Der neue Weg nach Quito und das Innere von Ecuador
Der neue Weg nach Quito und das Innere von Ecuador.
Mein Aufenthalt am Pailon, an dem ich fast drei und einen halben Monat zugebracht, näherte sich seinem Ende. Ich sehnte mich danach, meine Reise endlich wieder aufzunehmen und meinen Plan, sämmtliche deutsche Colonien Süd-Amerika’s zu besuchen, auszuführen.
Vorher mußte ich freilich noch das Innere des Landes kennen lernen, an dessen tropischem Ufer ich bisjetzt gelebt und von dessen hochgelegenem Inneren ich schon soviel und Rühmliches gehört. Selbst die Hauptstadt des Landes, Quito mit seinem vielgepriesenen „ewigen Frühling“, reizte mich, und ich beschloß meinen Weg dorthin zu nehmen und dann von dort nach Guajaquil hinab zu gehen. Ueberdies mußte ich, ehe ich Ecuador verlassen konnte, noch einmal mit dem Director der Compagnie zusammentreffen, mit dem ich sehr viel zu besprechen hatte, und es war nicht wahrscheinlich, daß ich ihn auf diesem Weg verfehlen könnte.
Am 25. Septbr. war die Rittiwake, das Fahrzeug der Expedition, von San Lorenzo abgesegelt, und ziemlich erschöpft von der Arbeit, die ich dabei gehabt, bestimmte ich den Tag zum Ausruhen und bestellte mir auf den nächsten Morgen ein Canoe, das mich nach einem höher gelegenen[WS 1] Theil der Bai, am Santiago-Fluß hinauf, bringen sollte. Von dort folgte ich, in den Bogota einbiegend, dem Cachavi aufwärts und betrat da erst, wo die Schifffahrt aufhörte, den eigentlichen Wald, über den ich schon ziemlich traurige Berichte gehört. Der Weg, der hindurch führte, hieß allerdings camino real, bestand aber blos dem Namen nach, und die, welche diesen Weg schon einmal gegangen, wußten ihn gar nicht schrecklich genug zu beschreiben. Diese Strecke ließ sich aber nicht umgehen, wenn ich auch zu Wasser unsere nach dem Bogota ausgehauene trocha umgehen konnte, und es half deshalb Nichts, sich davor zu fürchten.
Die Fahrt im Canoe that mir wohl, denn lang gestreckt darin konnte ich mich ordentlich ausruhen, während ein dichtes Blätterdach die heißen Sonnenstrahlen von mir abhielt. Am ersten Tag war auch nicht viel zu sehen, denn wir liefen an den Mangrovesümpfen der Bai hin, die erst dort aufhörten, wo sich der Santiago mit seinem süßen Wasser ihr entgegenwirft – und süßes Wasser kann der Mangrovebaum eben nicht vertragen.
Hier begannen überall Plataners oder Pisangfelder am Ufer – hier und da standen Cocospalmen und Kaffee, Baumwolle wie Cacao mit Orangen und andern Fruchtbäumen waren angepflanzt. Das Ganze schien aber doch noch neu, und man sah überall, daß die Eigenthümer des Landes hätten mit geringer Mühe weit mehr thun können, als sie eben gethan, wenn diese Leute überhaupt mehr arbeiten wollten, als sie zum Leben unumgänglich nöthig haben.
Fast alle diese Anpflanzungen gehören Negern oder einer starken Mischlingsrace der Neger, und es sind meistens durch das Gesetz befreite Sclaven, die sich hier ein Eigenthum gegründet haben.
Der Santiago ist ein breiter, schöner Strom, der aber nahe seiner Mündung in die Tolabai so weit durch flaches und niedriges Land läuft, daß die Ebbe und Fluth bis hoch hinauf einen Einfluß auf ihn ausübt. In der Nähe der Bai verwandelt sie in der Fluthzeit sein Wasser in Salz, und weiter hinauf stemmt sie es nur für viele Meilen bis selbst in den von Norden kommenden Nachbarfluß Bogota hinein.
Dorthin bogen auch wir am zweiten Tag ein, aber nur auf eine kurze Strecke, bis wir das kleine Städtchen Concepcion erreichten, und von hier aus sollte ich am nächsten Tag in einem kleineren Canoe meinen Weg den reißenden Cachavi hinauf fortsetzen. Hier mußte ich mich auch mit Vorräthen versehen, denn weiter hinauf waren keine Lebensmittel zu bekommen, als höchstens Pisang, während das weiter im Inneren gelegene Land, wie Alle bestätigten, einen wahren Ueberfluß von allen Arten von Lebensmitteln hervorbrachte, die nur eben nicht durch die Wildniß geschleppt werden konnten. Ein Beweis mehr wie nöthig ein Weg war, der diese beiden besiedelten Strecken mit einander verbinden sollte, daß sie ihre Producte gegeneinander austauschen konnten.
Meine Vorräthe waren bald eingelegt – es bedurfte dazu nicht viel. Etwas Brod, etwas hart gebratenes Schweinefleisch, das sich einige Tage hielt, und ein paar Pfund Chocolade – das war Alles. Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch kam das Canoe an, ein etwas schmales, schwankes Fahrzeug mit zwei jungen, vielleicht funfzehnjährigen, bis auf den Gürtel vollständig nackten Negerburschen, diesmal aber ohne Schutzdach gegen die Sonne, was sich nicht gut darauf anbringen ließ, und wir stießen vom Ufer ab. – Für die beiden vorigen Tage Canoefahrt, mit noch einem Gefährten, hatte ich für mein Theil vier und einen halben Dollar bezahlt. Für diese beiden Burschen für zweitägige Fahrt zahlte ich drei Dollars und einen Dollar für den Gebrauch des Canoes, wobei ich noch ein paar Dollars für Lebensmittel auszulegen hatte.
