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Der furchtsame Martin von Hemskerk

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Textdaten
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Autor: Elise Polko
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Titel: Der furchtsame Martin von Hemskerk
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 525–528
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der furchtsame Martin von Hemskerk.

Skizzenblatt von Elise Polko.

Hat es auch, wie Jedermann bekannt, zu allen Zeiten und an allen Orten mitunter wunderliche Käuze gegeben, so lieferte doch sicherlich das Völkchen der Maler, Poeten und Musikanten die wunderlichsten. Man braucht nur hineinzugreifen in ihre Reihen auf’s Gerathewohl, eine jede der Schattengestalten, die man just heraufbeschwört, trägt eine Seltsamkeit, eine Eigenthümlichkeit, einen fremden Zug, wie ein wunderlich und altmodisch geschnittenes Kleid zur Schau. Und solche Sonderbarkeiten darf man bei der Beschreibung ihres Lebens und Seins eben so wenig verschweigen, als der gewissenhafte Zeichner bei Anfertigung eines getreuen Conterfeis die Fältchen [526] auf der Stirn, die Warze an der Nase, die scharfen Linien an den Mundwinkeln weglassen würde.

Die gute Stadt Harlem war am 12. Juni des Jahres 1534 in großer Bewegung. Hohe und Niedere hatten sich vereint, ein Fest zu geben zu Ehren eines ihrer Mitbürger, des vielgerühmten Meister Martin von Hemskerk, der dazumal eben erst aus Rom heimgekehrt war, um sich in seiner Lieblingsstadt niederzulassen. Die Harlemer waren stolz auf den Vorzug, den er ihrer guten Stadt gab, und wollten sich ihm dankbar erweisen. War doch der Genannte der beste Schüler des großen Meisters Johannes von Schoreel, dieses strahlenden Nachfolgers der Geschwister van Eyck; hatte er doch von ihm die Anmuth und Wahrheit der Gestalten entlehnt, und sein zartes Colorit sich in einer Weise angeeignet, daß man in der That oft Mühe hatte, die Arbeiten des Schülers von denen seines Lehrmeisters zu unterscheiden. Eigentlich war Martin von Hemskerk kein Harlemer Kind, sondern in Hemskerk, einem kleinen Dorfe unfern der Stadt, im Jahre 1498 geboren. Sein Vater hieß Jacob Willems van Veen, und war ein gewöhnlicher Bauer.

Wie denn aber in jener Zeit jedes Auge gar achtsam war auf eine etwaige Aeußerung eines Talentes für die hochgefeierte Kunst der Malerei, so hatte auch van Veen bald in den Verzierungen der Wände, die sein Sohn mit schwarzer Kohle auszuführen pflegte, den künftigen Maler gewittert, und brachte seinen Martin nach Harlem in die Lehre zu einem Maler, Cornelis Willems. Wußte er doch, daß die Bilder eines Meisters mit schwerem Gelde bezahlt wurden, und daß aus seinem derben Burschen ein Meister werden müsse, daran zweifelte er keinen Augenblick. Vergnügt überlegte er alle Tage, was er mit dem erworbenen Gelde seines Sohnes anfangen wollte, und wie er dann mit der Pfeife im Munde vom Morgen bis zum Abend vor der Thür sitzen und nichts thun könnte. Wagte dann wohl die Mutter zu sagen, daß sie Beide doch keinerlei Anrecht an das Erworbene des Kindes hätten, so fuhr er ganz wild auf und vermaß sich hoch und theuer, daß der Martin keinen Heller bekommen solle, bis er groß geworden sei. Denn daß der Martin Bilder malen lerne, könne gar nicht lange dauern, und wie sollte ein vernünftiger Vater solch blutjungem Gesellen die Taschen voll Geldes lassen!

Jeden Sonnabend, wenn er mit seinen Gänsen und Eiern nach Harlem zu Markte zog, sah er nach, ob sein Martin noch nicht auf dem directen Wege zum Meister sei, und immer schmollte und brummte er mit ihm, daß er noch kein großes Bild male.

