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Der kleine Spion

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Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Der kleine Spion
Untertitel:
aus: „Die Neue Welt“ Nr. 1 S. 9–11
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Goldhausen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Übersetzung aus dem Les Contes du lundi (1873) L’Enfant espion (Der Kleine Spion) von Alphonse Daudet
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Der kleine Spion.
Aus den „Contes du Lundi“ von Alphonse Daudet mit Einwilligung des Verfassers für die „Neue Welt“ übersetzt
von Rudolf Lavant.

Er hieß Stenne, der kleine Stenne.

Als echtes Pariser Kind war er mager und blass und konnte ebenso gut zehn als fünfzehn Jahre alt sein – bei diesen kleinen, flinken, ruhelosen Knaben ist das Alter kaum abzuschätzen. Seine Mutter war todt; sein Vater, ein alter Marinesoldat, war als Wächter eines Square im Quartier du Temple angestellt. Die kleinen Kinder, die Gouvernanten und Kindermädchen, die alten Damen in Rollstühlen, die armen Mütter, die ihre Kinder selbst ausführen müssen – diese ganze Welt für sich, welche nur kleine Schrittchen macht und sich vor dem Rollen der Wagenräder und den Staubwolken in diese von Trottoirs eingefaßten tiefer gelegenen Rasen- und Gebüsch-Oasen flüchtet, sie kannte den alten Papa Stenne und liebte ihn. Man wußte ja, daß sich unter diesem martialischen Schnurrbart, der den Hunden und den auf den Bänken sich sonnenden Bummlern einen so heillosen Schreck einjagte, ein freundliches, gerührtes, fast mütterliches Lächeln verbarg, und daß man, um dieses Lächeln zu Tage zu bringen, an den guten Alten nur die Frage zu richten brauchte:

„Wie geht es denn Ihrem kleinen Knaben?“

Er hatte seinen Knaben so sehr lieb, dieser alte Stenne! Er war so glücklich, wenn der Abend kam, die Schule geschlossen ward und der kleine ihn abholte, um mit ihm die Runde durch die Alleen zu machen; sie blieben dann vor jeder Bank stehen, um die Stammgäste ihres Square zu begrüßen und auf ihre freundliche Ansprache zu antworten.

Mit der Belagerung ward unglücklicher Weise alles anders. Der Square des alten Stenne ward geschlossen; man benutzte ihn als Lagerplatz für Petroleum, und der arme Mann, der zu unaufhörlicher sorgsamer Bewachung der gefährlichen Vorräthe gezwungen war, führte ein trauriges Leben. Allein durchstreifte er die verödeten Baum- und Buschgruppen, selbst auf die ihm zur zweiten Natur gewordene Pfeife nothgedrungen verzichtend, und seinen Knaben bekam er erst spät Abends zu sehen, wenn er heimkam. Wie zuckte aber auch sein grauer Schnurrbart, wenn er von den Preußen sprach! … Der kleine Stenne freilich sah keinen Anlass zur Klage über dieses neue Leben.

Eine Belagerung! Kann es etwas Amüsanteres für die Straßenjugend geben? Keine Schule, kein wechselseitiges Unterrichten mehr! Ununterbrochen Ferien und die Straßen so bunt und belebt, wie ein Jahrmarktsplatz! …

Das Kind lief bis zum Abend nach Willkür umher. Es begleitete die Bataillone des Quartiers, wenn sie nach den Wällen marschierten und gab dabei denen den Vorzug, die ein gutes Musikkorps aufzuweisen hatten; in diesem Punkte war der kleine Stenne merkwürdig unterrichtet. Er wußte sehr genau, daß die Musik der 96er nicht eben viel tauge, aber die 55er, die hatten eine ganz vorzügliche. Dann wieder sah er den Uebungen der Mobilgarde zu, und es galt ja auch Queue zu stehen …

Sein Körbchen unter dem Arme, nahm er seinen Platz in einer der langen Reihen, die sich im Dämmergrau des von keiner Gasflamme erhellten Wintermorgens vor den Läden der Fleischer und Bäcker bildeten. Man stand da oft bis an die Knöchel im Wasser, aber man machte Bekanntschaften, man politisirte und wurde als Sohn des alten Stenne von jedermann gefragt, wie man über die Sache denke. Das Alleramüsanteste jedoch war das Galoche-Spiel, welches die bretonischen Milizen während der Belagerung in die Mode gebracht hatten. Wenn der kleine Stenne nicht auf dem Walle oder vor dem Bäckerladen war, so traf man ihn zuverlässig auf dem Platz des Chateau-d’Eau, wo er den Galoche-Partien zusah. Zusah, denn er spielte nicht etwa mit – dazu gehört Geld. Er begnügte sich also damit, jede Bewegung der Spieler mit den Augen zu verfolgen – und mit was für Augen!

