Der neue Stil und die Bronze-Industrie
Es tut mir leid, nicht immer loben zu können. Ich bin genötigt, hie und da ein wort des tadels zu sagen. Aus den vielen zuschriften, die ich erhalte, ersehe ich, daß man mir das verübelt. Das wiener gewerbe ist es freilich nicht gewöhnt, ernsthaft kritisiert zu werden. Sehr zu seinem schaden. Die vielen hurra-artikel, mit denen so oft die ausstellungen begrüßt werden, haben wie treibhauswärme erschlaffend auf das handwerk gewirkt, und von einem leisen luftzug fürchtet man schon, daß das verwöhnte schoßkind einen schnupfen davontragen könnte. Wenn ich davon überzeugt wäre, würde ich das blasen sein lassen. Ich glaube aber, daß das kind von gesunden eltern ist und daß es das bißchen zug sehr wohl vertragen kann. Auch wird er ihm zur abhärtung sehr dienlich sein.
Viele meiner gedanken werden befremden erregen. Ich betrachte eben die ausstellung nicht vom wienerischen, sondern vom ausländischen standpunkte. Mit absicht. Denn ich schreibe ausdrücklich im hinblicke auf die pariser ausstellung. Ich will die wiener gewerbetreibenden auf jene produkte aufmerksam machen, die bei ihnen so selbstverständlich sind, daß sie es gar nicht für der mühe wert halten, sie auszustellen, die aber in der ganzen welt für unübertrefflich gelten. Zugleich sollen aber die wiener davor gewarnt werden, jene erzeugnisse, die im auslande besser gemacht werden, in Paris zu exponieren.
Ja, wissen denn die gewerbetreibenden nicht selbst, was sie am besten machen? O nein. Gerade so wenig, wie es der dichter, der maler, der künstler überhaupt, [27] weiß, ja wissen kann. Stets wird ein solcher jenem kinde seiner muse den größten wert beilegen, bei dem er sich am meisten geplagt hat. Was aber seiner natur, seiner anlage am meisten entspricht, das, was er mühelos gegeben hat, was am stärksten den stempel seiner individualität trägt, sein ureigenstes, das wird ihm nie als besonders hervorragend erscheinen. Nur die übereinstimmende ansicht des publikums kann ihm das richtige urteil über seine leistungen vermitteln. Aber der wiener hat das urteil von London, von Paris und New York so selten gehört. Und da scheint mir zum hören der richtige augenblick gekommen zu sein, jetzt, da er daran geht, am ende des jahrhunderts, sich diesem urteil auszusetzen. In Paris sollten wir den leuten zeigen, was wir können, und nicht, was wir nicht können, aber gern können möchten. Solche sachen auszustellen, würde uns wenig nützen. Lieber weniger kunstreiche objekte, aber solche, die man nicht, und mag es auch nur um eine nuance sein, in einer anderen abteilung besser sehen kann.
In Paris wird wohl die brennendste frage gelöst werden, die gegenwärtig unser kunstgewerbe beunruhigt: die alten stile oder der moderne stil? Die anderen kulturländer haben in dieser sache längst entschieden stellung genommen und werden darum auch in Paris durch ihr entschlossenes, festes auftreten imponieren. Selbst das deutsche reich, das mit posaunenschall in Chicago einzog, und dann, als es merkte, daß diese grandezza nicht wohl angebracht sei, sich bescheiden zurückzog, um bei den amerikanern in die schule zu gehen, selbst das deutsche reich also, das so lange rückständig war, hat sich mit ungestüm den übrigen kulturvölkern angeschlossen. Nur wir sind noch zurückgeblieben, so zurückgeblieben, [28] daß unsere gewerbetreibenden die rettende hand, die ihnen hofrat von Scala bietet, mit trotz zurückgewiesen und sogar eine eigene zeitung ins leben gerufen haben, welche die neue richtung bekämpfen soll. In Deutschland wurden in den letzten monaten vier zeitschriften zur propagierung der neuen richtung gegründet, und wenn jemand ein gegenblatt herausgeben wollte, würde es mit unbändiger heiterkeit aufgenommen werden. Wir sind nicht dümmer als die im reiche. Im gegenteil! Wir haben sogar etwas, was den meisten abgeht, unseren sieghaften guten wiener geschmack, um den uns mancher beneiden könnte. Schuldtragend sind nur unsere unvernünftigen schulen, die unser kunstgewerbe in seiner natürlichen entwicklung gehemmt haben.
Die lösung jener frage aber lautet: Alles, was frühere jahrhunderte geschaffen haben, kann heute, soferne es noch brauchbar ist, kopiert werden. Neue erscheinungen unserer kultur (eisenbahnwagen, telephone, schreibmaschinen usw.) müssen formal ohne bewußten anklang an einen bereits überwundenen stil gelöst werden. Änderungen an einem alten gegenstande, um ihn den modernen bedürfnissen anzupassen, sind nicht erlaubt. Hier heißt es: Entweder kopieren oder etwas vollständig neues schaffen. Damit will ich aber nicht gesagt haben, daß das neue immer das entgegengesetzte des vorhergehenden ist.