Alldieweil nun aber, selbst in der damaligen reichen Zeit, die wirklichen Meister nicht vom Himmel fielen, sondern insgesammt harte Lehrjahre durchmachen mußten, so rieb auch der Martin Wochen lang nur Farben in der Werkstatt des Cornelis Willems, zeichnete, was ihm sein Lehrherr zu zeichnen befahl, und bemalte einstweilen nur noch mit größter Seelenruhe seine eigene Haut und seine Kleider. Van Veen wurde von Woche zu Woche mißvergnügter, und seine arme Frau hatte zu Hause schwere Zeit mit ihm.

Eines Tages erklärte er denn auch seinem erschreckten Sohne, daß er ihn binnen einem Monat wieder zurücknehmen würde in sein Dorf und Haus, wenn er nicht bis dahin ein ordentliches thürenhohes Bild zu Stande gebracht, das man verkaufen könne.

„Sein Knecht koste ihm ohnedies so gewaltig viel an Essen, Trinken und Lohn, und nun müsse er gar noch Lehrgeld für den Sohn zahlen, der doch nichts lerne, er könne und wolle das nicht länger ruhig ansehen,“ sagte er.

Und als der Monat vergangen und kein Bild fertig geworden war, mußte der arme Bursche, trotz alles Einredens seines Lehrherrn, mit dem unerbittlichen Vater wieder zurück hinter den Pflug und in den Kuhstall. War der Martin vorher aber schon ein Tolpatsch gewesen, so griff er jetzt Alles doppelt ungeschickt und verkehrt an, und der Vater hatte, trotz der derben Fäuste des Sohnes, keinerlei Nutzen, wohl aber viel Schaden von ihm. Des Scheltens, der Püffe, Stöße und Spottreden war von früh bis in die Nacht kein Ende im Hause des van Veen. Die Mutter freilich hatte großes Mitleiden mit ihm, und half ihm, wo sie nur konnte, denn eine echte Mutter breitet ihre Flügel über ihr Kind und vertheidigt es, und wenn der Habicht, der auf ihr Küchlein stoßen will, ihr eigener Ehemann wäre. – Sie war es denn am Ende auch, die ihm eines Tages den Rath gab, auf und davon zu gehen, und sein Heil in der Fremde als Schüler irgend eines Meisters noch einmal zu versuchen. Allerlei Wunderbares hatte sie ja von ihrem Martin geträumt und glaubte fest, daß er zu etwas ganz besonders Großem bestimmt sei.

Einen wohlgefüllten Schnappsack schenkte sie ihm, auch einiges Reisegeld dazu, das sie sich schon lange heimlich erspart durch allerlei Entbehrungen am Munde, küßte und segnete ihn mit reichlichen Thränen, hing ihm das Bildniß seines Schutzheiligen um den Hals, und er ließ sich’s nicht zweimal sagen, und wanderte fürbaß.

Der Vater durfte nichts merken, deshalb mußte Martin in stockfinsterer Nacht aufbrechen. Die Mutter gab ihm bis an die Hofthür das Geleit, er hätte sie gern noch weiter mitgenommen. Es war ihm gar zu übel und wehe zu Muth, so ganz allein in die weite Welt hinauspilgern zu müssen. Er war eben sein Lebtag kein Held gewesen, und fürchtete sich insbesondere ganz erschrecklich vor drei Dingen: vor großen Hunden, vor Räubern mit Schießgewehr, auch vor Schießgewehren allein, und – vor Weibern und Mädchen. Woher ihm diese letztere Furcht angeflogen, wußte kein Mensch – er selber am allerwenigsten, aber die Furcht war eben da; er ging jeder Gestalt, so einen Weiberrock und Schürze trug, aus dem Wege, so weit er konnte, und blinzelte nicht einmal nach dem Angesicht solcher Gestalt.