Im Anfang und so lange wir uns in dem breiteren und tiefen Bogota befanden, konnten die jungen Burschen ihre Ruder noch gebrauchen, sobald wir aber in den Cachavi einbogen, hörte das auf, denn der ganze Fluß bestand aus einer fast ununterbrochenen Reihe von Stromschnellen, durch die hin uns weiter Nichts als Stangen vorwärts helfen konnten. Die Geschicklichkeit der beiden jungen Burschen war außerordentlich darin, und so genau wußten sie ihre Stangen einzusetzen und der Kraft zu begegnen, die den Bug des Canoes bald herüber bald hinüber werfen wollte, daß dieses auch nicht ein einziges Mal eine willkürliche oder falsche Bewegung machen konnte. Oft aber, und besonders je höher wir kamen, war die Strömung des Wassers so reißend und der Fall so groß, daß sie selbst mit ihren Stangen Nichts mehr ausrichten konnten, sondern über Bord springen mußten, das schwanke Fahrzeug gegen die Wucht der Wasser anzuziehen und zu schieben. Es war gar nichts Seltenes, daß wir auf 15–18 Fuß 10–12 Fuß Fall hatten, und ein paar Mal schoß das Wasser in das Canoe. Darauf waren aber die jungen Burschen schon vorbereitet, denn der Platz, wo ich mit meinem Gepäck gerade in der Mitte lag, war mit breiten Bananenblättern so besteckt, daß das aufschlagende Wasser wohl in das Canoe laufen, aber weder mich noch meine Sachen durchnässen konnte. Der hintere Theil des Canoes lag aber fast stets viel tiefer als der vordere, und der Bursch dort hatte eine ganz eigene Fertigkeit, das einlaufende Wasser mit den Füßen wieder herauszuschnellen. Mit dem einen Fuß blieb er fest stehen und den anderen schlug er, etwas eingebogen, dagegen, sodaß er alles dazwischenkommende Wasser geschickt über Bord sandte.
Nur an einigen zu flachen und steilen Fällen, wo mein Gewicht zu groß war, stieg ich aus und watete einige Schritt durch das grobe Geröll. An allen übrigen Stellen blieb ich ruhig liegen, den beiden Burschen es vertrauungsvoll überlassend, mich sicher aufwärts zu schaffen. – Die Nacht schliefen wir bei einem Neger am Ufer, und dicht vor Sonnenuntergang schwoll der Strom plötzlich so rasend an, daß er in einer halben Stunde wohl drei Fuß stieg. Der Neger beruhigte uns aber vollkommen darüber, daß er bis Tagesanbruch wieder vollständig in seinem alten Bett sein würde, und er hatte Recht. So rasch er gestiegen, fiel der Strom auch wieder, und wir konnten ungehindert am nächsten Morgen unsere Fahrt fortsetzen.
Die Plantagen wurden jetzt sehr selten, häufig aber begegneten wir Canoes im Strom, die zum Theil nur von Frauen vorwärts gestoßen wurden. Meine beiden jungen Führer sagten mir, daß hier die Cachavi-Goldminen begönnen, und diese Canoes dazu gebraucht würden, Lebensmittel zu den verschiedenen Stellen zu schaffen. Diese Cachavi-Goldminen sind Privateigenthum, in [153] den Händen Einzelner, und wurden früher durch Sclavenarbeit allein bearbeitet. Jetzt hat das aufgehört, und die Eigenthümer müssen mit den hier wohnenden Negern bestimmte Contracte machen, um sie zum Goldgraben zu bewegen. Die Minen scheinen aber, allen vernünftigen Anzeichen nach, nicht sehr reichhaltig zu sein, denn erstlich enthalten sie nur sehr feines Blattgold, und dann würden sich die dort lebenden Neger schwerlich zu den beschwerlichen Sumpfmärschen und zum Lasttragen hergeben, bei dem sie den Tag nicht einmal einen Dollar verdienen, wenn sie mehr mit Goldwaschen erübrigen könnten.
Am Pailon wird das Nämliche der Fall sein. Ich zweifle gar nicht daran, daß sich im Inneren des Landes und in den Bergen noch viel Gold finden wird, sobald man eben ordentlich danach gräbt; so weit aber von den eigentlichen[WS 2] goldhaltigen Bergen entfernt, muß das edle Metall fein und verwaschen sein, und wenn es sich auch findet, kann man es doch nicht in gehöriger Menge erlangen, die darauf verwandte Arbeit zu bezahlen.
Mittags, den zweiten Tag, während der kleine Strom so schnell und reißend wurde, daß es an manchen Stellen kaum möglich war, das leere Canoe über die Stromschnellen zu ziehen, erreichten wir endlich das kleine, fast nur von Negern bewohnte Städtchen Cachavi, und ich fand bald, daß ich hier den ganzen nächsten Tag, einen Sonntag, würde liegen bleiben müssen, damit sich die beiden Träger, die ich durch den Wald brauchte, ihre Körbe flechten und überhaupt auf den viertägigen Marsch vorbereiten konnten. Mir selber blieb indessen Zeit genug übrig, mich in Cachavi umzusehen, und als Hauptquartier konnte ich dazu eine Art Vorsaal des Bambushauses unseres schwarzen Alcalden benutzen, bei dem ich mich ohne Weiteres einquartiert hatte. Cachavi, mitten im Wald gelegen und rings und unmittelbar von dichtem Urwald umgeben, bestand, wie San Lorenzo, aus etwa achtzehn oder zwanzig Häusern, mit Ausnahme eines einzigen aber alle von Negern bewohnt, die hier eine ordentliche Colonie bildeten. Es waren lauter frühere Sclaven, die jetzt ihre Freiheit gewonnen hatten und zu versuchen schienen, mit wie wenig Arbeit sie eigentlich auskommen konnten. Es mag vielleicht sein, daß die Neugierde, den Fremden zu sehen, auch etwas dazu beitrug, ihnen ihre Beschäftigung zu erleichtern, aber die ganze Bevölkerung schien Sonntag gemacht zu haben.