Einer namentlich, ein großer Bengel in blauer Bluse, der nur ganze Silberfranken setzte, erregte seine Bewunderung. Wenn der lief, so hörte man die Taler in der Tasche seiner Bluse klingeln …

Eines Tages raffte der Lange ein Silberstück auf, welches dem kleinen Stenne bis dicht vor die Füße gerollt war und raunte ihm hastig zu:

„Ja, schiele nur – ich kann dir’s nicht verdenken! … Na, wenn du willst, so sage ich dir, wo man die Blanken holt!“

Als die Partie zu Ende war, führte er ihn in einen abgelegenen öden Winkel des Platzes und schlug ihm vor, mit ihm zu gehen und mit ihm Journale an die Preußen zu verkaufen; jede solche kleine Reise bringe 30 Francs ein. Anfangs weigerte sich Stenne – er war aufrichtig entrüstet über den Vorschlag, und drei volle Tage fehlte er auf dem Platze und mied das verlockende Spiel und den gefährlichen Versucher. Aber das waren drei schreckliche Tage für ihn. Er aß nicht mehr, er schlief nicht mehr. Während der Nacht sah er am Fußende seines Bettes ganze Berge von Holzschuhen aufgeschichtet, und blanke blitzende Frankstücke waren in Reihen vor ihm aufgezählt. Die Versuchung war zu stark für seine Widerstandskraft. Am vierten Tage kam er wieder nach dem Chateau-d’Eau, fand er dort den Langen, ließ er sich verführen …

Sie rückten eines Morgens bei Schneegestöber aus; jeder hatte einen Leinwandsack über die Schulter geworfen und die Bluse mit Journalen ausgefüttert. Als sie an dem flandrischen Thore anlangten, graute kaum der Tag. Der Lange nahm Stenne bei der Hand, näherte sich dem Posten, einem braven Nationalgardisten mit gutmütigen Gesicht und etwas rother Nase, und sagte mit kläglicher Stimme:

„Lassen sie uns durch, bester Herr! Unsere Mutter ist krank, Papa ist todt. Ich möchte mit meinem kleinen Bruder hinaus und versuchen, ob wir nicht noch ein paar Kartoffeln auf dem Felde finden.“

Er weinte. Stenne senkte in heißer Scham den Kopf. Die Schildwache betrachtete sie einen Augenblick und warf dann einen Blick auf die öde, beschneite Straße.

„Macht schnell!“ sagte er, zur Seite tretend – und damit war ihnen der Weg nach Aubervilliers freigegeben. Wie lachte der Lange!

Undeutlich und verworren, wie in einem Traume, sah der kleine Stenne Fabrikgebäude, die man in Kasernen verwandelt hatte, verlassenen Barrikaden, auf denen sich die durchnäßten Lappen zerfetzter Uniformstücke erkennen ließen, hohe, zerschossene Schornsteine, die das Qualmen längst verlernt zu haben schienen und die, den Nebelschleier durchlöchernd, trübselig gen Himmel ragten. Von Zeit zu Zeit ein Posten, dann wieder Offiziere, die die Mantelkapuze über den Kopf gezogen hatten und mit ihren Feldstechern aufmerksam Ausschau hielten, und kleine, von schmelzenden Schnee durchweichte, triefende Zelte und vor ihnen erlöschende Feuer. Der Lange kannte jeden Weg und Steg und ging querfeldein, um den Posten auszuweichen. Trotzdem ließ es sich nicht umgehen, daß sie an einer Hauptwache der Franctireurs vorüberkamen. Die Franctireurs in ihren kurzen, dünnen Mänteln lagen, die Eisenbahn nach Soissons entlang, geduckt in einem Graben, der ganz mit Wasser angefüllt war. Diesmal schien dem Langen das klägliche Herbeten seiner Fabel nichts nützen zu wollen – man erklärte ihnen, sie dürften nicht passiren. Da trat, während er sich in heuchlerischen Klagen erschöpfte, aus dem Bahnwärterhäuschen ein alter eisgrauer Sergeant mit gefurchtem Gesicht, ganz ähnlich wie der alte Stenne. Er hatte die Stimme des Langen gehört und sagte: „Na, Jungens, hört auf zu weinen – wir wollen euch schon noch einmal hinauslassen zu euren Kartoffeln, aber kommt vorher herein und wärmt euch ein wenig – der Kleine da sieht ja ganz erfroren aus!“