Als er an jenem Abend sein väterliches Haus verließ, hörte er immerfort, bald neben, bald hinter, bald vor sich fernes Hundegebell; es knallte bald hier, bald dort, und in den Bäumen flüsterte es, wie lauter Weiberstimmen. Für sein Leben gern wäre er schon in der ersten Viertelstunde wieder umgekehrt, wenn er sich vor einem Dinge nicht am allermeisten gefürchtet: vor seines Vaters dickem Knittel nämlich.

Die böse Nacht ging auch vorüber; er schlich sich vorsichtig durch Harlem bis nach Delft, allwo er in der Werkstatt eines Malers, Namens Johann Lukas, die beste Aufnahme fand.

Der Meister war unverehelicht, und das gefiel dem Mariin ganz besonders. Beide gewöhnten sich auch recht bald an einander, und der junge Bursche lernte so tüchtig, daß der Alte recht seine Freude an ihm hatte.

Mehrere Jahre blieb er da, bis der hochberühmte Johannes Schoreel nach Harlem zog, und seine Werkstatt Lehrlingen eröffnete. Da schied denn Martin von Hemskerken von seinem alten Lehrer und siedelte zu dem neuen über, der ja auch unbeweibt war und unbeweibt blieb. – Hier ging nun dem Martin eine wahrhafte Sonne auf in des vielgepriesenen Meisters gründlicher Unterweisung, und seine Fortschritte in der Malerei waren erstaunenswerth. Johannes Schoreel selbst rühmte seinen Schüler aller Orten, und freute sich seines tiefen Blicks für die Natur, so wie seiner äußerst zarten und doch schwungvollen Pinselführung.

Schon fing man an, auch um des Schülers willen die Werkstatt des Meisters aufzusuchen, als zum allgemeinen Erstaunen plötzlich Martin von Hemskerk sich von Johannes von Schoreel zurückzog, dessen Haus verließ, eine eigene Werkstatt einrichtete, und für sich allein zu arbeiten anfing. Man schüttelte die Köpfe über diese Trennung, und Uebelwollende redeten schon allerlei von dem Neid des großen Meisters wegen der Fortschritte des Schülers, man munkelte dies und jenes, das Rechte erfuhren nur Wenige.

Ein reicher Kunstliebhaber hatte nämlich für ein kleines Miniaturbild in einem Gebetbüchlein, das ihm Johannes Schoreel gemalt, dem Meister einen prachtvollen großen Hund geschenkt, von seltener Race. Das riesenhafte Thier hatte sich so schnell an seinen neuen Herrn gewöhnt, daß es ihm überall hin folgte und auch in seiner Werkstatt allezeit bei ihm blieb. Gegen jeden Andern war aber der Hund unfreundlich und zeigte häufig die Zähne, und dem Martin von Hemskerk war er gar einmal in die Beine gefahren. Das war mehr, als der Schüler Schoreel’s ertragen konnte.

Da sich der Meister nicht entschließen wollte, den Hund zu verbannen, so packte Martin seine Sachen und verließ die Werkstatt für immer. Er zog in eine ganz entfernte Straße, in das Haus eines Goldschmieds, Jan Fopsen genannt, Oheim eines seiner Mitlehrlinge, und stattlicher Junggeselle. Martin fühlte sich ganz wohl und zufrieden in seinem neuen Asyle, allwo es weder Hunde, noch Schießgewehre, noch Weiber gab.

Als nach kurzer Zeit Jan Fopsen ihn bat, ihm doch seine große Bettstelle in der Hinterstube durch seinen geschickten Pinsel zu verzieren, that er es mit Freuden, und ließ sich den Wein, den ihm der Goldschmied während der Arbeit reichlich schenkte, gar trefflich schmecken. Er malte ihm in Lebensgröße Sol und Luna, [527] auf der andern Seite auch Adam und Eva, von allerlei seltsam gestaltetem Gethier umgeben. Wer aber beschreibt seinen Zorn und Schrecken, als nach Vollendung des Kunstwerks der Goldschmied ihm schalkhaft lächelnd sagte, daß seine junge Frau ihm selbsten danken solle nach der Hochzeit, die er in acht Tagen zu halten gedenke, und zu welcher er ihn freundlichst einlade. Natürlich wartete der Martin von Hemskerk nicht so lange, sondern zog noch in derselben Woche in das Haus eines andern Goldschmieds, Jen Cornelis, eines tief betrübten Wittwers, der erst eben sein Weib begraben. Hier fand er Ruhe, freilich nur in seiner Werkstatt.