Trotzdem hatte es nur geringe Schwierigkeit, zwei Träger zu finden, die mich durch den Wald begleiten und mein Gepäck wie Lebensmittel für vier Tage tragen sollten. Ich accordirte mit ihnen für fünf Dollars den Mann, und sie versprachen am Montag Morgen mit Tagesanbruch bereit zu sein.
An dem nämlichen Nachmittage kamen vier Indianer schwer beladen von Iberra aus dem Inneren des Landes und brachten für Cachavi der Eine eine Ladung Käse, der Andere bunte Kattune, der Dritte getrocknetes Fleisch und der Vierte eine Kiste mit Heiligenbildern.
Die Leute gingen nackt, eine kurze Schwimmhose ausgenommen. Mit dem ganzen Typus des Indianers war ihre Hautfarbe aber eher weiß als braun, und sonderbarer Weise fand ich hier bestätigt, was ich schon so oft gehört, daß die Indianer der heißen Zone Amerika’s viel lichtere Farbe haben, als die im äußersten Norden und Süden, eine Thatsache, welche die Theorie der Abstammung aller Menschen von Adam und Eva und der allein von der Sonne verbrannten Haut dieser Stämme über den Haufen wirft. Der Patagonier wie der Indianer der nördlichen kalten und gemäßigten Zone ist tiefdunkel kupferbraun, während diese Indianer eher lichter als dunkler sind, wie unsere deutschen, von der Sonne verbrannten Bauern. Auf ihren Schultern und Hüften zeigten sich deutlich die dunkleren Spuren, wo ihre Last sie gedrückt hatte und wo sich das Blut unter der hellen Haut zusammengezogen – gerade wie es sich bei einem Weißen zeigen würde. Und tüchtige Lasten tragen diese Leute durch den Sumpf, denn ihre „gesetzliche Bepackung“ besteht in vier Arroben und vier Pfund – die Arrobe zu 25 Pfund gerechnet. Damit laufen sie flüchtig durch den Schlamm, und ihre Nahrung besteht dabei in wenig mehr, als etwas gedörrtem Mais.
Der Händler, der diese Waaren von ihnen überkam, war ein Weißer, einer der hier eingeborenen, von den Spaniern abstammenden Race, und ein Theil der Heiligenbilder – ob aus Frömmigkeit oder Speculation, will ich dahingestellt sein lassen – wurde an dem nämlichen Abend noch in die Kirche getragen und in feierlicher Procession zurückgebracht. Ein paar kleine Glocken nach dem Takt eines Walzers angeschlagen und mit Begleitung einer Trommel diente dazu, die Handlung noch feierlicher zu machen.
Am nächsten Tag – Sonntag – saß ich bei einem fluthenden Regen in dem Vorbau des Alcaldenhauses, wo ich meine Decken ausgebreitet hatte und von meinen eigenen Lebensmitteln zehrte. Wo es nämlich irgend anging, vermied ich von der Kochkunst der Eingeborenen Gebrauch zu machen, denn von dem Schmutz dieser Leute hat Niemand eine Idee, der nicht wirklich einmal unter ihnen gelebt. Die Frau des Alcalden, ein ekelhaftes Negerweib, übertraf dabei noch Alles, was ich bis jetzt in dieser Art gesehen, und ich war froh, daß mir kein Essen angeboten wurde.
Ich hatte mein Gepäck ein wenig geordnet und fest geschnürt, als plötzlich ein Schrei vom Fluß aufwärts herübertönte und Alles auf eine Art von Verandah sprang, dort hinzusehen. Ich folgte natürlich dem Beispiel und sah zu meinem Erstaunen, wie den klaren, ziemlich seichten Strom eine gelbe zürnende Wassermasse, wie eine riesige Welle, mit furchtbarer Gewalt niedergestürzt kam. Der Ruf mußte aber schon vorher von Anderen gehört sein, denn ein paar dunkle Gestalten sprangen über die Steine mit Blitzesschnelle nach dem Ufer hinab, dort ihre angebundenen Canoes in Sicherheit zu bringen, und wahrlich, es blieb ihnen dazu wenig genug Zeit. In wenigen Minuten war der klare Strom, der sich überall über Felsblöcke hinüberschnellte, in eine braune kochende Fluth verwandelt, die reißend ihre Wassermasse durch das jetzt breit gewordene, von zitternden Baumzweigen eingefaßte Bett wälzte. Heftige Regen weiter oben hatten dies rasche Steigen bewirkt, aber schon gegen Abend fiel das Wasser, und am nächsten Morgen war der Strom wieder in seinem alten Stand.
Am nächsten Morgen säumten wir aber auch nicht, unseren Marsch anzutreten, und die Neger – ein paar baumstarke, riesige Gestalten, nackt bis auf den Gürtel, erschienen mit ihren raschgeflochtenen Tragkörben, unsere Wanderung zu beginnen. Mein Gepäck war nicht schwer, ihre eigenen, nur aus Pisang bestehenden Nahrungsmittel wogen das Meiste, und nachdem wir in einem Canoe über den Cachavi gesetzt, betraten wir den einzigen schmalen Waldpfad, der jetzt noch die Seeküste mit dem inneren Lande in einer sehr precären Verbindung hielt.