Ach ja, der kleine Stenne zitterte allerdings an allen Gliedern, aber nicht vor Frost, sondern vor Furcht und vor Scham. Im Wächterhäuschen trafen sie einige Soldaten an, die sich um ein kleines, dürftiges Feuer gekauert hatten und gefrorenes Brot an den Spitzen ihrer Bajonnette in die kümmerlich genährte Flamme hielten, um es aufzuthauen. Man rückte noch dichter zusammen, um den Kindern Platz zu machen. Man gab ihnen einen Tropfen Branntwein und etwas Kaffee. Während sie tranken, kam ein Offizier an die Thür, rief den Sergeanten hinaus, sprach ganz leise mit ihm und ging sehr rasch fort.

„Kinder!“ rief der Sergeant, als er freudestrahlend wieder eintrat … „heute Nacht setzt es etwas! Wir haben das Losungswort [10] der Preußen aufgefangen. Ich denke doch, daß wir diesmal das verdammte Nest, dieses Bourget, wieder nehmen werden!“

Eine wahre Explosion von Bravos und Gelächter war die Antwort. Man tanzte, man sang, man schliff die Haubajonnette und die Kinder machten sich diesen Tumult zu Nutze und entschlüpften unbemerkt.

Als sie die Tranchée hinter sich hatten, lag vor ihnen eine Ebene und im Hintergrund derselben eine lange, weiße Mauer, die ganz von Schießscharten durchlöchert war. Nach dieser Mauer nahmen sie die Richtung, machten aber bei jedem Schritte Halt und bückten sich, als hätten sie Kartoffeln aufzuheben; sie mussten doch den Schein wahren.

„Kehr’ um … Nicht dorthin!“ sagte der kleine Stenne unaufhörlich.

Der Andere zuckte die Achseln und näherte sich immer mehr der weißen Mauer. Plötzlich hörten sie das „Triktrak“ eines Gewehrs, welches schußfertig gemacht wird.

„Leg’ dich!“ flüsterte hastig der Lange und warf sich flach auf den Boden.

Und als er lag, stieß er einen Pfiff aus. Ueber den Schnee her kam ein Pfiff als Antwort. Kriechend setzten sie ihren Weg fort … Vor der Mauer, mit dem Erdboden fast gleich, erschien ein flachsblonder Schnurrbart unter einer schmierigen blauen Tellermütze. Der Lange sprang hinab in die Tranchée, neben den Preußen.

„’s ist mein Bruder!“ sagte er und wies auf seinen Gefährten. Er war so klein, dieser „Bruder“ Stenne, daß der Preuße, als er seiner ansichtig ward, zu lachen begann; er sah sich auch genöthigt, ihn mit dem Arme zu umfassen, um ihn bis zur Geschützscharte emporzuheben.

Jenseits der Mauer zeigten sich große Erdaufschüttungen, gefällte Bäume, schwarze Löcher im Schnee, und aus jedem Loche tauchte dieselbe schmierige Mütze, derselbe flachsblonde Schnurrbart auf und lachend ließen die Soldaten die Kinder vorüber.

In einer Ecke stand ein Gärtnerhaus, das durch Baumstämme in ein Bollwerk verwandelt war. Das Erdgeschoss war voller Soldaten, die Karte spielten und an einem hellen Feuer ihre Suppe kochten. Wie gut das nach Kohl und Speck roch! welcher Gegensatz zu dem Bivouac der Franctireurs! Oben waren die Offiziere. Man hörte sie Piano spielen und Champagnerflaschen entkorken. Als die kleinen Pariser eintraten, bewillkommnete sie ein freudiges „Hurra!“ Sie gaben ihre Zeitungen hin – dann schenkte man ihnen zu trinken ein und suchte sie zum Plaudern zu bringen. Alle diese Offiziere sahen hochfahrend und barsch aus, aber der Lange belustigte sie durch seinen Faubourgwitz und seinen reichen Vorrath an Gassenausdrücken. Sie lachten, sprachen seine Worte nach und wälzten sich so recht mit Behagen in dem pariser Kothe, den ihnen ihr Spion zutrug.