Auf den Straßen nämlich liebten es die Mägdelein, den weiberscheuen Maler weidlich zu necken. Sie faßten sich in langen Reihen unter die Arme und versperrten ihm kichernd den Weg, sie sammelten sich an den Brunnen und bespritzten ihn mit Wasser, wenn er vorüberging, sie drängten sich an den Kirchthüren zu ihm, daß er ihnen das Weihwasser reichen mußte. Es war immer ein helles Lachen und ein liebliches Flüstern hinter ihm her. Gar Manche bedauerte aber doch im Stillen, daß gerade dieser hübsche stattliche Mann ein so seltsamer Weiberfeind war, und hätte ihn für ihr Leben gern bekehrt.

Mittlerweile verbeitete sich sein Ruhm im Lande. Die Natur und Wahrheit, die Anmuth, das Leben und der Glanz seines Pinsels erweckten laute Bewunderung. Man stellte die Gebilde, die aus seinen fleißigen Händen hervorgingen, den herrlichsten Schöpfungen der Gebrüder van Eyck zur Seite. Aber nun standen Viele auf, die dem Meister so lange vorredeten, er solle und müsse sich in Rom die rechte Weihe holen, von den Schülern eines Rafael und Tizian, daß er sich endlich, erst in seinem vierunddreißigsten Jahre, entschloß, die Reise in das gelobte Land der Künste zu unternehmen.

Diesmal wurde ihm das Auswandern nicht so schwer, als damals, wie er von Hemskerken nach Delft zog. Er ließ sich ein stattliches, obwohl lammfrommes Roß satteln und ein Diener, ebenfalls zu Pferde, sollte ihn begleiten. Da ließ sich schon gut reisen. Auch hatte man ihm auf seine angelegentlichen Erkundigungen versichert, daß in Italien die Hunde bei weitem nicht so gefährlich seien, als hier zu Lande, und wegen der großen Hitze fast immer schlafend anzutreffen wären. Wegen der Räuber konnte man ihm weniger guten Trost geben; aber sein Diener war ja bis an die Zähne bewaffnet, und zu Roß ließ sich’s auch flinker das Weite suchen, als zu Fuß. Auch vor den bildschönen Weibern hatte man ihn gewarnt; er nahm sich vor, nur bei Nachtzeit seine Werkstatt zu verlassen, und immer nur zu reiten.

Ehe er Harlem verließ, malte er ein großes Bild, das er der Malergilde daselbst zum Andenken schenkte. Es stellte den Apostel und Schutzheiligen der Maler, den heiligen Lucas vor, wie er die göttliche Jungfrau mit dem Christuskinde abmalt. Die himmlische Maria hält einen reichen Teppich auf ihren Knieen und darauf sitzt das holdselige Jesuskind. Die Palette des heiligen Lucas war insbesondere so täuschend gemalt, daß man meinte, sie rage aus dem Bilde vor, und man müsse sie ihm abnehmen.

Die Köpfe und Gestalten waren voller Schönheit und Leben, der Faltenwurf so trefflich und die Farbenpracht so leuchtend, daß Alles herbeiströmte von nah und fern, um das Meisterwerk und den Schöpfer desselben zu preisen. Martin von Hemskerk aber führte seine alte halbblinde Mutter vor das Bild, die, von ihm versorgt, schon seit Jahren ein gemächliches Leben führte; der Vater konnte es freilich nicht sehen, der schlief schon lange seinen Zorn über den davongelaufenen Sohn in der kühlen Erde aus. Das Schluchzen der alten Frau, ihr stummes, fast anbetendes Händefalten vor dem Werk ihres Sohnes, das ihr doch nur wie ein wirres Farbenmeer vor den blöden Augen zitterte, däuchte ihm köstlicher als das begeistertste Lob aller seiner Freunde und Kunstgenossen.

