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Der gleitende Purpur

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Textdaten
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Autor: Conrad Ferdinand Meyer
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Titel: Der gleitende Purpur
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 259–261
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von H. Haessel
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
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Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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[259]
Der gleitende Purpur.


 „Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“
Schallt im Münsterchor der Psalm der Knaben.
 Kaiser Otto lauscht der Mette,
Diener hinter sich mit Spend’ und Gaben.

5
 Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!

Heute, da die Himmel niederschweben,
 Wird dem Elend und der Blöße
Mäntel er und warme Röcke geben.

 Hundert Bettler stehn erwartend –

10
Einer hält des Kaisers Knie umfangen

 Mit den wundgeriebnen Armen,
dran zerrissner Fesseln Enden hangen.

 – „Schalk! Was zerrst du mir den Purpur?
Harr und beite! Kennst du mich als Kargen?“

15
 Doch der Bettler hält den Mantel

Fest und jammert: „Kennst du mich, den Argen?

 Du Gesalbter und Erlauchter!
Kennst du mich? … Du hast mit mir gelegen,
 Mit dem Siechen, mit dem Wunden,

20
Unter eines Mutterherzens Schlägen.


[260]
 Aus demselben Wollentuche

Schnitt man uns die Kappen und die Kleider!
 Aus demselben Psalmenbuche
Sang das frische Jugendantlitz Beider!

25
 Heinz, wo bist du? Heinz, wo bleibst du?

Hast zum Spiele du mich oft gerufen
 Durch die Säle, durch die Gänge,
Auf und ab der Wendeltreppe Stufen …

 Dann als einen falschen Bruder

30
Und Verräther hast Du mich erfunden!

 Du ergrimmtest und Du warfest
In die Kerkertiefe mich gebunden …

 In der Tiefe meines Kerkers
Hab’ ich ohne Mantel heut gefroren …

35
 Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!

Heute wird der Welt das Heil geboren!“

 „Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“
Hundert Bettler strecken jetzt die Hände:
 „Gieb uns Mäntel! Gieb uns Röcke!

40
Sei barmherzig! Gieb uns Deine Spende!“


 Eine Spange löst der Kaiser
Sacht. Sein Purpur gleitet, gleitet, gleitet
 Ueber seinen sünd’gen Bruder
Und der erste Bettler steht bekleidet …

[261]
45
 Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!

Jubelt Erd’ und Himmelreich mit Schallen.
 Glorie! Glorie! Friede! Freude!
Und am Menschenkind ein Wohlgefallen!