Der Anblick der aus diesem Wald kommenden Indianer hatte mich am ersten Tage schon etwas stutzig gemacht, denn die Leute waren bis hoch an die Hüften hinauf voll Schlamm. Ich sollte bald finden, wie viel Ursache sie dazu gehabt, denn nach den ersten zwanzig Schritten schon, und wie wir nur das unmittelbare Ufer des Stromes hinter uns hatten, begann der eigentliche Weg, und einen schlechteren bin ich nie gewandert.
Dieser Pfad ist in früheren Jahren einmal ausgehauen gewesen, seit der Zeit aber weder Macheta noch Beil wieder daran gelegt, und wo die Bäume darüber hinstürzten, blieben sie liegen, es den „Reisenden“ überlassend, ihre Bahn darüber oder darunter hin zu finden. Der eigentliche ausgetretene Pfad selber war dabei tiefer Schlamm, hie und da nur bis über die Knöchel reichend, wo man dann rascher vorrücken konnte, meist immer aber bis an und über die Kniee und an manchen kurzen Stellen noch tiefer. Ein Ausweichen war dabei nicht möglich; man wäre genöthigt gewesen durch die dornigen Büsche zu brechen, und das würde den Marsch nur noch beschwerlicher gemacht und aufgehalten haben. Ueberall an diesem Pfad und überhaupt durch diesen ganzen Wald standen mit langen, scharfen Dornen dicht besetzte Palmen, und wo man sich mit der einen Hand einmal gegen zu tiefes Einsinken in den Schlamm stützen wollte, konnte man darauf rechnen, daß man gerade mitten in diese Stacheln hineingriff.
Vom Pailon hatte ich ein paar neue Schuhe mitgenommen, in diesem Wege hielten sie aber nicht einmal bis zum Abend aus. Die Hacken fuhren an den Seiten in die Höhe, das Leder weitete sich aus, und ich mußte sie vorn aufschneiden und mit Riemen zusammenschnüren, um sie nur am Fuß zu halten.
Die halbe Nacht hatte es dabei geregnet, und wenn sich das Wetter auch gegen Morgen aufklärte, trat nach zehn Uhr wieder ein tüchtiger Schauer ein, der etwa bis vier Uhr Nachmittags dauerte. Es blieb sich das aber vollkommen gleich, denn die Zweige hingen, voll von dem letzten Regenwasser, so dicht über den Weg, daß man nach halbstündigem Marsch doch so durchnäßt war, als ob man im Wasser gelegen hätte.
Aber ich will den Leser nicht mit der Monotonie dieses entsetzlichen [154] viertägigen Marsches ermüden. Vier Tage wateten wir durch diesen Schlamm, ohne auch nur ein einziges Mal auf zehn Schritt trockenen oder nur festen Boden zu haben. Vier Tage kreuzten wir angeschwollene Bergströme und kletterten und krochen durch zackige, umgestürzte Wipfel, die Nacht dann unter einem rasch errichteten Laubdach zuzubringen und den Regen darauf niederpeitschen zu hören. Ich selber hatte dabei eine sehr böse Hand, denn am Pailon war mir ein Tropfen brennendes Gummielasticum – wovon man dort Fackeln macht, auf den rechten Zeigefinger gefallen, und das Geschwür, das sich dadurch erzeugte, fraß weiter und weiter. Vergebens suchte ich es mit Bleiwasser zu kühlen und zu beruhigen, es wurde so arg, daß ich die Hand kaum noch schließen konnte, und ich darf es für ein Glück rechnen, daß ich Höllenstein bei mir führte. Erst als ich es damit beizte, fing es an zu heilen, und bis ich nach Quito kam, hatte ich wenigstens meine Hand wieder hergestellt – wer weiß wie sonst Alles geworden wäre.
Die Waldung war sich die ersten Tage noch ziemlich gleich geblieben, wurde aber die letzten Tage sehr von der verschieden, wie wir sie vom Pailon nach dem Bogota gefunden. Dort herrschte vorzugsweise niedriger Grund vor, und die Negritopalme deckte weite sumpfige Strecken. – Hier kamen wir schon in höheres und mehr bergiges Land, und die Oelpalme mit der Palme Real bildete den hervorragendsten Theil der Vegetation. Ich sah Stellen, wo der Wald fast einzig und allein aus Palmen bestand, und wundervolle Gruppen bildeten sich oft, wo zehn oder zwölf dieser schlanken zierlichen und doch so mächtigen Stämme hie und da einen alten von Lianen dicht umhangenen Laubholzbaum umstanden. Eine Masse wundervoller Orchideen wuchsen hier ebenfalls, aber ich konnte natürlich nicht daran denken, mich länger mit ihnen einzulassen, als eben ihre Farbenpracht zu bewundern.
Schlinggewächse gab es ebenfalls in Masse, und so oft mich diese schon im Leben geärgert und ermüdet halten, so sollte ich hier doch auch einen praktischen Nutzen von ihnen sehen.
Unser Weg führte jetzt nämlich am linken Ufer des Flusses Mira hinauf, dessen dumpfes Rauschen und Brausen wir fortwährend neben uns hören konnten, während wir dann und wann sogar mit Hülfe dahin auslaufender Schluchten sein Thal erblickten und sein trübgelbes Wasser reißend schnell darin hinschießen sahen. Viele kleine und größere Bergströme ergießen sich natürlich hinein und wir waren so gewöhnt durch diese zu waten, so tief und reißend sie auch immer sein mochten, daß wir uns nie an ihrem Ufer auch nur eine Secunde aufhielten. Hier aber trafen wir einen größeren Strom, den Lita, wilder und tiefer als alle übrigen, mit hohen, steilen Ufern, in denen die wilde schäumende Fluth kochend hinschoß. An ein Durchwaten war hier natürlich nicht zu denken, und selbst ein Durchschwimmen wäre nur weiter oben möglich gewesen. Uns das aber ersparend, hatten die zuletzt diesen Weg passirenden Indianer eine treffliche Brücke aus wilden Schlingpflanzen über den Strom gezogen, die allerdings bedeutend hin und her schwankte, der man sich aber doch ganz sicher anvertrauen konnte.