In der alten heiligen Stadt Rom ging der schlichte Martin von Hemskerk umher wie im Traume. Alles blendete und verwirrte ihn. – Mit glühendem Eifer warf er sich auf das Studium der Antike, lebte wie ein Einsiedler, kümmerte sich um keinen seiner Landsleute, die allda lebten und malten, und nahm an keinem ihrer Feste und Lustgelage Theil, aus Furcht, Zeit zu verlieren oder gar den gefährlichen italienischen Weibern in die Hände zu fallen. Den ganzen Tag malte und zeichnete er nach den herrlichen Ueberresten der antiken Baukunst, nach Statuen und Basreliefs und beschäftigte sich mit den Schöpfungen Michel Angelo’s, die ihn vor allen anderen wunderbar fesselten und entzückten. Wie in einem Fieber lernte, schaute und schaffte er, und seine einzige Erholung waren abendliche Spazierritte mit seinem alten Diener.

Dies gleichmäßige stille Leben in der ruhelosen Riesenstadt wurde aber doch durch einen heftigen Schrecken unterbrochen: Martin von Hemskerk, Martin Tedesco genannt, mußte erleben, daß man ihm aus seiner wohlverschlossenen und verwahrten Werkstatt zwei der besten Bilder aus den Blendrahmen raubte, so wie auch andere werthvolle Zeichnungen. Nun war es um seine Ruhe geschehen. Zwar gelang es den angestrengten Bemühungen einiger gefälliger Landsleute, so wie den Nachforschungen seines hohen Gönners, eines kunstsinnigen Cardinals, den größten Theil der verlorenen Schätze wieder zu erlangen, aber der arme Martin war nicht wieder zu beruhigen. Es knallte wieder Tag und Nacht vor seinen Ohren, Dolche aller Art blitzten ihm in die Augen, Räuber und Mörder lugten aus jedem Winkel hervor, alle schlafenden Hunde Roms waren plötzlich aufgewacht und bellten, auf den Treppen zu seiner Werkstatt rauschte es von Weiberröcken, – kurz, er ertrug es nicht länger. Zwar waren ihm noch bedeutende Aufträge geworden, die er auszuführen gelobt, er ließ sie aber, so sehr er sonst das Geld liebte, ohne Seufzer im Stich, vollendete nur noch die Gemälde, die er für den Einzug Karls V. in Rom Grau in Grau malte, packte dann sein Hab und Gut zusammen und that nicht eher wieder einen freien Athemzug, als bis er wieder zu den Thoren des friedlichen Harlem hineinritt. – Hier war nun, wie schon am Eingang dieser kleinen Geschichte erwähnt, große Freude über den Heimgekehrten, der nun auch allsogleich in seiner Werkstatt verschiedene Bilder, die er in Rom gemalt, zum Staunen von Jung und Alt aufstellte. – Das war nun vornehmlich ein überaus herrliches Bildniß des Kaisers Karl V. in voller Rüstung, dann eine andere Tafel, die Auffindung des heiligen Kreuzes durch die Kaiserin Helene vorstellend. Auch einen heiligen goldlockigen Johannes mit einer wunderbar schönen heiligen Katharina, eine Kreuzigung mit einer in Schmerz zusammengebrochenen Mater dolorosa, und einer lieblichen heiligen, von Thränen erschöpften Magdalena, in einem Gewande von roth und blau schillernder Seide, wie es eben die italienischen Maler zu malen pflegten.

Das prachtvolle Fest, ein Schmaus, der bis in die tiefe Nacht währen sollte, und dazu die Vorstellung eines Schauspiels, das die Rhetoriker der dortigen Schule ihm zu Ehren aufführen wollten, gab schon im Voraus viel von sich zu reden. Waren doch die Frauen davon ausgeschlossen, da man wußte, wie bitterlich der Meister sie verabscheute. Das gab böse Blicke aus schönen Augen und scharfe Reden von süßen Lippen.