Meines wissens wurde diese forderung noch nie so genau und präzis ausgesprochen, obwohl man in den fachkreisen des auslandes und in letzter zeit im Österreichischen Museum ähnliches hören kann. Aber gearbeitet hat man nach dieser regel schon seit jahren. Sie ist doch etwas selbstverständliches. Die kopie eines alten bildes [29] ist auch ein kunstwerk. Wer gedenkt nicht der prächtigen kopien alter italienischer meister von Lenbach in der Schack-galerie zu München. Aber der wahren kunst unwürdig sind die bewußten versuche, neue gedanken im stile eines alten meisters zu fassen. Sie mußten daher immer fehlschlagen. Gewiß kann ein moderner künstler durch das fortgesetzte studium einer bestimmten schule, durch eine vorliebe und verehrung für eine bestimmte zeit oder einen bestimmten meister deren art sich so zu eigen machen, daß seine geistesprodukte stark den stempel seiner meister tragen. Ich erinnere nur an den altmeisterlichen ton Lenbachs, an die quattrocento-gestalten der engländer. Nie aber kann der wahre künstler einmal à la Botticelli, das nächstemal à la Tizian und ein andermal à la Raphael Mengs malen.
Wie würde man von einem literaten denken, der heute ein werk im stile Äschylos’, morgen ein gedicht im stile Gerhart Hauptmanns und übermorgen einen schwank im stile Hans Sachs’ dichten würde und noch den traurigen mut besäße, seine impotenz durch das eingeständnis seiner vorbilder zu offenbaren. Und nun denken wir uns eine staatliche dichterschule, in der die künstlerische jugend im zwange einer solchen nachahmungsdoktrin entmannt werden soll, in der das literarische helotentum zum prinzip erhoben wird. Die ganze welt würde die opfer einer solchen methode bedauern. Aber eine solche schule existiert, allerdings nicht für die literatur, sondern für das kunstgewerbe.
An einem gegenstande, den wir kopieren wollen, dürften wir auch nichts ändern. Da wir aber für unsere eigene zeit keine hochachtung empfinden, so fehlt sie uns auch für eine vorhergegangene. Stets haben wir an den [30] werken der alten etwas auszusetzen. Wir geben uns der glücklichen täuschung hin, etwas daran besser machen zu können. So haben wir ja auch die deutsche renaissance durch die „schönen“ verhältnisse tot gehetzt. Geändert muß werden, „verschönern“ nennt man das! Aber schon nach jahren sehen wir, daß diese vermeintlichen verschönerungen keine verbesserungen waren, daß das alte vorbild, oder eine genaue kopie davon, in alter ursprünglichkeit glänzen, während uns ein abklatsch mit zahlreichen „verschönerungen“ unausstehlich geworden ist. Das muß doch dem gewerbetreibenden eine heilsame lehre sein? Beileibe nicht! Er schließt daraus nur, daß die verschönerungen nicht radikal genug gewesen seien. Denn gefallen will ihm das alte werk noch lange nicht. Jetzt weiß er wieder neue verbesserungen. Und nach jahren fängt das spiel wieder von vorne an und hätte so fort bis in unsere gegenwart gedauert, wenn nicht der neue leiter unseres Österreichischen Museums dieser mehr komischen als tragischen sisyphusarbeit ein ende bereitet hätte. Werke in einem anderen stil als in dem gegenwärtigen des stubenrings, die zur ausstellung gelangen wollen, müssen von jetzt an genaue kopien sein.
Wie steht es nun, nach diesen gesichtspunkten, mit unserer bronzeindustrie? Sehr verschieden. Jene sachen, die sich der kompetenz der schulen entzogen haben, sind natürlich wieder die besten. Vielleicht wurden sie aber gerade deswegen nicht ausgestellt. Ich meine jene reizenden bronzenippes in den natürlichen farben, eine wiener spezialität, die das entzücken eines jeden grabenflaneurs ist. Unter japanischer beeinflussung ist da etwas echt wienerisches entstanden, das uns mit berechtigtem stolze erfüllen kann. Wohl fragte ich danach, doch wurde mir [31] überall die antwort zuteil, daß man für diese „gewöhnlichen“ sachen keinen raum habe. Mit großer genugtuung wies man aber auf die kunstwerke hin, die man sich eigens für die ausstellung von den berühmtesten architekten und professoren hatte zeichnen lassen. Alle stile wurden von diesen herren mißhandelt.
Bei den gebrauchsgegenständen gibt die kunstgewerbeschule den ton an. Welche mühe kostet es doch, in Wien einen richtigen kohlenkasten oder einen ofenvorsetzer zu erhalten! Und wie schwer ist es, für türen oder fenster gute beschläge zu finden! Renaissance-, barock- und rokokoschwielen haben wir nacheinander in den letzten zwei dezennien durch die türgriffe bekommen, schrieb ich schon einmal irgendwo. Gibt es doch in Wien nur eine ordentliche türklinke, die mir erreichbar ist und zu der ich immer wallfahre, sobald ich in ihre nähe komme. Sie befindet sich in dem neuen hause auf dem kohlmarkt und entstammt der künstlerhand professor Königs. Aber nicht hingehen, mein lieber leser; sie würden mich sonst im verdachte haben, daß ich sie foppen wollte. So unauffällig ist diese klinke.
An einem patentierten stock- und schirmhalter der firma Balduin Hellers söhne in der ausstellung ist erwähnenswert, daß er, gott sei dank, kein ornament aufweist. Er ist daher nicht genug zu empfehlen. In einer zeit, in der jede türklinke, jeder bilderrahmen, jedes tintenfaß, jede kohlenschaufel, jeder pfropfenzieher hurra schreit, verdient solche bescheidenheit doppelte unterstützung.
Aber die messingbetten, die wir erst vor einigen jahren von England übernommen haben und die uns damals ihrer distinguierten einfachheit wegen so gefielen, haben [32] sich schon bestens akklimatisiert und schreien ihr hurra mit den türklinken, bilderrahmen, kohlenschaufeln und so weiter um die wette.