[170] Die Brücke bestand aus drei dicken Seilen, jedes aus fünf bis sechs Reben zusammengedreht; das eine und stärkste als eigentlicher Boden, darauf zu gehen, die anderen beiden, etwa zwei und ein halb Fuß darüber und ein wenig mehr rechts und links, das Geländer bildend, das, durch kurze Reben mit dem Hauptseil verbunden, dieses auch wieder stützen und halten konnte. Das Ganze [171] bildete so eine Art von dreikantiger Rinne, in dessen unterster Schneide man hinschritt und sich mit beiden Händen an dem Geländer hielt. Natürlich vertraute sich aber immer nur Einer von uns auf einmal diesem unsicheren Wege an, und die Anderen warteten geduldig, bis er drüben, wo die Reben an starken Bäumen befestigt waren, sicheren Boden betrat. Zwei hätte die Brücke vielleicht nicht getragen; keinenfalls wollten wir den Versuch machen.
Am vierten Tag endlich – wobei der Schlamm und Sumpf in unserer Bahn nicht im Geringsten nachließ, obgleich wir an dem steilen Hang eines Berges hinstiegen – erreichten wir, etwa um drei Uhr Nachmittags, das erste Haus, die äußerste Grenze dieser Wildniß. Es war die noch nicht sehr lange angelegte Plantage Paramba, die mehreren Herren in Ibarra gehörte, und wo sie angefangen hatten, Cacao, Zucker und Kaffee im großartigsten Styl zu pflanzen.
Der Platz sah allerdings noch sehr wild aus. Viel Land war eben nur erst gelichtet, anderes ganz kürzlich urbar gemacht. Die Pflanzungen selber waren meistens auch noch klein, und das Haus selber glich mehr einer unaufgeräumten Scheune, als der Wohnung eines civilisirten Menschen. Dennoch begrüßte ich es mit Jubel, denn es war ja das Ende eines der nichtstwürdigsten Märsche meines Lebens – und Gott weiß es, ich habe andere gemacht, die auch nicht übel waren.
Ein Doctor – aus Quito (ich verschweige seinen Namen nur, weil ich ihn vergessen habe) nahm mich auf das Freundschaftlichste und Gastfreieste auf, und nachdem ich mich unten an dem kleinen Bach ordentlich abgewaschen und Hosen und Hemd, die ich durch den Busch getragen, nur eben in den nächsten Busch hineingeworfen hatte, dampfte drin schon auf dem Tische ein nahrhaftes und reichliches Mahl, das mich für manche Entbehrung entschädigen konnte.
Nach dem Essen wanderten wir, trotzdem daß ich mich eigentlich viel vernünftiger hingelegt und ausgeruht hätte, über die Plantage, und es bedurfte nur kurzer Zeit zu sehen, welch wunderbar fruchtbares und reiches Land dies eigentlich sei, und wie auch geringe Mühe und Arbeit auf das Reichste belohnt werden. Die Cacao- und Kaffeepflanzen waren noch klein, und sie waren etwas zu sehr der Sonne ausgesetzt gewesen, so daß einige von ihnen kränklich aussahen. Die meisten schienen aber frisch und grün, und besonders üppig stand das Zuckerrohr. Dieses bedarf hier zu völliger Reife nur fünfzehn Monate, ich sah hier aber selbst neun Monate altes, das über drei und ein halb Zoll im Durchmesser hatte und voll von Saft war, als ob es seine völlige Reife erlangt hätte.
Außerdem wuchs die Yukawurzel noch besonders üppig, ebenso rother Pfeffer, Bohnen, Orangen, Limonenpflanzen, kurz Alles was man der Erde nur eben anvertraut hatte. Die Banane und der Pisang haben hier ebenfalls ihre eigentliche Heimath, und die Ueppigkeit, mit der ihre Stämme emporschossen, bewies, was aus ihnen werden würde. Jetzt freilich war von alledem noch erst sehr wenig zu haben, denn außer der Yukawurzel und dem Reis und Tabak trug noch gar Nichts Frucht – ich müßte denn das Zuckerrohr rechnen, das die Bewohner von Ecuador mit einer Hartnäckigkeit kauen, die einer besseren Sache würdig wäre.
Cocospalmen fand ich hier keine, nur eine einzige war gepflanzt worden und noch klein; ich glaube auch, daß das Land hier eigentlich schon etwas hoch für die Cocosnuß ist – vielleicht käme es freilich nur darauf an, sie eben heimisch zu machen, wie man ja auch in Java ganz im Innern Massen von Cocospalmen findet; aber der Dattelpalme glaube ich fast, daß dies Klima zuträglich wäre, und einige Kerne, die ich nebst anderen Fruchtsteinen mitgebracht hatte, übergab ich dem Doctor, der versprach, die äußerste Sorge dafür zu tragen. Auch Kerne der caga haïve, jener reizenden rothen Akazienbeere aus Buitenzorg in Java, habe ich hierhergebracht, und spätere Jahre werden zeigen, wie sie gediehen.