Nun war zu dieser Zeit ein reicher Bürger in Harlem, Conninghs mit Namen, der hatte ein einziges wunderschönes Töchterlein, Maria geheißen. Sie war die Rose in dem Garten seines Herzens, und wenn sie ihn bat mit den Augen seines heißgeliebten frühverstorbenen Weibes, so war es wohl nicht leicht zu denken, daß er ihr etwas abzuschlagen vermocht hätte. Diese allerliebste sechzehnjährige Kleine wünschte denn nun von ganzem Herzen, den berühmten Meister von Angesicht zu Angesicht einmal recht behaglich anzusehen, wozu sich sonst gar keine Gelegenheit darbot, da der Martin von Hemskerk sich nie von Weiberaugen anschauen ließ. Und sie ließ nicht ab mit bittender und schmeichelnder Rede und Kosen und allerlei lieblicher Verführung, um den Vater zu bewegen, sie, „auf ein Stündlein nur“ gegen Abend, in Pagenkleidern einzulassen in den großen Saal des Stadthauses, allwo das Fest gefeiert werden sollte. – Und es geschah auch wirklich, was sie ersehnt. – Der schönste aller Pagen drängte sich keck durch die Menge bis in die Nähe des Meisters. Aber just als die großen blauen Augen der holdseligen Maria sein Antlitz trafen, begegneten sie seinen Blicken, dunkeln, forschenden Blicken aus prächtigen, großen Maleraugen – und da war’s um Beide geschehen!

„Führt mir doch den schönen Pagen dort zu!“ sagte der Meister. „Nie sah ich ein lieblicheres Engelsgesicht, ich will ihn malen!“

Und den ganzen Abend durfte Maria nicht mehr von seiner Seite, sie mußte ihn bedienen und bei ihm stehen, und der Meister richtete mehr Fragen und freundliche Worte an die Erröthende, als an alle die reichen und vornehmen Herren, die sich um ihn drängten. Vater Conninghs schwitzte indessen große Tropfen Angstschweißes bei all’ den forschenden neugierigen Blicken, die auf sein Kind fielen, [528] das wohl auch jetzt einsehen mochte, wie keck es gewesen. – Und als hie und da Einer oder der Andere sich herandrängte, dem bildhübschen Pagen recht in’s Gesicht starrte, über seine Wangen strich, oder gar sein Kinn emporhob, um das Gesichtchen betrachten zu können, da kam die mädchenhafte Scheu und Angst über sie und, über des Meisters Sessel geneigt, bat sie flüsternd:

„Herr, laßt mich hinweggehen, es wird mir so beklommen hier!“

Und als er ihr verwundert, aber freundlich zum Abschiede die Hand reichte, sah er Thränen in den wunderlieben Augen. Dann hing sich der vermeintliche Page an den Arm des alten Conninghs und verschwand.

Martin von Hemskerk hatte die schlechteste Nacht in seinem Leben. Der schöne Page tanzte vor seinen Augen unablässig auf und ab – aber – o Graus – er trug einen Weiberrock und statt des Barettleins mit der nickenden Feder darauf, hatte er eine Schneppenhaube aufgesetzt. Und sie stand ihm noch zehntausend Mal schöner!

Mit dem frühen Morgen erschien mit einem Armensündergesicht Vater Conninghs, berichtete Alles und bat den Meister im Namen seines Kindes um Verzeihung.

„Sie ist ganz zerknirscht über ihren wunderlichen Streich,“ sagte er, „sie weint unablässig und wenn ich ihr Eure Vergebung nicht bringe, edler Meister, so geht mir vielleicht gar mein einzig Kind in ein Kloster.“

Lange stand der Meister unschlüssig da. Es kämpfte Allerlei in seinem Herzen. Der schöne Page blieb als Sieger.