Der kleine Stenne hätte gern ebenfalls etwas gesagt, hätte gern den Beweis geliefert, daß er auch nicht auf den Kopf gefallen sei – aber er konnte nicht. Etwas genirte ihn. Ihm gegenüber saß, etwas abseits von den andern, ein Preuße, der älter und ernsthafter war als seine Kameraden und ruhig las oder sich vielmehr den Anschein gab, als lese er, denn seine Augen hafteten unverwandt auf dem kleinen Stenne. In diesem Blick lag etwas wie Zärtlichkeit, aber auch wie Vorwurf, als hätte dieser Kriegsmann daheim ein Kind im selben Alter wie Stenne und als hätte er zu sich selber gesagt:

„Ich würde lieber sterben, als erleben, daß mein Sohn ein solches Handwerk treibt!“

Von diesem Augenblick an hatte Stenne das Gefühl, als lege sich eine schwere Hand auf sein Herz und verhindre es am Weiterschlagen.

Um sich dieser Beängstigung zu entwinden, fing er an zu trinken. Bald drehte sich alles um ihn im Kreise. Er hörte nur noch undeutlich, wie sein Kamerad unter schallendem Gelächter seiner Zuhörer die Nationalgarde und ihre Art zu exerzieren verspottete, wie er einen Generalmarsch im Marais, einen nächtlichen Alarm auf den Wällen ironisirend schilderte. Endlich dämpfte der Lange die Stimme, die Offiziere traten näher an ihn heran und ihre Gesichter wurden mit einemmale ernst. Der Elende war im Begriff, ihnen den bevorstehenden Angriff der Franctireurs zu verrathen …

Da sprang Stenne, der mit einem Schlage nüchtern geworden war, wüthend auf und rief:

„Nicht das Langer … Ich will nicht!“

Aber der andere lachte nur und fuhr fort. Ehe er noch geendet hatte, waren alle Offiziere auf den Beinen. Einer zeigte den Kindern die Thür und herrschte ihnen zu:

„Und nun – packt euch!“

Und sie fingen an, sehr rasch und auf Deutsch unter einander zu sprechen. Der Große ging, stolz wie ein Doge, hinaus und ließ sein Geld klingeln. Stenne folgte ihm, mit gesenktem Kopf, und als er an dem Preußen vorüber kam, dessen Blick ihn so sehr genirt hatte, hörte er eine traurige Stimme die Worte sagen: „Nicht hübsch das … nicht hübsch!“

Und die Thränen schossen ihm heiß in die Augen.

Als sie erst wieder auf der Ebene waren, fingen die Knaben an zu laufen und waren rasch wieder im Bereich der französischen Linien. Ihre Säcke waren ganz gefüllt mit Kartoffeln, welche die Preußen ihnen gegeben hatten; so kamen sie ohne Hinderniß an der Tranchée der Franctireurs vorüber. Man bereitete dort alles auf den nächtlichen Angriff vor. Truppen kamen geräuschlos in ernstem Schweigen anmarschirt und stellten sich hinter den Mauern auf. Auch der alte Sergeant war da und wies mit glücklichem Gesicht seinen Leuten ihre Plätze an. Als die Kinder vorüberkamen, erkannte er sie und lächelte ihnen freundlich zu.

Ach! wie schneidend weh that dies gute Lächeln dem kleinen Stenne! einen Augenblick hatte er Luft, zu rufen:

„Geht nicht da hinunter … wir haben euch verrathen.“

Aber der andere hatte ihm gesagt: „Wenn du ein Wort sagst, so werden wir erschossen!“ und die Furcht verschloß ihm den Mund …

In la Courneuve traten sie in ein verlassenes Haus, um das Geld zu theilen. Wir würden nicht streng wahrheitsgemäß erzählen, wollten wir verschweigen, daß ehrlich geteilt ward, und daß der kleine Stenne, als er die schönen Thaler in seiner Blouse klingen hörte und als ihm der Gedanke an die seiner harrenden Galochepartien kam, anfing, sein Verbrechen als nicht gar so abscheulich anzusehen.