Von hier aus war mir nun am Pailon und selbst bis in Cachavi gesagt, daß ich Pferde nach Ibarra bekommen könnte, meinen Weg von da ab leichter fortzusetzen, aber natürlich war kein Pferd in der ganzen Nachbarschaft zu bekommen, und ich mußte von hier noch einmal Leute miethen, die mein Gepäck weiter nach dem sogenannten San Pedro trugen, wo ich – diesmal ganz gewiß – Pferde treffen sollte. Um diese zwei oder drei Stunden Wegs meine beiden Satteltaschen getragen zu bekommen, mußte ich ein paar Indianern jedem 1 Dollar geben, und selbst dann noch schienen sie die Sache als eine Gefälligkeit für mich zu betrachten.
Ueberhaupt sollen Reisende in wilden Ländern um Gottes willen nicht denken, daß sie billig reisen können, selbst wenn sie Willens sind die größten Entbehrungen zu ertragen. So lange sie allerdings zu Fuß gehen, selber tragen, was sie bei sich haben, keinen Führer durch das Land brauchen, durch das sie ziehen, so lange sind sie von allen Menschen unabhängig und werden mit wenig Kostenberechnungen beschwert werden, denn in den meisten solchen Ländern wird man ihnen für Essen und Trinken wenig, wenn etwas, abverlangen. Ganz in die Hände dieser Menschen sind sie aber gegeben, sowie sie die geringste thätige Hülfsleistung von ihnen haben wollen, und sie dürfen sich dann auch darauf gefaßt machen, wenigstens den doppelten Preis von dem zu zahlen, was irgend ein Einheimischer dafür zahlen würde. Ich selber bin geprellt, wohin ich kam, wissentlich geprellt, denn ich wußte es recht gut, während ich es bezahlte, konnte aber auch nichts dagegen machen, wenn ich nicht länger als nöthig zwischen diesen Menschen liegen bleiben wollte, und dem zu entgehen habe ich immer lieber ein paar Thaler Geld geopfert. Meine jetzige Auslage vom Pailon bis hierher lief denn auch schon, obgleich ich die Hälfte des Weges zu Fuß gemacht hatte, gar nicht unbedeutend auf.
Vom Pailon bis Concepcion | 5 ½ | Dollars. |
Provisionen | 4 ½ | “ |
Von Concepcion bis Cachavi | 4 | “ |
Trinkgeld | 1 | “ |
In Cachavi Provisionen | 2 | “ |
Trägerlohn bis Paramba | 12 ½ | “ |
In Paramba für Yuka für die Träger | ½ | “ |
Von Paramba bis San Pedro | 2 | “ |
Summa | 32 | Dollars, |
für die ich weiter nichts hatte, als daß ich mit meinen beiden Satteltaschen eine kurze Strecke in das Land hineinbefördert wurde.
In San Pedro hoffte ich mich ordentlich ausruhen zu können, fand aber auch nur eine traurige Hütte, nicht einmal von der feuchten Erde erhoben, und einen alten würdigen, sehr schmutzigen Greis mit seiner jungen Schwiegertochter, die mir in der diesen Leuten eigenthümlichen Art eine Mahlzeit kochte. Es würde hierbei nichts Besonderes zu erwähnen sein, wären die Stücken Fleisch nicht etwas zu groß und sehr zäh gewesen, sodaß ich genöthigt war sie durchzuschneiden. Dazu hatte ich aber nur mein großes, etwas unbehülfliches Jagdmesser, und die junge niedliche Frau sah kaum, woran es bei mir fehlte, als sie auch schon vor mir niederkauerte, die Stücken Fleisch mit den Fingern aus dem hölzernen Napf nahm, den ich auf den Knieen hielt, sie durchschnitt und dann wieder in meinen Miniaturtrog warf. – Es wäre auch appetitlich gewesen, hätte sie sich nicht, in übertriebener Reinlichkeit, nach jeden zwei oder drei Schnitten die Finger abgeleckt.
Ich fand hier Pferde, mußte aber zwei miethen, damit mein Begleiter mit fort konnte, und für beide bis Ibarra – zwei Tagereisen – sechs Dollars bezahlen. Das war insofern billig, als sich unterwegs nicht die geringste Gelegenheit bot, etwas zu verzehren. Es blieb sogar zweifelhaft, ob wir überhaupt etwas zu essen bekommen konnten.
Am nächsten Morgen brachen wir ziemlich früh auf. Hatte ich aber vorher geglaubt, mich, erst einmal im Sattel, von meinen gehabten Strapazen ausruhen zu können, so sollte ich bald finden, daß ich mich darin schmählich geirrt, denn den Weg zu reiten, ist weder Spaß noch Erholung. Im Anfange ging es noch durch eine Strecke schlammigen Wegs, bald aber erreichten wir wenigstens trockenen Boden, und hier sollte ich auch erfahren, was es heißt, eine Bahn zu reiten, die sich nur eben Maulthiertreiber mit ihren Thieren ausgesucht haben. Der Weg führte an dem rechten Berghang hin, und in jede kleine Schlucht tauchten wir ein – steil hinab, daß man jeden Augenblick in Gefahr war, vornüber, über den Hals des Maulthiers zu stürzen, um die nächsten fünf Minuten wieder an der anderen, dieser ganz ähnlichen Seite in die Höhe zu klettern. An ein ruhiges ordentliches Reiten war auch keine Viertelstunde zu denken, und das Ganze ein ewiger und fast ununterbrochener Versuch weiter nichts zu thun, als einen festen Sitz im Sattel zu wahren.
Dabei lief der Weg keineswegs schräg an dem Berghang hin, an dessen Fuß der Mirafluß der Richtung zubrauste, von der wir hergekommen waren, sondern jetzt stieg er auf, höher und höher, [172] bis man sich ein paar tausend Fuß über dem wie ein Faden darunter hinschießenden Flusse befand, um in der nächsten halben Stunde gerade hinein selbst bis in das wirkliche Bett desselben zu führen. Auffällig hatte sich indessen schon in den ersten drei Stunden die ganze Vegetation, ja der ganze Charakter des Landes selbst verändert.