„Ich will ihr meine Verzeihung selber bringen!“ erwiderte er endlich.

Freudestrahlend ging der wackere Bürger heim.

Und das Wunder geschah. Martin von Hemskerk ging wirklich in das Haus Conninghs’ hinein, nachdem er zwei Mal an der Schwelle umgekehrt. – Als er aber die holdselige Maria gesehen in ihrem weiten faltigen Kleide, das auf die kleinen Füße niederwallte, in der goldenen Schneppenhaube, die ihr in der That zehntausend Mal schöner stand, als das Barettlein, – da begriff er seine Furcht nicht mehr, und als er wieder heimkehrte, war er – ein strahlend froher Bräutigam und hatte die reinsten süßesten Lippen der Welt geküßt.

Kaum sechs Wochen nachher feierte er seine glänzende Hochheit mit der Rose von Harlem. – Aber, es war als sollte ihm nun eine Strafe werden für seine lange Verachtung der schönsten Blumen auf Erden, – Gott brach ihm seine holde Rose, sein junges, zärtliches Weib, als sie ihm das erste Töchterlein geboren, und auch das Kind nahm er mit der Mutter in den Himmel. – Da war nun Jammer und Leid, allwo Freude und Glück gewohnt. Der Meister trauerte tief und schwer. – Er malte zwar nun eifriger denn zuvor, er schloß sich sogar in seine Werkstatt ein und ließ Niemanden zu sich, aber seine Freunde schüttelten die Köpfe über seine fertigen Bilder und nur die große Menge bewunderte sie, weil sie – von Meisterhand kamen. – Es war etwas Fremdes, Verzerrtes, Unwahres in den Gestalten, etwas Grelles in den Farben. Jener Martin von Hemskerk, der den heiligen Lucas und den prächtigen Kaiser Karl gemalt, war – mit der schönen Maria gestorben. Die Menge aber schrie desto lauter, je unnatürlicher seine Bilder, und vielleicht betäubte ihn dies Letztere, daß er sich immer tiefer in die Unnatur hinein malle und zuletzt sich selbst ganz und gar verlor. – Seine früheren Bilder verwarf er. Einer seiner Schüler fragte ihn einmal, warum er denn früher so ganz anders gemalt, da gab er ihm barsch zur Antwort:

„Damals wußte ich nicht was ich that, damals war ich Sclave, jetzt bin ich freier Herr!“

Viele seiner Freunde sagten:

Rom hat ihn verdorben!“

Andere sahen tiefer und erkannten, daß der erste heiße Schmerz diesen klaren Sinn, dies freie Auge umwölkt. – Ach, nicht viele werden von den Wellen solchen Schmerzes an ein Eiland seliger Ruhe getragen, allwo sie neu aufleben und größer und thatenreicher werden können, die meisten Herzen gehen in solchen Stürmen unter. Eines oder das Andere versucht wohl im Kampfe mit den grausamen Wellen nach den goldenen Sternen zu greifen, die so fest und hell über ihm glänzen, – Manchem gelingt der Griff und er schwingt sich empor, – – die Meisten versinken aber doch ohne Rettung.

Martin von Hemskerk war unter ihnen. – Er schien für nichts mehr Sinn zu haben, als recht viel Geld zu sammeln, und er wurde reich und immer reicher, denn seine Bilder verkauften sich des Namens wegen immerhin sehr glänzend.

Aber es sollte noch trauriger mit ihm werden. – Etwa zwei Jahre nach dem Tode seiner wunderschönen Maria geschah es dem Meister, daß er eines Morgens der Harlemer Schützengilde in den Weg lief, die gerade ihren Umzug hielt. Die blitzenden Büchsen kamen ihm plötzlich so absonderlich drohend vor, seine alte Furcht zog ihm so fest ein schwarzes Tuch über den Kopf, daß er blitzschnell Kehrt machte und in der Angst seines Herzens in eine Kirche hineinlief, was ihm sonst nicht absonderlich oft in den Sinn kam, obwohl ihn seine Mitbürger schon längst zum Kirchenrath gemacht hatten. –

