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Der junge Goethe auf dem Mühlberg bei Frankfurt a. M.

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Textdaten
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Autor: P.
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Titel: Der junge Goethe auf dem Mühlberg bei Frankfurt a. M.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 224–225, 239
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[224]

Photographie im Verlag der Photographischen Union in München.
Der junge Goethe auf dem [Mühl]berg bei Frankfurt a. M.
Nach dem Gemälde von Frank Kirchbach.

[239] Der junge Goethe auf dem Mühlberg bei Frankfurt a. M. (Zu dem Bilde S. 224 und 225.) Mit sechzehn Jahren verließ der junge Goethe sein Vaterhaus, um in Leipzig die Rechte zu studieren, mit sechsundzwanzig folgte er dem Rufe Karl Augusts nach Weimar. Das dazwischen liegende Jahrzehnt umfaßt die großartige Entwicklung des Dichters, die in dem harmlosen Schäferspiel „Die Laune des Verliebten“ und in dem Entwurf der gewaltigen Welttragödie „Faust“ ihren Anfang und Ausgang hat. In dieses Jahrzehnt von 1765 bis 1775 fallen die erschütternden Herzenserlebnisse, welche für seine Poesie wie für sein Schicksal von gleicher Bedeutung wurden, die Schwärmerei für Käthchen Schönkopf, die Idylle von Sesenheim, der „Wertherroman“ von Wetzlar, die Liebeswirren, welche die Lieder an Lili seinem Herzen entlockten; in dieser Zeit schuf er, beeinflußt von diesem Erleben, das Frischeste und Berauschendste seiner Lyrik, den „Götz“, den „Werther“, den „Clavigo“, die „Stella“, die Anfänge von „Egmont“ und „Faust“. Fast all dies schrieb er in Frankfurt; in Straßburg als Student, als Rechtspraktikant in Wetzlar, auf der Reise in die Schweiz erlebte er, was er dann in der Umfriedung des Vaterhauses zur Dichtung gestaltete. Die drei Jahre 1773 bis 1775, die er schließlich als Advokat in der Vaterstadt verbrachte und in denen sämtliche Hauptwerke seiner geniedurchglühten Jugendzeit zu Tage traten, sind die fruchtbarsten seines ganzen Lebens. Sie waren auch die glücklichsten für seine Eltern. Der gestrenge Herr Rat Goethe erlebte eine wohlthätige Verjüngung seines ganzen Wesens, nun er sein reiches Wissen als Jurist im Wetteifer und im Zusammenwirken mit dem so hochbegabten Sohn bethätigen konnte; sein Mißtrauen gegen dessen Charakter war überwunden; von dem Berufe Wolfgangs zum Dichter nach der Vollendung des „Götz“ voll überzeugt, nahm er den regsten, freudigsten Anteil an seinem Schaffen. Und erst „Frau Aja Wohlgemuth“, die nie an der hohen Bestimmung ihres Lieblings gezweifelt hatte – welche Welt des Glücks eröffnete ihr diese Zeit! Mit welchem freudigen Entzücken weidete sich ihr Blick an der verschwenderischen Blütenfülle seines Dichterlenzes! Mit welcher Gastlichkeit empfing sie die Freunde und Verehrer, die das meteorartige Aufleuchten seines Ruhms nach Frankfurt lockte, die genialischen Stürmer und Dränger, die in dem Dichter des „Götz“ ihren Führer erkannten, die Söhne gräflicher und fürstlicher Häuser, die um seine Freundschaft warben, bis einer derselben ihn ihr ganz entführte! Er aber, der jugendliche Feuergeist, hatte bei all der Liebe, die er mit den Seinen austauschte, bei all der „Fülle der Gesichte“, die er um seinen Schreibtisch zu bannen wußte, bei all dem Zuspruch von neuen Freunden und Bekanntschaften und all der Huldigung, die ihn von schwärmerisch gestimmten Frauen und Mädchen wurde, nicht Rast und Ruhe, um sich dem behaglichen Genusse seiner Erfolge hinzugeben. Diese Jahre in Frankfurt sahen ihn noch öfter als im Vaterhaus in der Umgebung der schönen Mainstadt.

Wollen wir seinen Dichterspuren aus jener Zeit folgen, so müssen wir über die alte Brücke nach Sachsenhausen gehen, hinter dessen Gemüsegärten sich links der Mühlberg mit seinen Obstbaumhainen erhebt und am Maine entlang sich ein Wiesengelände nach der Gerbermühle und weiterhin nach Offenbach zieht, während rechts die Pfade zum Stadtwald abzweigen. Wir müssen von dem Ufergelände aus, das ihm für den Osterspaziergang im „Faust“ den Schauplatz geliefert, den Thälern, Höhen, Gefilden und Wäldern zuwandern, in denen er damals, wie „Wahrheit und Dichtung“ berichtet, Beruhigung für sein aufgeregtes Gemüt immer wieder suchte und fand, als er die Leidenschaft für Friederike Brion, dann für Lotte Buff in sich niederkämpfte, als Lili Schönemann mit ihren Reizen ihn in Lebenskreise zog, in die sich seine Natur nur mit Widerstreben fand. Es war die Zeit, in der er sich selbst den „Wanderer“ nannte, von der er rückerinnernd schrieb, daß mehr als jemals in ihr sein Sinn gegen offene Welt und freie Natur gerichtet gewesen sei, und die auf solchem Gange den Hymnus „Wanderers Sturmlied“ entstehen sah, den er „dem Regengewölk, dem Schloßensturm entgegensang wie die Lerche“.

In diese Frankfurter Sturm- und Drang- und Werdezeit des herrlichen Dichters versetzt uns das Bild von Frank Kirchbach. Der Maler hat seine mehrjährige Thätigkeit als Professor am Städelschen Kunstinstitut eifrig benutzt, um sein Talent durch ein inniges Hineinleben in die ruhmreiche Erinnerungswelt der altersstolzen Mainstadt zu befruchten. Auch unser Gemälde ist davon ein sprechender Beweis. Die Scene stellt einen terrassenartig angelegten Garten auf der Höhe des Mühlbergs dar, der einen entzückenden Ausblick auf das Mainthal, die alte Kaiserstadt und den malerischen Höhenzug des Taunus bietet. Ohne direkte Anlehnung an eine besondere Ueberlieferung hat der Künstler ein Zusammensein der Eltern Goethes mit dem Sohn auf diese Höhe verlegt, von der wir wissen, daß er sie in jener Jugendzeit auf dem Wege nach Offenbach zu Lili oft beschritten, gerade wie später, da seine Liebe für Marianne von Willemer die Umgebung der Gerbermühle ihm teuer machte. So zeigt uns das Bild den jungen Dichter gleichzeitig im Freien und im Verkehr mit den Seinen, inmitten der Gegend, deren „holde“ Anmut sich in seinen damals entstandenen Gedichten so treulich wiederspiegelt. Eines derselben trägt er, seiner gern geübten Neigung nach, der geliebten Mutter und den Gästen vor, die hingerissen seinen Worten lauschen, während der alte Herr Rat, erhitzt vom Emporstieg, gerade herzukommt. P.