Mit Paramba schloß eigentlich die wirkliche Palmengrenze ab, und wenn auch San Pedro noch voll zu den Tropen gehörte, lag es doch schon außer diesen schlanken Kindern der heißen Zone. Von hier ab aber nahm selbst der dichte, furchtbare Wald ein Ende, durch den hin ich mich so manche schwere, mühselige Stunde gearbeitet. Die Berge fingen an lichte, mit hohem, gelbem Gras bewachsene Stellen zu zeigen, und wenn auch an der andern Seite des Flusses noch hie und da kleine Ansiedlungen mit breitblätterigen Bananen lagen, zeigten die hohen, steilen Hänge darüber einen vollkommen nördlichen Charakter. Ja, eine Stunde später verließen wir die Bäume ganz, der Regen, der mich bis dahin verfolgt, hatte aufgehört, der Boden war hart, sandig und kahl – kurzes, scharfes Gras ausgenommen, das jetzt einige der Gebirgshänge bis in die höchsten Wipfel hinein bedeckte.
Das Land hier war aber nur sehr schwach besiedelt, und selbst spärlich Vieh sah man an den Hängen, die sicherlich zahlreichen Heerden Nahrung geben könnten. Die Civilisation, wenn man diese Menschen wirklich zur Civilisation gehörig rechnen kann, war noch nicht hierher gedrungen, denn nirgends hin war eine Möglichkeit, das hier Gezogene absetzen zu können, und die wenigen Menschen, die hier wirklich lebten, konnten fast als Einsiedler betrachtet werden.
Höchst interessant war es aber für mich, diese Grenze zwischen tropischem und gemäßigtem Klima zu betrachten, die sich vollkommen deutlich herausstellte, obgleich nicht die geringste gewaltsame Scheidewand zwischen ihnen aufgeworfen wurde. Da war kein steiler, mächtiger Berg, auf dessen hohem Gipfel Weizen gebaut wurde, während unten im Thal die Banane wuchs – wie man das selbst weiter oben in den Cordilleren findet. – Ganz allmählich nur stiegen die Berge auf, kaum bemerkbar, da man fast eben so viel bergab wie bergauf klettern mußte, und doch wurde von hier ab die tropische Welt mit Gewalt in den Hintergrund gedrängt.
Was der Boden aber hier erzeugen konnte, war man natürlich nicht im Stande zu sehen, da nicht der geringste Versuch bis jetzt gemacht worden, das zu erproben. Maulthiere, Pferde und Esel weideten an den Hängen, und tief im Thal, wohin der scharfe Wind nicht dringen konnte, der von den Cordilleren niederwehte, hatte hier und da einer der Eingeborenen sich der gewaltigen Anstrengung unterworfen, ein paar Pisangpflanzen zu stecken und etwas rothen Pfeffer auf die Erde zu werfen – und in welchem Ueberfluß könnten diese Leute leben, wenn sie wirklich arbeiten wollten!
Wir ritten den ganzen Tag, ohne auch nur ein einziges Haus in unserer Bahn zu finden. Einmal sahen wir ein paar Häuser zur Rechten, aber es war nicht das Geringste dort zu bekommen, weder für Pferd noch Mann, und erst Abends, eine halbe Stunde nach Dunkelwerden erreichten wir die Heimath meines Führers, bei dessen Mutter wir übernachten sollten. Dort wenigstens war, wie er behauptete, der einzige Platz, an dem wir Futter für die Pferde finden konnten. – Ich werde diese Nacht im Leben nicht vergessen.
Schon beim Eintritt in das Haus, ja beim Einreiten in den Hof kam mir ein Geruch entgegen, als ob wir uns einer Scharfrichterei näherten, und in dem Hause selber fand ich die traurige Ursache. Die Ueberreste von Gott weiß wie vielen Kühen, denn ich konnte sechs Kinnbacken zählen, hingen darin in Stücken geschnitten und getrocknet, und die zärtliche Mutter ging nach der ersten Begrüßung daran, uns von diesem „Fraß für Raben“ ein leckeres Mahl zu bereiten. Sogar Zeuge mußte ich von der Zubereitung sein, die mir der Leser ersparen mag, denn er glaubt mir doch nicht, was ich mit eigenen Augen sah; kurz, mit kleingeschnittenen grünen Bananen wurde dies Fleisch in einen Topf geworfen, oberflächlich abgekocht und uns dann in kleinen hölzernen, nie gewaschenen Holznäpfen servirt.
Ich war sehr hungrig und fest entschlossen, wenigstens den Versuch zu machen, um zu essen – aber es ging nicht. Mit dem ersten Bissen bekam ich eine halbfaule Sehne in den Mund, biß einmal darauf und mußte dann rasch das Haus verlassen. Ich entschuldigte mich mit Unwohlsein und legte mich auf ein ausgespanntes Kuhfell, dort die Nacht eine Legion von halbverhungerten Flöhen zu füttern. Der gehorsame Sohn aß indessen zwei Näpfe dieser Speise leer, und ich konnte es zuletzt vor lauter Ekel nicht mehr mit ansehen. Am nächsten Morgen das nämliche Frühstück, von dem ich wieder nichts über die Lippen bringen konnte, und mit leerem Magen stieg ich in den Sattel.