Da rannte er denn einer alten Jungfer, die mit dem Meßbüchlein in der Hand gar ehrsam dahertrippelte, schnurstracks in die Arme. Die erhob denn auch allsogleich, trotz des heiligen Ortes, ein durchdringendes Zetergeschrei und drohte in einem nie enden wollenden Redefluß mit Klage und harter Strafe und ließ dabei den Arm des zu Tode erschrockenen Meisters keinen Augenblick los. Neugierige drängten sich herbei und standen lachend umher. Plötzlich erbarmte sich ein Schalk des bedrängten Martin und flüsterte ihm Einiges in’s Ohr Gleich darauf neigte sich der Meister zur Jungfrau und redete leise eine Weile zu ihr. Seine Worte wirkten wunderbar, denn die wüthende Löwin verwandelte sich zur Stelle in ein sanftes Täublein. Die Andern erfuhren des Räthsels Lösung eine Woche nachher, wo der Martin von Hemskerk die steinreiche Jungfrau Brigitta zum Altare und nachher als Ehegemahl in sein Haus führte. – Er war kaum drei Tage mit ihr verehelicht, so wußte er mit einem Male, weshalb er sich all’ sein Lebtage so vor den Weibern gefürchtet.

Eine gute Natur muß er aber gehabt haben, der Meister Martin, denn er ließ sich von seinem Weibe martern und quälen Tag und Nacht und wurde doch 76 Jahre alt dabei. An seinem 74sten Geburtstage erlöste ihn erst der Engel der Barmherzigkeit von seinem Plagegeiste.

Von Stund’ an wurde Martin von Hemskerk ein Andrer. Er legte seinen Pinsel zur Ruhe und bestellte sein Haus. Von all’ seinen Bildern waren nur noch Wenige in Harlem, die Spanier, als sie im Jahre 1572 die Stadt belagerten, hatten all’ dergleichen als gute Beute mit fortgeschleppt. – Aber eine Verkündigung Mariä war noch da, allwo die Gestalt des Engels Gabriel sich im Marmorgetäfel des überaus kunstvoll gemalten Fußbodens so klar spiegelte, als stände sie auf durchsichtigem Eise. Auch den heiligen Lucas, den er damals für die Malergilde gemalt, hatte man gerettet. Lange stand der Meister sinnend vor diesen seinen beiden so verschiedenen Schöpfungen.

„Es war doch besser so!“ sagte er endlich zu seinem Freunde und Schüler Jacob Rauwaart und zeigte mit dem Finger auf die Apostelgestalt.

Hab’ und Gut vermachte er den Armen und der Kirche. Insbesondere setzte er eine große Summe Geldes aus zur jährlichen Ausrüstung eines liebenden Paares am Marientage. Seinen Eltern ließ er ein prachtvolles Denkmal setzen auf dem alten Kirchhofe von Hemskerk und bestimmte ebenfalls ein Capital für die Erhaltung dieser Ruhestätte auf ewige Zeiten.

Sein eigenes Grab ließ er sich neben seiner Maria rüsten, die ehemalige Jungfer Brigitta lag weit davon, er hatte ihr einen recht schweren Stein auf’s Grab legen lassen, den allerlei Genien festzuhalten schienen mit all’ ihren Kräften.

Noch am letzten Septembertage wanderte er hinaus auf den Friedhof, in den Blumengarten, in welchem Maria schlief mit seinem Kindlein. Die Rosen waren an ihrem Hügel schon verblüht, nur ein halberschlossenes Köpflein nickte noch ihr zu Häupten. Er brach es und wanderte langsamen Schrittes wieder heim.

Am Morgen des ersten Oktobers 1574 fand man den hochberühmten Meister Martin von Hemskerken auf seinem Lager todt. – In der Hand hielt er eine herrlich erschlossene Rose und auf seinen Lippen stand das Lächeln derer, die den Ruf des Herrn vernahmen:

„Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen!“