig gebaut, und sein großer energischer Kopf sitzt auf sehr breiten Schultern. Die Ascetik des Klosters hat seinen Körper nicht vor der Zeit zerstört. Seine Stirne ist hoch und breit, sein Gesicht voll und derb, und in den Zügen drückt sich mehr Energie als geistige Ueberlegenheit aus; der feingeschlitzte Mund bekundet jedoch den Redner, dessen Wort die Massen zu beherrschen vermag. In der Unterhaltung zeigt sich der Abbé als ein sehr bescheidener Mann, der Andere gern reden läßt und eher lernen als lehren will. Er ist in seinem Urtheil sanft und mild, und seine Sittenreinheit ist so groß, daß auch seine blindesten und abgesagtesten Feinde dieselbe musterhaft nennen.

Die Ultramontanen haben indeß keine Zeit verloren, dem gefährlichen Carmeliter Verdächtigungen und Verleumdungen nachzuschleudern. In einem der wohlfeilen Büchelchen, durch die ihre Presse das Urtheil des Volks zu verwirren sucht, finden wir seinen Lebensgang erzählt und die Triebfedern seiner Handlungen enthüllt. In dieser Sammlung frommer Lügen wird Pater Hyacinthe den Ketzern und Apostaten zugezählt, die der Teufel der Popularität verführt hat. Das Urtheil über einen Menschen seiner Art läßt sich in die Worte zusammenfassen. „Welch’ ein Schuft! (quelle canaille) aber Talent hat er. Die Eigenliebe“ – wir lassen immer den halb geifernden, halb salbungsvollen Feind sprechen – „hat Pater Hyacinthe zu dem Glauben verleitet, daß er Victor Hugo und Lamartine entthronen könne. Vom Schwindel der Eitelkeit erfaßt, ist er mit der Hartnäckigkeit eines castilischen Maulesels dem Abgrunde zugerannt. Er hat sich der Hölle verpfändet, um neue Schrecken, wie die von 1793, heraufzubeschwören, aber Frankreich wird ihm auf diesem Wege nicht folgen. Den Scandal seines Briefes leitete er durch einen anderen Scandal ein, durch die Fortführung seiner Schwester aus dem Kloster. Da haben die österreichischen Juden die einfältige Lüge von Barbara Ubryk erfunden. Pater Hyacinthe wußte und wurde von dem Superior des Klosters seiner Schwester ausdrücklich daran erinnert, daß geisteskranke Nonnen mit der höchsten Milde behandelt und mit der liebevollsten Sorgfalt gepflegt werden. Trotzdem führte er seine Schwester mit sich fort, ‚und am andern Tage erfuhr man, daß die Nonnen von Krakau von den Gerichten freigesprochen worden seien. Die liberalen Zeitungen hatten mithin auf der ganzen Linie gelogen!‘

Die Entsagung seines Predigtamts ist eine Rückkehr zu den Fleischtöpfen Aegyptens: die Fastenspeise ist dem Carmeliter zu mager gewesen. Freilich hat ihm, dem Mann, der Phrase ,die jungfräuliche Reinheit der Wahrheit‘ eben so wenig gefallen können, wie der anspruchsvollen Barbara Ubryk die ‚höchste Milde und liebevollste Sorgfalt ihrer Mitschwestern‘. Aber sein Loos wird schrecklich sein: Gewissensqualen in schlaflosen Nächten und endlich der Sturz in die Finsternisse des Abgrundes, wo er die Protestanten und Juden finden wird, welche die Katholiken umgeben, wie die beiden Schächer den Heiland am Kreuze.“

Also die Frommen über den Pater Hyacinthe, jetzt Herr Loyson. Bereits ist die große Excommunication über ihn ausgesprochen worden.