Der Weg war hier der nämliche: fortwährend auf und nieder, noch steiler und steiniger womöglich als gestern. Wir passirten ein kleines Städtchen, Guajerre, aber es war nichts darin zu bekommen, nicht einmal eine Banane. Der Boden wurde hier trockener und dürrer, dorniges Gesträuch wechselte mit Aloe und Cactus auf weißlichem Sand – die Berge wurden kahler und höher, und Alles verrieth, daß wir immer weiter in die Gebirge hinaufrückten. Hier betraten wir übrigens auch einen sehr dürren Strich Landes, in dem fast weiter nichts erzeugt wird als Salz. Ein kleines Städtchen Salinas ist hier errichtet, in dem sich fast jeder Bewohner nur vom Salzauskochen nährt. Das Salz wird dann von hier auf Maulthieren nach Ibarra und selbst bis nach Quito hinaufgeschickt.
Salinas erreichten wir etwa um 1 Uhr Mittags, und Alles, was ich hier bekommen konnte, war etwas Chocolade und Brod und reife Bananen – ein wahrhaft lucullisches Mahl, an dem ich mich vollständig wieder erholte. Wir fütterten die Pferde hier, ließen sie ein paar Stunden rasten und setzten um 3 Uhr unseren Weg nach dem nicht mehr fernen Ibarra fort. Es war übrigens gut, daß ich schon in San Pedro die Thiere dorthin accordirt hatte, denn in Salinas hätte ich keine miethen können. Hier zum ersten Male hörten wir die Klage über den Krieg, daß er die Lebensmittel alle so theuer gemacht und fast sämmtliche Pferde aus dem Lande geführt hätte. Ich würde, wie man mir sagte, selbst in Ibarra Schwierigkeit haben, Pferde zu bekommen, und möchte mich nur in Zeiten danach umsehn.
Von dem Schmutz der Bewohner bekam ich hier in Salinas wieder eine Probe, die aber nicht so tragische Folgen für mich hatte. Während ich mit meinem Führer unsere Chocolade verzehrte, kam eine Señora in den kleinen Kaufladen oder das Café – ich weiß nicht wie ich die Lehmbude nennen soll, und brachte ein Kind mit, das wohl in den letzten sechs Monaten keinen Tropfen Wasser gesehen hatte. Das Kind mochte zwei Jahr alt sein und leistete in den wenigen Minuten, die es sich in unserer Gesellschaft befand, das Aeußerste in Sachen, die sich eben nicht wieder erzählen lassen. Die Señora, die ein altes, verblichenes, aber sehr buntfarbiges Seidenkleid trug, schien das Alles zu unserer besonderen Erbauung vorbereitet zu haben, so dicht vor und neben uns und so öffentlich wurde Alles abgemacht. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie mir den Appetit auch verdorben, aber das ging heute nicht; als sie aber die Unverschämtheit hatte, mich zu fragen, ob es in meinem Lande auch solche niedliche Kinder gäbe, gewann der Ingrimm die Oberhand. Es war immer eine „Dame“, die Frage verdiente aber eine Antwort, und ich konnte mir nicht helfen, ich sagte: „So niedliche wohl, aber so schmierige nicht.“ Die Wirkung war zauberschnell und äußerst befriedigend. Die Señora warf mir einen Dolch- und Revolverblick zu, raffte ihr Kind, wie es war – und wie war es! – vom Boden auf und verschwand damit aus dem Hause.
Abends mit Dunkelwerden erreichten wir Ibarra, die größte Stadt der Provinz Imbabarra, in einem herrlichen, fruchtbaren und dicht bevölkerten Thal. Hier war augenscheinlich ein anderes Leben, als ich in dem Wald verlassen hatte; hier war Cultur wie Civilisation, mitten in den Bergen, und freundliche Häuser und Gärten verriethen, daß auch der Luxus schon seinen Wohnsitz hier aufgeschlagen. Ein für den Fremden höchst mißlicher Umstand besteht aber in diesen Städten des Inneren, die auf einen Fremden-Verkehr nicht im Geringsten eingerichtet sind – daß es eben gar keine Gasthäuser (hier posadas genannt) bei ihnen giebt. Von Jedem, der in eine solche Stadt kommt, erwartet man auch, daß er irgend einen Gastfreund hat, bei dem er wohnen kann; unter keiner Bedingung findet er ein Hotel.
Unterwegs war ich nun noch nicht im Stande gewesen, meine schon am Pailon ruinirte und durch den Weg hierher zuletzt noch aufgeriebene Garderobe wieder in Stand zu setzen. Ich war total abgerissen, und von Schmutz und Staub bedeckt, ohne Schuhe und Strümpfe, ohne Hut, denn mein alter Filz hielt kaum noch auf dem Kopfe zusammen. Deshalb war es mir auch vollkommen [174] gleichgültig, als mich mein Führer – als bestes Hotel – in eine dunkle Bude der plaza führte, wo ich mich, als erstes Entree, draußen auf der Straße auf meine Satteltasche setzen und eine Cigarre rauchen wie eine Orange essen mußte. Ich sehnte mich schon nach dem nächsten Morgen und hatte nur einen Boten an einen Herrn Gomez de la Torre geschickt, um zu erfragen, ob Mr. Wilson auf seinem Wege von Quito schon hier eingetroffen wäre oder wann er erwartet würde, als Mr. Wilson’s Dolmetscher, ein junger Franzose, den er statt des trunkenen Amerikaners angenommen hatte, selber kam und mich mit Gewalt dieser posada entführte. Er sagte mir, daß Mr. Wilson morgen erwartet würde, daß Señor Gomez de la Torre aber keinesfalls zugäbe, mich die Zeit in der posada zu lassen, und ich deshalb augenblicklich in seine Wohnung müsse. Ich weigerte mich im Anfang meines entsetzlichen Aussehens wegen, aber es half nichts, und wieder einmal seit langer, langer Zeit, ja seit ich England verlassen, befand ich mich in freundlichen, wohnlichen Räumen und konnte wieder mit Messer und Gabel von einem reinlich gedeckten Tisch essen.