Der fromme Lukas
In jener goldnen, sonnenlichten Zeit,
Wo noch die Englein freundlich uns umschwebten,
Nur Liebesklänge durch die Fluren bebten,
Wo sternenhell, in stiller Einsamkeit,
Und Gottes Geist die Menschenwelt durchglühte; –
Schon viele hundert Jahr’ sind hingefloh’n; –
Da lebte, an bekränzten Moosaltären
Den eingebornen Gottessohn,
Der fromme Lukas. Buchenzweige woben
Zum Gotteshaus ihr schattenkühles Dach.
Fern hörte man des Neckars Welle toben,
Und zu dem lauten Wogenschlag
Des Sängers Lied, wie heilig Glockenläuten.
Durchs ganze Land erscholl die süße Kunde,
Und wo ein Herz im wilden Drange schwoll,
Wo eine Brust war banger Zweifel voll,
Da eilte man zu Lukas’ stiller Hütte;
Mit seinem Trostwort schwebte Himmelsruh’
Und Friede den zerrissenen Seelen zu;
Und fröhlich wallte aus des Haines Mitte,
So wogte man dahin von Jahr zu Jahr;
Schon wehen Silberlocken um sein Haupt,
Die Wange bleicht, die matten Schritte wanken,
Der Winter naht, die Eiche steht, entlaubt,
Es sinnt der helle Geist in stiller Freudigkeit
Grab, Tod und Ewigkeit – erhabene Gedanken!
Der Morgen flammt aus duft’gem Nebelschleier
In königlicher Herrlichkeit hervor;
Und ernster rauscht die gottgeweihte Leier,
Und immer lichter glüht der heil’ge Funken
Der Andacht in des frommen Greises Brust;
Er kniet am Moosaltar, sich selber kaum bewußt,
Da rauscht’s im Haine wunderbar,
Wie wenn sich Geister in den Aesten wiegen;
Der sel’ge Traum entflog, die Saiten schwiegen –
Ein bleicher Waller trat vor den Altar,
Und bat um eine milde Gabe.
„Gott segne dich!“ Mit diesem trauten Wort
Führt Lukas zu der stillen Buchenhütte
An seiner Hand den armen Pilger fort,
Er trocknet sein Gewand und beut
Ihm süße Labung dar für die erschöpften Glieder,
Und als er ihm ein Bett von weichem Moos gestreut,
Da schließen sich die schweren Augenlieder,
Des Pilgers bleiches Angesicht.
Doch Lukas eilt mit leisem Schritte
Ins stille Kämmerchen hinein
Und fleht in liebevoller Bitte:
Und wolle Trost und Frieden ihm verleih’n!“
Er sprichts und hofft auf Gottes Segen;
Da fliegt in hehrer Lichtgestalt
Der Pilger ihm verklärt entgegen;
Den hohen Leib’ und wunderbar
Erglänzt das milde Augenpaar.
„Erhört ist dein Gebet!“ – ruft ihm der Engel zu, –
„Auf! gehe freudig ein in Gottes ew’gen Frieden,
Du hast getröstet und geliebt hienieden,
Drum sey ins ew’ge Liebesland beschieden!“ –
Er sprachs, und wundersüße Harmonie’n
Erschollen himmlisch in den Buchenzweigen;
Doch freundlich richtet ihn
Der Engel wiederum empor,
Und küßt ihm die verklärten Blicke;
Die starre Hülle bleibt im stillen Thal zurücke,
Der Greis entschwebt, dem schönen Jüngling gleich,
Ins Paradies, ins lichte Himmelreich.
Ein grüner Hügel birgt die morsche Hülle,
Und aus des Haines heil’ger Stille
Denn wo voreinst das grüne Hüttchen stand,
Glänzt jetzt ein Kirchlein, Himmelreich genannt.
Hörst du der frommen Pilger Chor?:
Sieh, Vater, gnädiglich auf uns herab,
Und unsern Geist heb’ in Dein Reich empor!“
Beide vorigen Legenden ergänzen sich; während Kopisch den Tod Friedhildens zum Gegenstand seiner Dichtung macht, behandelt Krummacher den nicht weniger schönen Tod Grißo’s, der den christlichen Namen Lukas angenommen hatte, und bringt damit die fromme Sage vom Michaelsberg in Verbindung.