Als das Kind aber allein war, wie unglücklich begann es sich da zu fühlen! Als sie innerhalb der Thore waren, verließ ihn der Lange, und nun fingen seine Taschen an sehr schwer zu werden und die Hand, welche ihm das Herz zusammendrückte, preßte stärker als vorher. Paris kam ihm seltsam verändert vor. Die Vorübergehenden sahen ihn streng an, als wüßten sie, woher er komme. Durch das Rollen der Räder, durch die Wirbel der Trommler, welche den Kanal entlang übten, hörte er deutlich ein schreckliches, vorwurfsvolles Wort, das eine Wort „Spion!“ Endlich kam er heim und mit einem lebhaften Gefühl des Glücks darüber, daß sein Vater noch nicht zu Hause war, stieg er rasch hinauf in ihre Kammer, um unter seinem Kopfkissen die Thaler zu verstecken, die ihm so merkwürdig, so unheimlich schwer zu sein schienen.

Nie war der alte Stenne so freundlich, so vergnügt gewesen, als bei seiner Heimkehr an diesem Abend. Es waren gute Nachrichten aus der Provinz eingegangen: die Angelegenheiten des Landes standen günstiger. Während des Essens betrachtete der alte Soldat sein an der Mauer hängendes Gewehr und sagte mit seinem gutherzigen Lächeln zu seinem Knaben:

„Hei, mein Junge, wie würdest du diesen Preußen zu Leibe gehen, wenn du groß wärst!“

Gegen 8 Uhr vernahm man Kanonendonner.

„Das ist Aubervilliers … man schlägt sich bei Bourget“, sagte der Alte, der alle „seine“ Forts genau kannte. Der kleine Stenne erbleichte und ging, große Müdigkeit vorschützend, zu Bett, aber er schlief nicht. Die Kanonen donnerten fort. Er stellte sich vor, wie die Franctireurs mitten in der Nacht sich auf die Preußen stürzten, in dem Wahne, sie zu überfallen, und wie sie selber in einen Hinterhalt fielen. Er erinnerte sich an den Sergeanten, der ihm zugelächelt hatte, er sah ihn unten bei Bourget ausgestreckt im Schnee liegen und wie viele andere mit ihm! … Der Preis für all dies Blut war unter seinem Kopfkissen verborgen, und der das gethan, war er, der Sohn des alten Stenne, der Sohn eines Soldaten! … Die Thränen wollten ihn ersticken. Im anstoßenden Zimmer hörte er seinen Vater auf und ab gehen und das Fenster öffnen. Unten auf dem Platze wirbelte der Generalmarsch, ein Bataillon der Mobilgarde formirte sich zum Abmarsch. Es war kein Zweifel, man schlug eine wirkliche Schlacht. Der Unglückliche konnte sein Schluchzen nicht länger unterdrücken.

„Was hast du denn?“ fragte der Alte, ins Zimmer tretend.

Das Kind hielt nicht länger an sich, sprang aus dem Bett und warf sich seinem Vater zu Füßen. Infolge dieser heftigen [11] Bewegung fielen die Geldstücke herab und rollten auf dem Fußboden hin.

„Was ist das? Hast du gestohlen?“ fragte der Alte zitternd.

Und nun erzählte der Kleine in einem Athem, daß er bei den Preußen gewesen sei und was er dort gethan habe. Während er so sprach, fühlte er, wie das Herz ihm leichter ward, es war ihm eine Wohlthat, sich anzuklagen … Der alte Stenne hörte zu – sein Gesicht trug einen schrecklichen Ausdruck. Als der Kleine geendet hatte, schlug sein Vater die Hände vor’s Gesicht und weinte.

„Vater, Vater!“ wollte das Kind sagen.

Der Alte stieß es ohne ein Wort zurück und raffte das Geld zusammen.

„Ist das Alles?“ fragte er.

Der kleine Stenne machte ein Zeichen der Bejahung. Der Alte nahm sein Gewehr und seine Patronentasche vom Nagel, und indem er das Geld in die Tasche steckte, sagte er:

„Gut also! ich werde es ihnen wieder zustellen.“

Und ohne ein Wort hinzuzufügen, ohne auch nur den Kopf zu wenden, stieg er hinab, um sich unter die Mobilgarden zu mischen, die hinaus in die Nacht marschirten. Man hat ihn nie wiedergesehen.